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93

»Du sprichst von einem Streiche. Was haben die Verbannten gethan?«

»Erlaube mir, darüber zu schweigen. Es ist viel besser, wenn Du nichts davon weißt, denn da kannst Du etwaige Fragen unbefangen beantworten.«

»So ist es gefährlich?«

»Für Euch nicht.«

»Und Du warst auch mit dabei?«

»Auch darüber möchte ich schweigen.«

»So will ich nicht in Dich dringen. Sage mir nur das Eine, ob es wahr ist, daß diese »armen Leute« wirklich entkommen sind!«

»Es ist wahr.«

»Gott sei Dank! Ich gönne es ihnen von ganzem Herzen. Warum aber bist Du nicht mit ihnen?«

»Mein Oheim gab es nicht zu. Ich soll mit ihm reiten.«

»Ist das nicht gefährlicher? Wenn Du heut Nacht mit den Andern gegangen wärst, so befändest Du Dich nun auch mit ihnen in Sicherheit.«

»Nun, so groß ist diese Sicherheit denn doch nicht. Sie haben noch viele Gefahren vor sich, denn der Weg, welcher vor ihnen liegt, ist entsetzlich lang. Mein Oheim aber versichert mir, daß ich bei ihm Nichts, aber auch gar nichts zu befürchten habe.«

»Er ist ein seltener Mann, und ich glaube, daß er weiß, was er sagt. Es sollte mich sehr freuen, wenn es wahr wäre, daß alle Gefahren für Dich vorüber sind. Du wirst gewiß mit Deinem Oheim in sein Vaterland gehen?«

»Ja, meine Eltern sind entschlossen dazu.«

»So werden wir sehr weit von einander leben.«

»Ist es so gewiß, daß Ihr nur bis in die Gegend von Moskau gehen werdet?«

»So lag es bisher im Plane meines Vaters.«

»Und Du denkst, daß er denselben wohl nicht ändern werde?«

»Schwerlich. Wo sollte er sonst hin?«

»Mit uns.«

Sie blickte befremdet zu ihm auf.

»Mit Euch? Nach Deutschland?«

»Ja.«

»Was sollte ihn dazu bewegen?«

»Deine Mutter ist doch eine geborene Deutsche. Sie würde sich vielleicht glücklich fühlen, die übrige Zeit ihres Lebens in der Heimath verbringen zu können.«

»Das ist wahr. Sie liebt Deutschland, sehnt sich nach demselben und spricht gar viel von ihm. Aber das ist doch noch kein triftiger Grund, Rußland ganz und für immer zu verlassen.«

»Hm! Vielleicht könnte ein viel, viel triftigerer Grund gefunden werden.«

»Ich weiß keinen.«

»Aber ich.«

»Du? Welchen denn?«

Er blickte lächelnd zu ihr nieder und antwortete:

»Du solltest Dir einen Deutschen zum Manne nehmen; dann wäre ein sehr guter Grund vorhanden.«

Sie senkte erglühend das Köpfchen.

»Meinst Du nicht auch?« fragte er, als sie zögerte, ihm eine Antwort zu geben.

»Daran denke ich gar nicht,« sagte sie.

»Woran nicht? Einen Deutschen zu nehmen?«

»Nein, das habe ich nicht gemeint. Ich habe überhaupt noch gar nicht daran gedacht, mir einen Mann zu nehmen.«

Sie blickte ihn nicht an. Ihre Wangen waren wie mit Blut übergossen.

»Mila Dobronitscha, ist das wahr?« fragte er.

»Ja.«

»Solltest Du noch keinen Burschen gesehen haben, dem Du gut sein könntest?«

»Keinen.«

»Und sollte noch Keiner gekommen sein, um sich Deine Hand zu erbitten?«

»Auch Keiner.«

»Ist das wahr?«

»Ja – – und doch nein! Es war Einer da.«

Sie lachte dabei lustig auf.

»Wann?«

»Vorgestern, als Du zum ersten Male hier gewesen warst. Da kam Nachbar Sergius Propow, um bei den Eltern um mich zu werben.«

»Was für eine Antwort hat er erhalten?«

»Diejenige, die ihm gehört. Er wurde abgewiesen und steckte dann in der Räucherkammer, als Du mich gestern früh im Garten trafst. Er ist ein Mensch, den Niemand leiden mag. Seine Frau würde es wie in der Hölle bei ihm haben.«

»Und Ihr Mädchen möchtet es doch wie im Himmel haben. Nicht?«

»Nun,« scherzte sie, »ein Wenig gut möchte man es doch wohl haben.«.

»Einverstanden! Beide müssen sich gegenseitig glücklich machen.«

»Aber nur Wenige werden es!«

»Weil sie es falsch anfangen.«

»Weißt Du denn, wie es angefangen werden muß?«

Er nickte ihr zu.

»Nun, wie denn wohl?«

»Um das sagen zu können, muß man von ganz bestimmten Persönlichkeiten ausgehen. Nehmen wir zum Beispiel ein russisches Mädchen an. Dieses kann nur dann glücklich werden, wenn es einen deutschen Burschen heirathet.«

»Sonderbar!«

»Ja, das weiß ich ganz genau.«

»Woher?«

»Aus den Beobachtungen, welche ich gemacht habe.«

»So! Und wie steht es denn mit den Deutschen?«

»Gegenseitig. Ein deutscher Bursche kann nur dann glücklich werden, wenn er sich ein russisches Mädchen nimmt.«

»Nun, Du bist doch in Deutschland geboren!«

»Allerdings.«

»So mußt Du Dir eine Russin nehmen.«

»Meinst Du?«

»Ja doch! Es ist ja Deine Absicht so.«

»Also denkst Du, daß ich glücklich werden soll?«

»Ich würde es Dir gönnen.«

»Das freut mich ungemein, und ich werde auch Deinen Rath befolgen. Ich habe mich freilich schon längst nach einer Russin umgeschaut.«

»So! Wo denn?«

»Allüberall, wo ich gewesen bin.«

»Und auch gefunden?«

»Lange, lange Zeit nicht.«

»O weh!«

»Aber endlich doch!«

»Gott sei Dank!«

Indem so Rede und Gegenrede wechselte, blickten sie einander lächelnd an. Es waren zwei schöne und auch gute Menschenkinder, deren Herz hier einander warm entgegenschlugen.

