Karl Gutzkow
Hohenschwangau
Karl Gutzkow

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XXXV.

Die Wahl des jungen Paares hatte sich für die neubegründete Universität Jena entschieden.

Ottheinrich glaubte sich nach Franken versetzt, an die Ufer des Mains, als er in das liebliche Tal einzog, an dessen oft schroffsteilen Felswänden manche uralte Burg, sogar dicht in der Nähe die alte Kaiserpfalz der Dornburg sich erhob. In bangfroher Spannung auf die bescheidene Wohnstätte, die sie finden würden, schmiegte sich beim Einfahren in die alte Stadt sein geliebtes Weib an ihn.

Für einen Studenten, der sich auf die Universität sogleich eine Frau mitbringt, galt es, sie zu beschützen vor roher Ungebühr, sie zu beschäftigen, wenn der Gatte die Kollegien besuchte. Martina spann, nähte und las. Die gelehrten Männer Johannes und Viktorin Strigel, die hervorragendsten unter den Lehrern, erkannten sofort die reife Bildung des neuen Ankömmlings und forderten ihn auf, neben seinen Studien sie schon in der Leitung des Paulinums zu unterstützen, eines aufgehobenen Klosters, wo ein Teil der Studenten noch wie halbe Gymnasiasten lebte, die Vorträge zwangsweise hörte und in den von ihnen bewohnten Zellen an eine regelmäßige Hausordnung gebunden war.

Im Hause eines Handwerkers, nicht weit vom Markte und der altehrwürdigen Michaeliskirche bewohnte das junge Paar einige kleine Zimmer – Vogelkäfige gegen die Wohnungen Augsburgs und der Niederlande.

Jetzt war es Winter, die Witterung aber so milde, daß die Rosenstöcke, von je eine Zierde der Gärten Jenas, unbedeckt im Freien bleiben konnten, ja sogar noch grünten und junge Zweige trieben – Martina ein Beispiel, das sie auf ihre erst so spät zum Beglücken und Beglücktwerden gekommene Liebe bezog.

Das Saaletal sollte eigentlich der natürliche Paß zwischen Sachsen und Franken sein. Dennoch blieb es hier still, als mit dem Frühling die Abmachungen von Chambord zur Ausführung kamen, von Magdeburg aus gingen die Truppen des Markgrafen sofort durchs Vogtland, die des Kurfürsten Moritz durch Braunschweig und Hessen – auf Schweinfurt zu, wo sich die ganze Armada versammelte, die vom Kaiser die Freigabe der gefangenen Fürsten, die Entfernung der fremden Truppen aus Deutschland und die Wiederherstellung der augsburgischen Konfession verlangte. Mit bangem Herzen gedachte Ottheinrich der ihm so werten Stadt, die im letzten Kriege so viel gelitten hatte, zweihundert Spanier als Besatzung ernähren und in ihren Mauern und Kirchen ruchlos hausen lassen mußte. Nun hatte Schweinfurt schon wieder die beginnende Kriegsfurie in so unmittelbarer Nähe. Er gedachte Argulas und ihres stillen Trauerhauses am Fuße des Steigerwaldes ...

Aber Argula schrieb ihm, daß die Opfer jetzt mit Freuden getragen würden. Zu dem Ehebund mit Martina, deren Dasein ihr ja seit Jahren wohlbekannt war, zur betretenen geistlichen Laufbahn wünschte sie dem teuren Freunde alles Glück. Sie teilte auch Grüße von Grünthler und Olympia Morata mit. Grünthler hatte sich in seiner Vaterstadt als Arzt niedergelassen. Sie schrieb Grüße von Sinapius, der ihr die Versicherung gegeben, in dem beginnenden Kampf würde Würzburg zunächst nur die Rolle eines Zuschauers spielen, würde nicht hetzen und schüren; niemand könnte Rom mehr hassen, als sein Herr und Fürst, Bischof Zobel von Giebelstadt.

Die Niederlage des Kaisers schien vollständig und Ottheinrich konnte ihr, so genau fand sich seine Ortskenntnis zurecht, bis in alle Einzelheiten folgen. Dem kühnen Fluge des vielleicht von Gewissensbissen gehetzten und zur mutigsten Tatkraft angespornten Moritz flog er nach bis in die Schluchten Tirols, über die hinweg der Kaiser, von Krankheit und ohnmächtigem Ingrimm gebeugt, in einer Sänfte getragen werden mußte. Die Örtlichkeiten der Ehrenberger Klause kannte er, die Moritz und ein tollkühner, ihm verbundener Prinz von Mecklenburg mit dem Degen in der Faust gestürmt hatten. Daß Moritz auch Hohenschwangau besuchte, vernahm er. Ob ihn da wohl, dachte er, die kaiserlich königlichen Räte David und Hans Georg empfangen haben –? Und ob ihm wohl, dem schönen, vom Glanz des Heldentums jetzt doppelt gehobenen Fürsten, deren Frauen und Gundula und Vittoria Ferrabosco huldigten –? Die Verbindung zwischen Tirol und Sachsen war durch den Markgrafen Albrecht gehemmt. Dieser hatte Ulm niederwerfen wollen, wo sich die kaiserliche Partei fester hielt als in Augsburg, dessen Tore sich sogleich dem Befreier öffneten. Die Belagerung währte seinem Ungestüm und dem Neide des Markgrafen auf Moritz allzulange. Die Ungeduld trieb ihn bald da-, bald dorthin. Nach Tirol, um sich am Ruhm des Kurfürsten zu beteiligen, nach Brandenburg-Onolzbach, um dort die Räte zu züchtigen, die ihm die Macht über seinen jetzt dreizehnjährigen Neffen Friedrich Georg so lange entzogen hatten – nach Nürnberg, um die verhaßten Pfeffersäcke auszuklopfen – nach Bamberg und Würzburg, um sich an den Geldtruhen der »Pfaffen« zu »erholen« und ihnen die scheinbare Neutralität anzustreichen, die sie nicht gehindert hatte, den Kaiser mit Geld zu unterstützen. Inzwischen rückten die Franzosen in Lothringen ein, nahmen Metz, Toul und Verdun – um sie nie wieder herauszugeben. Sie drohten bis an den Rhein zu kommen.

In der Tat täuschte Moritz schon wieder alle auf ihn gesetzten Erwartungen –! Eine unselige, für alle Zeiten verhängnisvoll gebliebene Halbheit ließ sein Werk unvollendet. Als er in Augsburg einzog, sogleich zu Jakob Hörbrot einquartiert zu werden begehrte, bei dem Führer des gestürzten Zunftregiments auch wohnte, da hätte man glauben sollen, der endlich über seine Stellung klar gewordene junge Fürst würde nicht eher ruhen, bis er alles getilgt, was der Kaiser oder die schlaue Weisheit seiner Räte in deutschen Landen seither eingeführt hatten. Im Gegenteil. Er begnügte sich, die Freiheit der beiden gefangenen Fürsten erlangt, das Interim umgestoßen zu haben und schloß in Passau schon wieder Frieden, während alle Welt erst den Beginn des »Kehraus« erwartete, der mit dem Kaiser und seinem Anhang gespielt werden sollte. Das wurde durch Moritz – das Unglück Deutschlands – Wien erschien eine Rettung gegen Brüssel und Madrid –! Ferdinand, des Kaisers Bruder, hatte verstanden, sein eigenes Interesse vom Interesse Karls zu sondern. Längst liebäugelte seine kluge Berechnung mit den deutschen Fürsten, denen er die volle Wiedereinsetzung in ihre alten Rechte in Aussicht stellte, Moritz auch die Erhaltung der ihm überwiesenen Kurwürde zusicherte.

