Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Reise: Long Island-Sund-Dampfer für zwei Wochen hinauf nach Bar Harbor oder noch etwas weiter, Besichtigung der Küsten von Conn., Mass., L. I., Nantucket usw. Nachts immer in ruhigem Hafen vor Anker gehen, Tanzen auf Deck, Kino usw. Boote für an Land Gehen und Fischen & Schwimmen am Morgen. Ließe sich sehr billig machen als Ferienerholung für Angestellte, Stenotypistinnen usw. Täglich Vortrag über Geschichte der Küste. Verpflegung ganz auf See abstellen – »Fangen Sie sich selbst Ihre Makrelen, wir bereiten sie Ihnen zu.« Evt. Lagerfeuer auf großer mit Asbest eingefaßter Eisenplatte auf Deck, an einem Abend bei jeder Reise?
Um einen Gasthof zu schaffen, der nicht einfach gut, sondern nahezu vollendet sein sollte, mußte Myron, wie er erklärte, geschäftig sein wie in den guten alten Zeiten eine Hausfrau beim Frühlings-Großreinemachen. Er mußte während der Bauzeit Experte sein für Bequemlichkeit, Stille, Beleuchtung, Aussicht, für die Einrichtung der Fremdenzimmer und der gemeinsamen Räume, für Lebensmittel, Wäsche, Silber, Porzellan, Glas und für Vergnügungen im Haus und im Freien. In jeder dieser Einzelheiten konnte der Black Thread Inn unter Umständen übertroffen werden; er hatte als schöpferischer Bauherr die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß sein Gasthof in der Kombination und dem Zusammenwirken aller dieser Einzelheiten von keinem anderen übertroffen werden konnte.
Wenn er nicht in Black Thread war, verbrachte er den ganzen Tag damit, sich Rat zu holen bei Innenarchitekten, Verkäufern von Hotelporzellan und -glas, in Büchern über Möbel und, immer wieder, bei dem realistischen und erfahrenen Otto Gritzmeier.
Was die Einrichtung betraf, ließ er sich eine Zeitlang von dem heidnischen Ritual des Modernismus in Versuchung führen; ganz besonders begeistert war er, nachdem er im Tall Town Club, dem besten Speakeasy in New York, geluncht hatte, dessen Ausschmückung von Josef Lazaraki besorgt worden war: eine kreisförmige Bar aus schwarzem Glas, eingefaßt mit einem Silberband, funkelnde Aluminiumbarstühle mit roten Ledersitzen, Bilder aus Silberdraht vor einem getupften blauen Hintergrund, an den Wänden Sonnen- und Fackellichter aus Aluminium und Sonnenblumen, deren Blütenblätter Spiegel waren. Die Prohibition, erkannte er, war für Amerika etwas Ausgezeichnetes gewesen: sie hatte nicht nur die traditionsgemäß alkohollose amerikanische Frau gelehrt, mit den Männern zu trinken und zu rauchen, sie hatte auch in ihrer Freiheit von alten Standards die sich immer mehr verbreitenden Orgien modernistischer Inneneinrichtung verursacht, und darum sollten alle Bürger, insbesondere die überraschten und entzückten Frauen, den methodistischen und baptistischen Hirten, die für das Kommen der Prohibition verantwortlich waren, dankbar sein. Aber für seinen Gasthof inmitten neuenglischer Berge wäre diese Jazzpracht nicht angebracht gewesen, und ebenso wenig Interesse hatte Myron für das andere Extrem: ein Museum der Kolonialzeiten – gewaltige verdreckte Backsteinkamine mit verrußten Kesselhaken, geradrückige Eichenstühle, und an den Wänden so viele Wärmpfannen, Lichterformen, Revolutionsmusketen, Großvateruhren, Wedgwoodschüsseln, schwärzliche Eisentöpfe und Stiche von Currier und Ives, daß jeder anständige Gast schreiend davonlaufen müßte. Er entschloß sich für genaue Kopien alter Mahagonimöbel, die im Sommer anmutig aussahen und im Winter warme Töne hatten, und er hatte das Glück, alle zu einem angenehm vernünftigen Preis bei einem einzigen Fabrikanten herstellen lassen zu können. Es gelang ihm auch, ein normalisiertes und doch nicht allzu bekanntes Muster zu finden für Glas, Porzellan und Silber, das zu dem Mahagoni paßte. Alles wurde mit dem BTI bezeichnet, das auch auf die Wäsche gestickt war.
