Anthony Graf Hamilton
Die Memoiren des Grafen Grammont
Anthony Graf Hamilton

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Einen Monat später reiste der Hof ab, um etwa acht Wochen an dem einfachsten ländlichen Orte, der aber zugleich der angenehmste und unterhaltendste Aufenthalt ist, zuzubringen.

Tunbridge liegt von London etwa ebenso weit, wie Fontainebleau von Paris; zur Brunnenzeit versammelt sich dort die schöne und elegante Welt beider Geschlechter. Die Gesellschaft ist dort immer zahlreich, aber stets gewählt. Da die Zahl der bloß Vergnügen Suchenden jene der Kranken fortwährend übersteigt, so atmet alles nur Vergnügen und Freude. Jeder Zwang ist verbannt, kaum bekannt, ist man schon vertraut miteinander; allmächtig herrscht nur der Lebensgenuß. Zur Wohnung hat man kleine, saubere und bequeme Häuschen, die, voneinander getrennt, die Quellen auf eine halbe Stunde im Umkreis umgeben. Des Morgens versammelt man sich am Sprudel. Dort befindet sich eine große Allee von dichtbelaubten Bäumen, unter denen man spazierengehend den Brunnen trinkt. Auf einer Seite des Laubenganges ist eine lange Reihe von Buden mit aller Art Schmucksachen, Strümpfen, Handschuhen und Spieltischen, wie auf einem Jahrmarkt. Auf der anderen Seite der Bäume ist der Gemüsemarkt, auf dem jeder selbst seine Vorräte einkauft, weshalb dort nichts Unsauberes geduldet wird. Man sieht dort kleine, blonde, frische Landmädchen mit sehr reiner Wäsche, niedlichen Strohhüten und sauberem Schuhwerk; sie verkaufen Wildbret, Gemüse, Blumen und Früchte. Man erhält so gute Kost, wie man nur wünschen kann. Es wird auch hoch gespielt und Liebesverhältnisse sind an der Tagesordnung. Sobald der Abend kommt, verläßt jeder sein Schlößchen, um sich auf dem Rasenplatz einzufinden. Dort tanzt man, wie man will, auf einem so weichen, ebenen Rasen, wie auf dem schönsten Teppich der Welt.

Eine halbe Stunde von Tunbridge hatte Lord Muskerry ein schönes Landhaus, Summerhill genannt. Nachdem Miß Hamilton acht bis zehn Tage in Peckham zugebracht, mußte sie die übrige Zeit ihres Aufenthaltes dort verleben. Mister Wetenhall gab auf ihre Bitte seiner Frau die Erlaubnis, sie dorthin zu begleiten und so schlug dieser kleine Kreis, das langweilige Peckham und seinen noch langweiligeren Herrn verlassend, seinen Sitz in Summerhill auf.

Sie waren täglich bei Hof oder der Hof bei ihnen. Die Königin überbot sich selbst in der Sorge für Erheiterungen. Sie wollte die natürliche Ungebundenheit von Tunbridge noch erhöhen, statt durch die ihrer Person zustehenden Rücksichten die Freiheit irgendwie zu beschränken. Sie untersagte alle Etikette, verschloß Gefühle, die sie nicht ganz bannen konnte, tief in ihrem Herzen und während die Stewart des Königs Neigung triumphierend zur Schau trug, machte die Fürstin nicht einmal ein unfreundliches Gesicht.

An keinem Orte der Welt hat je die Liebe ihre Macht so blühend entfaltet. Die vor der Ankunft von ihr getroffen waren, fühlten ihre Glut steigen und die Eros am wenigsten unterworfen schienen, ließen ihren natürlichen Starrsinn sein und spielten eine ganz andere Rolle. Wir führen hier nur das Beispiel vom Prinzen Rupert an.

