Otto von Greyerz
Sprachpillen
Otto von Greyerz

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Weanerisch

Bekannt ist die Stelle, wo Gotthelf von einer ewig geschwätzigen Frau sagt: wenn die sterbe, so müsse man ihr das Maul noch extra totschlagen, und auch dann werde sie noch mit der Röhre surren.

Ich war immer des Glaubens, das sei Gotthelfs eigene und einmalige Erfindung, und nun erfahre ich aus einem Buch über «Wiener Redensarten» (von Dr. Max Mayr), daß dieser Ausspruch, wenigstens in seiner ersten Hälfte, auch anderswo volkstümlich ist; denn auch in Wien sagt man von einem unaufhörlichen Schwätzer: «Bei den, wann er stirbt, muaß ma die Goschen extra totschlagen.» Auch unsre bernische Redensart «Ds Muul louft ihm wie ne Rönndle» hat in der wienerischen «Dem geht ’s Maul wie-r-a Dreegschleuder» eine Entsprechung, freilich keine völlige, denn die Dreckschleuder ist (nach dem Grimmschen Wörterbuch) ursprünglich ein Belagerungsgeschütz, mit dem man, in Ermangelung besserer Munition, Erde, Schlamm und Kot den Belagerten zuschleuderte. Die Redensart bezieht sich also bildlich mehr aufs Schmähen und Schimpfen als aufs Schwatzen und Schnattern.

80 «Ufpasse wie ne Häftlimacher» sagt man bei uns und denkt dabei (wofern man überhaupt denkt) an die knifflige Arbeit eines Handwerkers, der Drahthäkchen oder Hafte von Hand herstellt; vielleicht auch an die des «Chachelihefters», der mit solchen Haften zerbrochenes oder gespaltenes Geschirr flickt. Der Wiener sagt ungefähr wie wir: «Da muaß ma-r-aufpassen wia-r-a Haftlmacher.»

Von einem Mädchen, das immer sauber und zierlich gekleidet erscheint, heißt es bei uns: «Es chunt geng wie us em Truckli», also wie ein nagelneuer Gegenstand aus seiner Verpackung. Und so in Wien: «Wie-r-aus’n Schachterl schaut sie aus.»

Wer zu einer Arbeit noch eine zweite übernimmt, die sich damit verbinden läßt, sagt etwa: «Es geit mer i eim Gang» oder «Es geit grad i eim Choche». Um eine kleine Färbung verschieden sagt der Wiener: «s geht in aan’ Aufwaschn», womit wohl eine gründliche Erledigung von zwei Säuberungsaktionen angekündigt wird.

Die Wiener Sprache, so gutherzig und liebenswürdig sie klingt, kann auch derb werden und gibt dann unsrem nicht gerade zimperlichen Berndeutsch nichts nach. «Des is a Fressen fir di Leut» ist uns intim bekannt; ebenso die Mahnung an einen, der uns hemmungslos die Meinung sagt: «Du, friß mi net glei!» Und wie wir ärgerlich über ein rednerisches «Gstürm» sagen: «Da chunnt eke Sau druus!», so der Wiener mit seinem «Da kennt si ja kaan Sau aus!»

Viele Redensarten, die M. Mayr unter den wienerischen aufführt, sind nicht nur im Schweizerdeutschen, sondern mehr oder weniger im ganzen deutschen Sprachgebiet, auch in der guten Schriftsprache gebräuchlich, so zum Beispiel: «Des macht der Katz kaan Bugl», «Kanst mi gern habn!» (für: fällt mir nicht ein!), «Schimpfen wia-r-a Rohrspatz». Zu diesen gehört auch: «Dees kumt ma spanisch vur», eine Redensart, über die in der Zeitung («Bund») einmal hin und her geraten worden ist. Der Verfasser meint: «Das rührt aus der Zeit her, da spanische Herrscher deutsche Kaiser waren und in Wien ihren Sitz hatten. Einerseits war also das Spanische nahe gelegen, anderseits aber hat es einen ungemein auffallenden Gegensatz zu allem Wienerischen... Die ganze damalige Hofsitte mag dem richtigen Wiener spanisch vorgekommen sein.»

81 Nun gibt es aber auch Beispiele, wo dieselbe Redensart im Wienerischen einen andern Sinn hat als bei uns. «Einen nach Numero Sicher befördern» bedeutet sonst: ihn hinter Schloß und Riegel stecken, also ins Gefängnis. Der Wiener dagegen sagt: «I geh auf Numero Sicher», wenn er einer zweifelhaften Unternehmung ausweicht und lieber den verläßlichen Weg einschlägt. Ein anderes Beispiel ist unsere Wendung «ds Manndli mache», was zunächst von Tieren (Hase, Hund) gesagt wird (Mach schön ds Manndli!), dann aber scherz- oder spottweise von Männern, die sich so günstig wie möglich präsentieren müssen oder wollen. Wenn einer auf Wienerisch «’s Mandl macht», so scheint das «ein gewisses Zurückhalten gegen eine Anforderung» zu bedeuten.

«Spicken», im eigentlichen Sinne soviel wie schnellen, besonders beim Marmelspiel, wo man bei uns ehemals auch eigene «Spickerli» brauchte, bedeutet bildlich: verbotenerweise etwas von einem andern abschauen — eine in Schule und Leben weitherum beliebte Gewohnheit. «Auf was spicken» braucht hingegen der Wiener im Sinne von: heimlich etwas ins Auge fassen und anstreben. Es gibt indessen auch in der Schweiz Gegenden, wo man sagt: «Er het, glaub, uf e Rycheri gspickt.»

Zahlreich sind aber auch die uns ungeläufigen Wiener Redensarten. Was wir etwa sonst «anbändeln» nennen, und zwar in bezug auf eine Weiblichkeit, der man sich anzunähern versucht, heißt beim Wiener «an Aanwurf machn». Gelingt der Versuch, so sagt man: «Sie hat Akii gebn»: sie hat mit «acquit» geantwortet, also die Annäherung quittiert. Wenn das weibliche Wesen dabei ihre Augen auf nachdrückliche Weise spielen läßt, so «macht sie Repetieraugen».


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