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Der Turm des Seneca.
Melius latebam procul ab invidiae malis Remotus inter Corsici rupes maris. |
Römisches Trauerspiel, Octavia. |
Der Turm des Seneca ist schon auf der See und viele Millien weit sichtbar. Er steht auf einem gigantischen Granitblock, welcher einzeln aus dem Berggipfel hervorragt und die schwarze Turmsäule trägt. Einzeln steht auch diese da, schauerlich und melancholisch, von Nebeln umflattert. Ringsum öde Berge, zu beiden Seiten in der Tiefe das blaue Meer.
Sollte hier, wie die sinnige Sage es behauptet, der verbannte Stoiker acht Jahre des Exils verbracht haben, hoch am Himmel tronend, in schweigsamer Felsenwildniß, nun so war der Ort für einen Philosophen so übel nicht, weise Betrachtungen über Welt und Fatum anzustellen und die ewigen Elemente bewundernd anzuschauen. Der Geist der Einsamkeit ist der beste Lehrer der Weisen. Er mag denn Seneca die Welt erklärt und in stillen Nächten ihm die Eitelkeit des großen Rom gezeigt haben, wenn der Verbannte sein Los beklagen wollte. Als er aus dem Exil wieder nach Rom zurückkehrte, mochte er unter den neronischen Gräueln jene einsamen Tage von Corsica oft zurücksehnen. Es gibt eine alte römische Tragödie Octavia, welche das tragische Schicksal der Gemalin Nero's zum Gegenstande hat. In diesem Trauerspiel tritt Seneca als moralische Figur auf und klagend spricht er folgende Verse:
O waltend Glück, warum ach! hast du doch, Mit schmeichlerischem Antlitz täuschend, mich Der sein bescheiden Los zufrieden trug So hoch erhoben! daß ich um so tiefer dann Von steiler Kaiserburg so viel des Grau'ns Erschauend stürze. Besser war ich dort Vom Fluch des Neides fern in Einsamkeit Geborgen auf des Corsenmeers Gestade. Frei war die Seele dort und selbstbestimmt, Der Studien Muße immer hingegeben. O wie erlabte mich's – denn nimmer schuf Die Meisterin Natur Erhabneres An Riesenwerken – anzuschau'n den Himmel, Den heil'gen Sonnenwagen und der Welt Bewegung, Wechselwiederkehr des Jahrs, Des Mondes Rund und jene schönen Sterne, Die ihn umgürten, weit und breit sodann Des großen Aethers Funkelflammenschein. Das All soll einst ins blinde Chaos wieder Wenn's altert stürzen; doch ist heute schon Der letzte Weltentag, der in dem Sturz Des Himmels nun das sündige Geschlecht Begraben soll. |
Rauh war der Hirtenpfad, der uns auf den Berg über Trümmergestein führte. Zu Füßen des Turmes liegt im Gestrüpp und in Felsen ganz versteckt, etwa auf halber Höhe, ein verlassenes Franciskanerkloster. Die Hirten und die wilden Feigenbäume wohnen jetzt in den Hallen, und der Rabe krächzt das de profundis. Doch kommt der Morgen und der Abend seine stille Andacht zu halten und die wilde Mirte, Mente und Cytisus opfernd anzuzünden. Welch' ein Kräuterduft rings, und welches Morgenschweigen auf den Bergen und auf dem Meer!
Wir standen am Turm des Seneca. Auf Händen und Füßen waren wir geklettert um an seine Gemäuer zu gelangen. Man kann sich an Mauerkanten festhalten und so, über dem Abgrunde schwebend, zu einem Fenster klimmen. Denn sonst gibt es keinen Eingang in den Turm; seine Außenwerke sind ganz zerstört, aber man erkennt noch an den Resten, daß hier ein Castell stand entweder der Signoren vom Cap oder der Genuesen. Der Turm ist rund, aus festem Material gebaut, sein Kranz zersplittert. Schwerlich lebte Seneca auf diesem Aornos; wenigstens ist's unerfliegbar für Moralphilosophen, ein Geschlecht welches die Ebnen liebt. Seneca lebte wol in den römischen Colonien Aleria oder Mariana, wo der an römische Bequemlichkeit gewöhnte Stoiker sich mag ein wohnlich Haus eingerichtet haben nahe am Meer, von dessen Strand der beliebte Mullus und der Thunfisch nicht weit zur Tafel hatten.
