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Vor 120 Jahren veröffentlichte Gotthold Ephraim Lessing, der grosse deutsche Geistesheld, der mit Recht auch »der kühnste und genialste Freimaurer des vorigen Jahrhunderts« genannt wird, unter dem Titel »Ernst und Falk« die drei ersten jener berühmten Gespräche für Freimaurer, von denen Widmann in seiner Arbeit über » Lessing als Freimaurer« sagt, sie »enthalten wohl das Tiefste, was ein deutscher Mann über das Wesen der Königlichen Kunst, und das Merkwürdigste, was ein solcher über die verschiedenen Erscheinungsformen dieser Kunst und über die jüngste Erscheinungsform, die wir Freimaurerei nennen, je gesprochen hat«.
Die Gespräche entwickeln sich im Anschlusse an die Frage, die Ernst an seinen Freund Falk richtet, ob er ein Freimaurer sei. Als Falk darauf antwortet: »Ich glaube es zu sein«, erscheint es Ernst, als ob der Freund seiner Sache nicht gewiss sei, denn er werde ja wohl wissen, ob und wann und wo und von wem er aufgenommen worden ist. »Das weiss ich allerdings«, erwiedert Falk; »aber das würde so viel nicht sagen wollen. – Wer nimmt nicht auf, und wer wird nicht aufgenommen! – Ich glaube ein Freimaurer zu sein, nicht sowohl, weil ich von älteren Maurern in einer gesetzlichen Loge aufgenommen worden bin, sondern weil ich einsehe und erkenne, was und warum die Freimaurerei ist, wann und wo sie gewesen ist, wie und wodurch sie befördert oder gehindert wird«.
Nach dieser Erklärung erscheint Ernst die Aeusserung seines Freundes, er glaube ein Freimaurer zu sein, noch befremdlicher; denn da er aufgenommen ist, wisse er Alles. Da belehrt ihn Falk, dass man sehr wohl aufgenommen werden kann, ohne zu wissen, was die Freimaurerei ist, »weil viele, die aufnehmen, es selbst nicht wissen«; denn die Worte, Zeichen und Gebräuche, die man durch die Aufnahme kennen lernt, seien nicht die Freimaurerei.
Das ist durchaus richtig. Die Aufnahme macht nicht den Freimaurer, und Freimaurer heissen ist keineswegs gleichbedeutend mit Freimaurer sein. Viele wandeln umher mit Schurzfell und Kelle und allen äusseren Zeichen eines aufgenommenen Freimaurers; sie kennen Zeichen, Griffe, Worte und Gebräuche aller Grade und haben dennoch von dem, was Freimaurerei ist, keine Ahnung; ja sie sind vielleicht vom rechten Wege so weit entfernt, dass auch nicht einmal mehr Hoffnung geblieben ist, sie könnten je darauf gelangen.
Wie der Empfang von Taufe und Abendmahl zwar die äussere Zugehörigkeit zum Christenthum beweist, aber kein sicheres Zeichen für die christliche Gesinnung des Empfängers ist, so geben uns Aufnahme in die Loge und Beförderungen zu höheren Graden zwar das Recht, Freimaurer zu heissen, aber sie bürgen nicht im Geringsten dafür, dass wir wirklich Freimaurer sind; denn das bekunden mit untrüglicher Sicherheit erst unsere aus wahrhaft freimaurerischer Gesinnung geborenen Thaten.
Niemand kann zum Freimaurer aufgenommen werden, für den nicht Mitglieder des Bundes die Verantwortung übernehmen, und für dessen guten Leumund sie nicht in Bürgschaft gehen. Der Bund will eben seine Mitglieder nicht suchen, sondern sie sollen ihn suchen; denn nicht viele, sondern würdige Mitglieder sind seine Stärke.