Markgraf Albrecht hatte die Sympathie des gesamten protestantischen Deutschlands für sich, als er, voll Erstaunen über den ohne ihn vollzogenen Friedensschluß, noch keineswegs das Schwert wieder in die Scheide gleiten lassen wollte, sondern erst vom Anfang des begonnenen Tanzes sprach. Selbst die von seinen Erpressungen bedrohten Länder ertrugen den aufs unerhörte sich steigernden Druck seiner Einquartierungen und Brandschatzungen in Hoffnung auf eine durchgreifendere Säuberung Deutschlands vom alten Sauerteig. Dem hin- und herschwankenden Nürnberg, das sich dem mutigen Bekenntnis des reinen Luthertums ohnehin entzogen, einen Osiander verbannt hatte, gönnte man allgemein die ihn vom Markgrafen verhängten Züchtigungen. Bamberg und Würzburg mochte er rupfen wie alle geistlichen Stifte; Mainz, Köln, Trier, Schlupfwinkel Roms, mochte er von Grund aus vertilgen und lediglich in weltliche Ordnung bringen, wie schon mit Naumburg, Magdeburg, Bremen geschehen. Leider aber rächte sich da an Albrecht seine unbedingte Ideenlosigkeit, sein gänzlicher Mangel an edlem Aufschwung, an begeistertem, auf Höheres, Sittliches gerichteten Sinn, den auch sein Ratgeber Grumbach teilte. Nur eine reine Erwerbsfrage wurde der Aufschwung, von dem man das Edelste erwartet hatte. Die Geldgier, hervorgerufen und vielleicht entschuldigt von dem immer krankhafter gesteigerten Jammer um die fehlenden Mittel, die Geldgier, die dem ganzen Zeitalter eigen war, erstickte hier jeden andern Gedanken, der die Lose hätte verteilen, die Geschicke ordnen sollen. Grumbach machte den Makler, um von Nürnberg und den Bischöfen Hunderttausende zu erpressen. Dann stürmte der wilde Haufe vor Frankfurt, rannte sich da am Widerstand einer kaiserlichen Besatzung die Köpfe ein – schon wankte der Boden unter Albrechts Füßen, seine wahre Sehnsucht wurde dabei immer mehr und mehr der Verrat an Moritz, der nicht mehr mittun wollte. Erschöpft von den Anstrengungen seines sinnlosen Raubzuges sinkt er denn auch in der Tat – dem Kaiser, der in die Niederlande gegangen war und die Franzosen von Burgund und Lothringen fernzuhalten suchte, in die Arme und schwört im Lager vor demselben Metz, das er den Franzosen verhandelt hatte, einen ihm von Herzog Alba vorgesprochenen Eid der Treue und ficht jetzt gegen die Franzosen wie noch soeben für sie.

Dies würdelose Beispiel, das die Jugend gab, steckte auch das graubärtige Alter an. Der Kaiser, ergrimmt über Moritz, schimpflich durch ihn vom deutschen Boden verjagt, voll Eifersucht und Zorn über die geheime Konspiration seines Bruders mit den Empörern, bestätigt alle Verträge, die der Brandenburger mit dem Degen in der Faust den Nürnbergern, den Bischöfen von Bamberg und Würzburg abgezwungen hatte. Grumbach war damals dem wilden Raubzuge seines Herrn nicht gefolgt. Er bewachte die Plassenburg und sorgte für die Ausführung der Mandate, die vom Kaiser aus Metz gesendet wurden, er sorgte auch für sich selbst. Der Haß auf Zobel, auf dessen Ratgeber, seinen ehemaligen Nachfolger im Amt von Cadolzburg, Ludwig von Seinsheim, hatte endlich Befriedigung gefunden. In seinem Schloß zu Rimpar, das er schon seit lange nicht mehr zu besuchen gewagt hatte, trat er jetzt mit dem Gefühl seiner alten Kraft wieder auf. Ihm selbst gehörten sechzigtausend Gulden an den bedungenen Kontributionen. Er hatte dem Markgrafen für seine Truppenwerbungen alles geopfert, was er besaß. Dafür war ihm Hohenlandsberg verpfändet gewesen. Kretzer war der Kommandant der Feste. Sogar eine Buchdruckerei hatte man dort in die Lüfte verlegt. Albrechts Manifeste und Streitschriften wurden auf Hohenlandsberg gedruckt. Moritz Hausner war Setzer, Drucker, Autor, Korrektor und Buchhändler in einer Person.

Aber allmählich kam der Kaiser doch zur Besinnung. Ein Winter von einer solchen Härte, daß sich von den Ardennen die Wölfe ins Lager von Metz verirrten, verdarb die Belagerung. Krankheit und Hunger brachen über sein kleines Heer herein. Die tollkühne Tapferkeit des Brandenburgers, den seine eigenen Truppen, mißmutig über die Umkehr zum Kaiser und von den Franzosen bestochen, scharenweise verließen, stellte die verlorene Sache nicht wieder her. Der Kaiser konnte den Markgrafen nicht weiter verwenden. So kehrte er denn nach Deutschland heim. Voran liefen ihm aber schon die Boten ans Reichskammergericht, die verkündigen mußten, daß sich der Kaiser nun doch besonnen hätte, die Bestätigung der Verträge, die der Markgraf geschlossen, bereute und solche wieder zurücknähme.

Wieder durfte sich für Albrecht die Teilnahme regen, wieder konnte man ihm seine Roheit, seinen Wankelmut verzeihen. Selbst edle Frauen taten dies, wie die Gemahlin seines alten Freundes Poppo von Henneberg, Elisabeth von Hannover, eine Fürstin voll Frömmigkeit und edelster Herzensgüte, eine Brandenburgerin. Man nahm den Fürsten, der plötzlich vom Kaiser so auffällig betrogen war, für ein Opfer der welschen Tücke.

Gegen Moritz war er ergrimmt, weil ihn dieser im Stich gelassen und vom Friedensabschluß ausgeschlossen hatte. Gegen den Kaiser, weil er ihm wortbrüchig geworden. Gegen Nürnberg und die Bischöfe, weil sich diese selbstverständlich an diejenige Entscheidung des Kaisers hielten, die ihren erschöpften Mitteln, ihrer Rache und ihrem Haß die willkommenere war.

Zum Schirmherrn der Bischöfe warfen sich Heinrich von Braunschweig, vom Volk der »graue Wolf« genannt, der unvermeidliche Vorkämpfer der Katholischen, und – Moritz von Sachsen auf. »Die Krone von Böhmen wird noch einst auf mein Haupt kommen!« sollte auch Albrecht im Lager vor Frankfurt gesprochen haben. Das brachte noch König Ferdinand und seinen Sohn Max in Harnisch. Die »Rittmeister« in ganz Deutschland gingen auf Werbung für beide Parteien. Grumbach bereiste Westfalen bis Minden und bot alles auf, die alten Kriegskameraden dem Braunschweiger und Moritz abwendig zu machen. Dem Markgrafen fehlten Liebe und Hingebung für das Allgemeine, für alles die Zeit Bewegende. Er hätte Deutschland in einen wüsten Acker verwandeln, siegreich wie Nebukadnezar den Fuß auf die niedergeworfenen Fürsten und sogar den Kaiser halten können und würde nicht gewußt haben, wem er seinen Sieg gönnen sollte. Um Geld würde er ihn hingegeben haben an jeden beliebigen Käufer.

