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Als Ottheinrich erwachte, schien schon der Morgen hell auf sein Lager.
Bald waren die Frauen zur Weiterreise gerüstet.
Wie wohl tat allen der Gedanke, dem Frieden deutscher Lande, deutscher Städte entgegenzukommen –! Ottheinrich versetzte sich im Geist in sein traulich Stübchen zu Augsburg. Martina, ihre Mutter Praxede, traten ihm so freundlich entgegen, als winkten sie ihm mit weißen Tüchern ein Willkommen zu ... Auch Gundulas Bild umgaukelte ihn ... Geschrieben hatte sie weder an ihn, noch er an sie. Grüße waren von ihm nur im steifen Kanzleistil schuldiger Unterwürfigkeit seinen Geschäftsbriefen beigefügt und nie vom Vater erwidert worden. Die ganze Reise über hatte er sich gewöhnt, der bestrickenden Erinnerung an die für ihn doch ewig unerreichbaren Sphäre, der sie angehörte, nicht nachzugeben. Nun näherte er sich gar der Burg, die sie vollends von ihm hätte trennen müssen, wenn er wirklich jemals hätte wagen wollen, nach einer solchen Blüte mit törichtem Verlangen hinaufzublicken –!
Von Innsbruck aus, wo wiederum übernachtet wurde, begab man sich mit Kaufmannsgütern und Reisigen links ab zum Lech. Die Bergwerke seines Prinzipals lagen rechtsab auf Salzburg zu. Da war die Entgegennahme von Aufträgen nicht möglich und hielt ihn nicht auf. Die Verbindung der Verwaltung mit Augsburg ging über Kufstein und Rosenheim.
Immer mehr erforderte Reginas Zustand die umsichtigste Aufmerksamkeit ihres treuen Begleiters. Als die Reisenden das Kloster Stams erreicht hatten, blickte sie mit verklärtem Auge auf das so sanft im Tal ruhende, friedlich von bewaldeten Höhen, silberhellen, von den Bergen niedergleitenden Kaskaden umschlossene alte Heiligtum, das zum Andenken an einen tiefen Lebensschmerz, das Leid einer Mutter, um Konradin den Enthaupteten erbaut wurde. Heute war es ein Sonntag. Es drängte die dem römischen Glauben treu gebliebene Frau, am Gottesdienst teilzunehmen und an einem Altar der Kirche ihrem Schutzpatron zu danken, daß sie bis hierher, und nur noch durch eine einzige Gebirgswand vom Vaterland getrennt, mit ihrem siechen Körper und ihrem noch siecheren Gemüt gekommen war. Sie forderte Apollonia und Ottheinrich zu gleichem Dank an den Allmächtigen auf und zeigte freudigen Blicks auf die Felsenwand, die am Lech entlang, an Ehrenbergs altersgrauer Klause vorüber, gen Füssen und Hohenschwangau führte, von wo endlich, wie die Gefährten wußten, der heitere Blick ins Schwaben- und Bayernland offen stand.
Wunderlich genug mußte es sich treffen, daß die Stätte, wo einst auf Grund einer uralten Johannes dem Täufer gewidmeten Holzkapelle jene mächtigen Gewölbe sich erhoben, unter denen Elisabeth, Konradins Mutter, bestattet liegen wollte, jetzt der alte Gottesdienst Veränderungen zeigte, die auch hier die siegreiche Verbreitung der neuen Lehre voraussetzen ließen. Der Hochaltar war verwüstet. Man vernahm, daß die Bauern hier nach Kirche und Kloster freventlich ihre Hand ausgestreckt, über die Heiligtümer mordbrennerische Fackeln geschwungen und den ehemals so stolzen Prälatensitz verwüstet hatten. Die Messe war nur kurz und unvollständig; die darauf gehaltene Predigt von desto längerer Dauer. Vollends erscholl der Gesang der Gemeinde, die zumeist aus Köhlern, Flößern, Bergwerksknappen, Salzpfännern, die bis von Hall herübergekommen waren, bestand, wie Windesbraus und Bergstromfall.
Von den somit schon bis hierher gedrungenen Fortschritten der Reformation überrascht und geängstigt, verließ Regina mit ersichtlicher Unruhe die Kirche. Unmut erfüllte sie, von ihrem Begleiter hören zu müssen, daß sie zu Sankt Mang in Füssen, dicht an der Schwelle eines dem Bischof von Augsburg gehörenden Schlosses, Gleiches finden würde.
Regina verwarf den neuen Glauben, der nur das Band der alten Sitte löste, verderbliche Grundsätze in die Herzen der Menschen pflanze und sie wie von Gott, so von den Pflichten gegen unsere Mitmenschen ablenke. Kein Wunder sei es, wehklagte sie, daß unter solchen Umständen Kinder ihren Eltern den Gehorsam, Eltern ihren Kindern die Liebe kündigten und Raub und Gewalttat jeder Art auf offener Straße und am hellen Tage über Hand nehme. »So möchte ich,« fuhr sie fort, »jetzt am wenigsten sogleich nach Augsburg zurückkehren, wenn sich Augsburg wirklich so geändert hat, wie ihr geschildert! In Venedig erfuhren wir vom wahren Stand dieser Dinge nur wenig –!« Träumerisch setzte sie hinzu: »Ich wollte wünschen, ich träfe auf dem Füssener schloß oder in Hohenschwangau Gesellschaft! Ich wartete dann von da aus so lange ab, bis ich wüßte, was mir Vater und Schwieger in Augsburg beschlossen haben!«
»Die Ehescheidung werden sie beschließen!« hatte Ottheinrich auf den Lippen, wußte aber, daß die Kirche, die Regina noch verehrte, diesen Trost nur teilweise spendet. Er sprach sich über die persönlichen Irrungen im Leben seiner Begleiterin nicht aus. über den Unterschied seiner Überzeugungen von ihrem Glauben jedoch hielt er seine Meinung nicht zurück.
Aber zu alledem sagte sie:
»Nun so betet ihr zu euerm Doktor Luther und glaubt, daß er euch selig mache! wir wollen bei den alten Nothelfern bleiben, die doch auch schon seither geholfen haben! wo ich auch einst nach dem Tode hinkommen mag, ich will die kurze spanne Zeit, die ich hier noch zu atmen habe, so anwenden, daß ich hoffe, einst dort zu sein, wo meine Mutter selig hingekommen! Sie hat das Licht der Erleuchtung meines Vaters nicht mehr erlebt, verweilt sie an dem Ort der ewigen Finsternis, so will ich nicht minder euer ewiges Licht nicht sehen!«
Am Montag in der Frühe atmeten sie von tiefstem glückseligstem Herzen auf, als sie aus dem Bergwall herauskamen, der Tirol von Deutschland trennt, wie ein Vogel hätte sich Regina in die blauen Lüfte schwingen mögen, als sie zur Linken die unabsehbaren grünen Triften des Allgäu, rechts den mit Kirchen, Kapellen, Klöstern, Weilern und Städten gesegneten Lechrain erblickte. Die Sonne beleuchtete ein unabsehbares Weideland. Dort die Türme friedlicher Weiler – da hochragende Burgen – der Falkenstein wie ein Adlernest auf höchsten Felsen schwebend – unten liebliche Seen, an einem ihrer Ufer mit Schilf bestanden, am andern sich in dunkle Wälder verlierend –! Immer entlang ging's die silbernen Strudel des windungsreichen Lech. Gegen Mittag donnerte ihnen der Mangfall zur Seite, während sie langsam die Straße daherritten, Regina in ihrer Sänfte. Des Wassersturzes weißer Gischt spritzte bis zu ihren Rossen hinaus diamanten schimmerten die Wassertropfen in den senkrecht fallenden Sonnenstrahlen.
