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Zurück zu unserem Führer.

Es ist ein herrlicher Gedanke, in der grossen, den ganzen Erdball umziehenden Maurerkette alle Maurer der Erde in gleichem Sinne und Streben einander verbunden zu wissen. Aber dieser Gedanke ist leider nicht mehr zutreffend. Eine wirkliche Wesensgemeinschaft ist nur theilweise noch vorhanden. In der gleichartigen Form der symbolischen Anlehnung an das Bauhandwerk stehen sich vielfach ungleichartige Bestrebungen gegenüber. Wir sind so weit gekommen, dass eine einheitliche Auffassung der Freimaurerei nicht mehr besteht.

Diese Verschiedenheit ist dadurch entstanden, dass die ursprüngliche, den maurerischen Gedanken genau bezeichnende Grundlage in manchen Gebieten aufgegeben wurde und an deren Stelle ein unbestimmter Humanitätsbegriff getreten ist. Der Begriff Humanität kann aber nach seiner Auslegung ganz ungleiche und sogar einander widerstrebende Richtungen decken.

Während in vielen Ländern für das Gebiet des einzelnen Landes eine maurerische Einheit vorhanden ist, stehen sich in Deutschland allerlei Richtungen noch ablehnend gegenüber. Dem deutschen Grosslogenbunde fehlen die Eigenschaften eines wirklichen Bundes.

Der ideale Charakter des Deutschthums bietet dem freimaurerischen Gedanken den allergünstigsten Boden. Darum müssen wir auch in maurerischer Hinsicht anderen Völkern voranleuchten. Das wird aber nur dann zu erreichen sein, wenn wir diejenigen Kräfte überwinden, welche unsere Grundlage verschoben und dadurch alle Spaltungen herbeigeführt haben.

Der Einheitsbund deutscher Freimaurer hat den Versuch unternommen, die feste Grundlage des Bundes wieder herzustellen und zunächst eine deutsche Einheit auf dieser Grundlage herbeizuführen. Die Vorbedingung für diese Einheit aber ist, dass wir wieder zurückkehren zu unserem Ursprunge, dass wir uns wieder sammeln um Den, in dessen Geiste und in dessen Namen der Maurerbund entstanden ist. Die Lehre Jesu vom Reiche Gottes und von der Gotteskindschaft muss als feste und einzige Grundlage aller Freimaurerei wieder anerkannt, Jesus in seinem hohen leuchtenden Vorbilde wieder allerwärts unser Führer werden.

Diejenigen Brüder, welchen eine Berufung auf Jesum anstössig ist, stehen mit der geschichtlichen Wahrheit und mit dem geistigen Ursprunge des Bundes nicht in Uebereinstimmung. Viele der sich ablehnend verhaltenden Brüder urtheilen aus falscher Auffassung. Unsere Berufung auf Jesum steht mit den Glaubenssätzen christlicher Kirchengemeinschaften in keinem Zusammenhange. Was Jesus vor und nach seinem Erdenleben war, kommt für die Freimaurerei nicht in Betracht; dabei wollen wir keinen Bruder in seinem Glauben stören. Aber für uns kommt in Betracht die über alle Menschen hervorragende menschliche Erscheinung Jesu, seine Gotteslehre und sein leuchtendes Vorbild.

Die Ansicht, dass Jesus nur allein für die Angehörigen christlicher Kirchengemeinschaften Bedeutung habe, ist nicht zutreffend. Von der Gotteskindschaft, welche er gelehrt, ist kein Mensch ausgeschlossen. Und kein Maurer kann sich von ihm entfernen, ohne sich selbst und seinem Maurerthum untreu zu werden. Denn Jesu Lehre und der maurerische Gedanke sind eins.

