Anthony Graf Hamilton
Die Memoiren des Grafen Grammont
Anthony Graf Hamilton

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Das mitgeteilte Gespräch hatte nur Miß Hobart Genuß geboten; wenn die junge Temple den Anfang auch pikant fand, so hatte der Schluß sie geärgert. Auf die Entrüstung folgte die Neugier, zu erfahren, warum sie, wenn Sidney wirklich an sie denke, ihn nicht ein wenig anhören dürfe. Die zärtliche Hobart konnte ihr nichts verweigern und versprach ihr darüber Aufklärung, sobald sie sich von ihrer Festigkeit gegen Lord Rochester überzeugt haben würde. Sie sollte nur drei Tage Probezeit durchmachen, dann, schwur sie, würde sie ihr alles sagen, was sie zu wissen wünsche. Die Temple beteuerte, sie sehe in Rochester nur noch ein Ungeheuer von Treulosigkeit, und schwor die höchsten Eide, daß sie ihm nie wieder Gehör schenken, noch weniger mit ihm sprechen würde.

Kaum waren sie aus dem Kabinett, so kroch Miß Sara aus ihrem Bade, worin sie während des ganzen Gesprächs vor Kälte beinahe umgekommen wäre, ohne daß sie einen Klagelaut gewagt hätte. Die Kleine hatte von dem Kammermädchen der Hobart die Erlaubnis erlangt, ohne Vorwissen ihrer Herrschaft sich dort ein wenig waschen zu dürfen; nun hatten die beiden, ich weiß nicht wie, eine der Wannen mit ganz kaltem Wasser gefüllt und die arme Sara war gerade hineingestiegen, als sie von der Ankunft der Damen überrascht wurden. Eine Glaswand trennte das Kabinett vom Badezimmer, Vorhänge von chinesischem Taft, die von innen zuzuziehen waren, bargen die Badenden. Das Kammermädchen der Hobart hatte gerade noch so viel Zeit, die Vorhänge über der Kleinen zuzuziehen, die Verbindungstür abzuschließen und den Schlüssel herauszunehmen, als ihre Herrschaft mit Miß Temple eintrat.

Sie setzten sich auf ein längs der Glaswand aufgestelltes Sofa, und Miß Sara hatte, trotz ihrer schrecklichen Lage, doch alles gehört und im Kopfe behalten. Da das holde Kind sich die Mühe des Abwaschens nur gegeben, um Lord Rochester sauber zu empfangen, stürzte sie, kaum frei geworden, in ihr Stübchen. Rochester kam natürlich pünktlich zum Rendezvous und wurde von allem im Kabinett Vorgefallenen in Kenntnis gesetzt. Er war über die Frechheit der Hobart, namentlich darüber erstaunt, daß sie es wagen könne, ihm einen solchen Streich zu spielen; wenn er aber auch ahnte, daß Liebe und Eifersucht die Ursache waren, verzieh er ihr doch keineswegs. Die kleine Sara wollte wissen, ob es wahr sei, daß er es, wie Miß Hobart behaupte, auf die Temple abgesehen habe; sie vergehe vor Angst darüber. »Wie kannst du daran zweifeln,« sprach er, »da diese wahrheitsliebende Person es gesagt hat; aber du siehst ja auch, daß es mir nichts hülfe, selbst wenn die Temple darauf einginge, weil mein Verkehr mit den Stadtdirnen dem einen hygienischen Riegel vorschiebt.«

Aus dieser Antwort schöpfte die Nichte Beruhigung, denn, da sie für die Unrichtigkeit des letzteren Punktes einstehen konnte, hielt sie auch alles andere für erlogen. Lord Rochester wollte noch denselben Abend zur Herzogin, um zu sehen, mit welchem Gesicht er nach der von der Hobart entworfenen schönen Schilderung aufgenommen werden würde.

Auch die Temple war dort, in der Absicht, ihm die verachtungsvollste Miene zu zeigen, deren sie fähig war. Sie hatte sich prachtvoll gekleidet, bildete sich jedoch ein, die bewußten Couplets seien in aller Welt Händen, und befürchtete, daß die Anwesenden sie vielleicht für so mißgestaltet halten könnten, wie Rochester sie geschildert. Da indes die Hobart den Zusicherungen der Temple, sich fernzuhalten, nicht allzusehr traute, so verließ sie sie keinen Augenblick. Die junge Dame hatte in der Tat noch nie so schön ausgesehen; alle sagten ihr etwas Schmeichelhaftes; doch mußte man sie nach dem Benehmen, mit dem sie die Artigkeiten hinnahm, für toll halten. Sprach man von ihrem Wuchs, ihrer Frische oder ihren Augen, so brummte sie: »Schon recht, man weiß nur zu gut, daß ich ein Ungeheuer und ganz anders bin als die übrigen Mädchen; es ist nicht alles Gold, was glänzt, und wenn mein Gesicht zur Not angeht, so heißt das übrige doch nichts.« – Umsonst stieß die Hobart sie am Arm, sie fuhr in dieser Art fort, und da sie mit ihrer zersetzenden Selbstironisierung nicht aufhörte, so konnte kein Mensch begreifen, worauf sie hinaus wollte.