Noch eine größere Freude erwartete Regina. Ottheinrich zeigte zum bischöflichen Schloß hinauf, das sich über Füssen und Stift Sankt-Mang erhebt. Eine grün-weiß-rote Flagge wehte auf dem höchsten Turm.
»Ein Zeichen, daß der Bischof anwesend ist!« riefen alle.
Und jubelnd rief Regina: »Dann ist auch Anna da!« und hätte vor Freude auf die Felsen, die den Lech am Mangfall einengen, hinüberspringen und die Stelle küssen mögen, wo Sankt Mang, der Bekehrer dieser Lande, beim Kampf mit einem Lindwurm so fest den Fuß in einen Felsen gestemmt haben soll, daß davon noch heute die Spuren sichtbar sind.
Den Brückenzoll bei Füssen entrichtete Ottheinrich, indem er seinen bis hierher glücklich unversehrt gebliebenen Geldgurt löste und Gott dankend auch auf die ebenfalls unversehrt gebliebenen kostbaren Rubinen und Diamanten tastete, die er an seinem Leibe trug, vom Zöllner erfuhr man, daß zwar der hochwürdigste Fürst und Bischof anwesend, für heute aber zum Abt von Kempten, dem waffengeübten Wolfgang von Grünenstein, einem Thurgauer aus ritterlichem Geschlecht, verreist sei. Von seiner Nichte Anna von Stadion, die in der Tat ebenfalls zum Besuch da war, hieß es, sie würde wahrscheinlich zur Jagd ausgeritten sein gen Eisenberg zum Ritter Freyberg; wenigstens wären Jäger mit Falken auf der Hand auf Pfronten und Eisenberg zu geritten.
Außer sich vor Freude, ließ Regina nun sogleich, als sie die Brücke überschritten hatten, die Rosse, die ihre Sänfte trugen, links zum Schloß abschwenken.
Am Burgtor grüßte das bischöfliche Wappen Augsburgs, der einfache, zweigeteilte Schild, den jeder Bischof mit seinem besonderen Familienwappen ausfüllen darf. In anmutigem Schlängelpfade, zwischen Mauern, deren jeweilige Öffnungen eine erquickende Fernsicht auf Feld, Gebirge, die Windungen des Lech, auf die häuserreiche Stadt gewährten, gelangten sie aufwärts. Die Türme enthielten hier und da Fensteröffnungen, die zu Gefangenenzellen gehören mochten – des Bischofs Gericht waltete von hier aus bis Kempten und Vorarlberg hinüber mit entschiedener Strenge. Der bischöfliche Pfleger, jetzt der Ritter Burkhardt von Kaltenthal, führte ein wehrhaftes Regiment. Hans Brayer hieß der Verwalter des Rentamts.
Drei mächtige Flügel umschlossen den teilweise mit Baumpflanzungen geschmückten Fürsten-, Amts- und Gerichtsbarkeitssitz. Rings an den Wänden zeigten sich Türmchen, hervorspringende Erker, Laubsprossen und manche Farbenzierde, die mit architektonischen Mustern die Wirkung der Gebäude, namentlich der Fenster, erhöhte. Dort – in dem traulichen Winkel des zierlichen, erst vor kurzem neuerbauten Eingangsturm mit schneckenartig gewundener Stiege machten die müden Rosse halt.
Dem Torwart war Frauenbesuch bei Anwesenheit des Pflegers oder des Bischofs nicht auffällig. Er bestätigte die Aussage des Brückenzöllners. Seine fürstlichen Gnaden, der Bischof, stattete für einige Tage dem Fürstabt zu Kempten seinen Besuch ab. Ebenso war der zeitige Pfleger des Schlosses mit Anna von Stadion und den Unechten nach dem drüben in luftiger Hohe schwebenden Schloß Eisenberg zum Ritter von Freyberg geritten.
Beim Hinaufreiten auf die Burg und beim Anblick des sogenannten Storchenturmes gedachte Regina ihrer Hochzeitsreise und Übersiedlung nach Venedig. Sie hatte hier auf dem Schlosse gerastet und war als Neuvermählte mit dem Namen des Turms genug geneckt worden. Aber nicht der Storch war der Vogel ihrer Ehe geworden, sondern der scharfkrallige Geier ...
Der Torwart besann sich auf die junge Frau und die Begleiterin Apollonia. Als er gar ihre Namen erfuhr, mußte er sich veranlaßt fühlen, das ganze Schloß zur Verfügung zu stellen, denn der Name Paumgartner war einer der gefeiertsten im Lande, und in der Tat wurde Anna von Stadion seit einiger Zeit die Verlobte des jungen Doktors Paumgartner genannt. Schon kamen einige Frauen den Besuchenden entgegen und drückten ihre Freude darüber aus, welche Überraschung den Schloßherrschaften für ihre Rückkunft aufgespart war.
»Schließt nur Annas Zimmer auf!« sagte Regina mit Zuversicht und setzte mit verklärtem Antlitz auf Ottheinrich gewendet hinzu: »Ich bleibe nun hier! Erschreckt darum nicht! Ich danke euch für euere treue Pflege! Erzählt meinem Vater und dem Vater Antonis, wie ich euch zu diesem Wagnis mit Gewalt – ja, errötet nicht! – mit Gewalt gezwungen habe! Hier will ich nun abwarten, was kommen soll! Und was ich mir wünsche, das wisset ihr ja. Sollt' ich auf Erden euch nimmer wiedersehen, guter Stauff, so sorgt dafür, und dazu muß euch euer Glaube verhelfen, daß es dort geschieht!«
Ottheinrich empfahl sich. Er sagte Regina, er wollte ihr für heute Ruhe lassen und nach ihrem Befinden erst morgen wieder fragen. Träfe sich jedoch eine Gelegenheit des sofortigen Anschlusses an Reisende oder an Güter, die unter Begleitung bischöflicher Reiter auf Kaufbeuren oder Augsburg zögen, so müßte er sich der Sicherheit so mancher Gegenstände wegen, die er bei sich führte, ohne weiteres anschließen, wodurch möglicherweise hiermit auch schon sein Abschiedswort gesprochen sein könnte, in Hoffnung jedoch, sie in Augsburg wohlauf und mit ihren Vätern versöhnt wieder anzutreffen.
