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Ohne daß sie es bemerkten, folgte ihnen Brounker zu Fuß, und als der Wagen zwanzig bis dreißig Schritte weiter anhielt, stiegen sie aus. Er ging ihnen hinten nach und fällte ein Urteil, das auch ein in seinen Ansichten weniger kühner Mann gefällt hätte. Für ihn unterlag es keinem Zweifel, daß die Jennings irgend ein junges auf Abenteuer ausgehendes Mädchen und die Price ihre Vermittlerin sei. Er fand sie zu seinem Befremden über ihrem Stande fein beschuht, und beim Herabsteigen aus einem sehr hohen Wagen zeigte das kleine Orangenmädchen das hübscheste Bein, das man sich denken kann. Da dies nun seinen Absichten keineswegs widersprach, beschloß er, sie um jeden Preis zu gewinnen und in sein Serail zu stecken.
Gerade als sie dem Kutscher ihre Körbe zum Aufbewahren gaben und ihm an derselben Stelle zu warten befahlen, trat Brounker zu ihnen. Er schob sich zwischen beide; sie waren bei seinem Anblick ganz verwirrt. Ohne ihr Erstaunen zu beachten, zog er mit einer Hand die Price beiseite, mit der anderen die Börse und fing an, das Geschäft zu besprechen, als er sah, wie sie das Gesicht abwandte, ohne eine Antwort zu wagen. Das schien ihm unnatürlich, er guckte ihr also, sosehr sie sich auch sträubte, ins Gesicht. Dasselbe tat er mit der anderen, als er sie aber erkannt hatte, hütete er sich wohl, es merken zu lassen.
Bei solchen Gelegenheiten war der alte Fuchs vollkommen Herr über sich selbst; um ihnen allen Argwohn zu benehmen, foppte er sie nur etwas und verließ sie dann, der Price zurufend: es wäre sehr albern von ihr, seine Anträge abzuweisen; die Kleine würde vielleicht das ganze Jahr hindurch nicht das gewinnen, was sie von ihm in einem Tage haben könnte; die Zeiten wären schlecht, seitdem die Hoffräulein den armen Stadtmädchen den Markt abliefen. Mit diesen Worten ging er zu seinem Wagen; sie verhüllten die Gesichter und dankten Gott aus voller Seele, daß er ihnen ohne Entdeckung aus dieser Gefahr geholfen.
Brounker hätte aber dieses Zusammentreffen nicht für tausend gute Guineen gegeben; auch er dankte also dem Himmel, daß er sie nicht von ihrem Vorhaben abgeschreckt, denn es war für ihn außer Zweifel, daß die Price die kleine Miß Jennings auf Abenteuer führe. Er hatte im Nu begriffen, daß ihre Verlegenheit über ihre Entdeckung ihm jede Aussicht auf Genuß unmöglich gemacht hätte. Deshalb empfand er, wenngleich Jermyn sein bester Freund war, eine geheime Freude, daß er das Los der Hahnreischaft noch vor der Hochzeit von ihm nicht abgewendet. Die Furcht, ihn vor diesem Schicksal zu bewahren, war der Grund seines vorsichtigen, raschen Fortgehens.
Während die beiden ihre Angst überstanden, war der Kutscher mit einigen Straßenjungen, die sich um den Wagen drängten, um Orangen zu stehlen, in Streit geraten. Von Worten kam es zu Schlägen. Die Damen sahen den Beginn des Kampfs, als sie das Projekt, den Wahrsager zu besuchen, aufgaben und zum Wagen zurückkehrten. Ihr Kutscher hatte Ehrgefühl und sie konnten ihn nur mit großer Mühe bewegen, die Orangen dem Pöbel zu lassen, um nur aus der Klemme zu kommen. Nach tausend Schrecken und nach Anhörung einiger im Streit ausgestoßener anzüglicher Worte stiegen sie endlich ein und gelangten wieder in den Saint-James-Palast, fest entschlossen, nie wieder so gefahrvolle Wege zu Propheten zu wandeln.
Bei seiner geringen Meinung von der Tugend des schönen Geschlechts hätte Brounker die Hand dafür geopfert, daß die kleine Jennings von der Fahrt nicht so zurückgekommen sei, wie sie sie angetreten hatte; er bewahrte nichtsdestoweniger streng das Geheimnis, weil er durchaus wollte, daß der allzu glückliche Jermyn eine kleine Abenteurerin heiraten solle, die sich für ein Tugendmuster ausgab; er wollte ihm dann am Tag nach der Hochzeit seine Gratulation über das Geschöpf, mit dem er sich verbunden, aussprechen. Der Himmel fand es aber für gut, ihm das zu versagen, wie wir später sehen werden.
Wir erwähnten, daß Miß Hamilton bei einer Verwandten auf dem Lande war. Während dieser kurzen Abwesenheit hatte der Chevalier Grammont es bitter empfunden, daß ihm unter keinerlei Vorwand ein Besuch gestattet wurde. Bei der Größe seiner Ungeduld war ihm aber das ihm stets günstige Spielerglück kein geringer Trost.
