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Es giebt wohl kaum ein Wort, welches seit länger als drei Generationen mehr gebraucht und missbraucht worden wäre, als das Wort Freiheit. Seit es in unserem Erdtheile mit dem Alles nivellirenden Worte Gleichheit von der ersten französischen Revolution als Losung in die Welt hinausgerufen ist, hat es nicht aufgehört, seine Runde in ihr zu machen. Und gleich einem Heisshunger hat ein Drang nach Freiheit Unzählige ergriffen. Er ist genährt worden von den Denkern und Dichtern dieses Jahrhunderts; ja, jener Philosoph, der bei seinen Lebzeiten fast vergöttert wurde, jedenfalls aber damals ebenso über alles Maass erhoben ist, als er nach seinem Tode über alle Gebühr herabgesetzt, ja verlästert wurde – Hegel – hat das Wort gesprochen, »die ganze Weltgeschichte sei nichts Anderes, als der Fortschritt der Menschheit im Bewusstsein der Freiheit«.
So hat denn der Name Freiheit mit schwärmerischer Begeisterung Millionen von Herzen erfüllt, und wenn auch die Meisten auf die Frage, was sie denn unter Freiheit verstehen? welche Freiheit sie denn meinen? kaum oder sehr ungenügend zu antworten wissen dürften, so sind es wenigstens nicht die Unedelsten gewesen, die mit glühendem Sehnsuchtsdrange in das Max v. Schenkendorffsche Lied eingestimmt haben:
Freiheit, die ich meine,
Die mein Herz erfüllt,
Komm mit deinem Scheine
Süsses Engelsbild!
Willst du nie dich zeigen
Der bedrängten Welt:
Führst du deinen Reigen
Nur am Sternenzelt? –
Freilich jener edle Dichter wies hier der Freiheit, die er in der Welt vermisste, eine sichere Wohnstätte nur in den himmlischen Regionen über dem Sternenzelte an. Ja, der Lieblingsdichter unseres Volkes, unser unsterblicher Schiller, hat in dem elegischen Gedichte, welches er dem Antritt des neuen Jahrhunderts geweiht hat, auf die selbstaufgeworfene Frage:
– – Wo öffnet sich dem Frieden,
Wo der Freiheit eine Zufluchtsstatt?
nur die schmerzlich resignirte Antwort gegeben:
Ach, umsonst auf aller Länder Karten
Spähst du nach dem seligen Gebiet,
Wo der Freiheit ewig grüner Garten,
Wo der Menschheit schöne Jugend blüht.
In des Herzens heilig stille Räume
Musst du fliehen aus des Lebens Drang!
Freiheit ist nur in dem Reich der Träume,
Und das Schöne blüht nur im Gesang.
Schiller hatte nicht recht, wenn er hier die Freiheit in das Reich der Träume verwies, aber recht, wenn er Jeden, der nach der wahren Freiheit verlangt, nicht vor Allem nach aussen in die Welt hinaus, sondern nach innen, in sich selbst hinein wies, ihn in »die heilig stillen Räume des Herzens« einkehren hiess. Ja, weil er selbst »aus des Lebens Drang« dahin zu fliehen lernte, schloss sich ihm auch je mehr und mehr die innere Welt der wahren sittlichen Freiheit auf, deren edelster dichterischer Herold er geworden ist.
Geliebte Brüder! ich möchte Sie nun veranlassen, mit mir einen Blick in diese geheimnissvolle innere Welt der sittlichen Freiheit zu thun – der sittlichen Freiheit, in der allein auch die starken Wurzeln jeder gesunden politischen, religiösen und ästhetischen Freiheit verborgen liegen. Meine Absicht ist, mich mit Ihnen darüber zu verständigen: was denn eigentlich die sittliche Freiheit des Menschen ist?
Wenn man an die Frage von der sittlichen Freiheit herantritt, muss man darauf gefasst sein, den Ruf zu hören: Gemach! Du redest von etwas, was gar nicht vorhanden ist! Was man sittliche Freiheit des Menschen nannte, ist ein blosser Schein. Der ganze Mensch ist nichts als eine Maschine, welche von Kräften, die von aussen her auf sie wirken, in Bewegung gesetzt wird! – Er dünkt sich Herr über die Natur oder doch zur Herrschaft über sie berufen, und ist im Gegentheile gar nichts Anderes als ein blosses winziges Rad in dem ungeheuren Rädertriebwerk der Natur. Sie bedingt, sie beherrscht ihn überall; keinen Schritt vermag er zu thun, der ihn ihren Gesetzen entzöge, – keinen Gedanken zu fassen, der nicht in den von ihr ihm eingeprägten Anschauungen wurzelte, – keinen Willen hat er, der nicht durch Triebe oder Objecte der Natur hervorgerufen oder bestimmt wäre.
