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Argula nahm ihren jungen Freund mit derselben Liebe auf, wie immer. Ihre Entrüstung über Grumbach und den Bischof war eine so gewaltige, daß sie nicht im entferntesten daran dachte, ihm über die Vernachlässigung der Gesetze der Klugheit Vorwürfe zu machen.
Auch die persönlichen Schicksale ihres Schützlings, seine Wiederbegegnung mit dem Burgherrn von Hohenschwangau und dessen Söhnen, die Verheiratung Gundulas, nicht minder die Begegnung mit Moritz Hausner, alles das erfuhr Argula und begleitete die überraschende Runde mit lebensklugen Winken und Ratschlägen.
»Warum habt ihr euch nicht der Stadt Regensburg Zum Prediger angeboten?« sagte sie. »Als Diakon hättet ihr es schon wagen dürfen –! Gewiß würden euch die Nürnberger, ich meine Veit Dietrich, oder die Augsburger, ich meine Musculus und Forster, ordiniert haben!«
»Edle Mutter,« antwortete Ottheinrich, »wie hätte ich mich solcher Überhebung schuldig machen dürfen unter den Augen von Männern, die unsers Zeitalters und vielleicht aller Jahrhunderte erste Theologi sind! Dann vollends die Bekenner des Evangeliums –! Ich fühlte, wie viel dazu gehört, um in solcher Zeit ein Diener am Wort zu sein –!«
»Die einen gewinnen ein Land,« entgegnete Argula, »die andern bebauen es –«
Der Gegenstand wurde verlassen und zunächst die Lösung der Verbindlichkeit gegen Grumbach betrieben. Ottheinrich schrieb ihm, daß es ihm nicht möglich wäre, »wider den Stachel zu löken«. Er müßte einen Dienst aufgeben, in dem er der Lüge und der Unterdrückung Gehorsam leisten sollte.
Der Marschall ließ ihn ohne Antwort.
Darüber entstand eine Ungewißheit, die wieder der Anlaß eines längeren Verweilens im Burgstall zu Zeilitzheim wurde.
Ehe nicht der hessische Ritter von Romerod in Schweinfurt eingetroffen war, konnte Ottheinrich nicht wagen, dorthin zurückzukehren. So unterstützte er die Lehrer und Geistlichen, die sich im Volksfeld und am Steigerwalde dem evangelischen Bedürfnis der Gemeinden immer mehr angeschlossen hatten, obschon es Hindernisse und ausdrückliche Verbote dagegen genug gab.
Auf Argulas besonderen Wunsch mußte Ottheinrich einen Ausflug nach Windsheim machen. Er fand den berühmten Altkanzler nicht mehr in seinem Hause am Markte wohnen, das ihm die Stadt eingeräumt hatte. Vogler war mit dem Rat von Windsheim und den vier Bürgermeistern zerfallen. Es hatte Zwistigkeiten gegeben, die ihn schon längst bestimmten, an eine Veränderung seines Wohnorts zu denken. Nur der besonderen Vermittlung des Herzogs Albrecht in Preußen beim Rat war es gelungen, zwischen der Stadt und ihrem unruhigen Gaste eine leidliche Aussöhnung herbeizuführen.
Ottheinrich lernte einen merkwürdigen Menschen kennen, eine Mischung von Elementen, die sich einander zu widersprechen und aufzuheben schienen. Eben noch ließ Vogler glauben, daß er das Zeitalter in seinen Angeln regierte, daß alle Fäden von Madrid, Brüssel, Wien und Konstantinopel über Windsheim gingen; kam dann aber seine junge Frau mit den ihm so spät geborenen Kindern auf dem Arm ins Zimmer, nahm er ihr diese ab, trug und herzte sie, so verwünschte er alle weltlichen Händel, die Interessen der Fürsten und Höfe und pries nur diejenigen glücklich, die mit Luther ausrufen könnten: »Das Paradies ist ein gut Weib und sind brave Kinder –!« Dann spielten sogar Lichter der Ehrwürdigkeit um seinen grauen Scheitel, glätteten sich die Falten der mephistophelischen List um seine Mundwinkel.
Die vergeblichen Versuche, die Ottheinrich zweimal angestellt hatte, des Kanzlers Tochter aufzufinden, wurden von ihm erwähnt. Da wurde nun Vogler noch weicher und milder und seine Frau mußte ihn trösten und auf eine bessere Zeit verweisen.