»Wie lange ist es denn her, daß Du endlich eine gefunden hast?« fragte Mila.

»Nur sehr kurze Zeit. Vorgestern erblickte ich sie zum ersten Male.«

»Und wo?«

»Bei Peter Dobronitsch vor dem Hause.«

»Ach, wohl Christina, die Magd?«

»Nein, sondern Mila, die Tochter.«

Da trat sie einen Schritt zurück.

»Alexius Boroda!« sagte sie in vorwurfsvollem Tone. »Das solltest Du doch nicht thun.«

»Was?«

»Mich hänseln.«

»Meinst Du, daß ich Dich hänsele?«

»Was anders!«

»Du irrst, Mila. Ich sage die reine Wahrheit.«

»Und ich glaube es nicht. Mich kannst Du ja gar nicht meinen.«

»Warum denn nicht?«

»Ich bin die Tochter eines Bauern. Du aber bist ein – ein – ein – –«

»Nun, was bin ich denn?«

»So – so ein berühmter Zobeljäger.«

»Was ist das weiter? Ist ein Zobeljäger etwa etwas viel Besseres als ein Landwirth?«

»Ja.«

»O, ich bin im Gegentheile sehr davon überzeugt, daß ein Bauer der Menschheit weit nützlicher ist als ein Zobeljäger.«

»Der Zobelpelz ist so etwas Seltenes.«

»Das macht das Kraut nicht fett. Der Zobeljäger dient nur dem Luxus, der Landwirth aber ernährt die Menschen. Das ist ein Unterschied. Uebrigens bin ich am Längsten Zobeljäger gewesen. In Deutschland giebt es keine Zobel.«

»Was wirst Du dort thun?«

»Ich werde das, was Dein Vater ist, ein Bauer.«

»Ists wahr?«

»Ja, und ich freue mich ganz ungemein darauf. Ich habe auf der Zobeljagd sehr viel Glück gehabt und mir so viel Geld verdient, daß ich mir ein Landgut kaufen kann. Das werde ich thun. Da ich aber die Milch- und Butterwirthschaft auf russische Weise betreiben will, so gehört zu diesem Gute eine russische Bäuerin.«

»Ach so! Also nur wegen der Milch und Butter möchtest Du eine Russin haben?«

»Auch ein klein Wenig meinetwegen.«

»Aber ihretwegen nicht?«

»Das ist ja die Hauptsache. Sie soll recht, recht glücklich sein. Mila Dobronitscha, sag mir, möchtest Du nicht meine Bäuerin sein?«

Er legte den Arm um ihre Taille. Sie duldete es, doch ohne ihm eine Antwort zu geben.

»Mila,« bat er, »sprich!«

»Ist es denn Dein Ernst?« hauchte sie.

»Welche Frage! Natürlich ists mein heiligster Ernst. Bitte, bitte, könntest Du mir so gut sein, daß Du meine Frau werden möchtest?«

Er beugte den Kopf zu ihr nieder und blickte ihr in das erglühende Gesicht.

»Ja,« antwortete sie ganz leise.

»Ja, ja, ja!« jauchzte er aber desto lauter auf. »Mila, meine Mila, meine liebe, gute, herrliche Mila! Endlich, endlich habe ich Dich!«

»Endlich!« lächelte sie ihn glücklich an. »Ist es denn bereits eine solche Ewigkeit, daß Du mich hast haben wollen.«

»Ja doch!«

»Seit vorgestern!«

»Lang genug, wenn man sich liebt. Länger hätte ich es aber auch kaum aushalten können.«

Er drückte sie an sich und küßte sie. Sie erwiderte seinen Kuß, fuhr aber höchst erschrocken zurück, als hinter ihnen eine Stimme ertönte:

»Sachte, sachte! Wartet noch ein Wenig, denn ich will auch mitthun.«

Sie fuhren herum und sahen den Dicken, welcher eiligst heraufgestiegen kam.

»Oheim!« rief Alexius. »Hast Du gesehen, was hier vorgegangen ist?«

»Ja.«

»Nun, was denn?«

»Ein Zollverein zwischen zwei Nachbarstaaten ist gegründet worden.«

»Sehr richtig, und soeben wurde der Staatsvertrag besiegelt.«

»Nun bedarf es nur noch eines Stempels. Hier habt Ihr ihn. Junge, Mädchen, Kinder, Neffe, Neffin, Alexius, Mila, ich bin Euer alter, guter, dicker Prachtonkel! Warum habt Ihr mir das angethan, Euch die Liebeserklärung in meiner Abwesenheit zu machen! Ich wollte Euch belauschen und dann Wort für Wort aufschreiben, Euren späteren Generationen zur Erbauung, Belehrung, Ermahnung und Ermunterung. Nun aber komme ich zu spät. Darum sollt nun Ihr kommen, nämlich an mein Herz. Aber erdrückt mich nicht; ich bin sehr weich!«

Sie schlangen ihre Arme um ihn, und er gab Mila einen herzhaften Kuß auf den Mund.

»Donnerwetter! Ja, das ist eine Delikatesse!« rief er aus. »Junge, die halte Dir fest, sonst heirathe ich sie Dir vom Leder weg! Welch ein Glück, daß ich aufwachte.«

»So warst Du schlafen?« fragte Alexius.

»Ja; aber es litt mich doch nicht dabei. Mir träumte, ich stände mit der Frau des Majors am Altare, um für ewig mit ihr auf zwei Stühlen zusammengebunden zu werden. Das war entsetzlich. Wir hüpften auf unsern Stühlen wie die Grasspringer hin und her und konnten doch nicht von einander loskommen. Dies trieb mir einen solchen Angstschweiß aus, daß das Wasser zwei Ellen hoch in der Stube stand. Wenn ich nicht noch im letzten Augenblicke aufgewacht wäre, so hätte ich in meinem eigenen Angstschweiße ersaufen müssen.«

»So gratulire ich Dir zur glücklichen Rettung!«

»Danke! Sehr verbunden, mein Junge! Aber sagt mir einmal, weiß noch jemand Anderes um Eure zukünftige eheliche Liebe?«

»Nein. Du bist der erste und einzige Zeuge.«

»So werde ich dafür sorgen, daß wenigstens die Hauptpersonen davon benachrichtigt werden.«

»Wer?«

»Peter Dobronitsch.«

»Willst Du zu ihm?«

»Ja. Die Kosaken halten noch immer wie die Oelgötzen am Wasser, und es wird Zeit, daß wir unsern Dobronitsch aus ihren Händen befreien.«

»Thue es, lieber Sam!« bat Mila.