Nicht einmal die Halle, der Mittelpunkt des Gasthofs, wurde mit solcher Sorgfalt geplant wie die Küche; bei dieser wurde alles bis auf den letzten Zentimeter vorausgedacht und vorausgerechnet, als handelte es sich darum, eine neue Maschine durchzukonstruieren. In endlosen, ermüdenden Konferenzen mit Gritzmeier stellte er, nachdem er alles gelesen hatte, was er in den Hotelzeitschriften ausgraben konnte, mit exaktester Genauigkeit fest, wie lange der Weg vom Kühlraum zum Arbeitstisch sein sollte, zum Gewürzbord, zum Herd, zur Ausgabe, zum Speisesaal; welches Material das beste wäre für Ausgüsse, Tischplatten, Fußböden und für die müden, geschwollenen Füße der Köche.
Die Verpflegungsfrage studierte er, wie wohl seinerzeit Gottfried von Bouillon auf Grund der mangelhaften Karten die Wege zum Heiligen Land studierte. Gritzmeier war einer der nicht allzu zahlreichen europäischen Küchenchefs, die sich nicht mit ihren Kenntnissen der französischen, englischen, deutschen Kochkunst begnügten, sondern sich mit einer Untersuchung der amerikanischen Gerichte befaßt hatten. Er verehrte mit nicht geringerer Frömmigkeit als Myron die amerikanischen Speisen, die das Rückgrat der Verpflegung in diesem guten Provinzgasthof sein sollten: Muschelragout, Maifisch, auf dem Brettchen gebraten mit Rogen, geröstete Krabben, Kanevasente mit Haferreis und schwarzem Johannisbeergelee, Rosinenpastete, Maisgebäck, Pfeffertopf mit Klößen, und zum Frühstück die Pfannkuchen und Waffeln und Buchweizenkuchen, die so köstlich oder so bleischwer sein können, je nachdem ob der Koch ein ordentlicher Mann oder ein Schurke ist.
Die Frage der »Vergnügungen« untersuchte er mit wissenschaftlichem Ernst. Er hatte die Beobachtung gemacht, daß es an den Abenden, an denen es zum Golfspielen und zum Schwimmen zu dunkel ist, in den Sommerhotels einfach entsetzlich wirkt, wenn die Leute nichts zu tun haben. Er wollte jeden Abend eine Tanzveranstaltung oder einen Film haben, vielleicht auch beides, dazu Radio, Puffspiel, Würfelspiele, Kostümfeste, eine große Bibliothek, abendliche Picknicks im Mondschein, Billard; eine der Hauptaufgaben Benny Rumbles würde es sein, Pokerspieler und Bridgenarren miteinander bekannt zu machen.
Das erste Gebäude, das im Mai fertig gestellt wurde, war Myrons Häuschen, von dem später eine ganze mondsichelförmige Gruppe von zum Hotel gehörigen Häuschen ausgehen und sich über den Hang oberhalb des Gasthofes hinziehen sollte. Er hatte es selbst entworfen, mit einer Genauigkeit und Sorgfalt, die geradezu unübertrefflich war; alles, was man nur einbauen konnte, war eingebaut, die gegossenen Fußböden konnten mit einem Blick gesäubert werden, und es waren genug Schlafveranden da für seine Familie und einen Gast … er hoffte bloß, daß dieser Gast nicht ununterbrochen der Magister der Künste, Herr Professor Herbert Lambkin, sein würde.
Man schrieb den 27. Mai 1927, es war genau zwei Wochen vor dem festgesetzten Eröffnungstag, der Black Thread Inn war fertig – wenigstens so weit fertig, wie er es in dieser Saison sein sollte – und Myron konnte seine in graue Schindeln gebundenen Werke betrachten.
