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Die Deine Erde deckt, mein Vaterland!«

So saß er lange, lange Zeit. Er gedachte seiner Flucht aus der Heimath, des wilden, gefahrvollen Soldatenlebens im Kaukasus, des Herzeleides, welches er dort ertragen hatte und des einzigen Sternes, der ihm dort erschienen war – Zykyma, die Herrliche.

Er hatte sie geliebt, ja, und sie ihn auch. Wirklich, wirklich? Konnte ein Mädchen wie sie, eine Orientalin, wirklich eine Liebe im Herzen tragen, welche im Stande ist, einen hochgebildeten Europäer glücklich zu machen? Er hatte es geglaubt; jetzt aber zweifelte er daran.

Und warum zweifelte er?

Weil ihm jetzt plötzlich ein neuer, ein ganz anderer Stern aufgegangen war – Karparla, die Liebliche, die wie Schnee Glänzende. Der Schein des ersten Sterns verlöschte, als ihm der zweite am trüben Horizonte Sibiriens aufgegangen war.

Die Sonne hatte niedergehend die Spitzen des Gebirges erreicht und stieg hinter dasselbe hinab. Die Berge begannen lange, tiefe Schatten auf den See zu werfen. Es war Zeit, sich zurückzuziehen.

Georg stieg hinab und trank von dem frischen Quell. Dann begab er sich nach der Bibliothek und brannte die Lampe wieder an. Er suchte sich ein Buch und begann zu lesen.

Nicht lange hatte er gesessen, so ertönte die Klingel. Es kam Jemand. Er erhob sich von der Bank. Wer mochte es sein? Jedenfalls Peter Dobronitsch, denn Mila hatte ja gesagt, daß dieser kommen werde. Er hatte sich nicht geirrt. Der Bauer kam.

»Ach, Du hast bereits gelesen?« fragte er, als er das Buch erblickte. »Hast Du auch gegessen?«

»Nein, noch nicht.«

»So thue es. Du hast einen weiten und anstrengenden Ritt hinter Dir.«

»Ich habe bereits bei Dir gegessen, und meine Lage ist eine solche, daß mir eine seelische Erquickung nöthiger ist als eine körperliche.«

»Du brauchst keine Sorge zu haben. Du befindest Dich bei mir in Sicherheit.«

»Das sehe ich freilich. Für die Gegenwart ist mir nicht bange, aber die Zukunft – –!«

»Das laß Dich ja nicht anfechten. Vertraue Gott und Deinen guten Freunden!«

»Du hast Recht! Und Derjenige, dem ich zumeist und zuerst vertrauen will, der bist Du.«

Er gab ihm die Hand. Der Bauer schlug kräftig ein und antwortete.

»So ists recht. So viel an mir liegt, werde ich thun, und ich vermuthe, daß Du Deine Heimath glücklich erreichen wirst.«

»O, es liegen tausende von Meilen zwischen ihr und diesem unglücklichen Lande.«

»Du wirst sie zurücklegen.«

»Aber wie?«

»Vielleicht gar in meiner Gesellschaft.«

»Ach! Du willst dieses Land verlassen?«

»Ja. Ich habe verkauft und kann an jedem Tag fort. Willst Du mit?«

»Wie so gern. Aber man verfolgt mich!«

»Du bist mein Knecht.«

»Kannst Du das beweisen?«

»Ja, ich habe über jeden meiner Knechte eine Legitimation, und da sie hier bleiben, so kann ich an ihrer Stelle ›arme Leute‹ mitnehmen. Ich weiß nun nicht, ob Du Dich erniedrigen magst, als Knecht zu reisen.«

»Mit tausend Freuden.«

»So sind wir einig. Das heißt, ich habe Dir diesen Vorschlag gemacht, um Dir zu zeigen, daß sich für Dich auf alle Fälle ein sicherer Weg nach der Heimath öffnet. Vielleicht findet sich etwas Anderes und Besseres. Karparla wird kommen. Wir müssen uns mit ihr besprechen. Und Boroda kommt auch mit einer ganzen Schaar von Verbannten.«

»Ist das nicht zu kühn von ihm?«

»Kühn ist er, ja!«

»Er ist vielleicht sogar verwegen?«

»Auch das. Aber was er einmal beginnt, das pflegt er auch auszuführen. Wir werden erfahren, was er beabsichtigt. Vielleicht weiß er etwas Besseres für Dich.«

»Glaubst Du, daß er heut wiederkommt?«

»Nein. Aber daß der Kosakenwachtmeister kommen wird, davon bin ich überzeugt.«

»Um zu lauschen?«

»Ja. Jedenfalls bringt er eine Schaar seiner Leute mit und besetzt mit ihnen meine Besitzung, um Boroda abzufangen, wenn er kommt. Mila hat mir gesagt, daß er sich mit Sergius Propow besprochen hat?«

»Hat sie das gesagt? Es ist das aber keineswegs sicher!«

»Sie vermuthet es!«

»Und Du wohl auch?«

»Ja. Ich kenne meinen Nachbar. Er ist ein außerordentlich rachsüchtiger Mensch, trotz der Frömmigkeit, welche er heuchelt. Ich traue es ihm gern zu, daß er sich den Kosaken anschließt, um Boroda bei mir zu fangen und also auch in Strafe zu bringen. Aber selbst wenn er nicht kommt, die Kosaken kommen auf alle Fälle.«

»Was wirst Du da thun?«

»Was soll ich thun? Nichts. Ich werde mich so verhalten, als ob ich gar nichts ahne, als ob ich mit dieser Sache nicht das Mindeste zu thun habe!«

»So willst Du gar keine Vorkehrungen treffen?«

»Nein.«

»Aber wenn Boroda doch kommt!«

»Der kommt sicher nicht. Er ist zu klug dazu. Und wenn er ja käme, so käme er ganz heimlich angeschlichen und würde bemerken, daß das Haus besetzt sei. Er würde sich sogleich wieder zurückziehen. Aber ärgern werde ich diesen Wachtmeister doch!«

»Womit?«

»Mit dem Essen und Trinken, welches ich auf das Fenster stellen werde.«

»Für die ›armen Leute‹ etwa?«

»Das sieht der Wachtmeister doch!«

»Er soll es sehen!«

»Kann er Dich nicht anzeigen?«

»Nein. Niemand kann mir beweisen, daß ich diese Sachen für die ›armen Leute‹ bestimmt habe.«

»O doch! Man wird den Beweis der Wahrscheinlichkeit führen.«

»Pah! Ich kann meine Vorräthe stellen, wohin ich will. Kann ich dafür wenn sie mir von den Verbannten gegen meinen Willen gestohlen werden?«

»Freilich nicht.«

»Also werde ich es thun. Unterlasse ich es, so würde der Wachtmeister denken, ich fürchte mich vor ihm, und das fällt wir doch ja gar nicht ein. Aber freilich möchte ich gern volle Sicherheit haben, daß er kommt.«

»So mußt Du aufpassen.«

»Das werde ich natürlich thun. Ich stelle meine treuen Knechte aus. Das reicht aber nicht zu. Würdest Du mir vielleicht ein Wenig mit helfen?«

»Gern!«

»Das ist mir sehr lieb.«

»Ich weiß nicht, von welcher Seite der Wachtmeister kommen wird, und muß daher auf allen Seiten meine Posten haben. Nun ist es möglich, daß er mit dem Kahne vom See her kommt. Jemand hierher nach der Seeseite zu stellen, dazu habe ich nicht zuverlässige Leute genug –«