Ein Bild aus der grausig schönen Kaiserwelt Roms zog wieder an mir vorüber, wie ich auf Seneca's Turme saß. Wer kann diese Welt ganz und richtig begreifen? Mir ist es manchmal als wäre sie der Hades, und als halte die ganze Menschheit in seiner Dämmerung einen großen diabolischen Narrenfasching, ein Riesenballet vor des Kaisers Trone tanzend. Der Kaiser aber sitzt düster wie Pluto, und bisweilen bricht er in ein wahnsinniges Gelächter aus. Denn gar zu toll ist doch dieser Carneval. Auch der alte Seneca spielt unter den Pulcinellen und tritt auf mit der Badewanne.
Auch ein Seneca kann etwas tragikomisches haben. Man sehe ihn nur in der rührend lächerlichen Gestalt jener alten Bildsäule, welche seinen Namen trägt. Er steht da nackt, ein Tuch um die Lenden, in der Badewanne worin er sterben will; die Gestalt ist so überaus kläglich, in die Kniee geknickt, und das Antlitz jammert so sehr jammervoll. Er sieht aus wie der heilige Hieronymus oder wie ein verhagerter Büßer, und doch zum Lachen reizend, wie manche Martirergestalten tragikomisch sind, weil die Form ihres Leidens meistens so wunderlich ist.
Drei Jahre älter als Christus war Seneca, in Corduba in Spanien geboren, aus ritterlicher Familie. Seine Mutter war Helvia, eine Frau von seltnem Geist, sein Vater Lucius Annäus ein namhafter Rhetor, welcher mit der Familie nach Rom ging. Zur Zeit Caligula's glänzte Seneca der Sohn als Redner und stoischer Philosoph von großem Wissen. Ein ausgezeichnetes Gedächtniß hatte ihm dazu verholfen. Er selbst erzählt, daß er zweitausend Namen, welche man ihm nannte, in derselben Ordnung gleich wieder hersagen konnte und daß es ihm leicht war, mehr als zweihundert Verse nach einmaligem Hören genau wieder zu geben.
Auch am Hofe des Claudius angesehn, wurde er durch Messalina gestürzt. Sie klagte ihn an, daß er mit der berüchtigten Julia, der Tochter des Germanicus und der schamlosesten Bulerin Roms, ein Liebesverhältniß gehabt habe. Die Beschuldigung ist doppelt komisch, weil sie von einer Messalina ausgeht, und weil wir uns den moralischen Seneca als Don Juan zu denken haben. Was an der scandalösen Geschichte wahr sei, ist ungewiß, aber Rom war frivol, und es gibt nichts bizarreres als seine Charaktere. Julia wurde beseitigt, der Don Juan Seneca aber unter die Barbaren nach Corsica verwiesen. Ganz eigentlich wurde also Seneca ein corsischer Bandit.
Es gab damals kaum eine fürchterlichere Strafe als die Verbannung aus Rom, weil sie die Verstoßung aus der Welt war. Acht Jahre lang lebte Seneca auf der wilden Insel. Ich kann es deshalb meinem alten Freunde gar nicht vergeben, daß er nichts gesagt, nichts aufgezeichnet hat über ihre Natur, über die Geschichte und Art des damaligen Volks. Es würde heute ein einziges Kapitel darüber von großem Werte sein. Aber daß er nichts über das barbarische Land zu sagen wußte, ist für den Römer bezeichnend. Hochmütig, beschränkt, lieblos gegen das Menschengeschlecht war damals der Mensch. Wie anders stehen wir heute der Natur und der Geschichte gegenüber.
