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2. Die ersten zwei Jahrhunderte (bis 265)

Darüber, wie die buddhistische Lehre von den indischen Mönchen, welche sie im ersten Jahrhundert n. Chr. an den chinesischen Kaiserhof brachten, vorgetragen sein wird, besitzen wir noch heute ein sehr wertvolles Dokument in jener Schrift, dem » Sûtra der 42 Abschnitte«, deren Abfassung von der Ueberlieferung teils dem einen, teils beiden Missionaren zugeschrieben wird. Die Uebersetzung eines schon früher vorliegenden Buches wird es nicht sein. Nicht nur, daß solch ein Original im Sanskrit oder einer andern Sprache sich nicht gefunden hat, auch der unbestimmte Titel und vor allem der Inhalt selbst spricht dagegen. Letzterer charakterisiert sich als eine Zusammenstellung von allerlei Material, das diesen und jenen buddhistischen Schriften entnommen ist. Die Verfasser haben die wichtigsten Lehren und Lebensvorschriften des Buddhismus zu einer ersten allgemeinen Orientierung über den Geist ihrer Religion zusammengefügt, indem sie von hier oder da schöpften und zugleich auch wohl frei gestalteten.

Der Text des Schriftchens hat später starke Umgestaltungen erfahren und liegt uns heute in mehreren sehr verschiedenen Formen vor. Es ist indes bei Vergleichung dieser Formen noch möglich, nachzuweisen, welches die älteste Gestalt gewesen ist. An diese allein hat man sich als Quelle für die Zeit der Verfasser zu halten [R410].

Der größte Teil des »Sûtra« der 42 Abschnitte hat es mit einfachen Geboten und Mahnungen zu tun. Man hört, wie ein Jünger des Buddha leben soll, welche Handlungen er meiden muß, wie man Zorn und Rachsucht, sinnliche Lust und Ehrsucht unterdrückt, es werden zwanzig Hindernisse aufgezählt, die es schwer machen, das Ziel zu erreichen, das Verhalten gegen Frauen, die Gefahr der Familienbande u. ä. m. wird erörtert. Nur an einigen wenigen Stellen kommt etwas von tieferen philosophischen Gedanken zum Vorschein. Hierher gehören die Abschnitte 18-20 und der 42. Abschnitt, die hier wiedergegeben seien:

Kap. 18: Der Buddha sagt: Meine Lehre ist, zu denken das Denken des Nichtdenkens, zu tun das Tun des Nichttuns, zu sprechen die Sprache des Nichtsprechens, zu üben die Disziplin der Disziplinlosigkeit. Wer dies faßt, der ist ihm nahe, wen aber die Täuschung blendet, der ist ihm fern. Mit dem Aeußern von Worten wird der rechte Pfad nicht erreicht; er ist nur als Immaterielles zu gewinnen. Wenn man hierin auch nur um Haaresbreite fehlt, wenn man dies nur für einen Augenblick außer acht läßt, (so hat man verloren).

Kap. 19: Der Buddha sagt: Der Anblick von Himmel und Erde lehre dich bedenken, daß sie keinen Bestand haben. Der Anblick des Weltganzen lehre dich bedenken, daß es keinen Bestand hat. Zu erwachen (zu solcher Erkenntnis), das ist Bodhi. Wenn man solche Einsicht gewonnen hat, dann hat man alsbald den rechten Pfad erlangt.

Kap. 20. Der Buddha sagt: Man möge die vier Elemente, die den Körper zusammensetzen, überdenken. Jedes von ihnen hat seinen eigenen Namen, aber in ihnen allen ist kein Ich vorhanden. Da das Ich also ihnen allen entbricht, so ist es als eine Illusion anzusehen.