»So meinst Du, daß ich das machen soll?«

»Ja.«

»Sehr gern. Sage mir nur, wohin ich mich stellen soll. Ich bin sofort bereit.«

»Stellen sollst Du Dich gar nicht. Kommt er mit seinen Leuten vom See her, so muß er hier am Baume vorüber. Die Felsen treten da so eng zusammen, daß Du sie sehen mußt!«

»Sie mich aber auch!«

»O nein. Du steigst von hier hinab bis auf die untersten Aeste. Da kannst Du Alles sehen, ohne selbst bemerkt zu werden.«

»Ganz richtig. Aber wenn ich Etwas sehe, wie thue ich es Dir zu wissen?«

»Dadurch, daß Du wieder aufsteigst und an dem Klingeldrahte ziehst.«

»Klingelt es da bei Dir?«

»Ja!«

»Und was wirst Du dann thun? Was hast Du vor?«

»Nichts, gar nichts! Ich will mich nur überzeugen, ob die Kerls wirklich kommen. Wenn sie kommen, so lege ich mich mit meinen Leuten schlafen. Der Wachtmeister kann dann die ganze Nacht wachen, und früh lache ich ihn aus. Also Du bist bereit, mir zu helfen?«

»Ja. Wenn soll ich meinen Posten beziehen?«

»Sogleich. Die Dämmerung ist da, und ich vermuthe, daß die Kosaken zeitig kommen werden.«

»Schön! Brechen wir also auf!«

Sie verlöschten die Lampe und begaben sich zur Höhle hinaus. Peter Dobronitsch zeigte Georg den Klingelzug und nachher auch den Nagel, welchen er in den Ast geschlagen hatte. Um denselben noch leichter zu finden, band Georg sein Taschentuch um den Ast und stiegen dann hinab.

Es war im Geäst der Tanne stockdunkel, so daß man keinen Ast erkennen konnte, denn das Gezweig war zu dicht.

Die Beiden mußten sich beim Hinabklettern auf ihren Tastsinn verlassen. Sie gelangten ohne Unfall unten an.

»So,« sagte Peter Dobronitsch, »hier bleibst Du auf dem vorletzten Aste sitzen. Da kann Dich Niemand sehen. Du aber siehst Alles. Es kann kein Mensch vorüber, ohne von Dir bemerkt zu werden.«

»Und wenn Niemand kommt, wie lange soll ich sitzen bleiben?«

»Sehr gern! Meinetwegen auch bis zum Anbruch des Tages. Ich kann ja morgen recht wohl ausschlafen.«

»O, nach Mitternacht kommen sie nicht erst. Da kannst Du also getrost hinaufsteigen. Wirst Du die Höhle finden?«

»Gewiß!«

»Schön! Aber nimm Dich in Acht, daß Dir kein Unglück passirt.«

»Keine Sorge! Ich klettere gut.«

Jetzt sprang der Bauer von dem Aste zur Erde hinab und entfernte sich. Georg machte es sich auf seinem Sitze so bequem wie möglich.

Er war überzeugt, daß er seinen Posten ganz vergeblich eingenommen habe. Er hatte gar keine Ahnung, daß grad die Pechtanne, auf welcher er saß, das Rendez-vous war, an welchem sich der Wachtmeister und Sergius Propow treffen wollten.

Es war nun vollständig Abend geworden. Rings herrschte tiefe Stille. Da war es Georg, als ob er leise Schritte höre.

Sollte der Bauer etwa noch einmal kommen? Er lauschte auf. Ja, das waren Schritte, welche näher kamen. Unter der Tanne hielten sie an. Georg erkannte eine hohe, dünne Gestalt. Der Bauer war es nicht.

»Donnerwetter!« brummte der Unbekannte. »Noch nicht da! Wenn er mich nur nicht etwa ewig warten läßt!«

Es war der Herr Nachbar Sergius Propow.

Er setzte sich nieder und lehnte sich mit dem Rücken an den riesigen Stamm des Baumes.

Bereits nach kurzer Zeit kam ein zweiter Mann herbei. Der Erstere stand auf. Der Zweite blieb in der Nähe der Tanne stehen.

»Pst!« machte er es.

»Pst!« antwortete Propow.

»Ah, Du bist schon da, Sergius!«

»Ja, komm her, Wachtmeister!«

Georg wußte nun ganz genau, mit wem er es zu thun hatte. Sie standen grad unter ihm, und wenn sie auch nicht laut sprachen, konnte er doch Alles ganz gut verstehen.

»Wo hast Du Dein Pferd?« fragte der Kosak.

»Gut unter Bäumen versteckt.«

»Wirst Du es auch wiederfinden?«

»O sicher! Kommst Du allein, oder hast Du Dich anders besonnen und Leute mitgebracht?«

»Ich bin allein. Die tausend Rubel, welche auf Boroda gesetzt sind, will ich allein haben. Warst Du bereits beim Hause?«

»Nein. Warst Du dort?«

»Auch nicht. Aber ich werde einmal hingehen.«

»Wozu?«

»Um zu sehen, ob die Luft rein ist, und ob der Kerl etwa wieder Essen auf das Fenster gestellt hat.«

»Das wäre wünschenswerth für uns. Wenn er nichts auf das Fenster stellt, so bleibt dasselbe zu, und wir können nicht hinein.«

»Richtig! Warte hier! Ich will lauschen.«

»Nimm Dich in Acht, damit Dich Niemand sieht!«

»Keine Sorge! Ich bin das gewöhnt.«

Der Wachtmeister schlich sich fort. Es dauerte lange, ehe er zurückkehrte. Propow wurde ungeduldig. Er nahm eine Prise nach der anderen und machte dabei ein Geräusch, welches sich mit der Heimlichkeit, die er beobachten sollte, eigentlich gar nicht gut vertrug. Endlich aber kam der Kosak geschlichen und sagte:

»Das Fenster ist auf, und es steht auch das Essen dort für die Flüchtlinge.«

»Sehr gut! So klappt also Alles.«

»Ja. Ich hoffe, daß Boroda kommen wird.«

»Wir fassen ihn im Hause. Komm. Gehen wir jetzt!«

»Das wäre zu früh, Peter Dobronitsch ist jetzt noch munter und alle seine Leute mit ihm. Sie würden uns also bemerken.«

»So! Daran dachte ich nicht. Richtig! Aber da stecken wir hier, und inzwischen kann Boroda kommen!«

»Das schadet nichts.«

»Was? Das schadet nichts, wenn wir ihn nicht ergreifen?«

»Wir ergreifen ihn auf alle Fälle. Wenn er auch eher kommt und sich einschleicht, so treffen wir ihn doch im Hause. Dobronitsch geht heut ganz sicher zeitig schlafen. Wir warten bis er zu Bett ist; dann erst steigen wir hinein.«

»Ganz wie Du willst. Du bist Wachtmeister und mußt die Sache besser verstehen als ich.«

Es trat eine Pause ein, während welcher Georg sich überlegte, was er thun solle. Aus dem Gespräche der Beiden vernahm er, daß diese Beiden ganz allein da waren und es allerdings, wie zu erwarten gewesen war, darauf abgesehen hatten, Peter Dobronitsch mit dem Zobeljäger Boroda zu erwischen. Kosaken hatte der Wachtmeister nicht mitgebracht.

War es nicht besser, den Bauer zu benachrichtigen, als ihn im Ungewissen zu lassen? Georg beschloß, es zu thun.

Er begann, langsam emporzuklettern, langsam und so leise, daß seine Bewegungen nicht von ihnen gehört werden konnten. Je weiter er nach oben kam, desto weniger brauchte er sich vor ihnen in Acht zu nehmen. So gelangte er an den betreffenden Ast und fühlte jetzt sein Taschentuch.

