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7. Die Ausgänge des Taoismus

Dem Taoismus wurde die starke Beimengung von Phantasiegehalt verhängnisvoll. Seine Grundbegriffe, vor allem der Taobegriff selbst, waren von jeher vag und nicht scharf zu umschreiben. Die Art, wie das Tao mit der Wirklichkeit des Lebens in Verbindung stehen sollte, die Einwirkungen auf die individuelle und soziale Moral (Wu wei), der Rekurs auf das Unbewußte, all dergleichen konnte gar leicht dazu dienen, von den Wegen des Forschens und Denkens wegzulocken auf den schwankenden Boden verträumter Spekulation und mystischen Glaubens. Gewisse Aeußerungen schon im Tao tê tching selbst boten eine Handhabe für gröbere Phantastereien, teils durch die Dunkelheit des Ausdrucks, teils durch die mythische Denkweise, die zugrunde liegt. Beispiele dafür sind Worte wie: »Der Geist der Kluft stirbt nicht« (Kap. 6), oder: »Wer das Leben recht anfaßt, der hat auf Reisen nicht zu tun mit Rhinozeros oder Tiger, und scheut nicht Panzer noch Waffen – –, er steht auf einem Boden, wo es keinen Tod mehr gibt« (Kap. 50). Mancherlei Stellen bei Lieh tse und Tschuang tse verstärkten diesen Ton.

Als Philosophie sinkt daher der Taoismus in unsrer Periode schnell herunter. Noch hat er wohl einige Vertreter, aber ihre Gedanken sind meist Wiederholungen der älteren Ideen, und wo sie Eigenes zu geben versuchen, da werden es oft groteske Spielereien mit dem Uebernatürlichen. Auch die Verschmelzung des Taoismus mit wesensfremden Zügen, ein Eklektizismus jener Art, die oft für den Niedergang originaler Philosophie charakteristisch ist, tritt unter ihnen zutage [R393]. Wir wollen die wichtigsten Gestalten kurz an uns vorübergehen lassen.

Da war Han fei tse, gestorben 233 v. Chr., ein Schüler des Hsün tse und Studiengenosse des Ministers Li Szï, den wir unter der Regierung des Tch'in Shï Huang Ti (vgl. oben S. 167, 168) kennenlernten. Han fei tse folgt zunächst der Lehre des Lao tse vom Tao, das für ihn das Urprinzip der Welt und die leitende Kraft des Lebens ist. Das Tao tritt ihm an die Stelle der Gottheit (»des Himmels«). Sein Wirken wird wie bei Lao tse in Ermanglung einer anderen anschaulichen Vorstellung aus der Leere abgeleitet. Selbstentleerung, Wu wei, ist daher auch hier der rechte Weg des dem Tao ergebenen Menschen. Doch hat die Betrachtungsweise des Han fei tse einen rational-utilitaristischen Zug, indem er das Störende und Aufreibende starker Leidenschaft und eifriger Bemühungen körperlicher oder geistiger Tätigkeit betont. Gegen Gelehrsamkeit und Bücherweisheit ruft er die Kenntnis der gegenwärtigen Verhältnisse und die von eigener Einsicht geleitete Tatkraft auf. Vielfach sind seine Ausführungen von Sätzen durchzogen, die uns auch im Tao tê tching begegnen, ohne daß sie indes als ein von dort entnommenes Zitat kenntlich gemacht wären. Doch ist Han fei tse durchaus nicht nur Taoist. Er ist auch ein Schüler des Hsün tse, und er teilt dessen Auffassungen von dem wesentlich bösen Charakter der menschlichen Natur. Da nun sein Interesse vorwiegend der Regierungskunst zugekehrt ist (er selbst war Sohn eines Herrschers des Han-Staates), so wendet er auf diesen wichtigsten Teil seiner Lehre, die Staatskunde, vor allem Hsün tses Ideen an, wenn auch mit einem Nachklang des Taoismus verbunden. Das Volk ist so geartet, sagt er, daß man ihm kein gutmütiges Vertrauen schenken und es nicht durch Güte und Wohlwollen leiten darf. Regierung muß vielmehr in allem Wesentlichen auf Gesetz und Rechtspflege gegründet sein, und zwar auf strenges Gesetz und unerbittliche Rechtspflege. Ohne Strenge und Gewalt, ohne die Mittel von Lohn und Strafe »könnten auch ein Yao und Schun nicht regieren«. Macht ist der Angelpunkt, um den sich im Staatsleben alles dreht, sowohl im großen wie im kleinen. Andern Staaten gegenüber muß der Fürst seine Macht beweisen, muß ein Heer haben, worauf er sich stützen kann, muß eine Machtpolitik verfolgen, sich aber nicht auf guten Willen und Ergebenheit der Fremdvölker verlassen. Im Innern muß er die Bevölkerung durch Erweis seiner Macht einschüchtern und im Zaum halten, vor allem durch rücksichtslose Strenge der Gesetze. Die Strafen müssen hart sein; gelinde Strafen schrecken nicht ab, und die Menge bedarf der Abschreckung. Doch bedient sich der Fürst überall seiner Beamten, hinter denen er persönlich gedeckt steht, und die die Mühe, die Verantwortlichkeit und auch eventuell das Odium auf sich zu nehmen haben. Es ist eine Regierungslehre, wie sie in dem Zeitalter der Tch'in-Dynastie wohl angebracht sein mochte. Daß Han fei tse ein ausgesprochener Gegner der Schulen des Konfuzius und des Mê Ti war, ist nach Vorstehendem selbstverständlich.