»Lieber Sam!« wiederholte der Dicke. »Sapperment! Für so ein Wort aus solchem Munde springe ich ins Feuer und dann auch ins Wasser, ohne mich zu fragen, ob ich mich erkälte. Ich laufe schon.«

Er eilte die Steilung hinab und durch die Höhle, ohne die anderen augenblicklichen Insassen derselben zu beachten.

Als er unten am Baume angekommen war, schlug er die Richtung nach dem Flusse ein. Er nahm die Haltung eines Spaziergängers an, welcher läuft, eben nur um zu laufen.

Er hielt die Augen zur Erde gerichtet und that, als ob er weder nach rechts, noch nach links blicke, bis er von einem Rufe aus seinem scheinbaren Nachdenken geweckt wurde.

»Halt! Stehe!«

Er blickte auf und blieb stehen. Ein Kosak stand vor ihm und hielt ihm die Mündung des Gewehres entgegen.

»Donnerwetter, thue das Gewehr weg!« rief Sam. »Wenn es unversehens losgeht, könnte die Kugel sich in der Richtung irren und Dir durch den Kolben in den Leib fahren.«

»Wer bist Du?«

»Sam Barth.«

»Kenne ich nicht. Du bist ein verdammter Flüchtling, wegen dem wir die ganze Nacht hier vergebens gewartet haben. Wo sind die Andern?«

»Ich kenne keine Andern.«

»Lüge nicht! Du kennst sie Alle.«

»Aber ich bin kein Flüchtling!«

»Das ist nicht wahr. Wärst Du ein Hiesiger, so müßte ich Dich kennen.«

Der Kosak hatte jedenfalls gestern nicht Gelegenheit gehabt, Sam zu sehen. Dieser Letztere erklärte:

»Ich bin Gast bei Peter Dobronitsch.«

»Das magst Du dem Major beweisen.«

Er stieß einen Pfiff aus, und wenige Secunden darauf kam ein Unteroffizier, den er Sam übergab. Der Mann führte den Dicken zu dem Anführer.

Dieser saß auf einem Reißighaufen, welchen man ihm als Stuhl vor der bereits beschriebenen Hütte errichtet hatte. Bei ihm standen seine Offiziere und auch Peter Dobronitsch.

»Bringe einen Verbannten,« meldete der Unteroffizier, indem er militärisch grüßte.

»Einen Verbannten! Kerl, was fällt Dir ein! Das ist kein Verbannter. Marsch fort! Pascholl!«

Der Mann trabte ab.

Der Major befand sich jedenfalls bei schlechter Laune. Er schnauzte Sam ebenso an wie den Kosaken:

»Wie kannst Du Dich hier sehen lassen! Was willst Du eigentlich hier?«

»Geht das Dich etwas an?« fragte Sam einfach.

»Mensch, Du wagst, mich so zu fragen!« brauste der Offizier auf. »Das muß ich mir verbitten!«

»Oho!« antwortete der Dicke. »Ich bin nicht gewöhnt, so mit mir sprechen zu lassen. Ich habe nichts in meinem Passe davon gelesen, daß mir das Spaziergehen am Mückenflusse verboten ist.«

»Aber ich verbiete es Dir!«

»Mit welchem Rechte!«

»Als hiesiger Oberbefehlshaber.«

»Das geht mich den Teufel an. Ich bin nicht Dein Haupt- und Leibkosak. Ich bin Unterthan der gloriosen Republik der Vereinigten Staaten, mit welcher Rußland in bester Freundschaft lebt und habe keine Lust, mich von einem jeden hinter einem Baume stehenden Kosaken arretiren zu lassen.«

»Mäßige Dich!«

»Du Dich auch! Du hast mich Mensch genannt. Ich bin Master Samuel Barth, Oberst der Vereinigten Staatenmiliz und stehe im Range also über Dir. Verstanden! Wenn Du Dir einen Schnupfen geholt hast, weil Du Dich eine ganze Nacht lang her ans Wasser setzest und in Folge dessen bei schlechter Laune bist, so bin ich noch lange nicht Derjenige, an dem Du diese Laune auslassen kannst!«

Er hatte sehr laut und energisch gesprochen. Aus der Hütte trat der Graf, schaute sich erstaunt um und sagte:

»Welch eine Sprache, einem russischen Stabsoffizier gegenüber.«

»Stab oder Stecken, das geht mich nichts an!« antwortete Sam. »Ich pflege so zu antworten, wie man mich anredet.«

»Du hast hier nichts zu suchen!« donnerte der Major.

»Suche ich Etwas?« schrie Sam ihn an.

»Was hast Du sonst hier zu thun?«

»Ich wollte sehen, ob hier am Flusse früh Morgens die Mücken spielen. Jetzt sehe ich, daß es keine giebt. Nur dumme Frösche quaken.«

»Kerl, wem gilt das?«

»Den Fröschen natürlich.«

»Etwa uns?«

»Zählst Du Dich unter die Amphibien, so habe ich nichts dagegen. Jeder muß sich selbst kennen.«

»Willst Du etwa, daß ich Dich festnehmen lasse?«

»Ich möchte wissen, wie Du das anfangen würdest.«

»Es kostet mich nur ein Wort.«

»Schön! Und mich kostet es auch nur ein Wort. Dieses Wort heißt Satisfaction. Ich bin Oberst, und Du bist Major. Noch ein Wort von Dir, welches mir nicht gefällt, so fordere ich Dich vor die Klinge oder vor die Mündung des Gewehres. Nun thue, was Du willst!«

Das wirkte. Der Major fragte mit beträchtlich ruhigerer Stimme:

»Aber welche Absicht kann Dich denn dahin führen, wo ich mit meinen Kosaken halte?«

»Weiß ich, wo Du hältst?«

»Das ist wohl wahr!«

»Ich habe keine Ahnung davon gehabt, daß ich Dich hier finden werde. Ich gehe spazieren; das ist Alles.«

»So ersuche ich Dich, umzukehren. Das Terrain ist jetzt nicht für Spaziergänger frei.«