Der Gasthof fügte sich gut in das Landschaftsbild ein. Er war ziemlich lang und niedrig mit Dachfensterchen im zweiten Stockwerk. Die Seitenwände waren mit feuersicheren Schindeln belegt, die in dem weichen Grau gehalten waren, das der See zeigte, wenn er nicht von der Sonne beschienen war; das Schindeldach war etwas dunkler, und unter der Dachrinne zog sich ein knallroter Streifen hin. Unterhalb des Gebäudes, zu ebener Erde, war eine rotgekachelte Terrasse eingeschnitten, die sich über die ganze Front erstreckte, vom Inneren führten Glastüren zu ihr, weiße Korbstühle und weißgestrichene Stahltische standen dort. Hier sollten an schönen Tagen Lunch und Tee serviert werden. An dem einen Ende stand eine Gruppe von Ulmen und Ahornbäumen, die man völlig unberührt gelassen hatte, am anderen Ende war ein Garten mit Rosen, Päonien und Herbstlilien angelegt: sobald er fertig war, sollte auch dort Tee serviert werden.
Die Tennisplätze, die Plätze für das Squash-Spiel, die Ställe mit den Reitpferden, die Garage mit den gewaltigen Autobussen, die die Passagiere von der Bahn holen sollten, waren in den Wäldern hinter dem Gasthof versteckt, und dort sollte es im nächsten Winter auch eine Ski-Abfahrt und eventuell eine Tobogganbahn geben. Golf konnte in dem vier Meilen entfernten Olde Mill Landclub und in drei anderen, nicht mehr als acht Meilen entfernten Clubs gespielt werden. Später einmal sollte der Gasthof auch seinen eigenen Neunlöcherplatz bekommen. Myron hatte es sich nicht nehmen lassen, auf einer der Rasenflächen einen Croquetspielplatz anzulegen, obgleich jedermann sich beeilte, ihm zu versichern, das Croquet sei ein totes Spiel. Für den Frühlingsanfang und den späten Herbst, wenn der See noch zu kalt war, sollte ein Schwimmbassin mit gewärmtem Wasser angelegt werden, vorläufig aber war erst die Grube dafür ausgehoben. Fertig sollte es im Herbst werden. Das sandige Seeufer bot einen so bunten Anblick wie die Riviera, es hatte einen riesigen T-förmigen Anlegeplatz, vier Sprungbretter, gelbe und rote Kanus, Ruderboote mit blauen und roten Markisen und Cabañas mit grauen und roten Markisen. Aber nur der Strand war so bunt, der Gasthof selbst war in ruhigen Farben gehalten.
»Na«, brummte Tom Weagle, »das ist ja ganz ordentlich, aber ich muß sagen, für das viele Geschrei, das da gemacht worden ist, ist das ne ziemlich einfache Bude. Warum hast du nicht son französisches Château gemacht oder nen japanischen Garten oder irgend so was, was Klasse hat?«
»Es sollte einfach werden. Ich will, daß es sich zwischen See und Berg so einfügt, als ob es hier gewachsen wäre, und daß trotzdem derselbe Luxus da ist wie im Ritz«, protestierte Myron.
»Einfach ist es, das stimmt! Bloß gewachsen, das stimmt! Jedenfalls sieht's für mich nicht nach zweihundertzwanzigtausend Dollar aus. Was hätt ich bei meiner Erfahrung mit dem Geld machen können! Ich hätt dir n Hotel hingelegt, das dir auf zehn Meilen Entfernung in die Augen springt. Einfach hier auf dem Hügel gewachsen, das stimmt! Wie n blödsinniger oller grauer Klotz! So viel Mühe hab ich mir mit dir gegeben, und doch hab ich dir nie beibringen können, daß Reklame sich bezahlt macht!«