Nun schlüpfte er auf denselben hinüber nach dem Eingange des Versteckes. Dort suchte er im Finstern mit der Hand nach dem Drahte und zog einige Male stark an demselben. Als er dann lauschte, war es ihm, als ob er aus der Ferne den hellen, silbernen Ton einer Klingel hörte. Das Zeichen war also gegeben.

Nun kehrte er wieder zurück. Je tiefer er hinabkletterte, desto leiser und langsamer wurden seine Bewegungen. Und doch hörte er, als er auf den untersten Aesten ankam, den Kosaken fragen:

»Hast Du nichts gehört?«

»Nein. Was giebt es?«

»Es war Etwas über uns in den Zweigen.«

»Jedenfalls ein Eichhörnchen.«

»Mag sein. Ich möchte nur wissen, was das Klingeln zu bedeuten gehabt hat.«

»Vielleicht war es ein Zeichen für das Gesinde, nun in das Haus zu kommen, um sich schlafen zu legen.«

»Das ist möglich, obgleich ich noch nicht gehört habe, daß der Bauer seine Leute Abends zusammenklingelt.«

»Was soll es denn anders gewesen sein!«

»Ob es vielleicht auf uns Bezug hat!«

»Wie wäre das möglich. Niemand weiß, daß wir hier sind. Wie könnte man also unsertwegen klingeln.«

»Das ist freilich wahr. Wir warten noch eine kurze Zeit, und dann will ich mich noch einmal hinschleichen, um nachzusehen ob die Leute zu Bette sind.«

Wieder verging vielleicht eine Viertelstunde, während welcher sich die Beiden still verhielten. Dann entfernte sich der Wachtmeister. Als er dann zurückkehrte, meldete er:

»Sie sind wirklich zu Bette. Alle Lichter sind ausgelöscht.«

»Auch dasjenige in dem Kämmerchen, auf dessen Fenster das Essen und Trinken steht?«

»Nein, das brennt.«

»So scheint es, daß der Fang uns gelingen werde. Wollen wir jetzt aufbrechen?«

»Warten wir noch einige Augenblicke, bis sie eingeschlafen sind!«

»Ich denke mir, daß Peter Dobronitsch sich gar nicht niederlegen, sondern auf Boroda warten wird.«

»Möglich ist es. Ich habe vergessen, nachzusehen, ob er droben in seiner Giebelstube Licht hat.«

»Davon können wir uns nachher überzeugen.«

Es vergingen einige Minuten, dann gingen sie, indem sie sich hart an dem Felsen hielten, damit sie von einem vielleicht doch anwesenden Lauscher nicht gesehen werden konnten.«

»Was thue nun ich?« fragte sich Georg. »Ich konnte mich nun in die Höhle begeben und mich schlafen legen. Besser aber ist es wohl, ich beobachte sie, um zu sehen, was sie machen.

Er schwang sich aus den Aesten zur Erde nieder und folgte ihnen. Er So erreichte er die Tanne. Eben wollte er durch das weite Dach derselben treten; da wurde er von einer strengen Stimme angerufen:

»Halt! Keinen Schritt weiter!«

Er erschrak. Er kannte zwar keine Furcht, aber wenn man des Nachts so plötzlich angedonnert wird, erschrickt man doch ein Wenig. Er blieb stehen und fragte:

»Wer ist da?«

»Ein Fremder. Wer bist Du?«

»Das habe ich Dich wohl eher zu fragen als Du mich. Sage also, wer Du bist.«

Er hob den Fuß, um einen Schritt vorwärts zu gehen. Da knackten zwei Hähne.

»Bleib stehen, sonst schieße ich.«

Jetzt durchdrang sein Auge das Dunkel, und er sah eine hohe Gestalt am Stamme des Baumes stehen. Sie hielt ihm mit ausgestrecktem Arme Etwas entgegen. Jedenfalls war das eine Pistole.

»Schießen?« fragte er. »Schießt man denn auf Freunde?«

»Noch weiß ich nicht, ob Du ein Freund bist. Also sage, wer Du bist!«

»Ich bin ein Verwandter von Peter Dobronitsch.«

»Also bist Du ein Freund von ihm?«

»Natürlich!«

»Wie heißest Du?«

»Iwan Skobeleff.«

»Kennst Du den Wachtmeister der nächsten Kosakenstanitza?«

»Ja.«

»Natürlich ist auch er Dein Freund?«

»Nein.«

Der Mann hatte sich einen Fremden genannt. Er war bewaffnet und trat drohend auf. Es stand zu erwarten, daß er zu den »armen Leuten« gehöre. Vielleicht war er gar jener Zobeljäger Boroda, welcher abgefangen werden sollte. Darum hatte Georg geantwortet, daß er nicht der Freund des Wachtmeisters sei, was allerdings auch ganz mit der Wahrheit übereinstimmte.

»Wenn Du mich belügest, so ist es um Dich geschehen! drohte der Andere.

»Ich lüge nicht!«

»So ist es gut für Dich. Wo kommst Du her?«

»Von Hause.«

»Und wohin willst Du?«

»Hm! Spazieren gehen.«

»Äh, bei Nacht?«

»Es ist nicht Nacht, sondern nur erst Abend.«

»Einerlei. Uebrigens bin ich unbewaffnet, und Du kannst mit mir reden, ohne die Pistole vorzuhalten.«

»Ich muß vorsichtig sein!«

»Ich auch.«

»Als Verwandter von Peter Dobronitsch? Gegen wen denn?«

»Hm! Das läßt sich schwer sagen, sage lieber Du, weshalb Du so vorsichtig sein mußt!«

»Für mich ist es schwieriger, offen zu sein als für Dich. Ich werde also lieber einmal hören, was Du mir antwortest. Ich war heut bereits einmal hier.«

»Ah! Und ergriffst auf einem fremden Pferde die Flucht? Ist es nicht so?«

»Du hast es errathen.«

»Donnerwetter! So bist Du Alexius Boroda, der berühmte Zobeljäger?«

»Hm!«

»Du kannst es getrost eingestehen, denn nun will ich Dir in aller Offenheit sagen, daß ich zu den »armen Leuten« gehöre.«

»So bist Du also nicht ein Verwandter von Peter Dobronitsch und hast mich belogen?«

»Aus Vorsicht. Ich kann doch nicht wissen, wen ich vor mir habe.«

Da ließ der Fremde die Hand mit der Pistole sinken und sagte in milderem Tone:

»Ich will einmal versuchen, Dir Glauben zu schenken.«

»Versuche es immerhin. Wenn Du Boroda bist, so bin ich Dein Freund und Leidensgefährte und will Dich vor einer Gefahr warnen.«

»Ich kenne keine Gefahr.«

»Und doch befindest Du Dich in einer solchen, und zwar in einer sehr großen, denn der Wachtmeister ist hier, um Dich zu fangen.«

»Das konnte ich mir denken; aber ich fürchte ihn nicht, sondern ganz im Gegentheile hat er sich vor mir in Acht zu nehmen.«

»Du irrst Dich. Er lauert Dich auf.«

»Oder ich ihn. Ich bin wie der wilde Zobel. Ich höre den Käfer fliegen, und mein Auge sieht in der Nacht fast ebenso gut wie am Tage.«

»Das wird Dir doch nichts nützen.«

»Werden sehen. Ich habe mich herangeschlichen, ohne daß sie mich bemerkten. Hier unter dem Baume standen zwei Männer. Der Eine war der Wachtmeister, und den Andern kannte ich nicht.«

