Anthony Graf Hamilton
Die Memoiren des Grafen Grammont
Anthony Graf Hamilton

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Zu jener Zeit ward die Gunst, in der Miß Stewart beim König stand, so offenkundig, daß es nur einiger Gewandtheit in ihrem Benehmen bedurfte, und sie hätte des Königs Kopf ebenso beherrscht, wie sie sein Herz besaß. Für gewandte, ehrgeizige Männer war die Gelegenheit lockend. Der Herzog von Buckingham strebte danach, sie zu leiten, um durch sie den Geist des Königs zu lenken. Welch ein seltsamer Führer und was für ein Kopf, um andere zu zügeln! Er war indes von allen am meisten geeignet, sich bei einem Wesen, wie Miß Stewart, einzuschmeicheln; sie war so kindisch, daß sie über alles lachen mußte, ihr harmloser Sinn ergötzte sich an den einfachsten Schwänken mit einer Lebendigkeit, die nur dem Alter von zwölf bis dreizehn Jahren gestattet scheint. Die Puppen ausgenommen war sie ganz Kind, Blindekuh war ihre größte Freude; sie baute Kartenhäuser, während bei ihr hoch gespielt wurde und oft sah man Höflinge ihr dabei helfen oder sie übertreffen.

Sie hatte Sinn für Musik und etwas Geschmack im Gesang. Der Herzog von Buckingham konnte die schönsten Kartengebäude aufstellen und sang sehr hübsch; das ›Ausrichten‹ anderer war ihr nicht zuwider und der Herzog war darin Meister, er schrieb Possen, erfand Feenmärchen, für die sie schwärmte. Aber sein Haupttalent war, die lächerlichen Seiten und die Redeweise der Leute aufzufassen und sie in deren Gegenwart, ohne daß sie es merkten, nachzumachen. Kurz, er wußte alle Rollen mit viel Anmut und Humor zu spielen, man hätte, sobald er nur irgend gefallen wollte, ohne ihn nicht leben mögen. Für die Unterhaltung der Miß Stewart war er so unentbehrlich geworden, daß sie ihn häufig, wenn er nicht in Begleitung des Königs bei ihr erschien, überall aufsuchen ließ.

Er war sehr schön und hielt sich noch für weit schöner, als er war. Bei vielem Geist verführte ihn doch seine Eitelkeit, Aufmerksamkeiten, die nur seinen Schwänken und seinem Geplauder galten, auf seine Person zu beziehen. Aus Selbstüberhebung ließ er sich zum Aufgeben früherer Pläne und der portugiesischen Mätresse bewegen und trachtete nach einer Gunst, über deren Inhalt er sich täuschte. Sobald er bei Miß Stewart eine ernstere Rolle spielen wollte, wurde er so entschieden zurückgewiesen, daß er seine Absichten schleunigst aufgab. Doch muß man sagen, daß der vertraute Umgang mit dem König, den sie veranlaßte, ihm den Weg zu seiner späteren hohen Gunst bahnte.

Lord Arlington wollte das von Buckingham aufgegebene System, durch den Einfluß der Favoritin den Fürsten zu beherrschen, auch versuchen. Die hohe Stufe, die dieser Staatsmann bereits erstiegen, hätte wohl einen Mann von größerem Wert und edlerer Geburt, als ihn, zufriedenstellen können. Seine ersten Staatsdienste hatte er zur Zeit des Pyrenäen-Vertrages geleistet, und obwohl er dabei für seinen Herrn keinen Erfolg erzielt, hatte er doch die Zeit nicht ganz verloren; denn es war ihm gelungen, in seinem Äußern Würde und Grandezza der Spanier ganz anzunehmen und bei Unterhaltungen ahmte er deren Langsamkeit vollkommen nach. Er hatte eine Narbe quer über die Nase und bedeckte sie mit einem langen Streifen Pflaster.

Verwundungen im Gesicht pflegen ein kühnes, kriegerisches Ansehen zu geben, das nicht übel kleidet. Bei ihm war das nicht der Fall; das auffallende Pflaster paßte sehr gut zu seiner geheimnisvollen Miene und verlieh ihm einen Anstrich von Wichtigkeit und Pedanterie.

Unter dem Schutz dieses, strenge Tätigkeit und undurchdringliche Geheimnisse andeutenden Äußern gab sich der Lord für einen großen Staatsmann aus und da man nicht Zeit hatte, ihn zu prüfen, glaubte man ihm aufs Wort und er ward kraft seiner Miene zum Staatsminister ernannt.

