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Die Treue des Freimaurers.

Eine der lieblichsten Farben ist das lichte, klare Blau des Himmels, das lichte, klare Blau des sinnigen Vergissmeinnichts. Diese sympathische Farbe begrüsst uns allenthalben in den trauten Räumen unserer theuren Loge. Mit gutem Grunde. Alles Irdische ist ein Gleichniss. Ein Gleichniss, inhaltreich und denkwürdig, bleibt auch die blaue Farbe der Loge und des die Erde umfassenden Himmels, ein Gleichniss für die Treue, den schönsten Schmuck des Maurers. Sei getreu! Das ist die eindringliche Mahnung, die uns jenes anmuthige Blau zuruft. Wohlan, beherzigen wir in dieser stillen Stunde diese Mahnung und betrachten wir sinnend den schönsten Schmuck des Maurers, die Treue!

Die Treue eint den edelsten Bund.

Die Treue bezieht sich stets auf einen Bund, den aufrichtige, zuverlässige Menschen mit einander schliessen. Ein solcher Bund besteht beispielsweise zwischen Mann und Frau, Vater und Sohn, Mutter und Kind, Freund und Freund, Maurer und Loge. Uns interessirt hier vor Allem der Bund, den der Freimaurer mit seiner Bauhütte und dem in derselben waltenden Gottesgeiste geschlossen hat. Wie gern erinnert sich ein treues Mitglied seiner Loge! Hier kamen ihm Liebe und Vertrauen entgegen, hier nahmen ihn Liebe und Vertrauen freudig auf, hier führten ihn Liebe und Vertrauen hin zu Jesu, dem Ideal und Heil der Menschheit. Vor seinem Geiste steht nun dieses lichte Ideal in vollendeter Heiligkeit, Gerechtigkeit und Wahrheit, in unendlicher Liebe, Freundlichkeit und Sanftmuth, vor ihm steht das Bild des, das er werden soll.

So steht auf der einen Seite die Loge mit dem lichten Genius der Freimaurerei, und auf der anderen Seite steht der nach Vollkommenheit sich sehnende und ringende Mensch, der jenes Urbild wahrer Schönheit in sich aufnehmen und zur lebendigen Darstellung bringen möchte – die beiden Glieder des herrlichsten Bundes. Geschlossen wurde einst der Bund fürs ganze Leben, geschlossen durch das Wort des ehrlichen Mannes, geschlossen durch seinen Handschlag. Wurde der Bund auch gehalten? Einte und bewahrte unverbrüchliche Treue den heiligen und verklärenden Bund? Die Loge hielt, so weit sie es vermochte, ihre Zusage, unwandelbar bleibt Gottes Treue, der Mensch aber! – Ach, er kennt am besten seine Mängel! Er weiss am besten, wie weit er noch vom Ziel entfernt ist, wie leicht er im Kampfe mit sich und der Welt unterliegt, wie wenig er für seine Loge wirkt, wie ihm oft die Liebe fehlt. Er weiss am besten, dass er noch eifriger an der Erkenntniss und Verwirklichung des Guten, Wahren und Schönen arbeiten könnte.

Solche Einsicht erzeugt das Gefühl des Unbefriedigtseins und der Reue, in dem rechten Maurerherzen zugleich aber auch den männlichen Entschluss: Es soll anders, es soll besser mit mir werden! Ich will treu sein bis an den Tod.

Wer so den mit der Freimaurerei geschlossenen Bund ansieht, darf überzeugt sein, dass er einen glücklichen Anfang gemacht hat. Die Treue eint dann das Menschenherz mit dem, der alle Sehnsucht nach Verklärung und Seligkeit stillt, die Treue eint dann den edelsten Bund.

Doch die Treue weist nicht allein auf den geschlossenen Bund, sondern auch auf die Bundespflichten.

Die Treue besiegelt die höchsten Pflichten des Freimaurers.

Pflichten, heilige Pflichten übernahm der Mann in jener schönen und erhebenden Stunde, in der er seinem geliebten Weibe feierlich gelobte, ihr treu zu bleiben, sie als sein Gemahl zu lieben und zu ehren, sie zu schützen und zu schirmen. Daran soll ihn jederzeit das bedeutsame Symbol erinnern, das er am Goldfinger trägt, das schlichte, endlose Ringlein. In gleicher Weise übernimmt der Freimaurer heilige Pflichten, ja die höchsten Pflichten gegenüber der Loge. Er verpflichtet sich, sein Herz ganz dem himmlischen Vater hinzugeben und sich freudig zu ihm durch Wort und That zu bekennen. Er verpflichtet sich, seine Brüder zu lieben, ihnen zu rathen und zu helfen, ihrem Falle zuvorzukommen, sie zu vertheidigen gegen ihre Feinde, ihnen das Leben zu verschönern und alles zum Besten zu kehren. Freimaurer halten in jedem Falle zusammen, nicht bloss im Glücke, sondern noch mehr im Unglücke.