Kap. 42. Der Buddha sagt: In meinen Augen ist die Würde eines Königs oder Fürsten nicht mehr als ein Sonnenstäubchen; in meinen Augen ist ein Schatz von Gold und Edelsteinen nicht mehr als Ton und Scherben; in meinen Augen sind Gewänder aus kostbarer Seide nicht mehr als abgetragenes Zeug; in meinen Augen sind die tausend Weltsysteme nicht mehr als eine Myrobalanenfrucht (die Frucht eines in Indien heimischen Baumes, die arzneilich verwendet wird; 3-5cm lang); in meinen Augen ist das Wasser des Anotatta-Sees (»der Unbeschienene« oder »der Unauftaubare«; Name eines mythologischen Sees im Himalaya) nicht mehr als ein wenig Oel, womit man den Fuß einreibt; in meinen Augen sind die Heilsmittel (des Buddhismus) nicht mehr als eine Anhäufung nichtiger Schätze; in meinen Augen ist das unübertreffliche Fahrzeug (der buddhistischen Lehre) nicht mehr als Gold und Seide in einem Traum; in meinen Augen ist der Pfad der Buddhas nicht mehr als der Anblick einer Blume; in meinen Augen ist die Konzentrationsübung nicht mehr als eine Säule des (Berges) Meru; in meinen Augen ist das Nirvâ?a nicht mehr als ein Aufwachen aus täglichem oder nächtlichem Schlafe; in meinen Augen ist Irrtum und Wahrheit (der verschiedenen Schulen) nicht mehr als das Figurenspiel der sechs Drachen (Geistermächte der Luft, das Gespann der zum Himmel Auffahrenden); in meinen Augen ist der Standpunkt der allgemeinen Gleichheit (animittatâ) anzusehen als die alleinige Wahrheitsgrundlage, in meinen Augen sind die Bemühungen, um (die Welt) zu bekehren gleich dem, was mit den Bäumen in den vier Jahreszeiten geschieht.

In diesen Aussprüchen redet deutlich die buddhistische Philosophie, und zwar in der Färbung der Mâdhyamikas. Was allerdings in Kap. 19 und 20 von der Bestandlosigkeit (Veränderlichkeit, Vergänglichkeit) der Welt und von dem Fehlen eines Ich gesagt wird, sind Dinge, die der Buddha selbst von Anfang an wieder und wieder betont hat. Anders klingen aber die Aeußerungen von Kap. 18 und Kap. 42. Hier stoßen wir schon auf Formulierungen, die nur als die Lehre von der »Leerheit« zu verstehen sind. In Kap. 18 wird die »Täuschung« (chin. mi) als das große Hindernis der Erreichung des Zieles genannt. Es ist die Mâyâ der Mahâyâna-Philosophie, die zauberhafte Vorspiegelung von einem Dasein, das nicht vorhanden ist. In der ganzen Literatur der »vollkommenen Erkenntnis« wird die Mâyâ eben auch betont. Oft wird sie dem Traume zugesellt und verglichen; auch in unserm Kap. 19 wird der Traum und das Aufwachen aus einem andauernden Schlafe als Veranschaulichung gebraucht. Uebrigens aber sucht das 42. Kap. offenbar auch den wichtigen Lehrsatz der animittatâ, der Merkmallosigkeit aller Dinge, deutlich zu machen. Der Standpunkt der allgemeinen Gleichheit ist die Wahrheitsgrundlage; unterscheidende Merkmale gibt es nicht; nur die Mâyâ spiegelt sie vor. Ein Ding ist wie das andere, Großes wie Kleines, Wertvolles wie Wertloses, und selbst die großen Heilsmittel und Lehren des Buddhismus fallen unter das gleiche Urteil.

Das älteste chinesisch-buddhistische Werk, das wir besitzen, beweist also durch seinen Inhalt, daß es Mahâyâna-Buddhismus, und zwar die Lehre der Mâdhyamika-Schule war, womit China zuerst in Berührung kam.

Dem zweiten der oben genannten buddhistischen Missionare, Tschu Fa lan, werden von alten chinesischen Zeugen noch eine Anzahl (vier oder fünf) weitere Uebersetzungen zugeschrieben, die er nach dem baldigen Tode seines Genossen allein verfertigt habe. Doch sind sie schon früh verloren gegangen, nur ihre Titel kennen wir und können aus ihnen feststellen, welches die Originale waren. Eins davon befaßte die bekannte Sammlung von Regeln des Mönchslebens, die als Beichtformular diente, das sogenannte Prâtimok?a. Zwei weitere hatten es mit, dem Leben des Buddha und mit seinen früheren Verkörperungen zu tun. Eines scheint ein Nachschlagewerk zur Erklärung von allerlei mehr technischen Ausdrücken gewesen zu sein. Eines aber beschäftigte sich mit Theorien über den Entwicklungsgang der Bodhisattvas und weist mit diesem Gegenstand auch deutlich auf den herrschenden Mahâyâna-Buddhismus hin [R411].