»Mein Kind,« sprach er und wischte sich die Tränen, »wird sein Lebtag nicht geistlich! Nein, den Kummer tut sie sich schon selbst nicht an. Sie lebt unter den Nonnen und Pfaffen, wie diese jetzt eben leben dürfen, wo sie die Herren geblieben sind, lustig und in der Freiheit. Hier in Windsheim war ihr die Freiheit wie ein Kloster. In Würzburg find jetzt die Klöster die Freiheit. Kilian Fuchs, das unselig Blut, hat bei mir um ihre Hand angehalten. Hab' ihm erwidert, er sollte sein Glück versuchen–!«
Der Kanzler dankte auch dafür seinem so willkommenen Besuch, daß ihm dieser von den beiden Domherren erzählen konnte, deren Wünsche, ihre Pfründen zu vertauschen, beim Marschall des Stifts seine Feder oft genug beschäftigt hatte.
Kaum war Ottheinrich nach Zeilitzheim zurückgekehrt, so schrieb Vogler mit einem Dank an Argula für die Zuweisung dieses ihm so wohltuend gewesenen Besuchs eine wunderliche Nachricht. Sie bewies, daß zwischen Onolzbach und Neustadt an der Aisch die Verstimmung eine Höhe erreicht hatte, die beinahe bis zum Äußersten kam, zu einem Krieg, vorläufig einem Zweikampf – zwischen dem alten Georg und dem jungen Albrecht! Jener fühlte sich von dem selbstbewußten sicheren Treiben seines Neffen und Mündels dermaßen gekränkt, daß er dem nicht endenden Hader mit dem Zwanzigjährigen durch ein Gottesgericht ein Ende machen wollte. Vogler wie in noch erhöhtem Grade sie selbst hatten an der charakterlosen religiösen Haltung des jungen Fürsten schon lange Ärgernis genommen. Eine wunderbare Fügung ließ es gleichsam als Gottes Wille erscheinen, daß der Brief des alten Markgrafen nicht abgesandt wurde. Ein Page, ungarischer Abkunft, der den Brief vom Schloß Birkenfeld, wo gerade Markgraf Georg jagte, nach dem nahegelegenen Neustadt bringen sollte, fiel in dem Augenblick, wo er eben sein Pferd bestiegen hatte, tot zur Erde. Das zufällig losgegangene Gewehr eines seiner Mitdiener am Hof entlud sich so unglücklich, daß ihn die Kugel traf und tötete. Der alte Fürst, ohnehin in Überreizung über sein Vorhaben, das in der Einsamkeit zu Birkenfeld, gleichsam unmittelbar in der Schallweite des übermütigen Neustädter jungen Hofes, entstanden war, erblaßte. Seine Umgebung, die Markgräfin, fragte, was der Ritt des unglücklichen Pagen, der geschlossene Brief, den man auf seiner Brust gefunden, zu bedeuten hätte. Man kam hinter des Markgrafen Geheimnis und bot nun alles auf, den erregten greisen Fürsten zu beruhigen.
Inzwischen war von Würzburg immer noch keine Erklärung Grumbachs eingetroffen. Nur unter der Hand erfuhr Ottheinrich, daß der Ritter zwischen Neustadt und Würzburg häufig unterwegs war und dabei immer von einem jungen Gesellen begleitet wurde, dessen Schilderung auf niemand anders, als Moritz Hausner paßte ...
Aufs neue begann für Ottheinrich jener trauliche Verkehr, aus dessen Mißdeutungen er sich vor einigen Jahren mit einer jetzt kaum noch nötigen Vorsicht aufgerafft hatte. Diesmal gesellte sich zu den Entschuldigungen desselben der Umstand, daß die Lehrtätigkeit Ottheinrichs, wenn sie ihn nicht ausreichend erhielt, doch ihm manche Einnahme, manche Spende seiner Verehrer verschaffte. Argula ermunterte ihren jungen Freund, das ihm von Hohenschwangau gewordene Anerbieten anzunehmen. Ottheinrich glaubte, daß es vorläufig geziemend sei, an die Junker einen Brief zu richten, was er auch tat.