Er verpflichtet sich, auch draussen im Leben ein werktätiger Maurer zu sein und an jedem Ort, in Haus und Beruf, Stadt und Staat seine Aufgaben als Vater, Bürger und Mensch gewissenhaft zu erfüllen. Namentlich den Armen will er ein treuer Berather und theilnehmender Helfer sein und zwar in dem Bewusstsein, dass ein jeder an der Stelle des Unglücklichen, der sich uns bittend naht, stehen könnte, gefiele es einem höheren Geschicke. Liebe will und soll er darbringen, um so für die Ewigkeit zu wirken.

Damit sind im Allgemeinen die erhabenen Pflichten des Freimaurers angedeutet. Es sind die höchsten Pflichten, die es überhaupt giebt. Möge jeder selbst täglich sich in dieselben versenken, um sie immer genauer zu erkennen und sorgfältiger auszuüben.

Es ist gewiss wichtig, ja notwendig, dass der Freimaurer seine Pflichten erkennt und mit Freuden bereit ist, sie zu erfüllen; wichtiger und notwendiger bleibt für ihn die andauernde, beharrliche Pflichterfüllung. Das wesentliche Merkmal der Treue heisst Beständigkeit in der Ausübung der übernommenen Pflichten. Rechte Treue währt in der Zeit und reicht bis in die Ewigkeit. Die Treue und Liebe eines Freimaurers soll nicht einem schnell verlöschenden Strohfeuer gleichen, sondern dem leuchtenden und erwärmenden Sonnenlichte, das ein und alle Tage, jahraus und jahrein die Erde mit gleichem Wohlthun segnet. Allezeit, zu jeder Stunde und an jedem Orte will ich meinem Gott und meinem Bruder nach Jesu Vorbild und in seinem Geiste unverbrüchliche Treue halten! Das ist die Tages- und Lebenslosung des wahren Freimaurers. Sieh hinein in seine Tagesordnung und du wirst die befriedigende Erkenntniss erlangen, dass die Treue den goldenen Ring für sein gesammtes Verhalten, für alle seine Tugenden bildet! Mit frohem Danke erhebt er sich am Morgen von seinem Lager, mit frohem Danke gegen den treuen Menschenhüter, den himmlischen Vater. Und im Hinblick auf die beginnende Tagesarbeit erklingen in seinem Herzen die Worte des frommen Dichters wieder:

O Gott, lass deine Güt' und Liebe
Mir immerdar vor Augen sein!
Sie stärk' in mir die guten Triebe,
Mein ganzes Leben dir zu weih'n!

Mit freundlichem Worte begrüsst er die geliebte Gattin, mit freundlichem Worte auch die Kinder und die treu dienenden Gehülfen, die er zu seiner Familie rechnet. Der Geist der Treue leitet ihn bei allen seinen Arbeiten, die er zur rechten Zeit frisch und fröhlich erledigt; dieser Geist gestattet es nicht, eine übernommene Angelegenheit flüchtig zu ordnen oder gar auf die lange Bank zu schieben. Zeit ist Geld. Ich habe keine Zeit, müde zu sein! Für jede Minute bin ich meinem Gott Rechenschaft schuldig. Das sind die Gesichtspunkte für seine Pflichterfüllung. Er überlegt reiflich, was er verspricht; was er aber zusagt, das hält er gewiss. Jeder, auch der Geringste, findet bei ihm freundliche Aufnahme und geht, wenn möglich, befriedigt von dannen. Innigen Antheil nimmt er an den Geschicken seiner Mitmenschen, er weint mit den Weinenden und freut sich mit den Fröhlichen. Erquickung und Erholung findet er in der herrlichen Natur, in Feld und Flur und Wald, Erquickung und Erholung auch im trauten Kreise seiner Brüder und Freunde, besonders aber in seinem lieben, friedlich-stillen Hause. Und wie er mit kindlichem Danke den Tag begonnen, so beschliesst er ihn mit dankbarem Aufblick zu dem, der so gern seine Menschenkinder segnet.

