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Der Buddhismus hat von jeher ein doppeltes Gesicht gehabt, ein philosophisches sowohl wie ein religiöses. Schon in der ursprünglichen Verkündigung des Buddha tritt das zutage. Hört man die vier Grundwahrheiten seiner Lehre: 1. Alles Leben ist Leiden; 2. die Ursache des Leidens ist der Durst (das Begehren); 3. die Aufhebung des Leidens wird erreicht durch die Aufhebung des Durstes; 4. der Weg zur Aufhebung des Durstes ist der achtteilige Pfad, – hört man das, so klingt es zunächst einfach und, bei aller Eigenart des Standpunkts, doch auch für ungeschulte Naturen faßlich. Sieht man aber näher hinein in die Erläuterungen dieser Grundwahrheiten, so kommt man vor allerlei tiefgehende philosophische Fragen zu stehen. Das Leiden des ersten Satzes ist nicht einfach der Schmerz und Kummer der Existenzen, sondern es wird tiefer gefaßt, nämlich als Vergänglichkeit und Wesenlosigkeit. Philosophisches Denken ist es, welches hier den Ablauf des Daseins in der Zeit, der aus allem Gegenwärtigen schnell ein Vergangenes macht, als den Mangel eines wirklichen Seins, als etwas Unwirkliches, Wesenloses erkennt. Ebenso verbindet sich in dem zweiten Satze vom Durst oder dem Hängen an den Dingen mit der einfachen These sofort eine eingehende philosophische Untersuchung über den Träger des Durstes, über die Nichtexistenz einer dauernden Seele, über die Wiederverkörperung bei Leugnung einer dauernden Seele, eine Untersuchung, die in dem ungemein dunklen Lehrsatz des Kausalnexus der zwölfgliedrigen Kette ( pratîtyasamutpâda) gipfelt. Aehnlich ist es mit der dritten Grundwahrheit, die in die schwierige Frage des Nirvâ?a ausläuft. Die vierte Grundwahrheit von dem achtteiligen Pfad ist vorerst freilich rein praktische Anweisung. Aber in den letzten Abschnitten über Meditation und Versenkung tritt auch das philosophische Element wieder sehr hervor.
Die starke Verwobenheit von religiösem und philosophischem Charakter, welche der Lehre des Buddhismus dauernd eigen bleibt, hat von früh her auch zu einer doppelten Schichtung der Anhänger geführt. Da war die Schicht der einfachen Gläubigen, welche in der Sehnsucht nach Befreiung aus dem endlosen Kreislaufe der Existenzen ihre Zuflucht bei dem Buddha, der Lehre und der Gemeinde suchten und sich nun einfach bemühten, den vorgeschriebenen Weg mit Ernst und Eifer zu gehen. Das waren die gewissenhaften Mönche, welche den Pflichten ihrer Lebensweise in allen Punkten genau nachzuleben trachteten, an den Uposatha-Tagen die Beichtfragen des Prâtimok?a, jenes Formulars der Vergehungen, zu ernster Gewissenserforschung gebrauchten, der Meditation und den Versenkungsvorschriften soweit oblagen, wie ihre Veranlagung es nur irgend gestattete, und in alledem das religiöse Erlösungsbedürfnis zu befriedigen strebten. Da war aber außerdem die Schicht der philosophisch Regsamen, die den Tiefen der Lehre des Meisters nachspürten, begabt genug, um unter den Schleiern der äußeren Einrichtungen und Vorschriften die letzten Denkwahrheiten zu bemerken, von denen die Lehre getragen wurde und ausgegangen war. Diese Wahrheiten suchten sie voll zu erfassen, weiter auszubauen, begrifflich zu begründen, auch zu ergänzen, wo es ihnen nötig schien. Schon im ältesten Buddhismus müssen nicht wenige solcher Männer dagewesen sein. Ein ganzer Teil des Pâli-Kanons, das sog. Abhidharmapi?aka, weist auf sie hin. Die Reibungen und Unstimmigkeiten, welche mit solcher philosophischen Arbeit auf die Dauer unvermeidlich verbunden waren, sind bei dem Dunkel, das für uns über der Geschichte des alten Buddhismus liegt, nur schwach zu spüren; wie leichte Blasen nur steigen sie zur Oberfläche des Stromes auf, in Andeutungen über allerlei Schulrichtungen, die sich bekämpften, über Schulhäupter und Streitfragen und Bemühungen zur Einigung.