Durch die Niederlage des Kaisers in Afrika war die Lage der Protestanten hoffnungsvoll geworden. Den braunschweigischen Heinrich hatte der Kaiser der kräftigen Rüstung Philipps von Hessen ganz preisgegeben. Die Protestanten konnten unter solchen Umständen mit Ruhe zusehen, wie Karl gegen Frankreich rüstete. Schertlin ließ sich in der Tat zum obersten Feldzeugmeister für diesen Krieg ernennen, erntete aber keine Lorbeeren gegen einen Feind, der sich überall zurückzog.
Die Ernte war glücklich eingetrieben. Der Segen der Natur glich die Leiden des Volkes wieder aus, das seit den Bauernkriegen schwerer denn je zu tragen hatte. Mit der Zeit kamen die Herbstnebel, die von Berg zu Berg morgens und abends immer undurchsichtigere Gewebe spannen. Schnell wurde nun auch die Weinlese gehalten, ein Fest der Freude trotz des Druckes, der auf allen Gemütern lag. Endlich färbten sich die Buchenwälder vollends gelb. Die Jagd begann. Die Junker von Fuchs, von Buttler, die Grafen von Castell luden den rüstigen jungen Prädikanten ein, im Steigerwald dem Fuchs und dem Marder nachstellen zu helfen.
Der Winter brach an. Den alten Gedanken der Kirche, gerade dann, wenn es stürmt und schneit und eisiger Frost die Glieder schüttelt, im christlichen Leben Licht, Glanz und Wärme zu verbreiten, hatte die protestantische Neuerung nicht aufgegeben. Zu den Kirchenfesten gesellten sich Abendandachten. Um einen brennenden Kienspan wurde da und dort, und wär's in einer wohlgeheizten Küche gewesen, gesungen und gebetet. So gewann sich das Herz Ruhe und Sammlung. Getroster vermochte man in die Nebel zu blicken, die oft das ganze Dörflein von der übrigen Welt, ja Haus von Haus schieden. Die nächsten Berge verschwanden. Kein Bote wagte sich noch von Schweinfurt herüber, kaum von Volkach herauf in die oft auf Schritte weit nicht mehr zu erkennenden Wege. Brach dann Frost aus und lichtete sich wieder der Himmel und ein Kranz von schneebedeckten Bergen umgab die Aussicht, so wagte sich das Wild vom Gebirge herunter, um Nahrung zu suchen, der Fuchs und der Wolf, die es dann mit Hilfe der Bauern mutig zu jagen, zu erlegen galt. Raben umflatterten die Firste der Häuser; im Kirchdach wimmerte die Eule.
Von Grumbach kam noch immer kein Lebenszeichen. Auch auf die Lehnsanfragen Argulas gab er keine Antwort. Ihre Hoffnung war auf die endliche Ankunft eines ihrer Söhne gerichtet. Bald nach Weihnachten kam das sichere Versprechen, der jüngste würde erscheinen.
Der Frühling kam. In Rührung verloren über Gottes Größe stand Ottheinrich oft an seinem Fenster und sah auf die Höhen des Ossing oder des Schwanberges hinauf, an deren Fuß die Wege lagen, die die Boten aus dem Norden oder Osten beschreiten mußten. Aber er vergaß, was in der Ferne lag, schlug sich aus dem Sinn, was nur Sehen und Harren weckte, sah nur unmittelbar den »Glenzen« selbst, der endlich mit mildem Flügelschlag über die Erde rauschte und sich auch auf das kleine Rund in seiner Nähe niedersenkte. Der Buchenwald auf der Höhe bei Gaibach trieb seine ersten zarten rötlichen Keime. Die Weiden und Ellern an der Volkach belaubten sich. Mit schmetternden Wirbeln stieg die Lerche über die schwarzen, erst frisch gezogenen Erdfurchen empor. Das Krähen der Hähne deutete nicht Regen, nur Lebens- und Liebeslust an. Vom Gebirge brachte der Jäger die Kunde, daß schon lustig die Waldschnepfe schnarrte, wärmste Tage mußten da kommen. Die Bächlein trugen in wilden Strudeln den geschmolzenen Schnee in den Main. Da wurde mancher Steg von den jähen Wasserstürzen niedergerissen, der Wanderer schüttelte aber lachend sein Haupt über den vermißten alten Gesellen und baute sich selbst seine Brücke aus rasch zusammengelegten Steinen. Fröhliche Schiffahrt belebte den Main.
