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Zehntes Kapitel

Die Hörer Platos mußten allmorgendlich dem Gottesdienst beiwohnen. Präsident S. Alcott Wood gab mit ernster Miene zwei Hymnen an und machte zwischendurch in der Manier eines bekümmerten Ratgebers, die verriet, daß er das Gefühl hatte, es müsse augenblicklich etwas getan werden, dem Allmächtigen Mitteilungen von den wichtigeren Ereignissen der letzten vierundzwanzig Stunden.

Präsident Wood war eine ehrenhafte, ängstliche kleine Seele, so etwas Ähnliches wie ein schmächtiger, gelehrter schottischer Weißwarenhändler. Er liebte es, den bekümmerten Ratgeber zu spielen, des Nachts bis zwölf Uhr in seiner ungelüfteten Bibliothek zu sitzen und sich mit der Aufgabe abzuquälen, wie er für völlig klare Bibelstellen neue falsche Auslegungen finden könnte. Sein Körper setzte sich aus lauter Kreisen zusammen – ein runder Kopf mit schlichtem grauen Haar, das er in die Stirn gekämmt trug; ein rundes Gesicht mit runden roten Bäckchen; ein lächerlich wuchtiger grauer Schnurrbart, der über seinem kindlichen Mund nahezu einen Kreis beschrieb; ein runder Knopf von Nase; runde, dicke Schultern; ein rundes Bäuchlein in einem grauen Anzug; runde Klöße von Füßen in Schuhen, die niemals ganz frisch geputzt und niemals ganz bestaubt waren. Er war ein geplagter, ehrsamer, eifriger, unwissender, humor- und witzloser, aufrichtig gewissenhafter Däumling. Seine Gebete waren lang und innig.

Nach der zweiten Hymne pflegte er die bevorstehenden gesellschaftlichen Ereignisse bekannt zu geben – Gebetsversammlungen der einzelnen Jahrgänge und von Missionaren gehaltene Lichtbildvorträge. Während des Gebets und der Hymnen bereitete sich die Mehrzahl der Studenten mit Hilfe von Zetteln, die in den Gesangbüchern lagen, auf die ersten Unterrichtstunden vor, oder sie lasen klein zusammengefaltete Exemplare des Journal und der Tribune aus Minneapolis. Sobald aber die Verlautbarungen begannen, setzte sich das ganze Plato College zurecht, weil man immer damit rechnen konnte, daß Prexy Wood mit pedantischem Sarkasmus über studentische Vergehen, das Kartenspiel, ausgeschnittene Kleider und die unverzeihliche Sünde des Rauchens sprechen würde.

Als Carl am Morgen nach seiner Lauschertätigkeit vor dem Konferenzzimmer zu der kahlen, unfreundlichen Kapelle ging, betrachtete er unruhig die kahlen Felder; er schnupperte den Duft brennenden Laubes ein und beobachtete eine Schar von Amseln, die über den stürmischen Himmel strichen. Er setzte sich auf die Kante seiner Bank, legte ein Bein über das andere und wackelte nervös damit.

Während des Gebets und der Hymnen lief durch die Studentenschaft das plötzlich entstandene Gerücht, bei Präsident Woods Verlautbarungen werde sich etwas Sensationelles ereignen. Als der Präsident die Lieder angab, sah er die Hörer nicht an, sondern glättete mit trauriger Gebärde das saubere grüne Tuch auf dem Pult. Sein schüchternes, frommes Gebet bat um Führung zum Verständnis des göttlichen Willens.

Carl empfand Mitleid mit ihm. »Der arme Kerl ist ganz durcheinander. Ist ja kein Wunder! Ich war es auch, wenn ich versuchen wollte, einem Fünfundzwanzigzentimeter-Geschütz wie Frazer die Mündung zuzustopfen … Er strengt sich beim Singen an … Jetzt, Verlautbarungen … Auf was wartet er denn? Herr Jesus! wenn er nur schon damit anfangen würde, damit das Ganze vorüber ist … Ob er was über gestern abend sagt – über mich –«

Präsident Wood stand schweigend da. Sein Blick wanderte von einer Reihe zur anderen. Die Studenten rückten unbehaglich hin und her. Dann begann er mit seiner trockenen Stimme in geziertem Ton zu sprechen:

»Meine Freunde, es ist mir heute auferlegt, eine unerfreuliche Pflicht zu erfüllen, aber ich habe im Gebet nach Führung gesucht und hoffe –«