Ein andrer Taoist dieser Zeit ist Ho kuan tse (»der Meister des Fasanenfederhutes«, sein Familienname ist unbekannt), ein Mann des dritten Jahrhunderts v. Chr. Er operiert mit den alten taoistischen Grundbegriffen; Tao ist der große einheitliche Urgrund der Welt; Himmel, Erde, Mensch, denen er die »Bestimmung« ( Ming) als viertes anfügt, sind die Wirkungsgebiete des Tao; Yang und Yin sind die Doppelseiten der Wirksamkeit des Tao, auch der wirkende »Hauch« ( Tchi) spielt eine wichtige Rolle. Aus diesen und anderen Grundbegriffen webt Ho kuan tse ein Weltbild, in welchem eine Fülle geheimnisvoller Beziehungen von dem einen zum andern hinübergehen. Die Entstehung der Welt sucht er in einer Art Kosmogonie klarzumachen: »Aus dem Ur-Einen entstand der (wirkende) Hauch; aus dem wirkenden Hauch entstand der Wille; aus dem Willen entstand die Vorstellung; aus der Vorstellung entstand der Name (Begriff); aus dem Namen entstand die Gestaltung; aus der Gestaltung entstand der Stoff; aus dem Stoff entstand der Zusammenhang (der Materie); als in diesem Zusammenhange Einschnitte (Abschnitte) eintraten, bildete sich die Zeit; nachdem die Zeit ihren Platz gefunden hatte, traten die Wesen ins Dasein. Also: aus dem (wirkenden) Hauche geht in gegenseitiger Fortentwicklung der Zusammenhang (der Materie) hervor, aus diesem Zusammenhang in gegenseitiger Fortentwicklung der Zeitraum, daraus ebenso weiter die Wirksamkeit (des Lebens), daraus ebenso weiter Gewinn und Verlust, daraus ebenso weiter Glück und Unheil. Alles Siegen oder Unterliegen, das sich in gegenseitiger Beeinflussung der Weltwesen zeigt, nimmt also seinen Anfang bei dem Hauch; es ist durchdrungen vom Tao; es hängt zusammen mit dem Stoff; es wird dirigiert durch die Zeit; es wird bezeichnet durch Namen; es kommt zustande durch Gesetz ( Fa[R394]. Da haben wir eine Konstruktion, die uns phantastisch und unhaltbar vorkommt; aber als ein Versuch, sich das Entstehen der bunten Erscheinungswelt durch Zurückgehen auf das Einfachere und Einfachste zu erklären, ist der Gedankengang doch bemerkenswert. Was Ho kuan tse weiter über das menschliche Gemeinschaftsleben, den Staat, die Aufgaben des Herrschers sagt, steht deutlich unter dem Einflüsse der Konfuzianischen Schule, ist aber zugleich sehr gefärbt von jener taoistischen Phantastik, welche das Tun des Menschen und die Vorgänge der Natur in sonderbarster Weise kombiniert und voneinander abhängig macht. – Uebrigens scheint das uns überkommene Werk des Ho kuan tse, eine dreigeteilte Abhandlung in 19 Kapiteln, der späteren Ueberarbeitung nicht entgangen zu sein.