10. Juni, die Veröffentlichung des Vollkommenen Gasthofs.
Bei der Eröffnung waren alle Zimmer bis auf eines besetzt, und dieses eine war auch nur deshalb leer, weil es für Pyes Partner Adolph Charian reserviert war, von dem noch nicht feststand, ob er zu den Feierlichkeiten von New York würde herüberkommen können oder nicht. Dick Pye wollte die ganze Woche dableiben. Mehr als sechzig Zimmerbestellungen hatte Myron zurückweisen müssen. Er hatte für die ersten fünf Tage nach der Eröffnung den Kongreß einer überaus wohlhabenden Organisation sichern können, des Verbandes der Messingindustriellen Neu-Englands. Benny Rumble, der gewandte und elegante Pressechef, hatte die Presse in großzügigster Weise zur Eröffnung des Etablissements eingeladen, das, wie er versicherte, die prächtigste Gaststätte an der atlantischen Küste war, und so waren fünfzehn Zimmer reserviert für Berichterstatter aus New York, Philadelphia, Boston, New Haven, Hartford, Bridgeport und Greenwich, die nichts dagegen hatten, ihren Redakteuren ein paar Reklameartikel zu schicken, solange das Essen und Bennys Privatvorrat gut blieben. Die anderen Zimmer waren von den verschiedensten gewöhnlichen Gästen belegt, die, wohl versehen mit Gin-Vorräten, in teuren Wagen ankamen.
Der Eröffnungsabend!
Halle und Korridore waren endlich erfüllt von lauten Stimmen, die nicht die der Arbeiter und Hotelangestellten waren, und Myron lächelte strahlend und verlegen, wenn er die Worte hörte: »Das ist ja entzückend hier.« Alles begann sehr vergnügt, es gab zwei große Diners – das für den Messingverband, serviert im Tanzsaal, wo das Jazzorchester der Jolly Rovers spielte, und das Diner für die Presse in der einen Hälfte des Speisesaals, die mittels einer elektrisch betätigten Wand aus Stahl und Kautschuk völlig abgetrennt werden konnte.
Sogar Myron trank an diesem Abend drei Cocktails: einen in seinem Häuschen mit Effie May und Ora, der für diese Woche ihr Gast war; einen mit Benny Rumble und der Presse; einen im Zimmer des Sekretärs des Messingverbandes. Der Erfolg seines Meisterwerkes versetzte ihn in eine an Hysterie grenzende Aufregung. Der Verband bestand darauf, daß Myron zu einer der Reden hereinkam, und als der Vorsitzende (recht weitschweifig und ausführlich) erklärte, Mr. Weagle gehöre zu jenen unternehmungslustigen Yankees, die Neu-England seine frühere führende Stellung in der Industrie und im Hotelgewerbe wiedergäben, und Kalifornien könnte der Teufel holen, verbeugte sich Myron errötend, er fühlte sich überaus glücklich – und empfand plötzlich ein wenig Heimweh nach einem Hotel in Neapel und nach einem schwarzbärtigen Mann, der einen Trinkspruch auf Signor Weagle ausbrachte, während Luciano in die Hände klatschte.
Er selbst speiste, wenn er nicht gerade hinausstürzte, um mit größter Energie nichts Besonderes zu tun, mit einer Gruppe, die aus der Presse bestand, den Würdenträgern der Stadt und der Provinz, seinen Eltern, Effie und Ora, den Dingles und der ganzen Lambkinsippe. Es war ein entzückendes Diner mit Mosel, Bombe Surprise und Bachforelle. Es wurden Reden gehalten. Es wurden sogar sehr viele Reden gehalten, aber das schien die Presse nicht zu stören, weil während der Ansprachen 1909er Kognak serviert wurde. Myron sagte ihnen in einem Speech, der genau siebzig Sekunden dauerte, er freue sich, sie zu sehen. Dick Pye sagte ihnen, Myron sei ein zweiter George Boldt. T. J. Dingle sagte ihnen, Black Thread könne sich einer großen Geschichte und großen Fischreichtums rühmen. Der Bürgermeister von Black Thread hielt eine komische Ansprache, Sheriff Everett Beasy hielt eine witzige Ansprache, und dann wurde die wirkliche Arbeit Pyes Partner, dem Oberst Ormond L. Westwind, übertragen, der historisch, komisch, witzig, imponierend verehrungsvoll gegenüber der Kirche, dem Staat, der Presse und dem Hotelgewerbe sprach und mit einer seiner berühmten Tischredenanekdoten schloß, die es zuwege brachten, so delikat zu sein, daß sie die Damen nicht in Verlegenheit brachten, und dabei doch so schmutzig, daß sogar die Reporter lachten.
