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Er trat an das Fenster und blickte nachdenklich hinaus. Er rieb sich die Stirn, er brummte, kurz und gut, er geberdete sich ganz und gar wie ein Mensch, der sich auf das Lebhafteste mit einem Gedanken beschäftigt.
Endlich drehte er sich um. Er erklärte:
»Ich kann es mir überlegen, wie ich will, so finde ich, daß ich auf das Armseligste behandelt worden bin. Ich kann mich nicht meiner Haut wehren, sondern ich kann mich nur rächen. Gegen diese Normanns habe ich schon seit Langem einen unheilbaren Groll gehabt; nun, wenn ich denselben setzt gegen sie loslasse, so ist das nur eine Gegenwehr, aber keine Sünde. Ich will Ihnen helfen, falls es Etwas einbringt und ich keinen voraussichtlichen Schaden davon habe.«
Eine so schnelle Zustimmung hatte sie nicht erwartet. Der Pascha war hoch erfreut über dieselbe und sagte:
»Daran handeln Sie sehr klug. Wir werden es so einrichten, daß Sie keinen Schaden haben. Und mit Ihrer Belohnung sollen Sie auch zufrieden sein.«
»Wie hoch wird sich dieselbe belaufen?«
»Nun, ich denke, sie soll darin bestehen, daß ich Ihnen eine Stellung gebe?«
»Hm! Herr, nehmen Sie es mir nicht übel! Das ist mir zu unbestimmt.«
»Nun, wieso?«
»Was für eine Stellung soll es sein?«
»Eine für Sie passende. Wenn wir nach Constantinopel kommen, werden wir ja sehen, was für Sie paßt.«
»Ja, das eben ist mir zu unbestimmt. Ich bin ein alter Mann. Wozu wollen Sie mich brauchen, zumal ich nur Deutsch verstehe. Wenn ich Ihnen einen bestimmten Dienst erweisen soll, so ist es mir am Liebsten, wenn ich auch einen ganz bestimmten Lohn dafür verlangen kann.«
»Sie meinen Geld?«
»Ja.«
»Ist mir auch Recht.«
»Das freut mich. Ich sehe, daß Sie es lieben, ein glattes Geschäft zu machen.«
»Wir verstehen uns. Also sagen Sie mir, wie viel Sie verlangen.«
»Das kann ich nicht sagen, denn ich weiß noch gar nicht, was von mir gefordert wird. Darf ich das erfahren?«
»Ja, falls Sie uns das heilige Versprechen geben, daß Sie uns nicht verrathen.«
»Herr, was denken Sie!«
»Sie dürfen das nicht übel nehmen, denn wir kennen uns ja noch gar nicht.«
»Ich will mich rächen; aber ein schlechter Kerl oder gar ein Verräther bin ich nicht. Sie können sich ja denken, daß ich schon um meiner selbst und um meiner Nichte willen verschwiegen sein muß.«
»Das denke ich allerdings, und so will ich Ihnen vertrauen.«
»Gut! Was verlangen Sie also von mir?«
»Daß Sie mir ein Versteck überlassen.«
»Für Tschita und Zykyma?«
»Ja.«
»Für weiter Niemand?«
»Kommt es so genau darauf an?«
»Gewiß.«
»Wenn das Versteck erst da ist, so scheint es mir gleich zu sein, ob einige Personen mehr oder weniger dasselbe bewohnen.«
»O nein, das ist ein gewaltiger Unterschied. Dieser Letztere tritt erst später zu Tage. Die beiden Frauen nehmen Sie mit nach Constantinopel?«
»Ja.«
»So können dieselben mir keinen Schaden machen. Was aber thun Sie mit den anderen Personen, die Sie in das Versteck locken wollen?«
»Das weiß ich noch nicht.«
»Und gerade darauf kommt es an. Die beiden Frauen werden in Ihrer Gewalt bleiben, können mich also niemals verrathen. Die Anderen aber können Sie doch nicht mitnehmen, sie bleiben hier, sie müssen von uns frei gelassen werden, und dann muß es mir traurig ergehen.«
Der Pascha blickte sinnend vor sich nieder, sah ihm dann forschend in das Gesicht und sagte:
»Müssen sie denn frei werden?«
»Ja. Ich kann sie doch nicht ewig hier bei mir behalten, zumal ich fort muß.«
»Hm! Könnte ihnen nicht irgend ein Unfall passiren?«
»Sie meinen etwa –«
Er sprach nicht aus.
»Ja, ich meine –« nickte der Pascha mit bezeichnender Geberde.
»Einen tödtlichen Unfall?«
»So ähnlich.«
»Ach, das ist freilich –«
Er trat wieder an das Fenster und grübelte. Erst nach einer Weile fragte er Lina:
»Was sagst Du dazu?«
Ihr schönes Gesicht hatte einen strengen, unversöhnlichen Ausdruck angenommen.
»Onkel,« antwortete sie, »hat Normann Erbarmen mit mir gehabt?«
»Nein, das ist freilich wahr.«
»Hat man heute Erbarmen mit Dir?«
»Auch nicht.«
»Und es wird Dir fürstlich bezahlt werden. Also, sei gescheidt!«
»Kind, es widerstrebt mir!«
»Pah! Diesen Leuten hat es auch nicht widerstrebt, uns Böses zu thun.« »Aber ein Mord! Mehrere Morde!«
»Mußt Du sie morden?«
»Ich denke, sie sollen verunglücken!«
»Ja; aber kann das nicht zufällig geschehen?«
»Das ist eine Spitzfindigkeit, die mich nicht beruhigen kann. Ob ich Jemandem mit einer Kugel oder mit einer Gelegenheit den Tod gebe, das bleibt sich ganz gleich.«
»So hast Du Angst?«
»Nein, aber etwas Anderes. Wenn ich selbst – hm! Wie viele Personen sind es denn?«
»Nur drei oder vier,« antwortete der Pascha leicht hin.
»Also gerade Diejenigen, welche ich am Meisten hasse! Es ist – es ist – gut, Herr! Ich will es auf mich nehmen.«
»Wirklich? Versprechen Sie es mir?«
»Ja.«
»Ihre Hand darauf!«
»Hier! Natürlich aber setze ich voraus, daß wir uns über den Preis einigen werden.«
»Das werden wir gleich probiren. Sie wissen jetzt, was ich von Ihnen verlange. Sie können nun also auch Ihre Forderung stellen.«
»Wie lange soll ich Tschita und Zykyma hier bei mir verborgen halten?«
»Das weiß ich selbst noch nicht. Ich muß warten, bis ich sie ohne Gefahr mitnehmen kann! Sagen wir drei Wochen.«
»So lange muß ich sie beköstigen und bewachen. Aber das ist das Allerwenigste. Was sie essen und trinken, ist nicht der Rede werth. Mein Risico ist die Hauptsache; das muß natürlich bezahlt werden. Ich riscire lebenslängliches Zuchthaus. Geben Sie zweitausend Mark?«
»Ja.«
»Und wann?«
»Fünfhundert sofort, fünfzehnhundert dann, wenn wir die beiden Frauen im Verstecke haben.«
»So bin ich einverstanden.«
»Und ich werde zahlen. Hier!«
Er zog fünf Hundertmarkscheine aus der Brieftasche und legte sie ihm hin. Der Castellan steckte sie ein und fuhr fort:
»Nun kommen die Anderen daran. Was zahlen Sie da pro Mann?«
»Wie viel verlangen Sie?«
»Hm! Auch zweitausend.«
»Ich will nicht handeln.«
»Also einverstanden?«
»Ja.«
»Und wann bekomme ich das Geld?«
»Sie bekommen es, sobald der Unglücksfall eingetreten ist.«
»Oder die Unglücksfälle, denn es werden einzelne Fälle sein, außer ich arrangire die Sache anders. Es kommt eben Alles darauf an, wie mir diese Personen geliefert werden, ob einzeln oder gleich in Gemeinschaft zusammen.«
»Das überlässest Du mir,« sagte Lina. »Ich muß da erst sehen, auf welche Weise es zu ermöglichen ist. Vor allen Dingen müssen wir wissen, was für einen Versteck Du hast.«
»O, es giebt hier verschiedene. Ich kann ganz nach Belieben wählen, und es fragt sich nur, wie die Damen gehalten werden sollen.«
»Natürlich streng, als Gefangene,« antwortete der Pascha.
