Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Neuntes Kapitel.

Aus dem Heimatsort der Paoli.

Es war schon spät geworden, als ich Rostino oder Morosaglia erreichte. Mit diesem Namen bezeichnet man einen Verein von Ortschaften, welche in den rauhen Bergen zerstreut sind. Mit Mühe fand ich mich durch mehre dieser kleinen Nachbardörfer nach dem Convent von Morosaglia zurecht, auf schwierigen Felspfaden steigend und wieder zu Tal gehend unter riesigen Castanien. Dem Kloster gegenüber liegt eine Locanda, eine Seltenheit in corsischen Landen. Ich fand dort einen jungen aufgeweckten Mann, welcher sich als Director der Paoli-Schule zu erkennen gab und mir für den folgenden Tag seine Unterstützung versprach.

Morgens ging ich nach dem Dorf Stretta, wo die drei Paoli geboren sind. Man muß die Casa Paoli sehn um die Geschichte der Corsen erst recht zu begreifen und diese seltnen Menschen noch mehr zu bewundern. Sie ist eine elende, schwarze Dorfcapanne, und steht auf einem Granitfelsen. Ein frischer Bergquell rieselt vor der Thüre vorüber. Das Haus ist aus Steinen kunstlos zusammengesetzt, schartig wie ein Turm, durchlöchert, und hat wenige und unsymmetrische Fenster ohne Glas, mit Holzladen wie zur Zeit des Pasquale. Als dieser von den Corsen zu ihrem General berufen war und man ihn von Neapel her erwartete, ließ sein Bruder Clemens Scheiben in die Fenster des Wohnzimmers setzen, um seinem Bruder die väterliche Stätte wohnlicher zu machen. Aber Pasquale war kaum eingetreten und hatte kaum die Veränderung bemerkt, als er mit seinem Stock sämmtliche Fensterscheiben zerschlug indem er sagte, daß er in seines Vaters Hause nicht wie ein Graf, sondern wie ein Landeskind wohnen wolle. So wie damals sind auch heute die Fenster ohne Glas geblieben. Man übersieht aus ihnen das erhabene Panorama der Berge Niolo's bis zu dem himmelhohen Monte Rotondo.

Eine Verwandte Paoli's, ein schlichtes Landmädchen aus der Familie Tommasi, führte mich in das Haus. Alles trägt hier das Gepräge einer Bauernwohnung. Auf einer hölzernen steilen Stiege steigt man zu den ärmlichen Zimmern, in denen noch Paoli's hölzerner Tisch und hölzerne Sessel stehn. Ich stand voll Freude in dem Stübchen, wo Pasquale geboren wurde, und ich war froher bewegt an dieser Stelle als in dem Geburtszimmer Napoleons.

Noch einmal trat mir hier, ernst und würdevoll das edle Menschenbild entgegen, vereinigt mit der Gestalt eines kraftvollen Vaters und eines Heldenbruders. Hier kam Pasquale im April des Jahres 1724 zur Welt. Seine Mutter war Dionisia Valentina, eine wackere Frau aus einem Ort nahe bei Pontenuovo, das ihrem Sohn so verhängnißvoll werden sollte. Seinen Vater Hyacint kennen wir schon. Er war Arzt gewesen und wurde General der Corsen neben Ceccaldi und Giafferi. Hohe Tugenden zeichneten ihn aus; er war des Ruhmes würdig, seinem Vaterland solche zwei Söhne gegeben zu haben. Hyacint war ein ausgezeichneter Redner und auch als Dichter genannt. Im Lärm der Waffen hatten diese kräftigen Geister noch Zeit und Schwung genug, ihre Seele über den Dingen frei zu halten und gleich dem Tyrtäus eherne Sonette zu singen, wie dieses geharnischte, welches Hyacint an den tapfern Giafferi auf die Schlacht bei Borgo dichtete, im Jahre 1735.

An Don Luis Giafferi.
        Mars kröne Cyrnus' Held, der unbezwungen,
Und vor ihm soll das Fatum tief sich neigen;
Die Seufzer, die sich Genua entrungen,
Läßt Fama hell in die Trommete steigen.

Kaum war er über'n Golo vorgedrungen,
Spielt' er dem Feinde auf den Todesreigen,
An Zahl gering, war ihm der Sieg gelungen;
Er siegte, wo das Schwert er mochte zeigen.

Den großen Kampf worauf Europa schauet,
Hat seinem Arm und seinem Heldendegen
Das Schicksal und der Corse anvertrauet.

