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104

»So würde ich, wenn ich vernommen würde, doch Ihren Namen nennen müssen.«

»O, zu einem Verhöre käme es gar nicht. Ich würde mich nicht an die Polizei, sondern an die betreffenden Privatpersonen wenden.«

»Aber ohne Erfolg.«

»Irren Sie sich nicht. Ich brauche Ihnen nur zu verrathen, welche Absichten Sie haben, so werden sie dafür sorgen, daß Sie dieselben nicht erreichen.«

»Alle Teufel, das wäre ja eine große Schlechtigkeit von Ihnen!«

»O nein, denn ich zahlte Ihnen da nur das Heim, was Sie mir vorgeschossen haben. Also besinnen Sie sich, was Sie zu thun gedenken! Bevor die Dame kommt, müssen wir klar sein.«

Er sagte das in einem so entschiedenen Tone, daß der Pascha Sorge bekam. Er sah ein, daß es doch am Besten sei, mit seinem bisherigen Verbündeten fortzuarbeiten, zumal derselbe sich bisher so gut bewährt hatte. Darum lenkte er ein, indem er in freundlicherem Tone sagte:

»Nun, was haben Sie denn an mir auszusetzen?«

»Daß Sie mich tadeln.«

»Der Tadel war nicht so bedeutend.«

»Sie nahmen aber die Sache sehr bedeutend.«

»Weil ich besorge, daß wir Schaden haben, wenn zu viele Mitwissende werden.«

»Ich habe Ihnen bereits versichert, daß ich dieser Dame traue.«

»So will ich mich einmal auf Ihren Scharfblick verlassen und ihr auch trauen. Aber was haben Sie den für Veranlassung, ihr ein so großes Vertrauen zu schenken. Etwa nur Ihr Gesicht?«

»Zunächst dieses.«

»Und dann? Noch Etwas?«

»Ja, nämlich ihr Verhältniß zu den Leuten, mit denen wir es zu thun haben. Sie haßt sie alle.«

»Warum?«

»Sie ist Normanns Verlobte gewesen.«

»Ach, das ist etwas Anderes!«

»Und er hat sie verlassen.«

»Das verzeiht freilich kein Weib.«

»Seit jener Zeit sinnt sie auf Rache. Sie hat sich in seine Familie Eingang verschafft und ist scheinbar die Freundin von Tschita und Zykyma geworden. Sie hat sich das Vertrauen Aller errungen und nur auf den Augenblick gewartet, dasselbe zu täuschen.«

Der Pascha lachte befriedigt vor sich hin und sagte:

»Das muß ein famoses Weibsbild sein!«

»Unvergleichlich!«

»Hm! Das sagen Sie in diesem Tone. Interessiren Sie sich vielleicht auch persönlich für sie?«

Der Agent ließ eine kurze Zeit vergehen, bevor er antwortete:

»Sie ist allerdings ganz darnach geschaffen, es Einem anzuthun.«

»Das beruhigt mich.«

»Wieso?«

»Wenn Sie Absichten haben und diese sollten sich verwirklichen, so haben wir freilich von ihr keinen Verrath zu befürchten.«

»Verrathen wird sie uns auf keinen Fall.«

»Glauben Sie, Eindruck auf sie gemacht zu haben?«

»Fast möchte ich mir dies schmeicheln.«

»So eilen Sie! Je eher Sie darüber Klarheit erhalten, desto eher erfahren wir, daß wir ihrer sicher sind. Wenn sie Ja sagt, so – so – so kommt mir ein Gedanke.«

Der Agent blickte ihn forschend von der Seite an und fragte:

»Darf ich diesen Gedanken wissen?«

»Ja. Haben Sie Ihren Lebensplan vollständig fertig?«

»Was nennen Sie Lebensplan und was verstehen Sie unter dem Worte fertig?«

»Daß Ihre Bestimmungen über Ihre Zukunft nicht mehr geändert werden können.«

»Nun, was das betrifft, so bin ich freilich noch nicht fertig. Ich muß nehmen, was mir das Leben bringt.«

»So bringe ich Ihnen im Namen des Lebens etwas sehr Gutes.«

»Was?«

»Einen vortheilhaften Vorschlag. Gehen Sie mit mir nach der Türkei!«

Der Agent sah ihn überrascht an.

»Sapperment! Das ist allerdings ein sehr, ein höchst unerwartetes Wort.«

»Es kann Sie nicht überraschen, wenn Sie an unsere Angelegenheiten denken.«

»Das ist freilich wahr. Wenn Sie Ihre Mitschuldigen dort haben, sind Sie ihrer sicher.«

»O, daran dachte ich nicht.«

»Wie ich Sie zu kennen glaube, haben Sie aber daran gedacht. Sie sind ein sehr vorsichtiger Mann.«

»Nun, wenn es so wäre, würden Sie es mir übel nehmen?«

»Gar nicht. Ich bin objectiv genug, Ihnen das gar nicht zu verdenken.«

»Und außerdem meine ich es gut mit Ihnen. Ich biete Ihnen eine sichere, sehr angenehme Lebensstellung.«

»Welcher Art?«

»Das weiß ich noch nicht. Wir müßten es besprechen. Ich habe da so viel Auswahl, daß ich Ihre Ansprüche wohl sehr befriedigen könnte.«

»Nun, so übel wäre das nicht.«

»Sie haben also Lust?«

»Ja, denn hier komme ich doch nicht weiter.«

»Bei mir haben Sie eine Zukunft. Natürlich setze ich voraus, daß auch die Dame mit Ihnen geht.«

»Als meine Frau?«

»Ja, denn nur in diesem Falle sind wir ihrer sicher. Und übrigens hätte ich da für Tschita und Zykyma unterwegs eine Begleiterin. Sie auch mit – dann sind wir sicher, daß wir diese Beiden ohne große Störungen nach Constantinopel bringen.«

»Donnerwetter, Sie rechnen gut!«

»Muß ich das nicht?«

»Ja freilich.«

»Darum habe ich Ihnen gesagt, daß sie sich beeilen sollen mit ihr. Nur dann, wenn sie Ja gesagt hat, kann ich ihr vollständig trauen.«

Sie standen schon längst oben auf der Kuppe des Berges, neben der bereits erwähnten Bank. Der Agent blickte eine Weile sinnend vor sich nieder und sagte dann:

»Herr, ich werde ein Ding thun!«

»Thun Sie es! Aber was für eins?«

»Ich werde ihr meinen Antrag machen.«

»Natürlich! Das müssen Sie ja. Von selbst wird das nicht. Aber thun Sie es bald!«

»Das meine ich ja. Ich werde ihr meinen Antrag gleich heute machen, jetzt!«

Er deutete auf die Bank.

Der Pascha machte ein sehr überraschtes Gesicht. Er hatte im Sinne, seine Sache auf das Schlaueste zu führen. Es fiel ihm gar nicht ein, für den Agenten und das Mädchen in Constantinopel Etwas thun zu wollen. Hatte er sie nur dort, so war Alles gut. Dann konnten sie ihm nicht mehr schaden. Unter den dortigen Verhältnissen hatte er sie in seiner Gewalt. Und wenn es ja Gefahr gab, konnte er sie verschwinden lassen.«

»Hier? Jetzt?« fragte er. »Da wüßten wir allerdings gleich, woran wir sind.«

»Ja, dann wissen wir es. Und Sie bekommen dabei Gelegenheit, zu erfahren, ob wir ihr auch im anderen Falle trauen dürfen.«

»Auf welche Weise?«

»Indem Sie uns belauschen.«

»Ist das möglich?«

»Ja. Ich erwarte sie hier auf dieser Bank. Sie stecken sich in den Busch, der sich hinter derselben befindet. Sie müssen jedes Wort hören, welches von uns gesprochen wird.«

»Das wäre mir freilich lieb.«

»Natürlich! Ich werde das Gespräch in der Weise führen, daß Sie die Dame vollständig kennen lernen.«

»Aber dann müssen wir uns beeilen!«

»Jawohl. Sie kann jeden Augenblick kommen, und ich wundere mich überhaupt, daß sie noch nicht da ist. Sie darf Sie jetzt nicht bei mir sehen.«

»Wie machen wir es aber dann? Wo treffen wir uns?«

»Wenn Sie bemerken, daß wir fertig sind, ziehen Sie sich zurück. Wir kommen dann nach, nämlich nach dem Felsen, an welchem ich bereits mit Ihnen zusammengetroffen bin.«

»Schön! Sagen Sie, daß ich dort auf Sie habe warten wollen.«

Er steckte sich hinter die dichten Zweige des Busches und der Agent gab sich auf der Bank die Stellung eines unbefangenen Mannes, der auf Jemand wartet.