»Da habe ich unterirdische Schauerzellen und aber auch oberirdische Stuben mit einem Fenster und Tisch, Stuhl und Bett.«
»Unterirdisch! Sie sollen es empfinden, in wessen Hände sie gerathen sind.«
»Gut. Sie werden dadurch gefügig werden. Soll ich sie vereint oder getrennt einschließen?«
»Getrennt. Das verschärft die Strafe. Können wir vielleicht die Zellen sehen?«
»Ich werde sie Ihnen zeigen.«
»Und – was die Hauptsache ist – ich möchte natürlich auch gern wissen, in welcher Weise die Anderen verunglücken werden.«
»Das ist sehr einfach; sie stürzen in einen Brunnen, der über hundert Fuß tief ist.«
»Sie werden sich hüten!«
»O, sie müssen!«
»Sie werden doch die Oeffnung sehen!«
»Nein, die ist verborgen. Man scheint schon in früherer Zeit den Brunnen zu dem gleichen Zweck benutzt zu haben.«
»Sie vermuthen dies?«
»Ja. Ich habe meine Gründe dazu, und Sie werden mir beistimmen, wenn Sie die Oertlichkeit sehen.«
»Sie werden sie uns nachher zeigen. Vorher aber habe ich noch einen letzten Punkt mit Ihnen zu besprechen, einen Punkt, der Ihnen noch eine weitere Gratification einbringen wird.«
»So? Das hört man gern.«
»Dieser Steinbach nämlich, Normann, Adlerhorst und alle diese Menschen haben sich eines Freundes von mir bemächtigt, welchen ich unter den Schutz Ihrer liebenswürdigen Nichte gegeben habe –«
»In diesem Falle steht er natürlich auch unter dem meinigen.«
»Sehr schön! Aber warten Sie! Der Mann soll nämlich erst unter Ihren Schutz gestellt werden; er ist nämlich nicht frei.«
»Ah! Ein Gefangener etwa?«
»Ja.«
»Wo?«
»Auf Schloß Wiesenstein. Ihr guter Feind, der Schloßverwalter, hält ihn gefangen.«
»Was hat der Mann denn verbrochen?«
»Weiter gar nichts, als daß er ein Feind Normanns ist und sich der Entführung meiner Frauen widersetzt hat.«
»Das ist ja kein Verbrechen, sondern sogar eine gute That!«
»Freilich! Leider ist er so unvorsichtig gewesen, nach Deutschland zu kommen; sie haben ihn gesehen und sich seiner bemächtigt. Jetzt soll ihm der Proceß gemacht werden. Sie stellen ihn unter Anklage, legen natürlich falsches Zeugniß gegen ihn ab, beschuldigen ihn allerhand schwerer Verbrechen, und da er sich nicht zu vertheidigen vermag, steht seine sichere Bestrafung in Aussicht.«
»Donnerwetter! Das dürfen Sie nicht dulden. Sie müssen sich seiner annehmen.«
»Wie denn?«
»Sie müssen als Zeuge für ihn, aber gegen diese Kerls auftreten.«
»Das ist der schlechteste Rath, den Sie mir geben können.«
»Wieso?«
»Sehen Sie denn nicht ein, daß ich mich so viel wie möglich im Hintergrunde halten muß?«
»Hm! Das ist wohl wahr.«
»Ich darf mich gar nicht mit dieser Sache beschäftigen, durch welche ich nicht nur die amtliche, sondern auch die öffentliche Aufmerksamkeit auf mich laden würde.«
»So wollen Sie den armen Teufel opfern?«
»Nein. Ich befreie ihn.«
»Ist das möglich?«
»Es ist sogar sicher. Wir haben auf dem Schlosse einen Angestellten gewonnen, der ihn herausläßt. Wir holen ihn ab.«
»Ah, das ist gut! Das freut mich königlich!«
»So?«
»Ja, denn das wird für den Schloßverwalter, der mich abgesetzt hat, eine entsetzliche Schlappe geben. Er soll ihn bewachen und läßt ihn entfliehen! Er muß also unbedingt eine ganz bedeutende Nase erhalten.«
»Ganz richtig! Sie sehen aber ein, daß man Alles thun wird, des Entflohenen wieder habhaft zu werden?«
»Jedenfalls. Der Telegraph wird spielen und die Polizei wird Tag und Nacht auf den Beinen sein.«
»In diesem Falle ist vorauszusehen, daß man ihn ergreifen wird. Darum möchte ich ihm zu einem Verstecke verhelfen. Später reist er mit mir ab.«
»Soll er sich auch hier verstecken?«
»Ja. Nämlich wenn Sie bereit sind, es ihm zu gewähren.«
»Hm! Eine gefährliche Sache!«
»Nicht gefährlicher als das Andere auch.«
»Sehr strafbar!«
Er machte ein höchst bedenkliches Gesicht.
»Es kommt aber doch auf Eins heraus, ob Sie nur die beiden Frauen verstecken oder noch Jemand dazu!«
»Nein. Die Frauen sind Ihr rechtmäßiges Eigenthum, da habe ich wenigstens Grund zu einer Entschuldigung.«
»So wollen Sie also nicht?«
»Herr, ich möchte nicht!«
»Onkel,« rief Lina, »Du hast ja bereits gesagt, daß Du ihn unter Deinen Schutz nehmen willst, weil er unter dem meinigen steht!«
»Na, freilich! Ich bin da wohl einmal ein Wenig unbedacht gewesen.«
»Aber Wort wirst Du doch halten.«
»Ich bezahle es ja!« erklärte der Pascha.
»So! Wieviel geben Sie denn?«
»Denselben Preis wie bei den Frauen.«
»Also zweitausend?«
»Nein, sondern die Hälfte.«
»Da widersprechen Sie sich. Sie sagten ja soeben, daß Sie so viel wie bei den Frauen geben wollen.«
»Ja, nämlich pro Person tausend Mark. Das ist doch richtig!«
»Und wann?«
»Sobald er kommt.«
»Darauf gehe ich nicht ein. Ist es überhaupt sicher, daß er kommen wird?«
»Er kommt gewiß.«
»Dann können Sie ja pränumerando zahlen. Ein so reicher und vornehmer Herr, wie Sie sind, kann das schon thun, so einem armen Teufel gegenüber.«
»Nun gut, damit Sie sehen, daß ich nobel bezahle, will ich Ihnen diese Summe jetzt gleich geben.«
Er legte ihm zehn Hundertmarkscheine auf den Tisch. Der Castellan steckte sie schmunzelnd zu sich und sagte:
»Nun möchte ich aber auch wissen, wie dieser Herr gehalten werden soll.«
»Gut, aber einsam, so daß ihn kein Auge zu sehen bekommt. Haben Sie eine passende Wohnung für ihn?«
»Ja. Er kann gleich neben mir wohnen. Ich will Ihnen die zwei Räume zeigen.«
Er öffnete eine Tapetenthür, welche sie bisher gar nicht bemerkt hatten. Sie führte in eine kleine Wohnung, ganz ähnlich derjenigen des Castellans.
»Genügt Ihnen das?« fragte derselbe.
»Ja,« erklärte der Pascha, nachdem er sie betrachtet hatte. »Das Fenster führt nach diesem kleinen Innenhofe. Kommen vielleicht Leute dorthin?«
»Kein Mensch.«
»So bin ich befriedigt. Der Mann wird in Frauenkleidung zu Ihnen kommen.«
»Desto besser. Wann?«
»Heute Nacht. Sagen wir, gerade um Mitternacht.«
»Soll ich ihn etwa auch wie einen Gefangenen halten?«
»Nein. Aber er muß sich hüten, von Jemand gesehen zu werden.«
»Auch Tschita und Zykyma dürfen ihn nicht erblicken?«
»O, diese darf er sehen. Er soll sogar mit Ihnen sprechen. Das soll eine Verschärfung ihrer Strafe sein.«
»Herrlich, herrlich! Das ist mir ungeheuer lieb!«
»Warum?«
»Weil ich es dann ihm überlassen kann, sie gefangen zu nehmen und einzustecken. Auf diese Weise habe ich gar nichts damit zu thun und kann, wenn ein unvorhergesehener, schlimmer Fall eintreten sollte, sagen, daß ich von der Sache gar nichts weiß.«
»Sie sind außerordentlich vorsichtig. Aber diese Ausrede würde Ihnen wohl nicht viel nützen. Sie als Castellan müssen ja wissen, was in Ihrem Bereiche vorgeht.«
»Eigentlich, ja. Aber wenn Außerordentlichkeiten passiren, kann ich nichts dafür. Ich setze den Fall, daß ein entflohener Gefangener sich in meine Ruine flüchtet und einen unterirdischen Gang entdeckt, in welchen er sich verbirgt. Kann ich dafür?«
»Hierfür wohl nicht.«
»In diesem Gange befinden sich Löcher, welche früher als Verließe benutzt wurden und noch jetzt mit starken Thüren und dicken Riegeln verwahrt werden. Der Kerl entdeckt auch diese, während ich von seiner Anwesenheit keine Ahnung habe. Kann mich da ein Vorwurf treffen?«
»Nein.«
»Er trägt sogar Frauenkleider. Zufällig sieht er draußen zwei Damen, die sich die Ruinen ansehen wollen. Er kennt sie, er ist ihr Feind und will ihnen Eins auswischen. Sie halten ihn für eine Frau, für eine Bewohnerin der Ruinen, und bitten ihn, ihnen dieselben zu zeigen. Darauf lockt er sie in den Gang und in die Verließe, wo er sie einschließt. Meinen Sie, daß Jemand mich, der ich gar nichts davon weiß, dafür verantwortlich machen kann.«
»In diesem Falle nicht.«
»Die Damen haben sich, wenn sie die Ruinen sehen wollen, an mich, den Castellan, zu wenden und nicht an eine ihnen unbekannte Person. Wenn sie Schaden von ihrer Unvorsichtigkeit haben, so mögen sie ihn tragen; mich aber geht es gar nichts an.«
»Ich sehe, daß Sie ein Pfiffikus sind, und das ist mir lieb, denn ich habe nicht gern mit Dummköpfen zu thun, bei denen man Gefahr läuft, daß sie Einem den allerschönsten Plan verderben. Von Ihnen bin ich überzeugt, daß ich mich auf Sie verlassen kann, und bitte Sie, uns die für Tschita und Zykyma bestimmten Verließe und dann auch den ominösen Brunnen zu zeigen.«
»Das soll gern und sogleich geschehen. Bitte, kommen Sie mit!«
Er griff nach einem Schlüsselbunde.