»Der war Sergius Propow, ein Nachbar aber Feind des Bauers. Wenn Du es gewagt hast, Dich so nahe an sie heran zu schleichen, so bist Du freilich ein kühner Mann, und wenn Du den Wachtmeister in dieser Dunkelheit erkannt hast, so hast Du die Augen eines Luchses.«

»Die habe ich. Dann, als sie gingen, sah ich einen Dritten hier aus dem Gezweig springen und ihnen nachschleichen. Mir scheint, daß Du das gewesen bist.«

»Ich war es. Aber wenn Du gesehen hast, daß ich ihnen heimlich nachgeschlichen bin, so mußt Du daraus ersehen, das ich sie beobachtet habe und also nicht ein Freund des Wachtmeisters bin.«

»Ja, nun glaube ich Dir. Also, wer bist Du?«

»Ein flüchtiger Kosak mit der Nummer Zehn.«

»So sind wir freilich Leidensgefährten. Ich will eingestehen, daß ich Alexius Boroda bin. Hier meine Hand. Wollen wir Freunde sein!«

»Sehr gern. Ich habe Dich erwartet.«

»Hier?«

»Ja. Mir ahnte, daß Du kommen werdest; aber Dobronitsch glaubte es nicht. Er dachte vielmehr, daß Du Dich vor dem Wachtmeister scheuen und also heut fern halten würdest.«

»Ich muß heut mit ihm reden und fürchte mich vor keinem Wachtmeister. Selbst wenn dieser den Hof mit seinen Kosaken ganz umzingelt hätte, würde ich mich doch hineinschleichen.«

»Das hast Du nicht nöthig, denn es sind keine Kosaken da.«

»Das kann ich nicht glauben. Ich hoffe nicht, daß Du mir eine Falle stellen willst!«

»Fällt mir gar nicht ein!«

»So kann ich nicht begreifen, warum der Kosak allein gekommen ist.«

»Er will die tausend Rubel, welche auf Dich gesetzt sind, selbst und ganz verdienen. Wenn er seine Kosaken mitgebracht hätte, müßte er das Geld mit ihnen theilen.«

»Ah, ist es so?«

»Ja. Ich habe es, als ich die Beiden belauschte, aus seinem eigenen Munde gehört.«

»Donnerwetter! Dieser Kerl will mich festnehmen! Er allein! Was bildet er sich ein? Diesen Menschen schlage ich doch mit einem einzigen Hiebe nieder, wie ich es heut bereits einmal gethan habe. Aber was will der Andre bei ihm? Was kann ihm daran liegen, daß ich ergriffen werde?«

»Er hat heut um Mila's Hand angehalten.«

»Ah! Von Der soll er die Finger lassen!«

»Natürlich hat er einen Korb bekommen, und nun will er sich dadurch an Dobronitsch rächen, daß er hilft. Dich bei ihm zu fangen. Er meint, daß dann der Bauer bestraft werden muß.«

»So ist es, so! Nun, wir wollen sehen, wie weit diese zwei Schufte ihren Zweck erreichen. Weißt Du, wo sie sich befinden?«

»Ja. Sie warten in der Räucherei auf Dich.«

»Donnerwetter! Meinen sie vielleicht, daß ich komme, mich, von ihnen räuchern zu lassen!«

»Das nicht. Aber sie denken, daß Du den Bauer aufsuchen willst.«

»Das will ich freilich.«

»Er ist schlafen gegangen, und da Du nicht laut klopfen oder rufen kannst, um ihn zu wecken, so nehmen sie an, daß Du einsteigen wirst.«

»Ach so! Wo aber soll ich ihrer Ansicht nach denn einsteigen?«

»Durch das Fenster, welches für die »armen Leute« geöffnet ist. Ich glaube, daß es wird besser sein, ich zeige es Dir, als daß ich es Dir nur beschreibe. Willst Du mit mir gehen?«

»Ja! Ich denke, daß ich mich Dir anvertrauen kann!«

»Habe keine Sorge! Ich bin gewillt, auf der Flucht mich Dir anzuschließen. Es kann mir also kein Gedanke des Verrathes beikommen.«

»Dann beantworte mir erst eine Frage. Du bist ein Kosak mit einer Nummer, also ein Verbannter?«

»Ja.«

»Was warst Du früher?«

»Offizier.«

»Ah, das fordert mich allerdings zum Vertrauen auf. Bist Du ein Russe?«

»Nein. Allerdings habe ich zuletzt in russischen Diensten gestanden.«

»Und vorher?«

»Ich bin ein Deutscher.«

»Sapperment! Da können wir uns ja der deutschen Sprache bedienen!«

»Wie? Du sprichst deutsch?«

»Ja. Mein Vater ist ein Deutscher. Er hat sich erst später, nachdem er nach Rußland ausgewandert war, Boroda genannt.«

»Was höre ich! So ist Bart Dein eigentlicher Name? Denn Boroda heißt ja Bart auf Deutsch.«

»Ja. Wir sind also Landsleute.«

»Wer hätte das gedacht! Das ist mir wirklich eine außerordentliche Freude.«

»Mir natürlich auch. Und da es so steht, will ich Dir mein unbedingtes Vertrauen schenken. Ein Landsmann wird den Andern nie verrathen. Schlag ein! Wir wollen gute Freunde sein und uns gegenseitig unterstützen, damit wir glücklich aus diesem vermaledeieten Lande hinaus kommen.«

Sie schüttelten sich herzhaft die Hände, dann fragte Georg von Adlerhorst:

»Also wirst Du jetzt mit mir gehen?«

»Ja.«

»So komm!«

»Aber vorsichtig!«

»O, wir haben nichts zu befürchten. Die beiden Kerls stecken ganz gemüthlich in der Räucherkammer, und alle Anderen schlafen. Kein Mensch wird uns sehen.«

Sie gingen still nebeneinander nach dem Hause. Boroda behielt aber trotz alledem die Pistole in der Hand.

»Man kann niemals zu vorsichtig sein,« sagte er. »Ich lasse mich nicht überrumpeln.«

»So traust Du mir nicht?«

»O doch! Aber ist es nicht möglich, daß uns ein Feind begegnet, den auch Du noch nicht kennst?«

»Das ist freilich keine Unmöglichkeit.«

Sie gelangten auf den Vorplatz des Wohngebäudes. Georg gab Boroda eine Stellung, von welcher aus er in das erleuchtete Stübchen blicken konnte.

»Schau!« sagte er leise. »Dort befindet sich Brod, Speck und Schnaps für die »armen Leute«. Da sind die beiden Kerls eingestiegen.«

»Aber da müßten sie doch drin sein! Ich sehe sie nicht.«

»Aber die niedrige Thür siehst Du, welche uns grad gegenüber sich befindet?«

»Natürlich.«

»Sie ist um eine Spalte offen?«

»Ja«

»Dahinter stecken sie.«

»Also so ist es! Sie wollen mich einsteigen lassen, um mich dann sogleich zu ergreifen!«

»Nein, nicht gleich. Es liegt ihnen sehr viel daran. Dich erst mit dem Bauer zusammen kommen zu lassen, damit sie auch diesen in Strafe bringen können. Sie wollen ihn mit Dir abfangen.«

»Welch eine Schlechtigkeit! Ah, jetzt sehe ich, daß sich die Thür bewegt. Ja, es stecken Leute dahinter. Du hast Recht.«

»Was wirst Du nun thun?«

»Hm! Ich möchte Ihnen einen Streich spielen, so toll, wie sie ihn verdient haben.«

»Begieb Dich nur nicht unnöthiger Weise in Gefahr!«

»Fällt mir nicht ein. Uebrigens können solche Kerls einen Boroda gar nicht in eine Gefahr bringen. Wüßte ich nur, wo Peter Dobronitsch schläft!«