Manche Brüder mögen von Jesu nichts wissen, weil sie glauben, dass dies mit ihren freisinnigen Grundsätzen unvereinbar sei. Wenn sie unter Freisinn Gottesleugnung verstehen, dann stimmt das allerdings, dann sind diese Brüder aber auch keine Freimaurer. Wenn sie aber an den Vater im Himmel glauben, dann wird ihrem Freisinn Jesus niemals entgegenstehen. Jesus bedeutet volle Freiheit der Kinder Gottes. Jesus ist der Träger der Freiheit. Er hat ein freies Menschenthum überall zur Erscheinung gebracht. Er hat sich den Gesetzen des Staates freiwillig unterworfen, aber er hat der freien Menschenwürde stets Rechnung getragen, wie wir als Maurer es nach ihm auch thun. Er ist Vorbild der Freimaurerei auch in religiöser Beziehung. Der Priesterherrschsucht, allem scheinheiligen Gebahren und aller Heuchelei ist er mit freiem Wort entgegen getreten. Er hat zertrümmert den todten und knechtenden Formendienst und hat einen neuen Tempel aufgerichtet der Verehrung Gottes im Geiste, den Tempel, an welchem wir als Maurer nach ihm weiter bauen. Er hat gesagt: »es kommt die Zeit, wo ihr weder in diesem Tempel noch auf jenem Berge anbeten werdet – Gott ist ein Geist und die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten«. Durch ihn ist der Vorhang zerrissen, welcher die Gemeinde absperrte von dem Allerheiligsten. Er hat den Aufblick zu Gott frei gemacht und den Verkehr mit Gott für jeden Menschen unvermittelt hergestellt. Er hat uns gelehrt, zu Gott empor zu blicken als dem liebreichen Vater. Jedes Menschenherz sollte das Allerheiligste werden, wo Gott dem Menschen sich offenbart. Jesus hat keine Standesunterschiede anerkannt, er hat nicht unter den Reichen und Mächtigen seinen Anhang gesucht, sondern bei den Armen und Geringen. Der Freisinnigste unter uns erreicht seinen freien Sinn nicht. Er hat nicht die Fehlenden verdammt, sondern sie zurückzuleiten gesucht auf den rechten Weg, er hat auch in den Verlorenen noch das verwischte Ebenbild Gottes geehrt und mit seiner reichen Liebe sie umfasst. Kein Irren so gross, dass er ihm sein Hoffen und Lieben entzog; keine Schuld so schwer, dass er nicht Vergebung ihr verkünden mochte; keine Hölle so tief, in welche er nicht hinabstieg, sie zu überwinden.

Und wenn manche Brüder glauben, dass Jesus ihnen zu hoch und zu ferne sei, um ihn als Führer in die Loge stellen zu können, um sich auch menschlich mit ihm zu verbinden, so verkennen auch diese Brüder ganz die Bedeutung Jesu, nicht nur für die Maurerei, sondern auch für die Menschheit überhaupt. Jesus ist Mensch gewesen, damit er uns menschlich näher trete, nicht damit wir vor seiner menschlichen Erscheinung zurückweichen sollen. Bei aller seiner Hoheit und Grösse als Mensch wollte er in seiner Menschlichkeit sich allen Menschen verbrüdern, um durch diese Liebesgemeinschaft auch in uns ein vollkommenes Menschenthum zu erwecken.

Warum willst Du, mein Bruder, ihn, der Dir den Brudernamen geben will, nicht als Deinen Bruder anerkennen? O schliesse mit ihm den Bruderbund der Liebe und Treue. Du kannst keinen treueren Bruder finden. Mit ihm brüderlich verbunden wirst Du stets den Weg des Lichtes wandeln. In seiner Gemeinschaft wird der Friede Gottes Dich beglücken. Mit ihm Hand in Hand wirst Du selig Deinen Erdenweg gehen wie ein Wanderer, der über sonnige Höhen seiner Heimath entgegenzieht. Und wenn jemals Dein Weg durch finstere Tiefen und Schmerzensnächte führen sollte, dieser Bruder wird Dich trösten und aufrichten zu neuer freudiger Wanderschaft. Du wirst selig sein, auch wenn Du Leid tragen musst. Du wirst nie Dich vereinsamt fühlen, wenn auch sonst Alle von Dir gegangen sind. An jedem Sterbelager, an welchem Du weinend stehst, wird er Dir zeigen das Licht, welches alle Todesnacht überstrahlt. Bei jedem Scheiden wird er Dich stärken in des seligsten Wiedersehens Zuversicht. Und wenn Du selbst einst im Tode liegst, dann wird dieser Bruder Dich auch nicht verlassen. Wenn kein Freund und kein Bruder Deines leidenden Zustandes wegen zu Dir kommen darf, er wird doch bei Dir sein. Er wird mit Geisterhänden Deine Bruderhand erfassen und zu Dir sagen: Komme mit zu meinem Vater und zu Deinem Vater. Er wird Deine Hand nicht loslassen und Dich führen durch die dunkle Todesnacht in die sonnige Heimath, ins Vaterhaus.