Er kannte Lina nicht. Sie war noch viel schlauer als er. Sie war natürlich auf demselben Wege herauf gestiegen und hatte sich gar nicht weit hinter den Beiden befunden. Da sie die Gegend kannte, so schritt sie sehr vorsichtig weiter und hielt kurz vor der Stelle an, wo der Weg auf die Lichtung mündete.

Dort recognoscirte er. Von den Bäumen und Büschen versteckt, sah sie, daß die Beiden sich in einer sehr animirten Unterredung befanden. Dann bemerkte sie, daß der Pascha sich versteckte.

»Wozu?« fragte sie sich. »Jedenfalls, um mich kennen zu lernen, bevor er sich vor mir sehen läßt. Nun, ich werde mir alle Mühe geben, sein ganzes Vertrauen zu erwerben.«

Sie kehrte eine kurze Strecke zurück, räusperte sich dann, um ihr Kommen bemerkbar zu machen, bevor man sie sehen konnte, und trat dann auf den freien Platz.

Dort machte sie eine Bewegung der Ueberraschung.

»Ah, Sie sind bereits da?« fragte sie. »Das ist mir lieb. Da brauche ich nicht zu warten.«

Er erhob sich höflich und antwortete:

»Man soll niemals eine Dame warten lassen, und ich möchte mich am Allerwenigsten gegen Sie eines solchen Vergehens schuldig machen.«

»O, ich verzeihe nicht schwer.«

»Aber ich bin desto strenger gegen mich. Ich würde es mir niemals verzeihen. Jetzt heiße ich Sie natürlich willkommen. Wollen Sie nicht Platz nehmen?«

Er deutete auf die Bank.

»Müssen wir warten?« fragte sie.

»Leider ja. Der betreffende Herr ist noch nicht da.«

»Also hier ist die Stelle, an welcher ich ihn sprechen werde? Das ist mir unlieb.«

»Warum?«

»Man kann hier leicht überrascht werden.«

»Sehr richtig. Darum haben wir eine andere Stelle bestimmt. Ich war bereits dort, fand den Herrn aber nicht vor und bin nach hier zurückgekehrt, wo Sie auf der Bank das Warten bequemer haben.«

»Nun, hoffentlich dauert es nicht lange.«

»Und ich wünsche das Gegentheil.«

»Warten Sie gern?«

»O nein. In diesem Falle aber wünsche ich, daß unsere Geduld sehr lange in Anspruch genommen werden möge.«

»Warum?«

»Weil dies mir Gelegenheit giebt, möglichst lange bei Ihnen zu sein.«

»Schmeichler!«

Sie gab ihm mit ihrem Schirme einen kleinen, freundlichen Klapps und setzte sich. Er stand noch, fragte aber:

»Erlauben Sie nur auch einen kleinen Theil der Bank?«

»Warum nicht, wenn Sie nicht allzu unbescheiden sind.«

»Ich beanspruche nur die äußerste Ecke.«

Er drückte sich auch wirklich in die Ecke, möglichst weit von ihr entfernt. Sie lachte goldig auf und sagte:

»Fürchten Sie sich vor mir?«

»Fast.«

»Das haben Sie nicht nöthig. Ich bin keine Harpye. Uebrigens haben wir Dinge zu besprechen, welche ein leises Plaudern erfordern. Also rücken Sie getrost näher!«

Er rückte ein Wenig näher und fragte:

»Ist das genug?«

»Noch weiter.«

»Dann sitze ich aber ganz bei Ihnen!«

»Schadet das Etwas?«

»Ja.«

»O wehe! Sie fürchten sich vor mir?«

»So, wie Sie es meinen, nicht.«

»Wie denn?«

»Ich besorge, daß mir Ihre Nähe gefährlich werden könne.«

»Das sehe ich nicht ein.«

»So kennen Sie Ihre Vorzüge nicht.«

»Pah! Man kennt das. Aber daß auch Sie den Galanten spielen, das hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut.«

»Wirklich nicht?«

»Nein. Sie haben dazu ein viel zu ernstes und würdiges Aussehen.«

»Würdig! Das heißt natürlich ehrwürdig. Ich bin so schrecklich alt!«

»O nein. So habe ich es nicht gemeint. Ich würde zum Beispiel nie einen Herrn lieben können, der nicht wenigstens zehn bis fünfzehn Jahre älter ist als ich.«

»Das klingt ja sehr aufmunternd für mich!«

»Meinen Sie, daß ich es als Aufmunterung für Sie gesagt habe?«

»Nein; aber ich würde unendlich glücklich sein, wenn es so wäre.«

»Das ist übertrieben.«

»Gewiß nicht!«

»O doch! Von einem unendlichen Glücke spricht kein vernünftiger Mensch.«

»Sehr wohl! Aber Sie wissen doch, daß die Liebe nur sehr wenig mit der Vernunft zu thun hat.«

»Leider! Und dennoch oder grad deshalb habe ich einen wahren Abscheu vor solchen Ueberschwänglichkeiten. Die Liebe, welche den Mond anguckt und mit den Wolken fliegt, ist nicht die richtige.«

»So möchte ich sehr gern wissen, welche Liebe Sie für die wahre halten.«

»Diejenige, welche mit offenen Augen wählt und sich durch keinen Schein blenden lässt.«

»Da haben Sie gar wohl Recht. Aber wo findet man solche Liebe.«

»Nun, ich denke, bei jedem vernünftigen Menschen.«

»So sagen Sie mir, ob Sie zum Beispiel mich für vernünftig halten.«

Sie warf ihm einen freundlich forschenden Blick zu und antwortete:

»Gewiß!«

»So wünsche ich, daß auch Sie vernünftig sein möchten!«

»Denken Sie vielleicht, daß ich das Gegentheil bin?«

»Nein. Darum wäre es so schön, wenn wir nicht Jedes für sich, sondern mit einander vernünftig sein wollten.«

»Wir Beide? Sie und ich?«

»Ja.«

»Zu welchem Zwecke?«

»Um glücklich zu sein.«

Da wurde ihre Miene ernst.

»Das ist ein sehr heikles Thema,« sagte sie. »Es möchte jeder Mensch glücklich sein, und ein Jeder könnte es auch, wenn er nur das Glück auch wirklich da suchen wollte, wo es zu finden ist.«

»Und wo meinen Sie, daß es zu finden sei, Fräulein? Jedenfalls doch in der Ehe. Oder sind Sie nicht auch derselben Meinung?«

Sie nickte zustimmend.

»Ja. Es ist der Wille der Vorsehung, daß Mann und Weib sich ergänzen sollen. Wer einsam bleibt, hat den ganzen, großen Zweck seines Lebens verfehlt.«

»Ah!« rief der Agent. »Sie sprechen mir aus der Seele. Aber wie Mancher möchte gern aus seiner Einsamkeit heraustreten; aber er wird immer wieder in dieselbe zurückgestoßen!«

»Von wem?«

»Von Derjenigen, an welche er sich gern schließen möchte.«

»Ist Ihnen das vielleicht auch schon so ergangen?«

»Bis jetzt nicht.«

»Oder denken Sie, daß Sie es zu befürchten haben?«

»Ich bin fast überzeugt davon.«

»Warum? Giebt es Eine, an die Sie sich schließen möchten?«

»Ja.«

»Und Sie befürchten zurückgewiesen zu werden?«

»Leider!«

»So begreife ich diese Dame nicht.«

Das electrisirte ihn förmlich.

»Was? Sie begreifen sie nicht? Sv will ich den Fall setzen, Sie selbst seien diese Dame!«

»O, das habe ich nicht zu erwarten.«

»Nehmen wir aber dennoch den Fall an! Was würden Sie thun?«

»Ich würde – würde –«

Sie blickte verschämt zu Boden. Ihre Wangen rötheten sich verlegen. Sie spielte ihre Rolle als Meisterin.

