Otto von Greyerz
Sprachpillen
Otto von Greyerz

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Ostern

Der hebräische Name Passah, der das Fest der ungesäuerten Brote bezeichnete, hat sich durch Vermittlung des kirchenlateinischen Pâsca nicht nur in den romanischen Sprachen (italienisch Pasqua, französisch Pâques) erhalten, sondern ist auch in den skandinavischen Sprachen (z.B. dänisch Paaske) und im Norddeutschen volkstümlich geworden. So schreibt z.B. Theodor Storm («Im Brauerhause»): «Am Paaschabend, wenn er sein Dutzend Ostereier ausgelöffelt hatte»...

Im übrigen deutschen Sprachgebiet dagegen kennt man nur «Ostern» — aber man kennt es nicht gut genug, um über Geschlecht und Zahl des Wortes ganz im klaren zu sein. Heißt es «an der» oder «an den letzten Ostern»? Sagt man richtig «bis zur» oder «bis zu den» oder gar, wie man bei Gustav Freytag lesen kann, «bis zum nächsten Ostern»?

Die Unsicherheit erklärt sich zunächst daraus, daß man grammatisch (wegen des -n) an eine Mehrzahl, sachlich (im Gedanken an den Festtag) an eine Einzahl denkt. Man hätte aber alles Recht, auch sachlich an eine Mehrzahl zu denken; denn Ostern ist, wie Weihnachten, Pfingsten, Fasten und, als Genitiv, auch Allerseelen und Allerheiligen ursprünglich eine Mehrzahl und bezeichnet die Ostertage. Althochdeutsches ôstarûn ist, wie wîhen nahten und pfinkustîn ein Dativ der Mehrzahl, der sich im Zusammenhang als Adverbiale die Frage wann? erklärt. Der Wegfall des Artikels (an Ostern, zu Ostern, letzte Ostern, grüne Ostern) begünstigte wohl noch die Vorstellung, daß man es mit einer Einzahl zu tun habe, und so gewöhnte man sich zu sagen: seit der letzten Ostern, es war keine schöne Ostern, warte nur bis zur nächsten Ostern! Hierin wird man dem Sprachgebrauch, der immer das letzte Wort hat, folgen dürfen; doch werden vorsichtige Leute die Attribute bei Ostern lieber vermeiden und «Ostern» entweder ohne Artikel brauchen oder dann nur mit «die», was für Einzahl und Mehrzahl gelten kann.

90 Schon Luther scheint geschwankt zu haben: er schreibt einerseits «vor den Ostern» (Joh. 11, 55) und «der Juden Ostern waren nahe» (Joh. 2, 15), aber dann wieder «Ihr wisset, daß nach zween Tagen Ostern wird» (Matth. 26, 2) und «Es war aber nahe die Ostern» (Joh. 6, 4). So bleibt denn Ostern, wie Weihnachten und Pfingsten, ein grammatisch schillerndes Wort, weil es seinem Ursprung nach Mehrzahl, der meist mit ihm verbundenen Vorstellung nach Einzahl ist — ein Ärgernis für die vielen Leute, die bündigen Bescheid verlangen: Was ist richtig und was ist falsch? — eine Genugtuung für die wenigen andern, die die Sprache nicht als ausgeklügeltes System kennen und sich auf ihr eigenes Sprachgefühl verlassen dürfen. Lessing, Schiller und Goethe haben das gekonnt; sie haben nie deutsche Grammatik studiert. Sie fragten nicht nach Sprachregeln; sie gaben sie.

Die Einzahlform, die in Zusammensetzungen wie Osterfest, -lamm, -mahl usw. erhalten ist, althochdeutsch ôstara, ôstra, angelsächsisch eastre, geht, wenn wir uns auf die Erklärung des Kirchenvaters Beda (8. Jahrhundert) verlassen dürfen, auf den Namen einer germanischen Frühlingsgöttin Austrô (angelsächsisch Eostrae) zurück, welches Wort (ohne das eingeschobene t) der indischen Morgenröte usrâ (lat. Aurora) entspricht. Aus der Frühtagsgöttin scheint bei den Germanen eine Frühjahrsgöttin geworden zu sein. Und das ihr gewidmete Fest war, lang vor der christlichen Ostern, die germanische ôstara. Das althochdeutsche Adverb ôstar nach Osten oder im Osten ist uns schon in dem alten Hildebrandslied (des 8./9. Jahrhunderts) überliefert, wo Hadubrant von seinem Vater meldet: forn her ôstar giweit: einstmals zog er ostwärts. Es steckt auch in dem Namen Austrien (neben Austrasien), womit in der Teilung des Merowingerreiches von 561 die Francia orientalis, der östliche Teil des Frankenreichs, im Gegensatz zu Neustrien, bezeichnet wurde. Es steckt in Länder- und Ortsnamen wie Österreich (alt: ôstar-rîchi, östliches Reich, auch ôstar-lant), Osterried, Osterrode, Osterwald, Ostermundigen; in Personennamen zur Bezeichnung von Eingewanderten, die von Osten her kamen, wie Ostermann, Osterling, Osterle, Estermann; 91 vgl. für andre Himmelsrichtungen Nordmann, Westermann, Sudermann usw.

Ja, auch Australien schließt sich hier an. Die Terra australis incognita, von der die alten Römer nur ahnend berichten, scheint zwar einen irrtümlichen Namen zu tragen; denn lateinisch auster heißt der Südwind, australis zum Südwind gehörend oder südlich, und doch lag der vermutete Erdteil für die Italiker östlich, nicht südlich. Diesen Widerspruch hat kürzlich A. I. Storfer in der Zeitschrift «Atlantis» (Februarheft 1927) aufzulösen unternommen, indem er darauf hinwies, daß für die Italiker, infolge der stark nach Osten abgelenkten Richtung der italischen Halbinsel, die Vorstellungen von Osten und Süden einander näher rückten, so daß sie, mehr aus dem Unbewußten als aus naturkundlichem Wissen schöpfend, auch den Wind, der tatsächlich aus dem S oder SO kam, mit einem Worte benannten, das, seiner Wurzel nach, die Richtung des Ostens bezeichnete.

Wem diese nur allzu kurze Erklärung nicht einleuchtet, sei auf den genannten Aufsatz («Der Name Australien») verwiesen, der auch in anderer Hinsicht lesenswert ist.


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