Dem verbannten Seneca war die Insel nur sein Kerker, den er haßte. Was er über sie in seinem Trostbriefe sagt, zeigt wie wenig er sie kannte. Denn war sie gleich noch uncultivirter als heute, so blieb die Größe ihrer Natur doch immer dieselbe. Er dichtete diese Epigramme auf Corsica, welche in seinen poetischen Werken stehn:
Auf Corsica. | |
Corsische Insel, du von phokäischem Pflanzer bewohnte, Corsica, Cyrnus zuvor von den Griechen benannt, Corsica, gegen Sardinien kurz, und gedehnter als Elba, Corsica, strömedurchrauscht, fischeernährender Flut, Corsica, schreckliches, wenn erst sommerlich senget der Glutbrand, Schrecklicher zeiget des Hunds wütend Gestirn das Gebiß: Schon' der Verwies'nen, dieses ja heißt, o schon' der Begrabnen; Deine Erde sie sei leicht der Lebendigen Staub. |
Ein zweites Epigramm hat man Seneca abgesprochen, doch weiß ich nicht, warum es der klagende Mann nicht so gut gedichtet haben soll, als einer seiner vielen Genossen oder Nachfolger im corsischen Exil.
Corsica das barbarische sperren die jähesten Felsen, Starrend ist's überall, öde sein wüstes Geländ'. Frucht nicht reichet der Herbst noch Saaten reift dort der Sommer, Und sein Winter voll Reif kennt nicht der Pallas Geschenk. Nimmer erfreuet sein Mai mit schattigen Laubes Bedachung, Nirgend entsprießet ein Kraut diesem unseligen Land. Nicht die Gabe des Brods und des Quells, nicht die letzte des Feuers, Zwei, die Verbannung nur, und der Verbannte sind hier. |
Uebersetzt man Verbannte mit Banditen, so paßt der Vers schlagend noch heute auf Corsica.
Die Corsen haben Seneca mit ihrer Rache nicht verschont. Weil er von ihnen und ihrem Lande so schändliches gesagt hat, haben sie ihm eine saubere Geschichte angehängt. Die Volkssage erzählt nämlich nur diese eine Begebenheit aus der Zeit seines corsischen Aufenthaltes: wie Seneca auf seinem Turme saß und in das schreckliche Eiland niederblickte, so sah er die corsischen Jungfrauen, und sie wurden lieblich vor seinen Augen. Der Göttersohn stieg herab und fing an zu bulen mit den Töchtern des Landes. Eine schöne Hirtentochter würdigte er seiner Umarmung. Als er sich nun ihrer menschlich erfreute, überraschten ihn die Verwandten der Schönen, nahmen ihn und mit Nesseln geißelten sie ihm sein irdisches Teil. Seitdem wächst die Nessel unausrottbar am Turme des Seneca als eine warnende Sinnpflanze für Moralphilosophen. Ortica di Seneca nennen sie die Corsen.
Armer Seneca! er kommt aus tragikomischen Zuständen nicht heraus. Mich fragte ein Corse: Ihr habt gelesen was Seneca von uns gesagt hat? ma era un birbone, er war ein großer Schuft. Seneca morale, sagt Dante, Seneca birbone sagt der Corse. Auch das ist ein Zeichen von corsischer Vaterlandsliebe.
Noch andere Seufzer hauchte der unglückliche Mann in Versen aus, ein paar Epigramme an Freunde, eins an seine Vaterstadt Corduba. Von den Tragödien, welche Seneca's Namen tragen, hat er, wenn er je eine schrieb, die Medea sicherlich in Corsica geschrieben. Wo gab es einen zu diesem Argonautengedicht anregenderen Ort als die meerumrauschte Insel? da konnte er seinen Chor wol die merkwürdigen Verse singen lassen, welche den Columbus prophezeien:
Kommen dereinst wird ein spätes Jahrhundert, Welchem Okeanos löst den Gürtel des Landes. Schrankenlos steht dann offen die Erde, Und neue Welten entdecket der Tiphys. Nicht ist Thule das äußerste Land. |
Der Steuermann Columbus aber wurde geboren im genuesischen Lande, in der Nähe Corsica's. Zu Calvi in Corsica selber lassen ihn die Corsen geboren sein und noch heute behaupten sie dieses.