Endlich kehrte Miß Hamilton zurück. Mistreß Wetenhall wollte sie scheinbar aus Höflichkeit in gehöriger Form zurückbegleiten. Die bis zum Übermaß getriebene Etikette ist das Steckenpferd des Landadels. Hier aber war die Höflichkeit bloßer Vorwand, um einen etwas seltsamen Gemahl zu bewegen, in die Reise seiner Frau einzuwilligen. Vielleicht hätte er sich selbst die Ehre gegeben, Fräulein Hamilton nach London zu begleiten, wäre er nicht mit einigen Beiträgen zur Kirchengeschichte, an der er seit längerer Zeit arbeitete, beschäftigt gewesen. Man hütete sich, ihn in der Arbeit zu stören; denn dabei hätte Mistreß Wetenhall nicht ihre Rechnung gefunden.
Diese Dame war, was man treffend eine echt englische Schönheit zu nennen pflegt, ihr Teint wie aus Lilien und Rosen, aus Schnee und Milch; Arme, Hände, Busen und Füße wie aus Wachs; alles aber ohne Seele und Leben. Das Gesicht war das niedlichste Bild, aber immer dasselbe Antlitz; man konnte meinen, sie ziehe es jeden Morgen aus einem Kästchen und stecke es, ohne es tagsüber gebraucht zu haben, abends wieder hinein. Genug, die Natur hatte eine Puppe aus ihr gemacht, und die niedliche Mistreß Wetenhall blieb eine Puppe bis zum Grabe. Ihr Gatte, der Squire Wetenhall, hatte Theologie studiert; da jedoch sein älterer Bruder, während er selbst auf der Universität war, starb, schlug er nicht die Kirchenlaufbahn, sondern den Weg nach der Heimat ein und nahm die eben geschilderte Miß Bedingfield zur Gattin.
Sein Äußeres war gar nicht übel; aber er hatte eine ernste, grübelnde Miene, die einen melancholisch machen konnte. Übrigens durfte sie sich rühmen, einen der größten Theologen des Landes zum Manne zu haben; er war alle Tage wie an die Bücher gefesselt und ging früh zu Bett, um früh wieder aufzustehen. Wenn die Frau schlafen ging, fand sie ihn schnarchend, und wenn er aufstand, war sie im tiefsten Schlummer. Bei Tisch wäre seine Unterhaltung lebhaft gewesen, wenn Madame, wie er, die göttliche Lehre auswendig gekannt oder das Disputieren geliebt hätte; da sie aber weder das eine noch das andere interessierte, so herrschte an ihrer Tafel ein Schweigen wie bei einem Klostermahl.
Häufig hatte sie den lebhaften Wunsch geäußert, London zu sehen; wenn sie aber auch nur eine kleine Tagereise davon entfernt wohnten, wurde ihre Sehnsucht dennoch nie gestillt. Sie wurde also nicht ohne Grund des Lebens in Peckham satt. Die Einförmigkeit eines schon durch seine Lage so traurigen Ortes schien ihr unerträglich; da sie überdies, wie viele Frauen, törichterweise glaubte, ihre Kinderlosigkeit mache ihr wenig Ehre, so wurde sie ziemlich bös bei dem Gedanken, daß man sie für unfruchtbar halten könnte; denn sie hielt sich überzeugt, sie besitze, wenn der Himmel ihr jetzt auch den Segen nicht gewähre, doch alles, was nötig sei, um Kinder zu bekommen, sobald es des Herrn Wille sei. Das hatte sie zu einigem Nachdenken veranlaßt und daran hatten sich weitere Betrachtungen geknüpft, wie zum Beispiel, da ihr Gemahl mehr auf seine Studien als auf die ehelichen Pflichten bedacht sei und lieber in alten Büchern wühle als in jungen Reizen, da er mit einem Wort mehr für seine Unterhaltung sorge als für die Zerstreuung seiner Frau, so dürfte es ihr aus Nächstenliebe wohl gestattet sein, einen schmachtenden Verehrer anzuhören, versteht sich, in aller Form Rechtens und solcher Absicht, daß der böse Feind ihr nichts anhaben könne. Vielleicht hätte Mister Wetenhall, als eifriger Anhänger der Kasuistenmoral, diese Entschlüsse nicht ganz gebilligt, aber er wurde nicht gefragt.
Leider bot sich in dem öden Peckham und der traurigen Umgegend nichts, was den Absichten der Mistreß Wetenhall entgegenkommen konnte. Sie verschmachtete zusehends und aus Furcht, vor Einsamkeit oder durch Entbehrung den Tod zu finden, wandte sie sich an das gute Herz Miß Hamiltons.
Sie hatten einander in Paris kennengelernt, wohin Wetenhall die Frau sechs Monate nach der Hochzeit geführt hatte, weil er dort Bücher einzukaufen wünschte. Seit jener Zeit bedauerte Miß Hamilton sie sehr und beschloß, einige Monate mit ihr auf dem Lande zuzubringen, in der Hoffnung, sie durch diesen Besuch der Gefangenschaft zu entziehen, und – der Plan gelang.
