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Das Wort, das als Name für das neue Schulmuseum auf dem Kirchenfeld gewählt worden ist, hat vielfache Zustimmung, aber auch heftige Ablehnung erfahren. Für den Sprachforscher ist das merkwürdig und lehrreich; es liegt namentlich in der leidenschaftlichen Bekämpfung des Wortes ein Anreiz für ihn, den Gründen solcher Abneigung nachzuspüren und sie auf ihre Stichhaltigkeit zu prüfen.
Wie steht es damit?
Lasten wir zuerst dem Chor der Malkontenten das Wort! Da vernimmt man: Unter Schulwarte könne man sich nichts Rechtes vorstellen. Eine Warte sei ein Aussichtspunkt, also — unbrauchbar. Eine Warte sei ein erhöhter Bau oder Turm — ab mit Schaden! Bei einer Warte denke man an ein Dreinregieren von hoher Warte herab — fort mit der Diktatur! Schulwarte klinge teutonisch — wir sind keine Teutonen! Schulwarte wäre eine Verhöhnung unser selbst, «als ob wir uns mit der arischen Schande des gegenwärtigen Deutschlands identifizierten!»
Das mag genügen. Wie wäre es mit ein wenig Sachlichkeit und sprachkundlicher Ueberlegung? Wenn ein Wort mißbeliebig ist, kann die Schuld am Wort liegen, gewiß. Es kann schlecht gebildet, übeltönend oder unklar sein. Sie kann aber auch am Sprachverstand, am Sprachgefühl oder Geschmack eines Zeitalters liegen, oder auch nur einzelner, die das Wort auf ihre Art, vielleicht nur halb oder falsch verstehen. Unter den Begutachtern der vorgeschlagenen Namen ist eine ganze Anzahl, die mit «Schulwarte» durchaus zufrieden sind und das Wort «kurz, klar, treffend, gut deutsch und einmal etwas Neues» nennen. So schreibt wenigstens ein alter Lehrer vom Land, der durch seine Bücher bewiesen hat, daß er Deutsch kann, «u de no 33 grad fei ordeli guet». Wie kommt es, daß andere so ganz anders empfinden?
Unter Schulwarte könne man sich nichts Rechtes vorstellen. Das ist sonderbar in einem Lande, wo es von natürlichen Warten wimmelt, die bald Wart, bald Lueg, bald Chapf, bald Spiegel (lat. specula: Warte, Anhöhe) heißen, alles Wörter, die einen Ort der Ausschau bezeichnen; so im Kanton Bern die Wart als höchster Punkt des Jolimont, umgeben vom Wartwald und den Wartreben (s. Friedli, Ins, 475), der Weiler Friedliswart (Frinvillier) am nördlichen Eingang zur Taubenlochschlucht, die Burgerwart bei Gampelen, der Wartstein und der Wartenberg bei Grindelwald, die Wart in der Gemeinde Walkringen; weiterhin die Wart als Gipfel in den Churfirsten, Wart als Ortsname in den Gemeinden Sool (Glarus), Altstätten (St. Gallen), Ueßlingen (Thurgau), Hinter- und Vorderwart in Schwende (Appenzell), Schloß Wart in der Gemeinde Neftenbach (Zürich), wo ehemals die Burg der Freiherren von Wart stand, also das Stammschloß jenes Rudolf von Wart, der den König Albrecht erschlagen half und dessen Gemahlin der bernische Erzähler I. C. Appenzeller in einem einst vielgelesenen und vielübersetzten (auch vielüberschätzten) Briefroman «Gertrud von Wart» verherrlicht hat. Außerdem findet sich «Wart» in vielen zusammengesetzten Ortsnamen unseres Landes, als erster Bestandteil z.B. in Wartau, Wartboden, Wartburg, Wartegg, Warthausen, Warthof, Wartstein, Wartensee, Wartenfleck (s. Geogr. Lexikon der Schweiz 6, 581 ff.).
Sollte wirklich das Gefühl für die Bedeutung einer Wart oder Warte — die Abkürzung ist uns ja aus Hunderten von Beispielen geläufig, man denke nur an unsere Bitt, Brück, Buß, Ehr, Farb, Folg, Frag, Gnad, Hülf, Höll, Lehr, Rach, Schul usw. — sollte wirklich dieses Gefühl erloschen sein? Abgesehen von den so sinnfälligen Bezeichnungen Sternwarte, Vogelwarte, Wetterwarte, die einen hohen Beobachtungsposten bedeuten, von dem man Ausschau hält, kennen wir doch alle das geflügelte Wort Freiligraths:
Der Dichter steht auf einer höhern Warte
Als auf den Zinnen der Partei.
34 Und wenn wir im «Tell» lesen:
Hochwachten stellet aus auf euren Bergen,
Daß sich der Bund zum Bunde rasch versammle,
so ist dieses Hochwacht dem selteneren Hochwart gleich: auch ein Luginsland, nur mit ausgesprochen kriegerischem Nebensinn. Warte oder Wart (althochdeutsch warta) ist von warten abgeleitet, und dieses bedeutet ursprünglich ausschauen, spähen. So liest man in einem Minnelied des Dietmar von Eist (12. Jahrh.):
Es stuond ein frouwe alleine
und warte uber heide
und warte ir liebes...