»In dem Giebelstübchen da rechts.«

»Ich werde ihn wecken.«

»Aber wie? Rufen darfst Du keinesfalls.«

»Nein. Ich werfe ein wenig Erde oder einige kleine Steinchen an sein Fenster.«

»Da mußt Du gewärtig sein, daß er laut herunter fragt, und das hören die Beiden.«

»Da hast Du Recht.«

»Wenn wir eine Leiter hätten, könnten wir an sein Fenster emporsteigen.«

»Eine Leiter wird wohl zu finden sein. Ich weiß, daß es hier Gebrauch ist, die Leiter an die Hinterwand des Hauses zu hängen. Dort hält man sie zum Gebrauch bereit. Komm! Wollen ein mal suchen.«

Sie begaben sich leise nach der hinteren Wand des Hauses. Da hing, wie Boroda vermuthet hatte, eine Leiter an der Mauer. Sie trugen dieselbe nach der Giebelseite und legten sie dort an. Sie reichte bis an den First des Gebäudes. Boroda stieg hinan und klopfte an das Fenster. Vorher aber hatte er Georg nach vorn geschickt, um Wache zu stehen, damit er ja nicht etwa von Propow und dem Wachtmeister überrascht werde.

Nach zweimaligem, leisem Klopfen öffnete Dobronitsch das Fenster. Er war keineswegs erschrocken, da es sehr oft vorkam, daß »arme Leute« des Nachts Hilfe bei ihm suchten.

»Wer ist da?« fragte er.

»Kennst Du mich nicht?«

Jetzt steckte der Bauer den Kopf ganz heraus und erkannte den Frager.

»Sapperment, Boroda, Du!«

»Ja. Hast Du mich nicht erwartet?«

»Nein. Heut nicht. Welch eine Unvorsichtigkeit!«

»Pah! Es steht nichts zu befürchten.«

»O doch! Ich wette um meinen Kopf, daß der Wachtmeister heimlich mit seinen Kosaken da ist!«

»Er ist da!«

»Siehst Du! Hast Du ihn bemerkt?«

»Ja. Aber er hat keine Kosaken mit.«

»Da irrst Du; da irrst Du ganz gewiß. Er hat welche mit. Du hast sie nur nicht gesehen.«

»Jetzt erklärte Boroda ihm Alles, was er gesehen und von Georg gehört hatte.

»Donnerwetter! Dieser Sergius ist mit da, um mich in das Verderben zu bringen?« sagte der Bauer. »Das kann ihm sehr schlecht bekommen!«

»Ich habe mit Dir zu sprechen. Hast Du Zeit?«

»Natürlich.«

»Ich komme gleich hinab. Ich muß mir auch die Situation betrachten.«

»Kannst Du nicht gleich herabsteigen?«

»Das thue ich nicht. Ich komme zur Hausthür hinaus.«

»Aber sachte, damit sie nichts davon hören!«

»Ich nehme mich schon in Acht. Erwarte mich unten!«

Er schloß sein Fenster, und Boroda stieg wieder von der Leiter herab. Er begab sich nach vorn zu Georg von Adlerhorst. Nach wenigen Minuten kam der Bauer aus dem Hause und trat zu ihnen. Er stellte sich so, daß er in das erleuchtete Kämmerchen blicken konnte.

»Ja,« sagte er nach einer kurzen Weile. »Sie sind eingestiegen. Die Thür zur Räucherkammer steht auf, und das Brod und der Speck liegen ganz anders, als ich es gelegt habe. Es ist Jemand eingestiegen.«

»Könnten wir doch diesen Kerls einen Streich spielen!« sagte Boroda.

»Das können wir, und das werden wir auch.«

»Aber wie?«

»Hm! Ich habe einen Gedanken. Wenn ich nur wüßte, ob sie sich vor mir sehen lassen, wenn ich in das Kämmerchen treten würde.«

»Sie werden sich hüten.«

»Meinst Du?«

»Ja. Sie wären ja blamirt. Ich bin überzeugt, daß sie die Thür herandrücken würden, damit Du nicht bemerken sollst, daß sie offen ist.«

»Wollen es einmal probiren.«

Er wollte fort. Boroda ergriff aber seinen Arm und warnte:

»Nimm Dich in Acht, und übereile nichts!«

»Es giebt hier kein Uebereilen.«

»Sage uns lieber erst, was Du machen willst!«

»Ich werde sie einschließen.«

»Aber wenn sie doch gegen alles Erwarten herauskommen, wenn Du in die Kammer trittst?«

»Ich denke nicht, daß sie es thun werden.«

»So versuche es!«

»Paßt auf! Ihr konnt ja von hier aus Alles genau sehen.«

»Ist die Thür verschlossen, welche vom Hausflur in das Kämmerchen führt?«

»Nein. Und diese Thür macht nicht das mindeste Geräusch. Ich werde hineinkommen, ohne daß sie es bemerken.«

Er ging, und nach einer kurzen Weile sahen sie ihn in die Kammer treten. Jetzt hörten die beiden Versteckten doch, daß Jemand da sei. Sie schoben die Thür heran.

»Sapperment!« sagte er. »Da hat Jemand die Thür zur Räucherkammer aufgelassen. Der Wind treibt mir den ganzen Ruß herein.«

Er schob klirrend den schweren, eisernen Riegel vor, und nun waren die Beiden fest eingeschlossen. Sodann begab er sich wieder hinaus zu den beiden. Lauschern.

»Sie sind nun selbst gefangen,« lachte er.

»Haben Sie nicht geklopft?« fragte Georg.

»Nein. Ich bin überhaupt so schnell fort, daß sie sich gar nicht erst besinnen konnten, ob es gerathen sei, zu klopfen.«

»Und was wirst Du nun mit ihnen beginnen?«

»Nichts. Sie mögen stecken.«

»Wie lange wohl?«

»Die ganze Nacht bis morgen.«

»Das halten Sie nicht aus. Sie werden Lärm machen.«

»Das höre ich nicht. Diese Schufte wollten mich in Schaden bringen, nun sollen sie dafür wenigstens gehörig ausgelacht werden. Ich freue mich königlich darauf, wenn ich sie am Tage vor allen Leuten herauslasse. Sie sollen sich schämen!«

»Ist viel Ruß darin?«

»Ja.«

»So werden sie schön aussehen!«

»Jedenfalls wie die Essenkehrer. Da kann ich sie nur getrost so anspritzen, wie heut den Wachtmeister und seine Kosaken, welcher – ah, da kommt mir ein köstlicher Gedanke. Wißt Ihr, was wir thun?«

»Nun?«

»Ich sprach soeben vom Anspritzen. Das können wir ja thun. Wir wässern sie ein.«

»Ah, das wäre ja wunderschön!« lachte Boroda. »Aber wie willst Du das anfangen?«

»Sehr einfach, durch die Feueresse.«

»Geht das?«

»Sehr leicht. Die Leiter ist ja bereits angelegt.«

»So brauchen wir Wasser und Eimer.«

»Eimer sind nicht nöthig. Ich habe ja meine Lederschläuche, welche stets bereit liegen für den Fall, daß einmal Feuer ausbricht. Wir schrauben sie an.«

»Reichen sie denn bis hinauf zur Esse?«

»Vollständig.«

»Aber dann läuft Dir das Wasser aus der Räucherei herein in das Kämmerchen!«

»Kein Tropfen kann herein. Die Thür schließt ja wasserdicht, weil mir sonst der Rauch beim Räuchern auch hereindringen würde.«