So geht etwa ein halbes Jahrtausend dahin.
Da trat, ungefähr seit dem ersten Jahrhundert n. Chr., eine gewaltige Umgestaltung im Buddhismus hervor, durch welche die zwei Schichten des überwiegend religiösen und des überwiegend philosophischen Lebens sowohl eine kräftigere Ausprägung erfuhren als auch weiter voneinander abrückten. Es entstand nämlich der sog. Mahâyâna-Buddhismus.
Das Mahâyâna (d. h. das große Fahrzeug) bedeutete eine sehr tiefgehende und auch äußerlich sehr bemerkbare Veränderung der Lehre und Gemeinde des Buddha. Diese Veränderung lag begründet vor allem in der Ausbreitung, welche der Buddhismus seit den Tagen des Königs Asoka (273-232) erfahren hatte. Man war über das Gebiet von Vorderindien hinausgegangen, und eifrige Missionare hatten die Botschaft ihres Meisters nach allen vier Himmelsrichtungen weitergetragen. Dabei waren die Verkündiger mit sehr verschiedenen neuen Völkern und ihrem bisher unbekannten Geistesleben in nahe Berührung gekommen. Und zwar waren dies auf der einen Seite mehr oder weniger primitive Völkerschaften, wie die Bewohner des Himalaya, der Insel Ceylon und der hinterindischen Küsten, auf der andern Seite Gebiete, in denen westliche (griechische und persische) Kultur seit den Tagen Alexanders des Großen mehr und mehr eingedrungen war. Beiden gegenüber fühlte sich der Buddhismus bald zu einer Anpassung gezwungen, die allerlei eigenartige Folgen mit sich brachte. Es galt, den Primitiven die Lehre des Buddhismus in einer Form darzubieten, die ihnen faßlich und anziehend war; mit den Kulturvölkern im Westen und Nordwesten Indiens aber mußte die philosophische Spekulation sich auf neuen Wegen in Verbindung setzen.
Den primitiven Stämmen und den Massen der einfachen Leute überhaupt kam das Mahâyâna durch Verstärkung und Vergröberung der religiösen Züge der Lehre entgegen. Hierher gehört vor allem die Ausbildung der Idee der Bodhisattvas, die jetzt die Rolle von Göttern zu spielen beginnen und den Polytheismus fortsetzen. Der Charakter der Allgüte, der unbeschränkten Barmherzigkeit, den man bei den Bodhisattvas annahm, verband sie aufs freundlichste mit den Schicksalen der Menschen, die nun ihrerseits angewiesen wurden, den Bodhisattvas ein grenzenloses Vertrauen (Glauben) entgegenzubringen und sie eifrig anzurufen. Unter solchen Bedingungen nahm begreiflicherweise der Kultus der höheren Wesen einen gewaltigen Aufschwung und wurde wegen seiner starken Anziehungskraft auch nach Möglichkeit gefördert. Die theologische Konstruktion stellte den Bodhisattva in die Mitte einer Dreiheit, indem sie ihm sowohl nach der Seite des Menschlichen wie des Göttlichen Anschluß gab (Dhyânibuddha, Bodhisattva, menschlicher Buddha). Daneben aber bildete man die Theorie vom Trikâya, dem dreifachen Körper, aus (dem Dharmakâya, Sambhogakâya, Nirmâ?akâya), einer merkwürdigen Parallele zu der christlichen Trinitätslehre, womit man der Idee einer höchsten, ewigen Gottheit einen Platz einräumte. Durch diese und andere Zugeständnisse an die Bedürfnisse und die Fassungskraft der großen Masse bildete sich der Buddhismus zu einer handfesten, farbenreichen Volksreligion mit starkem Erdgeruch um, an der nun freilich vom Gehalt des ursprünglichen Buddhismus wenig mehr zu spüren war.