Tapfer bis zur Tollkühnheit, war er einigen Passionen unterworfen, von denen er sich nur ungern trennte. Mit bedeutenden Anlagen für mathematische Probleme verband er Kenntnisse in der Chemie. Bis zum Übermaß höflich, wo es nicht nötig war, zeigte er sich stolz, selbst grob, wo es galt, milde zu sein. Er war groß und hatte ein abstoßendes Äußeres. Sein Gesicht erschien hart und düster, selbst wenn er sich heiter zeigen wollte, aber bei übler Laune bot er den Anblick eines Verdammten.

Die Königin hatte, um in der Unterhaltung keine Lücke eintreten zu lassen, die Schauspieler aus London herbefohlen, vielleicht auch, um durch die Anwesenheit der Nell Gwynn dem Fräulein Stewart einen Teil der Unruhe zu vergelten, die diese ihr bereitete. Prinz Rupert fand in den Zügen einer anderen kleinen Künstlerin, namens Hughes, Reize, die sein sonst wildes Naturell auf einmal unterjochten. Fort also mit allen Destillierkolben, Schmelztiegeln, Öfen und dem ganzen Apparat der schwarzen Kunst, fort mit allen mathematischen Instrumenten und Berechnungen! Bei ihm war jetzt nur von Riechwassern und Essenzen die Rede. Das kleine, naseweise Mädchen wollte in gehöriger Form belagert sein, sie widerstand allem Gelde, um ihre Gunst später um so teurer zu verkaufen und ließ den armen Prinzen eine ganz unerhört neue Rolle spielen. Der König war über den Vorfall entzückt. Man feierte ihn förmlich wie ein glückliches Ereignis; aber es war niemand so keck, darüber zu spötteln, während man sich bei den Schwächen anderer keinen Zwang antat.

Bei der Königin wurde alle Tage getanzt, weil die Ärzte es gut fanden und niemand etwas dagegen einzuwenden hatte. Selbst die weniger Tanzlustigen zogen zur Verdauung des Wassers diese Bewegung dem steten Herumlaufen vor. Lord Muskerry glaubte sich gegen alle Springgelüste seiner Gemahlin gesichert, denn die Prinzessin von Babylon war, wenn er sich dessen auch etwas schämte, seit sechs oder sieben Monaten guter Hoffnung und zu ihrem großen Leidwesen hatte sich das Kind auf die eine Seite geworfen, so daß man sich in ihrer Gestalt gar nicht zurechtfinden konnte. Jeden Morgen sah also die arme Muskerry Miß Hamilton und Mistreß Wetenhall bald zu Wagen, bald zu Pferde eine Fahrt antreten, stets von einer galanten Schar begleitet. Sie malte sich die Freuden an den Orten, an die sie zogen, weit glänzender aus, als sie waren, und ihre Phantasie tanzte zu Summerhill alle Kontertänze von Tunbridge nach. Kaum hätte sie solchen Geistesqualen noch standhalten können, als der Himmel, von ihren Wünschen gerührt, Lord Muskerry endlich auf zwei Tage nach London führte. Er hatte kaum den Rücken gewendet, als die Lady erklärte, sie wolle eine kleine Fahrt zum Hof machen.

Sie besaß einen sehr vernünftigen Hausbeichtiger oder Kaplan. Aus Furcht vor einer Anwandlung hatte der Lord sie den Ratschlägen und dem sanften Zuspruche des weisen Priesters empfohlen. Doch der ermahnte sie vergebens zum Bleiben; umsonst hielt er ihr die Befehle ihres Herrn und die Gefahren vor, denen sie sich in solchem Zustande aussetze. Es half nichts, daß er ihr die Schwangerschaft wie eine besondere Gnade des Himmels darstellte, die sie zu erhalten suchen müsse, um so mehr, da sie vielleicht nicht ahne, wie schwierig es oft sei, zu ihr zu gelangen. All seine Ermahnungen waren in den Wind gepredigt. Miß Hamilton und die Kusine Wetenhall unterstützten sie freundlich in ihrem Vorhaben, halfen ihr am folgenden Tage sich ankleiden und fuhren mit ihr ab. Es hatte der ganzen Gewandtheit der Damen bedurft, um ihrem Wuchs einige Symmetrie zu verleihen; endlich steckten sie ihr ein kleines Kissen unter das Kleid, damit es ihrem verwünschten Kind, das sich auf die linke Seite geworfen, auf der rechten das Gleichgewicht halte, und glaubten vor Lachen zu bersten, als sie ihr sagten, sie wäre ganz allerliebst.