Noch waren seine Söldner nicht alle beisammen, als er schon mit einer kleinen Reiterschar vom Gebirge aufbrach und mit einem unvermuteten, tollkühnen Angriff die Kriegsmacht der Bischöfe, die Seinsheim aufgebracht hatte, bei Pommersfelden über den Haufen rannte. Er fiel wie ein Wetterstrahl aus heiterm Himmel. Darauf wurde Bamberg genommen, zum Mittelpunkt aller Unternehmungen, zum Werbe- und Waffenplatz aber Schweinfurt gewählt. Das erschreckte die »freie Reichsstadt« nicht wenig und sie wollte ihn nicht einlassen. Er verwies sie auf seine Kanonen, die er die Schlüssel der Stadt nannte. So ritt er zu Schweinfurt ein und nahm, was er fand – nahm, was ringsum die Klöster und Stifte an Gold und Silber in den Gewahrsam der unter dem Schutz des Kaisers sich gesichert glaubenden Stadt geborgen hatten, die Monstranzen und Heiligenbilder des Fürstabts von Fulda, auch die Kostbarkeiten des Klosters zu Ostheim. Die silbernen Apostel, die er einschmolz, sandte er in Gestalt von blanken Talern in alle Welt und ließ sie den Heiden predigen. Sein Kriegsvolk zur richtigen Stunde zu bezahlen, war sein erstes Augenmerk. In Schweinfurt ließ er einige Fähnlein als Besatzung zurück. Die Stadt wurde um deswillen vierzehn Monate lang von den verbündeten Gegnern des Markgrafen belagert und erlitt unsägliches Ungemach. Albrecht begab sich nach Niederdeutschland, wo ihn sein inzwischen geworbenes größeres Heer erwartete. Hessel Grumbach war in der furchtbarsten Kriegsrolle der damaligen Zeit sein Begleiter. Er nannte sich des Markgrafen »Brandmeister«.

Bei Sievershausen kam es zur Schlacht. Nur wenige Stunden hatte sie gedauert, aber Tausenden kostete es das Leben. Ein einziges Reitergeschwader Philipps von Hessen, der zu allen Zeiten Albrecht gehaßt hatte und seinen Schwiegersohn Moritz nicht im Stich lassen konnte, entschied den Tag. Moritz war Sieger, fand aber das Ende seines jungen Lebens. Die Sachsen, bestürzt über den Verlust, den Sieg, wie eine glühende Kohle in der Hand haltend, ja ihn von sich werfend und nicht nutzend, gaben die Trümmer des brandenburgischen Heeres auf und zogen sich zurück. Der Braunschweiger fiel noch einmal, bei Steterburg, mit der Wut des »grauen Wolfes« über die Reste der Albrechtschen Scharen und siegte wieder.

Albrecht und Grumbach verweilten auf ihrer Flucht zwei Tage in Weimar und in Jena. Albrecht sah trübe und bleich aus, als er von Weimar nach Jena herüberkam. Sein Fuchsbart hing ihm ungepflegt bis unter die Brust herab. Seine Augen waren matt. Bei Grumbach, der neben ihm ritt, hatte sich in seinem Wesen alles zugespitzt. Die Augen quollen ihm hervor, die Brauen darüber hinweg waren hoch aufgerissen. Er schien nur immer zu lauschen und die Fühlfäden auszustrecken nach allen Seiten hin, als müßte er das Gras wachsen hören. Das alte Vasallenwort »Ich dien'« hieß noch immer bei ihm »Durch Dienen herrsch' ich –!«

Mit welchen Empfindungen sah Ottheinrich auf die beiden Männer, denen er im Leben schon so nahe gestanden hatte –! Martina ermunterte ihn, sie doch anzureden. Aber Ottheinrich vermochte es nicht. Im Gefolge sich umsehend entdeckte er Bartel Hartung, das Faktotum des Markgrafen, und Moritz Hausner.

Wollte sich Ottheinrich bekannt geben, so mußte er sich eilen; denn die Rast war nur kurz. Die Julisonne brannte. Die Rosse wurden gefüttert und getränkt, wobei die Mehrzahl der Reiter nicht einmal abstieg. Die Fürsten hatten sich im Schloßhof mit einigen Herren in einen Ring gestellt. Hier lachte man wohlgemut. Man tat's, um den Markgrafen zu erheitern.

Grumbach und Hausner waren eben mit einer Begrüßung beschäftigt, die sich lärmend und fast in ungebührlicher Weise und der Umgebungen nicht achtend vollzog.

Ein junger Student, der sich erst seit einigen Tagen in Jena eingefunden hatte und durch sein streitsüchtig vorlautes Wesen auch schon Ottheinrich aufgefallen war, begrüßte Hausner, den Ritter von Grumbach und manche andere Personen im Gefolge des Markgrafen wie alte Bekannte.

»Klebitz!« hieß es. »Wo kommst du her –? Bist du nicht mehr in Tübingen –? Warst du denn nicht in Heidelberg –?«

Und zu gleicher Zeit gingen Fragen und Antworten durcheinander, wobei auch der Name Dietrich Pichts zu Ottheinrichs Ohr drang.

Ottheinrich war aus dem Kreise der Zuschauer herausgetreten, die aus Reugier über Rasen und Hecken drängten. Martina wußte, wie viel Kummer schon Grumbach und auch Markgraf Albrecht ihrem Gatten verursacht hatten, ja sie empfand sogar beim Anblick Hausners ein seltsames Grauen und dennoch konnte sie nach Frauenart dem Reiz einer aufsehenerregenden Begegnung nicht widerstehen. Gönnte sie doch ihrem Manne die Ehre, daß er den Persönlichkeiten, die soeben die allgemeine Neugier, besonders aber die Freundschaft und den Schutz der Söhne des geliebten Landesfürsten in Anspruch nahmen, als bekannt und zweifelsohne, wenn er sie nur anreden wollte, von Interesse erschien.

Ottheinrich trat näher, und Grumbachs scharfes Auge erkannte ihn sogleich. Klebitz, der ehemalige Genosse Hausners, der Schüler des Rhodomantis, Zaubergehilfe von Regensburg, erzählte eben die Gründe, warum er Tübingen verlassen und nicht Heidelberg zur Fortsetzung seiner Studien gewählt hätte. So aufmerksam er ihm, da Klebitz Grumbachs Unterstützungen genoß, zuhörte, so schweiften doch des Ritters Blicke in die Weite. Da entdeckte er denn Ottheinrich und nickte ihm schon aus der Ferne zu.

Hausner und Härtung verwunderten sich nicht wenig über die unerwartete Begegnung. Sie hatten von ihres Dolmetschers Anteil an dem Befreiungsversuch des hessischen Landgrafen vernommen und meinten, längst hätte man diesen gehangen oder erschossen.

Ottheinrich zeigte ihnen sein Weib, das aus den Rosenhecken nicht hervortreten wollte. Sie war in der Hoffnung und scheute sich, so vieler Menschen Blicke auf sich zu ziehen.

Bartel Hartung hatte jetzt den Markgrafen gerufen, der plötzlich lang und hager vor Ottheinrich stand.

Alle andern waren darüber ehrerbietig zurückgetreten.

Der Markgraf – Ottheinrich sah es erst jetzt – war trotz seiner unglücklichen und so beschämenden Tage doch des Weines übervoll. Wie er da stand, kam er gerade von der herzoglichen Tafel zu Weimar.

Dennoch besaß der junge Fürst eine solche Beherrschung seiner Sinne, daß man ihm nie von seiner Trunkenheit, wenn man nicht näher forschte, etwas ansah. Auch wenn er nüchtern war stieß er die Worte kurz und in eigentümlicher, aber fesselnder Weise abgerissen hervor.

Ottheinrich verbeugte sich.