Er war ganz entzückt. Sie schämte sich, also liebte sie ihn, dachte er. Er ergriff ihre Hand und fragte:

»Was würden Sie? Sagen Sie es!«

»Ich würde – um Bedenkzeit bitten.«

»Und wenn ich diese nicht gewährte?«

»Das wäre schlimm.«

»O nein.«

»Gewiß! Sie würden mir doch eine solche Bitte ganz gewiß erfüllen.«

»Gewiß nicht, denn die Liebe kennt kein Bedenken.«

»O, Bedenken im wörtlichen Sinne habe ich auch nicht gemeint; aber man hat doch Verpflichtungen gegen sich selbst. Ich will einmal annehmen, daß ich Sie gut leiden könnte, daß ich Sie für einen braven, für einen Ehrenmann halte. Ist das genug?«

»Vollständig!«

»Nein. Ich habe gesagt, daß die Liebe nicht mit den Wolken fliegen soll. Sie ruht auf der Erde und hat ihre Bedürfnisse wie alles andere Irdische auch.«

»Sie meinen, daß Sie meine Verhältnisse nicht kennen?«

»Das ist es, ja.«

»Nun, da könnte ich Ihnen sehr beruhigende Mittheilungen machen.«

»Wirklich?«

»Ja. Seit heut hat sich mir sogar eine sehr verlockende Fernsicht in die Zukunft geöffnet.«

»Das freut mich herzlich.«

Sie sagte das in so wahrem Tone und machte ein so aufrichtiges, liebes Gesicht dazu, daß er ganz entzückt ausrief:

»Ja, diese Fernsicht ist wirklich prächtig. Es fehlt nur noch Eins dazu, dann wäre sie freilich so herrlich, daß ich ihr folgen würde.«

»Und was sollte das sein?«

»Sie sind es, Sie!«

Er drückte ihre Hand, die sie ihm willig gelassen hatte, an seine Lippen.

»Ich?« lächelte sie. »Wieso?«

»Es ist eine schöne Zukunft, welche sich mir bietet. Aber wenn Sie an derselben Theil nehmen wollten, würde sie unvergleichlich.«

Er erwartete wohl eine Antwort, aber sie schwieg.

»Lina, haben Sie kein Wort dazu?«

»Welches Wort könnte ich da sagen?«

»Sagen Sie nur das Wörtchen Ja!«

»Das geht nicht!«

»Warum nicht?«

»Ich kenne ja diese Fernsicht, diese verlockende Zukunft noch gar nicht.«

»Soll ich es Ihnen sagen?«

»Bitte, ja.«

»Der Pascha hat mir eine glänzende Anstellung in Constantinopel versprochen.«

Da fuhr sie empor, als ob sie auf das Glücklichste überrascht worden sei.

»In Constantinopel?« fragte sie.

»Ja.«

»Ists wahr? Wirklich?«

»Natürlich! Ich soll mit ihm fort.«

»Ah! Wie sind Sie zu beneiden!«

»Finden Sie das?«

»Gewiß, gewiß.«

»Warum?«

»Der Orient und vor allen Dingen Constantinopel ist stets das Bild meiner Träume gewesen.«

»So können diese Träume jetzt leicht zur Wahrheit werden.«

»O nein. So glücklich kann ich nicht sein.«

Sie stand da und blickte wie entsagend vor sich nieder. Er stand auch auf, ergriff ihre beiden Hände und sagte:

»O, wohl können Sie so glücklich sein. Sie brauchen nur zu wollen.«

»Wieso?«

»Sagen Sie, daß Sie mit wollen, mit mir, so ist Ihr Traum erfüllt.«

»Als was?«

»Als meine Frau, als mein liebes, liebes, süßes Weibchen.«

Ihre Augen leuchteten auf.

»Herr, da haben Sie meinen schwachen, verwundbaren Punkt getroffen. Der Orient, Constantinopel! Ach, Sie ahnen gar nicht, wie diese beiden Orte mich entzücken können.«

»So bitte ich Sie, mir Antwort auf meine Frage zu geben!«

Sie legte beide Hände auf die Brust, als ob sie dort Etwas zurückdrängen müsse, und sagte:

»Wie gern thät ich es; aber ich darf nicht.«

»Warum nicht?«

»Ich muß hier bleiben.«

»Wer hält Sie zurück?«

»Der Schwur, den ich mir selbst geleistet habe.«

»Ah! Die Rache?«

»Ja.«

»Wenn es nur das ist, so seien Sie ruhig. Grad dafür, daß Sie sich an allen diesen Menschen rächen, sollen Sie glücklich werden. Grad dafür will der Pascha mir in Constantinopel eine glänzende Zukunft schaffen.«

»Wie? Wirklich? Ich sollte mich rächen können und dann nach Constantinopel dürfen?«

»Ja. Sie sollen uns helfen, Tschita und Zykyma zu entführen. Sie sollen in den Harem des Pascha.«

»Den sie nicht lieben! Welche Rache! Tschita soll von Normann gerissen werden, der mir treulos wurde! Ah, wer hätte das gedacht! Darf ich sie in Constantinopel sehen?«

»Natürlich. Sie sollen sogar mit ihnen dorthin reisen und sie beaufsichtigen helfen.«

»Das, das soll ich? Ich soll ihnen zeigen dürfen, daß ich frei und glücklich bin, während sie Sklavinnen sind und unglücklich?«

»Das Alles, Alles sollen Sie haben.«

»Aber bald, sehr bald!« rief sie, als ob sie die Erfüllung dieser Verheißung kaum zu erwarten vermöge.

»So bald Sie es wünschen,« antwortete er. »Wollen Sie Ja sagen? Wollen Sie mich lieb haben und als meine Frau mit mir ziehen?«

»Ich sage ja, von ganzem Herzen ja, denn es ist mir – doch nein –« unterbrach sie sich – »so schnell darf ich doch meine Zusage nicht geben.«

»Warum nicht?«

»Ich kenne den Pascha nicht; ich weiß gar nicht, ob er mich mitnehmen würde, ob er Vertrauen zu mir hat.«

»Das hat er!«

»Wie können Sie das wissen?«

»Ich kenne seine Ansichten und glaube also, sagen zu dürfen, daß Sie ihm willkommen sein werden.«

»Ich hoffe es, muß aber Gewißheit haben.«

»So müssen wir warten, bis er kommt. Dann werden Sie ja hören, daß – –«

»Daß er gern einverstanden ist,« erklang es hinter ihnen.

Beide fuhren herum, sich ganz erschrocken stellend.

»Der Pascha!« rief der Agent.

»Ja, ich bin es,« antwortete der Genannte, indem er zu ihnen trat. »Habe ich Sie vielleicht erschreckt?«

»Beinahe,« antwortete der Agent.

»Ach, sehr!« sagte Lina, indem sie einen tiefen, ehrfurchtsvollen Knix machte.

»So hoffe ich, daß Sie sich sehr bald von diesem kleinen Schreck erholen

werden. Herr Schubert, Sie haben den Ort zu Ihrer Unterredung nicht glücklich gewählt.«

»Wieso?« fragte der Genannte, indem er sich verstellte.