Ottheinrich bestieg schnell sein Roß und ritt durch den Burghof zurück in die belebte alte Römerstadt, die Augen nach dem Huttelberg gerichtet, der ihm den Blick auf Hohenschwangau entzog, wo er auf seinem Ausritt nach Italien die ihm vom kaiserlichen Rat erteilten Aufträge nicht in dem Umfange ausrichten konnte, wie sein Prinzipal gewünscht hatte. Die Mitteilung des Brückenzöllners über die Jagdgefährten, die sich Anna von Stadion zum Ritt auf Eisenberg angeschlossen hätten, war ihm besonders willkommen, weil sie die Anwesenheit der Herrschaften auf Hohenschwangau bestätigte. Noch in dem letzten Briefe, den er vom kaiserlichen Rat aus Augsburg empfangen, hatte er die Weisung erhalten, nachzuholen, was ihm bei seiner Hinreise nicht nach Wunsch gelungen war.
Damals hatte Hans Pfister auf dem Wege von Augsburg bis Füssen so viel besondere bischöfliche Aufträge auszurichten gehabt, daß er an jenem Sonntag, dessen Benutzung der Rat Ottheinrich empfohlen hatte, nur erst mit bereits hereingebrochenem Abend in Füssen anlangte. Dennoch hatte sich Ottheinrich Zeit genommen, ganz zufällig in der Dämmerung einen Spaziergang über die Lechbrücke zu machen und sich nach dem Gebirgskamm zu begeben, in dessen bereits in abendliche Nebelschleier gehüllten felsigen und waldbewachsenen Verzahnungen die vier so eigentümlich zusammengehörenden Burgen, die ihn durch ihre anmutige Lage überraschten, traulich versteckt lagen. Leicht war es ihm, so spät es auch schon war, noch in den Burgfrieden Einlaß zu erhalten, obgleich man ihm den Bescheid gab, daß eine Zelle, in der hier Luther eine Nacht gehaust haben sollte, nicht vorhanden sei. Daraufhin hatte sich Ottheinrich in dem alten Gemäuer doch umgesehen, in die wilde Schlucht des Pöllatbachs geblickt, sein Auge an dem lieblichen Alpsee geweidet und manches in Erfahrung gebracht, was er später dem kaiserlichen Rat von Venedig aus mitteilte. Die Herrschaft selbst war nicht anwesend. Ritter Georg von Schwangau bekleidete die bischöfliche Vogtei in Zusmarshausen, wo er zumeist verweilte. Auf seinen Burgen erlaubte ihm sein Alter, seine zunehmende Hinfälligkeit nur im hier besonders milden Herbst zu wohnen. Der Rat hatte Ottheinrich empfohlen, er sollte auf der Rückreise, falls die Post dafür zeitig genug in Füssen einträfe, seinen Besuch auf den Burgen erneuern, diesmal aber offen heraussagen, wer er sei, und sich dabei der Ehrerbietung wegen, in seinen besten Kleidern vorstellen. Aus dieser Anweisung hatte Ottheinrich ersehen, daß der Rat sich im Gelingen seiner Pläne sicher fühlte.
Und nun noch heute nach Hohenschwangau hinüberzuwandern und sich der anwesenden Burgherrschaft, dem Pfandpfleger Sigmund Rothhut, der am Fuß der Burgen, in Waltenhofen, wohnte, zu empfehlen, war ihm vor Übermüdung nicht möglich. Erst am folgenden Tage gedachte er dies Vorhaben auszuführen. War er doch entschlossen, falls sich nicht eine zu günstige Gelegenheit für den sofortigen Abritt auf Augsburg bot, sich für die Weiterreise Zeit zu lassen, vielleicht besann sich Regina noch, ob sie nicht mit ihm gehen sollte. Beim Gedanken an den Unwillen, mit dem der Rat die Flucht seiner Schwiegertochter, vielleicht sogar seine notgedrungene Beihilfe aufnehmen würde, ergriff ihn zuweilen bange Sorge. Leine Hoffnung war auf Hans Pfister gerichtet, der versprochen hatte, dem kaiserlichen Rat schon im voraus in aller Vertraulichkeit den Hergang wahrheitsgetreu zu erzählen.
Wieder kehrte er im Gasthaus zum Bären ein, das sich in jener Reichenstraße befindet, von der es heute, nach dem Verfall des levantischen Handels, heißt:
Auf der Reichenstraße zu Füßen,
wo sich die Bettelleut' aus den Fenstern grüßen –
Damals aber trug die Stadt das Gepräge der Wohlhabenheit.
Die Abende brachen schon zeitig an. Nach seinem Mittagsmahl, nach einigen Wanderungen durch die Schaustellungen der Dult, Besuchen der Stiftskirche, der Friedhöfe, nach einigen Begegnungen mit Augsburger Handelsleuten war der Rest des Tages vorübergegangen.
Zu Ottheinrichs Überraschung teilten ihm die Augsburger Gäste mit, daß vor einigen Tagen in Augsburg Georg d'Austria, Brixens Bischof, erschienen sei und bei den Fuggern für des Kaisers Schwester, Maria von Ungarn, Quartier bestellt hätte. »Das ist Gottes Wille!« mußte Ottheinrich bei dieser Nachricht ausrufen. Konnte auch zunächst dieser Besuch nur dahin erklärt werden, daß die hohe Frau, die seit einiger Zeit bei den Niederländern, namentlich der mächtigen Stadt Gent, so oft es sich darum handelte, Hilfsmittel zu steuern, um der bedrängten Lage ihres Bruders gegen Frankreich abzuhelfen, nichts als Widerspruch fand, nun ihr Heil zu gleichem Zweck in Augsburg bei den reichen Kaufherrn versuchte, so war doch in Augsburg die evangelische Sache so durchgedrungen, daß sie seiner Meinung durch persönlichen Augenschein den mächtigsten Eindruck mit hinwegnehmen mußte, seine Ungeduld, auf Augsburg zurückzureisen, mehrte sich. Im äußersten Falle mußte er die nächsteintreffende »Ordinari« benutzen.
