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Der Kaiser war in Regensburg zeitiger als alle erschienen. Er kam schon im Februar zum Reichstag. Eine Versammlung war es, geistlich und weltlich, wie solche Deutschland nicht wiedergesehen hat. In denselben Kammern des menschlichen Hirns, wo eine spätere Zeit die Fragen um Volksrechte, Nationaleinheit, Bundesreform usw. abdrückte und die Begeisterung darüber bis zum Fanatismus steigern konnte, ruhten damals die Begriffe von der Natur des Menschen, der Erbsünde, göttlichen Gnade, Rechtfertigung, Erlösung, Bibeldeutung, Tradition und Kirche.
Nach dem Kaiser, dem Braunschweiger und dem Pfalzgrafen kamen die Bayernherzoge und ihr Neffe, Ulrichs, ihres Schwagers, Sohn, der junge Christoph von Württemberg, ein durch Leiden erzogener, gar hoffnungsvoller Jüngling.
Georg von Brandenburg war ebenfalls erschienen, gar gebeugt durch die Anwesenheit des jungen Albrecht, der sich ganz ungebunden gehen ließ. Man hatte sogar Georg einzuladen vergessen, worüber er außer sich geraten war. Sein Schwiegervater, dritter Ehe, Herzog Heinrich von Sachsen, war ebenfalls anwesend. Sein Schwager Moritz, dessen Sohn, freite um die Tochter Philipps von Hessen. Der Kurfürst von Sachsen Johann Friedrich hatte statt seiner nur den Herzog von Anhalt und einige Räte geschickt. Luther urteilte über den Ausgang des Religionsgesprächs wie Calvin und hielt sich zurück. Philipp von Hessen kam jedoch hoffnungsvoll. Der hatte seine bekannte Bigamie auf dem Gewissen und zeigte mehr denn je die ungleichen Stimmungen seines Charakters. Menschen, die in äußersten Lebenskrisen nicht die stärksten sind, suchen diesen ihren geheimen Schaden, den sie manchmal erkennen, nach außen hin zu verbergen. Der Landgraf rasselte mit dreihundert Reitern in Regensburg ein. Die mächtige Wehr drückte seine Stellung im Reich aus, seinen glänzenden Sieg bei Laufen, seine Führerschaft des Schmalkaldischen Bundes, seinen Entschluß, bald mit Heinrich von Braunschweig die Schwertprobe zu wagen.
Grumbach erschien als Marschall des Hochstiftes Würzburg und zugleich als Rat der beiden Markgrafen von Brandenburg. Letztere hatten eine Heeresfolge von einhundertneunundachtzig Mann –! Sie kamen, wie die Chronisten der Nürnberger, bei denen sie durchzogen, berichten, grün und »aufs säuberst und gut altfränkisch« angezogen. Die Herren trugen Samt. Auf den Ärmeln ihrer Kleider waren die Worte gestickt: »Verbum divinum manet in aeternum.«
Grumbach diente »zween Herren«. Auch ihn begleitete sein gewohnter Freundeskreis. Von den westfriesischen Grumbachern war im Gefolge der Sachsen Hessel von Grumbach gekommen, ein stattlicher, schöner Mann, kriegerisch unbändigen und sittlich rohen Sinns. Gleich und gleich gesellt sich gern. Hessel schloß sich aufs engste dem jungen Prinzen Albrecht an.
Eine Standschaft des Reichs kam auf der Straße von Landshut her mit beinahe fürstlichem Gepränge. Es waren drei mächtige Wagen voll Gerätschaften, Kleider, Waffen, Lebensmittel, soweit solche eine längere Zeit aufbewahrt werden konnten. Voran ritt ein Marschall mit einem bunten Fahnenwimpel. Hinter ihm her kam im Harnisch mit Helm und Visier ein Ritter auf einem kräftigen, ruhig schreitenden Schimmel. Neben ihm ritten zwei Jünglinge auf mutigeren Schecken. Hinter ihnen und zuletzt auch noch hinter den schweren mit Bändern, Fahnen, Schellen geschmückten Lastwagen ritten etwa zwei Dutzend wohlausgestatteter Reiter. Alle hatten vorn auf der Brust und hinten am Rücken das Bild des Schwanen.
Es waren die Paumgartner von Hohenschwangau.