Nicht wesentlich anders als mit diesen Behauptungen des Materialismus, der die sittliche Freiheit des Menschen schlechthin leugnet und ein vollständiges Bestimmtsein des Menschen von der Natur (naturalistischer Determinismus) lehrt, verhält es sich mit allen den Systemen des naturalistischen Pantheismus, die ihren Ausgang von dem 1677 zu Haag in Holland gestorbenen jüdischen Philosophen Baruch oder, – wie er sich nach der Ausstossung aus der Synagoge nannte – Benedikt Spinoza genommen haben.
Nach Spinoza, dem Gott und die Natur ein und dasselbe sind, geschieht alles auf schlechthin naturnothwendige Weise. Es giebt in dem ganzen All der Dinge nichts, was anders sein oder geschehen könnte, als es eben ist oder geschieht. Was die Freiheit des menschlichen Willens genannt wird, vergleicht er deshalb mit dem geworfenen Steine, der sich einredet, er wolle fliegen. Wenn Spinoza dennoch es unternommen hat, nachweisen zu wollen, wie der Mensch zu immer grösserer Freiheit komme, ja sich dadurch von allen Leiden befreien könne, so hat dies bei ihm nur den Sinn: Der Mensch brauche nur zu verstehen, dass alles nothwendig sei und nothwendig geschehe, so höre er auch auf, anderes zu wünschen, und so müsse ihm selbst sein Leiden, als ein in seiner Nothwendigkeit erkanntes, zur Lust werden. Der so geistesfrei und geistesstark Gewordene kenne dann nichts Höheres und Seligeres mehr, als die selbstvergessene Hingabe an Gott, d. i. an die Natur, deren Werkzeug er sei; Werkzeug, das, unbrauchbar geworden, weggeworfen und durch ein anderes ersetzt werde.
Ueber diesen Standpunkt Spinozas ist auch in der Folgezeit kein pantheistisches System wesentlich hinausgekommen; es ist das auch bei der dem Pantheismus zu Grunde liegenden Gottes- und Weltanschauung unmöglich; wenn gleichwohl pantheistischerseits hier und da von der sittlichen Freiheit des Menschen geredet worden ist, so läuft dies auf ein täuschendes Spiel mit Worten hinaus.
Trotzdem enthalten sowohl Materialismus wie Pantheismus bei aller naturalistischen Einseitigkeit und Uebertreibung ein nicht zu unterschätzendes Wahrheitsmoment, das sich im Laufe der weiteren Darlegungen von selbst ergeben und zu seiner Anerkennung gebracht werden wird.
Die Gefahr, welche bei dieser Art der Leugnung der sittlichen Freiheit durch Materialismus und Pantheismus droht, scheint mir übrigens im Allgemeinen nicht hoch zu veranschlagen, da jene um ihrer Einseitigkeit und Uebertreibung willen schon einen überaus starken Gegner in dem natürlichen Freiheitsgefühle jedes unbefangenen, nicht in Hirngespinnste verwickelten Menschen haben.
Viel grösser als die von dieser Seite her drohende Gefahr ist diejenige, welche dem Bewusstsein der sittlichen Freiheit von Seiten gewisser Lehranschauungen, wenn dieselben die volle Wahrheit enthielten, bereitet sein würde. Es liegt ihnen zu Grunde einerseits der abstract gefasste Gedanke von der Absolutheit Gottes, näher bezeichnet von seiner unbeschränkten Allmacht und Allwissenheit, andererseits die Anschauung von einer völligen sündigen Verderbtheit der nur durch die specielle Gnade Gottes umzuwandelnden und zu wirklich sittlicher Befähigung wieder herzustellenden menschlichen Natur.
Die Hauptvertreter dieser Anschauungen und der darauf gebauten Doctrinen sind Augustinus, der grösste Lehrer der alten katholischen Kirche, und die auf seinen Bahnen weiter fortgeschrittenen Reformatoren Luther, Melanchthon, Zwingli und Calvin.
Auch in ihren Anschauungen und Lehren waltet ein absoluter Determinismus, der, wenn man auf die letzte bewirkende Ursache, auf Gott, hinsieht, als Prädestinationismus, wenn man auf die Anschauung von der völlig verderbten, nur durch Gottes Gnade umzuwandelnden Zuständlichkeit der menschlichen Natur hinblickt, als moralischer Determinismus im strengsten Sinne zu bezeichnen ist. Jener Prädestinationismus kann nur als eine besondere Form des Fatalismus angesehen werden.