Ehrgeizig und durch diese Würde unbefriedigt, versah er sich mit mehreren schönen Aussprüchen nach geschichtlichen Beispielen und verschaffte sich bei Miß Stewart Audienz. Indem er seine Weisheit auskramte, bot er ihr seine ganz ergebenen Dienste und wohl bedachten Ratschläge an, und wollte ihr zeigen, wie sie sich auf dem ihr vom Himmel und durch ihren eigenen Wert angewiesenen Posten zu benehmen habe. Noch war er am Anfang seiner Rede, als ihr einfiel, er sei ein Hauptheld unter den vom Herzog von Buckingham komisch dargestellten Personen. Da nun seine Erscheinung und Rede Zug für Zug der Karikatur Leben gaben, konnte sie nicht anders, sie mußte ihm nach vergeblicher Beherrschung ins Gesicht lachen.

Der Minister war außer sich; sein Stolz war seiner hohen Stellung entsprechend, sein überspannter Ehrgeiz verdiente aber jeden Spott. Er zog mit allen schönen Ratschlägen in der Tasche ab, fest entschlossen, sie der Lady Castlemaine zuzuwenden, sich mit ihr zu verbinden, oder die Hofpartei ganz aufzugeben und im Parlament gegen die schreienden Staatsübel durch einen Gesetzantrag zur Unterdrückung der königlichen Mätressen, aufzutreten. Aber die Klugheit siegte über seine Rachsucht. Zuletzt war er nur darauf bedacht, die süßen Gaben des Glücks zu genießen und ließ sich eine Frau aus Holland kommen, mit der er seiner Seligkeit die Krone aufsetzte.

Zur Durchführung der vom Herzog von Buckingham und Lord Arlington nicht erreichten Absicht war unter allen Hofleuten Hamilton am besten geeignet. Er nahm die Idee auf; aber sein natürlicher Wankelmut kam ihm in die Quere und ließ ihn den trefflichen Plan aufgeben; er lief nämlich umsonst den Lockungen der Lady Chesterfield nach.

Diese war eine der lieblichsten Frauen, die man sich denken kann. Wenn auch nicht groß, hatte sie doch den reizendsten Wuchs. Sie war blond, von blendender Weiße, mit dem ganzen Feuer und Reiz einer Brünette. Aus großen blauen Augen strahlten verführerische Blicke. Ihre Bewegungen waren anziehend, ihr Wesen heiter und sympathisch; aber ihr der Liebe stets offenes Herz hatte für Treue wenig Sinn, für Aufrichtigkeit kein Gewissen. Sie war des Herzogs von Ormond Tochter, Hamilton ihr Vetter. – Ungehindert sahen sie sich, so oft sie wollten; sobald ihre Augen ihm aber einmal ein kleines Wort gesagt, strebte er nach nichts, als ihr zu gefallen, und dachte nicht an ihren Wankelmut oder an Schwierigkeiten anderer Art. Wie wir sagten, war bei ihm die Absicht, sich in Miß Stewarts Vertrauen zu befestigen, vergessen; aber diese kam bald in eine Stellung, die alle ihr zugedachten schönen Lehren ganz entbehrlich machte. Sie hatte alles getan, die Leidenschaft des Königs zu erhöhen, ohne dabei ihre Tugend durch die letzte Gunst zu opfern. Allein die Glut eines leidenschaftlich Liebenden ist schwer bekämpft, noch schwerer zu überwinden, und Miß Stewarts Tugend war in der höchsten Gefahr, als die Königin von einem heftigen Fieber ergriffen wurde, welches sie an den Rand des Grabes brachte. Da konnte die Stewart sich zu dem Widerstand Glück wünschen, der ihr nicht leicht geworden. Tausend Gedanken von Größe und Ruhm bemächtigten sich ihrer und die ihr überall dargebrachten erneuten Huldigungen spannten die Hoffnung aufs höchste.

Die Ärzte gaben die Königin auf; die wenigen zurückgebliebenen Portugiesinnen erfüllten das Schloß mit Wehklagen, und das gute Herz des Königs wurde weich bei dem Schicksal einer Fürstin, die er zwar nicht zärtlich liebte, aber sehr schätzte. Sie liebte ihn von ganzer Seele und da sie ihn zum letzten Male zu sehen glaubte, gestand sie ihm, das Gefühl, das er bei ihrem Sterben zeige, ließe sie den Verlust des Lebens schmerzlich bedauern; da sie aber nicht Schönheit genug besessen, ihn zu fesseln, habe sie mindestens den Trost, durch ihren Tod einer glücklicheren Gemahlin Platz zu machen, welcher der Himmel vielleicht den Segen gewähren werde, den er ihr verweigert. Bei diesen Worten benetzte sie seine Hand mit Tränen, die er für die letzten hielt. Auch sein Auge ward naß und ohne zu ahnen, daß sie ihn beim Wort nehmen könne, beschwor er sie, aus Liebe zu ihm am Leben zu bleiben. Sie hatte ihm stets gehorcht, und wie gefährlich auch sonst auf dem Sterbebette heftige Bewegungen sind, so erhielt sie das Übermaß der Freude, das sie töten konnte, am Leben und diese außerordentliche Rührung des Königs brachte eine Wirkung hervor, für die nicht jeder dem Himmel auf gleiche Weise Dank wußte.