Die Wagen blieben vor dem Peterstor zurück, wo die Reisigen des Reichsquartiermeisters für deren einstweilige Sicherheit sorgten. Dieser kaiserliche Beamte, der die Quartierzettel schrieb, hatte, wie die Regensburger Chronik erzählt, seine Ankunft in Regensburg sogleich mit dem Abreißen aller Zettel begonnen, die der Rat gewagt, ohne seine Zustimmung an die Häuser zur Bezeichnung der bestellten Quartiere heften zu lassen. Am Tage darauf hatte er sie freilich alle wiederum anheften lassen, wie er sie gefunden, aber die Gerechtsame eines kaiserlichen Reichstagsfouriers und Losamentmeisters mußten gewahrt werden. Drinnen in der Stadt fand sich schon für die angekommene Herrschaft eine Herberge, nahe am Bischofshof, bestellt. Die dreißig Mann starke Gesellschaft ritt über die »Haid« am Hofe des Kaisers vorüber.
Über den kleinen wohlbeleibten Ritter auf dem Schimmel lachte der Kaiser keineswegs, als er dessen Namen und die seiner Begleiter erfuhr: Herr Rat und Doktor juris Hans Paumgartner von Paumgarten und Erbach. Freiherr von und zu Hohenschwangau mit seinen Söhnen David und Hans Georg –! Auf diesem Reichstage sollte ihnen die feierliche Belehnung und Bestätigung ihrer »dem Rat Haller von Hallerstein abgekauften« Würde zuteil werden.
Noch war das Gewühl so groß, daß in der Masse die einzelnen Erscheinungen, selbst mancher Fürst und Bischof, verloren gingen.
Grumbach und sein Briefdichter Ottheinrich Stauff wohnten auf Argulas Veranlassung im Staufferhause zum grünen Kranz, dem Obermünster und der Kapelle des heiligen Dionysius gegenüber. Sie hatten eine Reihe wohnlicher Zimmer mit einem bequemen Ausgang in den Hof. Der lebhafte bei dem würzburgischen Marschall aus- und eingehende Verkehr behinderte die Ruhe der übrigen Mitbewohnerschaft des Hauses nicht. Am Ende des Hofes lag die Hauskapelle, wo Argulas Brüder, beide leider kränkelnd, protestantisch predigen ließen.
Grumbach diktierte eines Morgens – es war eine Woche nach Ostern – in Stiftsangelegenheiten Briefe nach Würzburg. Ermüdet unterbrach er sich und sprach: »Wisset ihr denn schon, daß letztlich auch euer weiland Prinzipal eingeritten ist, der neue Herr von Schwangau?«
Die Feder entglitt Ottheinrich. Er wußte, daß der kaiserliche Rat kommen würde. Dennoch ließ ihn die Erfüllung seiner lebhaften Spannung des Tintenfasses vergessen. Ein mächtiger Klecks verdarb das eben geschriebene Konzept. Beide erblaßten über das Omen.
Der Ritter ließ seinem Sekretär Zeit, den Schaden wiederherzustellen.
»Das ist ein behender Herr!« fuhr Grumbach nach einer Weile fort. »Man möchte glauben, er wollte den Granvella und den Navius zugleich aus dem Sattel heben! Klügere Äuglein hab' ich noch nicht gesehen, außer bei Ratten! Oder wie die Irrwische nachts an unserm Pleichbach. Das geht hin und her. Aber seine neubackenen Junker sollen sich hüten, hier nicht auf andere Art zu Rittern geschlagen zu werden, als sie von Kaisers Hand erhoffen –! Mein langer Vetter Hessel ist nach Taten verlänglich, die ihm ein Aufsehen geben.«
»Hatten sie etwas mit dem?« fragte Ottheinrich, seines fürwitzigen kleinen Davids und des beängstigenden Eindrucks gedenkend, den ihm bereits in Rücksicht auf Argulas Söhne Hessel von Grumbach gemacht hatte.
»Sie kamen ihm beim Augsburger Bischof in die Quere, wo Hessel nach einem Dienst verlangte!« erzählte Grumbach. »Freilich lacht der ganze Reichstag über die Mundart, in der mein Vetter spricht. Nur noch einer hat sie possierlicher, der Kaiser selbst. Aber die jungen Schelme fragten Hessel, ob dies die Sprache wäre, so die holländischen Heringe verstünden! Die gesalzenen! antwortete Hessel und griff an seinen Degen. Zum Glück kam der Bischof und die jungen Ritter verzogen sich.«
Die Vorstellung, wie sich sein kleiner David so entwickelt haben und sich dermaßen an gewaltige Haudegen wagen konnte, nahm Ottheinrich in solchem Grade gefangen, daß er dem wieder aufgenommenen Vortrag des Marschalls nur mit Anstrengung folgen konnte.