Mit denjenigen Brüdern, welche Jesu feindlich gegenüberstehen, ist nicht zu reden, aber auch nicht zu pactiren. Wir werden aus Rücksicht auf sie nicht auf Jesum verzichten, den nicht aufgeben, welcher von Anfang an der Führer des Maurerthums gewesen ist. Die weitaus grösste Mehrzahl aller deutschen Freimaurerlogen hat Jesus niemals aufgegeben, sondern allen Strömungen entgegen ihn als Führer beibehalten. Noch sind der offenbaren Gegner Jesu so viele nicht. Aber ihre Hauptstärke beruht auf der Indolenz Derjenigen, welche Jesum zwar lieb haben, aber nicht für ihn den Kampf aufnehmen, welche unter allen Umständen Frieden haben wollen. Je länger dieser falsche Frieden dauert, um so weiter wird die Maurerei sich von Jesum entfernen, bis sie endlich sogar Stellung gegen ihn nimmt. Dann wird auch Denen, welche aus Rücksicht und falscher Friedfertigkeit Jesum mit verleugnen, die Erkenntniss kommen; aber dann ist es zu spät.

Möge der wahre Bundesgeist alle Maurer aufrütteln zur That. Mögen Alle, welche nicht Jesu Gegner sind, sich verbinden, das Heiligthum der Maurerei auch in den Humanitätssystemen wieder frei zu machen für seinen Dienst, für wahres Maurerthum, und so in ihm die Einheit herzustellen, ohne welche all unser Thun bedeutungslos und erfolglos ist. Was in Jesu Namen gebaut ist, das soll in Jesu Geist und Namen stehen bleiben.

Die Sage kündet uns von einer Rose, welche in der Nacht, als Jesus geboren war, auf Bethlehems Flur gepflückt wurde. Diese Rose ist als eine welke Blume aus jener ersten Hand von Geschlecht zu Geschlecht in unsere Zeit überliefert worden. Sie ist noch vorhanden. Diese Rose hat die wunderbare Eigenschaft, dass sie, in der Christnacht in ein Glas voll Wein hineingestellt, wieder lebendig wird und in ihrer alten Herrlichkeit erblüht. Der Dichter, welcher dieses Aufblühen in der Christnacht besungen hat, beschreibt dies in folgenden Worten:

»Ein neues Leben hat sie jäh durchzückt,
Sie thut sich auf, die eben noch erschlaffte,
Und wie vom Pilger heute erst gepflückt,
Wiegt sie den Kelch auf dem geweihten Schafte;
In dunkler Röthe lodert sie und flammt,
Wie sie geflammt auf ihrer Heimath Triften,
Und um der Blätter königlichen Sammt
Weht als ein Opfer ihrer Krone Düften.«

Das ist die ewig unverwelkliche Rose, das ist die wahre Maurer-Rose. Diese Rose liegt noch welk in den zugeschlagenen Bibeln auf vielen Altären der Humanitäts-Maurerei. Aber sie muss wieder lebendig werden, sie muss noch zum Blühen kommen allerwärts.

Und auch in jedem Bruderherzen muss diese Blume zur blühenden Rose sich entfalten. Durch dieser Rose blühendes Leben werden wir die wahre Seligkeit des Maurerthums gewinnen, durch sie wird Friede sein unter uns, und mit uns die Macht des Lichtes und der Liebe, welche alle Erstarrung und Finsterniss überwindet und einen neuen sonnigen Geistesfrühling schafft in der Menschheit.

Alles Frühlingswehen ist ein Hauch der Freiheit. Auch der Frühling der Menschheit, auf den wir hoffen, kann nur in der Freiheit Hauch sich entfalten, in der Freiheit, welche Jesus, der Befreier von Bann und Joch, der Erlöser vom Tode, uns gebracht. Das ist die Freiheit, welche alle von Hass, Selbstsucht und Vorurtheil aufgerichteten Schranken zertrümmert, welche allen Kindern Gottes die Aussicht und den Weg frei macht ins Vaterhaus. In dieser Freiheit wird die Wunderblume von Bethlehem in allen Logen und in allen Maurerherzen einst aufblühen als die unverwelkliche, ewig Frühling verkündende und Frühling schaffende Rose des Maurerthums.

»Der Du das Werden allerwärts gestaltest
Und schaffest immer neuen Lenzen Bahn,
Der Du die Blumen auseinanderfaltest,
O Hauch der Freiheit, weh' auch diese an.
In jedes Bruderherzens Heiligthume
Da küsse Du sie auf zu Duft und Schein.
Herr Gott im Himmel, welche Wunderblume
Wird dermaleinst die Maurer-Rose sein!«

Br. Friedrich Holtschmidt.


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