»So schadet aber das Wässer dem Mauerwerke.«

»Auch nicht. Die Räucherei ist ein viereckiger Raum, aus lauter starken Steinen errichtet. Oben führt ein enges Essenloch durch das Dach. Der ganze Raum ist vollständig leer. In den Mauern befinden sich kleine Löcher, in die ich die Stangen stecke, an welche die zu räuchernden Fische aufgehängt werden. Hängt die Kammer voll, so wird gleich unten auf dem Fußboden ein großes Holzfeuer angemacht und eine Menge Sägespäne darauf gethan. Dann verschließe ich die Eisenthür, und nach kurzer Zeit sind die Fische geräuchert. Durch die Thür kann keine Spur von Rauch, also wird sie auch kein Wasser durchlassen. Ja, das Wasser wird sie nur um so fester in die Fugen drücken.«

»Sapperment! Willst Du so viel Wasser hinein lassen?«

»Ich möchte!«

»Daß sie gar ersaufen!«

»Nein, so viel nicht. Aber es würde ein Gaudium sein, wenn es so hoch stände, daß es ihnen bis unter die Arme ginge.«

»Hm! Ist das nicht gefährlich?«

»O nein. Solche Ratten ersaufen nicht.«

»Aber die Mauer wird doch durchweichen.«

»Schwerlich. Sie besteht aus festem Gestein. Und selbst wenn das Wasser einen kleinen Schaden verursachen sollte, brauche ich es nicht zu scheuen. Ich habe ja verkauft. Mir thut es nichts. Also, wollen wir?«

»Ich bin dabei.«

»Ich auch,« stimmte Georg ein.

»So kommt mit an den Brunnen!«

Sie traten zunächst ganz nahe an das Fenster heran und lauschten. Es ließ sich nichts hören. Die beiden Eingeschlossenen verhielten sich ganz ruhig. Sie schienen die Hoffnung zu hegen, daß irgend ein Zufall sie aus ihrer Lage befreien werde, ohne daß sie sich zu blamiren hätten.

Nun begaben sich die Drei nach dem bereits erwähnten Brunnen. Neben demselben befand sich ein kleines mit Thon ausgeschlagenes Loch in der Erde. Es war mit Wasser gefüllt, in welchem die ledernen Schläuche aufbewahrt wurden, damit sie stets biegsam bleiben möchten.

Es wurde einer an den andern geschraubt und dadurch eine Leitung hergestellt, welche vom Brunnen bis hin zum Gebäude und auf das Dach desselben reichte. Das eine Ende dieses Schlauches wurde an dem hohen Brunnenrohre befestigt.

»Bleib Du einstweilen hier,« bat der Bauer Georg. »Wenn ich pfeife, drehest Du den Hahn auf und kannst dann nachkommen.«

Er selbst nahm mit Boroda die lange Leitung auf und legte sie bis an das lange Gebäude. Dann stiegen sie vermittelst der Leiter auf das Dach und setzten sich rittlings auf die Firste, der Eine hüben und der Andere drüben, so daß sie die Esse zwischen sich hatten. Den Schlauch hielten sie in den Händen.

Das hatten sie Alles so leise bewerkstelligt, daß die unter ihnen in der Räucherkammer Steckenden gar kein Geräusch gehört hatten.

Nun stieß der Bauer einen Pfiff aus, leise, zwar aber doch so, daß Georg es hören konnte. Der Letztere kam dann schnell herbei und stieg auch auf der Leiter heran. Er blieb auf einer der oberen Sprossen stehen und konnte nun dem Werke in aller Gemüthlichkeit zuschauen.

»Jetzt scheint das Wasser zu kommen,« flüsterte der Bauer. »Der Schlauch wird bereits schwer.«

»Ja, es ist bereits da,« stimmte Boroda bei. »Halte die Mündung in die Esse!«

Der Bauer that dies. Der Druck trieb das Wasser wirklich bis zur Esse empor, und als der Bauer den Finger von der Mündung entfernte und diese Letztere in die Esse hielt, hörte man das Wasser mit aller Deutlichkeit unten auftreffen.

»Donnerwetter!« ertönte von unten die Stimme des frommen Nachbars.

»Alle Teufel! Was ist das?« rief der Kosakenwachtmeister laut.

»Das klingt grad wie Wasser!«

»Ganz so.«

»Wo ists denn?«

»Bei mir nicht. Es muß bei Dir sein.«

»Da ists auch nicht, sondern wohl hier in der Mitte, grad unter der Esse. Ich will doch einmal – – heiliges Pech!«

Er war unter die Esse getreten, und er bekam den starken, kalten Wasserstrahl grad auf den Kopf.

»Was ists denn?« fragte der Andere.

»Weiß Gott, es ist Wasser!«

»Wirklich? Das ist doch gar nicht möglich! Wo soll es denn herkommen?«

»Von oben natürlich, Dummkopf!«

»Schafskopf! Das weiß ich auch. Ich will doch mal sehen, woher es – – Kreuzmillionenhagelwetter! Das läuft ja armstark!«

»So kam es mir auch vor.«

»Sollte es denn angefangen haben, zu regnen?«

»Das läßt sich schwer denken. Der Himmel war ja ganz sternenhell.«

»Es ändert sich zuweilen in wenigen Minuten.«

»Aber so stark gießt es doch nicht!«

»Esel! Natürlich regnet es nicht solche Schiffsseile; aber die Tropfen laufen in der Feueresse zusammen. Das giebt so einen Strahl.«

»Schimpfe nicht. Merkst Du denn nicht, wie dick dieser Strahl ist!«

»Hm! Es ist freilich außer allem Spaße!«

»Das denke ich auch. Die Esse ist doch sehr enge. Wie kann es so viel hereinregnen! Es ist grad so, als ob ein Wolkenbruch niederginge und grad hier oben zur Esse herein! Wie das drascht!«

Allerdings »draschte« es ganz gewaltig.

»Du, ob es ein Gewitter ist?« fragte Sergius.

»Nein,« antwortete der Kosak. »Da würde es doch donnern. Das müßten wir hören.«

»Es giebt auch Gewittergüsse ohne Donner.«

»Mag sein; aber mir ist das ganz unbegreiflich. Mir steigt das Wasser weiß Gott bereits schon über die Füße!«

»Mir auch.«

»Es wird Euch schon noch höher steigen,« lachte Dobronitsch leise.

»Paßt einmal auf,« flüsterte Georg. »Ich werde es blitzen lassen.«

»Wie denn?«

»Mit einem Streichholze.«

Er zog ein Zündhölzchen hervor und strich es grad über der Esse an. Es leuchtete auf, und da die Esse gar nicht hoch war, drang die Helligkeit bis hinab.

»Du, hast Du es gesehen?« fragte der Kosakenwachtmeister.

»Ja. Es blitzte.«

»So horch! Da wird gleich auch der Donner kommen.«

Sie horchten eine ganze Weile, aber es ließ sich kein Donner hören.

»Da ist das Gewitter noch sehr weit von hier,« meinte Sergius.

»Weit von hier? Sapperment, ich dächte, es wäre nahe genug!«

»Nein. Erst wenn Blitz und Donner ganz zusammenfallen, ist es hier.«

»Was geht mich der Blitz und was geht mich der Donner an, wenn es regnet wie bei der Sündfluth! Greif nur einmal nieder! Daß Wasser steht schon wenigstens sechs Zoll hoch.«

Sergius schien wirklich die Höhe des Wassers mit der Hand zu messen, denn er antwortete:

»Wenigstens sechs Zoll! So Etwas ist mir noch niemals wiederfahren.«

»Mir auch nicht. Schau! Es blitzt wieder.«

Georg hatte, wieder ein Zündholz aufflammen lassen.