Die Unentschlossenheit, in der sich Ottheinrich bei dem Gedanken befand: Sollst du dich den Undankbaren, die dich einst so schimpflich aus ihrem Augsburger Kreise entfernten, wieder nähern –! brauchte nicht lange mit sich zu kämpfen. Als er einige Stunden nach Grumbachs Mitteilung im Begriff war, die Brücke zu betreten, die in die Vorstadt »Stadt am Hof« führte, wo eine Anzahl Reichstagsgäste in einer kleineren Herberge speisten, wurde er unter dem Turmtor aus der Brücke, von dem die Henker die Kindesmörderinnen, in Säcke gebunden, in die Donau zu werfen pflegten, von zwei jungen Edelleuten beinahe überrannt, von denen ihn der eine, plötzlich stillstehend und ihm dicht unter die Augen tretend, anrief:
»Ja, ist es denn zu glauben oder nicht –? Ihr seid – das Ottheinerle, Herr, oder ich verkenne mich selbst –!«
Während noch Ottheinrich auf den jungen Sprecher mit der wallenden Reiherfeder am Barett starr seinen Blick gerichtet hielt, rief dieser seinem Begleiter, der weitergegangen war, nach:
»Hansjörg! Ei, so schau doch! Das ist ja – oder ihr müßtet denn einen Bruder haben, den sogar eure Mutter mit euch selbst verwechseln könnte –!«
»Die Junker sind –?« fragte Ottheinrich mit ungewisser Stimme –
»Die Paumgartner –!« fiel David ein und setzte Ottheinrich umarmend und zum Bruder gewendet hinzu: »Du, das ist der Stauffer, weißt, der mich nach Padua gebracht hat! Ei, wie ist euer Bart gewachsen! Ach, hätt' ich nur schon die Hälfte davon –!«
»Die Junker von Schwangau!« sagte Ottheinrich und erhielt von Johann Georg ebenfalls freundlichst die Rechte geboten.
Beide Brüder ähnelten sich. Sie hatten Antonis Art, waren klein, dick, rund; ihre Gesichtsfarbe war die frischeste. Das Haar hing ihnen lockig über die breiten stämmigen Schultern. Sie trugen buntfarbige, gezackte Barette mit wallenden, grünen, weißen und roten Federn. Ihre Kleider waren von Samt, in den Öffnungen mit Atlas ausgelegt. Im Gürtel, der mit silbernen Buckeln und Spangen besetzt war, blitzten Dolche. Ihre Schwerter waren fast länger als drei Vierteile ihres Körpers.
Ein allerliebst neckisches Lachen begleitete alles, was David sprach. Beide Brüder waren so teilnehmend, so über die Begegnung erfreut, daß sie entweder die Ursache der Trennung Ottheinrichs von ihrem väterlichen Hause nicht kannten oder sie vergessen hatten.
»Wohin wollt ihr denn? Zum Mittag schon? Ei, nun speiset ihr doch mit uns! Nein, was wird der Vater für eine Freude haben! Er redet allwegs einmal von euch! Doch, doch! Ihr kommt mit! Und so wie ihr seid! Macht keinen Umstand! An unserm Tische werden noch einige mehr satt als ihr! Der Stauffer – nein, der Stauffer!«
Das war denn in der Tat die wohltuende Sprache unverstellter Freude, der Mitteilsamkeit und einer Hingebung aus der Fülle des Glücks –
Ottheinrich wußte nicht, wie ihm geschah. Beide hängten sich in seine Arme und zogen ihn fort.
»Zum Bischofshof –! Neben den bayerischen Löwen – da haben wir leidliche Herberge – besser als in Padua, haha! Wißt ihr noch? Nein, was wird der Vater sagen –! Er hätte euch die Jahre hindurch zehnmal schon wieder gern zu uns zurückgehabt –! Wußten nur nicht, wo ihr hinkommen wart –! Ihr sollt uns aber erzählen –!«
»Sollten denn die Junker nicht wissen,« sprach Ottheinrich, der sich kaum zu fassen vermochte, »daß ich vor nunmehr etwa fünf Jahren von eurem Herrn Vater unsänftiglich aus seinen Diensten entlassen – ja ich kann wohl sagen, mit Schimpf hinweggestäupt worden bin?«
»O – o –!« riefen beide abwehrend.
»Von Antoni entsinn' ich mich allerdings –« fuhr: David fort und stockte –
»Antoni ist in Venedig –« fiel Johann Georg wie zur Beruhigung ein.