Das war die eine Seite der Sache, die, weil sie uns hier nicht wesentlich angeht, nur kurz gestreift sei. Die andere Seite war die philosophische Richtung des Mahâyâna. Denn in demselben Maße, wie der Buddhismus sich als Volksreligion mit allerlei Fremdstoffen beschwerte und entstellte, sublimierte er sich für feinere Geister in die abstrakteste und verstiegenste Philosophie hinein. Doch sind die Grenzen gegen das Frühere hier nicht so deutlich zu bemerken, da das Mahâyâna in seiner Philosophie von den älteren Fragen und Untersuchungen (des sog. Hînayâna, des »kleinen Fahrzeugs«) ausging und sie erst allmählich weiterbildete. Daher gibt es Schulen, bei denen man zweifelhaft sein kann, ob sie dem Mahâyâna oder dem Hînayâna zuzurechnen sind [R402].
Als »Begründer« der mahâyânischen Philosophie werden gewöhnlich zwei Männer des ersten und zweiten nachchristlichen Jahrhunderts, nämlich Aúvagho?a und Nâgârjuna, genannt. Sie sind (besonders Nâgârjuna) hervorragende Wortführer der ersten Epoche gewesen, doch geht die Richtung selbst wohl noch vor ihre Zeit zurück. Ihren Ausdruck findet sie in einer Gruppe von Schriften, die es mit der »Vollkommenheit der Erkenntnis« ( prajña pâramitâ) zu tun haben und deshalb davon ihren Namen tragen. Gleichfalls eine Grundlage dieser Philosophie ist ein Werk betitelt Mâdhyamika kârikâ, das vielleicht von Nâgârjuna verfaßt, jedenfalls von ihm mit einem Kommentar versehen ist [R403]. In dem Namen dieses Werkes ist der Kerngedanke der hier vertretenen Philosophie gegeben. Er bedeutet: »Gedächtnisverse der mittleren Lehre«; die mittlere Lehre ( mâdhyamika vâda) war nämlich die Lehre von einem »mittleren Standpunkt«, den diese Schrift zu ihrer philosophischen Grundlage machte. Die ganze erste Epoche der Mahâyâna-Philosophie heißt danach auch die Mâdhyamika-Lehre, d. h. die Lehre vom Mittelwege. Eine andere Bezeichnung dieser ersten Entwicklung des Mahâyâna ist Úûnya vâda, d. h. Lehre von der Leerheit, auch dies eine kennzeichnende Benennung.
Denn welches ist der Hauptinhalt dieser Philosophie?
Es ist die richtige Stellung gegenüber dem gesamten Daseinsinhalt, nämlich eine Stellung, die das Dasein weder als seiend noch als nichtseiend beurteilt, sondern einen mittleren Weg zwischen jenen zwei Standpunkten einschlägt, die Aussage der Leerheit.