Vielleicht gehört auch noch dem dritten Jahrhundert v. Chr. ein Werk an, das unter dem Pseudonym eines sagenhaften Schülers von Lao tse, des Wên tse, erschienen ist und bereits in einer Schrift aus dem Ende des dritten Jahrhunderts öfters zitiert wird [R395]. Freilich bedarf die Frage der Echtheit noch einer näheren Untersuchung. Erst in der Tang-Dynastie wurde das Buch mit dem Titel »Tung hsüen tschên tching«, »heiliger Klassiker der Ergründung des Verborgenen« in die Reihe der taoistischen Lehrbücher, den sog. taoistischen Kanon aufgenommen [R396]. Nach der Analyse, welche A. Forke von der Schrift des Wên tse gegeben hat, steht seine Auffassung des Tao noch nahe bei den Aussagen des Tao tê tching, sucht aber einer begrifflichen Vorstellung des rätselhaften Urgrundes der Welt näherzukommen. Wir geraten dabei freilich in Widersprüche. Tao, obgleich unkörperlich, soll Form haben, es soll eben reine Form ohne Materie sein. Da es der Leere, dem Nichtsein entstammt, wird es als reiner Geist verstanden, als das geistige Prinzip, das auch im Menschen lebt. Doch werden dem reinen Geiste dann auch allerlei Eigenschaften beigelegt, die von etwas völlig Immateriellem eigentlich nicht gelten können, wie Reinheit, Ruhe, Weichheit und Zartheit, ja es ist die Vereinigung aller gegensätzlichen Eigenschaften der empirischen Welt, die in dem Yin und Yang ihre beiden großen Kategorien haben. Schließlich bleibt es also unbegreiflich und unbeschreibbar, wie schon das Tao tê tching betont hatte. Es lebt wie in den Dingen so im Menschen, und dieser muß es in sich suchen und sich ihm bewußt zuwenden. Das geschieht in Abwendung von der Außenwelt, in Ablehnung der Sinneseindrücke, der Willensregungen, der Erkenntnisse, in Rückkehr zum Nichtwissen und Nichthandeln und zur Harmonie mit den Grundkräften der Welt. Stellt der Mensch so bei sich die Urharmonie her, dann wirkt er damit (magisch) zurück auf die Vorgänge der materiellen Welt und bringt sie zu segensvoller Auswirkung, wie umgekehrt die Verkehrtheit des Menschen Disharmonie in der Natur hervorruft. Besonders wird das auf den Fürsten angewendet. – Mit diesen echt taoistischen Lehren sucht nun aber Wên tse mancherlei Konfuzianische Weisungen zu vereinigen. Denn er will den Wert der Tugenden, welche Konfuzius als Grundlagen des Staats- und Gemeinschaftslebens aufstellte, nicht leugnen; sie bilden gewissermaßen für den, der den Weg zum Tao nicht findet, für die breiten Massen des Volkes, einen Notbehelf, wertvoll für ein niedrigeres Niveau.

Auch Lü Pu wei, den wir in seinem Zusammenhang mit Tch'in Shï Huang Ti und in seiner politischen Rolle früher kennengelernt haben (vgl. oben S. 167), darf als Repräsentant des späteren Taoismus genannt werden, da er der intellektuelle Urheber des gelehrten Sammelwerkes Lü shï Tsch'un tch'iû war, in welchem reichlich taoistische Ideen, freilich verbunden mit mancherlei anderen Meinungen, vertreten sind. In dem Mittelpunkt des Daseins steht hier nach alter Weise das Tao, das große Einheitliche, über das nähere positive Aussagen nicht gemacht werden können. Sein Wirken in den Geschöpfen tritt hervor als ihre Lebenskraft mit den besonderen Anlagen der individuellen Begabungen. Das Tao bildet eine verborgene Einheitlichkeit zwischen den einzelnen Wesen, die sich in der verschiedensten Weise kundtut, beim Magneten etwa in der Anziehungskraft, bei Menschen in der Aehnlichkeit der Anlage und der seelischen Verbundenheit, wie sie vor allem zwischen Eltern und Kindern besteht. Bei dieser Gelegenheit erwähnt der Text auch rätselhafte Fälle sogenannter Telepathie, wobei ein in der Ferne sich abspielendes Unglück von nahen Angehörigen unmittelbar empfunden wird. Es ist die Einheit im Tao, die sich dadurch äußert. Den Lehren des Konfuzius und des Mê ti, daß man in der Staatsleitung Güte und Rechtlichkeit zum Prinzip machen müsse, stimmt das Lü shï Tsch'un tch'iû nicht bei, ohne jedoch jenen Philosophen schroff polemisch entgegenzutreten. Aber Strenge und Bedrohung mit Strafen (nebst der Lockung durch Belohnungen) scheint bei der auf das Böse gerichteten Art der damaligen Menschheit das sicherste Mittel, Ordnung zu halten. So sind auch Waffen, Soldaten und Kriege nicht zu entbehren. Wieder spiegelt sich die Not der Zeit in solchen Anschauungen.