Als sie bei Hofe erschien, meinte man, sie habe sich der Königin zu Ehren in einen Reifrock gesteckt; aber man freute sich, sie zu sehen. – Leute ohne Umstände versicherten ihr, sie sei gewiß mit Zwillingen schwanger, und die Königin, die sie im Grunde ein wenig darum beneidete, wenn die Sache auch noch so komisch schien, war weit entfernt, sie um die ihr wohlbekannte Hauptfreude zu bringen.

Als die Stunde der Kontertänze geschlagen, erhielt Hamilton Befehl, sie zu führen. Sie machte wegen ihres Zustandes freilich einige Schwierigkeiten, aber sie tue es, um der Königin zu gehorchen, sagte sie, und strahlte beim Antreten geradezu vor Seligkeit.

Wir haben schon gesagt, das größte Glück sei oft dem traurigsten Umschwung unterworfen. Ausgestopft wie sie war, schien die Muskerry dennoch gar keine Ermüdung zu fühlen; im Gegenteil, für sie gab es keine andere Pein, als die Ankunft ihres Gemahls, so beeilte sie sich denn so viel zu tanzen, als sie konnte, damit nicht seine plötzliche Rückkehr ihr einen Teil des Genusses raube. Als sie sich aber unvorsichtig bewegte, löste sich unvermerkt das untergestopfte Kissen und fiel mitten in die Tanztour. Der Herzog von Buckingham folgte ihr, hob es sorgsam auf, drückte es an die Brustklappen seines Rocks und, indem er das Geschrei eines neugeborenen Kindes nachmachte, suchte er gleich unter den Ehrenfräulein eine Amme für den armen, kleinen Muskerry.

Dieser Scherz hätte, im Verein mit der wunderlichen Gestalt der Frau, Miß Stewart vor Lachen fast ohnmächtig gemacht; denn die Prinzessin von Babylon stand plötzlich auf der rechten Seite ganz eingefallen, auf der andren einhöckerig im Kreis. Wer sich bis dahin gehalten hatte, ließ nun seinem Lachen freien Lauf, weil man den Lachausbruch Miß Stewarts zum Signal nahm. Die Lady war ganz außer Fassung, alle baten um Entschuldigung und die Königin, die innerlich mehr als alle anderen lachte, stellte sich, als fände sie es unpassend, daß man sich so viel Freiheit herausnehme.

Während Miß Hamilton und die Wetenhall Lady Muskerry in einem anderen Zimmer wieder ausstopften, sagte der Herzog von Buckingham zum König: »Wenn gleich nach der Niederkunft Bewegung erlaubt wäre, so müßte man nach Reponierung des Kindes Lady Muskerry Genugtuung geben.« Der Rat schien nicht übel und wurde befolgt. Die Königin befahl bei ihrem Erscheinen die Wiederholung des Kontertanzes, die Lady nahm die Aufforderung an, das Mittel tat seine Wirkung und der kleine Unfall war vergessen.

