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Der unvorsichtige Killegrew, der ohne Nebenbuhler nicht leben mochte, mußte nun ohne Geliebte fertig werden. Er ertrug sein Schicksal nicht mit Geduld; doch weit entfernt, auf seine Klagen zu achten, tat Lady Shrewsbury, als kenne sie ihn gar nicht. Diese Behandlung war zu viel für ihn. Ohne zu bedenken, daß er sich sein Unglück selbst geschaffen, entfesselte er seine ganze Beredsamkeit gegen die Lady und verfolgte sie mit seinen Angriffen. Trotz allen offenen und anonymen Warnungen setzte er seine Beleidigungen fort, tat aber nicht gut daran, um so mehr, als er den Wink erhielt, derlei Schmähungen und Herabsetzungen einer Frau ihres Ranges müßten ihm viele Unannehmlichkeiten bereiten.
Als er einst abends aus den Zimmern des Herzogs von York im Saint-James-Palaste kam, wurden drei Degenstöße durch seine Sänfte geführt; einer durchstieß ihm den Arm von einer Seite zur anderen. Da erst fühlte er die Gefahr, in die ihn außer dem Verlust der Shrewsbury seine ungemäßigten Reden gestürzt hatten. Seine Angreifer hatten sich durch den Park geflüchtet, wahrscheinlich glaubten sie, daß er abgetan sei.
Killegrew dachte, Klagen würde zu nichts führen; denn wie konnte er für einen Angriff, den seine Verwundung allein bestätigte, Gerechtigkeit verlangen? Wenn er auf Grund von Voraussetzungen und Mutmaßungen ein Verfahren einleiten ließe, so zweifelte er nicht, man würde zu dem einfachsten Mittel der Unterdrückung greifen und zum zweitenmal das Ziel nicht verfehlen. Um also die Verzeihung seiner Verfolger zu erlangen, stellte er die bitteren Satiren ein und erwähnte nicht ein Wort von seinem Abenteuer.
Der Herzog von Buckingham und Lady Shrewsbury blieben, da Killegrew es vorzog, keine Klage zu führen, lange glücklich und ungestört; sie war nie so lange Zeit treu, er nie so rücksichtsvoll in der Liebe gewesen.
Das dauerte, bis Lord Shrewsbury, der über die Verirrungen seiner Frau Gemahlin nie geklagt hatte, sich einfallen ließ, dies letzte Verhältnis zu mißbilligen. Allerdings war es öffentlich; aber es schien für sie weniger entehrend als alle früheren. Zu anständig, um sich an seine Frau zu wenden, wollte der arme Shrewsbury seiner verletzten Ehre Genugtuung verschaffen. Er ließ den Herzog von Buckingham fordern, und nachdem der Beleidiger den Lord zu dessen Ehrenrettung getötet, blieb er ungestört im Besitz der schönen Helena. Anfangs empörte das die öffentliche Meinung, aber das Publikum gewöhnt sich an alles und die Zeit versteht es, über den Anstand und selbst über die Moral Herr zu werden.
An der Spitze der über den schreienden Skandal und über die Straflosigkeit am meisten Entrüsteten stand die Königin. Da die Herzogin von Buckingham eine kleine, dicke Person fast von ihrer Gestalt war und, wie sie, keine Kinder hatte, und weil der Herzog sie um einer anderen willen vernachlässigte, so erweckte diese Ähnlichkeit ihrer Schicksale die Teilnahme der Fürstin. Aber es war vergebens; niemand kümmerte sich darum und die Sitten der Zeit gingen ihren Gang, während die Fürstin sich bemühte, das strenge Volk der Politiker und Frommen dagegen aufzureizen.
Von gewisser Seite betrachtet, war das Los der Königin ziemlich traurig. Äußerlich blieb das Benehmen des Königs gegen sie zwar rücksichtsvoll; aber das war auch alles. Sie fühlte nur zu gut, daß mit dem wachsenden Einfluß ihrer Rivalinnen das eigene Ansehn schwinde und daß ihr Gemahl sich um legitime Kinder wenig bemühen werde, solange seine reizenden Mätressen ihm natürliche Nachkommen brächten. Da von solchem Segen ihr ganzes Lebensheil abhing und sie sich fortwährend schmeichelte, der König werde, wenn nur der Himmel ihr diese Gnade schenken wollte, mit günstigerem Auge auf sie blicken, so nahm sie zu allen für die Unfruchtbarkeit gebräuchlichen Mitteln ihre Zuflucht. Gelübde, Fasten, Opfer waren vergeblich versucht worden, man mußte also zu menschlicheren Hilfsquellen schreiten.
