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Der arme Dichter stand vor dem Berge, wo die Unsterblichen wohnen. Eine Zahnradbahn führte hinauf, und er wollte sie benützen. Er klopfte an das Schiebefenster des Schalters und rief vergnügt:
»Ein Billett erster Klasse. Nur hinauf. Kostenpunkt?«
»Tausend Goldkronen Rente,« sagte der Kassierer grinsend; er hatte ihm das Fensterchen nur ein bißchen gelüftet.
Der arme Dichter lachte. »Tun Sie's nicht billiger? Ich hab' kein Geld. Aber ich will und muß hinauf.«
Dabei hob der arme Dichter das Schiebefenster, so scharf auch der Rand war, steckte den Kopf hindurch und lachte den Beamten an.
»Ja,« sagte der, »wir nehmen anstatt der Rente auch das Kapital. Lassen Sie uns Ihren Kopf für Lebenszeit hier, und wir befördern einstweilen das allerwerteste Übrige hinauf.«
»Einverst...« rief der arme Dichter. Und rasch war das Schiebefenster herabgefallen; sein Kopf lag sauber abgeschnitten in der Kasse.
Schon am nächsten Tage wurde der Kopf zurechtgemacht, und dem Kegelklub »Gemütlichkeit« vermietet. Nun schoben Müller und Schulze mit dem Kopf des armen Dichters allwöchentlich Kegel.
Anfangs tat es ihm weh, weil er noch kleine Ecken hatte. Mit der Zeit aber wurde er rund und immer kugelrunder und hielt es endlich für eine Eigentümlichkeit der Dichter, daß ihre Köpfe auf Erden rollen müßten. Nur daß ihn der Kegeljunge immer so heftig in die Rinne schmiß, und er am Ende mit anderen runden Dichterköpfen im selben Kasten lag, das tat seiner Eitelkeit weh.
Werkeltags übten sich an ihm die Jungen; sie klopften mit ihm auch Nüsse auf, und wenn sie müde waren, warfen sie ihn in den Dreck. Das taten sie aber ebenso mit den anderen Dichterköpfen.
Kurz bevor er im Kegelklub »Gemütlichkeit« sein fünfundzwanzigjähriges Jubiläum feiern sollte, kriegte er einen Sprung und wurde ausgeschieden. Er hatte sich die fünfundzwanzig Jahre lang das dumpfe Gefühl bewahrt, daß er eigentlich nicht bestimmt sei, hinunterzurollen, sondern hinaufzufahren. Er meldete sich also an der Kasse und wurde richtig auf den Berg gebracht.
Oben saßen etwa ein Dutzend Herren in den verschiedensten Trachten heiter beisammen. Die Unsterblichen. Ringsumher standen in ebenso bunten Kostümen weit über tausend Körper ohne Köpfe. Des armen Dichters Augen waren durch das viele Rollen schwach geworden, und es dauerte lange, bevor er sein allerwertestes Übrige fand. Er erkannte sich endlich an einem abgerissenen Westenknopf.
»Du, Hans,« sagte er trübselig zu sich selbst, »da bin ich endlich. Setz mich mal auf.«
Schon streckte das allerwerteste Übrige die Hände nach seinem Kopfe aus. Da lachten die Unsterblichen und riefen durcheinander:
»Woran erkennst du ihn denn? Ist es denn gewiß dein Kopf? Ist es überhaupt ein Kopf? Er hat keine Nase! Er hat keine Physiognomie im Gesicht!«
»Wahrhaftig!« rief das Übrige und steckte die Hände wieder in die Hosentaschen. »Du hast keine Physiognomie im Gesicht, hast keine Nase.«
»Ach Gott,« sagte der Dichter weinend, »das kommt nur daher, weil man mit mir Kegel geschoben hat. Dir fehlt ja auch ein Knopf!«
»O, mein lieber Kopf!« rief das Allerwerteste. »Ein Knopf gibt Physiognomie, auch dann noch, wenn er abgerissen ist. Eine Nase aber muß man hier durchaus haben.«
Und unter dem Gelächter der Unsterblichen stieß das allerwerteste Übrige seinen eigenen Kopf mit einem Fußstoß wieder vom Berge hinunter. Sieben
Ein reicher Bauer hatte viele Hunderttausende von Schafen. Wenn er sie zählen wollte, mußte er sich dazu einen Professor kommen lassen, so viel waren ihrer. Der Professor war angestellt für Schafzählerei oder Mathematik.