Als er am folgenden Morgen für Hohenschwangau ein Roß bestellte und gefrühstückt hatte, legte er über sein am Leib getragenes Kleinodienwams ein seines, spitzenbesetztes Hemd, zog seine prächtigsten Kleider an, ein aus schwarzem niederländischen Tuch gefertigtes, mit schwarzem Samt reich verbrämtes Wams, schier wie eines Hochzeiters Kleid, einen braunen Überwurf, der durch seine luftige Weite ebenso im Sommer, wie, dichter angezogen und zugeknöpft, an einem frischkühlen Herbstmorgen wie heute angenehm zu tragen war, eine mit Nesteln versehene Westenauslage vom feinsten Rosentuch aus Mecheln, graue Beinkleider von jenem leichteren Tuche, so man »Stammet« nannte, hohe, weite Stiefel, des Rittes, des Staubes und Schmutzes wegen fast das ganze Bein bedeckend, unter ihnen aber seine Schuhe, die nach Italiener Art mit den Beinkleidern in eins verbunden waren und zum Betreten der Zimmer im Schlosse dienen sollten, wenn die Reiterstiefel abgezogen waren. Noch kam zur gefälligen Ausstattung hinzu ein braunes Filzbarett, nach Rittersitte vielfach gebrochen und gewunden, ohne jedoch die rittertümliche Feder zu tragen. Ottheinrich hätte sich in dieser Erscheinung vollkommen auf einem Augsburger Geschlechterball zeigen dürfen, eine Ehre, die ihm vielleicht bei Anwesenheit der Königin Maria zuteil wurde.
Schon harrte des Gastes der Bärenherberge auf der Gasse das bestellte Roß. Ringsum warfen die Käufer und Verkäufer der Dult, die Fuhrleute, vor allem manche schmucke Bürgerstochter aus den Fenstern der Reichenstraße auf den stattlichen Jüngling, der anfangs noch vorsichtig sein Roß durch die engen Straßen und das Gedränge der Menschen lenken mußte, Blicke des Wohlgefallens. Er selbst schaute besorgt zum hoch über dem Markt thronenden Herrenschloß hinauf. Daß in später Nacht Anna von Stadion mit dem Pfleger glücklich heimgekehrt war, hatte er in erster Frühe schon im Wirtshause vernommen.
Eben wollte er über die Lechbrücke reiten, als an dem der Brückenpforte zur Linken liegenden Leprosenhause ein Auflauf seinen Ritt hemmte.
Er erkannte die Ursache dieser Störung in einer Begegnung – die ihn des Rittes nach Hohenschwangau überhob...
In einem weiland vergoldeten, mit vier Rossen bespannten Wagen, der einem Krönungswagen nicht unähnlich sah, doch zugleich den in ihm schon mächtig arbeitenden Bohrwurm verriet – einen stattlichen, mit einer Schärpe geschmückten Reisigen voraus und einen Knappen hintennach – begegnete ihm die Herrschaft von Hohenschwangau selbst, vollständig zu einer festlichen Reise gerüstet, Herr Georg von Schwangau, nebst seiner Ehehälfte Johanna aus dem alten Augsburger Geschlecht derer von Argon. Der Brückenmeister nannte auf Ottheinrichs Befragen die Namen. Das an dem Wagen mehrfach angebrachte Schwanenwappenbild bestätigte die Anzeige. Ringsum zogen die Leute, über den Wagen die Augen aufreißend, ihre Kopfbedeckungen.
Sobald das Ritterpaar unter dem ringsum mit Damastvorhängen und darüber wieder mit Leder verschließbaren, jetzt jedoch offenen Baldachin des großen, fast einem Schiff ähnlichen und mit Türken- und Lindwurmköpfen reichlich verzierten Ungetüms von Wagen des ihnen entgegenreitenden jungen Mannes ansichtig geworden, nahmen sie eine sich in so stattlicher Tracht gebende Erscheinung für etwas Vornehmes und grüßten den jungen Reiter wie einen Edelmann.
Die Brücke war für Wagen, Reiter und Fußgänger zugleich zu eng. Ottheinrich hielt an, behielt sein Barett in Händen und sprach mit heller, das Gewühl des Volks und die brausenden Lechstrudel übertönender Stimme:
»Gestattet, edle und gestrenge Herrschaften, daß ich euch mit meiner Anrede belästige! Schon vor einigen Monaten wagte ich es, mir auf euerm Schlosse Einlaß zu erbitten. Obschon euere Gestrengen abwesend waren, wurde mir aufgetan und der Anblick euers gar lustigen Hauses und Hofes gegönnt. Jetzt wollte ich zum andern Male bei euch vorsprechen und nicht verfehlen, gestrenger Junker und edle Frau, euch die Grüße meines Herrn auszurichten, der, mit Ehren zu melden, der wohlberühmte kaiserliche Rat Herr Hans Paumgartner der Alt in Augsburg ist!«
Die Wirkung dieser Anrede war außerordentlich. Die Rittersfrau erhob sich auf ihrem Sitz, wandte sich dem Knecht, der den Zug rückwärts beschloß, zu und rief:
»Ei, Baltzerle, ist das der schöne junge Gast, von dem ihr uns erzählt habt –?«
Nach den Bestätigungen und ersten Verständigungen erfuhr Ottheinrich, daß sich das Schwangauer Ritterpaar über seine Sommerabendanwesenheit auf Hohenschwangau bis ins einzelnste hatte unterrichten lassen und nun selbst im Begriff stand, nach Augsburg zu reisen.
»Ja, mein Seel! Kommt ihr denn just von Welschland wieder heim? Und macht jetzt auf Augsburg? Ei, so reisen wir zusammen! Aber setzt euch auch jetzt gleich daher zu uns, junger Freund! Was wollet ihr die Miete für den Gaul zahlen, so es nicht euer eigener oder des Herren Rats ist!«
»Nach Augsburg reisen euer Gestrengen?« sagte Ottheinrich, von einer Ahnung erfüllt, es möchte nun schon die Abtretung Hohenschwangaus an seinen Prinzipal in unmittelbarer Nähe bevorstehen. Darüber verzagte er zwar nicht wenig, war aber doch angenehm berührt, daß er auf diese Art einen stattlichen bewaffneten Schutz erhielt. Der vordere Reiter war der Herr Pfandpfleger Sigmund Rothhut selbst, ein alter Rittmeister, weiland Befehlshaber der Paumgartnerschen sechsunddreißig »Kürisser«, ein Mann von geachteter Herkunft, sein Bruder war Domdechant in Brixen.
Zum Überlegen und Wählen blieb nicht viel Zeit. Zufällig stand in der Nähe der Meßner des Klosters Sankt Mang, das sich an der andern Seite der Brücke dem Siechenhause gegenüber erhebt.
»Tut mir die Liebe,« rief ihn Ottheinrich an, »und gehet zum Schlosse hinauf, um der Dame, die gestern aus Welschland gekommen, zu sagen, daß sich eine Gelegenheit gefunden, wohlbehütet nach Augsburg zu reisen! sollte sie sich nun anschließen wollen, so möchte sie sich beeilen! Wollte sie aber lieber mit dem Fräulein von Stadion und dem hochwürdigen Herrn Bischof reisen, so möchte sie verzeihen, wenn ich dieser günstigen Gesellschaft des gestrengen Ritters von Schwangau, die ich soeben gefunden, sofort mich anschließe und ihr einstweilen mein Lebewohl sagte! Im Bären vermeldet mir dann die Antwort!«
Der Meßner eilte zum Schloß hinauf und versprach alles auszurichten.