Aus dem zweiten Jahrhundert v. Chr. tritt uns noch ein bemerkenswerter taoistischer Denker entgegen in der Gestalt des Liu an, besser bekannt unter seinem Philosophennamen Huai nan tse. Als sein Todesjahr wird 122 v. Chr. angegeben, seine Lebenszeit fällt also schon völlig in die Han-Dynastie, deren Kaiser Wu Ti (140-87 v. Chr.) längere Zeit sein besonderer Gönner war. Die heute unter seinem Namen erhaltenen Schriften, bestehend aus 21 Abschnitten ( tchüen), zeigen deutlich, wie sich der Taoismus damals rückhaltlos der Phantastik und dem Wunderhaften verschrieb und damit seinen philosophischen Charakter mehr oder weniger einbüßte. Den Ursprung der Welt leitet Huai nan tse aus dem »großen Leeren«, d. h. dem Tao ab, aus dem das Weltall zunächst in Gestalt einer flüssigen Masse hervorging. In ihr schied sich Feines und Grobes als Himmel und Erde. In beiden wirken die Urmächte Yang und Yin, aus deren gegenseitiger Beeinflussung die vier Jahreszeiten und ihre Produkte entstehen. Auch Sonne und Mond formen sich aus Yang und Yin, die dann, als Gatten gedacht, die Sterne hervorbringen. Ist schon diese Schöpfungsvorstellung deutlich mythologisch geartet, so zeigt sich die Phantastik des Denkens weiterhin noch unverhüllter. Das Tao bedeutet nicht viel mehr als eine Zaubermacht. Wer sich seiner recht zu bemächtigen weiß, der beherrscht die Naturkräfte, kann zu den Himmelshöhen hinaufsteigen, den weiten Weltenraum durchfliegen, hat Gewalt über die Elemente, über Wind und Regen, Wolken und Gewitter. Die unglaublichsten Leistungen sind ihm möglich, ohne daß er seine Körperkraft anstrengt. Fabelhafte Legendenfiguren werden als Vorbilder solcher Zauberherrschaft geschildert, Wesen, die über Reif und Schnee schreitend, keine Spur ließen, die im Sonnenlicht keinen Schatten warfen, die alle Widerstände durchdrangen, in unendlicher Schnelligkeit ungeheure Räume durcheilten. Was im ursprünglichen Taoismus noch als bildlich-anschauliche Ausmalung geistiger Fähigkeiten gelten kann, ist hier fest geglaubte Realität geworden. Man sucht nach bestimmten Wegen, Methoden, Hilfsmitteln, um die Zauberkraft des Tao völlig an sich zu fesseln und im eigenen Dienste zu entbinden. Eine Art Versenkung in das Tao wird gelehrt, bei der man sich aus dem Verbande des Kreatürlichen befreit. Bestimmte Zaubermittel werden gesucht, mit deren Hilfe der sterbliche Verfall, Krankheit und Tod, überwunden werden sollen. All dergleichen wird verwoben mit einer Art Geheimlehre, in der das Tao, das Yin und Yang, der wirkende Hauch, die Kräfte der vier Jahreszeiten, Wundertiere, wie Drachen und Schlangen u. dgl. m., unter mannigfacher Anlehnung an ältere taoistische Lehren in Wirksamkeit gesetzt werden. Auch mythische Zahlenverhältnisse spielen eine große Rolle. Es ist charakteristisch für die Gedankenwelt des Huai nan tse, wenn die Ueberlieferung von seinem Ende meldet, daß er, nachdem er das Lebenselixier erfunden habe, durch dessen Genuß unsterblich geworden und lebend ins Jenseits entrückt (in den Himmel aufgefahren) sei. Drollig genug fügt die Sage hinzu, daß er bei seiner Himmelfahrt das Fläschlein mit dem unschätzbaren Tranke auf den Steinboden seines Hofes fallen ließ, wo es zerbrach und den Rest seines Inhalts auf die Erde ergoß, und daß dann Hunde und Hühner davon kosteten, um nun sofort, gleichfalls unsterblich geworden, ihrem Herrn nach zum Himmel aufzusteigen.