Durch die Aufnahme erlangt man nur Zugang zu den Mitteln, die die Königliche Kunst in ihrer eigenthümlichen Lehr- und Uebungsweise ihren Jüngern bietet, um Freimaurer zu werden. Ob sie das Ziel erreichen, hängt von dem Gebrauche ab, den sie von den gebotenen Mitteln machen. Nur, wenn sie diese Mittel mit Eifer und Beharrlichkeit anwenden, können sie das werden, was sich der Bund unter rechten Freimaurern vorstellt: freie Männer, die ihre Neigungen zu überwinden, ihre Begierden zu massigen und ihren Willen den Gesetzen der Vernunft zu unterwerfen wissen. So lautet nämlich in freimaurerischen Acten die Antwort auf die Frage: »Was ist ein Freimaurer?«
Wie diese Antwort zu verstehen ist, wird uns in denselben Acten durch folgende Erklärung der Pflichten und Eigenschaften eines Freimaurers gesagt: »Reine Ehrfurcht gegen das höchste Wesen, Gehorsam gegen Obrigkeit und Gesetz, Liebe gegen unsere Nebenmenschen, Treue und Fleiss in unserem Berufe, Mässigkeit und Wohlthätigkeit, Geduld und Standhaftigkeit im Leiden, Demuth im Glück, das sind Tugenden, die von einem Freimaurer unzertrennlich sein müssen, das sind die Pflichten, die wir ihm auferlegen. Darum fordern wir von einem Freimaurer, dass er Stärke habe, um Mühe und Beschwerden zu ertragen, dass er edelmüthig auf Ruhe und Vergnügungen Verzicht zu leisten bereit sei, wenn es dem Besten seiner Brüder und des Ordens gilt, und dass er dem Tode mit Ergebenheit entgegengehe in der sicheren Hoffnung, dass er nach vollbrachter und winkelrechter Arbeit aus der Hand des Obermeisters seinen Lohn empfangen werde.«
Aus diesen Worten ergiebt sich, dass die Freiheit, die der Bund als Kennzeichen eines echten und rechten Freimaurers hinstellt, nicht etwas Aeusserliches ist und nicht in der Unabhängigkeit und Selbständigkeit unserer äusseren Lebensstellung beruht, sondern dass damit etwas rein Innerliches gemeint ist, die geistige und sittliche Freiheit, die den Menschen zu freier Selbstbestimmung, zur Selbstveredelung und zu wahrer Herrschaft befähigt. Frei soll der Maurer sein von den Trieben und Fesseln seiner eigenen Sinnlichkeit, frei von der Macht und Gewalt der Leidenschaft und des Lasters, frei von den Anforderungen und Anfechtungen der Welt, worin er lebt, frei von Selbstsucht und Vorurtheil, von Irrwahn und Aberglauben, frei von allem, was die geistige und sittliche Veredelung und Vervollkommnung des Menschen behindert. Erst wenn wir uns zu dieser inneren Freiheit hindurchgearbeitet haben, sind wir des Namens würdig, der uns bei der Aufnahme in die Loge beigelegt worden ist; dann erst sind wir das, was sich unser Orden unter einem echten und rechten Freimaurer vorstellt: freie Männer, die ihre Neigungen zu überwinden, ihre Begierden zu massigen und ihren Willen den Gesetzen der Vernunft zu unterwerfen wissen.
Das Vermögen, zu solcher Freiheit zu gelangen, ist mit der Gabe der Vernunft und des Gewissens von Natur in jeden geistig gesunden Menschen gelegt. Wirklich frei ist der Mensch aber erst, wenn er seine Vernunft gewöhnt hat, zu verstehen und zu wollen, was gut ist; wenn er gelernt hat, die höheren geistigen Triebe in sich zur Herrschaft zu bringen, sie so zu entwickeln, dass sie die niederen, sinnlichen Triebe überwinden oder wenigstens nicht über sich siegen lassen. Das ist aber nicht möglich ohne einen fortwährenden, harten und oft recht heissen und schweren Kampf, und diesen Kampf gut zu kämpfen, ist die Aufgabe des Freimaurers. Erprobte Waffen dazu bietet ihm die Königliche Kunst, indem sie es ihm zur Pflicht macht, die Laster zu fliehen und der Tugend nachzustreben. Um welche Laster und Tugenden es sich hierbei besonders handelt, sagt uns unser erstes Fragebuch im dritten Artikel der dritten Abtheilung, der die Arbeit und das Arbeitsgeräth der Loge betrifft. Die Laster, die der Freimaurer vornehmlich fliehen muss, sind Hochmuth, Geiz, Unmässigkeit, Verleumdung und Hass; die Tugenden dagegen, deren er sich befleissigen muss, sind Verschwiegenheit, Mässigkeit, Vorsichtigkeit und Barmherzigkeit. Auf diese vier Tugenden legt unser Orden ein ganz besonderes Gewicht. Wer sie richtig auszuüben versteht, der hat die Meisterschaft in der Königlichen Kunst erlangt, der ist eingedrungen in das einzige wirkliche und unvergängliche Geheimniss der Freimaurerei, der erst ist ein Freimaurer im wahren Sinne des Wortes.
Wie sehr aber Falk-Lessing recht hat, dass man dieses einzige und eigentliche freimaurerische Geheimniss ergründen und wissen könne, ohne in einer gesetzlichen Loge aufgenommen zu sein, dass man also Freimaurer sein kann, ohne Freimaurer zu heissen, dafür haben wir in ihm selbst und in einem andern unsterblichen deutschen Geisteshelden und Dichterfürsten, in Schiller, einen überzeugenden Beweis. Lessing trug sich schon vor seiner Aufnahme in die Loge mit dem Grundgedanken seines »Ernst und Falk«; Schiller aber, der niemals der Loge angehört hat, kannte dennoch sehr wohl das, was Kern und Wesen der Freimaurerei ist. Dies bezeugen vor Allem seine beiden herrlichen Gedichte »Die Worte des Glaubens« und »Die Worte des Wahns«.
