Anthony Graf Hamilton
Die Memoiren des Grafen Grammont
Anthony Graf Hamilton

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Es war gegen Ende des Winters; doch schien man erst zu Beginn der Kälte zu sein. Bis an die Knie war er voll Kot und fühlte, daß wenn er sein Luftbad im Garten verlängere, der Frost den Kot bald zu Eis verwandeln würde. Solch eine kalte und stockdunkle Nacht als Einleitung wäre für jeden anderen eine harte Probe gewesen, war aber nichts für einen Menschen, der die nächste Stunde so herrlich zu genießen gedachte. Er konnte indes einiges Erstaunen über die ungeheuren Vorsichtsmaßregeln in Abwesenheit des Gemahls nicht unterdrücken. Seine durch tausend zärtliche Gedanken erhitzte Phantasie hielt ihn eine Zeitlang gegen äußerste Ungeduld und die schneidende Kälte aufrecht. Doch nach und nach fühlte er sich erstarren, und als man ihm nach Verlauf von zwei Stunden, die ihn zwei Jahrhunderte dünkten, weder aus der Tür noch aus den Fenstern das kleinste Lebenszeichen gab, begann er über seine Lage nachzudenken und zu überlegen, was für einen Entschluß er unter solchen Umständen fassen solle. – »Wie wär's, wenn ich an diese verwünschte Tür pochte,« sprach er, »denn wenn ich schon Unglück haben soll, ist es besser, im Haus zu sterben, als im Garten vor Kälte umkommen. Freilich würde dieser Schritt vielleicht ein Wesen bloßstellen, das durch unvorhergesehenen Zufall in diesem Augenblick vielleicht noch verzweifelter ist als ich.«

Dieser Gedanke waffnete ihn mit Geduld und Festigkeit gegen die Elemente. Er fing an, mit großen Schritten umherzulaufen, entschlossen, solange als es ohne Lebensgefahr möglich, das Ende des so traurig begonnenen Abenteuers abzuwarten. Alles war vergeblich; wie sehr er auch, in seinen dichten Mantel gewickelt, herumlaufen mochte, Erstarrung packte ihn von allen Seiten und die Kälte triumphierte über die stärkste Liebesglut. Der Tag war nicht mehr fern; er dachte, bei dem elenden Zustande, in den ihn das nächtliche Warten versetzt hatte, würde es ihm nichts mehr helfen, wenn sich die verzauberte Pforte auch öffnen sollte; er trabte deshalb, so gut er konnte, nach dem Ort zurück, von dem er auf dieses seltsame Abenteuer ausgezogen war.

Alle Reisigbündel der kleinen Hütte waren erforderlich, um ihn aufzutauen. Je mehr er über sein Abenteuer nachsann, desto verworrener und unbegreiflicher erschienen ihm alle Umstände. Doch weit entfernt, auf die reizende Chesterfield böse zu werden, sorgte er sich vielmehr tausendfach um sie. Bald dachte er, ihr Gemahl könne unerwartet zurückgekehrt sein, bald, sie wäre von einer plötzlichen Krankheit befallen worden, kurz, irgend ein Hemmnis habe sich gerade dicht am Gipfel der Wünsche seinem Glück entgegengestellt und die guten Absichten vereitelt, die man für ihn hegte. »Warum hat sie mich aber in dem verfl... Garten vergessen, konnte sie nicht einen kleinen Moment finden, um mir wenigstens, da sie mich nicht sprechen oder empfangen konnte, ein Zeichen zu geben?«

Er blieb ungewiß, bei welcher Vermutung er beharren, wie er sich diese Fragen beantworten sollte. Doch er schmeichelte sich, die folgende Nacht werde alles besser gehen, und mit dem stillen Gelöbnis, den Fuß nicht wieder in den fatalen Garten zu setzen, gab er Befehl, man solle ihn, wenn ihn jemand zu sprechen wünsche, wecken; darauf legte er sich auf das schlechteste Bett der Welt und schlief, als ruhe er auf dem üppigsten Pfühl.

Er dachte bloß durch ein Schreiben oder eine Botschaft von Lady Chesterfield geweckt zu werden; aber nach kaum zwei Stunden Schlaf wurde er durch gewaltigen Hörnerklang und Hundegebell aufgeschreckt. Wie wir erwähnten, stieß sein Zufluchtsort, die Hütte, an die Parkmauer. Er rief seinen Wirt und fragte, was das zum Teufel für eine Jagd sei? Als das Geräusch näher kam, schien sie fast in seiner Stube zu toben. Man antwortete, es sei der gnädige Herr auf der Hasenjagd im Park. – »Was für ein gnädiger Herr?« sagte er erstaunt. »Mylord Graf Chesterfield«, erwiderte der Bauer. Diese Nachricht entsetzte ihn so sehr, daß er im ersten Schrecken den Kopf unter die Decke steckte, weil er den Lord schon mit allen seinen Hunden eintreten zu sehen glaubte. Von seinem Erstaunen ein wenig zu sich gekommen, verwünschte er die Launen des Glücks und zweifelte nun nicht länger daran, daß die unerwartete Rückkunft des eifersüchtigen Störenfrieds alle Qualen der letzten Nacht verschuldet habe.