Der ursprüngliche Buddhismus hatte Aussagen über das Wesen der Welt in ontologischem Sinne nicht gemacht. Gegenüber der metaphysischen Frage, was und woher das Existierende sei, stand der Buddha ablehnend; er wollte auf solche Fragestellung nicht eingehen, da sie von der einzig wichtigen Erlösungsfrage abführe. Sein Gesichtspunkt gegenüber dem Lebensproblem war immer der rein psychologische: alles Existierende ist leidvoll, vergänglich, wesenlos, nämlich als Objekt des menschlichen Erlebens. Bei dieser rein psychologischen Haltung blieben die Denker der folgenden Geschlechter aber nun nicht stehen. Das metaphysische Bedürfnis und die ontologische Fragestellung drängten sich bei vielen eben doch vor, und so erwachten Untersuchungen über den Lebensinhalt in dem Sinne von Sein oder Nichtsein. Ueber diese Alternative sucht jedoch das Mahâyâna-Philosophieren hinauszuführen, indem es als Grundthese die Leerheit ( úûnyatâ) des Daseins behauptet. Diese These weist jede Art Aussage über das Daseiende als verkehrt ab, sowohl die Aussage »etwas ist«, wie die entgegengesetzte »etwas ist nicht«. Keinerlei derartige oder auch andere Aussage über den Weltinhalt ist zulässig, man muß sich vielmehr von allen Aussagen zurückhalten, denn alles ist – leer, gehaltlos, so daß man ihm mit Gleichgültigkeit, mit »Streitlosigkeit« gegenüber zu stehen hat. Diese Leerheit wird dadurch erwiesen, daß man mit Hilfe einer »raffinierten Begriffsdialektik« (Schayer) alle Aussagen über irgendwelche Dinge und Begriffe als irrig beweist, und zwar indem man zeigt, daß völlig entgegengesetzte Prädikate gleicherweise darauf anzuwenden sind, daß also ein Objekt ist und auch nicht ist und auch sowohl ist als nicht ist und auch weder ist noch nicht ist. Auf diese Weise sucht man vor allem die großen Grundbegriffe, welche das gewöhnliche Denken überall regieren, wie den Begriff der Kausalität, der Zeit, der Materie, der Persönlichkeit, des Werdens, dialektisch zu zersetzen und als gehaltlos zu erweisen. Man zerstört damit alle begrifflichen Wege zu den Dingen hin, zu irgendwelchen Auffassungen und Ansichten, macht jedes Wissen unmöglich. Für den Mahâyânisten tragen also die vermeintlichen Daseinsformen gar keine nennbaren Eigenschaften, keine Kennzeichen, kein bestimmtes Sosein an sich, ihr Treiben ist einem Zauberschein gleich, von dem man nur wissen muß, daß er ein Zauberschein ist, den man nicht ernst nehmen darf.
Mehr als diese kurze Andeutung über die Mâdhyamika-Lehre kann hier nicht gegeben werden. Doch werden wir weiterhin, wenn wir die Verwebung solcher Lehren in die chinesische Gedankenwelt zu betrachten haben, noch dabei verweilen. Hier war nur darauf hinzuweisen, in welch neuer Richtung der Strom des philosophischen Denkens sich in den Jahrhunderten um Christi Geburt mit dem Heraufkommen des Mahâyâna bewegte.
Die Umbildung zum Mahâyâna nun war in vollem Gange, als der Buddhismus in China Eingang fand. Das gilt wenigstens, wenn wir der herrschenden chinesischen Ueberlieferung zustimmen, daß der Buddhismus unter dem Kaiser Ming (Ming Ti) in den sechziger Jahren des ersten Jahrhunderts n. Chr. nach China eingedrungen sei.