Die Worte des Glaubens.
Drei Worte nenn' ich euch, inhaltschwer,
Sie gehen von Munde zu Munde;
Doch stammen sie nicht von aussen her,
Das Herz nur giebt davon Kunde.
Dem Menschen ist aller Werth geraubt,
Wenn er nicht mehr an die drei Worte glaubt.
Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei,
Und würd' er in Ketten geboren.
Lasst euch nicht irren des Pöbels Geschrei,
Nicht den Missbrauch rasender Thoren!
Vor dem Sclaven, wenn er die Kette bricht,
Vor dem freien Menschen erzittert nicht!
Und die Tugend, sie ist kein leerer Schall;
Der Mensch kann sie üben im Leben,
Und sollt er auch straucheln überall,
Er kann nach der göttlichen streben,
Und was kein Verstand der Verständigen sieht,
Das übet in Einfalt ein kindlich Gemüth.
Und ein Gott ist, ein heiliger Wille lebt,
Wie auch der menschliche wanke;
Hoch über der Zeit und dem Räume webt
Lebendig der höchste Gedanke;
Und ob alles in ewigem Wechsel kreist,
Es beharret im Wechsel ein ruhiger Geist.
Die drei Worte bewahret euch, inhaltschwer,
Sie pflanzet von Munde zu Munde,
Und stammen sie gleich nicht von aussen her,
Euer Inneres giebt davon Kunde.
Dem Menschen ist nimmer sein Werth geraubt,
So lang' er noch an die drei Worte glaubt.
Die Worte des Wahns.
Drei Worte hört man, bedeutungsschwer,
Im Munde der Guten und Besten.
Sie schallen vergeblich, ihr Klang ist leer,
Sie können nicht helfen und trösten.
Verscherzt ist dem Menschen des Lebens Frucht,
So lang' er die Schatten zu haschen sucht.
So lang' er glaubt an die goldene Zeit,
Wo das Rechte und Gute wird siegen; –
Das Rechte, das Gute führt ewig Streit,
Nie wird der Feind ihm erliegen,
Und erstickst du ihn nicht in den Lüften frei,
Stets wächst ihm die Kraft auf der Erde neu.
So lang' er glaubt, dass das buhlende Glück
Sich dem Edlen vereinigen werde; –
Dem Schlechten folgt es mit Liebesblick,
Nicht dem Guten gehöret die Erde:
Er ist ein Fremdling, er wandert aus
Und suchet ein unvergängliches Haus.
So lang' er glaubt, dass dem ird'schen Verstand
Die Wahrheit je wird erscheinen; –
Ihren Schleier hebt keine sterbliche Hand,
Wir können nur rathen und meinen.
Du kerkerst den Geist in ein tönend Wort,
Doch der freie wandelt im Sturme fort.
Drum edle Seele, entreiss' dich dem Wahn,
Und den himmlischen Glauben bewahre!
Was kein Ohr vernahm, und die Augen nicht sahn,
Es ist dennoch das Schöne, das Wahre!
Es ist nicht draussen – da sucht es der Thor, –
Es ist in dir, du bringst es ewig hervor.
Was Schiller »den himmlischen Glauben« nennt, ist das einzige wirkliche und unvergängliche Geheimniss der Freimaurerei. Dieses Geheimniss ist nur dem zugänglich, der die Fähigkeit und den Willen hat, in den Geist freimaurerischer Erkenntnissweise einzudringen und die ihm darin gebotenen Mittel und Uebungen anzuwenden, um zu einer ihn selbst befriedigenden sittlichen Lebensanschauung zu gelangen; und es kann darum durch Wort und Schrift nicht verrathen werden, weil es von jedem Einzelnen erlebt werden muss, und weil der, der es erlebt hat, nur bei denen Verständniss dafür findet, die Freimaurer im Geiste und in der Wahrheit sind.
»Was kein Ohr vernahm, was die Augen nicht sah'n,
Es ist dennoch das Schöne und Wahre!
Es ist nicht draussen – da sucht es der Thor, –
Es ist
in dir, du bringst es ewig hervor.«
Zeichen, Griffe, Worte und Gebräuche sind nicht die Freimaurerei; sie sind etwas rein Aeusserliches und Willkürliches, leere Formen, so lange der Freimaurer ihnen nicht aus sich selbst heraus einen lebendigen Inhalt, eine geistige Bedeutung giebt.
Br. Otto Kuntzemüller.