Der Markgraf gab ihm nicht die Hand, hielt vielmehr beide Arme hinterwärts über den Rücken verschränkt, sah ihn erst lange an, verzog auch nicht eine Miene, machte Scherze über seinen Paul von Biberach, den er vor zwei Jahren mit Hilfe dessen, der nun da wieder vor ihm stand, gespielt hatte, erwähnte nichts von den seither verstrichenen Zeiten und seinem Unglück, sondern sagte nur nach einer Pause, wo doch wohl alles, was er verschwieg, an seinem Innern vorübergegangen sein mochte:

»Ihr studiert hier Theologie –?«

»Ja, gnädiger Herr –!«

»Haltet euch friedfertig, wie ich die Pfaffen allein liebe. Wär' ich heut' aus meinem Elend heraus und hätte, was mir gebührt, so solltet ihr mein Haus- und Burgpfaff werden und – auch mich bekehren –!«

»Gott erleuchte eure fürstlichen Gnaden auch ohne mich –! Widmet eure Waffen dem Evangelium und der Segen Gottes wird nicht ausbleiben –!«

Des Markgrafen Blick fiel statt aller Antwort auf den Sohn Johann Friedrichs. Ohne Zweifel ging ihm der Gedanke an die Schlacht von Mühlberg und den allda wenig bewährten Segen Gottes durch sein fieberndes Gehirn. Darüber hätte er doch lächeln sollen. Aber er blieb ernst. Er blieb es sogar, als er zu Ottheinrichs Erstaunen und diesem das Blut der Beschämung in die Wangen jagend, sprach:

»Habt ihr mir etwas an den Junker von Stammheim aufzutragen? Der harrt meiner auf der Plassenburg, die mir Jochem von Zitzewitz hütet, die treue Seele, die in dieser Hundstagshitze und vor Kummer und Sorge nicht wenig schwitzen mag über mein Ausbleiben. Ich muß mich durch die Belagerer hindurchschlagen, um zum Junker von Stammheim zu gelangen. Wißt ihr, was die schwerste Last der Seele ist? Auf dem Gewissen – andere Gewissen zu haben! Ich fürchte nicht Gottes Gericht für mich – Gott hat Erbarmen und ist allgnädig –! Ich fürchte ihn für die Sünden anderer, die unsereins verschuldete –!«

Obschon starr vor Erstaunen über diese Worte, die mit einem ernsten, tiefliegenden Ton und jetzt mit fließender Beredsamkeit, ohne zu stocken, über die blassen Lippen des Markgrafen kamen, faßte sich Ottheinrich schnell und sprach mit einer ebenso festen Stimme:

»Und weil Fürsten in der Lage sind, Tausende von Menschen um ihren freien Willen zu bringen, um die richtige Wahl ihrer Handlungen und die Stimme ihres Gewissens, so haben sie eben auch ganz besondere Ursache, Gott stündlich in Demut um seine Gnade und Vergebung anzuflehen. Saget, ich bitte, dem Junker von Stammheim, daß er an den Apostel Paulus, Römer 11, denken möchte, wo es heißt, daß man nur strauchle, um sich desto kräftiger zu erheben. »Aus ihrem Fall ist den Heiden das Heil widerfahren –! O, daß sich sein Herz wieder erheben könnte –!«

»Amen –!« sprach Albrecht trotz seiner Trunkenheit. Man führte ihm eben wieder sein Roß vor. Nun gab er Ottheinrich die Hand, die mager und eiseskalt war. Des Reitertrunkes wegen, der kredenzt wurde, hatte er den Handschuh abgezogen. Als er getrunken hatte, wandte er sich und stieg auf.

Der Aufbruch vollzog sich jetzt so stürmisch, daß Hausner nur noch wenige herzliche Worte mit Ottheinrich wechseln, mit wenig Worten Martina begrüßen und ihm den alten Gefährten Wilhelm Klebitz empfehlen konnte.

Grumbach hatte von Ottheinrich noch zu hören bekommen:

»Wenn ihr die Kriegsfurie über mein armes Vaterland Franken aufs neue loslassen solltet, so bitte ich euch um Jesu willen, gebt euern Schutz eurer Base, der ihr im Grunde doch verpflichtet seid, ihre Hütte zu schützen und ihr eine sichere Wohnung zu erhalten –!«

»Sie hat den Schutz der Würzburger gesucht –!« erwiderte der Ritter mit Bitterkeit. »Auch ist unser Vetter Adam von Grumbach des Bischofs Amtmann in Volkach geworden –! Weiß ich doch mein eigen Weib und meine Kinder nicht in dieser Zeit zu schützen und muß sie in Kitzingen unterbringen, wo sie hoffentlich den Schutz des jungen Onolzbacher Markgrafen finden –!«

Damit ritt er der flüchtigen Gesellschaft, die schon davongesprengt war, nach und Ottheinrich kehrte zu seiner gespannt harrenden, hocherglühten Gattin zurück.

Freunde und Bekannte drängten sich um ihn, zumeist aber Wilhelm Klebitz, der sich mit derselben Lebhaftigkeit, die er schon einst zu Regensburg in der Zauberhütte als Ausrufer und Paukenschläger zu erkennen gegeben hatte, jetzt dem viel älteren Kommiltonen näherte, sofort Martinas Arm ergriff und das Ehepaar bat, beide nach Hause begleiten zu dürfen.

Von Stund' an wurde Klebitz von Ottheinrich und Martina unzertrennlich.

Durch Grumbachs Unterstützung in Würzburg, Tübingen und Heidelberg vielseitig gebildet, hatte Klebitz sich Kenntnisse erworben, die Ottheinrich schätzen mußte. Grieche und Hebräer zu gleicher Zeit, wollte er an einer Hochschule als Lehrer auftreten, nicht minder auch die Kanzel besteigen, wer nicht etwas tiefer auf den Grund schaute, den vermochte er sofort für sich einzunehmen. Doch seiner Streitsucht kam nichts gleich. Alle acht Tage ließ er Thesen ans schwarze Brett schlagen und forderte männiglich zu Disputationszweikämpfen heraus. Bald wurde er der Matador der Universität im Fechten, im Trinken und im gelehrten Zanken.

Es waren edle Frauen, die Ottheinrich mit dem wüsten Geist der Streitsucht versöhnten. Freilich Schmerzliches mischte sich auch da in die Freude, vor allem beim Hinblick auf sein teures Frankenland –! Martina, obschon in ihrer Hoffnung vorrückend, ermunterte ihn, einen Herbstausflug in die Heimat zu machen, Argula zu besuchen, von der man seit lange nichts mehr gehört hatte, obschon die Kriegsstürme dort aufs neue zu tosen begannen. Markgraf Albrecht war jetzt in die Acht erklärt worden. Noch einmal hatte er sich heimlich, wie man erfuhr, nach Berlin begeben, um seinen Vetter, den Kurfürsten von Brandenburg, den Bruder seiner mütterlichen Freundin Elisabeth von Hannover und Henneberg, die ihr Leben für ihn ließ, um Beistand zu bitten. An Versprechungen fehlte es nicht. Aber die Abneigung des zweiten Bruders der Herzogin, des Markgrafen Hans von Küstrin, gegen Albrecht war eine alte, nicht zu beseitigende und hinderte alles. Albrecht kehrte auf die Plassenburg zum letzten Verzweiflungskampf zurück. Zur Vollstreckung der Acht rückten König Ferdinand von Osten, von Norden der »graue Wolf«, von Süden Nürnberg ins Feld. Es schien, als wollte sich Albrecht nach Frankreich durchhauen.

Weihnachten war vorüber – bald kam die Fastnacht und mit ihr eine Botschaft von Argula. Sie kam aus Schweinfurt, das noch immer belagert wurde, wenn auch einstweilen jetzt mit geringerem Nachdruck als zuvor. Argula hatte beim Amtmann von Volkach, einem Angehörigen der Hessel Grumbachschen Linie, wenig Vorschub gefunden und sich nach Schweinfurt zur armen beklagenswerten Olympia begeben, der Gattin des Doktor Grünthler, die ihre heimatlichen Gefilde nur verlassen hatte, um auf deutschem Boden die Fülle des Elends zu erleben. Jene andere Italienerin, die Gattin des Sinapius, war gestorben. Ihr einziges Kind hatten die jungen Grünthlers für einige Zeit nach Schweinfurt zu sich genommen, mußten es aber dem Vater, dem treuesten Freunde, zurückschicken, weil gerade der Würzburger Bischof gegen Schweinfurt mehr zu wüten begann, als alle übrigen Mitverbundenen des gefürsteten Priesters. Dies war die Folge des Hasses gegen Grumbach. Immer noch war Jutta Vogler der düstere Rachegeist, der vom Söller der Marienburg schadenfroh die Vögte abreiten sah, wenn sie Grumbachs Weib, Kinder und Gesinde vom Schlosse Rimpar verjagen mußten. Das Elend des bedrängten Schweinfurt war nach Argulas Bericht unbeschreiblich.