»Einem solchen ruhigen Worte werde ich natürlich Folge leisten. Als Offizier weiß ich, daß man sich bei Felddienstübungen nicht gern stören läßt. Oder sollte Deine Anwesenheit nicht einer solchen Uebung gelten?«

»Nein.«

»Hm! Ich wundere mich überhaupt, Dich mit Deinen Leuten hier zu finden. Ich habe vielmehr geglaubt, daß Du an der Grenze seiest.«

»Warum?«

»Weil Deine Pflicht Dich dorthin ruft.«

»Meine Pflicht weißt mich hierher.«

»Nein, sondern an die Grenze. Sapperment! Jetzt fällt mir Etwas ein. Errathe ich recht, weshalb Du hier bist!«

»Nun, warum?«

»Etwa um Dich der Verbannten zu bemächtigen?«

»Und wenn es so wäre?«

»So bist Du in eine Falle gerathen. Ah, nun erst verstehe ich, was ich gestern hörte. Hast Du etwa ein Gespräch am Brunnen belauscht?«

Jetzt wurde der Major sehr aufmerksam.

»Wie kommst Du auf diese Frage?« erkundigte er sich, eine directe Antwort vermeidend.

»Antworte erst!« sagte Sam.

»Nun, allerdings hörte ich zwei Männer am Brunnen sprechen.«

»Wer waren sie?«

»Ich kannte sie nicht. Aufrichtig gestanden, vermuthete ich, Du seiest Einer von ihnen.«

»Ich?« lachte Sam. »Das ist köstlich. Boroda und einer seiner Leute sind es gewesen.«

»Bist Du des Teufels!«

»Nein. Aber Du hast Dir eine riesige Nase aufbinden lassen. Die Verbannten sind am Wasser versteckt gewesen.«

»Da stecken sie noch.«

»Weißt Du das genau?«

»Ja. Ich habe meine Posten gegen sie vorgeschoben, welche mir ihr Anrücken sofort melden werden. Die Kerls wollen hier über das Wasser; aber sie werden mich hier bereit finden, sie zu empfangen. Sie sollen in die famose Falle gehen, in welche ich sie hier locke.«

Da stieß Sam ein lautes, schallendes Gelächter aus, welches gar nicht enden zu wollen schien.

»Was hast Du darüber zu lachen?« rief der Major.

»Ist das etwa nicht zum Lachen? Es ist sogar zum Todtlachen. Ich habe wohl Manches von diesem Boroda gehört, aber daß er so gar ein kühner, feiner, gewandter und schlauer Anführer seiner Leute ist, das habe ich mir freilich nicht gedacht.«

Natürlich ärgerte das den Major ungeheuer.

»Mit welchem Rechte hältst Du ihm denn diese Lobrede?« fragte er, glühend vor Zorn.

»Mit dem allerbesten Rechte, denn er hat bewiesen, daß er diese Eigenschaften besitzt.«

»So möchtest Du ihn wohl gar über einen Offizier des Kaisers von Rußland erheben?«

»Nein. Aber sage einmal selbst: Du denkst doch wohl, ein gewandter Offizier zu sein?«

»Ich hoffe, daß ich es bin.«

»Nun, er hat Dich dennoch ganz prachtvoll an der Nase herumgeführt.«

»Eine solche Bemerkung will ich mir verbitten!«

»Sie enthält die Wahrheit.«

»Beweise es!«

»Sofort! Ich bin es von meinen früheren Zügen her gewöhnt, lieber im Freien als in einer engen Kammer zu schlafen. Darum suchte ich mir gestern Abend ein Plätzchen vor dem Hause, an welchem ich mich niederlegen könne. Es gelang mir auch, ein solches zu finden, nämlich am Brunnen, dessen Plätschern ich außerordentlich liebe, denn es lullt Einen wie ein Wiegenlied in Schlummer. Kaum hatte ich mich da niedergelegt – –«

»Wohl hinter den Sträuchern am Brunnen?« unterbrach ihn der Major.

»Ja.«

»Ah! Weiter!«

»Also, kaum hatte ich mich da niedergelegt, so hörte ich einen Menschen kommen, welcher ganz nahe bei mir stehen blieb. Gleich darauf kam noch Einer. Beide sprachen mit einander. ›Ist er fort?‹ fragte der Eine. ›Ja,‹ antwortete der Zweite. ›Ich bin ihm ein Stück nachgelaufen. Es war wirklich der Major!‹ Dann lachten sie, und als sie dann weiter redeten, merkte ich, daß der Eine Boroda selber sei.«

»Himmeldonnerwetter!« fluchte der Major. »Sollte das in Wirklichkeit wahr sein?«

»Glaubs oder glaubs nicht; mir ists egal!«

»Wovon redeten sie denn noch?«

»Von dem Streiche, den sie Dir gespielt hatten.«

»Was für einer soll das sein?«

»Sie hatten Dir Etwas weiß gemacht, wie ich aus ihren Reden hörte Sie hatten Dich gesehen und trotz der Dunkelheit erkannt. Da hatten sie sofort ein Gespräch improvisirt, in Folge dessen Du Deine Kosaken ganz in eine falsche Richtung ziehen werdest. Sie wollten sodann in der entgegengesetzten Richtung über die Grenze.«

»Alle Teufel!«

»Sie wollten sich sodann zu Dir schleichen, um nachzusehen, ob Du auf den Leim gehen werdest.«

»Verflucht!« schrie der Major. »Und ich bin auch wirklich darauf gegangen! Aber wer ist schuld daran? Du, Du allein!«

»Ich?« fragte Sam ganz erstaunt.