»Wie?« fragte der Pascha. »Sie bedürfen dieser Schlüssel zu unserer Führung?«
»Ja.«
»Aber ein fremder Flüchtling hat doch keine Schlüssel? Wie kann er also die Gänge und Verließe entdecken?«
Der Castellan zeigte ein pfiffiges Gesicht und antwortete lachend:
»Meine Herren, ich führe Sie auf ordnungsmäßigem Wege nach diesen Gängen. Man kann auch ohne diese Schlüssel von Außen her zu ihnen gelangen. Sie erlauben mir jedoch, das mein Geheimniß bleiben zu lassen!«
»Natürlich! Aber in einem solchen Falle ist unser Geheimniß ja ungeheuer gefährdet!«
»Wieso denn?«
»Wenn nun Jemand diesen Eingang von Außen zufällig entdeckt und zu den beiden Frauen kommt!«
»Verlassen Sie sich ganz auf mich. Das wird nicht geschehen. Ich habe es ganz in meiner Hand, diese Möglichkeit zur Unmöglichkeit zu machen. Wenn ich nicht will, können tausend Polizisten den Eingang nicht entdecken.«
»Aber Ihre Vorgesetzten kennen ihn auch?«
»Kein Einziger. Nur ich kenne ihn und habe mich gehütet, gegen irgend einen Menschen davon zu sprechen. Nicht einmal meine Nichte hier kennt ihn und gegen diese bin ich sonst ganz und gar nicht zurückhaltend. Was mich und mein Thun betrifft, so dürfen Sie überzeugt sein, daß Ihre Angelegenheit bei mir nicht im Mindesten gefährdet ist.«
»Hm! Es hat allerdings den Anschein, als ob ich mich auf Ihre Klugheit verlassen könne. Also bitte, führen Sie uns!«
»Folgen Sie mir!«
Bei diesen Worten steckte er eine kleine Laterne zu sich und verließ, ihnen voranschreitend, das Zimmer. Er ging mit ihnen dieselbe Treppe hinab, welche sie vorhin heraufgekommen waren, wendete sich aber dann nicht nach dem Ausgange zu, sondern bog links ab, wo links und rechts einige Thüren zu sehen waren.
»Diese Thüren führen zu Kellern und Gewölben,« erklärte er. »Diese hier ist die unserige.«
Er brannte die Laterne an und öffnete dann die bezeichnete Thüre, hinter welcher eine lange Stufenreihe in die Tiefe führte.
Sie stiegen dieselben hinab und gelangten in einen langen Gang, in welchem sie dann fast gegen fünfzig Schritte zurücklegten. Da zeigte er ihnen zwei Thüren, welche zwar an einer und derselben Seite, aber in ziemlicher Entfernung von einander lagen. Sie waren mit starken Klappen versehen, welche man öffnen konnte, um mit einer darinnen befindlichen Person verkehren zu können, ohne die Thür aufmachen zu müssen und ihr dabei Gelegenheit zum Ausbruch und zur Flucht zu geben.
Diese beiden Thüren schloß er auf und erklärte:
»Hier sehen Sie die beiden Verließe, in denen die zwei Frauenzimmer sicher untergebracht werden können. Ueberzeugen Sie sich selbst, ob Ihnen die. Festigkeit der Mauern genügt.«
Die Beiden traten ein, oder vielmehr sie krochen in gebückter Haltung hinein, denn der Eingang war viel zu niedrig für sie.
Sie fanden zu ihrer Zufriedenheit, daß die Gelasse in Stein gehauen waren. Die Wände bestanden aus massivem Felsen, und eine Flucht war vollständig unmöglich.
»Es genügt,« sagte der Pascha. »Hier stecken sie sehr sicher.«
»Gewiß. Aber Sie sehen, daß Alles kahl ist. Soll ich nicht vielleicht für eine kleine Bequemlichkeit sorgen?«
»Nein. Die Frauenzimmer mögen ihre Lage so schwer wie möglich empfinden.«
»Nicht wenigstens ein Wenig Stroh?«
»Auch das nicht. Sie mögen auf dem harten Fußboden sitzen. Uebrigens würde das Stroh uns vielleicht einen Strich durch unsere Rechnung machen.«
»Wie so?«
»Der Derwisch kann die Frauen doch nicht gut mit Gewalt zwingen, hier herein zu kriechen.«
»Nein. Das muß durch List geschehen.«
»Wenn sie nun das Stroh sehen und folgerichtig denken müssen, daß die Löcher Gefängnisse seien, so könnten sie ahnen, daß dieselben für sie bestimmt sind. Das müssen wir vermeiden.«
»Sie haben Recht. Daran habe ich gar nicht gedacht.«
»Und wenn sie dann drin stecken, so hegen Sie nicht etwa ein vollständig überflüssiges Mitleid! Verstanden?«
»Wie Sie befehlen. Ich werde mich natürlich ganz nach Ihrem Willen richten.«
»Das hoffe ich. Sie brauchen ihnen in den ersten Tagen gar kein Essen zu geben. Schließen Sie jetzt wieder zu!«
»Ich werde doch lieber auflassen.«
»Warum?«
»Ich müßte doch wieder öffnen, denn der Derwisch muß die Löcher ja offen finden.«
»Wie aber kommt er herein mit ihnen? Er kann doch nicht mit ihnen die Treppe herab!«
»Nein. Ich werde ihm, aber auch ihm allein den Eingang von Außen verrathen, durch welchen er sie hereinführen kann.«
»Und haben Sie vielleicht nachgedacht, wie er sie veranlassen kann, freiwillig in diese Löcher zu schlüpfen?«
»Nein.«
»So überlegen Sie es sich, bis er kommt.«
»Nun, was das betrifft, so bedarf es keines großen Nachdenkens. Meines Erachtens giebt es nur ein Mittel, sie dazu zu bewegen, ohne Mißtrauen zu erwecken.«
»Welches wäre das?«
»Er muß ihnen weiß machen, daß es hier eine ganz seltene Akustik gebe.«
»Wieso?«
»Sie kennen doch die Sage vom Ohr des Dionysius?«
»Nein.«
»Er hatte sich ein Gewölbe bauen lassen, und zwar in Form einer Ellipse. So ein lang gezogener Kreis hat zwei Mittelpunkte. Wenn in jedem derselben eine Person steht, so können beide, wenn sie ganz leise flüsternd mit einander sprechen, jedes Wort so laut hören, als ob es mit ganz vernehmlicher Stimme gerufen würde.«
»Das wäre ja sonderbar!«
»Aber es ist wahr; es beruht das auf einem akustischen Gesetze.«
»Und Sie meinen, der Derwisch solle den Beiden weiß machen, daß es hier so etwas gebe?«
»Ja. Er mag sagen, daß sie sich hören können, wenn sie in die Löcher treten und ganz leise sprechen. Sie werden neugierig sein und in die Falle gehen. Sind sie hinein, so wirft er die Thüren zu und hat sie gefangen.«
»Da mögen Sie Recht haben. Ihre Ansicht ist nicht übel, denn sie gründet sich auf die Neugierde der Weiber. Ich werde den Derwisch davon unterrichten. Aber wenn wir ihn bringen, dürfen Sie uns nicht warten lassen.«
»Nein. Ich gehe nicht eher schlafen, als bis er angekommen ist.«
»Wird der Eingang verschlossen sein?«
»Nein. Ich lasse ihn offen. Wenn Sie in den Hof kommen, werden Sie meine Fenster hell sehen. Sie brauchen nur in die Hände zu klatschen, so komme ich herab.«
»Und werde auch ich mir dann die gefangenen Frauen ansehen können?«
»Zu jeder Zeit.«
»Gut! Führen Sie uns jetzt weiter!«
Der Kastellan schritt den Beiden voran, bis ein schmalerer Gang nach rechts einmündete. Derselbe führte in eine Art Zimmer, in welchem sich dem Eingange gegenüber eine zweite Thür befand, welche der Alte öffnete.