So erfährt also die sittliche Willensfreiheit des Menschen von zwei ganz entgegengesetzten Seiten her – sowohl von der des naturalistischen, als der des prädestinationischen Determinismus – eine vollkommene Leugnung,
Ziehen wir zuvörderst einmal die Folgerungen, die sich aus solcher Leugnung nothwendig ergeben: Kann überhaupt von einem freien Willen des Menschen in irgend einem Sinne des Wortes gar nicht geredet werden, so mag man sich mit Worten drehen und wenden, wie man will, man wird dann auch nicht berechtigt sein, dem Menschen für seine Gedanken, Gesinnungen und Handlungen, böse oder gute, eine Zurechnungsfähigkeit und Selbstverantwortlichkeit zuzuschreiben. Ist es für den Menschen absolut unmöglich, jemals in irgend einem Augenblicke seines Lebens und bei irgend einer innerlichen oder äusserlichen Handlung anders zu sein und zu thun, als er eben ist und thut, – wird er durch die reine Nothwendigkeit – sei es der Natur, sei es eines unwandelbaren göttlichen Rathes und Willens – schlechthin bestimmt, so ist der Mensch und all sein Denken, Empfinden und Thun nichts Anderes, als entweder auch nur ein Naturproduct eigenthümlicher Art, oder ein völlig unselbständiges Werkzeug in der Hand Gottes, und nur die Natur oder die Gottheit selber dürften – wenn überall davon geredet werden könnte – für die Beschaffenheit und das Thun des Menschen verantwortlich gemacht werden. Von Gut und Böse, von Recht und Unrecht, von Tugend und Verdienst wie von Schuld und Strafwürdigkeit dürfte dann in der That nicht anders als uneigentlicher oder geradezu missbräuchlicher Weise die Rede sein.
Der naturalistische Determinismus zieht diese Consequenzen, so weit sie ihn betreffen, auch in der That. So sagt z. B. Spinoza: Der Ausdruck: Das ist gut, habe durchaus keinen vernünftigen Sinn; einen solchen habe nur der: Dies ist mir gut, d. h. angenehm oder nützlich. Und aus demselben Grunde leugnet und bekämpft der Materialismus nichts so sehr als die Objectivität des Zweckbegriffes und die in ihm beruhenden Ideen des Guten und Rechten.
Der prädestinationische Determinismus jedoch hat jene Folgerungen – wie ich, um den grossen ehrwürdigen Männern, die ihn vertraten, nicht Unrecht zu thun, ausdrücklich hervorhebe – nicht gezogen. Aber warum nicht? Nicht etwa weil seine Vertreter keine scharf denkenden Köpfe gewesen wären, sondern weil sie mit ihrem Denken bei consequenter Verfolgung ihrer Grundvoraussetzung an einem Punkte anlangten, an dem sie sich berechtigt und verpflichtet hielten, Geheimnisse der Majestät Gottes anzuerkennen. Doch aber gehören wenigstens diese Geheimnisse in der so vorliegenden Hülle zu denjenigen, deren Schleier das speculative und christliche Denken auf gewissen Stufen der kirchlichen Entwickelung selbst erst gewebt hat.
Darum hat auch weder die lutherische noch die reformirte Kirche in jenen Punkten die Anschauungen ihrer Gründer aufrecht gehalten. Man ist vielmehr allmählich vielfach sogar von einem Extrem ins andere gefallen, und so hört man denn seit geraumer Zeit nicht wenige Stimmen, die sich, entgegen den obigen Determinismus genannten Anschauungen, über die sittliche Freiheit des Menschen im Sinne des Gegentheils, d. i. also eines entschiedenen Indeterminismus äussern.
Dem zu Folge soll der menschliche Wille frei sein, sofern er in jedem Augenblicke das Vermögen hätte, aus sich selbst unter verschiedenen Möglichkeiten des Handelns eine zu wählen und sich zugleich dabei ebensowohl für das Rechte, als für das Unrechte, für das Gute wie für das Böse zu entscheiden. Ich glaube nicht mit Unrecht behaupten so können, dass diese Anschauung von der sittlichen Freiheit gegenwärtig die eigentlich populäre und in den weitesten Kreisen herrschende ist. Sie scheint auch auf den ersten Blick am Besten mit den Thatsachen der inneren Erfahrung übereinzustimmen, dass der Mensch ein Gewissen hat, vermöge dessen er sich für sein Handeln der Zurechnungsfähigkeit und Selbstverantwortlichkeit bewusst ist und den sittlichen Werth oder Unwerth desselben auf seine eigene Rechnung setzt. Auch wie es sich mit dieser Wahlfreiheit oder Willkür verhält und inwieweit die Behauptung desselben ein nicht zu unterschätzendes Moment der Wahrheit im Begriff der sittlichen Freiheit enthält, wird sich uns aus dem Verfolge unserer Darlegung ergeben.
Doch bevor wir in concreto in unserer Untersuchung fortfahren, dürfte hier der Ort sein, in aller Kürze in abstracto die Frage logisch und physiologisch zu beantworten, was denn, wenn überall von einer wirklichen Freiheit des Menschen mit Recht geredet werden darf, darunter verstanden werden muss?
Nun, wenn der naturalistische Determinismus die Freiheit des menschlichen Willens aus dem Grunde leugnet, weil der Mensch durch die Natur – der prädestinationische aber deswegen, weil der Mensch durch Gott schlechthin bestimmt, d. i. gänzlich durch ihn bedingt und von ihm abhängig sei, – so kann, falls eine solche völlige (absolute) Bestimmtheit des Menschen nicht vorhanden sein sollte, die Freiheit des menschlichen Willens gar nichts Anderes sein als die Macht der Selbstbestimmung; und es käme alsdann nur darauf an, unbefangen zu ermitteln, wie weit diese Macht der Selbstbestimmung reicht (d. i. ob und welche Grenzen und Schranken sie hat).