»Weil dieser sehr leicht zu belauschen ist. Ich kam nach unserem Rendezvous und fand dort Niemand vor. Darum durchschritt ich die Umgebung, kam hierher und hörte Sie sprechen. Natürlich trat ich leise näher und sah Sie, mein lieber Herr Schubert, mit dieser Dame.«

»Und haben uns belauscht?«

»Halten Sie das für eine Sünde?«

»Für eine Sünde grad nicht, aber für Etwas, was man gewöhnlich nicht thut.«

»Gewöhnlich, ja. Aber da wir Ungewöhnliches vorhaben, so werden Sie mich vielleicht entschuldigen.«

»Ich verzeihe, ob auch die Dame, da mögen Sie selbst fragen.«

Der Pascha machte Lina eine elegante Verbeugung und sagte:

»Mein Fräulein, als ich Sie hier erblickte, vermuthete ich in Ihnen natürlich die Dame, welcher mich Herr Schubert vorstellen wollte. Ich wünschte, Sie kennen zu lernen und hatte dazu die beste Gelegenheit, wenn ich hörte, wie und was Sie mit ihm sprachen. Was ich hörte, erfüllt mich mit der festen Ueberzeugung, daß ich Ihnen mein volles Vertrauen schenken kann. Wenn ich das Ihnen so aufrichtig sage, hoffe ich, Ihre Verzeihung zu finden.«

Lina that, als ob sie sich noch immer in einer kleinen Verlegenheit befinde, doch machte sie eine Verbeugung und antwortete:

»Darf man in Constantinopel einem Pascha zürnen?«

»Nein. Das ist verboten.«

»Nun, so wollen wir nach den Gebräuchen Ihrer Heimath handeln.«

Seine Augen leuchteten befriedigt auf. Gleich als er sie sah, hatte ihre volle, reizende Gestalt einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht. Er liebte das Ueppige, und das fand er hier mit Grazie und Selbstbewußtsein vereint. Er hatte sofort den Vorsatz gefaßt: Die bekommst Du, nicht aber der Agent. Sie muß in Deinen Harem; ihn aber schiebst Du auf die Seite. Darum war er von ihrer jetzigen Antwort und der Art und Weise, wie sie ihm und seinem hohen Stande ein Compliment machte, ganz entzückt, und sagte:

»Sie zürnen mir also wirklich nicht?«

»Nein.«

»So wollen wir gute Freunde werden! Stimmen Sie ein?«

»Gern.«

»Bitte, geben Sie mir Ihre Hand darauf!«

Und als sie ihm dieselbe reichte, fuhr er fort:

»Ich bin überzeugt, daß die Bekanntschaft, welche wir jetzt schließen, für alle Theile von Vortheil sein wird. Sie sollen mir einen kleinen Dienst erweisen, und dafür werde ich Sie so belohnen, daß Sie getrost und mit freudiger Genugthuung in die Zukunft blicken können.«

»Ich bin bereit, Ihnen gefällig zu sein,« erklärte sie, zumal ich vernommen

habe, daß das mit meinen Ansichten und Gefühlen so vollständig harmonirt. Sie wollen sich rächen, und ich will es auch. Ihre Feinde sind auch die meinigen, und so wollen wir von heut an Hand in Hand gehen, bis unsere gemeinschaftliche Aufgabe erfüllt ist.«

»Und auch weiterhin, noch länger!« fügte er hinzu. »Aber wir wollen uns ja besprechen. Kommen Sie mit dahin, wo wir ungestört sein und nicht belauscht werden können.«

Sie begaben sich nach dem Felsen. Nur Lina wußte, daß sie doch belauscht sein würden. Sie warf einen verstohlenen Blick empor und sah ein Paar Augen durch das künstlich dort angebrachte Buschwerk blicken.

»Setzen wir uns, ohne uns zu geniren,« sagte der Pascha, indem er sich in das Moos niederließ. »Es ist bequemer.«

Der Agent that desgleichen und Lina auch, nachdem sie sich erst ein Wenig mädchenhaft gesträubt hatte.

»Also Sie sind von hier?« fragte sie der Pascha.

»Nein, sondern aus der Residenz.«

»Ich denke, Sie verkehren mit Normanns!«

»Ja, denn ich bin sehr oft auf Besuch bei meiner Tante, welche neben ihnen wohnt.«

»Sie sind ihnen aber nicht freundlich gesinnt?«

»Ich habe allen Grund, sie zu hassen.«

»Grad so wie ich. Normann hat mir Tschita und Zykyma aus meinem Harem gestohlen. Ich will sie mit Gewalt zurückbringen und kann das leichter mit als ohne Ihre Hilfe thun. Sind Sie bereit dazu?«

»Und wie gern! Ich führe ja dadurch die längst geplante Rache viel nachdrücklicher aus, als es mir sonst möglich sein würde.«

»Gut. Halten Sie es denn für möglich, daß ich sie in meine Hand bekomme?«

»Wenn wir es richtig anfangen, ist es sogar sehr leicht.«

»Sie werden mir Ihre Vorschläge machen. Es giebt aber außer diesen beiden Personen noch andere, an denen ich mich rächen will.«

»Sie meinen natürlich Normann?«

»Ja, und noch mehrere. Das aber wird sie weniger interessiren.«

»Warum?«

»Weil sie Ihnen fern stehen und Sie dieselben gar nicht kennen.«

»Sind diese Personen mit Normann's etwa befreundet?«

»Sehr.«

»Haben sie vielleicht sogar dabei mitgeholfen, daß Normann mich verstoßen und diese Tschita heirathen konnte?«

»Ja, alle.«

»So hasse ich sie sämmtlich und muß mich an ihnen rächen. Ich habe es mir geschworen.«

Sie ballte die Hände und machte ein so finsteres Gesicht, wie ihr nur möglich war. Der Pascha war sehr erfreut über ihren Grimm, und die Ueberzeugung, daß er ihr vertrauen könne, schlug immer festere Wurzeln in ihm.

»So haben Sie mir aus der Seele gesprochen,« sagte er. »Also die nächste Aufgabe ist, zunächst die beiden Frauen in meine Gewalt zu bekommen, wo möglich ohne großes Aufsehen zu erregen. Halten Sie das für schwer?«

»Sogar für sehr leicht.«

»Auf welche Weise?«

»Die Art und Weise muß der Augenblick ergeben. Hauptsache ist, wie wir sie den Nachforschungen entziehen.«

»Ja, das ist das Schwierigste. Man wird uns natürlich nachjagen, uns verfolgen.«

»Verfolgen? O nein!«

»Nicht? Sie denken etwa, daß man uns entkommen läßt, ohne nur den Versuch zu machen, uns zu ergreifen?«

»O nein! Aber Verfolgen nennt man doch nur das Nachjagen hinter Einem, den man vor sich hat.«

»Allerdings.«

»Diese Leute werden uns aber doch nicht vor sich haben.«

»Nicht?« fragte er verwundert. »Wir müssen doch schleunigst die Flucht ergreifen!«

»Ah!« lachte sie. »Da würde man uns freilich schnell ergreifen. Der Polizei steht ein so kräftiger und weitreichender Apparat zur Verfügung, daß das Entkommen für uns ganz und gar unmöglich würde.«

»So sehe ich nicht ein, was wir thun sollen!«

»Nicht? Das ist doch sehr einfach.«

»Nun, was denn?«

»Hier bleiben!«

»Ah! Meinen Sie das im Ernste?«

»Gewiß.«

»So ergreift man uns erst recht!«

»O nein! Sie müssen sich doch überlegen: Wenn wir mit den Vermißten verschwinden, so steht es fest, daß wir die Thäter sind.«

»Allerdings.«

»Zwei Damen mit Gewalt entführt, in Deutschland, von einem türkischen Pascha! Denken Sie sich doch den Lärm im ganzen Lande!«

»Der ist nicht zu vermeiden.«

»O doch! Man würde vielleicht die Sturmglocken läuten wie zur Zeit des Prinzenraubes. Sie würden nicht weit kommen.«

»Alle Teufel! Recht haben Sie!«

»Natürlich! Sie wären von allen Seiten gehetzt. Wie wollten Sie entkommen? Auf der Bahn? Mit der Post? Ueberall würden Sie erwartet. In keiner Stadt, in keinem Dorfe, an keinem Orte dürften Sie sich sehen lassen. Man würde Sie mit den Feuerwehren suchen und die Bauern mit Heugabeln auf Sie hetzen. Wenn Sie sich nicht ergreifen lassen wollten, müßten Sie sich im tiefen Walde, in Höhlen verstecken und vor Hunger und Durst elendiglich verschmachten und umkommen. Dazu kämen die Bemühungen der beiden Geraubten, Ihnen zu entspringen oder doch die Aufmerksamkeit der Verfolger auf Sie zu lenken. Sagen Sie mir doch in aller Welt, wie Sie da an die Möglichkeit des Gelingens nur denken können!«

Der Pascha blickte verlegen vor sich hin und sagte kleinlaut:

»So haben wir es uns freilich nicht gedacht.«

»Es wird aber genau so sein.«

»Das sehe ich freilich ein. Also wird es wohl am Besten sein, Ihren Rath zu hören. Wie denken denn Sie sich die Sache?«

»Ich denke mir, Tschita und Zykyma gehen einmal spazieren und kommen gar nicht wieder.«

»Des Abends natürlich? Denn nur da wäre es möglich.«

»O, es kann auch am hellen Tage geschehen. Grad da würde man nur an eine Verunglückung, keinesfalls aber an eine Entführung denken.«

»Ach, ich höre, Sie sind die Richtige, die wir brauchen können!«

»Wir müssen die Sache ebenso einfach wie schlau anfangen. Es darf nicht der mindeste Verdacht auf uns fallen.«

»Ganz recht. Aber wenn sie verschwinden sollen, so muß es einen Ort geben, an welchem wir sie heimlich zurückhalten können.«

»Den giebt es auch.«

»Wo?«

»Ganz in der Nähe, auf Burg Grafenreuth.«

»Was ist das für eine Burg? Ich bin hier völlig unbekannt.«

»Herr Schubert wird sie kennen. Es ist ein altes Raubritterschloß, halb verfallen und ganz einsam im Walde liegend. Prinz Oskar hat es angekauft und so weit renoviren lassen, daß es nicht weiter zerbröckeln kann. Er hat einige Zimmer herrichten lassen, daß sie bewohnbar sind. Sonst aber sind die alten Gänge, Verließe, Gewölbe und Verstecke noch vorhanden. Da giebt es genug Platz, die beiden Frauenzimmer zu verbergen.«

»Wie aber ist das anzufangen? Ist es bewohnt?«

»Nur von dem Kastellan, der ganz allein dort haußt.«

»Der aber würde uns im Wege sein.«

»O nein. Er würde uns sogar beistehen.«

»Wirklich? Haben Sie einen guten Grund, dies anzunehmen?«

»Ja. Er ist mein Oheim und kann die Normann's nicht leiden; ich bin stets sein Liebling gewesen, und er war damals, als ich vor Tschita zurücktreten mußte, geradezu wüthend auf die ganze Gesellschaft. Er haßt sie heut noch grad so wie vordem und würde sich freuen, ihnen so einen Streich spielen zu können.«

»Würde er nicht vor der Gefahr zurückschrecken?«

»Nein, falls ich ihm die Sache so darstelle, daß er an ein gutes Gelingen glauben kann. Uebrigens ist er sehr geizig und geldsüchtig. Wenn er auf eine angemessene Belohnung zählen kann, so dürfen Sie auf seine Hilfe sicher rechnen.«

»Was das betrifft, so bin ich bereit, ihn sehr gut zu bezahlen. Ihr Plan gefällt mir außerordentlich. Er ist gut ausgedacht, und es scheint mir, als ob er uns die wünschenswerthe Sicherheit biete und auch leicht ausgeführt werden könne.

»Ganz gewiß. Wir können die Personen so lange dort verbergen, bis die Aufregung sich gelegt hat und wir im Stande sind, die Reise nach der Türkei mit ihnen zu unternehmen.«

»Herrlich, herrlich! Sie haben ganz Recht. Wir können hier ruhig weiter bleiben, und kein Mensch vermag, Etwas auf uns zu bringen, falls Ihr Oheim schweigsam ist!«

»Auf den können Sie sich verlassen. Uebrigens wird kein Mensch auf den Gedanken kommen, daß die Vermißten sich an einem Orte befinden, der dem Prinzen gehört.«

»Sicher nicht! Wir wollen diesen Plan festhalten. Er gefällt mir auch darum so vorzüglich, weil ich nun auch weiß, wohin mit den anderen Personen.«

»Welche Personen meinen Sie?«

»Zunächst Normann. Ihn können wir wohl auch nach Grafenreuth locken?«

»Sehr leicht sogar. Das will ich schon besorgen.«

»Auf welche Weise?«

»Tschita muß ihm ein paar Zeilen schreiben. Er denkt, sie retten zu können und wird dann aber selbst eingesperrt.«

»Aber da müßte sie ihm doch schreiben, wo sie sich befindet, und das ist gefährlich.«

»O nein. Die Sache läßt sich leicht so einrichten, daß gar nichts verrathen werden kann.«

»Gut! Wir können das ja noch besprechen, denn wir haben Zeit dazu. Dieser Ort ist ganz vortrefflich gewählt. Ich denke, daß wir auch die Anderen hinlocken könnten. Da hätte ich Alle beisammen und könnte eine Rache ausführen, wie sie mir auf andere Weise gar nicht möglich ist.«

»Welches sind diese anderen Personen?«

»Die Adlerhorst's, vor allen Dingen dieser Steinbach, der an Allem schuld ist, der Lord – – ah, das würde mir Gelegenheit geben, ihm zu beweisen, daß ich gar wohl satisfactionsfähig bin! Ferner denke ich da an diese verfluchten Kerls, die Amerikaner, den dicken und die zwei dünnen Kerls. Meinen Sie, daß wir sie Alle zusammen bekommen könnten?«

»Warum nicht?«

»Schön, sehr schön! Und mein Derwisch, der da draußen auf dem Meierhofe gar nicht sicher ist, könnte dort wohl auch das sicherste Versteck finden.«

»Wer ist das, der Derwisch?«

»Ein Freund von mir, welchen Steinbach gefangen genommen und hierhergeschickt hat. Er soll wohl als Zeuge gegen mich dienen.«

»Ach, der droben im Schlosse?«

»Ja. Hat Herr Schubert zu Ihnen von ihm gesprochen?«

»Er hat mir eine Andeutung gemacht.«

»Und glauben Sie nicht, daß er auf dieser alten Burg sicher sein wird?«

»Sicherer jedenfalls als anderswo.«

»So soll auch er hin, ja, er soll hin. Seine Anwesenheit dort wird mir eine Garantie für das Gelingen unseres Planes sein.«

»Wieso?«

»Nun, ich kenne Ihren Oheim nicht, und so werden Sie es mir nicht verdenken, daß ich ihm nicht sofort und völlig traue.«

»Das nehme ich Ihnen gar nicht übel.«

»Wenn Osman sich dort befindet, kann er ihn beobachten, was mich beruhigen wird. Natürlich dürfen Sie Ihrem Onkel nichts davon sagen.«

»Kein Wort. Das versteht sich ja ganz von selbst!«

»Also sagen Sie, ob Sie sich wirklich als unsere Verbündete betrachten wollen.«

»Ja, ich helfe Ihnen, denn ich glaube, daß Sie uns Ihr Wort halten werden.«

»Ich halte es. Herr Schubert soll eine Anstellung erhalten, wie er sie hier im ganzen Leben niemals bekommen hatte. Ich bin reich, sehr reich und besitze einen Einfluß, welcher mehr als ausreicht, einen Freund für lebenslang gut zu versorgen. Reichen wir uns also die Hände, und versprechen wir uns Hilfe, Treue und Verschwiegenheit.«

Sie schlugen ein. Der Pascha war ganz vertrauensselig. Die Schönheit der Polizistin bezauberte ihn, und ihr Verhalten hatte ihn zu einem rückhaltslosen Vertrauen genöthigt. Er besaß keine Ahnung, daß er sich mit einer Feindin verbündet hatte und nun an den Schlingen mitarbeitete, in welche er später unbedingt gerathen mußte.

»Und nun,« fuhr er fort, »dürfen wir keine Zeit verlieren, keine Stunde, keinen Augenblick. Wir müssen zunächst den Derwisch unterbringen, und zwar noch heute in der Nacht, denn da kommt – –«

»Ja,« fiel der Agent ein, »wir müssen uns beeilen. »Ich habe einen Brief erhalten, welchen ich Ihnen noch zeigen werde. Es ist unbedingt nothwendig, daß der Oheim, der Kastellan, augenblicklich gewonnen wird.«

»Das werden Sie thun müssen, Fräulein,« sagte der Pascha.