Als sie eingetreten waren, befanden sie sich in einem länglich runden Gemache, aus welchem abermals eine Thür weiter führte. Er leuchtete auf den Boden nieder und sagte:
»Bemerken die Herren, daß dieser Boden nicht aus Steinen besteht?«
»Ja,« meinte der Pascha. »Er hat eine Holzdiele. Warum machen Sie uns auf dieselbe aufmerksam?«
»Bitte, stampfen Sie einmal mit dem Fuße!«
Die Beiden thaten es. Die Fußtritte gaben einen leeren, hohlen Klang. »Was ist das?« fragte der Pascha. »Wir stehen wohl auf einer Höhlung?«
»Ja. Wir befinden uns über dem Brunnen. Nur ein einziger Zoll trennt uns von der grausigen Tiefe. Was meinen Sie, wenn die Bretter jetzt unter uns wichen?«
»Tausend Teufel! Sie werden doch fest halten!«
Er fuhr ganz erschrocken in das vorige Gemach zurück, und der Agent that desgleichen. Beider Gesichter waren kreideweiß geworden.
»O freilich halten sie fest,« lächelte der Kastellan. »Es könnten hier zehn Paare tanzen, ohne daß der Boden nur um ein Haar breit nachgebe. Mich aber kostet es nur einen Griff, ihn weichen zu lassen.«
»Wirklich?«
»Ja. Kommen Sie! Ich zeige es Ihnen.«
Er schloß die nächste Thür auf, welche wieder in einen schmalen Gang mündete. Sie folgten ihm in denselben, indem sie mit langen, leisen und furchtsamen Schritten über die gefährliche Diele eilten.
In diesem Gange lagen mehrere große Steine. Der Kastellan nahm einen derselben und trug ihn auf die Bretterdiele zurück. Dann zeigte er auf eine Eisenstange, welche im Gange aus dem Boden ragte.
»Der Bretterboden liegt nicht etwa auf dem Mauerwerke oder auf irgend einer Kante fest,« erklärte er. »Er bildet einen länglichen Kreis, welcher grad in die Brunnenöffnung paßt und sich in ihr bewegen kann. Er ruht nur auf einem starken Mittelbalken, welcher seine Achse bildet, um welche er sich dreht.«
»Ah, das ist freilich gefährlich!« sagte der Agent. »So haben wir ja über dem sicheren Tode gestanden.«
»Jawohl, meine Herren. Die Hemmung, welche den Balken festhält, brauchte nur um einen halben Zoll nachzugeben; das Eisen konnte zerrostet sein, so stürzten wir hinab und kamen als eine zu Brei zerschellte Fleisch- und Knochenmasse unten an.«
»Fürchterlich!«
»O, ich bin meiner Sache gewiß. So lange ich selbst mich auf diesen Boden wage, sind auch Andere sicher. Also hier diese Eisenstange ist der Hebel, mit welchem ich die heimtückische Diele bewegen kann. Ich brauche nur ein Wenig zu drücken, so schnellt sie sich um ihre Achse, und was sich darauf befindet, stürzt in die Tiefe.«
»Zeigen Sie es uns!«
»Jawohl. Passen Sie auf, und merken Sie auch darauf, wie lange es dauert, bis der Stein den Grund erreicht. Wäre er kleiner, so würden wir gar nichts hören. Also jetzt!«
Er hatte die Laterne auf die Thürschwelle der Brunnenstube gestellt, so daß der Boden derselben erleuchtet war. Als er nun an dem Hebel drückte, schnellte die Diele hüben empor und drüben niederwärts. Der Stein flog in die Tiefe.
Lange, lange lauschten die Beiden, ehe sie von unten herauf ein leises, kaum vernehmbares Geräusch hörten.
»Herrgott, das ist schrecklich!« rief der Pascha.
»Bitte, treten Sie einmal heran, um hinab zu schauen!«
Sie folgten dieser Aufforderung und näherten sich der offenen Thür. Sich ängstlich an den Pfosten derselben festhaltend, versuchten sie, hinab zu blicken. Der Kastellan hielt die Laterne empor.
Ihr Blick fiel auf eine gräuliche Finsterniß hinab, und ihre Nasen empfanden den moderigen Hauch des stinkenden Brunnenwassers.
»Wer weiß, wie vieler Menschen Gebeine da unten im Wasser ihre Verwesung gefunden haben,« sagte der Alte.
»Ein schrecklicher, ein entsetzlicher Tod!« bemerkte der Agent.
»O nein, sondern ein sehr guter Tod!«
»Da haben Sie eine wunderliche Ansicht!«
»Meinen Sie? Ich werde wohl Recht haben.«
»Da unten zerschellt zu werden!«
»Bedenken Sie doch: Der Betreffende tritt ganz ahnungslos in das Zimmer hier. Ich drücke auf den Hebel, und der Boden weicht unter seinen Füßen. Er hat gar keine Zeit, einen Gedanken zu fassen. Der plötzliche Schreck lähmt sein Hirn; er fliegt mit dem Kopfe an die Wände des Brunnens und wird augenblicklich betäubt. Wenn er unten ankommt, bildet sein Körper eine formlose Masse. Das Alles ist in einer Viertelsecunde geschehen. Kann es einen schnelleren, leichteren Tod geben, als denjenigen ausgenommen, welcher durch den Blitz erfolgt?«
»Hm! Wenn Sie es so nehmen, so haben Sie allerdings wohl Recht.«
»Anders kann man es ja gar nicht nehmen. Jetzt will ich den Boden wieder befestigen. Passen Sie auf! Ein Druck genügt.«
Er drückte nach der entgegengesetzten Richtung, und die Diele kehrte in ihre vorige Lage zurück. Er sprang auf dieselbe und rief:
»Kommen Sie her, und versuchen Sie, ob sie jetzt nur um die Breite einer Rasirmesserschneide weicht!«
»Danke, danke!« antwortete der Pascha. »Um keinen Preis der Welt!«
»Wenn Sie nun hier zurück müßten!«
»Ist das nothwendig?«
»Nein. Wir gehen auf einem andern Wege nach oben. Aber Sie werden sich nun überzeugt haben, daß Derjenige, welcher dieses Brunnengemach betritt, verloren ist, sobald ich es will?«
»Ich bin mehr als vollständig davon überzeugt.«
»Glauben Sie nun, daß ich Ihre Aufträge ausführen kann?«
»Sie meinen, daß Normann hier hinabstürzen solle?«
»Ja, er und die Anderen.«
»Donnerwetter! Das ist allerdings das beste Mittel, sie für immer los zu werden.«
»Ein Druck meiner Hand, und sie sind verloren!«
»Aber doch thut es mir beinahe leid.«
»Warum? Bemitleiden Sie Ihre Feinde?«
»Nein, nein! Das kann mir gar nicht einfallen. Es geht mir im Gegentheile viel zu schnell. Ihr Tod ist ein plötzlicher, ein gedankenschneller, und ich hatte gewünscht, daß er ein qualvoller sei.«
»Das wäre für Sie mit Gefahren verbunden. Schnell weg mit ihnen, dann sind Sie sie los.«
»Das ist freilich richtig. Ich wollte, ich könnte dabei sein.«
»Wünschen Sie das wirklich?«
»Natürlich. Es versteht sich ganz von selbst, daß mir der Untergang dieser Hallunken ein unendliches Vergnügen machen würde. Und außerdem hätte ich dann auch die wirkliche, unumstößliche Sicherheit, daß sie verloren seien. Denn wenn ich Sie bezahlen soll, so muß ich auch gewiß sein, daß Sie Ihre Aufgabe erfüllt haben.«
»Das kann ich Ihnen freilich nicht verdenken.«
»Wird es sich machen lassen?«
»Ja.«
»Auf welche Weise? Wenn ich die Leute auf dem Wege, den wir jetzt zurückgelegt haben, nach dem Brunnen führe, begeben Sie sich von dieser Seite, welche wir jetzt einschlagen werden, hierher. Da können Sie Zeuge des ganzen Vorganges sein.«
»Schön, schön, vortrefflich! Ah, wenn ich mich ihnen erst zeigen könnte!«
»Warum nicht?«
»Auch mit ihnen reden?«
»Versteht sich.«
»Alle Teufel! Das wäre ja ein Himmelsvergnügen für mich. Aber ich müßte sicher sein, daß mir nichts geschehen könnte und daß es ihnen unmöglich wäre, sich ihrem Schicksale zu entziehen, während ich mit ihnen rede.«
»Ganz nach ihrem Belieben! Es scheint, daß die früheren Besitzer dieses Schlosses sich ebenso das Vergnügen gemacht haben, Zeugen der Execution zu sein und die Verurtheilten vorher noch ein Wenig zu quälen.«
»Sie vermuthen das?«
»Ja, denn in der Thür befindet sich eben eine solche Klappe wie in den beiden Gefängnißthüren. Sehen Sie!«
Er leuchtete die Thür an, und sie bemerkten die Klappe.