»Ich bin entlassen worden,« fuhr Ottheinrich fort, »um vieler Ursachen willen. Nicht aber, daß ich zugeben könnte, um eine, die einen lautern Grund gehabt hätte –!«
»Lasset das doch jetzt!« fielen die Brüder ein. »wir sind hier in Regensburg –! Heissa!« trällerte David. »Das ist die Donau – schüttet's hinein –!«
Er lachte dabei überlaut, ließ den Arm Ottheinrichs frei und sah sich im Gedränge der Menschen, die unterm Brückentor hinweggingen, nach jedem um, der einigermaßen besser gekleidet war, vornehmlich nach jeder schönen Jungmagd oder Bürgerstochter. Allen lachte und nickte er zu.
Johann Georg, der etwas ruhigeren Charakter hatte, gab die Versicherung, daß auch er seit seiner Rückkehr aus Frankreich und Italien (nach Bourges hatte er noch in Padua seine Rechtsstudien fortgesetzt) im väterlichen Hause über Ottheinrich nur das Löblichste vernommen hätte. Er wüßte allerdings, daß die damalige Zeit dem Vater vielen Ärger gebracht hätte. Oft hätte ihm die selige Großmutter davon erzählt ...
»Die selige –?« unterbrach Ottheinrich.
»Isch recht!« fiel David, dem Gespräch sich wieder zuwendend, ein. »Ja, isch recht –! hat sie noch auf dem Sterbebette gesagt, als sie schon die heilige Zehrung bekommen! Rupilius Pompilius bracht' es auf ihrer Grabschrift mit bene est! an. Das war sein letztes Epitaphium –«
»Auch der Magister lebt nicht mehr –?«
»Requiescat in pace!« fuhr David fort. »Aber Beichling lebt, der euer besonderer Freund gewesen sein soll! An eurer Statt bekam er den Sitz an der Kassa. Doch kurz zuvor, ehe unser Haus liquidierte – ihr wisset doch, daß wir keinen Pfeffer mehr feilhaben –? suchte er uns die Rechnung zu erleichtern und machte einige Zahlungen mit Wachs an den Händen. Ist hierauf entwichen und irgendwo verkommen oder ein großer Mann worden. Alciat sagte immer: Mit Stehlen kommen die einen zu hohen Reichtümern, die andern an den Galgen! Und richtig, euer Cyriax, Cyriax Mäusle, der läßt jedes Jahr taufen, lästert aber arg über euch, so oft ihr nur gelobt werdet. Denn ihr seid ihm den Einschuß auf sein Hochzeitkleid noch schuldig –« Ottheinrich mußte lachen.
»Er hätt's im Reich ausrufen lassen sollen!« sagte er. »Warum schrieb er mir nicht! Das Appele von damals ist doch sein Weib?«
»Unsere Schmarollensiederin vom Rialto!« rief David so laut, daß die Leute den drei jungen Männern nachschauten. »Ei, das Appele ist dick worden,« fuhr er fort, »wie ihre Tonnen! Denn wisset: Cyriax ist ein gesalzener Fischhändler worden. Ratio: Er meinte, das sei das beste Geschäft. Denn käme die Pest, so müßte sämtliche Ware, so auf dem Lager, von Rats wegen gekauft und bezahlt werden.«
Ottheinrich verstand diese Äußerung aus dem damaligen Leben vollkommen. Man hatte die Gewohnheit, wenn die Pest ausbrach (und sie suchte unablässig die Menschheit heim), alle in einem Orte lagernden Heringe zu verbrennen. Entweder sollte mit ihrem Phosphorgehalt die Luft gereinigt werden oder die alt gewordenen Heringe verbreiteten Gerüche, die für eine Anziehung der Pest gehalten wurden.
Bei den »gesalzenen Heringen« kam die zufällige Begegnung des Ritters Hessel von Grumbach keineswegs wie gerufen. Doch schien keine Feindschaft mehr zwischen dem langen Hünen und den kleinen Junkern obzuwalten. Sie schüttelten sich vertraulichst die Hände, besprachen ein Zusammensein am Abend – später erfuhr Ottheinrich vom Marschall, daß die Aussöhnung auf Grund einer Anleihe Hessels stattgefunden hatte, die dieser bei den vollauf gespickten Börsen der Junker gemacht.