Erst um Mitternacht, als die Gäste zu ihren Zimmern hinaufschwankten, trennte man sich.
Alles in allem kam der Eröffnungsabend der Vollkommenheit ebenso nahe wie der Gasthof selbst.
Er war zu froh erregt, um in sein Häuschen zurückzugehen und sich schlafen zu legen. Um halb zwei Uhr machte er eine Runde durch den Gasthof, bloß um des Vergnügens willen sich alles anzusehen. Er betrachtete sein Werk und sah, daß es gut war … Der verzückte Wallfahrer, angelangt bei seinem Heiligtum. Der Dichter sieht sein Epos zum erstenmal gedruckt und staunt über seine eigene Beredsamkeit.
Niemand zeigte sich, außer einem Wächter irgendwo im Gebäude und dem Nachtportier im Büro, der an Rechnungen arbeitete.
Folgende Herrlichkeiten fielen ihm wieder auf.
Das Büro, ganz nahe am Haupteingang, war, obgleich alle modernen Einrichtungen wie Fernschreiber und Rohrpostanlage da waren, nicht groß und drückte nicht auf die Hallen.
Die Haupthalle war mit altem Ahornholz eingerichtet, mit einem gemauerten Kamin und mit einer Fichtenholztäfelung, für deren Herbeischaffung Myron einen Mann ausgesandt hatte, der ganz Connecticut absuchen und eifrig alte Scheunen und sogar Zäune studieren mußte.
Wie immer ein Gast auch über die Vorzüglichkeit von Myrons Gasthof denken mochte, eines mußte er zugeben: in der Haupthalle gab es keinen einzigen ländlichen Schaukelstuhl aus ungeschälten Ästen und keinen einzigen aus einem Wagenrad gemachten Wandleuchter.
Der zweite Raum war der Rundfunksaal, der schallsicher war, damit Radioliebhaber den Lautsprecher so laut anstellen könnten, wie sie nur wollten, ohne daß man draußen etwas davon hörte. Als drittes kamen Schreibzimmer und Bibliothek mit sämtlichen bekannten Magazinen und dreitausend Büchern, die nicht von Ora, sondern von einem Bibliothekar ausgewählt waren, da Myron den Argwohn hatte, dem guten Ora würde nichts mehr Vergnügen machen, als alle schlüpfrigen Romane einzuschmuggeln, die respektable Gäste shockieren könnten. Der Speisesaal war in hellen Farbtönen gehalten und hatte schwere maulbeerfarbene Vorhänge. Der am einen Ende des Hotels gelegene Tanzsaal wurde bei Tag ein gewaltiger Sonnenraum. Im Souterrain lag ein Clubzimmer für Billard, Pool und Karten, und im zweiten Stock gab es noch ein, mehr für die Damen gedachtes, Spielzimmer.
»Na, wenn's irgendwo, in Amerika und in Europa, hübschere Gesellschaftsräume gibt als die sieben, dann möcht ich das bloß wissen«, sagte Myron, der jetzt sehr zufrieden war.
Da Charian nicht hatte kommen können, gab es ein Zimmer, das er sich ansehen konnte. Er ging hinein und schaltete glücklich das Licht ein. Nicht weniger als die Sheratonmöbel gefielen ihm der geblümte Überzug auf dem Himmelbett und die dicken, zart pfirsichfarbenen Bridgewaterdecken. Für ihn hatte eine schöne Wolldecke immer so viel Reiz gehabt wie ein Sonnenuntergang. Der Mahagonikamin war weiß gestrichen, und davor stand ein bequemer Lehnstuhl. Die Vorhänge waren aus Cretonne, und die beiden Bilder – mehr als zwei gab es nicht – waren deutsche Farbdrucke. Das ganze Zimmer war hell und freundlich.