Was hätte sie bei dieser Gelegenheit für den Ring des Erzbischofs Turpin gegeben, dem Karl der Große ebenso nachlaufen mußte, wie einst jener Geliebten, der ihn der Kirchenfürst nach dem Tode vom Finger gezogen hatte! Doch sind schon seit langer Zeit die natürlichen Reize des angebeteten Wesens der einzige Talisman der Liebe und andere Zauberkünste wirken nicht mehr. Klug und gewandt, wie die Herren Doktoren bei solchen Gelegenheiten sind, rieten die Leibärzte der Königin, mit Rücksicht auf die Wirkungslosigkeit der Wasser von Tunbridge im vorigen Jahre, diesmal die Bäder bei Bristol an. Es wurde die Reise dorthin also für die nächste Saison festgesetzt und im Vertrauen auf den Erfolg wäre die Fahrt für sie äußerst angenehm gewesen, wäre nicht die gefährlichste aller Nebenbuhlerinnen zur Mitreisenden erlesen worden. Da die Herzogin von Cleveland ihrer Niederkunft gerade nahe war, so störte diese Dame sie nicht; die Anstandsformen bewogen sie sogar zu einiger Rücksicht mit ihr. Das Publikum freilich beachtete die Versuche, den Zustand zu verheimlichen, so gut wie gar nicht, aber ihre Gegenwart wäre unter diesen Umständen eine Beleidigung für die Königin gewesen. Zur Reisegesellschafterin gewählt, bereitete die Stewart sich, schöner als je, mit Prunk offen dazu vor. Die arme Königin wagte keine Einwendung; aber nun hoffte sie auch nichts mehr. Was vermochten Bäder oder die ohnmächtige Heilkraft des Brunnens gegen Reize, die die Fürstin mit Schmerz erfüllten und die Wirkung aus naheliegenden Gründen vereitelten.
Obgleich dem Chevalier Grammont alle Freuden der Welt ohne Miß Hamilton nichts galten, so konnte er sich der Pflicht, dem Hofe zu folgen, doch nicht entziehen. Auf einer solchen Fahrt war er dem Könige zu angenehm und notwendig, und wie willkommen, bei der nach Abreise des Hofes eintretenden Einsamkeit, seine Unterhaltung der Miß Hamilton in London gewesen wäre, so glaubte sie doch, ihn um ihretwillen nicht zurückhalten zu dürfen. Er benutzte die Erlaubnis, ihr zu schreiben. Während des Aufenthaltes im Bade ließ das, was er von seinen eigenen Angelegenheiten meldete, wenig Raum für Berichte von fremden Abenteuern. Da ihre Abwesenheit ihm den Ort langweilig machte, so griff er zu allen die Ungeduld beschwichtigenden Auskunftsmitteln in Erwartung des glücklichen Augenblicks ihrer Ankunft.
Er schätzte den ältesten Hamilton sehr, für den zweiten hegte er noch mehr Freundschaft als Achtung. Ihm teilte er am häufigsten im Vertrauen seine Gefühle für die Schwester mit. Das frühere Verhältnis desselben zu der Kusine Wetenhall war ihm kein Geheimnis; aber das völlige Einschlummern einer Neigung, die so lebhaft begonnen hatte, konnte er nicht begreifen. Er war über den Eifer, den sein Freund überall für Miß Stewart an den Tag legte, erstaunt. Diese Huldigung schien ihm über die Pflichten und Aufmerksamkeiten, die man der Geliebten eines Fürsten schuldet, hinauszugehen. Er beobachtete ihn und fand ihn für sein Glück und seine Ruhe schon zu sehr von Leidenschaft betört. Durch Beobachtung in dieser Ansicht bestärkt, beschloß er den Folgen einer in jeder Hinsicht verderblichen Neigung vorzubeugen; aber er wartete die Gelegenheit, davon mit ihm zu sprechen, ab.
Erholungen aller Art ergötzten den Hof an Orten, wo man alles ergreift, um die Langeweile zu töten. Das Kugelwerfen, in Frankreich nur ein Spiel für Handwerker und Bediente, ist in England ganz im Gegenteil ein Zeitvertreib für Leute von Stand. Es gehört dazu Kunst und Gewandtheit, man übt es nur bei guter Jahreszeit und auf den herrlichsten Spazierplätzen, Bowlinggreens genannt. Es sind dies kleine viereckige Flächen, deren Rasen so glatt ist wie Billardtuch. Nach des Tages Hitze versammelt sich dort alles. Man spielt hoch und die Zuschauer wetten, soviel sie wollen.
Längst in die englischen Sports und Übungen eingeweiht, hatte der Chevalier Grammont einen Pferdewettlauf angestellt, den er allerdings nicht gewann, aber der ihm die Überzeugung verschaffte, daß ein Traber zwanzig englische Meilen auf der Landstraße in weniger als einer Stunde machen kann. Die Hahnenkämpfe waren ihm günstiger und bei allen Wetten auf dem Bowlinggreen (Kugelspiel auf dem Rasen, wie es noch heute in Südfrankreich üblich ist) hatte er Glück.
Bei diesen Partien befindet sich gewöhnlich ein Wirtszelt, das Rasenpavillon, Festsaal oder auch Erfrischungsbüffet genannt wird. Dort verkauft man allerhand englische Getränke, wie: Apfelwein, Spirituosen, Ingwerbier und spanischen Sekt. Da versammeln sich abends die sogenannten Matadore oder Rooks, um zu rauchen, zu trinken und sich zu überlisten, das heißt, sich gegenseitig den Gewinn des Tages abzunehmen. Diese Rooks sind, was man in Frankreich Berufsspieler oder Pikörs nennt, Leute, die stets Geld bei sich haben, um es gelegentlich den im Spiel Verlierenden gegen eine Entschädigung vorzuschießen, die für die Spieler nichts bedeutet. Am folgenden Tage wird das Darlehen mit hundert Prozent Zinsen zurückgezahlt.