Inzwischen war schon die kriegsgewappnete Reisegelegenheit zur Reichenstraße hinauf bei den Dultbuden angelangt. Den Zug eröffnete Sigmund Rothhut. Baltzer Trotz, ein wackerer Tiroler, der im Sommer Ottheinrich auf der Burg empfangen hatte, beschloß ihn. Der Führer des Wagens lenkte diesen vom Handpferd aus und war selbst von Kopf bis zu Fuß bewaffnet.
Der Burgfrau schien es vollkommen erwünscht zu sein, wenn hier in Füssen die Weiterreise noch eine kleine Unterbrechung erhielt. Fand doch auf diese Art die gesamte Dult Gelegenheit, ihrem wunderbaren Aufzug ein nicht endendes Erstaunen zu widmen. Einige Worte, die Sigmund Rothhut dem jungen Manne, dessen Bekanntschaft ihm willkommen schien, beiseite sprach, ließen keinen Zweifel darüber. »Ja, schaut euch nur noch einmal recht an,« brummte er, »was die Schwangauer gewesen sind unter König David und Kaiser Pharamund! Denkt nur nicht, daß uns der Rothhut da das Geleit gibt in den Klinkerturm von Augsburg, wo die bösen Schuldner sitzen! Wir kommen schon wieder. Und wo nicht, nun so nehmen wir einen Abschied, wie sich für Fürsten ziemt, so ihre Throne verlassen!«
Der Bestürzung, die diese offenbar in Voraussetzung des vollen Unterrichtetseins des jungen Handlungsgehilfen von den Plänen seines Prinzipals gesprochenen Worte in Ottheinrichs Gemüt hervorbrachten, konnte dieser keinen Ausdruck geben.
Inzwischen kam der Meßner vom Schloß herab und brachte den Bescheid, daß Frau Regina Paumgartner ihren Dank vermelden ließe, es jedoch vorzöge, nach Augsburg mit dem Freifräulein von Stadion zurückzukehren. Es war nur die Meinung des Meßners, daß die erwartete Ankunft der Königin von Ungarn die Abreise des Fräuleins von Stadion beschleunigen würde. Ottheinrich sah in diesem Zufall einen günstigen Gegendruck, um wenigstens Regina von dem Vorhaben, in Füssen zu bleiben, abzubringen.
Nach einer Fahrt durch ganz Füssen hindurch und sogar mit Umwegen, um sie desto länger auszudehnen, ging es zum Tor auf die Landstraße hinaus. Daß der junge Paumgartnersche Diener sein Rotz beibehalten hatte, war der Rittersfrau inzwischen schon angenehmer. Doch für den Anfang mußte er absitzen, sein Roß zur Führung an Baltzer Trotz geben und zu ihr in den Wagen steigen. Zu lebhaft war ihr Bedürfnis, den Abgesandten des kaiserlichen Rats zu ehren und, was sich bald ergab, über hunderterlei Dinge auszufragen.
Zunächst sagte sie:
»Ihr also waret es, der unsere Burgen besuchte! Und begehrtet Luthers Kemenaten zu sehen! Ei, nach der hat schon mancher gefragt. Bringt ihr aber die Grüße vom Rat über Welschland, wohin sie euch erst geschrieben wurden, oder sind´s die alten vom verwichenen Sommer? Wie lautete doch euer Name?«
Ottheinrich gab auf alles Bescheid.
Georg von Schwangau, ein weißbärtiger Greis, saß derweilen griesgrämlich in seinem Pelzrock zusammengekauert. War dies wirklich ein Abschied von der Burg seiner Väter, so konnte sein düsterer Blick, sein Schweigen wohl auf tiefste Trauer gedeutet werden.
Allmählich erwärmte er sich an den Erzählungen des jungen Mannes. In seiner gebrochenen Hülle schien noch ein rüstiger Greis zu wohnen. Auch bei ihm regte sich das Verlangen, etwas von jenseits der Alpen zu vernehmen, vom Papst, vom Kaiser, der mächtigen Republik Venedig und der Türkei und was noch aus Ungarn und aus Böhmen und dem Zapolya werden sollte. Und ist wirklich die kaiserliche Majestät vor Marseille geschlagen worden? Haben die Franzosen die Provence behauptet –? Für alles das, was man damals nur durch heimkehrende Landsknechte, wandernde Bettelmönche, ab und zu ein fliegend Blatt, ein Lied, einen Holzschnitt, in Erfahrung brachte, regte sich auch bei Vor- und Nachhut, selbst bei den Reitern auf den Wagenpferden eine immer mehr anwachsende Teilnahme.
Die Freifrau hatte aber andere Interessen. Einstweilen hielt sie noch an sich und horchte allem, was aus dem Bereich der Welthändel und großen Begebenheiten über des jungen Mannes beredsame Lippen kam, mit Aufmerksamkeit zu. Sie war sicher mehr als zwanzig Jahre jünger als ihr Eheherr, der ein hoher Sechziger sein mochte. Die Gicht und so viele Gebrechen, für die jene Zeit keine Heilung hatte, bereiteten damals den Menschen ein frühes freudloses Alter. Frau Johanna aber blickte noch mit mutigen Entschlüssen in die Welt. Auf Schönheit mochte sie nie Ansprüche gemacht haben; sie hatte Augen, die aus breiten Fleischfalten unheimlich neugierig hervorlugten. An Wuchs war sie von mittlerer Größe und mehr der Fülle als der Magerkeit zuneigend, soweit sich aus dem Übermaß von Kleidern und der engen Hals- und Brustverschnürung erkennen ließ. Mit dreifacher Windung lag eine große goldene Kette über einem Fransenbesatz. Das Geschlecht der Argon, dem die letzte Schwangauerin angehörte, war einst in Augsburg wildritterlich gewesen. Peter von Argon, genannt von Egen, lag mit Augsburg, trotzdem er der Stadt Bürgermeister gewesen, später in so arger Fehde, daß seinen unruhigen Sinn zuletzt nur die heilige Feme hatte dämpfen können, die ihn eines Morgens auf einer Reise nach Wien erdrosselt im Bett finden ließ. Des Brausekopfes Söhne endeten nach ähnlichen Streitigkeiten mit der Stadt, nach Verbannungen, geschworenen Urfehden. Zum Glück für Augsburg starb ein so rauflustiges Geschlecht wenigstens in seinem Mannsstamm aus. Johanna war einer der letzten weiblichen Sprossen.
Zu seinem nicht geringen Befremden erfuhr Ottheinrich, daß die Reise der stattlichen Karawane erst wieder über den Lech zurück und noch zuvor nach Steingaden gehen sollte. Dann erst wollte man sich auf Kaufbeuern und Augsburg hinüber wenden. Das war freilich ganz gegen seine Erwartung und verstimmte ihn nicht wenig. Unter solchen Umständen konnte ja Frau Regina früher in Augsburg eintreffen als er selbst – wodurch die Stimmung seines Prinzipals möglicherweise voreingenommen wurde. Er hielt seinen Unmut über die irrtümliche Voraussetzung nicht zurück.