»Natürlich!«

»Inwiefern denn?«

»Wußtest Du denn nicht, was Du zu machen hattest?«

»Das habe ich gewußt. Es fragt sich nur, was Deine Meinung darüber ist.«

»Du hättest mir sofort melden sollen, daß Du das Gespräch belauscht habest.«

»So? In welcher Art und Weise bin ich denn dazu verpflichtet? Ich bin weder Kosak noch Russe und habe mich gar nicht um Eure Angelegenheiten zu bekümmern. Uebrigens bist Du nicht so sehr zuvorkommend gegen mich gewesen, daß ich nun ganz glücklich sein konnte, Dir einen Dienst zu erweisen. Und dennoch weiß ich als Offizier, was für eine Blamage es ist, wenn ein Major, ein Stabsoffizier sich von einem Flüchtlinge, den er fangen will, in dieser Weise leimen läßt. Darum hatte ich den Vorsatz, Dich aufzusuchen und zu benachrichtigen.«

»Hast es aber nicht gethan!«

»O doch!«

»So? Wo hast Du mich denn gesucht?«

»Zunächst im Hause.«

»Da war ich wohl schon fort?«

»Ja. Dann suchte ich den Posten auf, der mich am Nachmittage mit Peter Dobronitsch angehalten hatte. Er war der Einzige, dessen Stand ich kannte. Ihn wollte ich nach Dir fragen. Auch er war fort.«

»Welches Pech!«

»Ja. Dann lief ich zur Stanitza. Ein alter Grobian, auf den ich traf, sagte mir, daß kein Mensch genau wisse, wo Du seiest. Darum kehrte ich zurück. Unterwegs traf ich auf eine große Menge von Reitern und Fußgängern –«

»Das waren sie; das waren sie!« rief der Offizier. »Hast Du mit ihnen gesprochen?«

»Fällt mir gar nicht ein! Mich ging die Sache nichts an. Ich konnte mir denken, daß die Kerls einen muthmaßlichen Verräther unschädlich machen würden. Ich bin kein ängstlicher Mensch; aber Einer gegen so Viele, das wäre Wahnsinn gewesen. Ich drückte mich also zur Seite und ließ mich gar nicht sehen.«

»Es ist toll, rein zum toll werden! Wenn Du gewußt hättest, wo ich war!«

»Dann hätte ich Dich benachrichtigt.«

»Zu welcher Zeit war es?«

»Wohl grad Mitternacht.«

»Stimmt, stimmt! Da erwarteten wir sie hier. Und welch eine Richtung schlugen sie ein?«

»Grad nach der Stanitza.«

»Donner und Wetter! Sie sind daran vorbei und dann über die Grenze!«

»Höchstwahrscheinlich!«

»Ich muß Ihnen eiligst nach, schnell, schnell!«

»Darf ich vielleicht mit?«

»Ja, meinswegen.«

»Dobronitsch auch?«

»Ja, grad er soll mit. Er soll Zeuge sein, daß ich die Hunde doch noch erwische. Vorwärts! Die Vorposten heran, und dann im Schnellschritt nach der Stanitza und zu den Pferden.«

In kaum zwei Minuten setzten sich die Mannschaften in eiligste Bewegung. Der Graf war auch neugierig über den Verlauf der Angelegenheit. Er schritt neben dem Major her. Der Bauer Dobronitsch hielt sich zu Sam, welcher trotz seiner Dickleibigkeit sehr behend und wohlgemuth mit marschirte, und sagte vorwurfsvoll:

»Der Major hätte mich laufen lassen! Warum bringst Du ihn auf den Gedanken, mich mitzunehmen?«

»Um Dir einen Spaß zu machen.«

»Danke für diesen Spaß! Die ganze Nacht durchwacht, und nun noch dieser Dauerlauf!«

»Aber der Spaß wird dennoch kolossal!«

»Da bin ich neugierig.«

»Paß nur auf, wie es in der Stanitza hergehen und was es da für Gesichter geben wird!«

»Was soll es dort geben! Es ist ja Alles vorbei! Also Boroda hat den Major belauscht?«

»I bewahre!«

»So sage mir nur das Eine: Sind die ›armen Leute‹ wirklich fort von mir?«

»Ja, sie sind glücklich entkommen.«

»Gott sei Dank! So werde ich alles Andere ohne Besorgniß abwarten.«

Man gelangte in verhältnißmäßig kurzer Zeit nach der Stanitza. Es wurde links eingeschwenkt, um den Wall herum, noch der Stelle, an welcher sich die Pferde befinden sollten. Die Tiere waren nicht da, doch die gefesselten Kosaken lagen an der Erde.

Das Erstaunen des Majors läßt sich gar nicht beschreiben. Er nahm sich gar nicht erst Zeit, zu befehlen, daß den Leuten die Stricke gelöst werden sollten. Er fragte sie sofort aus. Da sie nicht geknebelt waren, konnten sie antworten.

Sie verschwiegen natürlich, daß sie geschlafen hatten und erzählten einstimmig, daß nach Mitternacht wohl an die hundert Kosaken gekommen seien, die sie für die Ihrigen gehalten hätten, bis es sich herausstellte, daß es ein fremder Pulk sei, der die Pferde stehlen sollte. Sie hatten sich gewehrt; aber die Uebermacht sei doch gar zu groß gewesen.

»Ihr Hunde!« schrie der Major. »Was sagt Ihr, was für Leute es gewesen sind?«

»Kosaken.«

Sie wußten keineswegs, daß die Verbannten sich der Uniformen bemächtigt hatten. Sie waren auf diese Aussage gekommen, weil in derselben die beste Entschuldigung lag.

»Ihr lügt!«

»Nein, Väterchen. Es waren Kosaken!«

»Verbannte waren es!«

»Herr, wir können es beschwören, daß es Kosaken waren. Das eben hat uns so irre gemacht, daß wir sie ganz heran ließen zu uns.«

»Das begreife ich nicht. Wenn Ihr mich belügt, so erhaltet Ihr die Knute so lange, bis Euch das Fleisch von den Knochen fällt! Schneidet diesen Hunden die Fesseln weg. Und nun rasch in die Stanitza! Mir ahnt, daß dort auch nicht Alles in Ordnung ist.«

Man eilte längs des Walles hin und dann durch das Thor, der Major mit dem Grafen, den Offizieren, Sam und Dobronitsch voran, die Kosaken hinterher. Das bot einen ganz eigenartigen Anblick. So Etwas war noch gar nicht dagewesen.

Der Major eilte natürlich sofort direct nach dem Gewandthause; die Anderen nach. Sam begann, langsamer zu gehen. Er hielt auch Peter Dobronitsch zurück.

»Pst!« meinte er. »Nicht mehr so schnell! Der Major wird gleich wiederkommen.«

»Woher weißt Du das?«

»Er wird sein Mütterchen aufsuchen.«

»Wozu?«

»Er kann nicht in das Gewandthaus und muß sich bei ihr die Schlüssel holen.«

Sie blieben also zurück, und bald zeigte es sich, daß Sam richtig vermuthet hatte, denn ein Kosak kam in höchster Eile auf sie zugerannt.