Argula im Leben nicht mehr wiedersehen zu sollen, steigerte ihres Freundes Unruhe von Tage zu Tage. Martina bat und flehte, vermaß sich der größten Kraft und sprach das Vertrauen aus, daß zu ihrer Prüfungsstunde ihr geliebter Mann sicher wieder würde zurückgekehrt sein – sie bat ihn, die Reise nach Schweinfurt nicht länger aufzuschieben. Da kam ein zweiter Brief aus der unglücklichen Stadt, wo Ottheinrich einst so glückliche Stunden innerer Sammlung im Lehrerberuf verlebt hatte. Er kam von einem der Bürgermeister, bei dem Argula wohnte. Die edle Gönnerin war krank geworden in dem allgemeinen Siechtum der bedrängten Stadt. Die Rüstungen hatten aufs neue begonnen, die Umzingelung war wieder enger geworden. Nürnberg, unversöhnlich in seinem Haß gegen den Markgrafen, war mit dem schwersten Geschütz, das sich nur hatte fortbringen lassen, dem Braunschweiger zugezogen. Schon war Hohenlandsberg gebrochen und der dortigen Herrschaft Kretzers und Hausners ein Ende gemacht. Der Bürgermeister schrieb auch im Namen Grünthlers, der sich in den Zumutungen, die an seine Kunst als Arzt, an seine erschöpften Mittel gemacht wurden, kaum, wie er Ottheinrich solches sagen ließ, länger aufrecht erhalten konnte. Nirgends eine Hilfe, nirgends ein Beistand für die bedrängte Stadt –!

Wenn auch den Augen Martinas Tränen entflossen, so bat sie doch Ottheinrich, er sollte sich um ihretwillen nicht sorgen, sondern dem Ruf der Freunde getrost folgen. Klebitz wollte sich ihm anschließen. Für Martina war durch die guten Leute, bei denen sie wohnte, und andere liebe Freunde und Bekannte gesorgt.

Zum Glück hatten die Feindseligkeiten noch nicht mit dem früheren Nachdruck begonnen. Vielleicht war es noch möglich, daß Ottheinrich wohlbehalten in die Stadt gelangte. Viele rieten ihm von dem Wagnis ab. Andere ermutigten ihn.

Auf einem guten Gaul, den er sich immer gehalten hatte, gelangte Ottheinrich glücklich in die belagerte Stadt. Er hatte von seinem Weib einen Abschied genommen, wie ihn nur die felsenfeste Glaubenskraft jener Tage über sich gewann. Martina hatte das sichere Gefühl, daß Gott jedes Haar auf ihrem Haupt gezählt hätte und der Herr alles wohlmachen würde. Anderseits war die Kraft des Gebetes Ottheinrichs besondere Zuversicht. War er doch ohnehin in jene Stimmung geraten, die ihn seither in allen entscheidenden Krisen seines Lebens ergriffen hatte, den Himmel offen, die Engel Gottes ihm winken zu sehen. Auch darin hatte das seitherige Glück seiner Ehe gelegen, daß sein vielgeprüftes, charakterfestes Weib immer mit dem hochwandelnden Flug in ihres Gatten jeweiligem Wesen Schritt zu halten verstand.

Ein ungewöhnlich harter Winter erleichterte die Reise. Die sonst so morastigen Wege waren fest gefroren, die brückenlosen Bäche und Furten mit Eis bedeckt. Den endlich erreichten Main fand Ottheinrich bereits stehend. Die Einschließung der Stadt beschränkte sich augenblicklich auf Besatzungen, die in den entfernteren Ortschaften lagen. Mit Bauern, die von Mainberg aus auf dem Eise Lebensmittel in die Stadt einschmuggelten, konnte sich Ottheinrich miteinschleichen. Er fand Schweinfurt schon halb verwüstet und in Trümmern liegen.

Die Freude der Stadt über den aus alter Zeit so vielen noch erinnerlichen Gast war groß. Grünthler, der dicht hinterm Rathause, in der Apotheke der Stadt, wohnte, umarmte Ottheinrich so stürmisch, daß dieser fast erschrak, weil er daran die Überspannung des Geistes, die Ermattung der Kraft ersah. Olympia zeigte eine stillgläubige Zuversicht. Ihre Hoffnung war auf Heidelberg gerichtet, wohin man indessen den einzigen Arzt, der in der Stadt noch wirken und helfen konnte, jetzt noch nicht entlassen wollte. Die Besatzung führte ein Schreckensregiment. Ottheinrich mußte ein langes Verhör und eine strenge Durchsuchung überstehen, bis er sich gegen den Verdacht gerechtfertigt hatte, daß er kein Kundschafter war.

Argula fand er dermaßen schwach und hinfällig, daß ihr Aussehen weit über ihre Jahre ging. Nach dreizehnjähriger Trennung hätte er sie fast nicht wiedererkannt. Ihr Haar war schneeweiß geworden, ihre Wange hohl, ihr Auge wie von einem unheimlichen Feuer belebt. Ihre Zuversicht auf Gottes Beistand sprach sich in einer Weise aus, die an Irrsinn grenzte. Diesen starren Ausdruck der Augen beobachtete Ottheinrich hier an vielen Menschen.

Die Stadt hatte zu Schreckliches erlebt und noch jeden Augenblick war das Ausbrechen einer Plünderung durch die Besatzung selbst zu erwarten. Es fehlte an Geld. Die Soldaten murrten. Nur die Strenge des Obersten, verbunden mit der nachhaltigen Anhänglichkeit der Reiter und Landsknechte an den Markgrafen selbst, hielt sie noch im Zaum. Aber an Vorschlägen, eine Anzahl Bürger gefangen zu setzen und sie erst wieder um ein verhältnismäßiges Lösegeld freizugeben, hatte es nicht gefehlt.

Das war für Ottheinrich ein so besonders beängstigender Zustand, worin er viele seiner Freunde, namentlich Grünthler und Argula antraf, daß sie nur im Augenblick und in der Erwartung der nächsten Zukunft lebten, nichts sahen und hörten, als was mit dem laufenden Tag zusammenhing.

Die Nürnberger hatten auf Hohenlandsberg die Druckerei zerstört, hatten viele Briefe des Markgrafen vorgefunden, auch herausgebracht, daß die »Famosschriften«, die Grumbach und der Markgraf gegen ihre Gegner zu schleudern pflegten, die gemeinschaftliche Arbeit des Markgrafen, Grumbachs, des Kanzlers Christoph Straß, Hausners, besonders aber eines Rechtsgelehrten von Schwäbisch-Hall, Namens Widman, waren, der sich zur Redaktion dieser mit einer immer mehr gesteigerten Heftigkeit verfaßten Bücher hergab. Die aufgefundenen Briefe stellten den Charakter des Markgrafen in entsetzlicher Weise bloß. »Brennt und sengt um die Feste herum,« schrieb der Wütende an seine Vögte auf Hohenlandsberg, »daß das Kind im Mutterleibe nicht nur mit einem, sondern mit beiden Füßen in die Höhe zuckt –!«

»Es ist ein Sohn der Hölle –!« sagte Argula und dennoch glaubte sie an seinen endlichen Sieg. Sie nahm sogar Partei für seine Krieger gegen die Stadt. Immer nur sprach sie bei dem täglich heftiger ausbrechenden Streit zugunsten der ersteren und lehnte jede Aufforderung ab, sich nach Volkach, Zeilitzheim oder Gerolzhofen zu begeben, wo die »Bündischen« ihre Winterquartiere hielten und ab und zu plötzliche Streifzüge und Ausfälle machten. Sie tadelte sogar an den Predigten, die Ottheinrich hielt, daß sie nicht genug im Geist der Makkabäer gehalten wären.