»Ja,« antwortete die Freifrau, »Abt Moser in Steingaden ist ein zu guter Freund von uns gewesen! Wir müssen ihn noch einmal sehen. Noch einmal sage ich –« die Sprecherin nahm vorsichtig ihr Wort zurück oder suchte es anders zu deuten, als sie es gemeint hatte. »Noch einmal –« sagte sie, »ehe sich – vielleicht auch Steingaden zum Evangelium bekennt und sich der Konvent ganz auflöst! Steingaden ist das nicht mehr, was es einst gewesen. Die Bauern haben keinen Stein da auf dem andern gelassen. Sonst – nicht wahr, Alter? Die Steingadner waren die ärgsten Feinde unserer Schwanenritter weiland und haben bei Ober- oder Unter-Reuten drüben manche Schlacht mit uns geschlagen – die trotzigen Pfaffen!«
Der Ritter nickte und antwortete nicht. Mochte er doch denken: so setzt sich der Rost der Zeiten an die glänzenden Wappenschilde der Vergangenheit! So stecken auch die Augsburger Pfeffersäcke meinen stolzen Schwanenhelm jetzt ein! Du, der letzte deines Geschlechtes, das einst auf die Mauerzinnen von Askalon die Kreuzesfahne trug, dem mächtigen Welfengeschlecht den eisernen Arm lieh, bis Heinrichs des Löwen Übermut uns ins Lager der Hohenstaufen trieb, wo dann sogar der Lorbeer der Dichtkunst sich dem Ruhm des Schwertes zugesellte –! Hiltebold von Schwangau, der Minnesänger, sang auf der Harfe Liebesleid und Liebeslust.
Oder war sein Sinn zu stumpf geworden – so eingeschrumpft sein Denken, daß er vor Sorge und Not selbst die Erinnerung an den alten Glanz seines Hauses verloren hatte – ein Bild des immer mehr herabgekommenen Adels? Welche Anschauungen von den Söllern Hohenschwangaus jetzt in die Lande hinausblickten, ersah man aus den bitteren Äußerungen seiner Hausfrau. Die Reise der Regina Paumgartner hielt sie für eine Vergnügungsreise. »O,« sprach sie, »dergleichen Ergötzlichkeiten können die sich gönnen, so eine Heirat nach ihrem Stand geschlossen haben, keine Mißheirat –! Heiraten bald jetzt die Junker ihrer Hofbauern Töchter, und Landsknechte kommen allzeit aufwärts und werden sogar zu Rittern geschlagen!«
Ein düsterer Seitenblick auf das neben ihr kauernde Männlein deutete an, was in ihren Worten der welken Vergangenheit, was der frisch sprossenden Gegenwart gehören sollte.
Sigmund Rothhut aber, der unter dem nach seiner Türkenschlacht vom Kaiser zum Ritter geschlagenen Schertlin gedient hatte, nahm diese Worte übel und rief:
»Es wurden ja heuer wohl auch Schneider zu Königen! Sie waren auch darnach –!«
Die Rittersfrau hatte Ursache, den Pfandpfleger zu schonen. Sie ging sofort auf die Münsterschen Unruhen und die Wiedertäufer ein und gab ihm für seine Äußerung, als wäre sie ganz in ihrem Sinne gesprochen, sogar recht. Dann aber kehrte sie zu ihrer früheren Gedankenreihe zurück und fuhr fort:
»Mein' Seel, die Honoldin hab' ich gekannt, noch wie sie ein Kind von drei Jahren war unter ihren, Gott erbarm's, sieben oder acht Geschwistern. Ihre Mutter ist eine Freundin meiner ältesten Schwester selig gewesen. Und auch ihre Base ging mit mir in die Schule bei den Karmeliterinnen, wo wir zu nähen gelernt haben und, Gott sei ewig Dank dafür, zu beten. Kennt ihr nicht meine Schwester, die jüngere mein' ich, Herr Ottheinrich? Beim Lukas Rem steht ihr Vermögen. Mein Bärbele mein' ich, die Freifrau von Dienhaim? Leider sei's geklagt! Auch die hat einen Mann, bei dem es allweg gut ist, daß der Richter beizeiten sagt: Das ist sein und das ist dein!«
Ottheinrich ersah, die Freifrau hatte ernste Dinge im Werk. In Steingaden, in Kaufbeuren, in Augsburg sollte ohne Zweifel für eines jener »armen Weibsen«, die, nach ihrer Äußerung, »auf Erden nur die Kunkel und den blauen Sonnenschein gewiß hätten«, nachdrücklich, und zwar in gerichtlicher Form gesorgt werden. Er sah ein, daß er unter diesen Umständen nur bis Roßhaupten, höchstens bis Lechbruck die Reisenden begleiten konnte und dann wagen mußte, allein bis Kaufbeuren zu reiten.
Unterwegs mußten sie oft genug Herden und Karren wider Willen ausweichen, fahrendem Volk zumal, das ungebührlich die Straßen versperrte. Auf einen Trupp solcher Wanderer und auf ihre zahlreichen Kinder, ebenso auf den Kram, womit sie hausieren gingen, deutend, sagte sie:
»Bettelvolk und der Kinder kein Ende! Da begreift man, warum uns Gott den englischen Schweiß, die französischen Blattern, die vlämischen Wiedertäufer, den grausamen Türken und die nicht endenden Kriege schickt –! Liegt da die Burg Eisenberg! Seht ihr? Das ist auch ein Haus, wo selbst im Winter nicht der Storch vom Giebel will! Wie glitzert die Sonne drauf! Spiegelblank! Wenn die Kessel nicht wären, könnte mein Freyberger auch keinen seiner Jungen taufen lassen –! Heda, ihr Leute,« wandte sie sich an die Wanderer, die in der Tat Kesselschmiede waren, »habt ihr auch die drei Gestirne und die fünf Eidotterle auf euerer Ware? Drüben wohnt euer Kesselgraf –!« Nun sich wieder ihrer näheren Umgebung zuwendend fuhr sie fort: »Möchte nur wissen, wie die Kaiser drauf gekommen sind, außer den Juden auch noch die Kupferschmiede zu ihren Leibtrabanten zu machen! Ich mein' als, es ist, weil auf unserm Silbergeld kaiserliche Majestäten so blanke kupferne Nasen haben. Nehmt's nicht für unlieb, Herr Stauff – wegen der augsburgischen Fugger-Herren meine ich –!«
Düster und scheu blickten die Leute am Wege zu dem goldenen Wagen auf, in dem sich, so unmutig und schwerlich von den Leuten geahnt, die Verzweiflung über den Verfall des Adels kundgab, wie in ganz Deutschland, so war auch hier in Oberschwaben an jedem Stadttor zu lesen, daß kein Kessel verkauft werden durfte, der nicht kaiserlich gestempelt war. Kaiser Max I. hatte das kaiserliche Kesselprivileg für Oberschwaben vor noch nicht vierzig Jahren auf dem Reichstage zu Worms an Georg von Freyberg und seine Nachkommen verliehen. Zwei und einen halben Pfennig jährlich mußte ihnen jeder Kessel- und Hechelschmied steuern.