Nach solchem Erwachen war von Wiedereinschlafen nicht mehr die Rede. Er stand auf, um im Geist alle möglichen geeigneten Tricks zu erwägen, um einen abscheulichen Ehemann zu beseitigen, der sich einfallen ließ, einen Prozeß zu versäumen, bloß um seine Frau zu plagen. Er beendete seine Toilette und wollte eben den Wirt befragen, als ihm der Bote, der ihn in den Garten geführt hatte, einen Brief übergab und, ohne auf Antwort zu warten, verschwand. Dies Schreiben war von seiner Verwandten und enthielt folgendes:

»Ich bin sehr unglücklich, daß ich, wenn auch schuldlos, dazu beigetragen habe, Sie an einen Ort zu locken, an den man Sie nur berief, um Ihrer zu spotten. Ich hatte mich Ihrer Reise widersetzt, selbst als ich glaubte, die Zuneigung der Lady sei ihre wahre Ursache; aber sie hat mich schmerzlich enttäuscht. Sie triumphiert über den Streich, den sie Ihnen gespielt hat. Ihr Gemahl hat uns nicht nur gar nicht verlassen, sondern bleibt ihr zu Gefallen. Er behandelt sie äußerst freundlich und durch ihre Aussöhnung mit ihm hat sie erfahren, daß Sie ihm den Rat zur Reise aufs Land gegeben haben. Das hat sie mit so viel Haß und Abscheu gegen Sie erfüllt, daß, nach allem, was sie mir sagt, ihre Rachsucht noch keineswegs befriedigt scheint. Trösten Sie sich über die Feindschaft eines Geschöpfs, dessen Herz Ihre Neigung nicht verdiente. Reisen Sie ab. Ein längerer Aufenthalt an diesem Ort könnte Ihnen nur neues Unheil zuziehen. Auch ich werde nicht lange bleiben. Ich kenne sie nun, Gott sei Dank. Das Mitleid, das ich anfangs mit ihr hatte, bereue ich nicht; aber ich bin eines Umgangs satt, der meiner Denkungsart nicht zusagt.«

Erstaunen, Scham, Entrüstung und Wut bemächtigten sich seiner nach Lesung dieser Zeilen. Endlich verschafften Drohungen, Verwünschungen und Rachegelübde seiner Galle Luft. Nachdem er indes jeden Schritt gehörig überlegt, endete alles einfach mit der Rückkehr zu seinem kleinen Postklepper. Statt der Wünsche und zarten Gefühle, die er aus London mitgebracht, trug er einen tüchtigen Schnupfen heim. Mit etwas größerer Eile, als er gekommen, verließ er diese verräterische Gegend, den Kopf nicht mit ganz so angenehmen Gedanken erfüllt wie auf dem Herwege.

Als er sich jedoch außer dem Bereich von Lord Chesterfields Person und Jagd sah, drehte er sich ein wenig um, um wenigstens den Genuß des Anblicks des Gefängnisses dieser treulosen Kreatur zu haben. Aber er war nicht wenig erstaunt, als er am Ufer eines Flusses mitten in der anmutigsten, lachendsten Landschaft ein sehr schönes Gebäude erblickte. Keine Spur von Abgrund oder Felsen! Die standen nur im Brief der Verräterin. Das war für ihn neuer Stoff zu Beschämung und Erbitterung. Er hatte sich in den Ränken wie in den Schwächen des schönen Geschlechts so erfahren geglaubt und war nun das Spielzeug einer Kokette, die sich mit ihrem Gemahl versöhnte, um an einem Liebhaber Rache zu üben!

Er kehrte nach London heim, bereit, gegen jedermann die Behauptung zu verteidigen: man sei ein gutmütiger Tor, wenn man der Zärtlichkeit eines Weibes, das uns schon einmal getäuscht, von neuem traue, müsse aber wahnsinnig sein, wenn man ihr noch nachlaufe.