Als nun Rochester eintrat, errötete sie erst und wurde dann bleich; sie machte Anstalten, ihm entgegenzugehen, stand wieder still und zog beide Handschuhe bis auf die Ellenbogen; nachdem sie endlich ihren Fächer dreimal heftig auf- und zugeschlagen, erwartete sie, er werde sie, wie gewöhnlich, begrüßen. Als er es tun wollte, machte die Dame halbrechts und kehrte ihm den Rücken. Rochester lächelte nur ein wenig, schritt, um ihren Zorn noch mehr zu reizen, um sie herum und stellte sich ihr gegenüber mit den Worten hin: »Fräulein, nach einem so anstrengenden Tage ist es geradezu eine Kunst, so strahlend auszusehen. Nach einem dreistündigen Spazierritt die Zeit mit Miß Hobart zubringen und noch immer nicht angegriffen aussehen, das nenne ich Gesundheit.«

Miß Temple hatte von Natur einen sanften Blick; aber sie wurde sehr zornig, als sie sah, daß er noch die Stirne habe, mit ihr zu reden. Ihre Augen schienen Flammen zu sprühen. Die Hobart kniff sie in den Arm, weil sie befürchtete, ihre Blicke würden sich in einen Strom von Verwünschungen und Vorwürfen entladen.

Er wartete die aber nicht ab, sondern zog sich, den Dank, den er Miß Hobart schuldete, auf ein anderes Mal aufsparend, sacht zurück. Ohne zu ahnen, daß er den Inhalt ihres Gesprächs kenne, war die Dame über seine Worte sehr erschrocken. Aber die Temple, die durch alles, was sie Schmähliches über ihn wußte und ihm doch nicht sagen durfte, dem Ersticken nahe war, gelobte sich im stillen, trotz ihrem Versprechen, jedoch mit dem Vorsatz, nachher nie wieder mit ihm zu reden, bei nächster Gelegenheit ihr Herz zu erleichtern.

Bei diesen Dämchen hatte Rochester einen trefflichen Spion, die kleine Sara, die auf seinen Rat und mit Bewilligung der Tante sich wieder mit Miß Hobart ausgesöhnt hatte, um sie desto besser verraten zu können. Durch diese Kundschafterin wußte er, daß das Kammermädchen der Hobart wegen Verdacht des Horchens aus deren Dienst entlassen sei; ferner daß ihre Herrschaft ein neues Mädchen genommen, welches sie wohl, weil es häßlich war, nicht lange behalten würde, besonders auch, weil die Dirne das für Miß Temple bestimmte Konfekt wegnaschte. So unbedeutend diese Angaben waren, lobte der Lord doch die kleine Spionin wegen ihrer Aufmerksamkeit, und einige Tage später brachte sie eine Nachricht, wie man sie nur wünschen konnte.

Rochester erfuhr durch sie, Miß Hobart und ihre neue Favoritin würden um neun Uhr abends im Hauptgange des Parks Spazierengehen; sie wollten ihre Kleider austauschen, breite Schärpen und Samtmasken tragen. Die Spionin erzählte, Miß Hobart habe sich diesem Plane lange widersetzt, aber endlich hätte sie, weil Miß Temple eine Laune befriedigen wollte, nachgegeben.

Auf diese Kunde faßte Rochester seinen Entschluß. Er suchte Killegrew auf, beklagte sich über den ihm von der Hobart gespielten Streich, bat ihn um seinen Beistand und erhielt ihn zugesagt. Nachdem der Freund unterrichtet war, wie sie sich dabei benehmen wollten, nachdem die Rolle vorgezeichnet war, begaben sie sich in den Hauptgang des Parks.

Dort erschienen die beiden Nymphen bald in ihrer Vermummung. Ihr Wuchs war nicht sehr verschieden und ihre Gesichter, die allerdings sehr voneinander abstachen, waren mit Masken bedeckt. Es gingen nur wenig Menschen im Park, und sobald die Temple die Herren erblickt hatte, verdoppelte sie ihre Schritte, um sich ihnen mit der Absicht zu nähern, dem Lord Rochester unter der Maske einer anderen den Kopf zu waschen. Die Hobart hielt sie mit den Worten auf: »Wo laufen Sie hin? Haben Sie etwa Lust, mit diesen beiden Teufeln anzubinden und sich allen Frechheiten auszusetzen, die sie Ihnen sagen könnten?« – Die Mahnung war vergeblich. Die Temple wollte das Abenteuer einmal bestehen und alles, was sie versprach, war, auf Rochesters Reden nicht zu antworten.