Johann Georg von Grumbach erschien, Argulas jüngster Sohn. Sinnig für seine Mutter fühlend, die er so lange entbehrt hatte und deren Bild ihm fast entschwunden war, verschwieg er einiges, was sie betrüben mußte. Erst nach einem vollen Freudentage unnennbarer, seit Jahren von ihr erharrter Wonne, gestand er ihr, daß er aus Regensburg den Tod seiner beiden Oheime vernommen hätte. Die mutigen Staufferherren vom grünen Kranz zu Regensburg waren bald nach dem Sieg des Evangeliums in der alten Reichsstadt verschieden. Auch Paracelsus, ihr Arzt, lebte nicht mehr. Zu Salzburg, das erzählte man sich in München, hätte ein unglücklicher Sturz von einem Felsen den Sitz so vieler erhabenen Gedanken, sein Haupt zerschmettert.
Zur Hebung der sich bald wiederfindenden froheren Stimmung kam am Tage nach des Junkers Ankunft auch ein Brief von Grumbach aus Würzburg. Grumbachs Ton war so leicht, so zuversichterweckend, daß Ottheinrich nicht überrascht sein konnte, über seine Kündigung, über sein Predigen und Lehren nichts Schlimmes zu vernehmen. Dann folgte sogar ein Wort, das ihn beschämen mußte. »Dem Stauffer saget doch, daß ihm unser Amtmann zu Mainberg noch auf mein Geheiß fünfzig Gulden zu zahlen habe! Ich danke ihm für seine Dienste. Daß er den Rektor Lindemann vorjährig zeitig aus dem Nest gejagt hat, war nach meinem Wunsch. Oder wird doch der Herr Sekretari nicht geglaubt haben, daß ihm mein Knecht, Peter Nothhaft, die Meldung von unserem Fürhaben gegen mein Geheiß gegeben –? Meine Manen hab' ich mir zuverlässig erzogen. War just mein Wille, daß alles so gekommen und dem Meister zu Schweinfurt nichts geschah. Der sitzt jetzt wohlgemut zu Zwickau in Sachsen als dortiger Pfarrherr. Lasset aber solches drum unter uns bleiben –!«
Das war freilich eine heitere Überraschung. Aber nicht ganz im Einklang mit diesem Briefe war Christoph Kretzers persönliches Erscheinen und die Art seines Auftretens. Er war schroff und fast feindselig.
Kretzer kam vom Hofe Albrechts. Dort hatte er Hessel von Grumbach wiedergesehen. Auch Karl und Sixt waren zur Hochzeit ihres Bruders mit der Seckendorfferin und zur Vermählung ihrer Schwester Maria mit Onuphrius Schwarzenberg eingetroffen. Da war es hoch hergegangen, Gasterei auf Gasterei gefolgt. Wilhelm von Grumbach hatte seine Töchter mitgebracht. Auch seine Tochter Sophia war verlobt – und zwar erschreckend genug für Argula – mit Karl, Hessel Grumbachs Bruder.
Über die Lehnsfrage, die sich infolge dieser Nachricht bedenklich verdüsterte, war Kretzer unterrichtet wie ein Rechtsgelehrter. Er reizte sogleich das aufbrausende Temperament des jungen Hans Georg durch Widersprüche, die er dessen Behauptungen entgegenstellte, und nahm einige geistliche Mitglieder der Estenfeld-Grumbachschen Linie in Schutz, die sich von je gegen Argula ablehnend verhalten hatten.
Das Roß des jungen Grumbach, mit welchem er die weite Reise gemacht hatte, war untauglich geworden. Kretzer sollte ein neues stellen und überhaupt für ein würdiges Einreiten des Junkers in Würzburg Sorge tragen. Uretzer versprach ein Roß aus Schwarzach zu schicken, wohin er sich zur rechten Zeit begeben hatte, denn der junge Grumbach äußerte sich, er ertrüge den Hohn und die Anmaßung eines solchen Knechtes, der den Herrn spielen wollte, nicht länger.
Kretzer hatte zwischen Mainberg und Dettelbach unablässig hin- und herzureiten. Dieser ganze Gau schien seiner Obhut anvertraut. Überall gab es locker und lose gewordene Verhältnisse neu zu befestigen.
