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Achtunddreißigstes Kapitel

Nach sechs schönen Monaten ehelichen Lebens – im April oder Mai 1914 – hatte die glückliche Mrs. Carl Ericson nicht viele »moderne Theorien über die Ehe im allgemeinen«, obgleich es ihre Theorie war, daß sie derartige Theorien hätte. Wie die Mehrzahl intelligenter Männer und Frauen war Ruth in ihrer Rebellion gegen die kanonische Ehe des Pantoffelwärmens und Gehorsams begeistert, aber nicht sehr aktiv. Sie hatte sehr festumrissene Ansichten hinsichtlich bestimmter Einzelheiten des Ehelebens, im übrigen aber war sie durchaus nicht allzu konsequent. Vor allem bestand sie mit Entschiedenheit darauf, ihr eigenes Schlafzimmer zu haben – was ihre Mutter einigermaßen unerhört gefunden hätte. Sie wünschte eben das Rasieren und Kämmen im Hintergrund zu halten. Sie wollte nicht, daß aus dem Liebhaber Carl der Gatte Carl würde.

Daß sie alle diese Einzelheiten so hatte, wie es ihren Wünschen entsprach, war zum größten Teil ihrer eigenen Initiative zu verdanken. Carls nicht sehr klare Theorien über den Aufbau der Gesellschaft bezogen sich fast ausschließlich auf die Arbeiterlöhne und die Lächerlichkeit der Klassenunterschiede. Gleichfalls Ruth war es zu verdanken, daß sie eine so angenehme Wohnung hatten. Carl war durch sein langes Leben in Hotels und möblierten Zimmern gleichgültig gegen seine Umgebung geworden. Die Schönheit seiner ersten eigenen Wohnung bedeutete ihm weniger als die Tatsache, daß sie ihr eigenes Badezimmer besaßen.

Sie hatte den Mut gehabt, ihren Freunden vor der Hochzeit zu sagen, was sie haben wollte, und daß auch Schecks nicht unwillkommen wären. Selbst Tante Emma hatte sich dazu bereit erklärt, einen Scheck zu schicken; allerdings machte sie zur Bedingung, daß das Paar, wie es sich gehörte, in der St.-George-Kirche getraut würde. Infolgedessen war in ihrer Wohnung nichts von den typischen scheußlichen Hochzeitsgeschenken zu sehn.

Sie lehrte Carl, mit dem New Yorker Akzent statt mit seinem gewohnten mittelwestlichen zu sprechen. Ob nun ihre Aussprache korrekter war als seine, ist gleichgültig; in New York sprach man eben so, und im Augenblick machte es ihm Spaß. Sie brachte ihm auch etwas von der Theorie der Beleuchtungskünste bei. Carl hatte im Grunde nichts gegen schirmlose elektrische Birnen an der Decke, aber er fand bald Gefallen an den Lampen, die auf Ruths Wunsch in das Wohnzimmer kamen. Als sie vier Kerzen als einzige Beleuchtung auf den Speisetisch brachte, brummte er jedoch laut darüber, daß er nicht sehn könne, was er esse. Sie zog sich in ihr Schlafzimmer zurück, und er ging verdrossen fort, um sich eine Zigarre zu holen. Am Ladentisch bereute er alles Unfreundliche, was er jemals getan hatte oder tun könnte, und ging demütig wieder zum Essen nach Hause, zum Essen bei Kerzenlicht. Und als zwei Wochen vergangen waren, glaubte Carl Ericson, seit jeher das sanfte Kerzenlicht gewohnt zu sein.

Jedoch nicht nur er hatte in dieser Zeit der gegenseitigen Anpassung zu lernen. Carl bestand darauf, daß sie sich bemühte, dahinter zu kommen, was sie beide eigentlich glaubten. Sie gab zu, daß sie nur bei Abendandachten, wenn süße Violinen sangen, in der Kirche fromm sein konnte. Sie glaubte nicht, daß Priester und Geistliche, die, was irdische Dinge betraf, ganz gewöhnliche Menschen waren, ein besonderes Wissen von den himmlischen Geheimnissen hätten. Doch sie hielt sich mit aller Selbstverständlichkeit für eine gute Christin. Sie war selten anderer Meinung als die katholischen Dunleavys; als ihre Tante Emma, die alles, was nicht hochkirchlicher Anglikanismus war, für schlechte Form hielt; als ihr Bruder Mason, der ein etwas unsicherer Unitarier war; oder als Carl, der sich eines stillen Agnostizismus erfreute.