Und jähe Furcht will Genua bewegen,
Wie ihm sein Schwert am Haupt das Haar verhauet –
In Cyrnus' Hand wird er das Scepter legen.

Wie aus griechischem Erz gegossen sind alle diese Männer. Sie waren auch Menschen des Plutarch und gleichen dem Aristides, dem Epaminondas und Timoleon. Sie konnten entbehren und sich aufopfern, schlichte und starke Bürger ihres Vaterlandes. Sie waren an den Dingen groß geworden, nicht an den Theorien; der hohe Adel ihrer Grundsätze hatte die Grundlage der Handlungen und der Erfahrungen. Will man das ganze Wesen dieser Männer mit einem Worte nennen, so heißt dies Wort: die Tugend, und deren reinste Blüte: die Freiheit.

Da fällt mein Blick auf das Bildniß Pasquale's. Nicht anders möchte ich ihn mir denken. Sein Kopf ist machtvoll und klar; hoch gewölbt und frei seine Stirn, das Haar lang und frei. Dichte Augenbrauen, etwas in die Augen hinunter, wie schnell zum Zusammenziehen und zum Zürnen. Aber die blauen Augen hell, groß, frei, voll klarer Vernunft; über dem bartlosen Antlitz Milde, Würde, Menschlichkeit.

Es gehört unter meine schönsten Freuden, Bilder und Büsten großer Menschen zu betrachten. Vier Perioden reizen da am meisten, die Köpfe Griechenlands, die Römerköpfe, die Köpfe des großen fünfzehnten und sechszehnten Jahrhunderts, die Köpfe des achtzehnten Jahrhunderts. Man würde kein Ende finden, wollte man die Büsten großer Menschen aus dem achtzehnten Jahrhundert neben einander stellen; solches Museum sollte sich wol belohnen. Wenn ich deren nun eine gewisse Gruppe beisammen sehe, will es mich dünken, als walte in ihnen eine gewisse Familienähnlichkeit, die eines und desselben geistigen Princips: Pasquale, Washington, Franklin, Vico, Genovesi, Filangieri, Herder, Pestalozzi, Lessing.

Pasquale's Kopf gleicht auffallend dem Alfieri's. Wiewol dieser, aristokratisch stolz und egoistisch wie Byron, weit hinweg steht von seinem Zeitgenossen Pasquale, dem ruhigen menschenliebenden Bürgersmann, so besaß er doch eine Seele voll bewundernswürdiger Energie und voll Tyrannenhaß. Besser als Friedrich der Große vermochte er eine Natur wie Paoli war, zu verstehen. Friedrich schenkte Paoli einst in dieses Haus einen Ehrendegen mit der Aufschrift: Libertas, Patria. Im fernen Preußen hielt der große König vielleicht Pasquale für einen großen Krieger. Er war kein Soldat, sein Bruder Clemens war sein Schwert; er war der denkende Kopf, ein Bürger und ein starker und edler Mensch. Alfieri dichtete seinen Timoleon und sandte ihm das Stück zu. Dies ist Alfieri's Brief an Paoli:

An Herrn Pasquale de Paoli, den großherzigen Kämpfer der Corsen.

Freiheitstragödien in der Sprache eines unfreien Volkes zu schreiben, wird vielleicht mit Recht dem eine reine Dummheit scheinen, welcher nichts sieht als das Gegenwärtige. Aber wer von dem beständigen Wechsel der vergangenen Dinge auf die Zukunft schließt, darf so aufs Geratewol nicht urteilen. Deshalb widme ich diese meine Tragödie an Sie als an Einen jener Wenigsten, der, weil er die richtigste Idee anderer Zeiten, anderer Völker und hoher Gedanken besitzt, auch würdig gewesen wäre in einem minder weichlichen Jahrhundert als das unsrige ist, geboren und thätig zu sein. Weil es Ihnen nun nicht vergönnt war Ihr Vaterland in Freiheit zu setzen, beurteile ich nicht (wie der Haufe zu thun pflegt) die Menschen nach dem Glück, sondern nach ihren Werken, und ich halte Sie für vollkommen würdig, die Gesinnungen des Timoleon anzuhören, als solche welche Sie ganz verstehen und empfinden können.

Vittorio Alfieri.

Auf das Exemplar, welches Alfieri dem Pasquale zusendete, hatte er diese Verse geschrieben:

Dem edlen Corsen, der zum Meister sich
Und zum Genoss' des jungen Frankreichs machte.
Du mit dem Schwert und mit der Feder ich
O Paoli, versuchten fruchtlos wir
Vom Schlaf Italia eines Tags zu wecken.
Nun sieh, ob deines Herzens Sinn zu deuten
Hier meine Hand vermochte.
V. A.
Paris, den 11. April 1790.