Mit dem Frühling kam eine Schreckenskunde aus Lichtenfels bei Koburg. Dort hatte der wieder anrückende Braunschweiger die Besatzung entwaffnet und ihren Obersten Hans von Cölln zu Bamberg auf offener Brücke hängen lassen. Schon rückte er über Kloster Theres auf Schweinfurt zu. Zobel und Seinsheim kamen von Volkach und Werneck her.

Nun schien die letzte Stunde der Stadt gekommen. Von allen Seiten wurde sie aufs engste umzingelt. Unter den protestantischen Nürnbergern dienten katholische Bayern und unter dem katholischen Braunschweiger protestantische Sachsen und Hessen –! Es war die große Verwilderung der Zeit, über welche Argula wehklagte mit den Worten: »Die Kinder des Lichts würgen sich für die Finsternis und Josaphat schließt Frieden mit Ahab, dem Feinde des Herrn! Soll sich wieder das Wort erfüllen: Willst du aber den Gottlosen helfen und die lieben, die Gott hassen, um deswillen ist über dir der Zorn des Herrn –!?« Schon gingen die Brücken in Feuer auf. Schon fehlte es an Pulver. Die Stückmeister riefen und mahnten dringend, nur zu schießen, wo sich ein Schuß lohnte. In den Straßen mußten Barrikaden errichtet werden, nur um sich zu decken, wenn man sein Haus verließ und sich die nötigsten Bedürfnisse holen oder sein verzweifelndes Herz einem Nachbar ausschütten wollte. Olympia lebte, wie die meisten Frauen, im Keller ihres Hauses. Ihre Bücher lagen um sie her gebreitet, als könnten sie nicht mehr gerettet werden. Sie hatte die Ahnung, sich bald von ihnen für immer trennen zu müssen. Wie las sie noch einmal mit fiebernder Hast, als gälte es eine ewige Trennung, am Zwielicht der Kelleröffnungen im Homer – im Virgil –! Ach, auch da die Kämpfe um Troja und den die Höhen des Ida rötenden Brand, –!

Wo eine Feuersbrunst aufloderte, grade dorthin schossen zumeist die Belagerer, sie vermuteten an einer solchen Stelle die meisten Menschen, Menschen, die retten wollten. Mitten im Tumult hörte man wieder das Geschrei der Soldaten um Löhnung. Das war immer das Furchtbarste, was an die betäubten Ohren der Bürger dringen konnte; denn dann brach auch der nächste Halt der Hoffnung zusammen. Oberst Oßburg suchte zu beruhigen. Er verwies auf Frankreich. Dorther würde Geld kommen –! Der Markgraf würde selbst erscheinen, wie ein Engel, der Hilfe brächte –!

So währte es Woche um Woche. Feindliche Trompeter kamen mit weißen Binden, bliesen die Wälle an und brachten Aufforderungen zur Übergabe, sie wurden schimpflich heimgeschickt. Eine Gesandtschaft des Kurfürsten von der Pfalz kam, um die Besatzung aufzufordern, die Stadt zu verlassen, »wo ist dein Heer, du Schirmherr der Stadt –!« riefen die Frauen, die mit aufgelösten Haaren durch die Straßen liefen. Im »Seelhaus« hatte man obdachlose Kinder, elternlose Waisen untergebracht. Es geriet in Flammen und viele der Kleinen kamen jammervoll um. Der Mangel an Lebensmitteln wuchs, schon briet und kochte man, was nur lebendig zu haben war, Hunde, Katzen, Ratten. Das Fleisch der gefallenen Pferde, ein Leckerbissen, wurde nach dem Gewicht verteilt. Und wieder das Sterben, die Seuche, begann, wenn Ottheinrich eine Kinderleiche segnete, so kamen ihm die Tränen. Er mußte seines Weibes gedenken und ihrer sicher schon längst überstandenen Stunde. Keine andere Nachricht drang von außen in die Stadt, als die von Gefangenen überbracht wurden und alle betrafen nur den Krieg.

Eines Tages meldeten Gefangene, der Markgraf wäre im Anzuge. In der Tat, er kam mit einer Schar, die offenbar nur den Zweck hatte, ihm die Flucht nach Frankreich zu ermöglichen. Noch wollte er die Schweinfurter Besatzung mitnehmen, vor allem sein kostbares Geschütz. Der Anprall seiner Verwegenheit, wie der Verzweifelnde so von der Plassenburg herunterstürmte, war gewaltig. Man spürte die Furcht der Nürnberger bis in die Stadt hinein. Ihr Lager stob auseinander, wie Spreu vorm Winde. Auch der Braunschweiger rückte etwas höher in die bewaldeten Berge hinauf, die Schweinfurt umgeben. Vollends ließen die Würzburger und Bamberger die Mainufer und zogen sich ganz auf den Steigerwald. Albrecht zog unbehelligt mit frischen Truppen in Schweinfurt ein. Schon war es Juni. Die Sonne brannte heiß.

Die Soldaten jauchzten ihrem Liebling zu. Aber – er brachte nur wenig Geld. Seine mächtige Beredsamkeit jedoch, mit Flüchen, Kraftausdrücken, die ein zynisches Wiehern erregten, erscholl weit über den Markt hinaus und beschwichtigte die Ungeduld. Der Rat stellte sich voll Zittern und Zagen. Albrecht ging ihm entgegen. Alle verneigten sich. Man sah's, er hatte den Tod im Antlitz und im Herzen; fieberndheiß glühten seine Lippen. Dankesworte für die vierzehnmonatliche Herberge, die man ihm gegeben, kamen ihm in der Tat diesmal wie aus dem Gemüt. Als er alles gesagt hatte, was er in seiner Lage den Bürgern hatte sagen können, vom künftigen Entgelt, seinem bevorstehenden Abzug noch in dieser Nacht, da schwiegen die Bürgermeister und Ratsherren im Todesschrecken über ihr nunmehr bevorstehendes Geschick. Er ließ die Unglücklichen in der Gewalt des Feindes. Als er sie in ihr starres Schweigen versunken sah, geduldig das Grauenvollste erwartend, da soll er eines der wenigen Worte gesprochen haben, die in seinem Leben Herz verrieten: »Es sind gute Herren, diese Schweinfurter! Sie reuen mich –!«

Sie reuten ihn um den Untergang, der Schweinfurt bevorstand. Der Markgraf hatte keine Zeit, mit irgendjemand anders als mit seinen Obersten und Hauptleuten zu reden. Argula wollte sich Bahn brechen, ihm zurufen und Worte der Ermahnung sprechen – die Freunde hielten sie zurück. Die Trommeln wirbelten. Albrecht ließ ausrufen, wer etwa von den Bürgern mit ihm ziehen wollte, der sollte sein Bündel schnüren. Ottheinrich bat Argula mit Tränen, sich ebenfalls in eine Sänfte zu setzen und sich mit hinausgeleiten zu lassen. Oberst Oßburg hatte ihnen versprochen, sie bis Kitzingen mitzunehmen, wohin zunächst der Marsch gehen sollte. Daß Schweinfurt bald ein einzig Flammenmeer sein würde, das wußten ja alle ... Argula wollte widersprechen und brach zusammen. Sie hatte keine Kraft mehr. Sie wußte nicht, was mit ihr geschah.

Mit dem Markgrafen war Grumbach gekommen. Im Tumult des Auszuges entdeckte er Argula in der Sänfte. Er konnte annehmen, daß sie eine Sterbende war. Aber dennoch riet er den Trägern, mit seiner Base dem Zuge zu folgen. Der Sieg würde nicht fehlen und jedenfalls sollte sie in Volkach in Sicherheit gebracht werden. Schweinfurt sah auch er im Geist in Flammen aufgehen und riet Ottheinrich Stauff, sich der Gesandtschaft anzuschließen, die ohne Zweifel der Rat ins Lager der Feinde schicken würde. »Es wird heiß bei euch werden!« war sein Abschiedswort. Das verklang in einem Wirrwarr, wo ein Mensch fast den andern niedertrat. In der Tat gingen viele mit den abziehenden Kriegern. Es war um Mitternacht.