Nun ist aber Selbstbestimmung, auch psychologisch betrachtet, nicht möglich ohne ein Selbst, das sich bestimmt, d. h. der Wille als Macht der Selbstbestimmung hat zu seiner Voraussetzung und Grundlage ein Selbstbewusstsein, ein Ich, dem er anhaftet (inhärirt). Das Selbstbewusstsein hinwiederum ist die nothwendige unveräusserliche Daseinsform des aus seiner verborgenen (Potentialität) Möglichkeit in die Wirklichkeit (Actualität) hervortretenden vernünftigen menschlichen Geistes. In und mit dem Selbstbewusstsein, in dem der menschliche Einzelgeist (menschliche Individualität) sich selbst im Unterschiede von der gesammten Natur und von allen anderen menschlichen Geisteswesen erfasst, ist zugleich auch der Wille als innewohnende (immanente) Macht der Selbstdarstellung, Selbstbethätigung oder Selbstbestimmung gesetzt. Somit wäre denn der freie Wille – nach seiner formalen Seite, logisch und psychologisch betrachtet – zunächst die dem Menschengeiste innewohnende Macht, auf selbstbewusste Weise sich selbst zu bestimmen.
Es erhellt daraus zugleich, dass und warum wir den Thieren keine innerliche Freiheit zuschreiben können, weil sie keine Geisteswesen, sondern nur beseelte Naturwesen sind, und mithin in ihrem Seelenleben auch nur fähig sind, durch Naturtriebe bestimmt zu werden, nicht aber sich zum Selbstbewusstsein und zur Selbstbestimmung zu erheben.
Nun ruht aber weiter in dem menschlichen Selbstbewusstsein zugleich das sich beständig erweiternde, bereichernde und vertiefende Bewusstsein auch von den in der Welt existirenden Dingen und ihren Verhältnissen, Zuständen und Thätigkeiten. Das Bewusstsein im Unterschiede von dem Selbstbewusstsein ist ja nichts anderes als das Wissen um ein Sein, und zwar um dasjenige Sein, das sich in der Welt und ihren unendlich mannigfaltigen Existenzen und deren Bethätigungen vorfindet. Das Bewusstsein im Unterschiede vom Selbstbewusstsein ist mithin durch und durch Weltbewusstsein. Sofern nun in dem Selbstbewusstsein das Weltbewusstsein mitgesetzt und enthalten ist, findet sich der Mensch mit dem Erwachen seines Selbstbewusstseins, eben auf selbstbewusste Weise, sowohl unterschieden von der ganzen ihn umgebenden Welt, als auch bezogen auf sie und die unendliche Mannigfaltigkeit ihrer Existenzen. Aber sein Selbstbewusstsein vermag diese ganze Mannigfaltigkeit nicht zu umfassen, sondern immer nur sich auf einzelne Gegenstände (Objecte) oder einen beschränkten Kreis von Gegenständen (Objecten) zu beziehen, um sie fühlend, denkend und erkennend zu erfassen. – Und ebenso verhält es sich auch mit dem selbstbewussten Willen: Auch er kann sich immer nur auf einzelne Objecte oder Kreise von Objecten innerhalb der Gesammtheit der Welt beziehen, und dies giebt der menschlichen Freiheit die Form der Wahlfreiheit oder Willkür.
Aber wie weit reicht denn nun in der Wirklichkeit diese Wahl der willkürlichen Selbstbestimmung. Ist es nicht am Ende, wenn wir in die volle concrete Wirklichkeit des Lebens blicken, doch nur Schein und Traum zu glauben, dass es auch da eine solche Freiheit des menschlichen Willens gebe? Ist nicht am Ende doch alles nur Sache der reinen Nothwendigkeit?
Der Mensch, aus Leib und Seele bestehend, gehört zwei Welten an, der Welt der Natur und der des Geistes. Vermöge seiner Leiblichkeit findet er sich vom ersten Anfange bis zum letzten Augenblicke seines irdischen Daseins hineingestellt in das Reich der Natur. Er ist also nicht frei von der Natur, sondern im Gegentheil von den Stoffen, Kräften, Gestaltungen und Gesetzen derselben abhängig. Alle seine Sinne und Sinneswerkzeuge sind auf die Natur berechnet. Er kann nicht athmen ohne die Luft, womit sie ihn umgiebt, nicht gehen ohne den Boden und den Raum, den sie ihm darbietet, nicht sehen ohne den Lichtreiz, welchen sie auf sein Auge ausübt, nicht hören, ohne dass sie ihre Schallwellen in sein Ohr gelangen lässt. Sie ist seine Ernährerin und Beschützerin, die ihm aus der Fülle ihrer Gaben alles gewährt, wodurch sein leibliches Leben erhalten wird, und wiederum die Zerstörerin desselben, die es in seine, d. i. ihre Elemente auflöst.
Ueberall bedarf der Mensch der Natur: sie ist seine Erzeugerin, seine Wiege, seine Wohnung, seine Werkstätte, sein Kampfplatz und zuletzt sein Grab.
