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Nachwort

Die Übersetzung hält sich an die Reihenfolge der »Poésies. Édition complète, contenant plusieurs poèmes inédits et un portrait« (4me édition, Éditions de la Nouvelle Revue Française, Paris, 1913, 172 Seiten samt der von Mallarmé selbst herrührenden Bibliographie de l'Édition de 1898 und der Table, die 64 Stücke aufzählt). Die endgültige Ausgabe entspricht, ergänzt durch 14 Gedichte, der Anordnung der ersten auf Subskription in 47 Exemplaren als Faksimile des Manuskripts von der Revue Indépendante, 1887/1888, gedruckten der »Poésies« und enthält, von einigen Verbesserungen abgesehen, die schon »Vers et Prose, Morceaux choisis (avec un portrait par J. M. Neill Whistler und Avant-Dire von Mallarmé)« 1892 gebracht hatte, deren wie den Text der schönen Ausgabe »Les Poésies, avec frontispice de F. Rops« (Bruxelles, E.Deman, 1898), in der aber nur elf neue Stücke stehn.

Ich habe von den 64 Gedichten weggelassen: »Une négresse par le démon secouée« (aus »Le Parnasse Satyrique du XIX. siècle, Bruxelles, Poulet-Malassis, 1863 und ff.), den (schwachen, aber um so breitern) »Toast funèbre« (aus »Le Tombeau de Théophile Gautier«, Paris 1877) und die acht vierzeiligen »Chansons bas« (wovon I und II, in »Les Types de Paris«, Bilder von Raffaëlli begleitet hatten).

Von meinen Nachbildungen war »Hérodiade« in der »Neuen Deutschen Rundschau« (XIV, 1903) und in H. von Oppeln-Bronikowskis Anthologie »Das junge Frankreich« (Berlin, 1908) zuerst erschienen und ist, mit der ersten Fassung von »Brise Marine«, daraus in »Das Buch der Seele«, (München 1908) übergegangen. Eine freie Nachdichtung von »Autre Éventail« ist in »Jahresringe. Neue Gedichte (1918–22)« (Braunschweig, 1922) abgedruckt. Alle drei Stücke sind hier von Grund aus erneuert.

Die Übersetzung hat mich vom Juni 1938 bis zum August 1939 und wiederum vom 13. April bis zum 18. Juli 1942 täglich stundenlang beschäftigt. Die während der ersten Arbeit unzählige Male umgegossenen Stücke haben erst 1942 ihre heutige Gestalt erhalten. Für die Mehrzahl scheint sie mir endgültig. Sie ist nicht Nachdichtung, sondern eine möglichst genaue, ja wörtliche Übertragung des Originaltextes: die Schwierigkeiten des Ausdrucks eines meist schwebenden und verschwebenden Gedankenganges und einer von jedem leisesten Eindruck angeregten Stimmung sind nicht etwa der Eigenmächtigkeit oder der Schwerfälligkeit des Übersetzers zuzuschreiben, der sich ohne weiteres als nachempfindender Dichter auf seine Weise hätte gehen lassen können, aber es aus Ehrerbietung vor dem Meister und Treue zu den beiden geliebten Sprachen vorgezogen hat, sich die strengsten Fesseln, zumal im fremdartigen Versbau und den Reimgliedern, die den Sinn tragen, aufzuerlegen.