Ottheinrich aber und Grünthler wurden mit Gewalt zurückgehalten. Der Abzug der Bürger sollte plötzlich nicht mehr geduldet werden. Alle für einen, einer für alle –! schrie man. Die Sterne funkelten am Himmel – die damals so viel befragten, die trügerisch die Menscheit jener Tage am Gängelbande der Torheit führenden Leuchten des Firmaments –! Grumbach nickte ihnen zu. Er glaubte, daß ihr Leuchten Gutes bedeutete. Hausner konnte Ottheinrich nicht entdecken. Er fehlte wohl. Grumbach aber hatte seinen grauen Bart mit drei Knoten befestigt, wer dachte in solcher Zeit daran, sein Haar zu stutzen –! Heu in seinen Stiefeln verriet, wie sehr er wieder am Podagra litt. Er hatte Ottheinrich geklagt, daß er tagelang wieder das Bett hätte hüten müssen, so quälte ihn die Gicht. Es war ein malerisches Bild, wie der Markgraf auf einem Schimmel am Brückenkopf hielt und seine Leute zählte, die noch vorüberzogen. Er hatte den Marschallstab in der Hand, als könnte es gar nicht fehlen. Hessel Grumbach hielt daneben auf einem Rappen. Mit seiner blutroten Brandmeisterfackel beleuchtete er den Markgrafen, um ihn von allen sehen zu lassen. Auch der Markgraf sollte wohl sehen, wie ihn noch die Knechte wohlgemut grüßten ...

Ottheinrich im schwarzen Talar, seinen Kirchtürmer, der keinen Turm mehr hatte, aber noch sein Blashorn, um im Lager der Feinde die Gesandtschaft einzublasen, zur Seite, der Bürgermeister, die Männer des Rats und einige angesehene Bürger machten sich am Morgen auf den Weg in die Berge. Der Trauerzug ging langsam. Der arme Turmbläser hinkte. Mit seinem zusammenstürzenden Turm war er verwundet worden. Ottheinrich betete laut im Gehen. Das Volk, das die ganze Nacht nicht zur Ruhe gekommen war, gab dem Trauerzuge eine Strecke das Geleite.

Wie aber die Männer ostwärts kaum das Weichbild der Stadt verlassen hatten, da, an einem der zerschossenen Mühlentürme, kamen ihnen schon die Vorposten der Feinde entgegen mit dem wilden Geschrei: »Feuer herbei! Stecht tot –!« und die Begleiter der Gesandtschaft stoben auf die Stadt zurück mit dem Schreckensruf: »Feinde da –!«

Nun wußte der Zug nicht, ob er noch weiter sollte. Und indem er zögerte, wurde er schon gefangen genommen. Immer mehr Rotten kamen von den Bergen. Alle Schanzen belebten sich. Die Wälder selbst schienen niederzusteigen. Karren mit Pulver jagten an ihnen vorüber. Hinter sich blickend sahen die Gefangenen, die man ins Hauptquartier führte, die Flammen aufzüngeln und bis zu ihnen hinaus drang das gräßliche Geschrei der Weiber und der Kinder in der Stadt. Eben ging darüber die Sonne auf. Ein Strahl blitzte zum Steigerwald hinauf und beleuchtete den Zug des Markgrafen, der sich über Schwebheim und Gaibach wie ein eherner Gürtel um die Höhen legte.

Von Argula hatte Ottheinrich nicht Abschied nehmen können. Von Grünthler hatte er's mit Entsetzen getan, denn der junge Mann gebärdete sich wie ein Irrer. Er redete laut auf offenem Markt und in den Straßen, verhieß Hilfe von Seiten her, von wo kein Vernünftiger Hilfe erwarten konnte. Der tiefste Schmerz um seine Vaterstadt, die Beschämung vor seinem Weibe, dem in solcher Gestalt das ihr in so ganz andern Farben von ihm verheißene Deutschland bekannt werden sollte, nahm ihm die Besinnung.

Die Gesandtschaft kam gar nicht vor die Anführer, die schon den Markgrafen verfolgten. Man band sie kurzweg mit Stricken, erklärte sie für Geiseln und führte sie in die von allen Seiten in Feuer aufgehende Stadt zurück. Schon war die Plünderung von Haus zu Haus in vollem Gange. Die Frauen wurden geschändet. Ohne Erbarmen spießte man jeden, der Widerstand leisten wollte. Hinausgelassen aus der Stätte der Verwüstung und der entmenschten tierischen Wut wurden nur diejenigen, die schon bis aufs Hemd ausgezogen waren. Ottheinrich, in Stricken, unbeweglich und nur zum Gehen an den Füßen ungehindert, erfuhr, daß Grünthler von einem der Soldaten gefangen genommen war. Eben sah er ihn fortführen –! Doch im nämlichen Augenblick warf sich Olympia auf ihren Mann, von ihren italienischen Wehklagen und Bitten erschreckt fuhren die rohen Kriegsknechte zurück. Olympia bekam den fast nackten Gatten, der seine letzten Kleider über die Schultern seiner Frau geworfen hatte und nur noch mit dumpfer Starrheit vor sich hinbrütete, wieder frei. Die sich inzwischen in die Kirchen geflüchtet hatten, erstickten größtenteils durch den zusammengeballten Rauch, der keinen Ausgang fand.

Die Gesandtschaft wurde über den Main geführt. Man hatte Bauern aufgeboten, ihnen Spieße gegeben und sie zu Wächtern der Gefangenen gemacht. Von Kriegsknechten war jeder nur mit Plünderung beschäftigt, jeder nur besorgt, seine Zeit zu nutzen. Denn schon riefen die Trommeln und Trompeten zum Weitermarsch. Als die Gefangenen an den Wald kamen, wollten die einen von den Bauern sie hängen, andere sie erstechen. Die gutmütigsten unter den Wächtern waren noch die, die auf die brennende Stadt zurückzeigten und die ehrwürdigen Männer, unter denen Ottheinrich der jüngste war, höhnisch fragten, wie ihnen das Lichtlein da gefalle?

Schon waren die älteren Männer erschöpft bis zum Umsinken, als man in Volkach anlangte. Die Stadt fanden sie versperrt. Unaufhörlich hörte man fernher schießen. Ohne Zweifel war bereits die Nachhut des Markgrafen erreicht. Er hatte die Torheit begangen, zu viel Wert auf sein Geschütz zu legen. In den sandigen Wegen ging der Transport langsam. Bei Schwarzach mußte er standhalten und ein Treffen annehmen, das er nach allem, was man erfuhr, wieder verloren hatte. Ein ganzer Tag wurde vor den Toren Volkachs unter freiem Himmel zugebracht, in einer Gegend, die Ottheinrich in so ganz anderer Stimmung hatte kennen und lieben lernen. Wie mochte es jetzt Argula ergehen –? Er erfuhr in Volkach nur, daß sie in dieser Stadt nicht war.

Das Viktoriaschießen ringsum betäubte die Sinne. Der Markgraf war geschlagen, sein kleines Heer zersprengt; er selbst hatte sich mit wenig Getreuen in die Berge geworfen, um über Rothenburg hinaus den Rhein zu erreichen.

Unter Pulver- und Bagagewägen mußten die zehn Männer wieder im freien Felde übernachten. Noch zwei Tage nach der Schlacht währte es, bis man sie in Schwarzach einließ, wo sie endlich im Rathause eine Herberge fanden, wo sie wenigstens für eine Nacht unter Dach und Fach ruhen konnten. Am folgenden Morgen ging es auf Kitzingen zu.