Als Naturwesen ist also der Mensch der Nothwendigkeit unterworfen; er muss unendlich Vieles auf naturnothwendige Weise, ohne dass sein Wille dabei in Frage käme, er kann unendlich vieles nicht, wenn er es noch so sehr wollte.
Nur in der spielenden Phantasie kann er die Bedingungen der concreten Wirklichkeit subjectiv aufheben, kann er sich Flügel wachsen lassen oder Siebenmeilenstiefel erfinden, aber nicht in der Wirklichkeit. Da kann er keinen Augenblick überfliegen, keine Spanne des Raumes hinwegzaubern; da schafft er aus seiner Macht auch nicht einen Grashalm. – Wo bleibt in dem Allen die formelle Freiheit als Willkür? In der That nirgends und insoweit hat, wie ich schon vorhin sagte, auch der naturalistische Determinismus ein Wahrheitsmoment in sich.
Aber der Mensch ist nicht bloss auf die Natur berechnet, sondern auch die Natur auf den Menschen. Mit Recht ist er von jeher die Krone der Natur genannt. Sein Leib ist das vollkommenste und edelste aller ihrer Gebilde. Durch sein Dasein in ihr ist die Natur geadelt, durch sein Leben und Wirken wird sie veredelt. Nur durch ihn wird die Welt der Natur zu einer Welt der Cultur, denn was sie ihm auch Alles darbieten mag, eines hat er nicht von ihr, weil sie es selbst nicht in sich hat. Das ist der Geist, welcher den durch unzählige Bande des Bedürfnisses und der Abhängigkeit mit der Natur verbundenen Leib beseelt, und ihn zu einer umbildenden und veredelnden Einwirkung auf die Natur befähigt und treibt.
Als Geisteswesen hat der Mensch die Urwälder gelichtet und sie in fruchtbare Gärten und Felder umgeschaffen, hat Wüsten, Einöden und Sümpfe zu Stätten eines reichen Lebens gemacht, Dörfer und Städte gebaut, über die steilsten Berge die Wege des Verkehrs gelegt; über breite Ströme schlägt er seine Brücken, über die weiten Meere sendet er seine Schiffe; selbst das Innere der Erde muss sich ihm öffnen, um seine verborgenen Schätze zu spenden zum Culturgebrauch.
So cultivirt nicht die Natur sich selbst und noch weniger etwa den Menschen, sondern sie empfängt ihre Cultur von ihm; er stellt ihre Kräfte und Güter in den Dienst seines Geistes. Ja, wo der Mensch mit seinem geistigen Schaffen und Wirken sich zurückzieht, da beginnt die Natur alsbald zu verwildern, und wo er lediglich die Triebe, die er von ihr hat, und mit denen sie in ihm wirkt, in seinen Willen aufnimmt und walten lässt, da verwildert er selbst und verfällt der geistigen und sittlichen Roheit, oder er macht die Cultur zu einer hohlen Larve und gleissendem äusseren Firniss.
Findet also der Mensch durch seine Abhängigkeit von der Natur sich und seinem Handeln einerseits überall Schranken gesetzt, die er niemals völlig aufheben kann, so findet er doch andererseits in seinem Geiste die Kraft, diese Schranken weiter und weiter hinauszurücken und so in wachsendem Maasse eine die Natur umbildende und veredelnde Thätigkeit zu üben.
Doch alle diese Cultur der äusseren und der eigenen menschlichen Natur ist doch nicht bloss das Werk des einzelnen Menschen in seiner Vereinzelung, sondern zu jeder Zeit das jedesmalige geschichtliche Resultat des vereinigten Wirkens der gesammten in Völker gegliederten Menschheit, und das ist der zweite Punkt, den wir ins Auge zu fassen haben.
Als geistig-leibliches Wesen findet jeder einzelne Mensch sich von Anbeginn bis an das Ende seines Erdendaseins nicht blos hineingestellt in das Reich der Natur, sondern auch in das geistige Reich der Menschheit. Er ist ein Kind seiner Erzeuger, ist ein männliches oder weibliches Individuum, ein Glied einer Familie, Gemeinde, eines Volkes und Stammes, eines Staates und einer Kirche oder irgend einer religiösen Gemeinschaft, und ist das Alles zu dieser seiner Zeit, ist also auch in dem Allen ein Kind seiner Zeit. Er findet sich, d. i. sein geistiges Wesen und sein inneres und äusseres Leben, mithin in allen diesen Verhältnissen unter Bedingtheiten gestellt, die er sich weder selbst gesetzt hat, noch jemals, sei es überhaupt, sei es völlig aufzuheben im Stande ist. Haus und Schule, Gemeinde, Staat und Kirche machen ihre Ansprüche an ihn, und wenn er auch einmal aufhören kann, dieser Gemeinde, diesem Staate oder dieser Kirche anzugehören, so wird er doch alsbald ein Glied eines ähnlichen grösseren oder kleineren Ganzen, in dessen Gesetze und Pflichten er eintritt.