Jermyn war schon seit einiger Zeit von seinen Wunden hergestellt; die Castlemaine fand jedoch seine Konstitution so unzulänglich wie immer und nahm sich vergeblich vor, das Herz des Königs wieder zu gewinnen; denn ungeachtet der zärtlichen Tränen und heftigen Wutausbrüche der Lady behielt Miß Stewart es ganz für sich. Bald gab es Spazierritte, bei denen die Schönen des Hofes hoch zu Roß ihre Reize zuweilen mit, zuweilen ohne Erfolg, aber immer nach Kräften entfalteten; bald wiederum erblickte man auf dem Wasser ein Schauspiel, wie es nur die Stadt London zu bieten vermag.

Die Themse bespült den Fuß des großen, aber nicht sehr prächtigen Palastes der Könige von Großbritannien. Von den Stufen dieses Schlosses steigt der Hof herab, um sich auf dem Fluß einzuschiffen, wenn an Sommerabenden Hitze und Staub die Spazierfahrt im Park nicht gestatten. Eine Unzahl offener Fahrzeuge, mit allen reizenden Damen des Hofes und der Stadt gefüllt, geben den königlichen Barken das Geleit. Dabei gibt es Festmähler, Musik und Feuerwerke. Auch der Chevalier Grammont nahm immer teil daran und fast jederzeit verschönerte er die Fahrt durch eine prächtige oder galante Überraschung. Zuweilen waren es ganze Vokal- und Instrumentalkonzerte, zu denen er die Künstler heimlich aus Paris hatte kommen lassen und die plötzlich auf dem Wasser ihre Arien anstimmten, oft auch darstellende Künstler, die ebenfalls aus Frankreich herbeigeholt wurden, um in London die Feste des Königs zu verherrlichen. Mitunter übertraf, mitunter enttäuschte die Leistung seine Erwartungen, aber sie kostete ihm immer ungeheure Summen.

Unter den Herren, die ihn am meisten schätzten und ehrten, stand Lord Falmouth obenan. Dieser Aufwand tat dem Lord wehe, und da er oft ohne Umstände zum Chevalier soupieren kam, sagte er eines Abends, als er nur Saint-Evremont bei einem für sechs Personen gerichteten Mahle fand, zu Grammont: »Nicht mir sind Sie für diesen Besuch Dank schuldig. Ich komme vom König, der nur von Ihnen sprach, und versichere Ihnen, die Art, wie der König sich über Sie äußerte, könnte Ihnen nicht soviel Freude gemacht haben wie mir. Sie wissen, daß er Ihnen seit langer Zeit seine Fürsprache beim König von Frankreich anträgt; mein Beistand zu diesem Zweck wäre Ihnen auch gesichert, wenn ich Sie nicht durch Ihre Aussöhnung mit dem französischen Hofe zu verlieren fürchtete. Aber dank Miß Hamilton werden Sie sich damit nicht beeilen. Unterdes habe ich von meinem Herrn Befehl, Ihnen zu sagen, daß Ihnen bis zu Ihrer Begnadigung von unserem König eine Pension von 1500 Jakobstalern ausgesetzt ist. Für die Rolle, die der Chevalier Grammont bei uns spielt, ist das sehr wenig, aber« – setzte er ihn umarmend hinzu – »es wird ihm helfen, uns ein Souper zu geben.«

Der Chevalier nahm diese Gnade auf, wie es sich gebührte. »Ich erkenne«, sagte er, »des Königs ganze Huld in diesem Anerbieten, aber noch mehr den edlen Charakter von Mylord Falmouth und bitte, Seiner Majestät meine volle Dankbarkeit auszudrücken. Wenn es meinem königlichen Herrn gefällt, mich zurückzurufen, wird er es mir an nichts fehlen lassen. Bis dahin will ich Ihnen zeigen, womit ich Ihren Herren Landsleuten einige Mahlzeiten zu geben denke.« Bei diesen Worten ließ er seine Geldkiste bringen und zeigte ihm sieben bis acht tausend Guineen vom schönsten Golde.

Da Lord Falmouth das Ausschlagen eines so vorteilhaften Anerbietens dem Chevalier Grammont hoch anrechnen lassen wollte, teilte er diesen Zug dem Herrn von Comminge, damals französischem Botschafter in England, mit und dieser ermangelte nicht, bei seinem Hofe das Verdienstliche der Handlung hervorzuheben.


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