Auch die kirchlichen Verhältnisse griff Kretzer an. Die Wallfahrt nach Dettelbach wurde befördert. Dicht in Argulas Nähe befand sich ebenfalls ein heiliger Berg, der seit Jahrhunderten von Wallfahrern aufgesucht wurde, bei Volkach der Kirchberg. In mäßiger Erhebung, rings von Weingärten umschlossen, liegt daselbst eine uralte, früher von Beguinen umwohnte Kirche. Es lag etwas Fesselndes in dem Patronat dieses Kirchleins, das den heiligen Frauen Maria Magdalena, Katharina, Barbara, Walpurgis, Elisabeth und Cäcilia gewidmet war, besonders aber dem christlichen Fischergott, Sankt Bartholomäus, kurz, die Wallfahrten zum Kirchberg bei Volkach hatten immer noch nicht aufgehört. Hans Zeys hieß der dort oben mit einem Kirchner wohnende Vikar, dem aus dem reichen Seckel des Kirchleins soeben ein ganz neu Haus gebaut worden war. Von der Hand des Künstlers Tylmann Riemenschneider hing im Schiff des Gotteshauses auf diesem Kirchberg ein in der Tat gar liebliches Werk, eine Maria in voller Lebensgröße, mit dem Kind auf der Mondsichel stehend, umgeben von Engeln. Das Ganze, aus Holz geschnitten, wird von einem mächtigen Kranz aus roten und weißen Rosen eingeschlossen.
Mit den Fortschritten der Reformation, mit der größeren Vergeistigung des Gottgedankens hatte die Abneigung gegen Bilderschmuck und Sinnenreiz im Kultus zugenommen. Aber unvorsichtig genug war es darum doch von Ottheinrich, daß er seine Reden zuweilen gegen diesen Wallfahrtsberg und den Marienkranz oben gerichtet hatte. Argula verdammte alle Wallfahrten überhaupt und hatte oft schon auf offener Straße dagegen gesprochen, wenn sie Wallfahrern begegnete. Nichtsdestoweniger verweilten sie und ihr Schützling gern an dem Platz, wo das liebliche Kunstwerk hing. Denn der Blick auf die gesegneten Fluren des Mains war gerade von hier aus wahrhaft erhebend. Man stand mitten wie in einem wogenden Meer von grünem Weinlaub; von Duft und Dämmer waren alle Fernsichten umsponnen. Zu seinen Füßen hatte man die Windungen des Mains, der hier aufblitzte, dort wieder verschwand. Die Vogelsburg, die Hallburg oben auf den Bergen, unten Volkachs alte Kirche, die Karthause von Astheim – alles das gewährte dem Auge die freundlichsten Ruhepunkte.
Auch Johann Georg, Argulas Sohn, nahm eines Tages an einem solchen Ausflug auf die Höhe des Kirchberges teil und betrachtete die Gegend mit wahrem Entzücken. Auch das schöne bunte Kunstwerk in der Kirche fesselte ihn zu um so größerer Rührung, als dabei sein Blick auf seine Mutter fallen mußte, die mit Wehmut, von den Freuden Mariä sprechend, gesagt hatte:
»Ich habe die Rosen an dem Kranz gezählt! Der weißen fand ich mehr als der roten!«
Kaum hatte eine Anzahl Wallfahrer, die in dem Kirchlein gekniet hatten, auf die Gespräche Gehör zu geben angefangen, die sich vor dem Eingang zwischen Ottheinrich und einigen Bürgern aus Volkach, die das neue Pfarrhaus zu sehen gekommen waren, entspannen, als man einen Karren erblickte, der mit Gepäck beladen und von einem Reiter begleitet langsam den Berg herauffuhr. Unter dem Dach des Fuhrwerks saß der Vikar Hans Zeys, der hier von jetzt ab auf dem Kirchberg wohnen sollte.
Ottheinrich wies auf den Reiter, den man deutlich als den Führer des Zuges erkannte. Es war Christoph Kretzer. Demnach schien es, als sollte der Bewohner des neuen Pfarrhauses förmlich mit obrigkeitlichem Schutz auf den Berg geleitet werden. Kretzer stieg vom Pferd und kam mit einigen bewaffneten Fußknechten näher.
