Fritz Mauthner
Aus dem Märchenbuch der Wahrheit
Fritz Mauthner

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Der Großstädter

Ein frisches junges Füllen lebte auf dem Lande und hatte eine ganze Wiese für sich. Es wollte aber da nicht mehr fressen. Es hatte von der Stadt gehört und wollte ein Großstädter werden. Da ging es einmal durch, geradeaus nach der Hauptstadt.

Es hatte nichts bei sich, nicht einmal Schuhe. Aber es hatte gehört, daß junge Füllen in der Stadt leicht ihr Glück machten.

Was das Füllen in der Hauptstadt suchte, das war vor allem das öffentliche Leben. Es meldete sich also gleich nach seiner Ankunft überall dort, wo etwas öffentlich war.

Zuerst wollte es ein öffentlicher Charakter werden. Aber es erhielt die Antwort, es sei dafür noch gar nicht zugeritten. Dann suchte es einen Dienst bei der öffentlichen Meinung. Aber es blieb keinen Tag dabei, denn dort wurden zu viele Geschäfte von Eseln besorgt.

Da ging das Füllen in eine der öffentlichen Anlagen. Ein Schutzmann aber trieb es wieder hinaus. Hier dürften sich nur schön gestriegelte und wohlgenährte Herrschaften niederlassen; zum mindesten müßte es irgendein Schuhwerk haben. Öffentlich seien die Anlagen, aber nicht für die barfüßige Öffentlichkeit.

Von diesem Schutzmann erfuhr das Füllen, daß es in der Stadt auch ein öffentliches Fuhrwesen gebe. Das Füllen meldete sich, bekam eisernes Schuhwerk, wurde sofort zum Gaul ernannt und zwischen zwei Deichseln vor einen Wagen gespannt. Nun war es ein Großstädter und begann das Leben, das es geträumt hatte.

Den ganzen Tag war es auf den Beinen und trabte von einer Straße in die andere. Überall war was Neues zu sehen. Die Mahlzeiten nahm es nur noch stehend und eilig ein. Selbst während des Essens hieß es mitunter plötzlich: Nach der Börse! oder: Ins Ministerium!

Am liebsten trabte der großstädtische Gaul mit geputzten Damen. Er hatte zwar nur die Arbeit davon, war den schönen Weibern nur vorgespannt, aber die Leute guckten doch alle, wenn nicht nach dem Gaul, der für sie schwitzte, so doch nach den Frauenzimmern in der Droschke. Und so keuchte der Gaul ganz vergnügt in Schnee und Hitze von Laden zu Laden, vom Theater zur Ausstellung, vom Ball zum Wohltätigkeitsbasar. Denn die schönen Frauen hatten doch auch mit der Öffentlichkeit zu tun.

Bald kannte der Gaul jede Sehenswürdigkeit der Großstadt. Er konnte neugierige Fremde schon allein herumführen. Er war ein rechter Großstädter geworden.

Aber er hätte sich wohl von Zeit zu Zeit gern ausgeruht, wie einst zu Hause auf der Wiese, wenn nicht der geldgierige Kutscher mit der Peitsche hinter ihm gesessen und ihm von Zeit zu Zeit um die Ohren gefuchtelt hätte. Als er sich einmal darüber beklagte, sagte der ehrliche Kutscher grob:

»Das gehört zur Großstadt. Die schönen Weiber nehmen Arsenikpillen, die Herren trinken Kognak, du hast wieder eine andere Peitsche. Vorwärts zur Parade!«

Der Gaul alterte rasch. Als er die Großstadt zwar bis auf die letzten Häuser kannte, aber nicht mehr recht traben konnte, ließ ihn sein Kutscher noch einmal nach dem Zoologischen Garten ziehen. Dort in der Roßschlächterei fand der großstädtische Gaul sein Ende. Er hatte ein ehrenvolles Begräbnis. Katzen und Hyänen folgten brüllend seinen sterblichen Resten.


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