Ferdinand Gregorovius
Corsica
Ferdinand Gregorovius

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Zehntes Kapitel.

Die Hölen von Bonifazio.

Hochauf donnerte dort an des Eilands Küsten die Brandung,
Grauenvoll spritzend empor, und bedeckt war alles mit Salzschaum.
Odyssee.

An einem schönen Morgen ging ich aus dem alten Genuesentor, an dessen Mauer der springende Löwe und der heilige Drachentödter Georg, das Wappen der Bank Genua's, eingemeißelt sind, stieg zur Marina hinunter und rief den Schiffsmann und seine Barke. Heute erlaubte die See eine Fahrt in die Hölen der Küsten, aber sie war noch immer vom Maestrale bewegt und spielte dreist genug mit dem Boot.

Im tiefen, schmalen Hafen aber, dem sichersten der Welt, ist es windstill, und wie in Abrahams Schoß ruhten dort die wenigen Segelkähne und die beiden zweimastigen Kauffahrer Bonifazio's, Jesus und Maria nämlich und die Fantasia. Fantasia ist der trefflichste Name, den noch ein Schiff getragen hat, das wird jeder zugeben, deß Fantasieschiff je auf dem Meer gesegelt ist und mit seinen Schätzen zu Port kam oder an den Strand geworfen ward.

Von beiden Seiten engen Kalkfelsen den Hafen so sehr ein, daß seine Mündung dem Blick lange verdeckt bleibt. Die Enge dieses Canals macht es möglich, ihn querdurch mit einer Kette zu sperren, wie Alfonso von Aragon das gethan hat. Man zeigte mir noch einen mächtigen eisernen Ring, der in einem Uferfelsen eingeschlagen ist. Rechts und links und weiter an der offenen Küste hat die Wassergewalt kleine und große Hölen gebildet, welche höchst sehenswert sind und in aller Welt berühmt sein würden, wenn Corsica nicht gleichsam außer der Welt läge.

In der nächsten Nähe Bonifazio's gibt es deren drei besonders schöne. Zuerst gelangt man nach der Grotte San Bartolomeo. Sie ist ein schmaler Hölengang, der gerade so viel Raum läßt, daß die Barke sich hineinzwängen kann. Sie gleicht einem kühlen gothischen Gemach. Das Meer dringt fast bis an ihr Ende, so weit dies dem Auge sichtbar scheint, und bedeckt ihren Boden mit seinem stillen, klaren Wasser. Es ist das eine Gesellschaftsgrotte für die Fische, die sich hier Besuche machen, vor dem Hai gesichert. Ich fand auch eine wolige Fischfamilie darin. Sie ließen sich nicht stören, sondern schwammen lustig um die Barke her.

Rudert man aus dieser Grotte weiter, so gelangt man nach kurzer Zeit in die offene See und hat den überraschend großen Anblick der Seeseite des Felsens Bonifazio, der mit seiner breiten zwiegeteilten Brust mächtig herausgehoben gegen die Flut strebt. Er ist ein herrliches Bauwerk der Meisterin Natur. Von beiden Seiten hat sie Säulen angestemmt, gewaltige Strebepfeiler aus Kalk und Sandschichtungen und von der Woge tief cannelirt. Eine derselben heißt Timone. Zwischen ihnen wölbt sich ein colossaler Bogen, auf welchem hoch oben die weißen Mauern Bonifazio's stehen, und in dessen Mitte eine prachtvolle Grotte als Portal sich aufthut. Ich war überrascht von diesem großen Bau, einem Vorbilde der Menschenwerke, der Tempel und Basiliken. Das aufgeregte Meer schlug seine Wellen gegen die Wände der Höle; aber drinnen war es still. Sie geht nicht tief in den Fels hinein. Sie ist nur eine Nische, welche in halben Kreislinien traubenförmige Guirlanden von Tropfstein umziehen. Man könnte darin ein Riesenbild des Poseidon aufstellen. Sie heißt sotto al Francesco.

