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Die Fürstin von Savoyen gab am nächsten Tage auf dem Jagdschloß ein Fest, an dem alle Damen teilnahmen. Der Chevalier Grammont sagte seinem Fräulein soviel angenehme und ergötzliche Dinge, daß sie darüber aus voller Kehle lachte. Matta führte seine Herrin zum Wagen, drückte ihr die Hand und bat sie bei der Rückkehr von der Spazierfahrt, sie möge doch Mitleid mit seinen Qualen haben.
Das hieß ein wenig rasch vorgehen und wenn auch Frau von Senantes nicht grausamer war als andere Damen, so verletzte es sie doch ein wenig, daß man mit ihr so ohne Umstände verfuhr; sie glaubte darüber etwas Entrüstung zeigen zu müssen und zog ihre Hand zurück, die er bei dieser Erklärung auf das innigste gedrückt hatte; dann ging sie zur Fürstin hinauf, ohne ihrem neuen Liebhaber auch nur einen Blick zu schenken. Nicht ahnend, daß er sie beleidigt, ließ Matta sie ruhig gehen und sah sich in der Stadt nach jemand um, der mit ihm soupieren wolle. Für einen Mann seiner Art war diese Aufgabe nicht schwer. Bald fand er, was er suchte, tafelte dann hübsch lange, um sich von den Strapazen des Minnedienstes zu erholen, und legte sich, mit seinem Tagwerk sehr zufrieden, ins Bett.
Unterdessen erfüllte der Chevalier Grammont bei Fräulein Saint-Germain seine Pflicht auf das pünktlichste und fand trotz aller Bemühung um sie noch Zeit, durch tausend kleine Geschichten zu glänzen und so zur allgemeinen Unterhaltung beizutragen.
Die Fürstin von Savoyen hörte ihm mit Teilnahme zu und die verlassene Senantes schenkte ihm viel Aufmerksamkeit. Er bemerkte das und verließ seine Geliebte, um die Marquise zu fragen, was sie mit Matta angefangen habe. »Ich habe mit ihm nichts angefangen,« sagte sie, »ich weiß aber nicht, was er mit mir angefangen haben würde, wenn ich die Güte gehabt hätte, seine demütigenden Vorschläge anzuhören«, – und erzählte ihm die Art und Weise, in der sein Freund sie seit dem zweiten Tage ihrer Bekanntschaft behandelt habe.
Der Chevalier Grammont mußte lachen. Er gestand ihr, sein Freund sei ein wenig naiv, aber später würde sie mit ihm zufrieden sein; zu ihrem Trost versicherte er, Matta hätte, selbst wenn die Fürstin an ihrer Stelle gewesen wäre, nicht anders gehandelt; er wolle jedoch nicht unterlassen, ihm dafür ordentlich den Kopf zu waschen.
Zu diesem Zweck ging er nächsten Morgen in Mattas Zimmer; der war aber schon früh auf eine Jagdpartie gefahren, zu der ihn seine Tischgenossen vom vorigen Abend eingeladen hatten.
Bei seiner Rückkehr nahm er zwei Rebhühner und ging mit ihnen zu seiner Dame. Man fragte ihn, ob er zum Herrn Marquis wünsche; er verneinte es, und der Portier sagte ihm, die gnädige Frau sei nicht zu Hause. Matta ließ ihm seine beiden Rebhühner und bat ihn, sie ihr als Geschenk von ihm zu übergeben.
Frau Senantes war bei ihrer Toilette und putzte sich mit allen Mitteln zu Ehren Mattas, während man ihn an der Tür zurückwies. Sie ahnte davon nichts, aber ihr Herr Gemahl wußte es um so besser. Er hatte es sehr unpassend gefunden, daß der erste Besuch nicht ihm gegolten, und beschloß deshalb, die Visite solle auch nicht bei seiner Frau stattfinden; der Pförtner hatte zu diesem Zweck Befehle erhalten und rechnete schon wegen der Annahme der Rebhühner auf eine Tracht Prügel. Das Geschenk wurde sogleich zurückgeschickt und Matta war eben nicht böse, es wieder zu erhalten, ohne sich um die Gründe zu kümmern. Er ging im Jagdkleid an den Hof und dachte nicht daran, daß er da in den Farben seiner Dame erscheinen müsse. Er traf sie geputzt an; ihr Auge schien voll Feuer, ihr Wesen einladend. Von dem Augenblick an wünschte er sich Glück, daß er dem Rate Grammonts gefolgt sei, doch schien sie ihm allein Kälte zu zeigen; nachdem er so viel für sie getan zu haben glaubte, dünkte ihm das unbegreiflich. Er bildete sich ein, sie wisse von all seinen Aufmerksamkeiten nichts, sprach davon und schalt sie, daß sie seine Rebhühner zurückgewiesen.