»Schön!« antwortete sie. »Ich werde gleich morgen früh zu ihm fahren, um die Angelegenheit mit ihm zu ordnen.«

»Morgen erst?«

»Oder noch eher!«

»Natürlich! Heut, sogar gleich jetzt! Die Zeit drängt uns zur größten Eile!«

»Gut! Auch das will ich thun.«

»Wie weit liegt die alte Burg von hier?«

»Mit dem Wagen erreicht man sie in einer Stunde.«

»So fahren Sie hinaus, und sagen Sie uns nach Ihrer Rückkehr Bescheid.«

»So wollen wir uns nochmals hier treffen?«

»Gewiß.«

»Das können wir vermeiden. Ich möchte haben, daß Sie mich begleiten.«

»Halten Sie das für nöthig?«

»Unumgänglich nöthig nicht, aber besser ist es auf jeden Fall. Sie können selbst mit ihm reden und die Bedingungen mit ihm vereinbaren. Ohne Geld thut er es freilich nicht, und wenn Sie ihm gleich Etwas anzahlen, haben Sie ihn sicher.«

»Gut, so reise ich mit.«

»Herr Schubert aber auch.«

»Warum dieser?«

»Weil mein Oheim wissen muß, daß auch er im Einverständnisse ist. Es wird unter Umständen ja vielleicht nöthig sein, daß Herr Schubert mit ihm spricht.«

»Sie haben Recht. Woher aber nehmen wir einen Wagen?«

»Den werden allerdings die Herren zu besorgen haben.«

»Ist das nicht gefährlich? Der Kutscher könnte später, wenn ein Verdacht auf uns fällt, verrathen, daß wir in Grafenreuth gewesen sind.«

»Hm, ja. Wenn man dann draußen sucht, findet man die Leute. Herr Schubert, wissen Sie keinen Rath?«

»Natürlich weiß ich einen: Wir nehmen gar keinen Kutscher mit.«

»Geht das?«

»Ja. Der Wirth des Hotels zum Schwan, wo ich logirt habe, wird mir sofort Pferd und Kutsche anvertrauen. Er hat das schon bereits öfters gethan.«

»Das ist ja bequem. Wie lange werden Sie brauchen, um fertig zu sein.«

»Sagen wir drei Viertelstunden.«

»Und Sie kennen den Weg?«

»Ganz gut. Es führt ja die Straße hin.«

»So werde ich vorausgehen. Der Pascha kann dasselbe thun, und dann steigen wir auf der Straße heimlich auf. Haben wir noch Etwas zu besprechen?«

»Für jetzt nichts,« antwortete der Pascha. »Ich möchte Sie aber aus Vorsicht doch noch einmal fragen, ob Sie wirklich glauben, daß der Kastellan auf unseren Plan eingehen werde.«

»Ich bin überzeugt davon, daß ich Ihnen meine Hand und mein Ehrenwort darauf gebe.«

»Es wäre eine verdammte Geschichte, wenn er es nicht thäte, denn dann würde er es auf jeden Fall verrathen.«

»Nein, selbst dann nicht.«

»Glauben Sie?«

»Ja, weil ich dabei bin.«

»Nun, wenn Sie so überzeugt sind, darf ich wohl ruhig sein.«

»Sie haben auf keinen Fall Etwas zu befürchten. Also bereiten Sie sich letzt vor. Wir dürfen uns wohl trennen. Die Herren werden mir erlauben, mich zuerst zu entfernen. Sie können sich, bevor Sie folgen, ja noch eingehender besprechen. Zusammensehen darf uns natürlich Niemand.«

Sie verabschiedete sich und ging. So lange sie von den Blicken der Beiden etwa verfolgt werden konnte, ging sie langsam; dann aber beeilte sie sich so sehr wie möglich, um ihren Bruder aufzusuchen.

Sie theilte ihm in kurzen Worten den Inhalt des Gespräches mit.

»Ah!« lachte er. »Das giebt der Sache eine ganz neue und vortreffliche Wendung. Diese beiden Kerls wollen fangen, werden aber selbst gefangen werden.«

»Und auf diese Weise erlangen wir alle Mittel, um ihnen die nöthigen Beweise liefern zu können.«

»Das ist besonders im Betreff des Pascha gut. Für seine früheren Thaten kann er natürlich hier bei uns nicht bestraft werden; aber wenn wir ihm Menschenraub und Gefangenbefreiung, vielleicht auch Anderes nachweisen können, so steckt er hier fest. Freilich haben wir nun Frau Auguste umsonst auf dem Meierhof plazirt; doch das thut ja nichts. Der Castellan ist ein besserer Beobachter als sie.«

»Nun gilt es aber, ihn augenblicklich zu benachrichtigen!«

»Natürlich! Ich werde schleunigst auf das Schloß gehen und mir ein Pferd satteln lassen. Ich reite nach Grafenreuth. Bevor Ihr hinkommt, habe ich ihn instruirt.«

»Aber laß Dich nicht von meinen Begleitern sehen.«

»O nein. Ich beeile mich dort so sehr wie möglich und schlage rückwärts einen anderen Weg ein.«

»Sage dem Castellan, er solle mich ja als Nichte behandeln. Selbst wenn er mich mit einem Kusse empfängt, werde ich es ihm nicht übel nehmen.«

Sie trennten sich, und Lina ging heim, um sich zu der Fahrt umzukleiden. Dann spazierte sie nach der Straße, wo sie den Wagen treffen mußte.

Dort stieß zunächst der Pascha zu ihr. Er bot ihr den Arm, war höchst liebenswürdig zu ihr und gab sich alle Mühe, ihr Wohlgefallen zu erwecken. Sie verhielt sich in der Weise zu ihm, daß er glaubte, Hoffnung haben zu dürfen, von ihr erhört zu werden.

Als dann der Wagen kam, stiegen sie auf. Der Agent wollte schnell fahren, Lina aber sagte, sie könne das nicht vertragen. Sie wollte ihrem Bruder Zeit lassen, den Castellan so ausführlich wie möglich zu instruiren.

Als sie an der alten Burg anlangten, war keine Spur von dem Polizisten zu sehen. Er hatte sich bereits wieder entfernt.

Sie fuhren in den einstigen Schloßhof und stiegen aus. Kein Mensch ließ sich sehen. Der Castellan durfte doch nicht wissen lassen, daß er von der Ankunft seiner vermeintlichen Nichte unterrichtet sei.

Ein Theil der Ruine, welche einen beträchtlichen Umfang hatte, war renovirt worden. Dort mußte der Castellan wohnen, und dorthin lenkten also die Drei ihre Schritte.

Ein schmales Thor führte in das Gebäude. Eben als sie durch dasselbe traten, kam ein alter Mann, den man den Beamten von Weitem ansah, eine breite, steinerne Treppe herab. Er blieb auf der letzten Stufe stehen und zeigte eine Haltung, als ob er auf das Aeußerste, aber freudig überrascht sei.

»Wer – wer kommt denn da?« rief er aus. »Du bist es, Du, Lina! Wer hätte das gedacht!«

»Nicht wahr, Onkel,« lachte sie, »das ist eine Ueberraschung?«

»Eine große. Ich glaubte, Dich in Monaten nicht wieder zu sehen.«

»So komme ich Dir wohl unbequem?«

»Was denkst Du? Ich begrüße Dich mit Freuden. Du kommst eben recht, mir einen Rath zu geben.«

»Den sollst Du haben. Grüß Dich Gott!«

Sie umarmte ihn und er gab ihr einen herzlichen Kuß auf die Wange. Beide spielten ihre Rollen so ausgezeichnet, daß die Herren an die Verwandtschaft glauben mußten.

»Du bist doch nicht bös, daß ich nicht allein komme?« fragte sie. »Ich bringe zwei Freunde mit.«

»Recht so! In meiner Einsamkeit ist mir so ein Besuch gar lieb, zumal wenn die Herren Freunde von Dir sind.«

»Laß sie Dir vorstellen! Du wirst erstaunen. Hier ist zunächst Herr Schubert, mein Bräutigam, den ich – –«

»Bräutigam?« unterbrach er sie erstaunt. »Das ist doch nur ein Scherz von Dir!«

»O nein, es ist mein völliger Ernst. Wir haben uns heut verlobt.«

»O Du Schalk! Und mir hast Du nie gesagt, daß Du so eine herzliche Bekanntschaft machtest!«

»Als ich zum letzten Male bei Dir war, kannte ich Herrn Schubert noch gar nicht. Noch mehr aber wirst Du jetzt staunen. Dieser andere Freund ist ein gar hoher und vornehmer Herr aus dem Auslande, aus Constantinopel, ein Pascha.«

Der Castellan fuhr zurück.