Kaum hatte sie ausgesprochen, als sie angeredet wurden. Rochester wählte die Hobart, indem er sich stellte, als nähme er sie für ihre Freundin; aber die Temple war unzufrieden, daß ihr Killegrew zuteil wurde; mit ihm hatte sie ja nichts zu schaffen. Er bemerkte ihre Unzufriedenheit und rief, als hielte er sie ihrer Tracht nach für die andere: »Miß Hobart, wenden Sie ihren Kopf doch nicht so nach den beiden anderen. Ich weiß nicht, durch welchen Zufall Sie hier sind, aber ich finde, daß es zu Ihrem Besten ist, da ich als Ihr Diener und Freund Ihnen einige kleine Ratschläge zu erteilen habe.«

Dieser Eingang machte auf das Folgende gespannt und Miß Temple schien jetzt eher geneigt, ihn anzuhören. Als Killegrew sah, wie die anderen sich entfernten, sprach er: »Um Himmelswillen, was fällt Ihnen ein, daß Sie gegen Lord Rochester zu Felde ziehen, der als der redlichste Mann bei Hof bekannt ist! Gerade ihn schildern Sie der Dame, die er am meisten ehrt und achtet, als den größten Bösewicht? Bedenken Sie, was aus Ihnen würde, wenn er ahnte, daß Sie Miß Temple eingeredet, er hätte auf sie ein Spottlied gemacht; Sie wußten doch so gut wie ich, daß es vor mehr als einem Jahre auf die dicke Price gedichtet wurde, ehe man noch an die schöne Temple dachte? Staunen Sie nicht, daß ich alles weiß, sondern achten Sie auf das, was ich Ihnen als guter Freund rate. Ihre Neigung und Leidenschaft für die junge Temple sind außer ihr selbst niemandem mehr ein Geheimnis; denn, sosehr Sie auch ihrer Unschuld nachstellen, man läßt ihr die Gerechtigkeit widerfahren, zu glauben, sie würde Sie behandeln, wie es einst Lady Falmouth getan, wenn das arme Mädchen überhaupt ahnte, was Sie von ihr wollen. Ich rate Ihnen also, gegen ein Wesen, das zu sittsam ist, um Ihnen Ihre Lüste zu gestatten, die Dinge nicht weiter zu treiben, ferner empfehle ich Ihnen, Ihr Kammermädchen wieder in Dienst zu nehmen, um deren anstößigem Gerede ein Ende zu machen. Sie sagt überall, sie sei schwanger, schreibt Ihnen die Ursache zu und klagt Sie gröbster Undankbarkeit und ungerechtester Verdächtigung an. Sie sehen wohl, daß ich diese Dinge nicht erfinde; damit Sie jedoch nicht zweifeln, daß ich die Nachrichten aus ihrem Munde habe, sage ich Ihnen: sie hat mir von Ihrem Gespräch im Badezimmer erzählt, wie Sie dort alle Hofleute skizzierten, wie Sie dem schönsten Mädchen Englands ein für sie gar nicht bestimmtes Spottgedicht vorlasen, wie dann die arme Temple in die Falle ging, die Sie ihr nur gestellt haben, um ihre Reize durch den Augenschein kennenzulernen. Was von dem langen Gespräch aber für Sie am gefährlichsten werden könnte, sind gewisse Geheimnisse, die die Herzogin Ihnen wahrlich nicht mitgeteilt hat, damit Sie sie ihren Ehrenfräulein wieder sagen. Denken Sie darüber hübsch nach und geben Sie dem Sir Charles Littleton Genugtuung dafür, daß Sie ihm lächerliche Züge angedichtet haben. Ich weiß nicht, ob er das von Ihrem Kammermädchen erfahren hat, aber er hat geschworen, sich zu rächen und ist ein Mann von Wort; damit Sie sich aber nicht durch seine stoische Miene oder juristische Gravität täuschen lassen, so sage ich Ihnen, er ist der hitzigste Mensch, den es gibt. Das sind ja schreckliche Angriffe, die Sie ausgeheckt haben. Er sagt, einer Schurkin wie Ihnen, stehe es schlecht an, anständige Leute aus Eifersucht zu verleumden; wenn Sie fortführen, würde er klagbar werden, und wenn Ihre Hoheit ihm nicht Genugtuung gäbe, werde er sie sich selbst verschaffen; er würde Ihnen den Degen durch den Leib rennen, sollte er Sie sogar in den Armen von Miß Temple finden; es sei eine Schande, daß alle Ehrenfräulein durch Ihre Hände gehen, bevor sie noch über sich selbst im klaren sind.