Von diesen Vieren schien Carl das größte Interesse für religiöse Dinge zu haben. Er leistete sich manchmal Monologe folgender Art:

»Ob es nicht reiner Egoismus ist, wenn ein Mensch glaubt, daß die Religion, in der er geboren und aufgewachsen ist, die beste ist? Mein Vaterland, meine Religion, meine Frau, mein Geschäft – wir bilden uns ein, daß alles, was uns gehört, auch heilig sein muß, oder mit andern Worten, daß wir Götter sind. Und das nennen wir dann Glauben und Patriotismus. Hindus und Christen sind gleich bereit, zu beweisen – und es können weise alte Männer mit langem weißen Bart sein – daß ihre Religion offensichtlich die einzige ist. Man muß selbst dahinter kommen, wie man eigentlich denkt, und wenn man dann Sonnenanbeter wird oder fanatischer Baptist, schön, viel Glück. Wenn man aber nicht selbst darüber nachdenkt, dann gesteht man damit ein, daß man sich unter Glück nichts anderes vorstellt wie ein alter Hund, der in der Sonne schläft. Und vielleicht ist der auch wirklich glücklicher als alle Forscher.«

Seine Argumente waren weder originell noch besonders logisch, er hatte sie zum größten Teil von Bone Stillman und Professor Frazer und aus Artikeln in radikalen Zeitschriften, die er hin und wieder gelesen hatte. Für Ruth aber, die in einem Haus mit drei Dienstboten aufgewachsen war, wo Diskussionen über Gott für ebenso taktlos galten wie Diskussionen über Sexualia, waren seine Ansichten erschreckend neu …

Carl und Ruth waren glücklich. Ihr Verkehr bestand aus denjenigen von Ruths Freunden, an denen sie festhielt, weil sie sie um ihrer selbst willen gern hatte, und einer phantastischen Zusammenstellung der verschiedensten Menschen, die Bekannte des Exfliegers waren. Die Ericsons führten das »Bruncheon« ein – ein Breakfast-luncheon – das heißt, es gab bei ihnen an den Sonntagvormittagen von zehn Uhr an Kaffee, Eier und ein Nierengericht, einen Bridgetisch, ein Sofa für Gespräche und einen Lehnstuhl für Sonntagszeitungen. Beim Bruncheon erzählte Walter MacMonnies Florence Crewden, wie er als Teilnehmer der Schließ-Banning-Expedition Südgrönland vom Flugzeug aus erforscht hatte. Beim Bruncheon sprach Bobby Winslow, der jetzt zum engeren Kreis gehörte, mit Carl über die letzten Baseballspiele. Beim Bruncheon musterte Phil Dunleavy zynisch alle Leute, die er nicht kannte, und spielte in einer Ecke mit Ruths Vater Piquet.

Carl und Ruth traten in den Peace Waters Country Club ein und verbrachten im Frühjahr 1914 fast jeden Sonnabendnachmittag mit Tennispartien und Tanzereien. Golf zu spielen weigerte sich Carl jedoch; er wiederholte, so oft die Rede darauf kam, den bereits abgenützten Witz, es sei eine Schande, einen so kleinen Ball zu mißhandeln.

Er schien mit Bureau, Haus und Tennisplatz zufrieden zu sein. Die Pläne für ihre Weekendausflüge, die am Sonnabend um acht Uhr früh vorgeschlagen und um zwei Uhr ausgeführt wurden, stammten immer von Ruth. Er selbst machte selten Vorschläge; ihm genügte seine Freude an Ruth. Wie viele Männer, die »Abenteurer« genannt werden, war er zu allem bereit, aber auch mit allem zufrieden.


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