»Ein Pascha!« rief er aus.

»Ein echter, richtiger Pascha?«

»Ein wirklicher!«

»Ah, welche Ehre!«

Er machte einige sehr tiefe Verbeugungen.

»Bemühen Sie sich nicht allzusehr, mein Lieber,« sagte der Pascha freundlich. »Ich habe hier auf die Ansprüche meines Ranges verzichtet und befinde mich incognito im Bade.«

»Wenn auch, wenn auch! Ein Pascha, ein wirklich türkischer Pascha. Nein, so eine Ehre! Kommen die Herren doch nur herauf.«

Er führte die Drei nach seiner Wohnung, welche aus einem Wohn- und einem Schlafzimmer bestand. Dann entfernte er sich, um einen Trunk zu holen.

»Nun, wie gefällt er Ihnen?« fragte Lina den Pascha.

»Sehr wohl. Er hat aufrichtige Züge.«

»O, es ist kein Falsch an ihm!«

»Ein Wenig Falschheit gehört aber doch zur Ausführung unseres Vorhabens.«

»Nun, was das betrifft, so kann er auch ganz pfiffig sein. Prüfen Sie ihn nur!«

»Was mag das für ein Rath sein, den er von Ihnen begehrte?«

»Das weiß ich selbst noch nicht, werde es aber wohl bald erfahren.«

Der Castellan kehrte mit Bier und einem Imbiss zurück.

»Mehr hat ein armer Teufel nicht,« sagte er. »Begnügen sich also die Herren mit dem guten Willen. Lina mag vorschneiden und kredenzen.«

Die beiden Herren machten von seiner Gastlichkeit Gebrauch, einestheils um ihn nicht zu kränken und anderntheils weil durch das Essen und Trinken die ersten Minuten übergangen wurden und sich die für sie wünschenswerthe Gemüthlichkeit einstellen konnte.

»Meinen Rath wolltest Du?« fragte Lina, auch ihm ein Glas vollgießend. »Ist es etwas Familiäres, oder können auch die Herren es hören?«

»Sie können es getrost erfahren, denn man wird bald allgemein darüber sprechen. Ich wollte Dich fragen, was Du für besser hältst, ob ich nämlich zu Dir ziehe oder zu Frau Berthold. Ihr seid meine einzigen Verwandten.«

»Wie? Was? Willst Du denn von Grafenreuth fort?«

»Ich muß.«

»Du mußt? Warum denn?«

»Ich bin – entlassen – – bin abgesetzt.«

»Mein Gott! Abgesetzt!« rief sie erschrocken. »Das ist doch gar nicht möglich!«

»O wohl ist es möglich!«

»Seit wann denn?«

»Seit gestern.«

»Und warum?«

»Wegen – hm, es ist die alte Geschichte. Die Normanns sind schuld.«

»Wieder diese Normanns! Was ist denn eigentlich vorgekommen?«

Sie stellte sich so prächtig erschrocken, und er machte ein so grimmiges Gesicht, daß die beiden Anderen an der Wahrheit dessen, was gesagt wurde, gar nicht zweifeln konnten.

»Eine verdammte Geschichte!« sagte der Alte. »Und im Grunde genommen habe ich doch ganz und gar nichts gethan, was ein solches Vorgehen gegen mich rechtfertigen könnte.«

»Aber Deine Pension hast Du doch?«

»Eben nicht. Sie wird mir entzogen.«

»Das ist grausam. Und wann willst Du fort von hier?«

»Man hat mir nur einen einzigen Monat Zeit gegeben. Die Anfangsursache ist ein Fremder, ein Mensch, der sich Steinbach nannte und – –«

»Steinbach?« unterbrach sie ihn. »Was für ein Steinbach?«

»Weiß ich es? Er nannte sich Oscar Steinbach.«

»Ah!« rief der Pascha aus. »Was für eine Gestalt hatte der Mensch?«

»Er war sehr lang und stark, ein wahrer Goliath mit schwarzem Haar und Barte.«

»So ist er es!«

»Wer?«

»Ein Mensch, den ich längst suche. Ich habe ein Hühnchen mit ihm zu rupfen.«

»O, ich nun auch!«

»Also er befindet sich hier?«

»Nein. Er ist wieder fort.«

»Wohin?«

»Das weiß ich nicht. Jedenfalls aber kommt er bald wieder. Wenigstens hat er mir das angedroht.«

»Was wollte er denn bei Ihnen?«

»Hier wohnen wollte er. Denke Dir, Lina!«

»Zu welchem Zwecke denn?« fragte sie.

»Er sagte, es sei ein Pasch– – ah, sollte er etwa Sie gemeint haben, gnädiger Herr?«

»Wieso?« fragte der Pascha, an welchen diese Worte gerichtet waren.

»Er sagte, es sei ein Pascha im Bade, der es auf die Familie abgesehen haben müsse. Er, nämlich Steinbach, wolle ihn beobachten, ohne selbst gesehen zu werden. Darum müsse er außerhalb des Ortes Wiesenstein wohnen und seine Wahl sei auf Schloß Grafenreuth gefallen.«

»Sonderbar!«

»Ja, höchst sonderbar, zumal er keinerlei Anweisungen für mich hatte.«

»So vermochte er nicht, sich zu legitimiren?«

»Nein. Ich sagte ihm, daß Grafenreuth nicht ein Privatort, sondern prinzliche Besitzung sei und daß ich ohne prinzliche Genehmigung keinen Fremden hier aufnehmen könne.«

»Das hat er doch einsehen müssen!«

»O, er that ganz im Gegentheile so, als ob er hier zu befehlen habe, und zog zuletzt einige Zeilen von Normann heraus.«

»Was enthielten sie?«

»Eine kurze Weisung, diesem Herrn Logis zu geben.«

»Hat Normann Dir denn Etwas zu befehlen?«

»Nichts, gar nichts.«

»So ist das eine Frechheit, ja geradezu eine Frechheit, die ich gar nicht begreifen kann.«

»Ich war auch ganz starr.«

»Was bildet sich denn dieser Normann ein!«

»Das fragte ich natürlich ebenfalls. Aber ich weiß schon. Er ist gut Freund mit dem Schloßverwalter von Wiesenstein, dessen Untergebener ich bin. Darauf hin hat er geglaubt, daß ich seiner Weisung Gehorsam leisten muß. Wenigstens trat dieser Steinbach so auf, als ob er der Herr sei.«

»Und was thatest Du?«

»Was ich thun mußte. Ich wies ihn fort, und als er nicht gehen wollte, habe ich ihn mit Gewalt aus der Thür geschoben. Er drohte mir mit Strafe; er werde das Normann melden. Ich fürchtete mich freilich nicht, habe mich aber geirrt. Gestern kam der Schloßverwalter und verkündigte mir, daß ich abgesetzt sei.«

»Das sollte man gar nicht glauben! Was kannst Du denn dagegen thun?«

»Nichts, gar nichts!«

»Aber Du bist doch Diener des Prinzen. Er allein kann Dich absetzen.«

»Der Verwalter hat mich angestellt und eingesetzt. Er kann mich auch wieder absetzen.«

»Weißt Du das so genau?«

»Ja, es wurde so ausgemacht.«

»Hast Du denn nicht ein gutes Wort gegeben?«

»Natürlich. Erst habe ich mich vertheidigt, und dann, als das nichts half, bat ich, aber freilich vergebens. Der Verwalter sagte mir, daß ich auf keine Gnade zu rechnen habe.«

»Das ist freilich stark!«

»So stark, daß ich – ah!«

Er schritt zornig im Zimmer auf und ab und sagte dabei:

»Daß ich diese Normanns hasse, das weißt Du schon. Jetzt nun treiben sie mich gar noch aus der Stellung. Kann ich mir das so ruhig gefallen lassen?«