Ihnen das mitzuteilen, mein Fräulein, habe ich für meine Pflicht gehalten. Sie wissen besser als ich, ob, was ich Ihnen sage, wahr ist oder nicht; von Ihnen hängt es ab, welchen Gebrauch Sie von meinen Winken machen wollen. An Ihrer Stelle würde ich zwischen Miß Temple und Lord Rochester Frieden stiften. Noch einmal, lassen Sie ihn ja nicht wissen, daß Sie die Unschuld dieser jungen Dame mißbraucht haben, um die seinige anzuschwärzen. Trennen Sie nicht einen Mann von ihr, der sie zärtlich liebt und bei seiner Ehrenhaftigkeit gewiß nie ein Auge auf sie geworfen hätte, ohne die Absicht, um ihre Hand anzuhalten.«

Während dieser Reden hatte Miß Temple buchstäblich den Mund gehalten. Sie konnte ja nicht anders als stumm zuhören, so sehr war sie durch Erstaunen und Bestürzung gelähmt.

Miß Hobart und Lord Rochester trafen sie über die eben vernommenen Wunderdinge noch ganz außer sich. Man könnte es kaum glauben, meinte sie im stillen, wenn nicht alle Einzelheiten zuträfen. Nie gab es ein größeres Chaos als die Verwirrung in ihrem Köpfchen. Selbst mach Rochesters und Killegrews Fortgang konnte sie nicht zu sich kommen; sie raffte sich indes auf und eilte mit großen Schritten nach dem Saint-James-Palast, ohne ihrer Gefährtin zu antworten. Sie schloß sich in ihr Zimmer ein, und das erste, was sie tat, war, die der Hobart gehörigen Kleider abzureißen, aus Furcht, sie könnte von ihnen befleckt werden. Nach dem Gehörten sah sie in ihr nur noch ein der Unschuld des schönen Geschlechtes verderbliches Ungeheuer, welchem Geschlecht sie auch angehören mochte. Sie errötete über die frühere Vertrautheit mit einer Kreatur, deren Kammerjungfer schwanger war, ohne einem anderen gedient zu haben als ihr allein. Sie schickte ihr also alle ihre Sachen zurück, erbat sich die ihrigen und beschloß, nie wieder mit ihr zu verkehren.

Miß Hobart glaubte aber, Killegrew habe jene für sie selbst gehalten, und konnte nicht begreifen, warum sie nach dem Gespräch eine so seltsame Haltung einnehme. Sie wollte sich darüber Aufklärung holen und ließ das Mädchen der Temple bei sich warten. Statt ihr ihre Kleider zu schicken, erschien sie selbst und wollte sie vor der Erklärung durch eine kleine Liebkosung überraschen; sie trat deshalb leise in ihr Zimmer, und gerade, wie Miß Temple die Wäsche wechselte, umarmte sie die Freundin. – Sich in der Hobart Armen findend, ehe sie sie noch kommen gehört, stellte sich die Temple in der Einbildung alles vor, was Killegrew ihr mitgeteilt hatte. Sie glaubte die Blicke eines weiblichen Satyrs in widerwärtigster Gier zu sehen, und rief, indem sie sich mit Entsetzen in ihren Armen wand, Himmel und Erde um Hilfe. Zuerst kamen die Frau Gouvernante und ihre Nichte. Es war nahe an Mitternacht. Die Temple war im Hemd, außer sich und stieß Miß Hobart mit Schrecken von sich, während diese doch nur gekommen war, um den Grund ihrer Aufregung zu erfahren. Als die Gouvernante den Auftritt sah, fing sie mit der ganzen Beredsamkeit einer Duenna an, der Hobart den Text zu lesen; sie fragte, ob die Fürstin etwa um ihretwillen Ehrenfräulein halte, ob sie sich nicht schäme, zu so unpassender Stunde in die Zimmer zu dringen, um Gewaltstreiche zu unternehmen, und schwur, sie werde morgen bei der Herzogin Klage führen.

Alles das bestärkte Miß Temple in ihrem Irrtum und die Hobart war endlich genötigt, fortzugehen, weil sie Geschöpfe, die ihr sämtlich toll oder besessen schienen, nicht zur Vernunft bringen konnte. Tags darauf ermangelte Miß Sara nicht, ihrem Geliebten das Abenteuer mit dem Zusatz zu erzählen, das Geschrei der Temple habe die ganze Wohnung der Fräulein in Aufruhr gebracht, und als sie mit der Tante herbeigestürzt sei, hätte sie Miß Hobart fast auf frischer Tat ertappt.


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