Sehen wir aber auch jetzt wieder zu, wie weit diese Bedingtheit und Abhängigkeit des einzelnen Menschen nach seiner gliedlichen Stellung im Gesammtorganismus der Menschheit sich erstreckt, so müssen wir wiederum sofort erkennen, dass sie auch hier doch nur eine relative ist. Jeder einzelne Mensch ist nicht ein blosses Exemplar seiner Gattung und Art, wie die Pflanze und das Thier, auch nicht ein blosses Kind seiner Zeit, sondern ein selbständiges Selbst, eine besondere Persönlichkeit. Er hat als solche nicht bloss eine ganz bestimmte äusserliche, sondern auch eine innerliche Physiognomie, eine besondere geistige Eigenthümlichkeit, welche auf ursprünglicher individueller Anlage in reicherem oder geringerem Maasse beruht, und eben nur ihm und keinem Anderen in völlig gleicher Weise eigen ist, weshalb denn auch Keiner durch einen Anderen schlechthin ersetzt werden kann. Jeder bringt sein Talent oder seine Summe von Talenten als Mitgift auf die Welt. Es kann durchaus nicht Jeder Alles leisten, was er nur will. – Hat aber jeder einzelne Mensch als besondere geistige Persönlichkeit seine individuellen Anlagen und Fähigkeiten, die nach Verstand und Gemüth, Phantasie und Willen in unendlich verschiedenen Maassen und Verbindungen vertheilt sind, so hat auch Jeder kraft derselben seinen besonderen inneren Beruf, und dadurch seine eigenthümliche Bedeutung zunächst innerhalb des engeren Kreises, in welchen er gestellt ist, damit aber auch, weil alle besonderen Lebenskreise von der allumfassenden sittlichen Weltordnung umschlossen und getragen werden, zugleich für den Gesammtorganismus der Menschheit. Es wird das wieder am Deutlichsten, wenn wir auf den individuellen Genius blicken. In wie weite Kreise und nicht nur seiner Zeit, sondern aller nachfolgenden Zeiten kann ein einzelner grosser Denker oder Dichter oder Staatsmann und vor Allem ein religiöser Heros anregend und befruchtend, ja neue Bahnen brechend wirken. Was aber nur Wenigen in hervorragendem Maasse gegeben und zu leisten möglich ist, das ist doch Jedem in irgend einem Maasse gegeben und möglich, und für den sittlichen Werth des Menschen kommt nun Alles darauf an, dass er das wirklich zu leisten strebe, was ihm als Glied am Leibe der Menschheit nach seiner besonderen Begabung und Befähigung möglich ist. Was nun aber der Einzelne kraft dieser individuellen Begabung und Befähigung innerhalb der sittlichen Weltordnung wirklich leistet, das ist jedenfalls sein eigenstes Werk, ist die freie That seiner persönlichen Selbstbestimmung.
Ich kann jetzt eine vorläufige Summe ziehen. Wir haben gesehen, dass wir bei dem einzelnen Menschen, wie in Ansehung seines Verhältnisses zur Natur, so auch zum Reiche des Geistes, d. i. in seiner gliedlichen Stellung im Organismus der Menschheit, wohl überall die seiner Macht gesetzten Bedingtheiten und Schranken einer sittlichen Weltordnung finden, aber andererseits auch die individuell geartete innere Begabung, Befähigung und den sittlichen Beruf, nicht nur zur Erhaltung und Befestigung, sondern auch zu einer relativ immer vollkommeneren Darstellung und Gestaltung dieser sittlichen Weltordnung in Natur und Menschheit an seinem Theile und in seiner Lebensstellung mitzuwirken und dadurch zugleich sein eigenes persönliches, d. i. geistig-sittliches Wesen und Leben zu entbinden und frei zu machen, es immer charaktervoller herauszubilden, darzustellen und zu bethätigen.
Diese seine positive Beziehung zu der sittlichen Weltordnung kündigt sich ihm aber auch noch in besonderer innerlicher Weise, nämlich in seinem Gewissen, an, durch welches der Mensch, wie es übrigens auch beschaffen sein mag, gebunden, nämlich an die sittliche Weltordnung gebunden erscheint. Er ist ihr kraft seines Gewissens gleichsam haftbar, und somit auch für sein Handeln in Beziehung auf sie mit seinem Selbst verantwortlich. – Und gebunden an sie bleibt auch der Gewissenlose, d. i. der, welcher sich von der Gewissenspflicht zum Dienst der sittlichen Weltordnung losgemacht hat. Es ist Thatsache der Erfahrung: wer sich nicht selbst an die sittliche Weltordnung bindet, indem er ihre Aufgaben an seinem Theile erfüllen, ihre Zwecke verwirklichen hilft, den bindet sie freilich in anderer Weise, als er meinte und wünschte, als er von ihr frei zu werden suchte, – bindet ihn, indem sie seine widersittlichen Pläne und Zwecke vereitelt, und ihn ohnmächtig auf sein nacktes Selbst zurückwirft.