»Der ganze Vorgang kann sich dann folgendermaßen abwickeln,« fuhr er fort. »Ich führe die Kerls von da drüben herein in die Stube und schließe hinter ihnen ab, damit sie nicht zurück können. Ich sage ihnen, daß sie da einige Augenblicke stehen bleiben und warten sollen. Dann öffne ich hier hüben diese Thür und verschließe sie sofort wieder hinter mir.«
»Inzwischen bin ich hier angekommen?«
»Ja. Sie öffnen die Klappe und schauen hinein zu ihnen. Da können Sie sich nun eine Güte thun, so groß, wie Sie nur wollen. Sie können diese Kerle so lange quälen, wie es Ihnen beliebt, denn den Hallunken ist ja der Ausweg versagt, weil beide Thüren verschlossen sind.«
Der Pascha rieb sich vergnügt die Hände.
»Das ist herrlich, das ist prächtig!« rief er aus. »Ah, so wird es gemacht, so, wie Sie jetzt sagten! Wie will ich die Schufte quälen! Ich werde ihnen eine Rede halten, von welcher jedes Wort ein Fegefeuerstrahl für sie sein soll. Ich werde ihnen sagen, wo sie sich befinden und was ihrer wartet. Ich werde ihnen die Einrichtung dieses schrecklichen Brunnenzimmers beschreiben, und sie sollen dem Tode mit Höllenangst entgegen sehen. Sie stehen über dem Verderben. Sie sind nur durch schwache Bretter von demselben getrennt. An jedem Augenblicke können diese Bretter weichen, und ich werde sie doch nicht weichen lassen, um die Todesangst möglichst zu verlängern. Sie sollen empfinden, was es heißt, der Rache des Pascha Ibrahim verfallen zu sein!«
»Hm!« meinte der Schließer, »das wird Sie aber zu sehr anstrengen.«
»O nein. Es wird mir nicht Anstrengungen, sondern Entzücken bereiten.«
»Das bezweifle ich.«
»Warum?«
»Weil Sie dann einem jeden Einzelnen diese Leichenrede zu halten hätten. Ich weiß überhaupt nicht, ob ich es Ihnen so oft passend machen könnte. Einmal geht es, ja, aber viele Male, das ist doch fraglich!«
»Hm, ja! Wir müssen uns doch darnach richten, in welcher Weise es möglich ist, die Kerls hierher zu locken.«
»Natürlich! Kämen sie Alle auf einmal, so wäre es ja gut. Wahrscheinlich aber kommen sie einzeln.«
»Darüber ist noch zu reden. Es muß doch wohl möglich sein, sie insgesammt auf einmal hierher zu ziehen.«
»Ich denke, ja.«
»Haben Sie da einen Gedanken?«
»Vielleicht.«
»Lassen Sie ihn hören.«
»Wir zwingen Tschita, ihrem Manne zu schreiben, daß er mit allen Denen, deren Namen sie aufzählt, schleunigst kommen soll. Sie werden dieser Aufforderung Folge leisten, und ich führe sie herab.«
»Sehr gut!«
»Und das müßte gleich nach dem geschehen, daß wir die beiden Frauen eingesteckt haben, damit man noch nicht weiß, daß sie verschwunden sind. Es muß so heraus kommen, als ob es sich um einen Scherz, um ein Vergnügen handele.«
»Da haben Sie Recht. Nur müssen wir sie Alle ohne Ausnahme beisammen haben.«
»Natürlich!«
»Aber Steinbach ist ja noch nicht da!«
»So warten wir, bis er kommt. Ueberhaupt können wir das ja seiner Zeit noch näher besprechen.«
»Seiner Zeit? Hören Sie, ich habe keine Zeit.«
»Nun, ich meine damit auch nicht etwa eine wochenlange Frist. Die. Entfernung zwischen hier und der Stadt ist ja eine so kurze, daß wir bald zu einander können.«
»Gut! Ich kann zu Ihnen, ohne daß man es bemerkt. Und haben Sie mir etwas zu sagen, so kommen Sie zu Frau Berthold in die Stadt, wo Sie Ihre Nichte benachrichtigen, die dann mich unterrichtet. Es kann ja gar nicht auffallen, wenn Sie Ihre Verwandte besuchen.«
»O nein. Mag es also dabei bleiben. Jetzt wollen wir gehen. Kommen Sie!«
Er führte sie in dem Gange weiter, bis sie an eine Treppe gelangten, welche sie emporstiegen. Als er dann oben eine Thür öffnete, traten sie auf der rechten Seite heraus, während sie auf der linken des Flures hinabgestiegen waren.
Nachdem noch einige unwesentliche Bemerkungen ausgetauscht worden waren, stiegen die Drei in den Wagen und fuhren davon.
Der Schließer ging anstatt nach seiner Wohnung um die Ecke des Hauptgebäudes hinum. Dort gab es eine Menge Mauertrümmern, zwischen denen er sich hindurch wand, bis er an einen gartenähnlichen Platz gelangte.
Auf demselben graste ein gesatteltes Pferd, und in der Nähe lehnte, eine Cigarre schmauchend – der Polizist am Stamme eines Baumes.
Er war also nicht vor der Ankunft der Drei bereits fortgeritten, wie er seiner Schwester gesagt hatte. Der Kastellan hatte ihn zum Bleiben aufgefordert, weil er ihm noch Einiges mitzutheilen und zu erklären habe. Als er den Alten kommen sah, schritt er mit gespannter Miene auf ihn zu und fragte:
»Nun, wie ist es abgelaufen?«
»Sehr gut. Die Hallunken sind ganz prächtig auf den Leim gegangen.«
»Erzählen Sie!«
Der Kastellan berichtete. Als er geendet hatte, schüttelte der Polizist bedenklich den Kopf und sagte:
»Aber die Sache gefällt mir nicht. Sie ist mir für den einen Theil zu unbequem und für den andern zu gefährlich.«
»Wie so?«
»Weil zunächst die Damen wer weiß wie lange Zeit in den Löchern stecken sollen.«
»Wer sagt das?«
»Nun, Sie doch!«
»Ich? Davon weiß ich nichts.«
»Nun, Tschita und Zykyma sollen doch dort eingeschlossen werden!«
»Allerdings. Aber sie haben nicht nöthig, auch nur eine Minute dort zu bleiben.«
»Wollen Sie sie herauslassen?«
»Nein, sondern sie werden selbst und ganz nach eigenem Gutdünken ihre Löcher verlassen können.«
»Also sind die Thürriegel nicht zuverlässig?«
»O, die Riegel sind gut; aber es giebt einen andern Weg, den ich Ihnen zeigen will, damit Sie die Damen unterrichten können.«
»Ach, also darum sollte ich noch hier bleiben?«
»Ja. Und was für eine Gefahr war das, von welcher Sie sprachen?«
»Sie sollen hinabstürzen.«
»Das wird weder ihnen noch auch mir einfallen.«
»Sie meinen also, daß sie oben bleiben sollen?«
»Ja.«
»Aber das bemerkt ja der Pascha!«
»O nein. Ich werde schon dafür sorgen, daß er getäuscht wird. Ich habe ihm nur den einen Theil der geheimen Vorrichtung erklärt. Den andern sollen Sie jetzt erfahren. Wollen Sie mir folgen?«
»Kann ich mein Pferd hier lassen?«
»Ja. Es kann ja nicht über die Trümmer hinweg.«
Er führte nun den Polizisten genau auf demselben Wege hinab, welchen er vorher mit den früheren Begleitern gegangen war. Als sie an die beiden Gefängnißlöcher gelangten, kroch er mit der Laterne hinein und forderte ihn auf, ihm zu folgen. Er leuchtete in die eine Ecke, rechts hinauf nach der Decke.
