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Die Weltkraft im Menschen.

Wir empfinden die Aussenwelt und ihre Zustände nach Sein und Werden durch die Vermittelung der Weltkraft als Resonanz oder Mitbewegung in unseren Organen. Empfinden ist also nichts weiter als die Thatsache des Erregtseins unseres Organismus durch einen Kraftanstoss von aussen. Wahrnehmungsvorstellungen sind allerdings wohl zunächst eine Folge mechanischer Einwirkungen der Aussenwelt durch Vermittelung von Zwischenstoffen. Wir empfinden z. B. die Farbenunterschiede, weil unser dafür empfängliches Organ je nach der betreffenden Farbe in entsprechende Schwingungen versetzt wird. Ebenso verhält es sich bei Tonschwingungen.

Wir können aber auch dieselben Empfindungen ohne Anregung von aussen haben, wenn nur unser Organismus zu derselben Thätigkeit angeregt wird, gleichviel in welcher Weise, wie es z. B. beim Ohrenklingen, bei den Vorgängen im Traume, in der Fieberhitze und dergleichen stattfindet. Dieser Schein für das wirkliche Sein, oder diese subjectiven Empfindungen und Vorstellungen haben schon zu den unheilvollsten Verirrungen Veranlassung gegeben, indem sie die Folie für angebliche Wunder bildeten.

Der reine Monismus, welcher das Geistesleben als eine Function des Gehirnes ansieht, ist ein krasser Materialismus, denn der Gedanke ist doch nicht Materielles, die Seele nicht eine Gruppe von Erscheinungen, welche durch die organischen Stoffe erzeugt werden. Dennoch gehen geistige Erscheinungen parallel mit den körperlichen, und es findet zwischen Geist und Materie kein absoluter Gegensatz, sondern eine einheitliche Wechselwirkung statt, weil körperliche Zustände die Seele entschieden beeinflussen und die seelischen Zustände beim Denken, Wollen u. s. w. mit Atombewegungen verbunden sind; trotzdem sind wir nicht berechtigt zu sagen, dass die geistigen Vorgänge ein mechanisches Product nur der Stoffatome sind. Es liegt eben dazwischen ein gewisses geheimnissvolles Drittes, ein Bindeglied, die Weltkraft.

Während der normalen Lebensthätigkeit scheint zwar eine unzertrennliche Einheit zwischen Kraft und Stoff zu bestehen; aber schon bevor der Tod, also eine Trennung von Leib und Seele, Geist und Körperstoffe eintritt, kann bei lebhaft fortdauernder vegetabilischer Thätigkeit eine vollständige Störung oder ein Stillstand der geistigen Verrichtungen vorkommen. Es ist also in unserem Organismus ausser den gewöhnlich, aber nicht automatisch functionirenden Stoffen eine Kraft in anderer Weise thätig, welche das Fundament des Geistes ist.

Die Lebenskraft besteht aus einem gesetzmässigen Zusammenwirken der Weltkraft und der Körperstoffatome.

Die Seele hat also zu den Körperstoffen ganz bestimmte Beziehungen, ist aber ihrem Wesen nach von ihnen verschieden. Sie ist nichts Körperliches, muss aber doch etwas Substanzielles sein, weil eine stofflose Seele auch auf den bestorganisirten Körper eine Wirkung zu äussern absolut unfähig wäre. Aus Nichts, sowie durch Nichts, wird nichts. Unsere Seele bewegt sich in uns und mit uns, sie ist nicht ein für sich bestehendes Wesen und hat auch nicht ihren Sitz an einem bestimmten Orte im Organismus, denn sie ist ein Collectivbegriff.

Im wachen Zustande werden die Kräfte unseres Körpers nach und nach vermindert, mögen wir uns körperlich oder geistig beschäftigen, so dass Ruhe eintreten muss. Die Sinnesorgane als die Eingangspforten für die Eindrücke der Aussenwelt versagen den Dienst, das Selbstbewusstsein hört auf, und es bleibt im Körper nur noch eine vegetative Thätigkeit zurück, wir schlafen.