»Hebt euch von hinnen!« rief Kretzer Ottheinrich mit rauher rücksichtsloser Stimme entgegen. »Wollt ihr hier etwa lehren, daß die Bauern das herrliche neue Bild drinnen zerstören? Widersprecht mir nur nicht! Oder ich habe Vollmacht, euch hier auf der Stelle zu verstricken!«
Ottheinrich war von diesem rauhen Gruß nicht überrascht.
Georg aber rief: »Verstricken?« und legte zu Ottheinrichs Schutz die Hand an sein Schwert.
»Weichet zurück, Junker!« fuhr Kretzer fort. »Ich diene dem Stift und soll dem Unwesen steuern, das eure Mutter über diese Lande bringt –! Saget denen Fuchsen, daß schon ein Mandat unterwegs sei, daß sie in ihre Pfarre einen ausgeweihten Priester nehmen müssen, der jede Stunde kommen kann –!«
»Dieser Jüngling hat die Weihe des Geistes –!« rief Argula und legte die Hand auf Ottheinrichs Schulter, während dieser bemüht war, die Aufregung des jungen Grumbach zu beschwichtigen.
»Von den Fuchsen allein stammt das Patronat unserer Kirche nicht,« fuhr Hans Georg fort, dessen Gesicht kreideweiß geworden war. »Das Herkommen läßt auch uns mitsprechen und jeder Ritter darf sprechen, wo gezehntet werden soll!«
»Euch zehntet der Teufel –!« rief hohnlachend der trotzige Bote des bischöflichen Regiments. »Habt ihr ein Gut in Bayern, so lasset da predigen und Abendmahl reichen, wie ihr wollt. Hier wüßte ich nicht, wo ihr ein Kirchenherrnrecht erworben hättet –!«
Argula hielt den Sohn zurück, der bei der Anspielung auf seine Lehnhofsfrage aufloderte. Kretzer hielt sich jetzt dem Wagen zugewendet, der endlich nachgekommen war. Hans Zeys, im weißen Chorrock, ein Kruzifix in der Hand, stieg aus.
Aus der Kirche kam der Meßner hinzu. Einige mächtige Hunde, die hier den einsamen Bewohnern als Schutz dienen mußten, rissen wild bellend an der Kette, die sie fesselte.
Ein Bürger sagte – zwar nicht laut, aber doch so, daß es Kretzer hören konnte –:
»Die Köchin zieht wohl erst in der Nacht zu –!«
Zornig und an seiner empfindlichsten Stelle getroffen, wandte sich Kretzer gegen diesen Mann und sprach: »Euch gefallen wohl nur die Prädikanten im Handwerkskittel? Priester von Pechdrahts Gnaden! Ich kenne einen, der erst den Hobel geführt, ein Schreinerbub' in Bamberg gewesen, dann seinem Vater aus der Lehre lief, nach Nürnberg und Augsburg, ist dann ein Schulmeister worden und will nun Kirche halten und gar die Sakramente spenden!«
Hans Georg, der Ottheinrichs Leben kannte, mußte von der Mutter zurückgehalten werden.
»Kretzer!« sagte diese, »alle, die Christus der Herr erkauft hat dem Vater, sind Priester und die Heiligen Gottes!« Kretzer lachte laut auf.
Würdevoll vortretend und sich gleichsam für alle anderen, die anwesend waren und verletzt wurden, mutig der Roheit des Schergen preisgebend, sprach Ottheinrich mit begeisterter Stimme:
»Mann, wenn du ein Weib hättest und Vater eines Kindes würdest und das stürbe dir unter den Händen, weil es vielleicht zu ohnkräftig oder zu stark zum Leben, so hat dir Gott der Herr die Macht verliehen, daß du selbst deine Hand in ein Gefäß tauchest, dein Credo sprichst und das Kind im Namen des dreieinigen Gottes taufst –! Da bist auch du ein Priester –! Und in solcher Art ist die ganze Welt jetzt ein neugeboren Kind! Vielleicht ist's zu schwach, vielleicht zu stark um zu leben! Da sorgt sie nun selbst dafür, daß sie wenigstens die Kennzeichen christlicher Gemeinschaft trage. Das ist unser Bischofamt! Der Notschrei der Seele kann jeden, jeden, hörst du, jeden zum Bischof machen!«
War es diese Gleichstellung eines Mannes so geringer Herkunft mit dem Landesherrn, war es die erneute Erinnerung an die empfindliche Stelle des Verlobten der Katharina Werlerin, Christoph Kretzer wandte sich zu seinen Begleitern und rief:
»Ihr hört's! Er ist ein Wiedertäufer!«
Diese furchtbare Anschuldigung Ottheinrichs konnte den Tod bringen. Argula erblaßte. Ihr Sohn riß Ottheinrich hinweg.