»Warum setzt man in einem Landhotel als selbstverständlich voraus, daß es nie nasse, unfreundliche Tage geben wird, an denen die Gäste in ihren Zimmern bleiben, und meint, daß irgendwelche alten dunklen Möbel und gestreifte Wände gut genug sind?« fragte sich Myron nicht ohne Selbstzufriedenheit.
Das weiß gekachelte Badezimmer hatte einen kanariengelben Fußboden, die Decke war abgesetzt. Es war hell, aber nicht zu bunt, obwohl es in einer Periode eingerichtet wurde, in der es in Amerika geradezu eine Manie war, alles in schreienden Farben zu halten – Badezimmer, Öfen, Bratpfannen, Schreibmaschinen und sogar Klosettpapier. Alles mußte rosa oder fliederfarben sein, und ein Mensch, der sich mit irgendeinem weißen oder braunen Gegenstand begnügen mußte, schämte sich und taumelte, ein gebrochener Mann, beladen mit der Verachtung seiner Freunde, von dannen.
Obgleich Myron bei Hotelierzusammenkünften immer gegen überflüssiges Zubehör in den Zimmern gesprochen hatte, insbesondere gegen die zahllosen Kärtchen, auf denen die Mahlzeiten, die Höflichkeit der Bedienung und andere wünschenswerte Dinge des Hotelbetriebes annonciert waren, gab es in diesem Zimmer allzu viele Kleinigkeiten – offensichtlich allzu viele: selbstverständlich Bettlampen; eine Box, die sich sowohl vom Zimmer wie vom Flur aus öffnen ließ, damit Schuhe und Kleider herausgenommen werden könnten, ohne daß der Gast gestört würde; Extra-Klapptische und Reserve-Kofferständer im Wandschrank; große Stapel von Handtüchern und Waschlappen; Schuhlappen und Läppchen zum Abwischen der Rasierklingen; ein großer Spiegel; eine Lampe im Wandschrank; ein Schreibtisch, der nicht ein wackliges Gestell war, sondern ein richtiger, fester Tisch mit einem reichlichen Vorrat an Briefpapier und Ansichtskarten, die Reklame für den Gasthof machen konnten. Die Stubenmädchen hatten den Auftrag, dafür zu sorgen, daß an jedem Lehnstuhl ein niedriges Tischchen stand und in jedem Zimmer stets mindestens drei Aschenbecher waren – und auch noch mehr, wenn sich herausstellte, daß der Gast ein gewissenhafter Raucher war.
Es gab aber auch noch andere, ungewöhnlichere Tricks: eine in den Fußboden eingelassene Waage im Badezimmer für Gäste, die sich täglich vor Gewichtszunahme fürchteten. Ein elektrischer Türriegel, der mit winzigen Hebelchen vom Bett aus betätigt wurde. Jeden Morgen kostenlos ein Päckchen Zigaretten, und jeden Abend Obst, das beim Bettmachen ins Zimmer gestellt wurde. Eine Erfindung, die Myron in der Schweiz entdeckt hatte und immer wieder voll Begeisterung bewunderte: ein elektrischer Wecker. Wenn der Gast zu Bett ging, stöpselte er abends die gewünschte Stunde, und morgens klingelte der Wecker, bis er abgestellt wurde. So gab es auch keine Auseinandersetzungen mit dem Portier über die Zeit, zu der der Gast hatte geweckt werden wollen, noch wurden die Telephonistinnen wahnsinnig bei ihren Versuchen, vierzig Zimmer gleichzeitig um halb acht, acht und halb neun anzuklingeln.
Und an jedem Bett waren drei Klingelknöpfe, einer für das Zimmermädchen, einer für den Pagen, einer für den Zimmerkellner – wenn der Gast es jedoch für ein patriotisches Prinzip hielt, nach der Zimmerbedienung zu telephonieren, konnte er das auch tun. Jedes Stockwerk hatte seine eigene Frühstücksküche, und für Essen, das im Zimmer serviert wurde, gab es keine Zuschläge.