»Nein. Aber ich denke, daß Du gar nichts dagegen thun kannst!«

»Das ist richtig, sehr richtig. Aber rächen möchte ich mich, rächen! Ich gäb Etwas darum, wenn ich eine Gelegenheit dazu fände. Meine Herren, denken Sie nicht, daß ich ein schlechter Kerl bin; aber wenn es mit Einem in dieser Weise getrieben wird, so kommt Einem unwillkürlich der Gedanke an Rache.«

»Das ist sehr begreiflich,« sagte der Pascha. »Ich würde ganz ebenso denken wie Sie.«

»Das freut mich. Bitte, sagen Sie mir, ob Sie der Herr sind, von welchem Steinbach sprach!«

»Ja, ich bin es.«

»So haben Sie auch auf Normanns eine Feindschaft?«

»O, eine bedeutende, lieber Onkel,« fiel Lina ein. »Du hast doch wohl gehört, daß die Herren in der Türkei mehrere Frauen haben dürfen?«

»Ja, das weiß ich.«

»Nun, dieser Herr hat auch mehrere gehabt, aber Steinbach, Adlerhorst und Normann haben sie ihm entführt.«

»Was Du da sagst!«

»Ja, entführt haben sie sie ihm, und – – nun aber wird Dein Staunen kein Ende nehmen – Tschita und Zykyma sind diese entflohenen Weiber.«

»Was? Was sagst Du? Diese Tschita, welche an Deiner Stelle seine Frau – –«

»Ja, dieselbe.«

»Die hat er gestohlen?«

»Ja.«

»Aber Herr, das lassen Sie sich gefallen!«

»Ich muß doch!« antwortete der Pascha.

»Es giebt ja Gesetze!«

»Hier für mich nicht. Die Vielweiberei ist in Deutschland verboten.«

»So müssen Sie diese beiden Frauen ihm ruhig überlassen?«

»Ja. Was will ich thun?«

Der Castellan heuchelte den größten Zorn, das größte Erstaunen.

»Aber, Sapperment!« rief er aus. »Wenn das Gesetz Ihnen nicht Recht giebt, warum helfen Sie sich da nicht selbst?«

»Das wollte ich freilich; aber man würde mich bestrafen.«

»An ihrer Stelle fragte ich darnach den Teufel!«

»Wirklich?«

»Ja. Ich würde die Sache eben gescheidt anfangen. Wer nicht erwischt wird, der kann auch nicht bestraft werden.«

»Hm! Was würden Sie denn an meiner Stelle thun?«

»Mir die Frauen wieder holen.«

»Ja, wie wollen Sie das anfangen?«

»Ich würde Sie irgend wohin locken, wo ich mich ihrer bemächtigen könnte.«

»Das ist leicht gesagt!«

»O, für die Rache ist nichts zu schwer! Und sodann würde ich diesem Normann, dem Adlerhorst und dem Steinbach noch persönlich ein Tüchtiges auswischen!«

»Was denn?«

»Das weiß ich freilich nicht. Ich habe einen solchen Grimm in mir, daß ich ihnen gar nicht genug Schlimmes wünschen kann. Nehmen mir in meinen alten Tagen den Dienst und auch die Pension. Was fange ich an? Wer giebt so einem alten Manne eine neue Stellung!«

Er stellte sich so erbost, daß sowohl der Agent als auch der Pascha vollständig getäuscht wurden. Lina warf den Beiden einen aufmunternden Blick zu und fragte:

»Nun, meine Herren, was sagen Sie dazu?«

»Hm,« antwortete der Pascha, »ich glaube, daß wir es gar nicht besser. treffen konnten.«

»Nicht wahr! Daß man ihn absetzt, ist für uns sehr vortheilhaft.«

»Was?« rief der Castellan. »Meine Absetzung ist gut für Dich?«

»Ja, lieber Onkel,« lächelte sie.

»Du freust Dich wohl darüber?«

»Sogar sehr.«

»Lina, wie kommst Du mir vor!«

»Na, ereifere Dich nicht! Ich meine es sogar sehr gut mit Dir.«

»Das finde ich nicht.«

»Du wirst es sehr bald einsehen. Daß Du Deine Anstellung einbüßest, schadet gar nichts. Der Herr Pascha wird für eine andere und bessere sorgen.«

»Der? Warum sollte er?«

»Wenn Du ihm einen Gefallen thust.«

»Welchen?«

»Ehe ich Dir diese Frage beantworte, will ich Dir erst sagen, daß ich nicht in Deutschland bleiben werde.«

»Nicht? Wo willst denn hin?«

»Nach der Türkei.«

»Bist Du toll!«

»O nein! Ist man denn toll, wenn man sein Glück macht?«

»Das nicht. Aber gedenkst Du denn, es in der Türkei zu machen?«

»Jawohl.«

»In wiefern?«

»Mein Bräutigam nimmt mich mit nach Constantinopel, wo er vom Pascha eine glänzende Zukunft bereitet erhält.«

Der Castellan blickte die Drei nach einander prüfend an.

»Ist das wahr?« fragte er.

»Jawohl,« nickte sie.

Auch die beiden Herren erklärten, daß sie die Wahrheit gesagt habe.

»O wehe!« meinte er. »So weit gehst Du fort! Wer hatte das gedacht. Auf Dich, grad auf Dich hatte ich für meine alten Tage gerechnet.«

»Das kannst Du auch noch.«

»Wenn Du fort bist?«

»Ja. Hast Du keine Lust, mit zu machen?«

»Lina, was fällt Dir ein!« rief er aus.

»Ist dieser Gedanke denn gar so schrecklich?«

»Schrecklich ganz und gar nicht; aber er kommt so außerordentlich überraschend.

»So versuche, Dich daran zu gewöhnen, aber ein Wenig schnell!«

»Willst Du so rasch fort?«

»Es ist keine Zeit bestimmt, aber wir können zu einer sehr baldigen Abreise gezwungen sein.«

»Hm! Wenn ich einmal hier fort muß, so ist es mir auch ganz gleich, wohin ich gehe, ob nach Amerika oder nach der Türkei.«

»Da denkst Du gescheidt.«

»Nur müßte ich wissen, daß dann wirklich für mich gesorgt sein wird.«

»Wir würden Dir Garantie geben.«

»Wirklich?«

»Gewiß!«

»Aber, liebe Lina, kannst Du denn solche Bestimmungen treffen? Wenn dieser hohe Herr für unsere Zukunft sorgen soll, so muß er seine guten Gründe dazu haben. Habt Ihr ihm denn Veranlassung gegeben, Euch so dankbar zusein?«

»Noch nicht; aber wir werden sie ihm geben, und auch Du kannst Gelegenheit finden, ihn Dir zu verpflichten.«

»In welcher Weise?«

»Indem Du uns hilfst. Der Pascha will Tschita und Zykyma entführen, und wir haben ihm dabei unsere Hilfe zugesagt. Dafür wird er für unsere Zukunft sorgen.«

»Ah, ists so!«

»Ja. Wie nun, wenn wir Deiner Unterstützung bedürften? Würdest Du sie uns vielleicht verweigern?«

»Hm! Ists gefährlich?«

»Nein.«

»Was soll ich thun?«

»Die beiden Frauenzimmer sollen nach der Türkei in den Harem zurückgeschafft werden – –«

»Ah, das ist schwer!«

»Nicht so schwer, wie Du denkst.«

»O doch! Die Polizei würde sofort hinter Euch her sein.«

»Gewiß, aber nur in dem Falle, daß wir so dumm wären, die Spur auf uns zu lenken und sofort die Flucht zu ergreifen. Nein, so dumm sind wir nicht. Wir locken die Frauen heimlich in ein Versteck und halten sie dort fest, bis wir freien Weg haben. Niemand wird uns Etwas nachweisen können.«

»So, so! Ja, dann ist es etwas Anderes! Aber welches Versteck meinst Du?«

»Was sagst Du zu Schloß Grafenreuth?«

»In meiner alten Ruine hier? Lina, denkst Du wirklich daran?«

»Ja. Der Pascha würde es Dir sehr gut lohnen.«

»Ach, deshalb seid Ihr wohl gekommen?«

»Ich will es Dir aufrichtig eingestehen.«

»So, so! Das ist mir so neu, so überraschend daß ich mich erst hineindenken muß. Lassen Sie mir einige Augenblicke Zeit!«

*


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