»Sehen Sie Etwas?« fragte er.
»Ja, einen eisernen Ring.«
»Dieser ist an die Decke befestigt, welche hier in der Ecke nicht aus Felsen, sondern aus Holz besteht, welches genau in der Farbe der Felsen gehalten ist. Bitte, wollen Sie die Güte haben, einmal an dem Ringe zu ziehen!«
Der Polizist that es, und dieser Theil der Decke gab nach. Er öffnete sich als Klappe langsam nach abwärts. Ein Schnurren war zu hören wie das Abrollen eines Strickes, und dann bewegte sich eine Leiter herab.
»Wunderbar!« rief der Polizist erstaunt.
»Ja, es ist sonderbar, auf was für Gedanken die Ritter des Mittelalters gekommen sind. Ob das eine Einrichtung der heiligen Vehme ist, welche hier in oder bei Schloß Grafenreuth ihren Sitz gehabt haben soll, oder ob ein Besitzer des Schlosses der Erfinder aller dieser Heimlichkeiten war, das weiß man nicht. Aber, kurz und gut, sie sind einmal vorhanden, und jetzt können wir sie mit Vortheil benutzen.«
»Wissen auch Andere davon?«
»Nur Einer.«
»Wer ist das?«
»Herr Steinbach, unser gnädigster Prinz, auf den es ja auch mit abgesehen ist.«
»Ah, Sapperment! Also hat mich meine Ahnung nicht betrogen. Prinz Oskar ist Steinbach?«
»Ja.«
»Woher wissen Sie das?«
»Ich rühme mich, sein Vertrauen zu besitzen, obgleich ich nur einer seiner geringsten Diener bin. Weiter habe ich nichts zu sagen. Bitte, steigen Sie diese Leiter empor, welche selbst für Damen ganz bequem zu passiren ist!«
Der Polizist folgte dieser Weisung, und der Schließer stieg hinter ihm her.
»Ah!« rief der Erstere, als er oben anlangte. »Das ist ja wirklich überraschend!«
Sie befanden sich in einem ganz vortrefflich ausgestatteten Zimmer. Der Kastellan zog die Leiter empor; die Klappe folgte ganz von selbst nach. Er lehnte die Erstere in die Ecke.
»Sie sehen,« sagte er, »daß die Damen es in ihrem Gefängnisse ganz gut haben werden. Wenn sie herauf wollen, brauchen sie nur an dem Ringe zu ziehen, und wollen sie wieder hinab, was doch wohl nöthig sein wird, so stoßen sie die Klappe abwärts und lassen die Leiter hinabgleiten. Ein Zug an dem Ringe führt dann die Letztere wieder empor. Sie sehen, daß sie mit zwei Schnuren in Verbindung steht, welche in die Mauer gehen.«
»Ist denn das andere Verließ ebenso eingerichtet?«
»Genau so. Wir steigen in dasselbe hinab.«
»Aber nicht von hier aus?«
»Nein. Kommen Sie!«
Vorher aber trat der Polizist an das Fenster, um hinaus zu sehen. Sein Blick fiel auf den tief unten liegenden Wald. Die Fenster führten ins Freie und nicht in das Innere des Schlosses.
Dann führte ihn der Kastellan durch weitere zwei Zimmer, welche zum Schlafen eingerichtet waren, in ein viertes, dessen Ausstattung genau diejenige des ersten war.
Hier lehnte auch eine Leiter in der Ecke.
»Unter uns liegt das zweite Verließ,« erklärte der Alte. »Sie sehen, daß die beiden Damen sich in aller Gemüthlichkeit besuchen und unterhalten können. Ich werde für alles Weitere und natürlich auch für Speise und Trank und jede Bequemlichkeit sorgen.«
»Aber was geschieht, wenn sie sich hier oben befinden und der Pascha oder der Derwisch kommt, um sie im Verließe zu sehen? Dann ist die Sache verrathen.«
»O nein. Beide können ohne mein Wissen nicht herab, und ich werde dann vorher die Damen benachrichtigen.«
»Schön! Also weiter!«
Der Kastellan schob die Klappe abwärts und durch dieselbe die Leiter nach unten. Als sie unten angekommen waren, zog er an dem auch dort angebrachten Ringe. Das Schnurren war wieder zu vernehmen; die Leiter ging in die Höhe, und die Klappe schloß sich. Sie befanden sich im zweiten Verließe, welches sie sogleich verließen.
»Erklären Sie das den Damen,« sagte der Alte, »denn ich denke, daß ich nicht dazu kommen werde, es zu thun.«
Er führte ihn weiter nach der Brunnenstube und ließ genau wie vorhin die Diele sich bewegen.
»Und darauf sollen sie sich stellen?« fragte der Polizist erschrocken.
»Ja.«
»Herrgott! Sind Sie des Teufels!«
»Nein. So wie jetzt habe ich den Andern die Sache gezeigt. Ich habe den Hebel nur ein klein Wenig bewegt. Wenn ich ihn aber ganz niederdrücke, giebt es eine andere Wirkung. Passen Sie einmal auf!«
Er brachte die Diele wieder in ihre gewöhnliche Lage. Dann drückte er die Eisenstange tief auf die Erde herab. Anstatt daß die Diele sich um ihre Achse schnellte, stieg sie langsam und ohne ihre horizontale Lage zu verändern, nach abwärts.
»Schauen Sie nach!« sagte der Alte.
Der Polizist blickte hinab und sah, daß der Boden sich vielleicht acht Fuß unter seiner vorigen Lage befand. Zugleich bemerkte er, daß sich an der einen Seite der Brunnenwand eine thürähnliche Oeffnung befand.«
Die andere Seite der Mauer zeigte Einschnitte und Hervorragungen, welche mehrere Stufen bildeten.
»Hier steigen wir hinab.«
»Fällt mir nicht ein!« meinte der Polizist.
»Warum?«
»Soll ich mich diesen fürchterlichen Brettern anvertrauen?«
»Sie können das ohne Besorgniß thun. Es ist nicht die mindeste Gefahr dabei. Ich muß Ihnen zeigen, daß Ihre Freunde gar nichts zu besorgen haben. Während der Pascha meint, daß sie in der Tiefe zerschmettert werden, senkt sich der Boden ganz langsam mit ihnen so weit, wie er sich jetzt befindet. Dann verlassen sie ihn, um in den Gang zu treten, welcher sich da unten öffnet.«
»Können sie dort weiter?«
»Ja freilich. Ich werde es Ihnen zeigen. Kommen Sie nur mit herab!«
Er stieg die Stufen hinab und betrat den Boden. Der Polizist aber setzte seinen Fuß höchst zaghaft auf denselben.
»Fürchten Sie sich nicht,« lachte der Alte. »Unter uns gähnt zwar das schrecklichste Verderben; aber ich untersuche die Vorrichtung so oft und so genau, daß an eine Gefahr gar nicht zu denken ist.«
Jetzt traten sie in den Gang, der sich auch hier unten öffnete. Er führte nach nur wenigen Schritten zu einer Treppe. Sie stiegen hinauf und gelangten an eine Thür, welche der Alte öffnete und dann wieder verschloß.
»Wo befinden wir uns?« fragte der Beamte, sich umblickend.
»In demselben Gange, in welchem der Pascha dem Verderben seiner Feinde zuschauen will. Ich brauch nur die Thür zu öffnen, welche kaum fünfzehn Schritte weit von hier liegt. Kommen Sie!«
Er führte ihn vorwärts, öffnete die betreffende Thür, und da sah der Polizist, daß sie sich in demselben Gemache befanden, in welchem sie vorher gewesen waren und in welchem sich der eiserne Hebel befand, durch den der Fußboden in Bewegung gesetzt wurde.
»Sie kennen nun die Oertlichkeit und ihre Einrichtung,« sagte der Kastellan. »Fürchten Sie immer noch für die Herrschaften?«
»Nein, nun nicht mehr.«
»So will ich den Boden wieder heben.«
Er drückte die Eisenstange wieder zurück, und sofort kam der Boden langsam empor gestiegen, um seine ursprüngliche Lage einzunehmen.