»Daß auch Regina, die uns damals die guten Schmarollen backen ließ,« fuhr David, als Hessel gegangen war, zerstreuter fort, »nicht mehr am Leben ist –«
»Das weiß ich!« fiel Ottheinrich ein und setzte mit zagendem Mut hinzu: »Und euer Bruder, der königliche Rat –?«
Die Brüder hörten die Frage und schienen sie beantworten zu wollen, doch fesselte sie etwas am Rathaus. Vielleicht die Menschenmasse, die noch trotzdem, daß es von allen Kirchen Mittag läutete, das mächtige kastellartige Gebäude umstand. Reisige sprengten hin und her, Trabanten schritten mit Hellebarden unterm Eingangstor auf und ab. Herolde in buntfarbigen Wappenröcken, Trompeten in der Hand, standen auf der Außentreppe des teilweise mit kunstvoll durchbrochener Steinarbeit geschmückten Gebäudes.
»Ein Edikt –? Eine Ladung –« Eine Achterklärung –?« So forschten die Brüder.
Doch war's nur der gewohnte Verkehr der hier tagenden Fürstenversammlung, die eben noch im vollen Zuge zu sein schien und heute eine Sitzung mit dem Kaiser zugleich hatte. Es hieß im Volk, die Nachrichten aus der Türkei lauteten immer drohender.
David ließ sich nichts anfechten. Im Gegenteil, er schien eine Schelmerei im Schilde zu führen, als er auf ein zur Seite liegendes kleineres Gebäude deutete, das nur von Brettern errichtet, mit darüber ausgeschlagener roter, weißer und gelber Leinwand, mit Fahnen und Tannenkränzen in einen Zusammenhang mit dem festlich geschmückten Rathause gebracht war.
»Sehet dort!« sprach jetzt David. »Wenn ihr unserm Hans eine Freude machen wollt, so sagt da drinnen zu jemand: »Lasset uns zusammen nach Hohenschwangau ziehen!« Gelt, Hansjörg? Brächten wir auch noch den Stauffer mit, so bekämen wir einen neuen Marderpelz zu Weihnachten und hießen bei Hans einmal zur Abwechslung Paduaner statt Pavianer –«
Johann Georg hatte sich an den dunkeln Winkel begeben, wo sich wahrscheinlich der Eingang in die Hütte befand. Dieser war in solchem Grade mit Kalk, Gips und Marmelsteinabfall bezeichnet, daß für Ottheinrich eine Bauhütte erkennbar wurde.
»Sie machen eben Mittag!« sagte David mit Pfiffigkeit, als weidete er sich an Ottheinrichs Spannung und bald ausbrechender Überraschung. »Drinnen ist jetzt niemand! Ja,« fuhr er fort, den Arm Ottheinrichs ergreifend, »kämet ihr mit uns nach Hohenschwangau und mit dem Jemand hier zugleich – es würde dem Hans auf die letzt das beste Labsal sein – Denn ich besinne mich jetzt auf das, was damals erzählt wurde! Ihr staunt –? Habt ihr denn wirklich hier keine Kunde von der Italienerin – ?«
»Von – Vittoria Ferrabosco?« unterbrach Ottheinrich diese abwechselnd, bald mit Trauer, bald mit Heiterkeit betonten Worte Davids, denen er die bevorstehende Auflösung ihres Bruders entnehmen konnte.
»Habt ihr noch nicht gewußt,« fuhr Johann Georg fort, »daß in dem Kasten hier schon seit einem Jahr die Dame haust, die, wie ich höre, euch und dem Johannes die Köpfe verrückte und seine Hochzeit mit unserer Schwäherin, der Stadion, so schwer gemacht hat –?«
Nun erfuhr Ottheinrich, daß in dieser Hütte, an der er schon oft ahnungslos vorübergegangen war, Vittoria Ferrabosco mit ihrem jüngsten Bruder Jeronimo arbeitete, während Pietro, ihr ältester Bruder, mit Luzio die Spari und ihren sämtlichen Landsleuten bereits seit drei Jahren ihre Hütten am schönen Alpsee, am Fuß des Schwanensteins aufgeschlagen hatten, um dem neuen Freiherrn von Hohenschwangau das Muster eines Schlosses zu bauen.
»Der Jüngste ist hier bei der Schwester geblieben, wo beide für den Rat der Stadt arbeiten!« sagte David. »Ihr solltet die Justitia sehen – die blinde Göttin mit der Wage in der Hand, die sie auf die Hoffnung der Regensburger macht, das Reichskammergericht werde von Speyer wegkommen und einmal zur Abwechslung wieder hier hausen –!«
Ottheinrich war von Vittorias Anwesenheit aufs wohltuendste überrascht.