Der alte Ritter war von seiner Gattin diese Ausbrüche des Unmuts über den Verfall des Adels gewohnt. Sie selbst war vom ältesten Adel, gab sich jedoch reichsstädtisch bürgerlich. Seine Augenbrauen zuckten über jenen wulstigen Falten an der Nasenwurzel, wo beim Menschen Sorge und alles Leid und zugleich das Nachdenken darüber, wie der Sorge und dem Leid abzuhelfen, zu hocken pflegen.
»Georg und Onufrius und Pancratius Freyberg,« brach er endlich aus seinen Pelzen mit bitterem Lachen hervor, »haben sich ihr Altmeisterrecht im Kesselklopfen verdient! Alleinig der Pancraz hat manchen ehrlichen Zug getan nach Frankreich und Italien. Bis an sein Ende hat Frundsberg erzählt, wie sich der Eisenberger auf Eisen verstanden hat! Beulen klopfte er aus und hechelte den Feind, daß ihm die Ehre wohl gebühren konnte, der Schmiede Altmeister zu heißen! Sollen unsere Häuser nicht am Undank der gottlosen Zeiten zu Grunde gehen, so gebührt sich der Adligen Lohn aus dem Schatz des gemeinen Wesens. Sind wir etwa, seit unsere Mauern zerbröckelt und unsere Wälder ausgerodet sind, zu nichts mehr nutze, als in den Ofen geworfen zu werden oder, wie meine Person in Zusmarshausen, bei Wirtshausschlägereien der Bauern eines Bischofs Büttel zu spielen? Ich dächte es wohl, auch wir Schwangauer hätten verdient, daß wir von Kaiser und Reich unvergessen geblieben.«
Der alte Herr schien der Meinung Grumbachs zu sein, daß sich Kaiser und Reich des Adels annehmen und ihm eine Stellung geben müßten frei von den immer begehrlicher werdenden Fürsten und Städten.
»Zerbröckelte Mauern?« nahm die Freifrau mit Ernst seine Rede auf. »Ausgerodete Wälder? Ei, da weiß ich doch nicht, wo mein Eheherr deren so viele gesehen hat –! Den gottlosen Krieg, den wird unser himmlischer Vater bald ausgerodet haben. Die Menschen werden einsehen, daß sie besser tun, einträchtig in guten und wohlgebauten Häusern, wie etwa unsere vier Burgen, beisammenzuwohnen –! Seht sie doch nur da, wie sie so anmutig liegen –!«
In der Tat hatte sich der Weg so gewunden, daß man jetzt durch die Tannen und die bereits herbstlich gelb gewordenen Zitterespen hindurch die Burgen erblicken konnte, die das ritterliche Ehepaar vor einigen Stunden verlassen hatte. In ganzer Ausdehnung wurden nur die beiden Schlösser Hinter- und Vorderschwangau sichtbar, die nicht vor, sondern zur Seite der grünen hinter dem Schwarzenberg sich versteckenden Seen lagen. Auf dem Marmorfelsen, auf dem in unseren Tagen die Burg sich wie eine Blüte aus einem Kelch erhebt, lag der Simwellenturm oder Schwanstein, der dazumal nicht viel mehr als ein Trümmerhaufen war. Die vierte Burg, der Frauenstein, lag vollends versteckt unter dichten Buchenwäldern. In der Ferne verschwand der traurige Zustand der einzig noch bewohnbaren beiden Burgen am Neudeck-Berge. Ihre hölzernen wurmstichigen Gemächer hatte Ottheinrich vor einigen Monaten mit Schrecken überblickt. Der ehrliche Ritter hatte recht; der Kalk war von den Wänden gefallen, hier und da hatten die Steinschichten nachgelassen, Regen und Schnee mußten im Winter ungehindert hereindringen können. Keller und Verließe waren, weil sie zum Teil in die Felsen selbst gehauen waren, noch einigermaßen imstande. In Vorderschwangau war auch der Hauptturm noch in seinen Außenwänden sturmfest. Innen aber und hinauf bis zur lockeren Schindelbedachung war alles dem Zahn der Zeit verfallen.
Als Ottheinrich über den Lech hinüber mit nachdenklichen Blicken schaute, verriet ein listiges Blinzeln im Auge der Burgfrau, die ihn scharf beobachtete, daß sie sich vollkommen bewußt war, wie die herrlichen bequemen Wohnungen ihrer Vaterstadt, die riesigen Kachelöfen, die mächtigen Eichentüren und Wandbekleidungen da oben fehlten.
Wehmütig mußte der alte Ritter nach dem Land seiner Väter blicken.
»Sind allweil die Leute in Bayern, im Vorarlberg oder Tirol,« begann seine Hausfrau, »so recht von Herzen lustig, so sagen sie: Heut' just ein Tag wie im Schwangauerland! Schaut, da liegt das Kirchlein von Waltenhofen! Das hat der heilige Mang selbst noch geweiht! Nun seht, da unten liegen all unseres Stammes tapfere Ahnen, und auch wir werden allda einst begraben ruhen zur ewigen Urständ. Gucket aber! Dicht an der Kirchli liegt das Tanzbödli, wo sich auf der Tenne die Füße auch abdruckt haben, wie am »Mangertritt« – soviel wird dort gesungen und getanzt und gefiedelt! Kopfhängerei gilt bei uns nicht. Ihr denkt lutherisch wie ich. Aber daß wir schon lange keine kirchhöfischen Leut' im Schwangauer Land sind, das zeigt euch der Tanzboden dicht am Kirchli. Von unsern zwei hübschen Orten Pflach und Büchelsbach drüben in Tirol kommen sie als herüber über die Berge, erst zum Beten und dann zum Tanzen. Ei, das freut sich alles der Schwangauer guten Zeit, die sogar dazumal nicht aufgehört, als in deutschen Landen überall der Bauer dem Ritter aufgetrumpft. Zu uns sind sie auch kommen, die Tropf' damals, Axt und Morgenstern und Kienbrand in der Hand; aber mein Alter da ist nie im Leben wie der alt' Abt von Steingaden oder die Hochnasen oben auf dem Schloß zu Füssen Leutverderber und Landschaden gewesen. Dem Schwangauer Schwan hat auch keiner nur eine Feder gerupft! Gottes Ratschluß ist allweise. Aber manchmal begreift man nicht, warum ein so herrlich alt Geschlecht wie das unsere nunmehr ans Aussterben kommen muß –!«
Wie sie eben gelacht hatte, konnte die Freifrau nun auch weinen.