Carl ächzte: »Er weiß, daß ich es bin! Er wird mich vornehmen und öffentlich rausschmeißen! … Halt dich fest, Ericson; verlier nicht die Nerven; denk an den guten alten Türken.« Carl war kein Held. Er hatte Angst. Im nächsten Augenblick würden aller Augen ausnahmslos auf ihn gerichtet sein. Er haßte diesen Raum voll neugieriger junger Leute, dessen schmutzfarbene Wände mit Bibelsprüchen geschmückt waren. In der letzten Reihe sah er den Platz, den (selten genug) Professor Frazer einzunehmen pflegte. Im Geiste sah er ihn dort sitzen, bleich und streng. »Ich bin aber froh, daß ich gelauscht hab. Vielleicht hätt ich Frazer vor etwas Bestimmten warnen können, wenn ich nur ordentlich hätte zuhören können.«

Präsident Wood deklamierte weiter:

»– und so hoffe ich, meine Freunde, daß wir, den Idealen der Baptistenkirche treu ergeben, auch in unseren kleinsten täglichen Obliegenheiten immerzu vorwärts streben werden, per aspera ad astra, nicht in einem Geist materialistischer Gesinnung und moderner Rastlosigkeit, sondern im Geiste treuer Pflichterfüllung.

Ich brauche Ihnen nicht erst zu sagen, daß zahlreiche Gerüchte über sogenannte ›Unstimmigkeiten im Lehrkörper‹ umhergegangen sind. Aber ich muß Sie auf das ernsthafteste beschwören, leihen Sie mir Ihre angespannteste Aufmerksamkeit, wenn ich Ihnen versichere, daß es keine Unstimmigkeiten im Lehrkörper gegeben hat. Wir haben allerdings konstatiert, daß gewisse Lehren nicht mit den Idealen des Plato College in Übereinstimmung stehen. Das Wort Gottes, wie es in der Bibel geschrieben steht, war gut genug für unsere Väter, die gekämpft haben, um unser herrliches Land zu verteidigen, und die Bibel ist auch noch gut genug für uns, denke ich – und in der Bibel kann ich von Lehren wie Sozialismus und Anarchismus und Evolution nichts finden. Die meisten von Ihnen können sich wohl dazu beglückwünschen, keine Zeit an diese Theorie, die sich ›Evolutionslehre‹ nennt, vergeudet zu haben. Wenn Sie nichts davon wissen, haben Sie nichts verloren. So absurd es auch klingen mag, die Evolutionslehre behauptet, daß wir alle von Affen abstammen! Und das, obwohl die Bibel uns lehrt, daß wir Gottes Kinder sind. Wenn es Ihnen lieber ist, nicht Gottes Kinder, sondern die Abkömmlinge von Affen zu sein, nun, dann kann ich nur sagen, mir ist es nicht lieber! (Lachen.)

Aber der alte Satan ist immer eifrig dabei, auch in den Colleges ein- und auszugehen, Und in den zügellosen, allzu großen weltlichen Schulen des Ostens lehrt man diese Doktrin tatsächlich seit vielen Jahren. Ja, ich bin dahin berichtet, daß man sogar an der Universität von Chicago, die doch eine Baptistenanstalt ist, eben dieses törichte Evolutionsgefasel lehrt, und so kann ich niemandem von Ihnen den Rat geben, er möge sich dort für seine Promotion vorbereiten. Aber diese Herren Gelehrten, die sich klüger dünken als die Bibel, fallen früher oder später in die Gruben, die sie selbst gegraben haben, und sie waren in der Entdeckung neuer Tatsachen über die Evolutionslehre so gescheut, daß sie sich in Widerspruch zu nahezu allem gesetzt haben, was Darwin, der der Hohepriester dieses verdammenswerten Kultes war, gelehrt hat, und haben aus der ganzen Theorie ein Durcheinander von Widersprüchen gemacht, von dem sie sich sogar selbst mit Abscheu abwenden. Ja, ich bin dahin berichtet, daß Darwins eigener Sohn vor die Öffentlichkeit getreten ist und zugegeben hat, daß an dieser ganzen Evolutionslehre nichts ist. Nun, das hätten wir ihm und auch seinem Vater schon längst sagen können; die Leute hätten sich ihre ganze Zeit sparen können, denn nun kommen sie wieder alle brav zur Bibel zurück. Vor allem hätten wir ihnen sagen können, daß das Wort Gottes die Abstammung des Menschen ausgezeichnet erklärt, und daß jedermann, der zu entdecken sucht, ob wir von Affen abstammen, ungefähr eben so viel Verstand hat wie der Mann, der aus einem Schweinsohr eine Seidenbörse machen wollte.«

Carl setzte sich beruhigt auf seinem Platz zurecht.