Sie verstand ihn gar nicht; entrüstet, daß er sich nach der ersten Zurechtweisung noch nicht demütige, sagte sie, er müsse auf seinen Reisen wohl immer sehr zugängliche Frauen angetroffen haben, weil er Manieren annähme, an die man hier noch nicht gewöhnt sei. Matta fragte sie, weshalb seine Art denn außergewöhnlich sei. – »Weshalb?« rief sie; »den zweiten Tag, den Sie mich mit Ihrer Aufmerksamkeit beehren, behandeln Sie mich, als stände ich Ihnen seit tausend Jahren zu Diensten. Als ich Ihnen das erstemal die Hand reichte, drückten Sie sie mit voller Kraft. Nach diesem Gruß steige ich in den Wagen, Sie zu Pferd; doch weit entfernt, sich am Schlag zu halten, wie es die Herren sonst tun, galoppieren Sie hinter jedem Hasen her. Nachdem Sie sich unterwegs gehörig mit Schnupftabak erfrischt haben, ohne an mich zu denken, entsinnen Sie sich bei der Rückkehr meiner nur zu dem Zweck, um in artigen, aber sehr deutlichen Ausdrücken Unehrbares von mir zu verlangen; heute sprechen Sie mir nun von einer Jagd, von Rebhühnern und einem Besuch bei mir, den Sie wahrscheinlich, wie alles andere, nur im Traum erlebt haben.«
Bei diesen Worten trat der Chevalier Grammont zu den beiden. Matta wurde wegen seiner Zudringlichkeit gescholten. Der Freund mühte sich ab, ihm deutlich zu machen, daß sein Eifer eher beleidigend als vertrauenerweckend sei. Matta entschuldigte sich, so gut er konnte, das heißt sehr unzulänglich. Seine Dame hatte Mitleid mit ihm, sie wollte lieber seine Entschuldigung über die Form, als seine Reue über das Vergehen selbst gelten lassen und gab zu verstehen, nur gute oder böse Absicht könne Taktlosigkeiten rechtfertigen oder verwerflich machen; gewöhnlich vergebe man aus Leidenschaft entspringende Regungen, nicht aber Übergriffe, die leichten Sieg vorauszusetzen scheinen. Matta schwor, er habe ihr nur aus übermäßiger Leidenschaft die Hand gedrückt, sie nur aus Not um Erbarmen angefleht; er kenne nicht die Art, wie man Gunst erbettle, werde sie nach einem Monat treuen Dienstes seiner Liebe nicht würdiger finden als sie ihm gerade jetzt erscheine, und bitte sie, sich seiner bei Gelegenheit zu erinnern. Frau von Senantes wurde darüber nicht böse, sie sah wohl, daß man bei einem Manne seiner Art nicht streng auf die Formen sehen dürfe und der Chevalier Grammont dachte nach dieser Mahnung an seine eigene Angelegenheit bei Fräulein Saint-Germain.
Nicht sein gütiges Naturell allein hatte ihn bewogen, sich in Mattas Verhältnis zu mischen. Im Gegenteil; als er merkte, die Stimmung der Frau von Senantes werde ihm selber günstig, dachte er, diese Eroberung sei doch leichter als die andere, und er dürfe sie benutzen, aus Furcht, sie könne vom Freunde unbenutzt bleiben; außerdem wollte er, im Falle er bei der kleinen Saint-Germain zu keinem Resultat käme, seine Zeit doch nicht ganz umsonst geopfert haben.
