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Die dunkle Sehnsucht wollte zu ihrer lieben Schwester, der hellen Wahrheit. Durch alle Himmel war die Sehnsucht geflogen auf weitgespreizten Fittichen, durch alle Meere war sie geschwommen bei Sturm und Wetter, durch alle Spalten der Berge war sie geschlüpft in Dunkel und Not; den Tod nicht scheute die dunkle Sehnsucht um die liebe helle Wahrheit.
Es kam die heilig lachende Stunde des Glücks. Es leuchtete aus selig ernsten Augen, es schimmerte duftend rosig wie Pfirsichblütenglanz, es flüsterte wie Engelston von suchenden Lippen. Die Sehnsucht hatte die Wahrheit aufgefunden.
Alle Sprachen der Menschenerde hatte die Sehnsucht geübt, ihre Schwester zu grüßen und zu fragen. Aber – ach! – die Wahrheit redete anders als irgendeine Sprache der Erde.
Da verstummte die dunkle Sehnsucht; sie nickte traurig und wollte der Wahrheit ihr Teuerstes schenken, ihr liebstes Kind, den kleinen Glauben, auf daß die Wahrheit ihn lehrte und ihn dereinst reich machte mit den Rätselworten ihrer gar anderen Sprache.
Eine Weile trug die Wahrheit den Glauben auf ihrem Arm, wie eine gemalte Madonna den Knaben. Bald aber schüttelte sie lächelnd das helle Haupt und reichte das Kind zurück. Bescheiden zuckte sie leicht mit den herrlichen Schultern, als wollte sie sagen: »Die arme Wahrheit hat leere Hände'.«
Dann gab sie dem Knaben, was sie besaß: ihre Märchen von der Welt; und weil er sie nicht verstanden hätte in den Rätselworten ihrer Sprache, darum war es ein Märchenbuch in Bildern.
Ängstlich nahm der Knabe das Buch; später erst, als er allein laufen gelernt hatte und auch schon allein lesen konnte, da schritt er einsam durch die Welt neben der dunkeln Sehnsucht, und da erblickte er wieder in der stillen Natur und im geschäftigen Menschentreiben das Märchenbuch der Wahrheit.