So verläuft ein Tag, so verläuft auch das ganze Leben des Maurers, nämlich in treuer Erfüllung der Pflichten, nur mit dem beglückenden Unterschiede, dass seine Treue wächst, dass sie eine vertieftere und umfassendere, eine reichere und verklärendere wird, eine Treue, die da lernt, die Zeit im Lichte der Ewigkeit zu betrachten. Im Glücke bleibt er demüthig und bescheiden, im Unglück getrost und standhaft. Von Kampf und Noth bleibt auch er nicht verschont; innere und äussere Feinde treten ihm hindernd in den Weg. Der eine raunt ihm zu, das Freimaurerthum sei dem Verfalle nahe. Der andere verleumdet ihn auf unglaubliche Weise. Schwerer lastet auf ihm seine eigene Unvollkommenheit. Dazu tritt noch mancher herbe Verlust, vorzeitig stirbt ihm ein liebes Kind, ja, die treue Lebensgefährtin entreisst ihm der unerbittliche Tod. Das sind finstere Wolken, die an seinem Lebenshimmel heraufziehen. Doch er bleibt ein Mann, der sich nicht in nutzlosen Klagen verliert, sondern dem Herrn vertraut und erfüllt, was er erfüllen soll; er betet und arbeitet. Da verschwindet die Finsterniss, die Sonne scheint wieder durch die Wolken, es zeigt sich wieder das liebliche Blau und der Regenbogen, der den Frieden verkündet. Der Herr wird dich, seinen treuen Diener aufrichten! Getragen von seiner Liebe und der Liebe der Seinen geht er getrost seines Weges; die Treue bleibt sein Leitstern bis an das kühle Grab und in die Ewigkeit hinein.

Solche unwandelbare, echt deutsche Treue haben gehalten jene bewährten, mit der Silberkrone des Alters geschmückten Brüder, die einst in jungen Jahren in feierlicher Stunde das Gelübde der Treue ablegten und solches hielten bis zu dieser Stunde und halten werden bis zur Vollendung ihrer Wanderung. »Ewig bleiben treu die Alten, bis das letzte Lied verhallt«! so lautet ihre Losung. Solch unwandelbare, echt deutsche Treue verklärte unseren unvergesslichen alten Kaiser Wilhelm und seinen herrlichen Sohn, Kaiser Friedrich, beide Maurer in des Wortes bester Bedeutung, beide treue Brüder bis zu ihrem seligen Heimgange. Doch wer war treuer als der, den sich der Einheitsbund als Führer erwählt hat, treuer als Jesus! Er war treu den Seinen, treu seinem Volke, treu seinem Gott zu jeder Stunde seines Lebens, treu auch im schwersten Leid, treu bis zum Tode am Kreuz.

O, mein Bruder, nimm solche Meister dir zum Vorbilde! Bleibe treu wie sie! O lieb, so lang du lieben kannst!

Welch reicher Lohn wird dir dann werden in der Liebe und dem Vertrauen deiner Brüder, in der Zuneigung und Hingebung deiner Kinder und deines Weibes, in der Achtung und Anerkennung deiner Mitbürger, in dem Dank und der Verehrung der Armen und Unglücklichen! Doch was bedeutet äusserer Lohn gegenüber dem inneren Segen der Treue! Welch stiller Friede kommt über dich, wenn du dich abends mit dem Bewusstsein treuer Pflichterfüllung zur Ruhe legen kannst! Welch hohe Freude findest du in deiner Arbeit! Wie reift dein innerer Mensch je länger desto mehr zur Klarheit und Weisheit, Sicherheit und Festigkeit, Stille und Harmonie, zu einem treuen, religiös-sittlichen Charakter! Und welche Seligkeit wird dein Herz erfüllen, wenn du dein Leben, das unter dem Lichtglanz der Treue wie ein heller Frühlingstag dahinfloss, mit dem Bekenntniss beschliessen kannst: Gottlob, ich habe trotz mancherlei Irrthümern und Verfehlungen die Treue gehalten!

Wir stehen am Schluss. Was wollte ich anders, als uns alle begeistern für den schönsten Schmuck des Menschen die Treue! So lasst uns in dieser feierlichen Abendstunde aufs neue unserem ehrwürdigen Bruderbunde und seinem erklärten Führer Treue geloben und heimkehren mit dem festen Entschluss, Treue zu halten bis in den Tod!

Meine Brüder! Ja, ich will es!

Wenn alle untreu werden,
So bleib' ich dir doch treu,
Dass Dankbarkeit auf Erden
Nicht ausgestorben sei.

Br. G. Schlott.


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