Die Umbildung in das Mysteriöse und Wunderhafte, die der Taoismus in unsrer Epoche erleidet, hat ihn ganz gewiß für die breiten Massen anlockender gemacht, als er früher war. Schon von dem doch ohne Zweifel großgearteten und hoch veranlagten Kaiser Tch'in Shï Huang Ti hören wir, daß er dem Taoismus stark ergeben war. Soll er doch eine Expedition (von Kindern! unter Leitung eines Taoisten) haben ausziehen lassen, um im fernen Osten eine sagenhafte heilige Inselwelt aufzufinden, nach taoistischer Fabelei die Residenz von drei menschenfreundlichen Geistern, welche ihren Günstlingen das Kraut der Unsterblichkeit schenkten. Noch bemerkenswerter ist die Haltung des Han-Kaisers Wu Ti, von dem wir oben schon erwähnten, daß er den Huai nan tse hochschätzte. Wu Ti beförderte vom Standpunkt des Staatswesens und der Bildung aus wie alle Han-Kaiser den Konfuzianismus, dem er entschieden die Stellung der allein gültigen Staatsphilosophie zu geben sich bemühte. Dennoch zeigte er persönlich eine starke Neigung zum Taoismus. Das war aber der alte philosophische Taoismus nicht mehr, der Rivale des Konfuzius, sondern es war dieses neue Gebilde, ein Forschen nach Geheimkräften, Wundermedizinen, Urzusammenhängen, Wesensverwandlungen, magischen Pflanzen oder Mineralen, das nun weit genug abgerückt war von jeder »Philosophie«, um deren Kreise nicht mehr zu stören. Es werden einige kompromittierende Geschichten von der blinden Hingebung des Wu Ti an diesen Taoismus erzählt. So soll ihm ein Taoist (Li Schao tchün) eingeredet haben, daß er schon Hunderte von Jahren gelebt habe und sich an Ereignisse längst vergangener Zeiten als persönlich erlebte erinnere, daß er Mittel besitze, um Zinnober in Gold und Schnee in Silber zu verwandeln, daß er den Weg zu den erwähnten heiligen Inseln wisse und dem Kaiser zeigen wolle. Er starb leider, ehe er sein Vorhaben ausführen konnte. In späteren Jahren führte ein zweiter Taoist (Luan Ta) den Kaiser mit der scheinbaren Unternehmung der erwähnten Expedition hinters Licht, die in Wirklichkeit nur bis zum T'ai schan (in Shantung) gelangte. Doch kam der Betrug an den Tag und kostete dem Betrüger sein Leben. Die schlagendste Geschichte ist die von dem Lebenselixier, das ein Taoist für den Kaiser hergestellt haben wollte. In dem Momente, wo der Zauberkoch dem Kaiser den Trank feierlich überreichte, riß ein Höfling plötzlich das Gefäß an sich und stürzte den Inhalt hinunter. Der Kaiser, außer sich vor Entrüstung, hieß den Frechen auf der Stelle enthaupten. Dieser jedoch erklärte kühl: das sei nunmehr doch wohl unmöglich, da er ja den Trank der Unsterblichkeit getrunken habe. Der Kaiser kam daraufhin zur Besinnung über seine Torheit. – Wenn selbst Kaiser sich dem Treiben der Taoisten zuwandten, so wird es in der großen Menge an Anhängern der dunklen Künste sicher nicht gefehlt haben. Was aber die große Menge bewegt, das pflegt keinen philosophischen Charakter mehr zu tragen, sondern eine Art religiösen Glaubens und religiöser Hingebung in Anspruch zu nehmen. In der Tat sehen wir in dieser Zeit etwa, nämlich im ersten und zweiten Jahrhundert n. Chr., die Anfänge einer taoistischen Religionsgemeinschaft sich bilden, ein neues Leben aus den Ruinen der taoistischen Philosophie.