Fährt man nach der rechten, östlichen Seite, so sieht man das Ufer weithin unterhölt und wunderliche Bildungen von Kellergewölben, in welche das Meer eindringt. Ich fuhr in eine dieser Grotten hinein, die Fischer nennen sie Camere. In ihrer Nähe befindet sich die herrlichste Grotte Bonifazio's, der Sdragonate, und hier verzage ich Worte zu finden, welche dieses Wunderwerk zeichnen mögen. Nimmer sah ich ein ähnliches und vielleicht möchte diese Höle einzig in Europa dastehen. Ihr Eingang ist gleich der von San Francesco, eine riesige Tropfsteinnische, aber diese öffnet sich in den Berg und führt durch ein kleines Tor in die ganze umschlossene innere Hölung. Es war schön und ängstigend durch den kleinen Schlund zu steuern; die Wasser brandeten mit Wut gegen denselben, spritzten ihren weißen Gischt an das Gestein empor, schlugen zurück, verschlangen sich, wühlten sich wieder auf. Solchen wilden Wasserschwall zu hören ist eine wahrhaft elementarische Lust; seinen Laut gibt nur die italienische Sprache treffend wieder – sie sagt rimbomba. Glücklich ward die Barke durch den Hölenschlund gespült, und mit eins glitt sie hin in einem herrlich gewölbten Tempel von ungeheurem Kreisumfange, auf einem hier grünen, dort dunkelschwarzen, hier azurblauen und dort rosig gefärbten Wasserspiegel. Es ist ein natürliches Pantheon. Oben klafft die Kuppel auseinander und der helle Himmel scheint herein; ein Baum beugt sich und schwankt vom Rande herab, grüne Büsche und Kräuter neigen sich in den Spalt hernieder, und wilde Tauben flattern herein. Die Wände der schönen Höle sind fast regelmäßig gewölbt, das Wasser sickert von ihnen herab und umzieht sie mit Tropfstein, der aber nicht die Formen der Höle von Brando auf dem Cap Corso, oder der Harzhölen hat. Er hängt in Knollen umher, oder hat das Gestein wie mit einem Lasurguß überzogen. Man kann mitten in der Grotte umherrudern oder nach Belieben aussteigen, denn ringsum hat die Natur Sitze und Stufen von Stein aufgeschlagen, welche freiliegen, wenn nicht die Sturmflut sie bedeckt. Hieher kommen die Seehunde des Proteus und lagern sich in dem Wonnesaal. Leider sah ich keinen, sie waren draußen auf einer Wasserfahrt; nur wilde Tauben und Taucher schreckte ich auf. Der Wassergrund ist tief und klar. Man sieht Muscheln, Fische, und Meeresgräser. Es möchte sich der Mühe verlohnen seinen Sommersitz von Zeit zu Zeit hier aufzuschlagen, die Odyssee zu lesen und aufzulauschen, wenn die Wesen der geheimnißvollen Meerestiefe eingezogen kommen. Der Mensch versteht weder Pflanze noch Thier, die aus dem Lande leben und seine Freunde sind, noch weniger jene stummen, wunderbar geformten Geschöpfe des großen Elements. Sie leben und haben ihre Gesetze, ihren Verstand, ihre Freuden und Leiden, ihre Liebe und ihren Haß. Nicht wie die Landwesen an die Scholle gebannt, ziehen sie im schrankenlosen Element umher und wohnen in der immer klaren krystallnen Tiefe, bilden mächtige Republiken, haben ihre Revolutionen, ihre Völkerwanderungen und Corsarenstreifzüge, und die schönsten Wasserpartieen, wenn sie wollen.

Das Ufer vom Cap Partusato bis nach Bonifazio ist vom Meer zerschlagen und in seltsame Formen zerrissen. Man findet dort viele Versteinerungen und die merkwürdige Spinnenart, welche baut. Diese Spinne macht sich nämlich im Sande der Küste ein ganz kleines Sandhäuschen und in dem Sandhäuschen ein Thürchen. Dieses kann sie nach Belieben auf- und zuschließen. Wenn nun die Spinne allein sein will, so schließt sie das Thürchen zu. Wenn sie ausgehen will, so macht sie das Thürchen auf und geht hinaus und führt ihre Töchter an der schönen Meerenge spazieren, wenn sie nämlich fleißig gewesen sind und an ihrer Ausstattung genug gesponnen haben. Diese treffliche Bauspinne heißt Mygal Pionnière oder Araignée Maçonne von Corsica.