Präsident Wood war in Fahrt. »Dieses ganze Evolutionsgefasel wirkt selbstverständlich lächerlich, sobald ein Geist, der durch eifrige klassische Studien im klaren Denken geschult ist, ihm seine pseudowissenschaftlichen Lumpen vom Leib reißt und es ganz offen dem Schützenfeuer des gesunden Menschenverstandes und der gesunden Religion aussetzt. Und hiermit komme ich zum Hauptpunkt meiner Erörterungen:

Auf eben dieser Evolutionslehre, diesem bombastischen Schwulst vermessener Gelehrter, beruhen alle unchristlichen und unamerikanischen Doktrinen wie der Sozialismus, der Anarchismus und die Frevel des Feminismus, mit allen ihren Anhängern, die so viel von sich halten, daß sie durchaus willens sind, die großartigen alten Einrichtungen, die unsere Vorväter auf die Verfassung gegründet haben, über den Haufen zu werfen; und statt dessen wollen sie – oho, sie sind durchaus bereit, uns zu sagen, wie die Regierungsgeschäfte geleitet werden sollen. Sie wollen einen Staat errichten, in welchem alle unter uns, die ehrlich genug sind, ihr Tagewerk zu tun, die faulen Schurken unterstützen sollen, die diese Ehrlichkeit nicht haben. Aber sie sind sehr schlaue Leute. Sie können uns Sand in die Augen streuen und uns einreden – wenn wir es uns einreden lassen – daß die allgemeine Bereitschaft, die Arbeit dem andern zu überlassen, während man selbst Blumenstücke malt und Romane schreibt, welche die Greuel Babylons schildern, ein überlegenes Menschengeschlecht hervorbringen soll! Nun, wenn Sie diese Leute für klug halten sollten, diesen Shaw, diesen Wells, und alle anderen, die Robert G. Ingersoll nachahmen, dann denken Sie bloß daran, daß der Klügste von allen der Satan ist, und daß er immerzu, seitdem er im Garten des Paradieses Rebellion und Unzufriedenheit gestiftet hat, derart verkommene Lehren unterstützt!

Wenn dies sich so verhält, dann stehen die Lehren Professor Henry Frazers, und mögen sie auch seiner ehrlichen Überzeugung entsprechen, nicht in Übereinstimmung mit der Stellung, die wir hier in Plato einnehmen. Meine Freunde, ich wünsche, daß Sie alle mich verstehen. Gewisse junge Hörer Platos scheinen der Ansicht gewesen zu sein, daß der Lehrkörper Frazer nicht genügend schätzt. Einer von diesen Hörern, ich nehme an, es war einer von ihnen, verstieg sich gestern abend zu dem Versuch, eine Konferenz des Lehrkörpers zu belauschen. Wer das war, das festzustellen, dazu stehen mir jederzeit die Mittel zu Gebote. Aber ich will es gar nicht erfahren, denn ich kann nicht glauben, daß er wußte, wie ehrlos dieses Schleichen war.

Ich wünsche den Unzufriedenen zu versichern, daß ich in meiner Bewunderung für Professor Frazers Beredsamkeit und für sein Wissen in manchen Gegenständen hinter keinem zurückstehe. Es ist aber an dem, daß wir der Meinung sind, seine Lehren lassen sich nicht mit dem vereinen, was in unseren Absichten liegt. Sie mögen um ein gut Teil gerissener und neumodischer sein, und wir mögen ein Haufen alter Stockphilister sein, aber wir sind nicht engherzig, und wir wünschen ihm ebenso viel Recht zu freier Rede zu geben – wir wünschen – es besteht – äh – tatsächlich durchaus nicht das – äh – Bestreben, wem auch immer autoritative Vorschriften zu machen. Aber es ist unsere Pflicht, gegen jede verwerfliche Lehre in aller Aufrichtigkeit Front zu machen.

Das haben wir Professor Frazer sorgfältig auseinandergesetzt, und ich möchte mir erlauben, denjenigen jungen Leuten, die es auf sich genommen haben, seine Anhänger zu spielen, mitzuteilen, daß sie gut daran tun würden, sein Beispiel zu befolgen. Er ist nämlich ebenso wie wir der Ansicht, daß es notwendig ist, in der Tendenz der Lehren am Plato College konsequent zu bleiben. Ja, er hat um seine Amtsenthebung gebeten, und wir haben sie widerstrebend, sehr, sehr widerstrebend gewährt. Diese Amtsenthebung wird am ersten des nächsten Monats in Kraft treten, und bis dahin wird Professor Frazer, weil sich in seiner Familie ein Krankheitsfall ereignet hat, keine Vorlesungen halten. Seine Hörer werden übrigens gebeten, sich zwecks anderer Kurse beim Dekan zu melden … Sie sehen also, wie wenig an diesen verlogenen Gerüchten über ›Unstimmigkeiten im Lehrkörper‹ ist.«

»Lügner, Lügner! Du lieber Gott, jetzt haben sie den guten aufrechten Frazer vernichtet«, dachte Carl unglücklich.