Während diese Dinge am Hofe des Königs vorgingen, war der Hof des Herzogs von York wo anders hingefahren. Der Vorwand zur Reise war der Besuch der Provinz, deren Namen der Fürst trug; aber Liebe war der eigentliche Beweggrund. Die Herzogin hatte sich seit ihrer Erhebung mit einer Klugheit und Vorsicht benommen, die man nicht genug bewundern konnte. Ihr Benehmen war derart, daß sie das Geheimnis, alle Welt zufriedenzustellen, gefunden zu haben schien, eine seltene Kunst, fast noch seltener, als ihr unerhörter Aufstieg. Aber nachdem sie sich so lange hatte verehren, wollte sie sich auch ein wenig lieben lassen oder, besser gesagt, Amor wußte sie durch alle Vorsicht, Weisheit und Grundsätze, mit denen sie sich gewappnet, mitten hindurch ins Herz zu treffen.

Hundertmal sagte sie sich umsonst: Als der Herzog sie liebte, habe er ihr nur Gerechtigkeit erzeigt, doch dadurch, daß er sich mit ihr vermählt, habe er ihr zu viel Ehre erwiesen; bei seiner immer wiederholten Untreue käme es ihr zu, sich geduldig zu fügen, bis es dem Himmel gefiele, ihn zu bessern. In den Schwächen, durch die er sie zu beschimpfen scheine, dürfe sie seinem Beispiel nicht folgen; da aber jede andere Rache sich noch weniger zieme, müsse sie ihn durch ein dem seinen entgegengesetztes Benehmen zurückzugewinnen suchen. Sie hatte sich durch diese Grundsätze lange aufrecht zu halten gesucht, aber vergeblich; so stark der Verstand, so streng die Sittsamkeit sein mag, es gibt Prüfungen, die durch ihre lange Dauer selbst Vernunft und Tugend nicht ertragen.

Die Herzogin von York war unter allen englischen Damen mit dem stärksten Appetit gesegnet. Da dies eine erlaubte Neigung war, so entschädigte sie sich durch Schmausen für das, was sie sich anderseits durch Fasten abgehen ließ. Es war geradezu erbaulich, sie bei der Tafel zu sehen. Der Herzog hingegen überließ sich unaufhörlich neuen Liebeleien, erschöpfte sich durch Untreue und wurde immer magerer, während die Herzogin sich trefflich nährte und so fett wurde, daß es fast wie Segen schien. Man kann nicht sagen, wie lange das so fortgegangen wäre, wenn nicht der Liebesgott, über ein von ihrem früheren so verschiedenes Betragen ergrimmt, List und Gewalt angewandt hätte, um ihre Ruhe zu stören.

Zuerst setzte er Rach- und Eifersucht, diese beiden Todfeinde alles Herzensfriedens, in Bewegung. Eine große, magere, blasse Person, die die Herzogin zu ihrem Ehrenfräulein ernannt hatte, wurde Gegenstand ihres Argwohnes, weil der Herzog ihr damals nachstellte. Sie hieß Churchill. Man konnte nicht begreifen, wie der Fürst nach seinen Neigungen für eine Chesterfield, eine Miß Hamilton und für die kleine Jennings ein solches Gesicht erträglich finden konnte; aber man bemerkte bald, daß etwas ganz anderes als bloße Lust zur Abwechslung ihn gefesselt hatte.

Die Herzogin war über diese Wahl, die ihren eigenen Wert noch tiefer herabdrückte, als die Wahl der anderen es getan, empört, und da bot gerade zur Zeit, als Unwille und Eifersucht sie stachelten, der hinterlistige Liebesgott ihren Blicken inmitten heftigster Aufregungen die edle Gestalt des schönen Sidney. Während der Gott ihr die Augen für sein Äußeres weit öffnete, verschloß er sie ihr vor seinem Geist. Ehe sie es merkte, brannte sie für ihn, und die gute Meinung, die Sidney von seinem eigenen Wert hatte, ließ ihn über diese stolze Eroberung nicht lange im dunkeln. Um sicherer zu gehen, beantworteten seine kühnen Blicke alles, was Ihrer Hoheit Augen ihn zu fragen geruhten; dabei stellte prächtigere Kleidung seine persönlichen Reize noch mehr ins Licht.


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