Die Weltkraft aber hört deshalb nicht auf im Körper zu walten; da aber während des Schlafes die Eindrücke der Aussenwelt nicht aufgenommen werden können, so kann der Geist nur von Traumbildern bewegt werden, welche eine objective Wirklichkeit nicht haben.

In der Seele sind viele Vorstellungen vorhanden; jede einzelne wird aber im wachen Zustande entweder durch einen wirklichen Gegenstand oder durch einen bestimmten Gedankengang klar hervorgerufen. Im Schlafe aber giebt es für die Erzeugung einer solchen Vorstellung keine bestimmte Veranlassung; die Seele schweift willenlos umher, und die unbewusste Seite des Seelenlebens macht im Schlafe sich geltend. Eine im wachen Zustande ruhende Vorstellung wird im Schlafe zu einer wirklichen, ohne dass wir es bewusst wollten; wir sehen einen Gegenstand, ohne dass er da ist, ich höre, schmecke, rieche, fühle, ohne dass dazu eine äussere Anregung vorhanden ist, ich träume. Die Seele ist thätig ohne reales Object und ohne unseren Willen; obwohl äussere Reize unter Umständen die Veranlassung sein können.

Der Zusammenhang zwischen der Körperorganisation und dem Seelenleben ist folgender: Gehirn, Rückenmark und zweierlei Nerven bilden das körperliche des Seelenapparates.

Das Gehirn ist vergleichbar mit einem Saiteninstrumente, dessen Verfertiger und Spieler die Weltkraft ist.

Ein guter Violinspieler kann selbst ein ziemlich schlechtes Instrument bis zu einem gewissen Grade verbessern, ein schlechter Spieler verdirbt selbst ein gutes Instrument. Die Weltkraft ist an sich ein sehr guter Spieler, wenn ihm auf seinem Instrumente, dem Gehirn, freie Hand gelassen wird.

Will man auf einem Instrumente einen bestimmten Ton vernehmen, so versetzt man die betreffende Saite in Schwingungen. So auch erregt die Aussenwelt durch ihr Sein und ihren Zustand in unseren Empfindungsnerven Bewegungszustände, welche sich in das Gehirn fortpflanzen und dort auf diejenigen Gehirntheile übertragen werden, deren Atome so gelagert sind, dass sie zur Aufnahme der ankommenden Schwingungen das richtige Spannverhältniss haben. Wie nun bei dem Tone aus einem Saiteninstrumente die umgebende Luft es ist, welche die Auslösung der Schwingungen der Saite bewirkt, so ist es hier die die Gehirnatome umgebende Weltkraft.

Vergessen wir aber dabei nicht, dass ungeachtet des unablässig auch im Gehirne vorhandenen Stoffwechsels die Atome seiner verschiedenen Gruppen doch in einem gewissen bleibenden stabilen Gleichgewichte sich erhalten, welches ihm von der Weltkraft bei seiner Organisation eingeprägt worden ist. Wird dieses Gleichgewicht gestört, z. B. durch Gehirnerschütterungen, so ist mit der Verschiebung des normalen Zustandes auch der Verstand des Menschen verschoben.

Durch wiederholtes Hören empfängt das Gehirn bleibende Eindrücke, die oft nicht einmal zum klaren Bewusstsein kommen und dann als rein mechanische Reflexe erscheinen. Ein Irrsinniger z. B. wiederholt oft stundenlang denselben Satz, ohne sich dessen bewusst zu sein. Wenn Menschen für etwas kein Verständniss haben, so fehlt ihnen im Centralorgane die Resonanz dafür. Solche Menschen sind unfähig, das Dargebotene aufzunehmen und wiederzugeben. Es ist ausserordentlich wichtig bei der Entwickelung des Gehirns schon von Kindheit an diejenigen Einflüsse geltend zu machen, welche es verhindern, dass es eine einseitige, falsche Ausbildung erhält.