Dieser Umschwung, für das Absterben taoistischer Philosophie kennzeichnend, knüpft sich an den Namen des Tschang Ling (später Tschang Tao ling genannt). Ueber ihn bemerkt J. J. M. de Groot: »Dieser Heilige wird geschildert als ein Wundertäter höchsten Ranges, ein Brauer von Lebenselixieren und ein ausgezeichneter Beschwörer; er war ein Gottmensch, der den Geistern und Göttern gebot. Er personifiziert die Umwandlung der alttaoistischen Grundsätze und Lehren in eine Religion mit Magie, Priesterschaft und Hierarchie und zwar unter der Anweisung des Lao tse, der ihm persönlich erschien und ihm auftrug, jene große Organisation zu stiften. In Gehorsam gegen ihn überlieferte er seine Lebensaufgabe seinen Nachkommen, die in der Tat bis auf den heutigen Tag in der Provinz Kiangsi, eben dort, wo Tschang Ling sein Lebenselixier bereitete, als Häupter der Kirche vorhanden sind« [R397]. Tschang Ling stammte aus dem Nordwesten der heutigen Provinz Kiangsi und wurde durch die angeblichen Wunderkräfte, die den Taoisten zu Gebote stehen sollten, gelockt, das Studium des Konfuzianismus mit dem des Taoismus zu vertauschen. Insbesondere verfolgte er das Phantom des Lebenselixieres, über das ein gewisser Wei Po yang damals einflußreiche Lehren verbreitete und ein lange berühmt gebliebenes Buch schrieb. Motive, die wir nicht mehr feststellen können, veranlaßten Tschang, nach dem fernen Westen des Reiches (der heutigen Provinz Szechuan) auszuwandern. Diese Gegend wurde die Geburtsstätte seiner neuen Religion. Die visionäre Erscheinung eines Abgesandten des Lao tse scheint der letzte Anstoß gewesen zu sein. Die Gabe der Krankenheilung, die Lao tse ihm mitteilte, führte ihm viele Anhänger zu. Er organisierte sie zu einer Gemeinde mit geistlichen Aemtern und mit festen Abgaben und religiösen Pflichten, die vor allem ein Sündenbekenntnis einschlossen, schriftlich aufgezeichnet, mit Gelübden der Besserung verbunden, das von dem Bekennenden ins Wasser geworfen wurde. Außerdem machte er den Gläubigen allerlei nützliche Arbeit, Bodenkultur, Brücken- und Wegebau zur Pflicht. Ein heiliges Buch, das Tschang verfaßt hatte, wurde die theoretische Grundlage der Gemeinde. Die Zeit dieser Wirksamkeit in Szechuan liegt zwischen den Jahren 126 und 145 n. Chr. Unter dem Sohne und dem Enkel des Tschang erstarkte diese neue taoistische Kirche, geriet aber unter letzterem, also in der dritten Generation, in gewaltigen Konflikt mit dem Staate. Lange blutige Kämpfe, die sich in den Niedergang der Han-Dynastie verweben, folgten nun und kosteten Tausenden von Anhängern das Leben. Doch gelang es dem Enkel des Tschang Ling, Tschang Lu geheißen, die Existenz der Religionsgemeinschaft zu behaupten; er selbst erhielt eine halb staatliche, halb religiöse Stellung als oberster Leiter der Bewegung, und diese Leitung wurde erblich in seiner Familie. Später hat man den Sitz des Leiters von Szechuan wieder in die Heimat des Tschang Tao Ling, die Provinz Kiangsi, zurückverlegt, wo in den sogenannten Drachen- und Tigerbergen und in dem dabei gelegenen Oertchen Schang tch'ing noch heute ein Abkömmling des alten Zauberers (in 63. Generation) an der Spitze des taoistischen Kirchenverbandes waltet [R398].

Diese nur flüchtig skizzierte Umgestaltung des Taoismus, bei der der Einfluß des jungen Buddhismus sich vielleicht schon geltend gemacht hat, interessiert uns hier, wie gesagt, nur als ein Symptom dafür, daß der philosophische Taoismus von nun an so gut wie verschwindet. Zwar haben zu allen Zeiten noch grüblerische Köpfe in ihren Studierzimmern oder in Klosterzellen und Höhlen über den alttaoistischen Lehren gebrütet und neue Fäden der Gedanken gesponnen, und bei der Erneuerung der chinesischen Philosophie in der Sung-Dynastie, von der später zu reden sein wird, bemerkt man auch ein leichtes Wiederaufflackern der taoistischen Philosophie. Aber das alles sind schwache Nebenklänge und Nachklänge. Was vom Taoismus aus der Han-Zeit deutlich hervortritt in China, ist die religiöse Organisation, die von Tschang Tao ling ausging, und neben ihr der gleichfalls durchaus religiös geartete Klostertaoismus, der unter dem Einfluß und Vorbilde des Buddhismus sich zu einer Zeit und in Verhältnissen gestaltet hat, die wir bis jetzt noch nicht geschichtlich beleuchten können.


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