Da die Geschichte keine für ihn günstigen Seiten bot, wurde die Reise mit allen Nebenumständen stillschweigend abgetan, so gut es ging; doch wie man glauben darf, hielt Lady Chesterfield sie nicht allzu geheim, und so erfuhr sie der König. Nachdem er Hamilton lächelnd sein Kompliment gemacht, verlangte er einen genauen Bericht über die Sache. Dabei war der Chevalier Grammont anwesend und sagte nach einigem nicht allzu strengen Tadel des ihm gespielten Streichs: »Hatte sie unrecht, die Rache so weit zu treiben, so haben auch Sie gefehlt, daß Sie zurückkehren wie ein Anfänger. Ich wette hundert Pistolen, sie hat den Streich, den Sie übrigens durch Ihr Eingreifen zum Teil verdienten, sofort bereut. Die Frauen lieben die Rache, sind aber in ihrem Zorn nicht ausdauernd; wären Sie nur bis zum folgenden Tag in der Gegend geblieben, so wollte ich meinen Hals daransetzen, Sie hätten für die Schmach der ersten Nacht reichen Ersatz erhalten.«

Hamilton konnte sich zu dieser Ansicht nicht verstehen. Grammont wollte deshalb seine Behauptung durch ein Beispiel belegen und sprach zum König gewendet:

»Sire, wahrscheinlich haben Ew. Majestät Marion de l'Orme gekannt. Sie war das reizendste Wesen in ganz Frankreich, geistvoll wie ein Engel, aber launenhaft wie ein Teufel. Dieses Dämchen hatte mir eine Zusammenkunft versprochen und ließ sich einfallen, sie statt meiner einem anderen zu gewähren. Sie schrieb mir ein sehr niedliches Billett voll Verzweiflung über einen Kopfschmerz, der sie an das Bett feßle und ihr nicht gestatte, mich vor dem nächsten Tag zu sehen. Dieser plötzlich eingetretene Kopfschmerz schien mir verdächtig und ich zweifelte nicht mehr an meiner Zurücksetzung. Wahrhaftig, rief ich, mein kokettes Fräulein, wenn du dir heute nicht das Vergnügen machen willst, mich zu sehen, sollst du auch keinen andern zu sehen bekommen.

Bald waren alle meine Kundschafter auf den Beinen; einige umschwirrten die Estrade ihres Hauses, andre bewachten die Tür. Einer der letzteren meldete, den ganzen Nachmittag sei niemand zu ihr gegangen, aber gegen die Dämmerung sei ein kleiner Lakai aus dem Haus gekommen; er sei ihm nach der Straße St. Antoine gefolgt, wo der Mensch einem andern Lakaien begegnet sei und ihm einige Worte gesagt habe. Mehr war nicht nötig, um mich in meinem Verdacht zu bestärken; und ich faßte also den Entschluß, ich wollte entweder mit von der Partie sein oder sie sollte gar nicht stattfinden.

Da es von meinem Wirt bis zum Marais sehr weit war, stieg ich mit Anbruch der Nacht unbegleitet zu Pferd. Auf der Place-Royale erfuhr ich von dem dort aufgestellten Kundschafter, niemand sei zu Mademoiselle de l'Orme gegangen. Ich bog in die Straße Saint-Antoine ein und erblickte, gerade als ich den Platz verließ, einen Fußgänger, der sich bei meinem Anblick so gut als möglich zu verbergen suchte; doch war es vergebens; ich hatte ihn erkannt. Es war der Herzog von Brissac.

Ich zweifelte keinen Augenblick, daß er mein Nebenbuhler in der heutigen Nacht sei. Ich näherte mich ihm also, indem ich mich stellte, als erkenne ich ihn erst jetzt, dann stieg ich ab und sagte mit geschäftiger Miene: »Mein lieber Brissac, du mußt mir einen wichtigen Gefallen tun; vier Schritt von hier habe ich mit einer schönen Frau meine erste Zusammenkunft. Da wir nur Verhaltungsmaßregeln verabreden wollen, werde ich nicht lang machen. Leih mir deinen Mantel, wenn du so gut bist und führe mein Pferd, bis ich zurückkomme, ein wenig auf und ab. Vor allem aber entferne dich nicht von dieser Stelle. Du siehst, ich mache keine Umstände, aber wie du weißt, bin ich zu jedem Gegendienst bereit.« Ohne Antwort abzuwarten, nahm ich seinen Mantel. Er faßte mein Pferd am Zügel und sah mir nach.

Das half ihm wenig; denn nachdem ich zum Schein in ein Tor ihm gegenüber getreten war, drängte ich mich unter den Bogengängen die Häuser entlang bis zum Eingang zur schönen de l'Orme. Ich war in Brissacs Mantel so gut verhüllt, daß man mir auf mein Klopfen gleich öffnete und mich für den Herzog hielt. Man machte hinter mir schleunig zu, ohne mir die geringste Frage vorzulegen. Da ich auch nichts zu fragen hatte, ging ich gerade auf das Zimmer des Fräuleins zu. Ich fand die Schöne auf einem Ruhebett, und zwar im elegantesten, reizendsten Negligé der Welt.