»Was läufst Du, Brüderchen?« fragte ihn Sam. »Wohin willst Du denn so eilig?«

»Zum Mütterchen Major. Ich hole die Schlüssel!«

»Nun warte ein Weilchen,« lachte Sam. »Er wird vergeblich wiederkommen.«

»Das weißt Du?«

»Sogar sehr genau.«

Wirklich kam der Kosak nach kaum einer Minute zurückgerannt, als ob er gepeitscht werde.

»Hast Du sie?« fragte Sam.

»Nein.«

Mit diesem kurzen Berichte schoß er vorbei, und nach wenigen Augenblicken kam der Major selbst gerannt, einige Offiziere hinter ihm. Sam und Dobronitsch schlossen sich ihnen an, als ob sie das Recht dazu hätten.

Am Hause angekommen, klinkte der Major zunächst an der Thür, und als er sie verschlossen fand, klopfte er. Auch das half nichts. Darum trat er an das erste Fenster und sah hinein. Er erblickte nichts und eilte an das zweite und sodann auch an das dritte. Als er durch dieses Letztere blickte, stieß er einen lauten Ruf aus.

»Mach das Fenster auf, Kathinka!« befahl er.

Er hatte nämlich die alte Magd gesehen. Sie saß auf demjenigen der beiden zusammengebundenen Stühle, welcher nach dem Fenster zugekehrt war. Die beiden Frauenzimmer hatten sich bis in die Nähe dieses Letzteren geschoben. Die Magd war gefesselt, konnte also seinen Befehl nicht ausführen.

»Die Fenster auf oder die Thür!« rief er.

Sie antwortete etwas, was er aber nicht verstand; darum schüttelte sie den Kopf.

»Auf, auf, auf!« brüllte er wüthend.

Sie schüttelte abermals den Kopf, und das erfüllte ihn mit einem solchen Zorne, daß er den Degen zog und mit dem Griffe die Scheibe zertrümmerte. Dann griff er hinein, wirbelte auf und stieß das Fenster auf.

»Warum macht Ihr nicht auf, Ihr verfluchten Canaillen!« schrie er wüthend hinein.

»Weil wir nicht können, Väterchen!«

»Nicht können? Warum?«

»Wir sind ja gefesselt!«

»Gef– – –!«

Das Wort blieb ihm im Munde stecken. Er sah genauer hinein und bemerkte nun, daß zwei Stühle mit den Lehnen gegen einander standen. Auf dem rückseitigen saß auch eine Person.

»Wer ist die Andere?«

»Das Mütterchen, Herr.«

»Was! Meine Frau?«

»Ja, Gregor, ich bin es,« antwortete die Major. »Kathinka, stoße einmal mit die Füße an! Ich will mich nach dem Fenster drehen.«

Zu seinem Erstaunen bemerkte nun der Offizier, daß die beiden zusammengebundenen Stühle mit den daran gefesselten Weibern sich im Kreise drehten.

Die Offiziere waren nahe herangetreten, und auch Sam hatte Dobronitsch an das zweite Fenster gezogen, damit dieser Zeuge des interessanten und komischen Schauspieles sein möge. Er stieß ihm heimlich mit der Faust in die Seite und fragte flüsternd:

»Wie gefällt Dir das?«

»Schlechter Kerl!«

»Pah! Es geschah auch mit um Deinetwillen.«

Jetzt hatten die Stühle eine solche Stellung, daß die Majorin mit dem Gesichte gegen das Fenster gerichtet war.

»Aber, zum Donnerwetter, was ist denn das?« fragte der Major. »Wer hat das gethan?«

»Die Schwarzen,« antwortete sie.

»Welche Schwarzen?«

»Die ›armen Leute.‹«

»Sind die denn schwarz?«

»Ja. Sie hatten Gesichter voller Ruß.«

»Himmelbataillon! Sie waren hier bei Euch?«

»Ja.«

»Was haben sie da gemacht?«

»Ich werde es Dir erzählen. Mach uns nur erst los!«

»Ich kann ja nicht hinein. Das Haus ist zu.«

»Sie haben es verschlossen.«

»Die Hunde! Wie komme ich hinein.«

Er blickte sich rathlos um.

»Herr, ich will Dir helfen,« sagte Sam. »Du bist das Klettern vielleicht nicht gewöhnt; aber wir in Amerika verstehen das besser.«

Er schob den Major zur Seite, langte mit der Hand hinein, öffnete auch den andern Flügel und stieg dann in die Stube, was ihm trotz seiner dicken Gestalt sehr leicht und schnell gelang. Mit seiner natürlichen Stimme, so daß sie ihn nicht an derselben erkannte, fragte er die Majorin:

»Also die ›armen Leute‹ haben die Schlüssel mitgenommen?«

»Ja. Sie haben auch die Stubenthür verschlossen.«

»Suchen können wir nicht. Dazu haben wir keine Zeit. Ich werde mit dem Messer öffnen.«

Er zog sein Bowiemesser hervor. Dieses war zwar haarscharf und spitz, aber auch sehr stark. Er sprengte mit Hilfe desselben das Schloß von der Stubenthür, trat dann in den Hausflur und schob von der Eingangsthür den Riegel zurück.

Jetzt konnte man herein. Die Draußenstehenden eilten herein, der Major an ihrer Spitze.

»Ich danke Dir!« sagte er zu Sam. »Ihr Amerikaner seit praktische Leute. Das ist wahr.«

Daß Sam ein praktischer Mann sei, bewies er sogleich auch weiter, indem er die Stricke zerschnitt, mit denen die beiden Frauen an die Stühle gehalten wurden.

Die Majorin sank fast von dem ihrigen herab, so war sie angegriffen. Sie sollte erzählen, was geschehen war, vermochte aber nicht, einen zusammenhängenden Bericht zu geben. Und Kathinka, die Magd, fabulirte gar von schwarzen Teufeln, die sie aus ihrem Bette gerissen und gewürgt und schließlich hier angebunden hätten. Aus ihren verworrenen Reden und abergläubischen Behauptungen war gar nichts zu entnehmen.

Nur nach einem ziemlich langen Verhör erfuhr der Major einigermaßen, was er wissen wollte.

»Also Fünf oder Sechs waren es nur,« sagte er. »Da haben die Andern draußen gewartet.«

»Einer hat hier geschrieben,« sagte die Majorin.