Beim »Willen« haben wir zwei verschiedene Gesichtspunkte zu unterscheiden. Der absolute Wille ist der logisch und gesetzmässig wirkende Gestaltungstrieb der Weltkraft, aus welchem sich die Erscheinungen des sog. Instinktes, die Gravitation u. s. w. ergeben, und wirkt zeitlos. In dem zweiten Gesichtspunkte liegt der Menschenwille. Darunter verstehen wir das Bestreben, die Vorstellungen durch eine That zur Wirklichkeit zu machen.

Ohne einen kraftbegabten Stoff giebt es im Bewusstsein weder einen Vorstellungsinhalt, noch ein Wollen, noch eine That. Das bewusste Denken kann also nicht zeitlos sein. Die Zeit der Uebertragung von Schall- und Lichteindrücken durch die Sinnesorgane zum Gehirn, zur Umsetzung daselbst in Empfindungen und Vorstellungen und endlich zur Rückwirkung auf die Bewegungsnerven ist bei allen Menschen verschieden, gleich wie die Zeit für das Telegraphiren durch Drähte aus verschiedenen Metallen, selbst wenn sie gleich lang und gleich dick sind, auch nicht dieselbe ist. Hieraus ergiebt sich, dass nicht nur die Thätigkeit der Sinnenorgane, sondern auch die der Seele unter den mechanischen Gesetzen der Körperstoffe stehen. Die verschiedenen Denkoperationen sind ebenfalls nicht zeitlos, sondern beanspruchen je nach der Vollkommenheit der Gehirnorganisation kürzere oder längere Zeit. Das Verstehen der Geistesthätigkeit nur aus körperfähigen Stoffen wird aber niemals zu einem befriedigenden Ergebnisse gelangen, wenn wir die, die Stoffatome umgebende Weltkraft dabei vernachlässigen. Die Denkgesetze sind der logische Ausdruck jenes ungewordenen Wesens, dessen Wirkungen im ganzen Weltprocesse, also auch in der von ihm organisirten Gehirnsphäre, der Ausdruck ewiger Vernunftgesetze sind.

Die eigentliche Wurzel des ganzen Seelenlebens liegt in der Empfindung der Aussenwelt. Die bewussten Empfindungen geben dann die Veranlassung, unsere Organe ganz besonders auf das zu richten, was die Empfindung erzeugte, werden also die Veranlassung zu einer Steigerung der Aufmerksamkeit auf die Gegenstände und Vorgänge ausser uns, so dass wir durch fortgesetzte Uebung im Anschauen, Wahrnehmen, und durch allseitiges Sammeln von Erfahrungen zu Vorstellungen von dem Empfundenen gelangen.

Je mehr die Vorstellungen durch unmittelbare Sinneneindrücke befestigt worden sind, desto lebhafter ist unter Mitwirkung des Bewusstseins die Erinnerung an das Vorgestellte.

Durch Wiederholung bestimmter und Vergleichung verschiedener Eindrücke, welche sich auf Eigenschaften und Vorstellungen beziehen und abstracte Vorstellungen erzeugen, gelangen wir zu Begriffen. Dieselben sind entweder concret oder abstract.

Begriffe sind erst dann umfassend, wenn die Welt und ihre Zustände nach allen Richtungen so vollständig aufgefasst werden, dass jede Frage darüber unnütz ist.

Klare und erschöpfend vollständige Begriffe sind der Ausgangspunkt aller Erkenntniss. Weil aber den abstracten Begriffen die durch die Sinne vermittelten Wahrnehmungen unzugänglich sind, so ist es oft schwierig, über sie zur vollen Klarheit zu gelangen. Auf diese Weise entwickelt sich einerseits das Wissen von der objectiven Welt, andererseits führt uns dieses zurück auf uns selbst, wir erlangen ein Wissen von uns selbst, ein Selbstbewusstsein. Wenn wir Selbstbewusstsein besitzen, so sind wir nicht nur der Empfindungen überhaupt bewusst, sondern wir erkennen sie als die unsrigen.

Ist nun diese Steigerung im Organismus eingetreten, so entwickelt sich mehr und mehr das Verstehen des Zusammenhanges zwischen Ursache und Wirkung, sowohl in den Vorgängen der sichtbaren Welt, sowie auch bei der Seelenthätigkeit.