»Ja, es muß ein sehr schweres Wetter sein,« bemerkte Sergius. »Es ist so weit entfernt, daß man den Donner gar nicht hört, und doch gießt es wie aus einem Spritzenschlauche.«

»Da hat er sehr recht,« lachte oben Boroda leise. »Es wird noch besser kommen!«

Die drei oben Sitzenden hörten ganz deutlich, was unten gesprochen wurde. Jetzt blieb es eine Weile still. Dann hörte man den Kosakenwachtmeister sagen:

»Du, messe einmal! Wie hoch geht Dir das Wasser?«

»Herrgott! Bis an die Kniee!«

»Mir auch.«

»Das ist wirklich die reine Sündfluth!«

»Eine verdammte Geschichte! Wenn es nur wenigstens bald aufhalten wollte.«

»O, das macht fort!«

»So, meinst Du?«

»Ja. Das hört nicht eher auf, als bis es sich abgewittert hat. Und jetzt haben wir noch nicht einmal den Donner gehört.«

»Das ist ein schöner Trost! Wenn es nach Deiner Ansicht geht, so sind wir längst ersoffen, ehe es sich abgewittert hat.«

»Das wolle Gott verhüten!«

»Ja. Er mag mir gnädig aus dieser Patsche helfen. Dich kann er meinetwegen ertrinken lassen!«

»Versündige Dich nicht an mir!«

»O an Dir kann man sich gar nicht gut versündigen.«

»Treibe keinen Spott! Bei so einem Wetter muß man andächtige Gedanken hegen!«

»Bleibe mir mit Deiner Andacht vom Leibe! Sage mir lieber, wie wir uns aus dieser Schwemme befreien können!«

»Weiß ich es?«

»Hm! Ein Fenster ist nicht da!«

»Leider!«

»Und die Thür hat dieser Kerl verriegelt.«

»Den hat der Teufel hergeführt!«

»Mag er dafür seiner Zeit vom Teufel geholt werden! Wir müssen klopfen.«

»Können wir das nicht umgehen?«

»Ja, wenn es zu umgehen wäre! Wir blamiren uns auf eine schreckliche Weise, wenn man uns zu sehen bekommt.«

»So klopfen wir lieber nicht.«

»Aber hier bleiben können wir doch auch nicht. Das Wasser steigt mir ja bereits bis an die Oberachsel. Wenn das so fort geht, kann ich in zwei Minuten schwimmen!«

»Ich kann gar nicht schwimmen!«

»Da stirbst Du schneller. Ich beneide Dich.«

»Sei still! Um Gotteswillen sei still! Ich mag um keinen Preis ersaufen!«

»Ich auch nicht gern. Das kannst Du Dir doch denken. Giebt es denn keine Rettung aus diesem fürchterlichen Regenwetter! Hm! Wenn wir zur Esse hinaus könnten!«

»Vielleicht geht es.«

»Wollen es versuchen. Du bist dürrer als ich. Ich will mich bücken. Steig mir einmal auf den Rücken. Dann kannst Du hinauflangen in das Loch.«

Als Dobronitsch diese Worte hörte, hielt er das Mundstück des Schlauches mit dem Finger zu und wartete.

Ein Aechzen und Krächzen ließ sich hören.

»Na, steig!« sagte der Kosak.

»Ja, gleich! Jetzt, jetzt.«

»Kannst Du die Esse erreichen?«

»Ja, ich habe sie.«

»Kannst Du hinein?«

»Nein. Sie ist zu eng, und – ja, was ist denn das? Ich kann jetzt hinaussehen, ganz deutlich. Da ist ein ganz schöner Sternenhimmel.«

»Wirklich?«

»Ja.«

»Unmöglich! So schnell hört kein Regen auf.«

»Und doch hat er aufgehört. Oder hörst Du etwa noch das Wasser laufen?«

»Allerdings nicht.«

»Nun also! Es hat aufgehört. Ich sehe alle Sterne am Himmel leuch – – – Oh! Ach! Au! Puh! Himmelsakrament!«

Dobronitsch hatte dem Emporblickenden den Strahl grad ins Gesicht gelassen. Man hörte unten einen derben Plumps und dann ein anhaltendes Glitschen und Plätschern.«

»Was giebts denn?« fragte der Kosak.

»Ich bin in das Wasser gestürzt, von Deinem Rücken herab.«

»Da bist Du selber schuld. Warum steigest Du nicht langsam herunter!«

»Es warf mich herab.«

»Wer denn?«

»Das Wasser. Es hat wieder angefangen. Hörst Du es denn nicht wieder?«

»Hm! Das läuft allerdings wie aus einem Röhrbrunnen. Und da redest Du von einem heitern Sternenhimmel!«

»Ich habe ihn gesehen.«

»Unsinn! Aber das Wasser steigt immer höher und höher. So Etwas ist doch kaum denkbar. Regen kann das nicht sein. Das ist unmöglich.«

»Was denn?«

»Wenn ich das wüßte.«

»Ein Wolkenbruch ist es. Mir ist das Wasser schon bis an die Hüfte gestiegen. Du, ich warte nicht länger. Ich klopfe.«

»Ja, vielleicht ist es das Allerbeste. Hoffentlich hört man uns!«

Die drei Lauscher hörten ein lautes Klopfen.

»Jetzt wecken sie Deine Leute auf,« flüsterte Boroda.

»O nein. Das Gesinde schläft im anderen Gebäude, und Frau und Tochter schlafen zwar im Hause, aber auf der anderen Seite. Die Kerls mögen nur klopfen. Kein Mensch wird sie hören.«

Nachdem die Beiden eine Zeitlang an die Thüre gedonnert hatten, warteten sie, ob man sie gehört haben werde. Nach einer längeren Weile sagte Sergius:

»Es kommt kein Mensch!«

»Kein Einziger. Es hat uns Niemand gehört. Wir müssen noch einmal klopfen.«

Sie pochten abermals und zwar aus Leibeskräften, aber ebenso vergebens. Dabei gaben sie weniger auf das Steigen des Wassers acht. Jetzt aber rief Sergius erschrocken:

»Sapperment, Wachtmeister! Mir geht das Wasser schon bis an die Brust!«

»Weiß Gott, es ist wahr! Das ist zu toll! Das ist wirklich kein Regen. Das kann kein Regen sein. Ein Regen von solcher Stärke ist ganz und gar unmöglich. Denke nur, die Oeffnung der Feueresse ist kaum einen Quadratschuh groß. Wenn auf so eine winzige Fläche eine solche Regenmasse kommt, wie wir hier in der Räucherei haben, was für eine Fluth müßte es draußen geben!«

»Du hast Recht. E« müßten sämmtliche Wolken herabgefallen sein.«

»Und das würde nicht ausreichen. Nein, ich wette um Alles mit, daß das kein Regen ist. Das ist ein wirklicher Wasserstrahl, kein natürlicher, sondern ein künstlicher.«

»Alle tausend Teufel! Wer sollte den herablassen?«

»Hm! Kannst Du es Dir nicht denken?«

»Nein.«

»So beweisest Du abermals, daß Du die Klugheit nicht mit Löffeln gegessen hast.«

»Ja, Du bist der Kluge abermals. Du wirst aber auch nicht wissen, woran Du bist.«

»Oho! Ich weiß es ganz genau.«

»Wirklich?«

»Ja. Und wenn Du an das denken wolltest, was Du bereits erlebt hast, so würdest Du auf den richtigen Gedanken kommen.«

»So! Ach! Der Bauer hat mich heut bereits einmal angespritzt. Meinst Du etwa, daß er es jetzt auch wieder thut?«

»Ja.«

»Höre, das wollte ich mir freilich verbitten!«

»Nun, so verbitte es Dir! Wie willst Du das anfangen?«

»Ja, das weiß ich auch nicht.«

»Es ist mir schon vorhin der Gedanke gekommen, daß das Wasser aus der verdammten Feuerspritze des Peter Dobronitsch kommt. Er hat ja Schläuche, welche von dem Brunnen an bis hieher reichen.