»Oder,« schrie Kretzer hohnlachend hinter dem Junker her, »aus ihm spricht der Mut der adligen Buhlschaft –!«
Sein Augenzwinkern traf Argula.
Auf dies Wort fuhr jetzt wie der Blitz des jungen Grumbachs Schwert aus der Scheide. Der freche Knecht hatte die Ehre seiner Mutter angetastet. Aber auch ebenso rasch hatte Kretzer gezogen und von innerer Wut entbrannt einen Streich geführt, den niemand hindern konnte, ob sich auch Ottheinrich und Argula zwischen die Gegner warfen, von denen Johann Georg noch nicht einmal ausgeholt hatte, als er schon getroffen war. Noch stand er eine Weile aufrecht, der rechte Arm sank ihm aber schon wie erlahmt, vom Halse quoll ein mächtiger Blutstrom. Blasser und blasser wurde der unglückliche Jüngling. Er sank ... ein kurzer Krampf – er starb in den Armen seiner Mutter.
Dazu schmetterte der Fink im grünen Holz – und sandte die Sonne ihre goldensten Strahlen auf eine paradiesische Gegend – und leuchtete durch die geöffnete Kapellentür der bunte Kranz mit den Freuden Mariä –
Der Mörder hatte sich schnell auf sein Roß geschwungen und lenkte auf Gaibach zu. Mit ihm gingen zwei seiner bewaffneten Genossen. Andere Knechte, die den Wagen abluden, blieben noch zurück.
Hilfe, die reichlich gespendet wurde, blieb ohne Erfolg. Die starken Schultern der Wallfahrer trugen den Berg hinunter eine Leiche.
Als sich in den Strom der allgemeinen Teilnahme für ein so verhängnisvolles Mutterleid das Entsetzen des ganzen Ortes, in dem Argula wohnte, der Schrecken der vom Gebirge heruntergerufenen Fuchsschen Familie, die Tränen der weiblichen Mitglieder derselben, nachbarliches Beileid von allen Seiten gemischt hatte, glaubte die Mutter ihr Lebensweh nicht länger ertragen zu können.
Nach dem überallhin verbreiteten Worte Kretzers über Ottheinrichs Verhältnis zur Mutter des unglücklichen jungen Mannes, der für die Ehre seiner Mutter gestorben war, konnte Ottheinrich nicht mehr länger in ihrer Nähe bleiben.
Nach dem Begräbnis traf jetzt in trübster Stunde ein Brief aus Hohenschwangau ein. Im Ton jugendlichsten Übermuts, der im schmerzlichen Kontrast zu dem eben Erlebten stand, schrieb David, der teure Freund sollte doch unverzüglich kommen und den Jubel im Allgäuer Land, die Lust und Herrlichkeit am blaugrünen »Alpsee« mehren helfen... Vittoria bäte, wie er, sein Vater, seine Brüder, Johannes und alle – – – –
Da verlangte Argula mit Entschiedenheit, daß Ottheinrich dem Rufe folgte und jene Summe zur Reise verwendete, die ihm in der Tat vor kurzem der neue Amtmann von Mainberg, Karl von Redwitz, in Grumbachs Namen übersandt hatte.
»Das Schwere, das ich nun noch auszukämpfen habe, will ich allein tragen!« sagte sie, als sie vom Friedhof niederstieg, wo Sutellius, der neue Pfarrer von Sankt-Johannes zu Schweinfurt, die Trauerrede gehalten und die mit tausend Blumen geschmückte Leiche gesegnet hatte.
Obwohl des Trostes und Beistandes jetzt bedürftiger denn je, fand Argula nicht eher Ruhe, bis Ottheinrich von ihr Abschied genommen hatte und auf dem Wege nach Augsburg und Hohenschwangau war.