Der Major öffnete die Kästen des Schreibtisches. Da lag Alles in schönster Ordnung, auch der Stempel und das Petschaft. Daß einige Dienstbogen

fehlten, bemerkte er nicht und ebenso wenig, daß Stempel und Petschaft benutzt worden waren.

»Und was thaten sie noch?« fragte er.

»Sie tranken Wutky.«

»Der Teufel hole Euren Wutky! Daß sie den getrunken haben, ist natürlich nur Nebensache. Den Hauptgrund ihres Kommens will ich wissen. Du sagtest, daß sie dort in dem Schränkchen gewesen seien. Wohl gar nach den Schlüsseln?«

»Ja.«

»Was haben sie mit denselben gethan?«

»Sie gingen fort. Einer aber blieb hier zurück, um mich zu bewachen.«

»Ach! Wie lange Zeit waren sie draußen?«

»Wohl weit über eine Stunde. Mir ist sie länger als eine ganze Ewigkeit geworden.«

»Dann aber brachten sie die Schlüssel wieder?«

»Ja. Sie gingen und schlossen uns ein.«

»So sind sie im Gewandhause gewesen. Dort haben sie gestohlen, aber was? Die Pferde haben sie. Was noch dazu. Vielleicht Munition. Wir müssen augenblicklich nachsehen. Fort, fort!«

Er riß die Schlüssel an sich und stürzte hinaus. Die Andern eilten ihm natürlich nach. Alle mit und hintereinander, so daß nur die beiden lamentirenden Frauen zurückblieben.

Sam war innerlich höchst erbaut über die Folgen seines Streiches. Daß es ihm vergönnt war, dabei Zeuge zu sein, das hatte er nicht vermuthen können, fühlte sich aber desto befriedigter darüber. Er sprang in höchster Eile mit, hinter dem Major her, als ob es gelte, auch seine eigene Person vor einem großen Verderben zu bewahren.

Die Civilbewohner der Stanitza hatten den Tag gerade so wie jeden anderen auch begonnen. Sie waren aufgestanden, vielleicht etwas später als sonst, da sie von dem täglichen und gewöhnlichen Lärm der Garnison nicht aufgeweckt worden waren, hatten sich an ihre gewohnte Arbeit begeben und sich gar nicht darum gekümmert, daß heute vor dem Gewandthause keine Posten standen. Auch war Niemandem aufgefallen, daß sich in und bei der Privatwohnung des Majors kein Leben regte.

Jetzt nun wurde so plötzlich ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch genommen. Der Major rannte mit seinen Offizieren und Soldaten durch die Gassen, rief und brüllte im wüthendsten Tone. Es mußte etwas ganz Außerordentliches vorgefallen sein.

Darum kamen die Leute aus ihren Wohnungen geeilt und versammelten sich vor dem Zeug- und Gewandthause, um zu erfahren, welchen Grund das außerordentliche Gebahren der Soldaten habe.

Sie sahen, daß sämmtliche Außenthüren des Gebäudes geöffnet wurden und daß die Offiziere äußerst geschäftig aus einem Raume des Hauses nach dem andern eilten.

Nach und nach steckten die Leute die Köpfe zusammen. Es waren von ihnen gewisse Aeußerungen und Ausrufe aufgefangen worden; einige Soldaten hatten Bemerkungen fallen lassen; kurz und gut, bald verbreitete sich die Nachricht, daß die ›armen Leute‹ heute in der Nacht in der Stanitza gewesen seien und alle vorhandenen Uniformen und Waffen geraubt hatten. Sodann waren sie auch noch vor die Stanitza gegangen und hatten sich der dort befindlichen Pferde bemächtigt.

Diese Nachricht ging wie ein Lauffeuer von Mund zu Mund. Das war ja ein Ereigniß, welches kein Mensch für möglich gehalten hatte, am allerwenigsten der Major.

Dieser war ganz und gar außer sich. Er befahl eine Zusammenkunft der Bewohner und verhörte dieselben, konnte aber nichts Anderes erfahren, als daß diese gar nichts wußten, weil sie sehr fest geschlafen hatten.

Die Uniformen waren fort und die Pferde auch. Des Platzkommandanten harrte eine große Nase von Seiten seiner Vorgesetzten, wohl gar eine Bestrafung, eine Versetzung. Er wußte vor Wuth kaum, was er that, und so mußte der Rittmeister die dienstlichen Obliegenheiten besorgen. Er ließ die Fanale anbrennen und requirirte die vorhandenen Privatpferde, um Eilboten nach rechts und links längs der Grenze auszusenden. Die Flüchtlinge konnten ja noch nicht weit sein. Vielleicht waren sie von den jenseits der Grenze liegenden chinesischen Militärstationen angehalten oder doch wenigstens bemerkt worden. Es mußte Alles gethan werden, ihrer wieder habhaft zu werden. Alle die darauf bezüglichen Anordnungen und Bestrebungen richteten sich nach Süden gegen das Grenzgebiet. Aber daß die Flüchtlinge auf den tollkühnen Gedanken gekommen sein könnten, nach Norden, also in das Innere des Landes zu entweichen, darauf kam kein Mensch.

Sam hatte genug gesehen und gehört. Er hegte die Ansicht, daß ein längeres Verweilen in der Stanitza ihn nur in den Verdacht bringen könne, daß er damit ein heimliches Interesse verfolge. Darum beschloß er, nach dem Hofe zurückzukehren, und sagte dies Peter Dobronitsch, welcher seinerseits sofort und gern einwilligte, weil er sich außerordentlich ermüdet fühlte.

So verließen sie also die Stanitza und wanderten gemächlich heim.

»Wenn der Major wüßte, wem er das zu verdanken hat!« meinte der Bauer. »Wie würde es Dir ergehen!«

»Schlecht natürlich,« lachte Sam.