Es sind allerdings Spuren einer früheren Berührung Chinas mit der indischen Religion vorhanden. So wird berichtet, daß im Jahre 217 v. Chr. ein buddhistischer Mönch namens Li fang nebst siebenzehn Genossen mit heiligen Texten in indischer Schrift nach China gekommen, aber eingekerkert worden sei. Als die Gefangenen jedoch das Mahâ prajñâ pâramitâ sûtra rezitierten, habe ein göttliches Wesen (oder mehrere) sie wunderbar befreit, worauf der Kaiser seine Haltung gegen sie bereut und sie in Freiheit gesetzt habe [R404]. Diese Erzählung ist jedoch gänzlich unglaubwürdig; der Autor, der sie zuerst verbreitete, ein einseitiger Apologet des Buddhismus, wollte dieser Religion möglichst früh Bürgerrecht in China erwerben und konstruiert daher auch noch unmöglichere Beziehungen zwischen Buddhismus und Chinesentum. Andere Notizen sind haltbarer. Sie weisen uns vor allem auf die Regierung des Kaisers Wu Ti der Han-Dynastie (140-86 v. Chr.). Daß unter ihm lebhafte Beziehungen mit Zentralasien und dem Westen bestanden haben, beweist schon die berühmte Gesandtschaft des Tschang Tch'ien zu den Yüeh tchi, der, unterwegs zehn Jahre in Gefangenschaft gehalten, schließlich doch Yarkand erreichte und 126 zu seinem kaiserlichen Herrn zurückkehrte mit vielerlei interessanten Nachrichten [R405]. In die Regierung desselben Kaisers fällt die Erbeutung einer goldenen Statue (oder goldener Statuen) bei einem Feldzuge des Generals Ho Tch'ü ping gegen die Hsiung nu, 121 v. Chr. Die erbeuteten Bildnisse wurden später als buddhistische festgestellt [R406]. Sodann hören wir, daß im Jahre 120 v. Chr. ein See in der Provinz Yünnan ausgegraben worden sei (Sümpfe in einen See verwandelt); dabei habe man eine seltsame Masse (Naphtha?) gefunden und der Kaiser habe seinen Minister um Auskunft gefragt darüber. Dieser verwies ihn auf die »Buddhisten ( Tao jên) der Westgegend«, die es wissen würden. Der Kaiser »sendet darauf Leute zu ihnen«, und sie erteilen ihm Auskunft [R407]. Bei dieser Angabe, die ohne Zweifel von buddhistischen Mönchen spricht und einer guten Quelle entstammt, ist nur eben nicht deutlich, ob die befragten Buddhisten in China selbst zu suchen sind oder in den Grenzlanden. – Endlich ist noch von Wichtigkeit die Angabe einer alten Quelle [R408], daß im Jahre 2 v. Chr. ein chinesischer Gesandter an den Hof des Fürsten der Yüeh tchi gekommen sei, dort vom Buddhismus Kenntnis erhalten und ihn in China bekannt gemacht habe.
Das alles sind schwache Spuren davon, daß man seit dem zweiten Jahrhundert v. Chr. in China nicht ganz unbekannt mit dem Buddhismus gewesen sein mag. Aber er kann damals noch nicht viel für das Volk bedeutet haben. Die spätere Geschichtsschreibung nimmt deshalb von alledem keine Notiz, sondern setzt die Einführung der indischen Lehre in die sechziger Jahre des ersten Jahrhunderts n. Chr., indem sie folgendes darüber zu erzählen weiß.
Einst habe der Kaiser Ming (Ming Ti von der späteren Han-Dynastie) nachts im Traum eine Göttergestalt gesehen, deren Körper goldfarben war und deren Haupt wie Sonnenlicht strahlte, die flog in sein Zimmer hinein. Er freute sich sehr darüber. Am andern Morgen befragte er seine Beamten, was das für eine Erscheinung gewesen sei. Da war der gelehrte Fu Yi, der sagte: »Eure Majestät hat wohl davon gehört, daß in Indien ein Mensch das Tao erreicht hat, der der Buddha genannt wird. Er ist so leicht, daß er fliegen kann. Sollte es nicht dieses göttliche Wesen sein?« Als der Kaiser das vernommen, schickte er alsbald zwölf Leute, den Gesandten Tschang Tch'ien, den »Yü ling tschung lang tchiang« Tch'in Tching, den »Po schï ti tse« Wang Tsuan u. a., nach dem Lande der Yüeh tchi ab. Sie bekamen (dort) eine Abschrift des Sûtra der 42 Artikel, die in den vierzehnten Steinbehälter gelegt wurde. Man errichtete einen Stûpa und ein Kloster. Darauf breitete die Lehre sich aus, und überall erbaute man Buddhaklöster [R409].