»Das klappt wirklich Alles auf das Vortrefflichste,« meinte der Polizist. »Aber ob sich die Herrschaften diesem Fußboden auch wirklich anvertrauen werden, das möchte ich denn doch bezweifeln.«
»Darüber sorge ich mich gar nicht. Der Prinz wird ihnen jedes Bedenken benehmen.«
»Ja, wenn dieser dafür spricht, so ist es etwas Anderes!«
»Und übrigens ist es unbedingt nothwendig, daß sie es thun, denn nur auf diese Weise erhalten Sie den vollgiltigen Beweis gegen die Verbrecher. Diese Letzteren müssen die Ueberzeugung erhalten, daß ihr Werk gelungen sei.«
»Allerdings. Dann aber das Entsetzen, wenn sie die Todtgeglaubten lebend vor sich sehen!«
»Da möchte ich freilich gegenwärtig sein.«
»Ich denke, daß Sie anwesend sein werden. Lassen Sie nur den verkleideten Derwisch nicht aus dem Auge, und sorgen Sie dafür, daß er keinen Verdacht schöpft!«
»Keine Sorge! Was an mir liegt, das soll auf das Gewissenhafteste ausgeführt werden.«
»So sind wir fertig und können wieder nach oben gehen.«
Sie schlugen denselben Weg ein, den der Kastellan auch mit den vorigen Besuchern aufwärts gegangen war. Dann holte der Polizist sein Pferd herbei und verabschiedete sich von dem dienstwilligen Alten.
Dieser sorgte nun dafür, daß Alles zum Empfange der zu erwartenden Personen bereit war, und daß später kein Fehler vorkommen konnte.
Während dieser Vorbereitungen verging der Rest des Nachmittags und auch der Abend, und endlich kam die Mitternacht herbei.
Der Kastellan saß bei seiner Lampe und rauchte eine Pfeife Tabak. Der Schein des Lichtes fiel durch das Fenster in den Hof hinab. Der Alte dachte, was doch in der jetzigen Zeit für eigenthümliche Dinge passiren, fast so abenteuerlich wie damals, als die Herren des Mittelalters ihre winkelreichen, so viele Geheimnisse in sich bergenden Burgen erbauten. Er schüttelte den Kopf.
Da klatschte unten Jemand in die Hände. Er nahm das Licht und ging in den Hof hinab. Er sah den Pascha, an dessen Seite eine weibliche Gestalt stand. Der Erstere sagte:
»Hier bringe ich Ihnen den entflohenen Gefangenen. Er mag, wenn er ja von irgend Jemand gesehen werden sollte, als eine Verwandte von Ihnen gelten.«
»Schön! Er soll bei mir sehr gut aufgehoben sein. Wollen die Herren mit herauf kommen?«
»Ich nicht. Ich gehe gleich wieder fort, denn ich weiß, daß ich mich auf Sie verlassen kann. Es ist über Mitternacht und ich will schlafen, da ich nicht weiß, wie lange ich morgen und nächstens zu wachen habe.«
Er entfernte sich wieder. Der Alte führte den einstigen Derwisch nach oben und hieß ihn, sich niederzusetzen. Da konnte er ihn mit Muße betrachten.
Der Agent hatte wirklich ein Meisterstück gemacht. Die Verkleidung paßte ganz genau und verhüllte sehr gut das männlich Eckige der Gestalt. Die Perrücke saß ausgezeichnet; das Gesicht war glatt rasirt, und Schminke und Puder hatten das Uebrige gethan, um den Mann vollständig unkenntlich zu machen.
Er sah aus wie eine Südländerin, etwa wie eine Neapolitanerin oder Sicilianerin mit etwas weniger weichen Gesichtszügen als gewöhnlich.
»Also wollen Sie sich mir anvertrauen?« fragte der Kastellan. »Ich denke, daß Sie mit mir zufrieden sein werden.«
»Das hoffe und erwarte ich, denn Sie werden sehr gut dafür bezahlt,« meinte der Derwisch in etwas befehlshaberischem Tone.
»Na, ich habe den Pascha nicht übertheuert,« antwortete der Alte zurückhaltend.
»Wenn Sie zu wenig verlangten, so ist das ganz allein nur Ihre Sache. Der Pascha zahlt sehr nobel. Uebrigens wissen Sie wohl Alles?«
»Alles, ja.«
»Sie wissen, weshalb ich gefangen war?«
»Genau nicht.«
»Ist auch nicht nöthig. Wenn Sie nur wissen, wie Sie sich zu verhalten haben.«
»Das weiß ich freilich auf das Beste.«
»So zeigen Sie mir vor allen Dingen meine Wohnung und auch die unterirdischen Räumlichkeiten, die ich kennen muß. Vor allen Dingen werden Sie mir den äußern Eingang zu den Verließen zeigen.«
»Das ist heut Abend in der Finsterniß unmöglich. Aber in der Frühe werde ich Sie sofort hinausführen.«
»Schön! Ich muß das so bald wie möglich kennen lernen, da ich nicht weiß, wie bald ich es gebrauchen kann. Wer wohnt mit Ihnen hier?«
»Niemand.«
»Das freut mich. Erhalten Sie Besuche?«
»Es kommt kein Mensch.«
»Auch das ist gut, denn ich mag mich natürlich nicht sehen lassen.«
»Was das betrifft, so würden Sie alsdann, wenn Jemand käme, auch nicht gesehen werden. Dafür würde ich sorgen.«
»Gut! Aber sobald ein Bote kommt, benachrichtigen Sie mich. Ich muß dann augenblicklich mit ihm sprechen. Jetzt aber bitte ich, mir die Lokalitäten ansehen zu können.«
Der Kastellan zeigte ihm zunächst seine Wohnung, mit welcher er sich zufrieden erklärte, und führte ihn dann hinab in die unterirdischen Gänge, um ihn dort mit den Oertlichkeiten und Einrichtungen so viel wie nöthig vertraut zu machen. – –
Am Spätnachmittage dieses Tages hatte der dicke Sam Barth eine Depesche folgenden Inhaltes erhalten:
»Ich komme mit dem zehn Uhr-Zuge nebst meinen Begleitern. Sorge, daß bei Normanns Alle versammelt seien, doch ohne meine Ankunft zu verrathen!«
Steinbach.«
In Folge dessen war Sam zu Normann gegangen und hatte ihn gebeten, sämmtliche Personen für heut Abend zehn Uhr beisammen zu halten. Als Grund hatte er angegeben, daß er den Herrschaften etwas Wichtiges mitzutheilen habe, aber nicht eher kommen könne.
In Folge dessen hatte sich bei dem Maler die ganze Familie von Adlerhorst eingefunden, ferner Jim und Tim, Sendewitsch, kurz, alle Personen, welche mit dem Schicksale der Familie in Beziehung standen und jetzt hier in Bad Wiesenstein anwesend waren.
Sie warteten auf Sam, welcher noch nicht erschienen war, obgleich es bereits Zehn geschlagen hatte. Daß er noch nicht gekommen war, hatte seinen guten Grund. Er war nach dem Bahnhofe gegangen, um Steinbach und dessen Begleitung abzuholen.
Als der Zug ankam, stieg der Genannte aus einem Waggon erster Klasse. Er hatte den Hut tief herein gezogen und den Kragen hoch empor geschlagen, damit man ihn nicht erkennen möge.
Nach ihm stiegen aus: Gökala, seine Braut, der dicke Tungusenfürst mit seiner noch umfangreicheren Frau, Georg von Adlerhorst mit Karparla, der Pflegetochter des fürstlichen Ehepaares, Peter Dobronitsch mit seiner Maria Petrowna, ihre Tochter Mila mit Alexander Barth, dem berühmten Zobeljäger, ihrem Geliebten, und sodann zuletzt dessen Eltern, Karl Barth und dessen Frau.
Sam eilte aus sie zu, um sie zu begrüßen.
»Alles in Ordnung?« fragte Steinbach.
»Ja, Alles.«
»So wollen wir sofort nach Normanns Villa.«
»Aber Ihr Gepäck?«
»Das ist in der Residenz. Wir kommen von dort. Die Diener haben das Handgepäck. Sie werden Hotelwohnung versorgen. Unterwegs unterrichtest Du mich schnell, so weit es nothwendig ist.
Wirklich sah Sam einige Diener, welche aber Civilkleider trugen, sich in den Wagen begaben, um sich des Gepäckes anzunehmen. Sie mußten genau unterrichtet sein, was sie zu thun hatten, denn sie beeilten ihre Angelegenheit, ohne sich vorher erst Befehle einzuholen.