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Mallarmés Dichtung – in gebundener und der zu Unrecht als ungebunden bezeichneten Rede, vielmehr Sprache der Prosa – ist sehr schwierig, schwieriger noch als die Rimbauds, zunächst weil, nicht im Ganzen, weder des einzelnen Gedichts noch des schmächtigen Gesamtwerks, wohl aber immer wieder stellenweise, der Sinn sich nur mit unendlicher Mühe, wenn nicht durch gewaltsame Deutung enträtseln läßt, sodann aber – nicht, wie man meint, in erster Reihe, sondern infolge dessen – weil der Ausdruck, der langsam und in qualvoller Zucht zu seiner unvergleichlichen Selbständigkeit sich heranbildet, unter der Unklarheit des in angemessener Sprache wiederzugebenden Gedankens leidet, eben jenem eigensinnigen Gedankengang, dessen mehr geahnter als dem darin Eingesponnenen bewußter Gehalt sich nur mit ungewöhnlichen, wohl gar am Erfolg verzweifelnden Mitteln ins helle Licht der Mitteilung heben läßt. Und Mitteilung ist und bleibt wie jedes so auch das dichterische Erzeugnis, die eigentliche, die freie Schöpfung der Sprache. Denn wendet sie sich, auch wiederum die Prosa gleich der Versdichtung, als wohllautender Klang vor allem an das aufnehmende Ohr, so ist es doch – einst war es anders, besser darum bestellt – das Auge, das mit ihm zugleich und es überholend das in aneinandergereihten gemessenen und gewogenen Worten zu Vernehmende, schon Vernommene aufmerksam zu erblicken sich bestrebt, um es alsbald, selbst unverlautend nicht überhört, dem angezogenen Verstande, der besinnlichen Vernunft als Denkbares zu vermitteln. Jede Dichtung, die dem ernstlich um ihre Auffassung bemühten Verständigen sich als unverständlich erweist – die mehr oder weniger erschwerte Verständlichkeit läßt sich durch unablässiges liebevolles Eingehen auf das zu Ergründende erreichen –, leidet an einem unheilbaren Gebrechen. Mit der Unverständlichkeit ist Dunkelheit, das was man an Mallarmé als Verschlossenheit, Unerschließlichkeit (hermétisme) meist mit Unrecht gerügt hat, nicht zu verwechseln. Jeder echte Dichter spricht unverkennbar seine – allerdings nicht immer unnachahmliche Sprache. Selbst der sogenannte einfache (Burns, Musset, Eichendorff, Hebel). Andererseits ist oft gerade der bis zur Vertracktheit in sein Sprachgewirr verwickelte vermeintliche Künstler nichts weniger als echt, vielmehr ein Fälscher nicht so sehr übernommenen wie angeeigneten fremden Eigentums. Und es ist mit Nachdruck darauf hinzuweisen, wie solche bewußte Fälschung stumpfe oder abgestumpfte, der Unterscheidungsfähigkeit, das ist des Urteils beraubte Empfänger nur zu oft zu ungebührlicher Bewunderung verleitet, während die am Tage liegende Entwicklung einer ursprünglichen Begabung, die notwendiger-, weil natürlicherweise erst Überkommenes oder Unausweichliches übernimmt, um es allmählich zu sichten und abzustoßen (Goethe, Schiller, Hölderlin genau wie Mallarmé), nur selten – denn das Echo gedankenloser allgemeiner Anerkennung bleibt ein leerer Hall – in ihrem gesunden Werke richtig eingeschätzt wird: entweder betet der vom Ruhme des Schöpfers betäubte »Gebildete« auch die Eierschale des Gereiften blindlings an, oder er rümpft die witternde Nase krittelnd über Mängel, die den Kenner als Schönheitsflecken und Male nur um so nachhaltiger an ihren Träger zu fesseln imstande sind.

Mallarmé gehört zu diesen gesunden Übernehmern des in seiner Zeit und in seinem engern Kreise Wirksamen, er hat, großer Verehrer des meisterlich-kühlen Goldschmieds Sautier, als Nachahmer insbesondere Baudelaires – aber auch Banvilles und des »Parnasse« – begonnen und ist lange Zeit von seinen Vorbildern, denen sich Verlaine gesellte, nicht losgekommen. Dann aber ist er immer höher gestiegen, zu sich selbst, dem Unnachahmlichen, Einzigartigen.