Um jedoch die seinem Gefährten gegenüber angenommene ernste Miene, so schwer es ihm wurde, zu bewahren, machte er ihm Vorwürfe, daß er sich bei Hof im Jagdanzug, und zwar ohne die Farben seiner Dame gezeigt habe, daß er nicht Takt genug besessen, dem Marquis von Senantes den ersten Besuch zu machen, statt nach der gnädigen Frau zu fragen; zum Schluß wetterte er ihn an, was er sich denn zum Henker dabei gedacht, als er ihr zwei abscheuliche rote Rebhühner zum Geschenk gemacht habe? »Warum hätte ich das nicht sollen?« fragte Matta, »müssen die etwa auch blau sein wie die Kokarde und die Degenschleife, die du mir neulich angeheftet hast? Geh zum Teufel mit deinem Firlefanz, armer Chevalier. Der Henker soll mich holen, wenn du in vierzehn Tagen nicht auch so dumm bist, wie all diese Hohlköpfe in Turin; doch um auf deine Frage zu antworten: ich besuchte Herrn von Senantes deswegen nicht, weil ich mit ihm nichts zu tun habe; er ist ein Menschenvieh, daß mir mißfällt und nie gefallen wird. Du natürlich bist ganz entzückt, grün ausstaffiert zu sein, Billetts an deine Dame schreiben zu können, deine Taschen mit Zitronat, Bonbons und anderen Süßigkeiten zu füllen, mit denen du das arme Kind fütterst, ob sie will oder nicht; du denkst, du wirst den Vogel damit kirre machen, und wenn du ihr ein Lied trällerst, das zur Zeit der Corisande oder Heinrichs IV. gedichtet wurde, kannst du ihr einreden, du hättest es für sie verfaßt. Überglücklich, die hohlste galante Zeremonie mitzumachen, denkst du in deinem Ehrgeiz gar nicht mehr an das Wesentlichste. Nun, es hat jeder seinen Gusto und seine Art zu handeln, dein Sinn geht in der Liebe auf Kindereien und wenn du die Saint-Germain nur gehörig zum Lachen bringst, verlangst du nichts weiter von ihr. Ich aber denke, die Frauen sind hier wie überall; ich werde niemals glauben, sie seien ernstlich böse, wenn man von Spielereien zu ernsteren Dingen übergeht. Jedenfalls aber mag Frau von Senantes, wenn sie wirklich so denkt, sich um einen anderen umsehen, denn ich schwöre: ich werde nicht länger bei ihr die Vasallenrolle spielen.«
Diese Drohung war ganz überflüssig. Frau von Senantes fand ihn nach ihrem Geschmack, dachte ungefähr wie er und verlangte nur, zur Sache zu kommen, aber Matta fing alles verkehrt an. Er war gegen ihren Gemahl so eingenommen, daß er sich, um ihn zu gewinnen, nicht zum geringsten Schritt entschließen wollte. Man gab ihm zu verstehen, er müsse erst den Drachen einschläfern, ehe er zum Schatz gelangen könne; es half nichts, obgleich er so Frau von Senantes nur in Gesellschaft zu sehen bekam. Das machte ihn ungeduldig und als er ihr eines Tages sein Leid klagte, sprach er: »Haben Sie die Güte, gnädige Frau, mir zu sagen, wo Sie eigentlich wohnen. Ich gehe mindestens dreimal zu Ihnen, ohne Sie je zu treffen.« – »Und doch pflege ich nachts zu Hause zu schlafen,« antwortete sie lachend, »aber ich teile Ihnen mit, daß Sie mich nie finden werden, ehe Sie nicht meinen Mann besucht haben; ich kann das einmal nicht ändern. Ich will ihn Ihnen nicht als Mann preisen, dessen Gesellschaft man um seiner Liebenswürdigkeit willen sucht; ich gebe im Gegenteil zu, daß sein Wesen recht seltsam, seine Art nicht gewinnend ist, aber man kann mit etwas Mühe und gutem Willen auch die wildesten zähmen. Ich will Ihnen ein Liedchen über dieses Kapitel vorsingen; ich lernte es auswendig, weil es einige Winke enthält, von denen Sie nach Belieben Gebrauch machen mögen:
Soll euer Werben schön gedeih'n,
Nehmt meine Lehre wohl in acht.
Ist eure Liebe mehr als Schein,
Wie ihr uns gerne glauben macht, –
Prägt diese Worte wohl euch ein:
Mit Pferden, Wagen, schöner Tracht,
Mit Phrasen, Schwüren, Schmeichelein,
Mit Schmuck und mit Juwelenpracht
Verseht euch fein.
Wenn ihr die Eltern wollt erfreun,
Seid auf Geschichtchen wohl bedacht
Bestochen will der Diener sein;
Doch wenn der Gatte niemals lacht,
Wenn er nur finstre Miene macht, –
Will zehnfach er gewonnen sein.«
»Wahrhaftig, gnädige Frau,« sprach Matta, »das Lied mag ja recht haben, aber es ist mir unmöglich, es zu befolgen; Ihr Gemahl ist mir zu langweilig. Welch verteufelte Sitte. Darf man hierzulande die Frau nicht sehen, ohne dem Mann den Hof zu machen?«
Frau von Senantes fand diese Antwort sehr unartig und weil sie genug getan zu haben glaubte, um ihn auf den rechten Weg zu bringen, wenn er dessen würdig gewesen wäre, dachte sie, es sei nicht der Mühe wert, sich weiter um ihn zu bemühen, weil er sich nicht einmal bei so unbedeutenden Dingen Zwang antun konnte – und so war sie mit ihm fertig.