Wenn ihm überhaupt der Gedanke daran gekommen wäre, hätte er sich darüber gefreut, daß Ora während dieses Rundgangs nicht bei ihm war. Ora hätte die Bemerkung gemacht, die Farben der Decken und der Badezimmerkacheln, die Anzahl der Aschenbecher in jedem Zimmer und die Vorzüge automatischer Schweizer Weckuhren wären wohl, genau besehen, die lächerlichsten, unwichtigsten Kleinigkeiten der Welt, zumindest für einen Menschen, der seine ernsteste Aufmerksamkeit so wahrhaftig wichtigen Angelegenheit widmen müßte wie der Frage, ob es in einem Wildwestfilm richtiger wäre, mit einem Mord zu beginnen, einem Rodeo oder mit der Ankunft der Nichte des brummigen alten Ranchbesitzers in Helenhighwater Forks.
Noch andere köstliche Wonnen gab es, an denen Myron sich weiden konnte, vor allem in der Küche mit ihrem makellosen Stahl, ihren Flächen aus Kupfernickellegierung, ihrem Korkboden, ihren Holzkohlen-Bratapparaten und elektrischen Grills. Er war zu seiner Verwunderung hungrig und merkte plötzlich, daß er während des Diners so aufgeregt gewesen war, daß er nicht einmal von den frischen Bachforellen gegessen hatte. Mit einer Miene feierlicher Seligkeit, einem Ausdruck kindlicher Zufriedenheit, der an einem so schwerfälligen Erwachsenen wirklich ungewöhnlich war, saß er am Ende eines Arbeitstisches, bewanderte eine Dampfkochmaschine und nahm Zwiebäcke und Milch zu sich.
Er ging über die Hintertreppe hinunter ins Souterrain und blieb stehen, um die zahlreichen und großen Feuerlöscher zu bewundern, die er überall im Gasthof verteilt hatte. Ja! Wie entsetzlich oft war es passiert, daß Hotels schon in der Eröffnungsnacht bis auf die Grundmauern verbrannten. Seinem Gasthof konnte so etwas nicht zustoßen! Denn er hatte sich Mühe gegeben – er hatte vor der Eröffnung das ganze Personal eingeübt, er hatte für all diese Feuerlöscher gesorgt, er hatte bewiesen, daß der Mensch mit Aufmerksamkeit und Sorgfalt das Werk seiner Hände zu etwas Vollkommenem machen kann!
Im Souterrain besah er sich ehrfürchtig die Ölheizungsanlagen, die Waschmaschinen, die Vorratsräume, den in Kachel und Marmor gehaltenen Frisiersalon, den Clubraum mit seinen Billardbrettern, und dann stapfte er langsam, müde, voll stolzer Zufriedenheit die Vordertreppe vom Souterrain zum Büro hinauf.
Er hörte Lärm. Er beschleunigte seine Schritte; in der Vorderhalle sah er den Nachtportier und den Hoteldetektiv Dutch Linderbeck. Sie hörten dem Nachtwächter zu, der aufgeregt gestikulierend etwas schrie. Aufgescheuchte Gäste kamen die Treppen herunter, an ihrer Spitze der Vorsitzende des Messingverbandes im Schlafrock und ein eifriger junger Reporter aus Bridgeport, der einen Mantel über sein Pyjama angezogen hatte.
»Was ist denn? Was ist denn?« tobte Myron.
»Sie sind nicht verheiratet«, sagte Linderbeck. »Sie sind nicht, wie Sie sich eingetragen haben, Mr. und Mrs. Wood aus Springfield. Der Kerl ist der Sohn vom U.S.-Senator Colquhoum, und sie scheint Mardie Paxton zu sein, diese professionelle Alimentenjägerin.«
»Aber du lieber Gott, was soll das denn? Wozu dieser ganze verdammte idiotische Krach?«
»Weil sie tot sind! Er hat wohl zuerst sie erschossen und dann sich. Jedenfalls sind sie tote Leichen. Soll ich den Sheriff anrufen, Boss, oder wollen Sie es machen? Meine Direktoren haben immer gesagt, daß ich mich gut darauf versteh, mit der Polente zu telephonieren, wenn ein Paar ein Hotelzimmer mit Blut versaut hat.«