Der reiche Bauer hatte auch zwei Kinder. Die waren noch klein und hatten für ihre sieben Lieblingsschafe besondere Namen erfunden; für sie gab es ein weißes Schaf, ein braunes, ein schwarzes, ein scheckiges, ein dickes, ein trauriges Schaf und endlich das Hanswurstel.
Einst besuchte den reichen Bauer ein armer Verwandter.
»Hoho!« fragte er die Kinder, weil er dem Vater schmeicheln wollte. »Wieviel Schafe habt ihr wohl?«
»Sieben!« schrien beide Kinder wie aus einem Munde.
»Die dummen Fratzen!« rief lachend der Bauer, und der Professor der Schafzählerei, der gerade zugegen war, fügte ernsthaft hinzu:
»Was sie nicht benennen können, das wissen sie auch nicht, die Kinder.«
Es regnete und die Sonne guckte zu. Hunderttausend Sonnenstrahlen spielten mit hunderttausend Regentropfen, die ihnen verlobt waren. Jeder Sonnenstrahl bemalte den lieben Regentropfen aus seinem Tuschkasten. Jeder Tuschkasten hatte hunderttausend verschiedene Farben. Und es gab keine zwei Tuschkasten, in denen auch nur eine Farbe ganz gleich gewesen wäre. Die Sonnenstrahlen sahen alle die Myriaden von Farben und waren froh.
Ein kleiner Strahl wurde mit dem Bemalen seines Tropfens nicht schnell genug fertig oder hatte ihn zu lieb; genug, er kam der Erde zu nahe. Da fing ihn der Professor der Schafzählerei, sperrte ihn in eine dunkle Kammer und erzählte seinen Schülern im Dunkeln ein langes und breites über die Farben. Schon glaubte der Sonnenstrahl sterben zu müssen, denn der Professor wollte ihn brechen. Da kam zum Glücke die Professorsfrau mit dem Kaffee, und er konnte durch die offene Tür entschlüpfen.
Schneller wie ein Blitz fuhr der Sonnenstrahl hinaus und hinauf, setzte sich rittlings auf einen lustig bemalten Regentropfen, fiel vor Lachen wieder hinunter und setzte sich wieder und rief: »Kinder, fallt nicht um! Wißt ihr, wieviel Farben wir haben? Sieben! Sieben! Der Schafzähler hat's gezählt! Sieben! Alle unsere Tuschkasten zusammen sieben Farben!«
Da gab es unter den seinen Sonnenstrahlen und den verliebten dicken Regentropfen vor Lachen und Ausgelassenheit ein solches Schreien, Purzeln, Schießen, Sterben, Bersten und Tränenvergießen, daß die Frau Sonne, obwohl sie sich selbst vor Lachen schüttelte, ein Ende machen mußte. Sie rief alle Strahlen zu sich heran, barg sie wie eine Glucke unter ihre goldenen unsichtbaren Flügel, hieß sie schlafen und sagte:
»Die wahre Dummheit des Schafzählers kennt ihr noch gar nicht, ihr Schafsköpfe. Er hat den sieben Farben – sieben! – weil er nur die kennt, Namen gegeben. Es sind das Worte. Und auf solchen Worten will er uns nahe kommen wie auf einer Leiter, uns, auf einer Leiter von sieben Sprossen.«
Die Sonne lachte, daß ihre unsichtbaren goldenen Flügel schüttelten und wieder einige Strahlen nach ihren Bräuten blinzeln konnten, wie Küchlein ihre Köpfchen unter der Glucke hervorstrecken. Und der Sonnenrand schimmerte in hunderttausend Farben.