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In der Schweiz wird jedes Protokoll, jeder Vortrag (er mag sein, wie er will), jeder Beitrag, Brief, Dienst, jede Auskunft, Bestellung, Gabe «bestens verdankt»; das «bestens» ist zwar rein dekorativ, aber zwangsläufig, unumgänglich. «Wir verdanken Ihnen Ihr Geehrtes, Gestriges, Jüngstes bestens und beehren uns...» — so fangen unzählige Amts- und Geschäftsbriefe an. Mit diesem «verdanken» meint man Dank sagen, Dank abstatten, danken für etwas. Gewöhnlich weiß der Schreiber nicht, daß dieser Sprachgebrauch zwar gut schweizerisch, aber nicht allgemein deutsch ist. «Verdanken» hat heute in der deutschen Schriftsprache den Sinn von «Dank wissen, Dank schuldig sein, zu Dank verpflichtet sein für etwas». Also z.B. «Diese Stiftung verdanken wir dem längst verstorbenen Wohltäter X. P.» (dem man, weil er nicht mehr lebt, auch nicht mehr Dank sagen, sondern nur Dank wissen, zu Dank verpflichtet sein kann).
Ist nun dieses schweizerische «verdanken» im Sinne von Dank sagen falsch und verwerflich?
Wie in vielen andern Fällen hat auch hier das Schweizerdeutsche nur einen alten Sprachgebrauch bewahrt, der einst gemeindeutsch war und dann abhanden gekommen ist. Noch in der klassischen Zeit der deutschen Literatur findet man «verdanken» in der Bedeutung «Dank erweisen», z.B. bei Lessing, der seine Daja zu Nathan sprechen läßt:
Ihr habt mit all dem Guten,
Das wir Euch nicht genug verdanken können...
Das heißt doch: wofür wir Euch nie genug Dank erweisen können. So braucht auch K. Ph. Moritz das Wort in seinem psychologischen Roman «Anton Reiser» (1785 — 1790), wenn er sagt: «Eine Wohltat, die er ihm nie genug verdanken kann.» Aus der Verbindung «einem etwas zu danken oder zu verdanken haben» konnten die beiden Wörter «danken» und «verdanken» leicht den Sinn eines erst noch abzustattenden Dankes, eines 138 «Dank schuldig seins» annehmen. Daraus erklären sich einige Stellen aus Goethe, wo «verdanken» einen zwischen beiden Bedeutungen schwebenden Sinn hat:
Im «Faust» II spricht der Kaiser zu Faust und Mephisto:
Das hohe Wohl verdankt Euch unser Reich.
Wo möglich sei der Lohn dem Dienste gleich!
Vorläufig also der Dank (Verpflichtung zu Dank oder Abstattung des Dankes) und dann der Lohn (Dank durch die Tat). Im «Vermächtnis» tritt der Sinn des Dankabstattens etwas deutlicher hervor:
Verdank es, Erdensohn, dem Weisen,
Der ihr (der Erde) die Sonne zu umkreisen
Und dem Geschwister wies die Bahn.
Wogegen im «Epilog zu Schillers Glocke» das «verdank ihm» sowohl als «Dank wissen» wie als «Dank abstatten» gedeutet werden kann:
Wir haben alle segenreich erfahren,
Die Welt verdank’ ihm, was er sie gelehrt.
So ist es auch mit «begrüßen», das man nur in der Schweiz in dem Sinn von «jemand um etwas angehen» versteht; so auch mit «bemühen» (das hat mich sehr bemüht, der Vorfall war bemühend), das wir auch im Sinn von «peinlich berühren, wehtun, schmerzen» brauchen, während es in der Schriftsprache soviel wie Mühe machen bedeutet. Zu warnen ist vor dem schweizerdeutschen Gebrauch von «vergönnen», das in unsrer Mundart als mißgönnen verstanden wird, während es gemeindeutsch gerade das Gegenteil: «gönnen, erlauben» bedeutet. So bei Uhland im «Blinden König»:
Vergönn mir’s, daß ich fechte!
Wohl fühl ich Kraft im Arm.
Was ist aus dieser Betrachtung zu schließen? Ich denke, daß auch hier, wie in manchem andern Zweifelsfall, unterschieden werden muß, für wen man schreibt. Was auf schweizerische Leser, und 139 nur auf solche, berechnet ist, folge ruhig dem schweizerischen Sprachgebrauch. Was für weitere Verbreitung, namentlich durch den Buchdruck, bestimmt ist, muß sich, um richtig verstanden zu werden, nach dem allgemeinen Sprachgebrauch richten.