Ich sah auch die scalina di Alfonso, die Treppe des Königs von Aragon, welche er der Sage nach hart unter den Mauern der Stadt aushauen ließ. Weil Alfonso nämlich die Stadt nicht zwingen konnte, verfiel er auf den Gedanken, in das Ufer heimlich einen Gang zu hauen. Nachts landeten die Spanier an einer Stelle, welche von den Bürgern nicht gesehn werden konnte; dort zieht sich eine Grotte in den Berg, welche wol 300 Menschen beherbergen kann und süßes Wasser enthält. Da schlugen nun die Spanier einen Stufengang empor, und wirklich waren sie bis an die Festungsmauern gelangt, als ein Weib sie bemerkte, Lärm machte und die herbeieilenden Bürger den Feind herabstürzten. Die Erzählung ist ein Märchen; mir scheint es unglaublich, daß die Spanier diese schräg aufsteigende schmale Treppe sollten ausgehauen haben, ohne von den Bonifazinern gesehen worden zu sein. Eine andere Felsentreppe der Art hatten sich übrigens die Mönche von San Francesco ausgegraben, um zum Seebade hinabzusteigen; auch sie ist größtenteils hinweggetilgt.

Ich habe Unglück gehabt, die Thunfische fangen sie dies mal nicht in der Meerenge und die Corallenfischer sind wegen des Maestrale nicht auf See. Die Meerenge ist an Corallen reich, aber die Corsen überlassen den Fang den Genuesen, den Toscanern und Neapolitanern. Diese kommen im April und bleiben bis zum September. Schöne rote Corallen sah ich bei einem Genuesen. Man verkauft sie nach dem Gewicht, die Unze zu drei Franken. Die meisten Corallen, welche in den Fabriken Livorno's verarbeitet werden, kommen aus dieser Meerenge. Seitdem aber die Franzosen reichere und bessere an den Küsten Afrika's entdeckt haben, vermindert sich hier der Corallenfang. Jetzt fischt man sie hauptsächlich an den Ufern von Propriano, von Roccapina, Figari und Ventilegne, wo auch die Thunfische besonders häufig sind.

Nachdem ich nun Land und Küste Bonifazio's kennen gelernt hatte, rüstete ich mich zur Abfahrt von diesem merkwürdigen Ort. Wie Lorenzo es mir gesagt hatte fand ich das Volk Bonifazio's. Wir sind arm, sagte er mir, aber wir sind fleißig und haben genug. Oel wächst in Fülle auf unsrem Kalkboden, der Wein gibt genug für das Haus und die Luft ist gesund. Wir sind fröhlich und zufrieden und nehmen Gottes Tage auf unsrem Felsen mit Dankbarkeit hin. Wenn der arme Mann Abends von seinem Felde heimkehrt, findet er immer seinen Wein mit Wasser zu mischen, sein Oel zum Fisch, vielleicht auch ein Stück Fleisch, und Sommers immer seine Melone.

Ich werde mich an die Gastlichkeit der Bonifaziner so dankbar erinnern wie an die der Sartener. Morgens, da ich vor Sonnenaufgang hinabwollte, um nach Aleria zu fahren, wartete schon Lorenzo am Burgtor um mir nochmals eine gute Reise zu wünschen und mich zur Marina zu geleiten. Mit der Morgenröte den Felsen hinabsteigend nahm ich von der seltsamen Stadt mit einer jener Scenen Abschied, deren Bild der Erinnerung sich unauslöschlich einprägt. Unter dem Tor liegt auf dem Uferrande die kleine unbedachte Capelle San Rocco, welche auf der Stelle gebaut worden ist, wo im Jahr 1528 das letzte Opfer der Pest niedersank. Wie ich nun vom Tor herabstieg, sah ich gerade auf diese Capelle: die Thüren standen weit offen, der Priester am Altar auf dem die Kerzen brannten; vor ihm knieten in zwei Reihen andächtige Frauen, und auch vor der Pforte knieten Männer und Weiber auf dem Felsen. Der Blick von oben in diese stille, fromme Menschengemeinde im Schein der Morgenröte, hoch über der Meerenge überraschte mich tief, und ich glaubte hier ein Bild wirklicher Frömmigkeit gesehen zu haben.


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