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Durch ihre Schiffahrten auf fremden Meeren lernten die Deutschen schon früh allerlei Meerwunder kennen, vor allem Meerungetiere, wie den Meerdrachen (oder Adlerrochen), die Meerechse (oder Leguan), die Meerkuh (walähnliche Sirene), die Meerkröte (mit Giftstacheln ausgerüsteter krötenähnlicher Fisch), das Meerkalb (Seehund), das Meerschwein (Delphin), die Meerschnecke u.a. Tiere. Einige Namen sind uns noch aus althochdeutscher Zeit überliefert: das merichalb, das meriswîn, der merisnecco. Das Bestimmungswort «Meer» bezeichnete nicht immer nur den Aufenthaltsort; leicht verband sich damit oder überwog sogar die Vorstellung des Fremdartigen, Überseeischen, Erstaunlichen, Wunderbaren; so in dem Wort «Meerweib», das wie «Meerminne» (statt Meermenne, Meermännin) zunächst eine Nixe des Meeres, dann überhaupt Nixe, Wasserfee bedeuten konnte. Im Nibelungenlied gibt es ja auch in der Donau Meerweiber — Hadeburg und Sigelind heißen sie; es sind weissagende Wasserfrauen, die Hagen und den Nibelungen ihren kläglichen Untergang verkünden.
Da gedachte fremder Märe der schnelle Degen gut,
Die ihm eh da sageten die wilden «Merewîp».
So wird das Meerwunder zu einem Wunder, einer fabelhaften Erscheinung überhaupt, auch ohne den Begriff Meer. Bei Meerkatze (langgeschwänzte Affenart) und wohl auch bei Meerschweinchen 154 (franz. cochon d’Inde) hat die Vorstellung mitgewirkt, daß diese Tiere übers Meer, aus einem fernen Lande stammen; bei Meerzwiebel die, daß diese Pflanze am Meeresufer wächst; bei Meerschaum (franz. écume de mer) spielt der Volksglaube mit, daß dieses erdige Mineral verhärteter Schaum des Meeres sei. Der Begriff «übers Meer gekommen» steckt auch in dem altschweizerischen Namen «Meerchorn» für den Mais, den die spanischen Juden aus seinem Ursprungslande Mexiko nach der Türkei gebracht haben sollen (daher auch die häufigere Bezeichnung («Türggechorn»).
Und nun unsre Meertrübeli? Man weiß, daß diese Pflanze morgenländischer Herkunft im 15. Jahrhundert zuerst in Nordfrankreich als Gartengewächs gezogen wurde und vom 16. an weite Verbreitung fand. Ihre Herkunft aus der Ferne und ihre Ähnlichkeit mit der Traube müssen ihren Namen bestimmt haben. In andern schweizerischen Mundarten gilt der gemeindeutsche Name Johannisbeere (Santihans-, Santerhansbeeri), erklärlich aus dem Kalendertag St. Johanns des Täufers, dem 24. Juni, der in die Zeit der Johannisbeerreife fällt oder ehemals fiel.
Da das Französische für Johannisbeere und Stachelbeere den gleichen Ausdruck groseille hat, könnte man versucht sein, unser mundartliches «Chroosle» für Stachelbeere von groseille abzuleiten. Der Fall liegt jedoch eher umgekehrt. Franz. groseille (vgl. span. katalan. grosella) geht auf ein weitverbreitetes germanisches Wort mit der Stammsilbe «krus, kraus» (unser «chruus») zurück, das in neuhochdeutschem Krausbeere, Kräuselbeere, mit der mundartlichen Nebenform Großelbeere, in holländ. kruisbes, schwed. krusbär enthalten ist. In einem Schwankbuch des Jörg Wickram (16. Jhdt.) liest man:
Der Zaun, so da gieng rund umbher,
Der was von lauter Kreuselber,
Die hiengen allenthalbe voll Frucht.
Die Ableitung unsres «Chroosle, Chruusle» (Chrosle und Chrusle mit kurzem Vokal sind spätere Nebenformen) von «chruus, krus, kraus» bereitet der Bedeutung wegen Schwierigkeiten. Denn was wäre auffallend kraus an der Stachelbeere? Nun heißt aber 155 mittelhochdeutsches krûse als weibliches Dingwort sowohl Locke (Kraushaar) als irdener Krug, schweizerdeutsch Chruuse, Chruusle, häufig mit gekürztem Vokal Chrusle. Kennzeichnend für die Chrusle ist die dickbäuchige, rundliche Form. Diese könnte sehr wohl zur bildlichen Anwendung auf die Stachelbeere geführt haben. Völlig abgeklärt ist die Herkunft des Wortes nicht.