In unserer Sprache: ...und schaute über die Heide und schaute nach ihrem Liebsten aus. — Und im «Titurel» sagt die Königin von sich selbst:
So gên ich von dem venfter an die zinnen,
dâ warte ich ôsten, westen, ob ich möhte des werden innen,
der mîn herze lange hât betwungen...
d.h. Dann geh ich vom Fenster auf die Zinne; da schau ich nach Osten, nach Westen, ob ich den nicht erblicken könne usw. Von der Grundbedeutung «ausschauen» entwickelt sich dann das Wort in zwei Richtungen: 1. warten im Sinne von verweilen, harren und 2. warten (mit Wes- oder Wenfall) im Sinne von hüten, ein sorgliches Auge auf etwas haben, es in Acht nehmen, betreuen, hegen. So sagt man «einen Kranken warten», so Schiller im Alpenjäger: «der Blümlein warten»; ebenso verstehen wir die Stelle in Stauffachers Erzählung: «Da saß ein Mann und wartete der Fähre» oder jene im Römerbrief: «Hat jemand ein Amt, so warte er des Amtes», wozu Jes. Sirach 38, 26 als Ergänzung paßt: «Wie kann der der Lehre warten, der pflügen muß?»
Nach all dem, scheint mir, dürfte das Wort «Schulwarte» nicht den Vorwurf verdienen, man könne sich nichts Rechtes dabei denken. Es kommt eben auf den Denker an. Es kommt darauf an, wie einer überhaupt Sprachliches erfaßt, ob gedankenlos oder gedankenvoll, ob mit oder ohne Gefühl für die Bedeutungswerte, die in einem 35 Worte stecken. Nach meinem Sprachgefühl gibt es kein oder kaum ein bezeichnenderes Wort für die künftige Aufgabe des Schulmuseums als dieses «Schulwarte» im ganzen Umfang seines Gehalts: ein im geistigen Sinne hochgelegener Ort, von dem aus ein freier Ausblick gehalten wird über die Schulen unseres Landes und zugleich für das innere Gedeihen des Schulwesens gesorgt und dafür gearbeitet wird. Eine hohe Warte (ja, gerade so!), von welcher Umschau möglich ist mit freiem, unbefangenem Blick, nicht mit einem von drückenden oder kleinlichen Verhältnissen eingeengten. «Schulwarte» ist kein abgenutzter Name, der nichts zu denken gibt; es ist ein anregendes, die Phantasie wie den Verstand ansprechendes Wort. Es sind auch andere Namen vorgebracht worden, die wirklich etwas sagen: Schulhilfe, Lehrhilfe, Schul- und Lehrdienst. Mir scheinen sie zu abstrakt, um ein Gebäude zu bezeichnen. Ihnen gegenüber hat «Warte» den Vorzug, daß es, wie in Sternwarte, Wetterwarte, ein wirkliches Gebäude und gleichzeitig eine geistige Aufgabe bezeichnen kann. Das Wort hat Bildkraft, so recht im Gegensatz zu «Pädagogischer Zentrale», es ruft nicht einen nüchternen Verwaltungsmittelpunkt mit bureaukratischem Beigeschmäcklein ins Bewußtsein, sondern eine menschliche Fürsorge und Hilfsbereitschaft. Und dann — es ist deutsch, nicht internationale Kompromißsprache, nicht lateinisch, französisch oder englisch; so gut deutsch wie Stern- und Wetterwarte. «Teutonisch» soll das sein! Ich hoffe gezeigt zu haben, daß es gut einheimisch, alemannisch-schweizerisch ist. Das genügt mir. Ob es «Teutonen» gibt, die es auch gut finden, kann mir gleichgültig sein. — Oder sollte damit gesagt sein (und ich vermute das), daß das Wort eine Neubildung sei, zu neu für unser alemannisches Hirtenohr und zu frech für unser Sprachgefühl? Das könnte ich verstehen. Aber ich würde antworten, daß sich gute Neubildungen, und kämen sie auch aus dem Dritten Reich (Gottseibeiuns!), trotz allem durchsetzen; man denke nur an Flugzeug (zuerst Aeroplan), Schallverstärker (zuerst Mikrophon), Fernsprecher, Kraftwagen, Stellungskrieg, Unterstand, Randstaat, feldgrau, unterernährt, ankurbeln usw. — ob «teutonisch» oder alemannisch, wofern sie nur gut sind!
36 Aber, wird noch gesagt, «Schulwarte» lasse sich nicht ins Französische übersetzen. Das glaube ich auch. So ist es aber mit den meisten Neuwörtern (daneben auch mit unzähligen alten), die so recht aus dem Geist einer Nationalsprache geschaffen sind. Das sprachliche Denken ist eben nicht international. Ist «Kindergarten» nicht ein glücklicher Fund? Und doch ist der Name mit der Sache nicht ausgewandert, außer nach England, wo man «Kindergarten» oder «kindergarden» spricht. Dem romanischen Sprachgeist sagte das Wort nicht zu. Als wir in Bern den Heimatschutz gründeten (auch ein neues Wort), maßten wir uns mit Recht nicht an, das Wort ins Französische zu übersetzen. Die Welschen fanden dafür einen schönen Ausdruck, auf den wir nicht verfallen wären: Pour le visage aimé de 1a patrie. — Und darum, meine ich, lasse man, wenn ein französischer Name nötig ist, ruhig die Welschberner dafür sorgen. Sie werden sich schwerlich für Observatoire scolaire entscheiden.