»So müßte er doch wissen, daß mir uns hier befinden!«

»Allerdings. Der Kerl hat vorhin nur so gethan, als ob er keine Ahnung davon habe. Er muß gesehen haben, daß wir eingestiegen sind.«

»Wenn diese Vermuthung richtig wäre, so müßte er droben auf dem Dache sitzen.«

»Jedenfalls.«

»Donnerwetter! So weiß er, daß wir ihn mit dem Boroda fangen wollen, und beabsichtigt nun, sich an uns zu rächen!«

»Das ist ihm zuzutrauen.«

»Wachtmeister, der Kerl will uns tödten! Er beabsichtigt, uns hier zu ersäufen!«

»Das müssen wir freilich befürchten.«

»Herrgott! Das sagst Du so ruhig!«

»Ich bin keineswegs so ruhig, wie Du denkst.«

»Aber es ist doch gefährlich für ihn. Es muß ja unbedingt entdeckt werden!«

»O nein. Wenn wir ersoffen sind, läßt er das Wasser ablaufen und schafft unsere Leichen in den See. Er hat ja gar nicht weit bis dahin. Dann heißt es, wir sind im See ertrunken, und wenn uns nachher der Arzt aufschneidet, um sich über die Ursache unseres Todes zu überzeugen, so stimmt es. Wir haben die Lungen und den ganzen Leib voller Wasser.«

»Eine schöne Aussicht.«

»Denkst Du, daß sie mir gefällt!«

»Können wir uns denn nicht dagegen wahren?«

»Nein. Hinaus können wir nicht, weder durch die Thür noch durch die Feueresse.«

»Aber könnten wir denn nicht ein Loch durch die Mauer brechen, um hinauszukommen?«

»Womit denn?«

»Herrgott, ja! Wir haben keine Hacke, kein Brecheisen, nicht einmal einen armseligen Hammer!«

»Und selbst wenn wir so ein Handwerkszeug hätten, steigt doch das Wasser so rapid, daß wir ersoffen wären, ehe wir ein Loch, welches groß genug ist, fertig bringen.«

»Was ist da zu thun, was ist da zu thun!«

Er rief das in einem Tone, welchen nur die Todesangst eingeben kann.

»Ich weiß es nicht.«

»So denke nach, denke nach!«

Es wurde auf kurze Zeit ruhig unten; dann hörte man Sergius Propow sagen:

»Ich habs, ich habs!«

»Nun, was denn?«

»Wenn Peter Dobronitsch mit dem Schlauche auf dem Dache sitzt, so muß er durch die Esse Alles hören, was wir reden?«

»Ja, wirklich. Daran habe ich nicht gedacht!«

»Er wird es also auch vernehmen, wenn wir ihm gute Worte geben?«

»Allerdings.«

»Wollen wir?«

»Hm! Es ist das wirklich das einzige Mittel, dem Tode des Ertrinkens zu entgehen.«

»So rufe einmal!«

»Das kannst Du auch thun.«

»Es ist ganz gleich, wer es thut, ob Du oder ich. Ich will es einmal versuchen.«

Er erhob seine Stimme im kläglichen Tone:

»Peter Dobronitsch!«

»Soll ich antworten?« flüsterte der Genannte den beiden Andern zu.

»Nein, auf keinen Fall,« antworte Boroda, »Du würdest Dich in eine große Gefahr begeben.«

»Das ist richtig. Also schweigen wir!«

»Dobronitsch!« rief es abermals. »Peterchen! Nachbarchen! Hörst Du nicht?«

Keine Antwort erfolgte.

»Nachbarchen, mein Seelchen, mein Freundchen!«

Die beiden Geängsteten lauschten angestrengt, aber keine Antwort ließ sich hören.

»Mein Engelchen, willst Du uns, Deine besten Freunde, elend ersaufen lassen!«

Auch dieser Ruf war vergeblich.

»So sprich doch, rede doch! Laß Dich hören! Wir werden Dir niemals Etwas zu Leide thun!«

Aber dieses Versprechen half auch nichts.

»Gott, er ist nicht da!«

»Ja, er würde doch wohl antworten, wenn er da wäre. Wir haben uns doch getäuscht.«

»Und müssen elend umkommen! Warum bin ich so albern gewesen, mich von Dir gegen ihn aufhetzen zu lassen!«

»Schweig! Ich habe Dich nicht aufgehetzt. Es war Dein eigener Wille, Dich zu rächen!«

»Nein! Du hast mich verführt!«

»Kerl, bringe mich nicht noch in Wuth, sonst erwürge ich Dich, noch ehe Du ersoffen bist! Mir ist alles egal.«

»Welch eine Nacht, welch eine Nacht! Hier den langsamen sichern Tod vor Augen zu haben!«

»Ich habe es nicht besser wie Du.«

»Das Wasser geht mir schon bis unter die Arme. Es hebt mich. Ich schwimme bereits!«

»Vorhin sagtest Du, daß Du nicht schwimmen könntest. Schau, wie schnell Du es gelernt hast.«

»Spotte nicht auch noch!«

»Wenn Du mich nicht anhören willst, so tauche unter, dann ist es aus mit Dir. Sapperment! Wer stößt mich denn da? Bist Du das gewesen?«

»Nein.«

»Es gab mir Jemand einen Stoß. Aber es kann doch Niemand hier sein. Es war da links von der Wand her. Will einmal fühlen.«

Er schien um sich zu tasten und sagte dann:

»Da, da habe ich es erwischt, ein großes, dickes Bündel, welches auf dem Wasser schwimmt.«

»Was ist es denn?«

»Ich weiß es nicht. Ich habe nur das Ende in der Hand. Es scheinen, zusammengebundene Lanzen zu sein.«

»Lanzen? Wie kämen die in die Räucherei?«

»Räucherei? Ach, ich habs, ich habs! Ich weiß was es ist. Es sind die Stangen, an denen die Fische beim Räuchern aufgehängt werden.«

»Ach, ich besinne mich. Als wir hereintraten, fiel der Schein der Lampe in die Ecke. Da lehnten die Stangen. Ich habe nicht an sie gedacht.«

»Vielleicht können sie uns zur Rettung dienen. Wenigstens können wir durch sie den Tod noch hinausschieben.«

»Wieso?«

»Wir stecken sie in die für sie bestimmten Mauerlöcher und setzen uns darauf.«

»Werden sie halten?«

»Sicher. Zu solchen Stangen pflegt man gewöhnlich hartes Holz zu nehmen. Buche oder Eiche.«

»Retten können sie uns auch nicht, denn das Wasser hört nicht auf zu steigen. Wir verlängern nur die Todesqual.«

»Mag sein. Aber ich will Alles benutzen. Ich will nicht eher als bis im letzten Augenblick sterben. Komm, hilf mir, das Bündel aufmachen! Knüpfen wir die Schnuren auf!«

Die Drei oben hielten die Ohren an die Feueresse. Sie hörten Alles, Sie vernahmen jetzt ein vermehrtes Plätschern. Die Lage der beiden Menschen da unten war eine keineswegs beneidenswerthe.

»Wollen wir nicht aufhören?« fragte Georg.

*


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