Ist aber der Mensch auch wieder durch sein Gewissen gebunden und gerade erst recht gebunden, und selbst der Gewissenlose nur scheinbar frei von den Mächten der sittlichen Weltordnung, so kann es in der That auf den ersten Blick seltsam erscheinen, dass gerade vom Standpunkte des Gewissens und seiner inneren Zeugnisse und Erfahrungen aus am Entschiedensten die sittliche Freiheit des Menschen behauptet und vertheidigt worden ist und wird.
Was ist aber dann allein noch unter der wahren sittlichen Freiheit zu verstehen? Es kommt hierbei nicht etwa mehr bloss ein formales, sondern materiales Moment in Frage.
Wir haben gesehen, der Mensch vermag sich kraft seiner individuellen Begabung und Befähigung an der Erhaltung, Befestigung und immer vollkommeneren Verwirklichung der sittlichen Weltordnung in Natur und Menschheit selbstbestimmend zu betheiligen, ja er fühlt sich dazu berufen und verpflichtet nach dem Zeugnisse seines Gewissens.
Nun folgt aber aus jener Begabung und Befähigung und dieser Berufung und Verpflichtung im Gewissen keineswegs eine unwiderstehliche Nothwendigkeit. Vielmehr vermag der Mensch – kraft der in der Macht seiner Selbstbestimmung als Moment mitgesetzten Willkür – der subjectiven Stimme seines Gewissens, und mithin auch den objectiven Gesetzen und Forderungen der sittlichen Weltordnung zu widerstreben. Auch innerhalb der sittlichen Weltordnung ist für die Willkür, als negative Voraussetzung der wahren Freiheit, ein weiter Spielraum vorhanden. Der Mensch ist nie gezwungen, ein rechtes, gewissenhaftes, tüchtiges Organ der sittlichen Weltordnung zu sein, und seine Gaben mit seinem Willen in den Dienst derselben stellen zu müssen. Er kann vielmehr willkürlich und ausschliessend sein eigenes natürliches Selbst wider sein Gewissen zum Zwecke und Ziele seiner Selbstbestimmung setzen. Wer so handelt, d. i. bloss willkürlich sich selbst bestimmt, in der sittlichen Weltordnung und ihren Gesetzen, Zwecken und Aufgaben nicht die Schranken und Ziele seiner Selbstbestimmung anerkennt und sich selber setzt, der ist nicht frei, sondern unfrei. – Mit anderen Worten also: der Mensch muss, um wahrhaft sittlich frei zu sein und zu handeln, seine blosse Willkür bei jeder Handlung aufgeben, muss sich selbst verleugnen, sich selbst beschränken, muss seine natürlichen Triebe, wie seine individuellen Gaben überall und immerdar durch sein Gewissen beherrschen lassen. Nur wer wirklich gewissenhaft denkt, gesinnt ist und handelt, der ist nicht nur formell, sondern auch materiell frei; damit aber auch nicht nur wirklich frei, sondern auch zugleich weise und gut.
Es hat sich uns demnach ergeben, dass die sittliche Freiheit des Menschen zwei Momente in sich hat; zunächst ein formales, kraft dessen sie als subjective Wahlfreiheit oder als Selbstbestimmung zu Einem oder dem Anderen erscheint; – und das ist das formale Wahrheitselement im Indeterminismus. Aber diese Wahlfreiheit ist so weit entfernt davon, schon die wahre sittliche Freiheit zu sein, dass sie nothwendig der Ergänzung durch das materiale Moment bedarf und ohne dasselbe geradezu in das Gegentheil der wahren sittlichen Freiheit umschlägt. Ja, die blosse Willkür, durch welche sich das Selbst statt an die Gesetze, Zwecke und Güter der sittlichen Weltordnung, vielmehr an seine eigenen, in der Willkür sich entfesselnden, selbstsüchtigen Lüste, Begierden und Leidenschaften dahingiebt, und die Natur- und Menschenwelt nur zu Mitteln ihrer Befriedigung herabsetzt, ist der fruchtbare Mutterschooss alles sittlich Bösen. Und mehr noch, diese blosse, blinde, selbstsüchtige Willkür hört damit sogar je mehr und mehr auf, auch nur noch formale Willkür zu bleiben, denn sie unterwirft sich in wachsendem Maasse der Nothwendigkeit des von ihr selbst entfesselten Bösen, indem sie im Selbstbewusstsein eine Sinnes- und Willensrichtung einschlägt und begründet, in welcher es, wenn sie einmal eingeschlagen ist, dem Menschen gar nicht mehr in jedem Augenblicke möglich ist, davon wieder abzulassen, also sich zu Einem oder zu dem Anderen selbst zu bestimmen, als vielmehr darin zu verbleiben. Das Alles weiss schon mit Sprüchwort und dessen Mahnung, wie: »Wer A gesagt, muss auch B sagen! Gieb dem Bösen einen Finger, so nimmt er die ganze Hand« etc., der Volksmund auf der Strasse. Jeder Blick auf das, was wir als Hang, Sucht oder Leidenschaft in irgend einer Richtung bezeichnen, muss uns beweisen, dass, wo die Willkür, anstatt zu einem blossen, stets aufgehobenen, d. i. untergeordneten Momente der gewissenhaft vollzogenen sittlichen Willensentscheidung gesetzt zu werden, vielmehr zur maassgebenden Ursache der Selbstbestimmung gemacht wird, die reale Freiheit mit der Knechtschaft des Willens vertauscht wird.