Ich hatte sie nie so schön noch so überrascht gefunden; da ich sie ganz bestürzt erblickte, fragte ich: »Was ist los, mein süßes Kind? Die Migräne ist ja ganz nett geputzt, der Kopfschmerz gewiß verschwunden?« – »O nein,« erwiderte sie, »ich kann es gar nicht mehr aushalten; Sie täten mir einen Gefallen, wenn Sie fortgingen und mich zu Bette gehen ließen.« – »Zu Bett, ja,« rief ich, »aber fortgehen, nein, das werde ich nicht, meine kleine Prinzessin. Der Chevalier Grammont ist kein Dummkopf; um nichts und wieder nichts putzt man sich nicht so.« – »Sie werden aber sehen, daß es um nichts geschah; keinesfalls aber für Sie«, entgegnete sie. – »Wie, nachdem Sie mir ein Rendezvous versprochen haben!« – »Gut, gut,« rief sie heftig, »doch wenn ich Ihnen fünfzig versprochen hätte, hängt es nur von mir ab, sie einzuhalten; Sie dagegen müssen auf alle verzichten, wenn ich es will.« – »Das wäre ganz in Ordnung,« meinte ich, »wenn Sie die Zusammenkunft nicht einem andern zuwenden.« Stolz wie die Unschuld selbst und dabei zügellos wie ihr Gegenteil wurde sie über diese Verdächtigung wütend, die sie mehr ärgerte als in Verlegenheit setzte. Da ich nun sah, daß sie aufs hohe Roß wollte, sagte ich: »Bitte, Fräulein, nicht in diesem Ton. Ich weiß, was Sie ängstigt. Sie befürchten, Brissac werde mich bei Ihnen finden. Aber darüber seien Sie ganz ruhig. Ich begegnete ihm nicht weit von hier und ich habe, Gott sei Dank, dafür gesorgt, daß er Sie nicht so bald besuchen kann.« Das sprach ich mit etwas tragischer Miene.

Anfangs schien sie darüber bestürzt und fragte, mich ängstlich ansehend: »Was wollen Sie mit dem Herzog von Brissac sagen?« – »Ich will sagen, daß er mein Pferd am Ende der Straße auf und ab führt, und wenn Sie mir nicht glauben wollen, brauchen Sie nur einen Ihrer Leute hinzuschicken oder seinen Mantel, den ich im Vorzimmer ließ, in Augenschein zu nehmen.« Hier unterbrach sie ihr Erstaunen durch lautes Gelächter und, mir um den Hals fallend, rief sie: »Nein, mein Chevalier, ich kann mich nicht halten; du bist zu charmant und zu drollig, als daß man dir nicht alles verzeihen sollte.« Ich erzählte ihr, wie sich die Sache zugetragen, und sie wollte vor Lachen vergehen. Da wir nun als sehr gute Freunde schieden, schwor sie mir, mein Rival könne Pferde halten, so lange es ihm beliebe; er werde die Nacht keinen Fuß in ihr Haus setzen.

Ich fand ihn glücklich an dem Ort, wo ich ihn gelassen. Mit tausend Entschuldigungen, daß ich ihn so lange aufgehalten, drückte ich ihm meinen verbindlichsten Dank für seine Gefälligkeit aus. Er sagte, ich scherze wohl; unter Freunden wären derlei Faxen nicht Sitte, und um mich zu überzeugen, daß er mir den kleinen Dienst sehr gern geleistet, wollte er durchaus die Zügel halten, während ich wieder aufstieg. Den Mantel zurückgebend, wünschte ich ihm gute Nacht und kehrte, mit der Freundin und dem Nebenbuhler gleich zufrieden, heim.

Es bedarf also nur einiger Geduld und Gewandtheit, um den Zorn einer Frau zu entwaffnen und selbst aus ihrer Täuschung Nutzen zu ziehen.«

So sehr der Chevalier Grammont durch seine Geschichten ergötzen oder durch sein Beispiel belehren mochte, wenn er auch am Hofe nur erschien, um allgemein Freude zu bereiten, war er doch schon zu lange der einzige Fremde in Mode. Eifersüchtig auf das dem Verdienste gezollte Lob, will das Glück alle Gunst von seinen Launen abhängig sehen und stellte ihm deshalb zwei Mitbewerber um das Vorrecht, England allein zu amüsieren, in den Weg. Diese Herren waren um so gefährlicher, als ihnen ein guter Ruf vorausgegangen war und den Hof zu ihren Gunsten gestimmt hatte.


 << zurück weiter >>