Einen feinen Sinn legte Alfieri an den Tag, da er Paoli den Timoleon widmete, die Tragödie eines Republikaners, welcher in dem nahen Sicilien einst dem befreiten Volk weise demokratische Gesetze gegeben hatte und dann als einfacher Privatmann gestorben war. Pasquale las gerne den Plutarch, wie die meisten jener großen Menschen des achtzehnten Jahrhunderts. Epaminondas war sein Lieblingsheld; beide waren verwandte Naturen, beide verschmähten den Aufwand und lebten bürgerlich in der Liebe zu ihrem Vaterlande. Pasquale las gern. Seine Bibliothek war gut versorgt und sein Gedächtniß hielt aus. Mir erzählte ein bejahrter Mann, daß er einst als Knabe mit einem Schulgefährten des Weges gegangen sei, eine Stelle aus dem Virgil hersagend; zufällig sei Pasquale hinter ihm hergekommen, der habe ihm auf die Schulter geklopft und sei in jener Stelle weiter fortgefahren.

Vieles von Einzelnheiten aus Paoli's Leben lebt hier im Munde des Volks. Die Alten sahen ihn noch unter diesen Castanienbäumen herumgehen, im langen grünen Rock mit Goldstreifen, den corsischen Farben, und in einer Weste aus braunem Tuch. Wenn er sich zeigte war er stets von seinen Bauern umringt, die er wie seines Gleichen behandelte. Allen war er zugänglich, und lebhaft erinnerte er sich eines Tags aus dem letzten Freiheitskampf, wo er bitter hatte bereuen müssen, eine Stunde lang sich verschlossen gehalten zu haben. Er war einst in Sollacaro, mit Geschäften überhäuft; er hatte den Schildwachen befohlen, Niemand vorzulassen. Nach einer Weile erschien ein Weib mit einem Jüngling in Waffen. Das Weib war in Trauer, in die Faldetta gehüllt, und trug um den Hals ein schwarzes Band mit einem silbernen Mohrenkopf, dem Wappen Corsica's. Sie begehrte Einlaß, die Wache stieß sie zurück. Auf das Geräusch öffnet Pasquale die Thüre und lebhaft und herrisch fragt er, was sie begehre. Jene sagt in trauervoller Ruhe: Mein Herr, wollet mich anhören. Ich war Mutter zweier Söhne, der eine fiel am Turm Girolata, der andere steht hier und ich komme ihn dem Vaterlande zu bringen, daß er seines todten Bruders Stelle ersetze. Sie kehrte sich zu dem Jüngling und sagte zu ihm: Mein Sohn, vergiß nicht, daß du eher der Sohn des Vaterlandes als der meine bist. Das Weib ging. Paoli blieb einen Augenblick wie angedonnert stehn, dann sprang er der Hinweggegangenen nach, umarmte gerührt sie und ihren Sohn und stellte sie den Officieren und Beamten vor. Paoli sagte nachher, daß er nie so verwirrt gewesen sei, als vor jenem großherzigen Weibe.

Er war niemals verheiratet; sein Volk war seine Familie. Seine einzige Nichte, die Tochter seines Bruders Clemens, vermälte er einem Corsen Barbaggi. Doch fehlte ihm, der alle Tugenden eines Freundes besaß, nicht ein freundschaftlich zartes Verhältniß zu einem edlen Weibe, einer geistvollen, glühenden Patriotin, welcher die größesten Männer des Landes ihre Plane und Gedanken vertrauten. Diese Roland Corsica's hielt keinen Salon, sie war eine Nonne, eine Edeldame aus dem Hause Rivarola. Wie eifrig sie an dem Freiheitskampf Teil nahm, zeigte der eine Zug, daß sie nach der kühnen Eroberung Capraja's durch Achill Murati in ihrer Herzensfreude selbst auf die Insel hinüberging, um sie gleichsam im Namen Paoli's in Besitz zu nehmen. Viele Briefe Pasquale's sind an die Signora Monaca gerichtet und ganz und gar politischen Inhalts, als wären sie an einen Mann geschrieben.

Wie groß Paoli's Thätigkeit war, geht aus der Sammlung seiner Briefe hervor. Die wichtigsten hat der gelehrte Italiener Tommaseo zu einem starken Bande vereinigt. Sie sind voll eines männlich festen und klaren Geistes. Pasquale schrieb ungern, er dictirte wie Napoleon; er saß ungern, sein Geist ließ ihm nicht Ruhe. Man sagt von ihm, daß er niemals das Datum des Tages gewußt habe, aber daß er in der Zukunft habe lesen können, und daß er oftmals Visionen hatte.