»Und nun, meine Freunde, baue ich darauf, daß Sie wissen, woran Sie sind, und – äh –«

Präsident Wood holte tief Atem, klopfte auf das Pult und sprach mit vor Ärger schriller Stimme weiter:

»Wir haben durchaus das Bestreben, den Studenten Platos völlige Gedanken- und Redefreiheit zuzubilligen, aber ich erkläre Ihnen, wenn es so weit kommt, daß ein kleines Häuflein Hörer dieses ganze große Institut dazu bringen kann, daß es seine wahren Aufgaben aus dem Auge verliert und seine ganze Zeit einem Streit über einen modischen Nonsens wie den Sozialismus widmet, dann ist es an der Zeit, ein energisches Halt zu rufen!

Wenn unter Ihnen Hörer sind, die jetzt noch, nachdem ich erklärt habe, daß Professor Frazer uns aus freien Stücken verläßt, ihren verbohrten Wunsch, Scherereien zu machen, nicht aufgeben, die noch immer der Ansicht sind, daß der Lehrkörper Professor Frazer nicht so behandelt hat, wie es ihm zukommt, oder daß wir den Versuch gemacht haben, ihn zu etwas zu zwingen, dann mögen die Betreffenden hier, augenblicklich, in der Kapelle aufstehen. Das ist mein voller Ernst! Schluß mit diesem feigen Hin und Her und heimlichen Geklatsche. Sie mögen zum Zeichen ihres Protestes zu ihrer vollen Höhe aufstehen, hier – augenblicklich! Oder sitzen bleiben!«

Den Studenten Platos, Carl Ericson nicht ausgenommen, war der Respekt vor der Schulmeisterautorität so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, daß sie voll Unbehagen dasaßen, als wäre Jeder einzelne von ihnen persönlich von dem runden Pedanten angesprochen worden, der da in seinem an den Schultern zerdrückten, vom Kragen abstehenden Röckchen hinter dem Pult stand, sich an den Kanten mit den rundlichen Kinderhänden festhielt und sie in schwächlichem Grimm musterte. Carl warf einen Blick hinter sich auf Frazers Platz; er hoffte, sein Held wäre mit einem Male wunderbarerweise in der Kapelle, um dem Tyrannen entgegenzutreten. Der Stuhl war ebenso leer wie zuvor. Niemand war da, um dagegen zu protestieren, daß Frazer fortgejagt würde, weil er gesagt hatte, was er für wahr und richtig hielt.

Dann entdeckte Carl in seiner Aufregung, daß der Klippschüler Carl Ericson im Begriffe war, aufzustehen und all diese gelehrten Männer zu beunruhigen. Er hatte wieder Angst. Aber er stand auf, sah dem Präsidenten ins Gesicht, kreuzte affektiert die Arme über der Brust, entfaltete sie hastig wieder und steckte die Hände in die Taschen, stellte einen Fuß vor den andern und zog die eine Schulter ein wenig hoch.

Alles in der Kapelle starrte ihn an. Er wagte nirgends hinzublicken, aber er konnte das erstaunte Murmeln ringsum hören. Jetzt, da er stand, machte es ihm sogar Freude, den anderen Trotz zu bieten.

»So, junger Mann, Sie wollen uns also beibringen, wie wir Plato leiten sollen«, zwitscherte der Präsident. »Ich bin überzeugt davon, daß alle sich Ihnen sehr verpflichtet fühlen.«

Carl regte sich nicht. Er wurde gewahr, daß links von ihm Genie Linderbeck sich erhob. Sonst stand niemand, aber als Carl Genies schwache Unterstützung fühlte, empfand er plötzlich den Wunsch, alle dazu zu bewegen, daß sie für Frazer und die Freiheit aufstünden. Er warf einen Blick auf den einzigen Mann, auf dessen Gefolgschaft er sich stets verlassen konnte – auf den Türken. Eine einzige Mundbewegung Carls, ein verstohlenes Zurückwerfen des Kopfes forderte den Türken auf, sich jetzt zu erheben.