Das eben ist der Fluch der bösen That,
Dass sie fortzeugend Böses muss gebären.
So gilt denn das alte Sprüchwort: Des Menschen Wille ist sein Himmelreich! in Wahrheit nur von dem wirklich sittlich freien Willen; von der Willkür aber liesse sich das Wort so umbilden: Des Menschen Willkür ist seine Hölle!
Und nun nur noch die kurze Frage: Können wir erfahrungsgemäss allen oder doch den meisten Menschen den Besitz und die Bethätigung der realen sittlichen Freiheit zusprechen? Leider nein! Denn die wirkliche sittliche Freiheit ist unter Hoch und Gering noch nie Sache der Vielen gewesen. Mit Recht sagt Schiller:
– – Es können sich
Nur Wenige regieren, den Verstand
Verständig brauchen. Wohl dem Ganzen, findet
Sich einmal einer, der ein Mittelpunkt
Für viele Tausend wird, – ein Halt sich hinstellt
Wie eine feste Säule, an die man sich
Mit Lust mag schliessen und mit Zuversicht!«
Ja, die Meisten bleiben in der blinden, selbstsüchtigen Willkür stecken, schlagen selber ihren Willen in die Fesseln derselben und dünken sich gleichwohl um so freier zu sein, je mehr sie sich selbst zu Sclaven dieser ihrer Willkür und der in ihr entfesselten, selbstsüchtigen Triebe, Begierden und Leidenschaften machen. Allerdings sind und bleiben auch sie dabei in einem gewissen Sinne frei, sofern sie nämlich durch ihre Willkür immer mehr nicht in der Sittlichkeit, sondern von derselben frei werden. Weil sie aber die wirkliche sittliche Freiheit in sich nicht zu erringen gesucht haben und das Gefühl ihres Nichtbesitzes sie doch immer wieder auf unwillkürliche und unwillkommene Weise im Gewissen überschleicht und ergreift, so träumen sie von einem Eldorado der Freiheit und des Glückes ausser sich, das durch die lediglich nach aussen gerichtete menschliche Willkür gewonnen und in Besitz genommen werden könnte. Zu allen Zeiten ist deshalb der Ruf nach Freiheit am lautesten und ungestümsten aus dem Munde Derer erschollen, die am wenigsten gewusst und innerlich erfahren haben, was die wahre und wirkliche sittliche Freiheit ist und deren Handeln den Forderungen und Aufgaben derselben am Wenigsten entsprochen hat.
Wollte ich nun noch die letzten Ursachen der rechten und verkehrten sittlichen Freiheit aufzudecken suchen, so würde ich mich in das religiöse Gebiet der christlichen Wahrheit zu vertiefen haben und das grosse Thema zu behandeln haben: Wenn der Sohn euch frei macht, so seid ihr ganz frei. – Das ist indessen hier meine Aufgabe nicht; ebenso wenig wie die specielle Anwendung unseres Resultates auf das Gebiet des politischen Lebens. Nur bemerken will ich, dass auch wahre politische Freiheit, die übrigens nicht bloss bei einer, sondern bei mannigfachen Staatsformen bestehen kann, nur in dem Maasse der in einem Volke vorhandenen wirklichen sittlichen Freiheit gewonnen werden, erhalten bleiben und wachsen kann. Denn auf jedem Lebensgebiete ist nicht die Maasslosigkeit und Unbeschränktheit der Willkür, sondern die gewissenhaft bemessene sittliche Selbstbeschränkung des Handelns im Dienste der sittlichen Weltordnung die Wurzel alles Rechten, Guten und Gedeihlichen.
Lassen Sie mich schliessend dies noch einmal zusammenfassen in anderer Form mit den schönen köstlichen Worten unseres Schiller:
»Lass uns die alten engen Ordnungen
Gering nicht achten! Köstlich unschätzbare
Gewichte sind's, die der bedrängte Mensch
An seiner Dränger raschen Willen band.
Denn immer war die Willkür fürchterlich –
Der Weg der Ordnung, ging' er auch durch Krümmen,
Es ist kein Umweg. Grad' aus geht des Blitzes,
Geht des Kanonenballes fürchterlicher Pfad, –
Schnell auf dem nächsten Wege langt er an,
Macht sich zermalmend Platz, um zu zermalmen.
Die Strasse aber, die der Mensch befährt,
Worauf der Segen wandelt, diese folgt
Der Flüsse Lauf, der Thäler freien Krümmen,
Umgeht das Weizenfeld, den Rebenhügel,
Des Eigenthums gemess'ne Grenze ehrend –
So führt sie
später, sicher doch zum
Ziel.«
Br. R. Diestelmann.