Vom Tage ihrer Ankunft in Kenntnis gesetzt, wußte der Chevalier Grammont, auf den Flügeln der Liebe und voll Ungeduld, Georg Hamilton zu bewegen, ihnen ein paar Meilen von London aus zusammen entgegenzufahren. Der Wagen, in dem sie bei dieser Gelegenheit erschienen, war seiner Prachtliebe würdig; auch kann man denken, daß er an seiner Person nichts gespart hatte. Doch trotz seines Ungestüms zügelte er die Eile des Kutschers, weil er einen Zufall besorgte; ihn dünkte auf dem Weg Vorsicht passender als Eifer. Endlich kamen die Damen und Miß Hamilton erschien ihm noch zehnmal schöner, als bei ihrer Abreise von London; er hätte für eine solche Umarmung, wie sie sie dem Bruder zuteil werden ließ, sein Leben gegeben.
Mistreß Wetenhall erhielt ihren Tribut bei der Huldigung, die hier der Schönheit gezollt wurde, und ihre Reize wußten den Huldigenden Dank. Als Hamilton sie wärmer ansah, blickte sie auf ihn als ein passendes Werkzeug für ihre kleinen, im stillen entworfenen Pläne.
In London taumelte ihr Köpfchen vor Zufriedenheit und Glück; wie ein Zauber kam ihr in dieser herrlichen Stadt alles vor, was sie sah, da sie von Paris bisher nur einige Buchläden in der Straße von Saint-Jacques erblickt hatte. Sie wohnte jetzt bei Miß Hamilton, wurde an beiden Höfen vorgestellt, beaugapfelt, und – gefiel.
Unerschöpflich in Festen und galanten Aufmerksamkeiten, benutzte der Chevalier Grammont die Ankunft der schönen Fremden, um alle Pracht zu entfalten; Bälle, Konzerte, Schauspiele, Spazierfahrten zu Wasser und zu Lande, Gastmähler ohne Ende jagten einander. Für diese ihr meist unbekannten Genüsse zeigte Mistreß Wetenhall höchste Empfänglichkeit. Nur das Schauspiel langweilte sie ein wenig, wenn man ernste Dramen gab. Sie meinte indes, die Sache sei sehr rührend, wenn viele Leute auf der Bühne getötet würden, obwohl die Schauspieler eigentlich doch hübsche große Burschen seien, die man lieber am Leben sähe.
Hamilton wurde von ihr zu seiner Zufriedenheit behandelt, soweit nämlich bei einem Verliebten, der stets etwas viel verlangt, von Zufriedenheit die Rede sein kann. Er tat sein mögliches, um sie zur Ausführung der in Peckham gefaßten Entschlüsse zu bewegen. Mistreß Wetenhall fand ihn sehr nach ihrem Geschmack. Es war derselbe Hamilton, den man in Frankreich mit Auszeichnung dienen gesehen. Er war angenehm und wohlgebildet. Alles schien auf ein Verhältnis hinzudrängen, dessen Beginn zu lebhaft gewesen war, als daß es vor Schluß hätte einschlafen können. Je mehr er sie indes zum Ziele trieb, desto mehr mangelte ihr der Mut, und einige Reste von Zweifeln, die sie nicht ganz gelöst, hielten die Sache in Schwebe. Es läßt sich wohl annehmen, daß etwas mehr Ausdauer sie besiegt hätte; doch blieben die Dinge einstweilen wie sie waren, Hamilton, der nicht begreifen konnte, was sie von der Hingabe abhalte, da vor den Augen der Welt doch das Erste und Schwierigste überwunden war, überließ sie ihrem Schwanken, statt, wie er gesollt, sie durch stets erneuten Eifer zu drängen. Wegen solcher Hindernisse mitten im besten Zuge stehenzubleiben, schien ihm unbegreiflich. Aber er war bereits von Hoffnungen und Schimären zu sehr eingenommen, so daß er hier vorzeitig nachließ, um ganz nutzlos einer anderen Fährte nachzugehen.
Ich kann nicht sagen, ob die kleine Wetenhall sich daran die Schuld gab, genug, sie war darüber außer sich. Denn bald mußte sie zu ihren Kohlköpfen und Truthähnen nach Peckham zurück. Sie wollte fast verzweifeln; jener Aufenthalt erschien ihr tausendmal schrecklicher, seitdem sie London kennengelernt. Die Königin sollte indes in einem Monat nach dem Badeort Tunbridge, und man mußte sich der traurigen Notwendigkeit des Wiedersehens mit dem Philosophen Wetenhall fügen. Nur das Versprechen Miß Hamiltons, sie werde, solange der Hof im Bade bleibe, kein anderes Haus beziehen, als das der jungen Frau, das kaum eine Stunde von Tunbridge lag, konnte sie einigermaßen trösten.
Die Hamilton versprach ihr, sie wolle sie in ihrer Einsamkeit nicht verlassen; vor allem aber werde sie ihr den Chevalier Grammont hinführen, dessen muntere Unterhaltung ihr so zusagte, und der Chevalier, der stets bereit war, auf Herzensangelegenheiten einzugehen, verhieß ihr, Georg Hamilton mitzubringen, worüber sie bis zu den Ohren errötete.