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Als kürzlich eine Bernerfrau den «Baschligg» erwähnte, sprang das Wort frisch und klar aus dem tiefen Dämmer meines Gedächtnisses heraus, wo es wohl über sechzig Jahre geruht hatte. Als Knaben hörten wir ja Schwestern und Kusinen oft genug vom Baschligg reden. Das war eine Kopfbedeckung, die mehrere Winter lang Mode war und besonders bei scharfer Bise und Schneesturm getragen wurde: in der Hauptsache eine Kapuze, aber mit langen, spitz zulausenden Enden, die vor dem Hals gekreuzt und über die Achseln zurückgeworfen wurden. Das war der Baschligg. Ueber das Wort machten wir Knaben uns keine Gedanken. Das Ding hieß einfach so. Warum, war seine Sache.
Aber nun, nach so vielen Jahren, kam es mir merkwürdig vor. Die Endung -ligg, die wir nach dem französischen bachlik mit spitzem i aussprachen, die aber im deutschen Baschlik ein trübes i hat, führte mein Nachdenken auf das Türkische, von dem ich noch einiges behalten habe. Im Türkischen ist -lik eine häufige wortbildende Silbe, die je nach dem vorausgehenden Vokal bald -lik, -lük oder -luk lautet. So heißt es zu eji (= gut): eijilik die Güte, zu tus (Salz): tusluk das Salzfaß, zu ütsch (drei): ütschlük der Dreier; und so auch zu basch (Kopf, Haupt): baschlik das 53 Kopftuch. Mit basch bildet man z.B. baschparmak: Daumen (zu parmak: Finger), jüsbaschi: Hauptmann, d.h. Befehlshaber über hundert (jüs) usw. Der Baschlik, außer der Türkei auch in Rußland und auf der Balkanhalbinsel getragen, soll durch den Krimkrieg den Westeuropäern bekannt und dannn zur Mode geworden sein. Vielleicht hat er seine Rolle bei uns noch nicht ausgespielt.
Wer aber sähe es der Schüppe an, daß sie ihren Ursprung im arabischen dschubba, mit dem Artikel: al dschubba hat? Den Zusammenhang zeigt am deutlichsten das spanische aljuba, das den arabischen Artikel bewahrt hat, während italienisch giubba und französisch jupe aus dem artikellosen mittellateinischen jupa abzuleiten sind. Zur jupe = Oberrock gehört jupon als Unterrock, gehört aber auch die Nebenform Joppe, mit der wir im Deutschen eine bis oben geschlossene Männerjacke bezeichnen.
Während in unsrer mantellosen Kinderzeit die Mädchen mit dem Baschlik der Kälte trotzten, schlangen wir Knaben die Bajadeere um den Hals; so nannte wenigstens unsre Mutter, die eine Zürcherin war, dieses wollene Halstuch. Es fiel uns natürlich nicht von ferne ein, bei diesem Namen an eine indische Tänzerin zu denken, nach der doch das französische Wort bayadère und das ältere portugiesische bailadera gebildet sind. Der Übergang von der Trägerin eines Kleidungsstückes auf das Kleidungsstück selber ist ein bekannter Bedeutungswandel. So heißt oder hieß eine Art Frauenstrohhut nach ihrer Trägerin, der Hirtin, Bergère, eine gewisse Schürzenform Ménagère (nach der Wirtschafterin, die sie trug), eine weibliche Haubenart Béguine (nach der Begine, zu deren Tracht sie gehörte).
Der Schal, das Umschlagtuch, dessen Name über englisch shawl in die europäischen Sprachen eindrang — wir in Bern hatten das Wort aus dem Französischen, sprachen daher Schale (aber mit gekürztem a) — ist das unveränderte persische Wort schaal, das eigentlich einen aus feinen Ziegenhaaren gefertigten Stoff bezeichnet, dann aber auf das Kleidungsstück überging. Der Name soll (nach K. Lokotsch) von der indischen Stadt Schaliat stammen, wo jenes Gewebe hergestellt wurde. Der Schal kam bei uns im Abendland 54 in der Empiremode auf; besonders hochgeschätzt wurde später der bunt und reich ornamentierte Kaschmirschal.
Aus der französischen Mode-Sprache stammt natürlich auch unsre Tünigge (tunique), das weibliche Obergewand, das bis zu den Knien reichen kann, die antike Tunica, die bei den Römern auch von Männern getragen wurde. Der Name, nicht etwa von Tunis abzuleiten, geht auf ein altsemitisches kithuna, kithonet zurück, von dem auch der griechische Chiton, ein leinenes Unterkleid, herrührt. Als Übergangsform vom Hebräischen zum Lateinischen wird eine Ableitung ktunica angenommen. Vielleicht stammt auch unser Kittel, das man anders nicht abzuleiten weiß, von dem hebräisch-griechischen kithuna — chiton.
Nur scheinbar französischen Ursprungs ist der Stoffname Chagrin, eine französierte Form von türkisch saghry, persisch sâghäri, das man aus dem Namen einer indischen Stadt Sagar erklärt. Andere Stoffnamen morgenländischen Ursprungs sind unsre Gottone (französisch cotonne, deutsch Kattun), die vom arabischen konton (spanisch al-coton) herrührt, die Indiäne (französisch indienne) als bedruckter Kattun, die Perggale (französisch percale) aus dem persisch-türkischen pärgala, der Barchet (Barchent) aus arabischem barakan, das ebenfalls baumwollene Galiggo (franz. calicot), nach der indischen Stadt Calicut; sodann Seidenstoffnamen wie Taffet (italienisch taffetà) aus dem persisch-türkischen Wort taftä, Schipper (franz. drap de Chypre), im Altdeutschen noch Zyper geschrieben, also nach dem Namen der Insel Zypern, Damast, deutsche Form für das französische Damas (Damaskus), Persiäne (franz. persienne) als Name für gemustertes schweres Seidenzeug, Gaase (franz. gaze) für feines Schleiertuch, so genannt nach der Philisterstadt Gaza, usw.
Aus dem Französischen haben wir auch Musseline (deutsch Nesseltuch) bezogen, eine Ableitung von Mosul, der mesopotamischen Stadt, wo dieser Stoff zuerst verfertigt wurde, ferner auch das nach frz. moiré mundartlich Moaree oder Muaree ausgesprochene Wort für einen mit «Wasserglanz» schillernden Stoff. Das frz. moiré ist eine Ableitung (Partizip) von moirer (Verb) und dieses 55 wieder von moire: Wasserstoffglanz. Das Deutsche hat daraus «Mohr» gemacht. Schiller braucht diesen Ausdruck mehrmals, so z.B. im «Fiesco» (II, 2), wo er die Zofe Arabella «den kostbaren Mohr», den die Gräfin Julia trägt, bewundern läßt. — Ob das Wort ursprünglich arabisch sei, wie angenommen worden, ist fraglich.
Daß wir in der deutschen Schweiz diese Stoff- und Kleidernamen teils in italienischer, teils in französischer Form brauchen, erklärt sich aus geschichtlichen Tatsachen: seit dem 13. Jahrhundert wurde bei uns das italienische Seidengewerbe (wohl über Como) eingeführt. Im 16. Jahrhundert brachten vertriebene Locarneser Protestanten und gegen Ende des 17. Jahrhunderts französische Hugenotten neuen Aufschwung in die verfallene Seidenweberei; den Hugenotten verdankt die Ostschweiz auch die Einführung der Musseline- und Indiennefabrikation. Mit den ausländischen Erzeugnissen kamen auch die fremden Namen in unser Land.