Das ist eine unter vielen verschiedenen Fassungen dieser Geschichte, und zwar die in der Vorrede des Sûtra der 42 Artikel, nach Masperos Untersuchung wohl die ursprünglichste Gestalt, aus der sich die übrigen entwickelt haben. Die Berichte sind alle von zweifelhafter Art, mehr Volksmund als Geschichte. Sie variieren in wichtigen Punkten, so in den Angaben über die Zeit des Vorgangs (der Traum 61 oder 64, die Gesandtschaft 61-64 oder 64-67) sowie über die Namen der Gesandten. Spätere Berichte wissen vor allem auch zu sagen, daß zwei Mönche aus dem Lande der Yüeh tchi mit den Gesandten nach China gekommen seien, namens (Shih) Tchiâ yeh Mo têng und (Tschu) Fa lan (Kâúyapa Mâta?ga und Bhâra?a), die das erste buddhistische Buch für Chinesen, das Sûtra der 42 Artikel, in einem für sie bestimmten Kloster (des »weißen Rosses«) in Loyang übersetzt hätten. Wieviel an diesen Ueberlieferungen geschichtlich ist, läßt sich nicht mehr feststellen. Maspero hat hervorgehoben, daß die Zeit des Ming Ti nicht grade angetan war für eine Gesandtschaft zu den Yüeh tchi, da in Zentralasien damals nach guten Quellen (den Annalen der späteren Han-Dynastie) sehr kriegerische Zustände herrschten.
Vielleicht darf man immerhin soviel Geschichtliches hinter jener Volkserzählung suchen, daß unter Ming Ti, also um die Mitte des ersten Jahrhunderts n. Chr., am Hofe des Kaisers und unter seiner Begünstigung eine buddhistische Strömung entstand, mit welcher der Buddhismus eine dauernde und deutlicher ausgeprägte Erscheinung in China geworden ist.
Allerdings war die neue Religion zunächst noch weit davon entfernt, Geltung und Einfluß unter den Chinesen zu gewinnen. Es hafteten ihr verschiedene ungünstige Merkmale an. Erstlich war sie ausländisch. Immer wieder betonen in der folgenden Zeit die Feinde des Buddhismus in ihren Angriffsschriften, daß diese Religion »von fremden Barbaren«, »von dem barbarischen Westen her« stamme. Das starke Nationalgefühl des damals ja schon alten und konsolidierten chinesischen Kulturvolkes wollte etwas Fremdes nicht gern gelten lassen. Besondere Schwierigkeit machte auf jeden Fall die fremde Sprache der heiligen Schriften. Hier war vor allem Uebersetzerarbeit nötig, mit der die zwei ersten Missionare auch sofort begannen. Aber ein zweites, nicht minder gewichtiges Hindernis für die Ausbreitung war der mönchische Charakter des Buddhismus. Ein uralter, tief eingeprägter Zug des chinesischen Volkes war die hohe Achtung vor dem Familienleben. Eine Ehe zu schließen und Kinder zu zeugen, war eine selbstverständliche Pflicht. Die Notwendigkeit, daß ein Sohn da sei, der die Opfer für die Vorfahren darbringen könne, bildete wohl das Hauptmotiv für die hohe Wertung der Ehe. Doch konnte man sich die völlige Enthaltung vom Geschlechtsverkehr wohl auch überhaupt nicht als möglich vorstellen und schöpfte bei vorgeblichem Mönchtum leicht Verdacht auf geheime Unsittlichkeit. So war der Buddhismus als Mönchtum unsympathisch. Schließlich muß auch noch beachtet werden, daß die chinesische Regierung zu allen Zeiten gegen religiöse Lehren, die von der offiziellen Staatsreligion abwichen, einen lebhaften Argwohn der Staatsgefährlichkeit gehegt hat und prinzipiell geneigt war, sie zu unterdrücken. Denn religiöse Gemeinschaften konnten leicht zum Deckmantel für allerlei politisch unruhige und bedenkliche Elemente werden und sind es tatsächlich oft geworden. Auch von dieser Seite her wird man also den Fremdling nicht mit allzu günstigen Augen angesehen haben.