Der Türke machte eine Bewegung, setzte langsam, wie unter einem Zwang, zum Aufstehen an. Er sah ziemlich belämmert aus. Er tat die Beine voneinander und legte beide Hände auf die Bank.

»Skandal!« zitterte die Stimme eines Mädchens in der Juniorenabteilung.

»Sitzen bleiben!« zischten zwei oder drei Männerstimmen leise.

Der Türke kreuzte rasch wieder die Beine und ließ sich in seinen Sitz zurücksinken. Carl sah ihn flehend, dann wütend an. Es kam ihm wie eine Entblößung der Seele vor, so in aller Öffentlichkeit um Unterstützung zu bitten, aber er mußte den Türken zum Aufstehen bringen. Der schüttelte beschwörend den Kopf. Carl konnte sich vorstellen, wie der Türke knurrte: »Ach verflucht, ich würd ja gern aufstehen, aber ich will mich nicht zum Affen machen.«

Noch ein Mann stand auf. »Da soll mich doch der Teufel holen!« dachte Carl. Es war der einzige, von dem nicht zu erwarten war, daß er den Ketzer Frazer unterstützte – es war Carls früherer Zimmerkamerad vom Lande, der Einfache Smith. Genie suchte einen Halt an der Bank, aber der Einfache Smith stand noch unerschütterlicher da als Carl selbst.

Keiner vermehrte die Dreizahl. Ununterbrochen war in der Kapelle ein verblüfftes Brummen und ein leise gezischtes »Setzen« zu hören.

Der Präsident blickte sie bekümmert an. Carl fiel ein, daß auch S. Alcott Wood seinen Standpunkt in dieser Frage hatte. Er überlegte sich das, und dabei fühlte er sich ganz losgelöst von seinem unerschütterlich Trotz bietenden Körper. Schließlich verwünschte er den Präsidenten, weil sie durch ihn festgehalten wurden. Am liebsten hätte er sich gesetzt. Er wollte laut etwas rufen.

Präsident Wood sprach: »Sonst noch jemand? Wenn noch einer da ist, möge er aufstehen. Niemand mehr? Also, meine jungen Freunde, jetzt werden Sie wohl mit Ihrem Heroismus, den wir alle sicherlich sehr zu schätzen wissen, zufrieden sein. (Lachen.) Gottesdienst ist zu Ende.«

Augenblicklich wurde Carl von aufgeregten Studenten umringt, die fragten: »Was soll denn das Ganze? Warum sind Sie nicht sitzen geblieben?«

Er schob sich hinaus. Blind saß er in der ersten Unterrichtstunde – Physik – da; alles beobachtete ihn. Der Gedanke daran, daß der Türke ihn im Stich gelassen hatte, nicht aufgestanden war, ließ ihn nicht los. Immer wieder rumorten die gleichen Gedanken in seinem Kopf, wie Mäuse zu mitternächtlicher Stunde in der Mauer.

»Gerade, wie ich ihn gebraucht hab … Nach seinem ganzen Gerede … Und gestern abend waren wir noch so lange auf und haben drüber gesprochen … Und dabei hat er noch so oft gesagt, er wünscht sich nur eine Gelegenheit, um zu zeigen, wie sehr er für Frazer ist … Verdammter Feigling! Ich werd mit Genie zusammenziehen. Weiß Gott – – Ach, ich muß gerecht gegen den Türken sein. Was hätt er denn schon viel erreichen können, wenn er aufgestanden wäre? Natürlich kommt man sich dabei son bißchen blödsinnig vor. Genie hat ausgesehen – – Ja, in drei Teufels Namen, da haben wirs ja. Der armselige kleine, dünne Genie – ja freilich, der hat aufstehen können, er hat keine Angst gehabt, und der Türke, der Riesenlümmel, hat sich nicht getraut … Gerade wie ich ihn gebraucht hab. Wo wir so viel über Frazer geredet haben, so lange aufgeblieben waren – –«

Durch den schwarzen Strudel in seinem Kopf bohrte sich eine gereizte Stimme: »Mr. Ericson, hören Sie nicht? Sind Sie eingeschlafen? Sie sollen ja so ein ausgezeichneter Aufsteher sein! Wie erklären Sie dieses Phänomen?« Der Physik- und Mathematikprofessor – derselbe, der Carl auf dem Sims verfolgt hatte – sprach zu ihm.

Carl murrte verdrossen: »Nicht vorbereitet.« Alles kicherte. Einen Augenblick lang haßte er sie, so wie Parias hassen, dann ging es in seinem Kopf weiter: »Der Türke soll nur warten, bis ich ihn vor mir hab.«


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