Nach dem Wirken der ersten zwei Missionare tritt eine lange Pause ein. Wir hören beinahe hundert Jahre lang nichts von der neuen Religion in China. Weitere Uebersetzungen werden nicht erwähnt. Es ist freilich anzunehmen, daß die ersten Verkündiger der Lehre Nachfolger gehabt haben, doch sind keine Namen überliefert. Die Nachfolger werden wieder Ausländer gewesen sein, und die Sphäre ihrer Wirksamkeit ist gewiß sehr beschränkt gewesen. Anhänger unter den Chinesen zu werben, war schwierig, da es diesen durch Staatsgesetz verboten gewesen zu sein scheint, in die Klöster als Mönche einzutreten. Jedoch wissen wir nicht genau, seit wann und wo das Gesetz Geltung gehabt hat. Wir hören nur in einer antibuddhistischen Eingabe späterer Zeit (624 n. Chr.), daß »vor der Regierung der westlichen Tchin-Dynastie (d. h. vor 265 n. Chr.) die herrschenden Dynastien strenge Verordnungen erließen, durch die sie den Untertanen des Mittelreiches verboten, nach Belieben ihr Haupthaar abzuscheren (d. h. Mönche zu werden)« [R412]. Solch ein Gesetz muß somit sicher bestanden haben. Ob es indes streng gehandhabt wurde und allgemeine Geltung im Reich der Mitte besaß, kann bezweifelt werden. Denn vereinzelt hören wir schon im 2. und 3. Jahrhundert von buddhistischen Mönchen, die Chinesen waren [R413].

Um die Mitte des zweiten Jahrhunderts n. Chr. bemerken wir eine Belebung und ein stärkeres Hervortreten des Buddhismus in China. Seit dem Jahre 148 erscheinen neue Missionare, die sich, z. T. mit großem Eifer, der Uebersetzungsarbeit widmen. Sie kommen aus dem Lande der Yüeh tchi, aus Parthien, ferner aus Indien, aus »den Westgegenden«, d. h. Zentralasien; einer war auch geborner Chinese. Unter den ersten finden wir einen Prinzen, aus dem parthischen Königshause, der in der Zeit von 148-170 nicht weniger als 95 Uebersetzungen anfertigte, von denen uns heute noch 55 erhalten sind [R414]. Ob es der Tätigkeit dieses Mannes und seiner Genossen vor allem zuzuschreiben ist, oder ob die Ursachen mehr in den damaligen Zuständen im Reiche und am Hofe zu suchen sind, – jedenfalls bildete sich jetzt in der Hauptstadt Loyang nicht nur eine lebenskräftigere Gemeinde, sondern die buddhistische Religion wurde auch am Hofe des Kaisers Huan Ti (147-168) zusammen mit der Lehre des Lao tse gepflegt und geachtet. Dies vernehmen wir aus der Eingabe eines kühnen Warners an den Kaiser, des Hsiang Tchieh, der im Jahre 166 den Landesfürsten auf sein liederliches Treiben hinwies und ihm die Lehren des Buddha zur Ermahnung vorhielt, den er doch selbst durch Aufstellung seines Bildnisses im Palaste geehrt habe [R415]. In dieser Eingabe bemerken wir in zwei Sätzen deutliche Abhängigkeit von dem Sûtra der 42 Abschnitte, ein Zeichen, daß dieses Werkchen Einfluß gehabt hat. Zu beachten ist auch, daß von der Lehre des Buddha gesagt wird, sie fordere »Reinheit und Leerheit«, daß also das Stichwort der Mahâyâna-Philosophie uns hier wieder begegnet. Den Taoismus hält Hsiang Tchieh für innerlich ganz harmonisch mit dem Buddhismus und erwähnt die Volksmeinung, daß »Lao tse zu den Barbaren gegangen und dort der Buddha geworden sei.«