»Was ihr und der edle Junker in eurem Lande Gutes gewirkt haben,« sagte Ottheinrich, »wird unvergessen bleiben!«
Eine längere Pause trat ein. Ottheinrich verweilte mit Wohlgefallen bei der Unterhaltung, daß auch für Hohenschwangau Luthers Lehre aufgegangen war. Es war darum nicht ganz eine List, wenn er die Worte folgen ließ: »Zumal, wenn es etwa so mächtige Hände weiter führen dürften, wie – die des Erzherzogs fürstliche Gnaden in Tirol! Nur ist es da zu beklagen, daß des Königs Ferdinand unevangelischer papistischer Zinn diese Saat, die ihr gesät, nicht wird aufgehen lassen!«
»Wie? Was?« loderte die Freifrau auf. – »Wer, sagt ihr, wird –? König Ferdinand? In Hohenschwangau? Ei, glaubt denn ihr, daß wir gesonnen sind, unser Ländle zu verkaufen? Auf unserer Burg hat das junge Blut, Kaiser Konrads Sohn, Konradin, vor seinem blutigen Tod zu Neapel von seiner Frau Mutter Abschied genommen! Auf unserer Burg haben Kaiser und Könige Einkehr gehalten. In jeder der vier Häuser haben so viel Helden groß und ruhmvoll gelebt. Ihr meinet, daß eine so heilige Stätte für euern verdammten Handel und gottlosen Wucher bestimmt sei? O, ich höre es aus euern Worten gar wohl heraus, junger Mann, daß ihr nur mit dem Scheuertor winken wolltet auf die paar Batzen, die euer Herr, der Rat, auf unsere kaiserliche Kron- und Reichsstandschaft stehen hat! Ha, ein kaiserlich Lehen! Das verkaufet sich auch so leicht! Wir wissen es gar wohl, seit es landbekannt geworden, daß schon Seiner hohen Gnaden, der Statthalter zu Tirol, Don Gabriel Salamanca, Graf von Ortenburg jetzund, die Hand auf mein alles, mein Augenweide, mein Herzensfreude gelegt habe! Aber der Kaiser wird nach meines Alten oder seines fürtrefflichen Bruders, meines Herrn Schwagers Heinrich fürstbischöflichen Marschalls Tode, mit meinem Erbe nicht wie die Türken schalten –! Was nach meinem Tode, will's Gott selig, kommen mag, das kümmert mich wenig. Jetzt aber haben wir noch mit keiner spanischen und noch zur Stund auch keiner augsburgischen Majestät zu tun und werden das Siegelwachs in euern Augsburger Krambuden nicht teurer machen.«
Nach diesen Worten trat wieder eine längere Stille ein. Ottheinrich richtete einen fragenden Blick auf den Pfandpfleger, der sich einige Male bedeutsam umschaute, als wollte er sich überzeugen, ob es im Haupte der Rittersfrau noch recht richtig wäre.
Georg von Schwangau sah das, und seine ehrliche Natur mußte die Last, die auf sein Gefühl gewälzt wurde, los werden. Ein wenig die Pelzkappe lüftend, sprach er in scherzendem Tone:
»Der erste Hiltibold von Schwangau, unser Ahn, hat den stolzesten Vogel, nächst dem Pfauen, auf sein Schild malen lassen, unsern Schwanen! Aber meine baldige Wittib macht solchem Wappenvogel auch Ehre. Hätte sie doch früher gelebt, die Weise, so würden meine Ahnen besser beraten gewesen sein! Konrad der Schwangauer hätte sich nicht mit dem Konradinkind in eine verlorene Sache gewagt. Kein Heinrich und kein Georg Schwangau hätten das Kreuz ans Grab des Erlösers getragen. O diese Schwangauer Narren, die nichts vorwärts gebracht haben! Stephan ging noch vor hundert Jahren, als schon lange die heiligen Stätten unter Verschluß der Sarazenen standen, auf eigene kostspielige Ergötzlichkeit nach Jerusalem. Da mußten wohl unsere Vorfahrer einen Hof nach dem andern verkaufen, ihr Land verteilen, auf vier Burgen nebeneinander und auf allen zu eng hausen, solcher Frauen Weisheit fehlte oder sie wurde nicht beachtet. Der andere Hiltibold von Schwangau, der fromme Harfensänger, der hatte von echter Frauenart, Frauentugend, Frauenweisheit – auch wohl von dir, Johanna, ein' Ahnung, als er sang:
Die Beste, so man finden Kunde,
Vom Po bis an den Rhein,
Die sucht' ich wohl zu mancher Stunde
Und fand sie in dem Herzen mein;
Die ich erwählt von allen Weiben,
Bei der auch will ich bleiben
Und will das Suchen suchen lassen sein –!«
Mit dieser heiteren Wendung, über die allerseits herzlich gelacht wurde, schien die Burgfrau einverstanden. wurde sie doch auf diese Art von dem im Grunde auch für sie selbst peinlichen Zwang der Verstellung erlöst. Am liebsten hätte sie eigentlich aller Welt zugerufen: Wir sind ja die Herrschaft von Schwangau und ziehen nach Augsburg, um Land und Leute zu verkaufen –!
In Roßhaupten bestieg Ottheinrich seinen Gaul. Man lenkte zum Lech hinüber, wo eine Brücke auf das andere Ufer nach Steingaden führte. Dort wollte Ottheinrich Abschied nehmen.
Es war jetzt möglich, daß sich Ottheinrich auf das Gespräch mit den Reitern beschränkte. Sigmund Rothhut ließ durch seine Äußerungen keinen Zweifel, daß es sich um den Verkauf von Hohenschwangau handelte. Die frühere Zurückhaltung seines Prinzipals über diese Angelegenheit schien sich seit seiner Reise ganz gelegt zu haben. Ohne Zweifel brachte den Rat die Anwesenheit der Königin von Ungarn seinen Wünschen und Hoffnungen vollends näher. Auch für Rothhut war es eine Erlösung, freizukommen von seinem Überwachen der Zinszahlungen, das in der Regel nur im eigenen Zugreifen bestand, wo sich etwas an Naturalien verwerten ließ. Baltzer Trotz und die Sattelreiter waren die einzige bewaffnete Macht, die ihm dabei der Ritter auf seinen Burgen entgegenstellen konnte.
Die Lechbrücke war erreicht. Es mußte nun geschieden werden. In Augsburg hofften sich alle binnen wenig Tagen gesund und guter Dinge wieder zusammenzufinden.
Mit Handschlag schieden Georg und Johanna von Schwangau von ihrem jungen Begleiter.
Ottheinrich setzte kräftig seinem Gaul die Sporen ein. Nun ging es nicht anders, er mußte entschlossen sein, sich mit den Schätzen, die er auf seinem Leibe und in den Mantelsäcken trug, getrosten Mutes allem, was die Landstraße bringen konnte, zu ergeben.