»Aus eurer hochseltsamen Meldung,« sagte er, »entnehme ich mit Betrübnis, daß euer Bruder noch immer leidig krank ist –«
Die Brüder schwiegen eine Weile und sahen einander an. Dann sprachen sie von Hohenschwangaus guter Luft und blieben dabei, daß sowohl Vittoria wie Ottheinrich mit ihnen reisen, den Bruder und die Schwägerin, vor allen den Vater erfreuen sollten, den sie als den aufrichtigsten Gönner seines ehemaligen Dieners schilderten.
»Das wisset ihr doch,« sprach Johann Georg, »wie wenig unser Vater den Menschen gewöhnlichen Schlages gleicht. Sein Tun und Lassen muß man nicht nach dem beurteilen, was uns daran sofort wohl oder wehe tut. Er sagt öfters: Wir sind meistens ungerecht, wenn wir von einem andern dasjenige Feindschaft nennen, was eher eine jedem Menschen erlaubte Notwehr heißen sollte! Ihr hattet unsern Ohm Fugger verletzt! In seinem Hause die Königin Maria angeredet! Wisset, daß hier in dieser Stadt vor neun Jahren einem Bauer, der dem Kaiser, als er in den Dom zur Messe ging, zuschrie, er sollte vom Papst ablassen, der Kopf abgeschlagen wurde! In Spanien ist der des Todes, der die Königin auch nur mit einem Finger anrührt. Sollte euch der Vater einem Strafgericht preisgeben? Es war eine milde Strenge, eine liebevolle Züchtigung, die ihr von ihm erfahren habt. Und ich wollte wohl, euch wäre sein Wort vernehmlich worden, das er noch jüngst zu uns, zu Johannes und zu Anna gesprochen. Wir haben in Winterabenden (denn wisset, wir wohnen selbst im Winter nicht mehr in Augsburg, dieser Pöbelstadt, wo ein Kürschner König worden ist –!) zu Füssen auf dem Schloß, wo uns der Bischof seine besten Säle und Kemenaten eingeräumt hat, bis unsere neue Burg auf dem Schwanenstein fertig ist, ein Rechtsbuch für unsere Untertanen zusammengetragen. All' unsere Weisheit von Avignon, Bourges und Padua, auch die Weistümer der alten deutschen Väter haben wir in eins gegossen und ein Buch gemacht, wonach unser Richter in Waltenhofen Recht sprechen soll. Wenn uns das hier jetzt jemand auf sauber Pergament zierlich ins Reine schreiben wollte –! sagte der Vater und nannte dann euch und sprach: Wo in der Welt mag wohl der gute Bamberger geblieben sein –!«
Ottheinrich blickte zur Seite. Er hatte gesehen, daß eben wie ein Blitzstrahl ein Lächeln über die etwas ernster gewordenen Züge Davids zuckte, und sagte sich: »Dies Lächeln galt Gundula –!« Er rüstete sich auf die Rede, mit der David einfiel und wie das Gleichgültigste und Harmloseste berührend sagte –:
»Unsere Schwester Gundula ist nicht weitab von Füssen – in Tirol –«
»Auch das wisset ihr nicht? Nach des Salamanca Tod ist ihr Mann so gut, wie der Regent in Tirol worden –« fiel der Bruder ein.
Es wurde totenstill und grabesdüster in Ottheinrichs Innerm. Seine Lippen verstummten, seine Augen standen unbeweglich, er wußte nicht, ob sein Fuß inne hielt oder vorwärts schritt. Die Junker plauderten fort und fort, gingen dabei durch manches enge Gäßlein – die Stadt wurde stiller und stiller – bis sie in eine gewölbte Bogentür eintraten, in einen wohlgepflasterten Hof, wo ihnen die Düfte eines Mittagsmahls entgegenwallten. Diener in Livreen mit den Ottheinrich wohlbekannten Farben und Wappenbildern (nur daß sich zum Sittich und der Lilie noch der Schwan gesellt hatte) rannten auf und ab mit zinnernen Schüsseln und hölzernen Tellern – der Reisegefährlichkeit wegen hatte man alles Zerbrechliche vermieden, zierliche Tiroler Holzschnitzarbeiten statt der Majoliken mitgenommen – Krüge, Kannen, Becher wurden hin und her getragen –
Ottheinrich war wie ein Hauch. Bewußtlos schritt er den jungen Männern den Weg nach, den sie ihn führten.