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Mallarmés magische Kunst zeigt oft Verschiebungen der Gedankengänge (Quand l'hombre, Tel qu'en lui-même, Une dentelle, Le noir roc etc.). Nicht nur die musikgetragenen Bilder schweben durcheinander. Das Merkwürdige, für den Wert seiner Dichtung Entscheidende ist, daß das Ganze des Gedichts jeweils als Gestalt (von innen aus) überzeugt, obwohl die Züge sich nicht festhalten lassen: sie gewinnen ihren Ausdruck erst sozusagen in einigem Abstand. Andererseits aber ist – von ein paar schwachen Jugendgedichten (Guignon, Pitre, Fleurs u. a.) und den Variationen nach Baudelaire abgesehen, und zwar gerade in den scheinbar schwierigsten Gedichten – die sprachliche Verfassung nicht nur untadelhaft, wenn auch nicht selten meisterlich-künstlich (lateinisch), sondern eben in dem, was sich über den Worten als »Züge« ausspricht, vielmehr lebendig fließend andeutet (»flotte plus qu'il ...«), von seltsam eindeutiger sicherer Wörtlichkeit: wenn man Wort für Wort an den vollendeten Gedichten (ältere enthalten noch mancherlei raschelnde Papierblumen) entlang denkt, prüfend, nachschreibend liest, stimmt alles haarscharf. Es gibt also gleichsam drei Schichten der Mallarméschen Schöpfung und ihres Eindrucks: das Wort als Ausdrucksmittel; die Sprachform als Grundlage, die Züge; die Gesamterscheinung: die Gestalt. Und in dem so wie Schalen Abhebbaren steckt der Wesenskern: die Seele Mallarmés, die durch die Worte in die Züge scheint, während die Gestalt wieder auf das Wortgerüst sich verlassen darf. Hat man sie gegenwärtig, beleben sich einem Dichter ihre Züge (der Dichter ist der einzige berufene Leser des Gedichts): es sind als »ihre« die den eigentümlichen Mallarmés »entsprechenden«; man bringt sie, als dichterischer Übersetzer, immer näher, »annäherungsweise«, an diese heran, indem man die Mallarméschen Worte, sie als ihr nährendes Erdreich »pflügend«, um und um wendet. Nun hat man selbst eine Gestalt, die im Spiegel der eigenen Auffassung, gebildet: es fragt sich, ob ihre Züge ein freies, nicht durch die »übersetzten« Worte gebundenes Leben führen, ob das ganze Gehaben der Gestalt natürliche Anmut oder Würde aufweise. Ist es schwerfällig oder bis zur unfreiwilligen Komik befremdlich, so heißt es die Beschwörung erneuern, den »Spiegel« zerschlagen, die »Form zerbrechen« oder nur einschmelzen. Ich habe die Gestalten der übersetzten Gedichte dreißigmal, fünfzigmal umgegossen. Wie gesagt: die »Klarstellung« der wörtlichen Grundlage – unerläßlich und, erreicht, nicht irreführend – ist erst »Philologie«, schon sehr viel (den meisten, auch Franzosen, auch französischen Kritikern unerreichbar), aber noch nicht das unbegreifliche Leben der Züge. Diese sind so flüchtig, daß man sie immer wieder nur spürt.

Was da steht, z. B. »L'enfant abdique ... grand glaieul«, ist ein zweifellos verständlicher Wortzusammenhang (keinerlei »Schwindel«, Willkürlichkeit, Geltengelassenes wie bei dem Gaukler Rilke oder »Wortassoziation«, im Bann literarischer Vorbilder, wie bei dem dichtenden Kultureklektiker Hofmannsthal), aber »was heißt es?« Was ist das, was es besagt, – nicht nur, in einer gebildeten und wohlgefügten, durch den Rhythmus sich einschmeichelnden Sprache, die man vollkommen wie die eigene versteht, »aussagt«? Das Ganze führt darauf, besser dahin: das Unsägliche aber, was es trotz den Worten enthält und nur als Schein, aufschimmernd, von sich gibt, wird einem nur von innen her: man muß hineingelangt sein in den wahrhaftigen, nicht nur Arno Holz'schen (der sich selbst technisch, als »Mittelachse«, voraussetzt) »innern Rhythmus«, den seelischen, den »Kern«, der aus sich alles »treibt«. Und als Übersetzer muß man eine Art von Transsubstantiation erlebt haben: man kann nicht »jedes Gedicht« und schon gar nicht ein Gedicht »jedesmal« übersetzen. Ich setze die Hand an und versuche in immer erneutem »Ansatz« hineinzukommen. Wie oft kommt man, fast schon eingefahren, aus dem Gleis!


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