Diese Herren sind in der Berechnung der Chancen so sicher und in allen Spielen so gewandt, daß, selbst wenn sie ehrlich spielten, niemand sich mit ihnen einließe.
Übrigens haben sie den Grundsatz, täglich nur vier bis fünf Guineen zu gewinnen; diesen Satz überschreiten sie fast nie. Unter einem Trupp dieser Rooks fand Hamilton, als er ein Glas Apfelwein trinken wollte, den Chevalier Grammont. Sie spielten mit Würfeln, und da der die Würfel Führende die meiste Aussicht auf Gewinn hat, so hatten die Leute dem Chevalier diesen Vorzug eingeräumt. Bei Hamiltons Eintritt hielt er sie noch. Die Rooks spielten in ihrer Art wie Besessene; er gewann fortwährend. Hamilton glaubte aus den Wolken zu fallen, als er einen Mann, von Grammonts Erfahrung und Einsicht in so ungleichem Kampfe sah; er mahnte ihn vergeblich laut und leise, durch Zeichen und in französischer Sprache; seine Warnungen wurden verachtet. Die Würfel trugen Cäsar und sein Glück und taten zu seinen Gunsten Wunder. Zum ersten Male wurden die Rooks besiegt; doch erteilten sie ihm alle Lobsprüche über sein schönes Spiel, wie man sie denen zuwendet, die man für ein andermal zu ködern wünscht; allein ihre Schmeicheleien waren verloren, ihre Hoffnungen getäuscht. Die eine Probe genügte ihm.
Als Hamilton beim Nachtessen dem König erzählte, wie er den Verwegenen in den Klauen der Rooks gefunden und wie der Himmel ihn beschützt habe, sagte der Chevalier:
»In der Tat, Sire, diesmal wurden die Rooks geschlagen« und trug ihm alle Einzelheiten vor.
Nach dem Souper ließ Miß Stewart, bei der gespielt wurde, Hamilton zu sich kommen, damit er ihr die Sache erzähle. Der Chevalier Grammont glaubte zu bemerken, daß man seinen Freund sehr huldreich anhöre. Das bestärkte ihn in seinen früheren Mutmaßungen, und als er ihn zum Nachtessen bei sich sah, so begann die Unterhaltung wie gewöhnlich: »Georg,« sagte er, »brauchst du nicht etwas Geld? Ich weiß, du spielst gern und vielleicht nicht so glücklich wie ich. Wir sind weit von London; hier sind zweihundert Guineen, da hast du sie, um bei Miß Stewart zu spielen.«
Hamilton, der diese Wendung nicht erwartete, war darüber ein wenig verlegen. »Wie, bei Miß Stewart?« – »Ja, bei ihr. Mein lieber Georg,« fuhr der Chevalier fort, »wir haben offene Augen. Du bist in sie verliebt, und wenn ich nicht irre, ist sie darüber nicht böse. Aber sag' mir, wie hast du dir die arme Peckham aus dem Kopf bringen können, um dich in eine Heldin zu vergaffen, die vielleicht nicht so gut ist wie jene und die für dich, wenn sie dir auch wohlwill, doch nur ein Strick zum Galgen werden kann. Sag' mir, findest du und dein Bruder am ganzen Hofe keine anderen Geliebten als die Mätressen des Königs? Den ältesten Bruder laß' ich noch gelten, er nahm doch die Castlemaine nur, als der Fürst nichts mehr von ihr wissen wollte und als die Chesterfield ihn selbst im Stiche ließ, doch du – was denkst du mit einem Wesen anzufangen, in das der König gerade jetzt verliebter ist als je? Suchst du sie etwa auf, weil der Trunkenbold Richmond sich um sie bewirbt und als ihr erklärter Liebhaber auftritt? Du wirst sehen, wie er beim Handel wegkommt. Ich weiß, was der König mir gesagt hat.
Glaub' mir, mein lieber Freund, spaße nie mit dem Gebieter, das heißt, äugle nie mit seiner Gebieterin. Auch ich habe in Frankreich bei einer kleinen Kokette mein Heil versucht, aus der der König sich nicht einmal viel machte, und du weißt, wie es mir bekam. Ich will zugeben, daß sie dich gut aufnimmt, allein traue dem nicht. Die Frauen haben es gar zu gerne, daß ein Mann, dem sie nichts zu gewähren denken, ihr Sklave wird, nur um den Triumphzug zu vergrößern. Ist es nicht besser, acht Tage unbemerkt in Peckham mit der Frau des Philosophen Wetenhall zuzubringen, als in der holländischen Zeitung zu lesen: Man meldet uns aus Bristol, daß ein gewisser Soundso wegen Miß Stewart vom Hofe verwiesen wurde und eine Expedition nach Guinea unter den Befehlen des Prinzen Rupert machen wird.«