Die Herrschaften setzten sich in Bewegung. Steinbach nahm Gökala am Arme, deren Vater natürlich auch mit gekommen war, und an ihrer anderen Seite ging. Neben Steinbach ging Sam, um ihn in kurzer Weise über die gegenwärtigen Verhältnisse zu unterrichten. Die Andern folgten.
Als es dann draußen am Gartenthore von Normanns Villa klingelte, glaubte der Letztere, Sam werde allein kommen. Das Mädchen ging, um zu öffnen. Darauf hörte man draußen im Vorzimmer die Schritte mehrerer Personen:
»Er kommt nicht allein,« sagte Normann. »Wen mag er wohl bei sich haben?«
Jetzt wurde die Thür geöffnet, und Steinbach trat herein, gefolgt von den Andern allen.
»Ah! Herr Steinbach, Herr Steinbach!« rief es von Mund zu Munde.
Das Erscheinen dieses von Allen so verehrten und geliebten Mannes verursachte eine unbeschreibliche Freude. Alle, Alle eilten auf ihn zu, um ihn zu begrüßen, denn es gab keine einzige Person da, welche ihm nicht Etwas zu verdanken hatte.
Eben wollte ihm auch der Lord die Hand reichen. Er streckte schon den langen Arm aus; da fiel sein Blick auf Gökala.
»God damm!« rief er aus, ganz steif vor Ueberraschung dastehend. »Ist das nicht – ist denn das nicht – – –!«
»Wer denn?« fragte Steinbach.
»Die schöne Dame aus Kairo, mit welcher ich redete und die mir einen Brief an Sie mitgab?«
»Sie werden sich wohl nicht irren.«
»Also wirklich! Welch eine Ueberraschung! Ich lege mich Ihnen zu Füßen, Miß Gök – Gök – Gök – – wie war nur gleich der Name!«
»Gökala.«
»Richtig, Gökala! Also ich begrüße Sie mit dem größten Entzücken! Sie haben sich endlich auffinden lassen. Darüber wird Niemand so glücklich sein wie Herr Steinbach.«
Frau von Adlerhorst und ihre Kinder suchten mit fragenden Blicken unter den Neuangekommenen, denn sie wußten, daß Georg mit Steinbach eintreffen wollte. Sein Gesicht konnte die Züge der Adlerhorsts nicht verleugnen. Auch ihm sagte mehr die Stimme seines Herzens als sein Auge, welche der anwesenden Damen seine Mutter sei. Er eilte auf sie zu.
»Irre ich mich oder nicht?« rief er aus. »Sie sind – – Du bist – – –?«
»Georg, mein Sohn, mein Sohn!«
Sie streckte aufjauchzend die Arme aus, und er fiel an ihre Brust. Beide hielten sich lange, lange umschlungen, dann lösten sich die Geschwister in seiner Umarmung ab. Sie konnten die Augen kaum von einander wenden.
Die Scene dieses Wiedersehens war eine ergreifende und tief rührende. Aller Augen standen voller Thränen, und es dauerte lange, ehe die sich schnell folgenden Fragen einer bedächtigeren Redeweise Platz gaben.
Dann trat er zu Zykyma. Ihre beiden Hände ergreifend, sagte er, ihr mit einiger Verlegenheit in das schöne Antlitz blickend:
»Daß ich auch Dich hier begrüßen darf, macht meine Freude erst vollständig.«
»Hast Du gewußt, daß Du mich hier finden würdest?« fragte sie unbefangen.
»Ja. Steinbach sagte es mir. Er ist ein Meister im Arrangement von Ueberraschungen. Habt Ihr meine Depesche empfangen?«
»Gestern schon.«
»Und – hast auch Du sie gelesen.«
»Ja.«
»Ihr Inhalt – – o sag, welchen Eindruck hat er auf mich gemacht?«
Auf seinem Gesichte lag bei dieser Frage der Ausdruck ängstlicher Besorgniß.
»Wir haben uns alle sehr gefreut.«
»Wirklich? Auch Du?«
»Ja, herzlich,« antwortete sie, ihn offen und freundlich ansehend.
»Das ist – – das ist mir überraschend!«
»Deine Ueberraschung wird sofort weichen, wenn ich Dir meinen Verlobten vorstelle. Hier hast Du ihn.«
Sie ergriff Hermanns Hand und zog ihn herbei.
»Du, Bruder? Du liebst Zykyma?« rief Georg ganz erstaunt aus.
»Ja, und vielleicht herzlicher, als Du sie wohl geliebt hast, denn Du konntest sie vergessen, was bei mir niemals der Fall gewesen sein würde,« lachte der Gefragte.
»O, von einem wirklichen Vergessen war ja keine Rede. Ich habe eine lange Zeit des Kampfes durchgemacht und danke nun aber Gott, daß es so gekommen ist. Wir werden nach so langem Leiden Alle glücklich sein.«
»Das sind wir überzeugt. Aber nun zeige uns auch die Dame, welcher Du Dein Glück zu verdanken haben willst. Oder hast Du sie nicht mit?«
»O doch. Hier ist sie. Ich empfehle sie Eurer Liebe und vor allen Dingen der Deinigen, liebe Mutter.«
Er führte Karparla seiner Mutter zu. Diese zog das schöne, gute Mädchen an ihr Herz, und dann theilten sich auch ihre andern Kinder in die Begrüßung ihrer neuen Anverwandten.
Karparla hatte unterwegs einiges Deutsch gelernt und bat in rührenden wenn auch gebrochenen Worten um Liebe und Nachsicht. Das klang so lieb und mild, daß ihre Bitte Thränen erweckte.
»Hier Mutter – – hier Vater,« sagte sie, auf das fürstliche Tungusenpaar deutend.
»Fürst Bula der Tungusen und Fürstin Kalyma, seine Gemahlin,« stellte Georg die Beiden vor. »Sie sind aus Sibirien gekommen, um Euch kennen zu lernen.«
Die beiden Dicken wurden mit solcher Herzlichkeit begrüßt, daß der Fürst, der nur einige wenige deutsche Worte behalten hatte, ausrief:
»Freude – Wonne – Entzücken – Seligkeit!«
Und die gute Kalyma wischte sich mit dem Aermel ihres Reisemantels die Augen und rief stockend:
»Sibirien – Deutschland – Tungusen – Eisenbahn – Hochzeit – Schwiegersohn!«
Sie drückte wonnevoll Alle an das Herz, die so unvorsichtig waren, sich in ihre Nähe zu wagen.
»Halt!« sagte da Sam. »Wenn Alles sich umarmt, so will auch ich umschlungen sein, denn ich bin ja der Onkel von der Braut!«
»Sie?« fragte Normann lachend.
»Ja, ich!«
»Wie käme das?«
»Trauen Sie mir etwa keine solche Nichte zu? Wohl weil sie eine fürstliche Dame ist? O, ich habe stets so etwas hochfürstliches an mir gehabt, und das hat sich auf Karparla vererbt. Das müßt Ihr mir und ihr doch sofort ansehen!«
»Ein Sachse aus Herlasgrün der Onkel einer tungusischen Fürstentochter?!«
»Ja. Ich habe sogar Zeugen dazu. Hier stehen mein Bruder und meine Schwägerin, die eigentlichen Eltern Karparla's, die die Wahrheit meiner Worte beschwören können. Es klingt das sehr romanhaft, ist aber dennoch wahr, wie Sie alle sehen werden, wenn wir es dann erzählen.«
Er zog auch die Andern herbei, um sie vorzustellen und dabei seine gewohnten, possierlichen Bemerkungen zu machen.
Es ist leicht zu denken, daß nun eine sehr lebhafte und ausregende Scene folgte. Es gab tausend Fragen und Erkundigungen, welche, sich kreuzend, von Lippe zu Lippe flogen. Die Antworten konnten natürlich nur kurz und unzulänglich sein, und eine gewisse Ordnung trat erst dann ein, als man beim Weine Platz genommen hatte und dann Steinbach in kurzen Zügen berichtete, was geschehen war und wie man sich gefunden hatte.
Sich ausführlich auszusprechen, das mußte man freilich auf später verschieben. Die Schicksale der Anwesenden waren ja so abenteuerlich und viel verschlungen gewesen, daß eine lange Zeit dazu gehörte, bis man sich gegenseitig genauer kennen zu lernen vermochte.
So vergingen einige sehr bewegte Stunden. Dann erst kam man dazu, der augenblicklichen Situation genauer zu gedenken.
Normann erklärte die Lage, in welcher man sich befand, und Sam, der ja eigentlich der Arrangeur derselben war, machte seine erläuternden Bemerkungen dazu.
Steinbach, welcher sehr aufmerksam zuhörte, erklärte, als der Bericht zu Ende war:
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