Wenn wir vermittelst unserer Sinne, die Begriffe und Gegenstände nach ihrem Grade der Uebereinstimmung oder Verschiedenheit vergleichen, so bilden sich Urtheile (z. B. ein Baum ist höher wie ein anderer).

Werden dann mehrere richtige Urtheile in Verbindung gesetzt, so ergeben sich Schlüsse. Ich weiss z. B., dass man sich verbrennt, wenn man eine glühende Kohle in die Hand nimmt, ich habe dies also zu unterlassen. Wenn wir urtheilen, so denken wir noch nicht, sondern erst wenn wir Schlüsse machen. Wenn nun beim Denken richtige und klare Begriffe zu Schlüssen richtig verbunden werden, so denkt man logisch. Denkt man Schritt für Schritt logisch richtig, so zeigt man Verstand.

Wenn die Ausgangspunkte des Denkens, durch die Thatsachen in der Natur oder mathematisch absolute Wahrheiten sind, so muss das Resultat des logischen Denkens ein Ausfluss der Vernunft und ebenfalls wahr sein. Wenn das Denken dagegen von falschen Grundbegriffen ausgeht, so ist das Endergebniss, selbst des richtigen Denkens, unwahr und das ganze Denken ein Zeichen der Unvernunft.

Verstand und Vernunft gehen daher nicht immer Hand in Hand.

Manche Weltbeglücker sind leider oft genug recht verstandbegabt, dabei aber in höchstem Grade unvernünftig, denn der Ausgangspunkt ihres Denkens ist entweder Lüge oder Selbsttäuschung und somit auch das Endergebniss.

Nur durch vernunftgemässes Denken und Handeln nähert der Mensch sich den höheren Zielen seines Daseins.

Der Verstand allein ist unzureichend, um uns eine beseeligende Befriedigung zu verschaffen, denn er führt uns zuweilen von falschen Voraussetzungen, gegen die er uns nicht sicher stellen kann, selbst durch völlig folgerichtiges Denken in die finstersten Abgründe.

Es ist also vielmehr die Vernunft, welche uns über die Uebel hinweg in das Reich des Seelenfriedens und der Glückseligkeit geleitet, indem sie die Weltgesetze richtig erkennt, und so durch wahre Denkergebnisse zur wahren Erkenntniss führt.

Wer das völlig klare Bewusstsein von der inneren Nothwendigkeit der die Welt beherrschenden Vernunftgesetze in sich trägt, kann nicht unvernünftig sein. Je mehr dieses Bewusstsein wächst, desto freier ist der Mensch, desto mehr hat er sich selbst erkannt. Der wahre Freiheitssinn aber verlangt, dass die göttliche Vernunft überall zur Geltung komme.

Die Vernunft steht also über dem Verstände.

Vernünftiges Denken führt uns vom Bewusstsein zum Urbewusstsein, von der Menschenseele zur Weltseele.

Wer nun bewirkt in unserer Gehirnsphäre das logische Denken?

Es ist die Weltkraft, der grosse Baumeister, welcher unter Mitwirkung der uns umgebenden Aussenwelt auf die Gehirnatome wirkt, und durch ihre Wechselwirkung mit den letzteren den Körper beseelt, und zum Denken befähigt.

Der Menschengeist muss mit voller selbstbewusster Kraft sich anstrengen, um ohne Verfolgung selbstsüchtiger Zwecke in sittlicher und ästhetischer Richtung ein Ziel zu erreichen, was zwar nur in der Vorstellung vorhanden ist, aber an sich nicht unerreichbar sein darf. Der praktische Idealismus muss die Menschheit mehr und mehr durchdringen, wenn ein Culturfortschritt eintreten soll. Hierbei darf aber nicht der einzelne Mensch, auch nicht ein einzelner Staat sich Selbstzweck sein, sondern es muss Jedem die einheitliche Menschheit als Ziel vorschweben.

Br. G. Drenckhahn.


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