Die jähe Hast, wie dem Markgrafen nachgesetzt wurde, kam den Gefangenen zugute. Ihr inständiges Bitten, man möchte sie zurücklassen, um Weib und Kind aufsuchen zu können, fand endlich Gehör. Ein Reiter erhielt den Auftrag, die Männer zu begleiten. Bei Schwarzenau setzten sie über den Main. Am andern Ufer glaubten sie sicherer zu sein, nicht zu vielen Marodeuren zu begegnen, schlimmer aber als diese waren die Bauern der eigenen Heimat. Der Haß, den der Landmann gegen den Städter im Bauernkriege zu erkennen gab, kam wieder zum Vorschein. Man vernahm Entsetzliches aus Schweinfurt. Banden von Männern und Frauen vom Lande durchzogen die Trümmerhaufen, durchwühlten den Schutt, durchgruben die Erde, um etwa verborgene Schätze zu finden, ja auf den Kirchhöfen erbrachen Bauern die Särge, plünderten die Leichen und zerstreuten die Gerippe. Jetzt, auf diesem mühevollen Heimgang, verweigerten die Landbewohner die einfachsten Erfrischungen wie Brot und Milch. Sie wiesen die zusammenbrechenden Wanderer von ihren Türen.

Volkach gegenüber hieß es endlich: »Drüben rastet eine Botschaft aus Heidelberg! Der Kurfürst schickt Gesandte, um seine pflegebefohlene Stadt zu schützen –!« Da setzten einige über, auch Ottheinrich – die andern eilten am rechten Ufer entlang auf Schweinfurt zu. Der reisige Knecht ließ sie entlaufen.

Es war richtig, in Volkach herbergte ein kurfürstlich pfälzischer Rat, Herr Doktor Hartmann von Heidelberg. Er verlangte für Schweinfurt Hilfe und Beistand von Adam von Grumbach, dem bischöflichen Amtmann. Ottheinrich konnte sich jetzt mit gutem Gewissen von seinen Gefährten trennen. Diese fanden ein sicheres Geleit bis in ihre Stadt, den rauchenden Trümmerhaufen. Ihn zog es zu Argula. Von Adam von Grumbach erfuhr er, daß dessen Verwandte in Zeilitzheim war, aber auch dort hatten die Bündischen wie in einem feindlichen Ort gehaust. Ottheinrich flog hinüber.

Er fand sie noch in ihrem verwüsteten Burgstall am Leben. Ihr alter Diener Kilian Schenk war schon lange hinüber. Menschen, die ihm nicht bekannt waren, Mietlinge, wie er wohl sah, die nur an ihr eigenes Leben und die eigene Sicherheit in einer allerdings traurigen Zeit dachten, umstanden ihr Lager. Unwillig sahen sie nun noch einen Menschen hinzutreten, der sie vielleicht am Teilen der Hinterlassenschaft hindern konnte.

Aber Argula erkannte ihren alten Freund. Noch konnte sie den Befehl geben, ihm den Vortritt vor allen zu lassen. Mit kaum noch vernehmbarer Stimme sprach sie:

»Ich wußte wohl, daß ich euch noch einmal wiedersehen würde –!«

Sie tat, als wäre er eben von Jena gekommen –! Die Zeit in Schweinfurt schien wie ein Traum an ihr vorübergegangen. Erst allmählich fand sie die volle Klarheit ihres Gedächtnisses wieder und erkundigte sich nach dem Ausgang des Kampfes. Erst jetzt erfuhr sie das ganze Schicksal der verlassenen Stadt und das Los so vieler ihr werter und nahe stehender Menschen.

Den Gebeten, die Ottheinrich sprach, folgte sie mit stumm sich bewegenden Lippen oder mit dem Nicken ihres blassen Hauptes. Wenn ein Büschel ihres weißen Haares aus dem samtnen Käpplein, das ihr als Haube diente, fiel, so langte sie danach, anfangs um es zu bergen und zurückzustreichen, dann hielt sie einige Strähnen hin, richtete darauf die Augen und nickte, als Ottheinrich ihre Gedanken zu erraten schien und auf den Schnee kam, der sich auf ihr Haar gelegt hatte, die Folge so vielen Kummers, so vieler Lebensprüfungen – sie nickte aber noch fort und fort, als wollte sie noch mehr. Sie wollte einen Büschel des Haares nicht wieder hergeben, verlangend sah sie sich in dem dunkelverhangenen Zimmer um. Ottheinrich suchte eine Schere.

Diese brachte er dann und schnitt ihr in der ganzen Länge, die sie mit ihrer knöchernen Hand bezeichnete, einen Büschel ab und sprach:

»Ein Andenken für euren Sohn in München –!«

»Nein –!« schüttelte sie ihr Haupt und drängte die Haare in seine Hand. Sie nickte ihm zu und wollte andeuten, daß sie dies letzte Geschenk nur für ihn bestimmt hätte.

Ottheinrich flossen die Tränen, vor Mitleid um das brechende Mutterherz, das an ihren Kindern so wenig Freude erlebt hatte.

Drei Tage noch hütete Ottheinrich die immer mehr erlöschende Lebensflamme seiner mütterlichen Freundin, der er sein geistiges Dasein lebenslang, in dieser und in jener Welt, zu verdanken erklärte. Sie starb den Tod des Gerechten. Die wenigen klaren Augenblicke, die ihr noch blieben, bezeichneten Segenssprüche für ihn, für sein Weib, für die erwartete Hoffnung, die ihn nun aufs mächtigste in friedlichere Gegenden zurückziehen mußte, Danksagungen für seine Hilfe, die keine Mühe, keine Unlast scheute.

Ottheinrichs Glaube sah aus dem ganzen Jammer eines solchen Krankenbettes zuletzt den abscheidenden Geist Argulas wie eine Taube sich in den Himmel schwingen.

Als er die körperliche Hülle neben ihrem Sohn bestattet hatte, verteilte er ihre geringe Habe – den letzten Rest von den Einnahmen der endlich erworbenen Lehen – und machte sich auf die Reise.

Schweinfurt aufs neue wiederzusehen, mußte er sich versagen. Sollte er sein fühlendes Herz wieder hinüberziehen lassen in Leiden, denen er keine Abhilfe bieten konnte –? Er mußte sich losreißen. Nach einer kurzen Verhandlung mit Adam von Grumbach in Volkach über die Hinterlassenschaft der Verstorbenen, nach einer Erklärung, die er eidlich dahin abgab, daß er sich auf Argulas Wunsch hätte alles aneignen dürfen, was sie hinterließ, jedoch nur um ihre Bücher bäte, kehrte er nach Thüringen zurück. Noch war es auf den Landstraßen nicht ruhiger geworden. Die Plassenburg sollte auf Befehl König Ferdinands in die Luft gesprengt werden. Er erreichte aber glücklich das Saaletal und nahte sich mit klopfendem Herzen Jena.

Schon unweit der Leuchtenburg begegneten ihm Jenaer Bürger, die ihm aufs freudigste den Vaternamen zuriefen.

Er fand in Jena alles so, wie ihm unterwegs verkündigt worden! Martina lag an seinem Halse, wohlbehalten und schöner als zuvor. Sie nährte selbst den herrlichen kräftigen Knaben, der ihm in der ganzen übersorglichen Verschnürung der alten Kinderstubensitten entgegengehalten wurde. Der Junge war bereits zwei Monate alt.

Des Vaters Herz hatte die große Freude nur in sich aufgenommen, um Kraft zu behalten, zur Trauer wieder zurückzukehren. Auch Martina weinte um die Schrecken, die ihr Mann erlebt hatte; sie weinte um Argulas Tod. Ottheinrich mußte sich mit Gewalt einen Aufschwung geben, damit sein Knabe nicht unter dem Kummer der Mutter litt. Da half dann Kiebitz. Einer Studententaufe, wie solche gehalten werden mußte, konnte Ottheinrich keinen Widerstand leisten. Da mußte die ganze Universität teilnehmen.

Die Paten wählten die Namen Johann Friedrich Philipp – zur Erinnerung an die beiden gefangenen und erlösten Fürsten.


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