Die Han-Dynastie nahm ein klägliches Ende (221). Kinder auf dem Throne, Frauen, die die Regierung an sich rissen, Eunuchen, die mit Gewalt und Intriguen arbeiteten, allerlei Parteiführer, Aufstände und Bürgerkriege, das war die Signatur der letzten siebzig Jahre, bis schließlich alle Herrschaft und Ordnung im Kampfe der Mächtigsten gegeneinander zugrunde ging. Als das Han-Reich aufgehört hatte zu existieren, standen drei kleinere Mächte, Wei, Schu (oder Schu-Han) und Wu einander gegenüber und setzten die Streitigkeiten noch beinahe ein halbes Jahrhundert lang mit aller Erbitterung fort, die tatenreiche Zeit der »drei Reiche«. Erst 265 hatte sich die Kriegsleidenschaft soweit verblutet, daß es möglich war, das Reich wieder unter dem Szepter einer Dynastie, der Tchin (265-420), zu vereinigen.

In dieser ganzen Periode der Unruhe und Zerrissenheit scheint der Buddhismus trotz allem vorwärts gegangen zu sein. Immer wieder treffen Missionare aus Zentralasien ein und widmen sich der Uebersetzung indischer Schriften. Selbst in zweien unter den »drei Reichen«, in Wei und Wu, finden wir diese Ausländer tätig. In Wu war der Eifrigste ein Laie, Tschï Tchien, der aus dem Lande der Yüeh tchi gekommen war und die Gunst des ersten Herrschers von Wu gewann. Die Zahl seiner erhaltenen Uebersetzungen, die er während der Jahre 223-253 in der Hauptstadt von Wu, dem heutigen Nanking, herstellte, belief sich auf 49 Werke, von denen viele freilich ganz kurze Abhandlungen sind [R416].

Unter den Uebersetzungen dieser Periode finden wir ein Werk, in welchem die Philosophie der Prajnâ-pâramitâ, der Vollkommenheit der Erkenntnis, sehr eingehend behandelt wird, nämlich die sog. Daúasahasrikâ prajñâpâramitâ, d. h. eine aus 10 000 ?lokas Der ?loka ist eigentlich ein Vers, wird dann aber auch in prosaischen Schriften als eine Maßeinheit (von 34 Silben) zum Messen der Länge eines Textes gebraucht. bestehende Schrift über die Vollkommenheit der Erkenntnis. Dies Werk ist sogar zweimal im Laufe von weniger als hundert Jahren übersetzt, das erste Mal von Lu Tchiâ tsch'an (Lokarak?a?) im Jahre 179 n. Chr., dann nochmals von Tschï Tch'ien zwischen 223 und 253. Man darf daraus schließen, daß es hoch geschätzt und auch von Chinesen studiert wurde.

Wir sehen hier somit die wichtigste Lehre der älteren Mahâyâna-Philosophie einziehen in den chinesischen Geist, die bereits oben (S. 241) kurz charakterisierte Theorie der »Leerheit«.

Die Unterweisung darüber geschieht in Unterredungen, die zwischen dem Buddha und seinen Jüngern, vor allem dem Jünger Subhûti, dem Meister in der »Streitlosigkeit«, geführt werden. Als Träger der vollkommenen Erkenntnis, als ihr Vermittler an andere, gilt der Bodhisattva, dieser allgegenwärtige Repräsentant des Mahâyâna, auch Mahâsattva, das große Wesen, genannt. Ihm eignen alle Vollkommenheiten ( pâramitâ), und unter ihnen die höchste, die Vollkommenheit der Erkenntnis. Weil er diese besitzt, erkennt er die trügerische Leerheit der Welt der Erscheinungen. Die Erscheinungen sind eben Trug, nichts anderes als Trug. Empfindungen, Begriffe, Gestaltungen sind Trug. Das Bewußtsein ist Trug. Die Beschaffenheit aller Objekte ist Trug. Die Vorgänge des Lebens sind zu vergleichen dem Werk eines Zauberers, der vor dem erstaunten Publikum an einem Kreuzwege irgendwo eine große Volksmenge hervorzaubert, sie allerlei Dinge vollführen läßt und dann plötzlich wieder ihr Verschwinden bewirkt. Ist da etwas Wirkliches gewesen und vorgegangen? Nein. Ebensowenig geht in der scheinbaren Wirklichkeit des Lebens etwas vor. Irrtum ist die Annahme eines Selbst, eines Lebewesens, eines Individuums, eines Daseins, eines Vergehens, einer Vernichtung, eines Ewigseins, – all dergleichen lehrt der Bodhisattva als Irrtum erkennen. Täuschung und Leerheit ist alles, was die Welt ausmacht. Die Vollkommenheit der Erkenntnis hält man also nur fest, wenn man beständig die Auffassung der Leerheit festhält. Die ganze Welt der Erscheinungen wird durchgegangen, dann die ganze Welt der Sinnesvorgänge und der Geistesvorgänge, die ganze Welt des begrifflichen Denkens; aber weiter auch die ganze Welt der buddhistischen Lehrbegriffe, bis hin zu der Person des Buddha selbst und dem Nirvâ?a, alles, alles gilt als nicht festzuhalten, nicht zu behaupten, es ist nicht dabei zu verharren, es ist alles leer.