Paoli's Andenken ist heilig in seinem Volk. Napoleon erfüllt die Seele des Corsen mit Stolz; aber nennt man ihm Paoli, so verklärt sich sein Auge wie das eines Sohnes, dem man den Namen eines edlen heimgegangenen Vaters nennt. Es ist unmöglich, daß ein Mensch nach seinem Tode von einer ganzen Nation mehr geehrt und geliebt werden könne, als Pasquale Paoli, und wenn Nachruhm noch ein zweites Leben ist, so lebt dieser größeste Mensch Corsica's und Italiens im achtzehnten Jahrhundert, tausendfach, ja in jedem corsischen Herzen vom Greise an, der ihn noch kannte, bis zu dem Kinde herunter, dem man sein großes Beispiel in die Seele legt. Es gibt keinen edleren Namen als den »Vater des Vaterlandes.« Die Schmeichelei hat ihn oft gemißbraucht und lächerlich gemacht; im Lande der Corsen erkannte ich daß er auch eine Wahrheit sein könne.

Paoli ist das schöne Gegenbild zu Napoleon, Menschenliebe zur Eigenliebe – kein Fluch der Todten steht hinter ihm auf, seinen Namen zu verwünschen. Auf Napoleons Wink wurden Millionen Menschen gemordet um des Ruhmes und des Besitzes willen. Das Blut, welches Paoli vergießen ließ, floß um die Freiheit, und das Vaterland gab es hin wie der Pelikan, welcher seine Brust zerreißt, um die verschmachtende Brut zu tränken.

Kein Schlachtenname ziert Pasquale's Andenken, aber hier schmückt ihn die Stiftung einer Volksschule zu Morosaglia, und dieser Ruhm dünkt mich menschlich schöner als der Ruhm von Marengo und den Pyramiden.

Ich besuchte diese Schule, das Vermächtniß des Patrioten. Sie ist im alten Convent eingerichtet. Sie besteht aus zwei Classen; die unterste enthält 150, die erste etwa 40 Schüler. Aber zwei Lehrer reichen für die große Zahl nicht aus. Der Rector der untersten Classe war so freundlich, in meinem Beisein ein kleines Examen abzuhalten. Auch hier lernte ich die corsische Unbefangenheit schon in den Knaben erkennen. Es waren deren über hundert beisammen von 6 Jahren aufwärts bis zu 14, in Scharen abgeteilt, braune Wildlinge, zerlumpt, zerrissen, ungewaschen und alle nach der Reihe ihre Mützen auf dem Kopf. Einige trugen Ordenskreuze am roten Band; sie machten sich auf der Brust so eines kleinen schwarzen Teufels possierlich genug, der den Kopf auf beide Fäuste gestemmt, mit den schwarzen Augen frank und frei vor sich hinblickte, stolz vielleicht auf den Ruhm ein Paoli-Schüler zu sein. Jeden Sonnabend werden solche Ehrenzeichen ausgeteilt und eine Woche lang von dem Schüler getragen, eine alberne und zugleich schädliche französische Sitte, welche schlechte Leidenschaften nähren, und die von Natur mit einer ungewöhnlichen Sucht sich auszuzeichnen begabten Corsen schon frühe zu falschem Ehrgeiz treiben kann. Diese jungen Spartaner lasen den Telemaque. Auf meine Bitte, der Rector möchte das Französische auch in das Italienische übersetzen lassen, damit ich erkenne, wie die Kinder in ihrer Muttersprache zu Hause seien, entschuldigte er sich mit dem ausdrücklichen Verbot der Regierung, welche »das italienische in den Schulen nicht duldet.« Die Lehrartikel waren Schreiben, Lesen, Rechnen, die Anfänge der Geographie und biblische Geschichte.

Die unterste Classe hat ihren Sitz in dem Capitelsal des alten Convents, in welchem Clemens Paoli sein Leben vertrauerte. Die luftige Aula, worin corsische Jungen studiren, den Blick zum Fenster hinaus auf die gewaltigen Berge Niolo's und die Schlachtfelder ihrer Ahnen, möchte von mancher deutschen Universität gewünscht werden. Die heroische Natur Corsica's scheint mir neben den Erinnerungen der Geschichte das beste Bildungsmittel des Volks zu sein; und viel wert ist schon der Blick des Knaben, welcher auf dem Porträt dort an der Wand des Saales haftet, denn dies ist das Bildniß Paoli's.


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