Der Begriff der Leerheit als die definitive Aussage über alles dient, wie erwähnt, dazu, um neben der Aussage des Existierens auch die Aussage des Nichtexistierens abzulehnen und einen über diese Alternative hinausgehenden Standpunkt einnehmen zu können. Denn mit der Aussage des Nichtexistierens scheint diesen Denkern doch immer eine gewisse Beziehung zum Sein, eine Art Qualität gegeben, die man nicht zugestehen will. Die Aussage der vollkommenen Leerheit soll darin, daß sie alle und jede Qualität, auch die der Nichtexistenz, ausschließt, dem Begriffe des Nirvâ?a gleichen, in welchem der Buddha jede Beziehung zu irgendwelcher Aussage über ihn verloren hat. »Beziehungslosen Geistes ist der Tathâgata, der Würdige, vollkommen Erwachte. – – – Wie ein Tathâgata (im Nirvâ?a) nicht irgendwo gestellt ist, nicht nicht-gestellt ist, nicht steht, nicht nicht-steht, so werde ich stehen«, – das gibt die Denkweise wieder, deren der Bodhisattva als ein vollkommen Erkennender sich befleißigt.

Der Satz von der Leerheit wird übrigens in den Prajñapâramitâ-Schriften nicht bewiesen oder irgendwie abgeleitet. Er wird vielmehr nur einfach behauptet, wird auf alle möglichen Größen angewandt und als der Kerninhalt der buddhistischen Lehre bezeichnet. Anders steht es mit der Weise, wie Nagârjuna in der Mâdhyamika-kârikâ und seinem Kommentare dazu den Satz von der Leerheit behandelt. Hier wird in höchst verwickelten Gedankengängen der Beweis der Leerheit unternommen. Da indes das Werk des Nagârjuna erst später (durch Kumârajîva) in das Chinesische übertragen und also dem chinesischen Philosophieren zugänglich wurde, haben wir hier noch nicht näher darauf einzugehen.

In die chinesische Philosophie trat die Lehre der Mâdhyamikaschule von der Leerheit der Welt, so wie sie in den Prajñapâramitâ-Schriften vertreten wurde, als etwas Neues ein. Doch war sie nicht ohne Anknüpfungspunkte im älteren chinesischen Denken. Der Taoismus hatte ihr in gewissem Maße den Weg bereitet. Jener Phänomenalismus, den wir am ausgeprägtesten bei Tschuang tse kennengelernt haben (vgl. S. 141 f.) besaß ohne Zweifel eine Verwandtschaft der Auffassung mit der neuen indischen Lehre. Wenn Hsiang Tchieh, jener oben erwähnte Ermahner des Huan Ti (S. 249), und mit ihm manche andere, Taoismus und Buddhismus als zwei zusammenstimmende Richtungen auffaßten, so liegt darin etwas Richtiges. Auch Tschuang tse hatte betont, daß die angebliche Wirklichkeit der Dinge um uns her nicht objektiv, sondern von dem Ich geformt, darum unsicher und schwankend sei; er hatte mit glänzender Dichterkraft die ewig sich wandelnden Phänomene des Kosmos, das Schattenspiel des Daseins, ausgemalt; er hatte auch schon den Traum als Parallele des Erlebens der scheinbaren Wirklichkeit herangezogen. Damit war ein Blick auf das Problem gegeben, an den sich die Mâdhyamika-Philosophie ziemlich natürlich anschloß, wenn sie auch viel weiter ging.


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