»Wie bist Du nur auf diesen Gedanken gekommen?«

»Wie die Katze zur Maus. Er war plötzlich da, und ich habe ihn festgehalten und mich in ihn hineingebissen.«

»Aber was wollen die Leute mit den Uniformen? Sie können doch nicht als Kosaken reiten!«

»Warum denn nicht?«

»Weil – na, weil es geradezu toll ist.«

»Peter Dobronitsch, das Tollste ist im Leben sehr oft das Gescheidteste. Das habe ich oft erfahren.«

»Ich nicht.«

»Weil Dein Leben so einfach dahingeflossen ist, wie Syrup aus dem Fasse läuft. Wärest Du an meiner Stelle, so würdest freilich sehr anders denken.«

»Möglich.«

»Nicht möglich, sondern wirklich.«

»Du kannst Dir denken, daß ich sehr neugierig bin, zu erfahren, wie das gekommen ist.«

»So soll ich es Dir wohl erzählen?«

»Natürlich.«

»Ich will es wagen.«

»Was wagest Du dabei?«

»Daß ich verrathen werde.«

»Willst Du mich beleidigen, indem Du mich für einen Verräther erklärst?«

»Nein. Aber Du erzählst es Deiner Frau und Tochter: diese erzählen es weiter, und so kommt es nach und nach unter andere Leute.«

»Ich werde keinem Menschen Etwas sagen.«

»Auch den Deinen nicht?«

»Nein. Wenigstens so lange nicht, wie wir hier wohnen.«

»Gut, so sollst Du es erfahren.«

Er erzählte ausführlich, was in der Nacht in der Stanitza geschehen war, und erklärte ihm sodann, warum dieser eingeschlagene Weg der sicherste sei, welcher zur Rettung der Verbannten führen werde.

Der Bauer schüttelte lange den Kopf dazu, sagte aber endlich doch im Tone der Ueberzeugung:

»Du magst Recht haben. Wenigstens mag ich nicht mit Dir darüber streiten.«

»Das wurde ja auch zu nichts führen.«

»Aber wenn Du diesen Weg für den besten hältst, warum hast Du dann Deinen Bruder und die Seinen zurückbehalten?«

»Weil sie bei mir noch sicherer sind als bei der jetzigen Schaar des Majors Sendewitsch.«

»Hm! Kannst Du wirklich für diese Sicherheit mit gutem Gewissen garantiren?«

»Ja.«

»So will ich es loben. In diesem Falle möchte ich Dich fragen, wie lange Du hier verweilst.«

»Gar nicht mehr lange. Vielleicht reite ich bereits morgen wieder ab.«

»Ich denke. Du mußt hier auf Jemand warten.«

»Der kommt noch heut, ganz gewiß.«

»So! Und welchen Platz wählst Du, wenn Du von hier die Heimkehr antrittst?«

»Den gewöhnlichen Post- und Militärweg.«

»So möchte ich mich Dir am Liebsten anschließen.«

»Soll mich freuen.«

»Aber so schnell wie Du kann ich nicht fort.«

»Wegen Deiner Besitzung?«

»Nein. Die kann ich jeden Augenblick übergeben. Ich bin eigentlich nur noch der Verwalter derselben.«

»Nun, weswegen sonst?«

»Wegen dem Fürsten der Tungusen und seiner Tochter. Von ihnen kann ich unmöglich so sehr schnell scheiden.«

»Nun, das würde sich wohl auch zur Zufriedenheit arrangiren lassen. Vielleicht reiten sie mit.«

»Die? Wohin?«

»Nach dem Westen.«

»Das denke nur ja nicht!«

»Und ich denke es grad.«

»Hast Du einen Grund?«

»Ja.«

»Den möchte ich hören.«

»Nun, so sage mir vorher einmal, wie Dir der Kosak Nummer Zehn gefällt.«

»Er ist ein prächtiger Kerl.«

»Ein deutscher Edelmann!«

»Ich weiß es.«

»Und der Geliebte von Karparla.«

Da blieb der Bauer erstaunt stehen und fragte:

»Machst Du Spaß?«

»Nein. Es ist mein Ernst.«

»Möglich wäre es. Wenigstens weiß ich, daß er sie gerettet hat. Sie hat oft davon gesprochen.«

»Nun, die Dankbarkeit verwandelt sich sehr oft in Liebe, und das ist auch hier geschehen.«

»Aber diese Liebe ist völlig aussichtslos!«

»So scheint es. Aber man sagt, daß die Liebe Manches zu Stande bringe, was sonst unmöglich ist. Vielleicht geschieht das auch hier.«

»Sollte Karparla ihre Eltern verlassen wollen?«

»Hm! Ich würde es ihr gar nicht verdenken. In Deutschland hat sie ein ganz anderes Leben zu erwarten als hier.«

»Aber die Eltern gehen vor.«

»Nein. Der Mann geht vor. Das sagt auch die Bibel.«

»Aber Bula und Kalyna werden ihr einziges Kind nicht hergeben.«

»Das meinst Du jetzt. Dennoch denke ich anders. Wenn Steinbach kommt, so kanns anders werden.«

»Der wird es auch nicht anders machen können.«

»Oho!«

»Er ist doch nur ein Mensch!«

»Aber was für einer! Wenn Nummer Zehn es wünscht, daß Karparla mit ihm gehe, und das Steinbach sagt, so bringt der es gewißlich so weit, daß es geschieht.«

»So wäre er kein Mensch, sondern ein – –«

»Nun, was?«

»Ein halber Gott, ein übermächtiges Wesen.«

»Wollen es abwarten!«

»Ja, wollen es abwarten. Ich wenigstens würde meine Tochter niemals von mir geben.«

»Sapperment! Das klingt nicht gut. Redest Du da wirklich im Ernste?«

»Ja.«

»Und ich wollte Dich grad bitten, sie herzugeben.«

»An wen? Etwa an Boroda?«

»Ja.«

»Hm! Du sagtest doch, daß die Beiden noch gar nicht mit einander gesprochen hätten.«

»Das sagte ich gestern.«

»Steht es heut anders?«

»Ja.«

»Wirklich, wirklich?«

»Ja, denn ich habe sie dabei ertappt.«

»Was Du sagst. Wo?«

»Oben im Versteck, ganz oben auf dem Felsen; da hatten sie sich beim Kopfe. Darum griff auch ich zu und habe Mila einen herzhaften Schmatz gegeben.«

»Und das soll ich glauben?«

»Was willst Du nicht glauben? Daß die Beiden einig geworden sind, oder daß ich Deine Tochter geküßt habe.«

»Beides.«

»Dann will ich Dir aufrichtig sagen, daß ich Dich für einen gescheidteren Kerl gehalten habe.«

»Kommt Dir denn mein Zweifel so dumm vor?«

»Sehr! Zunächst was den Kuß betrifft, so bin ich doch ein Kerl, nach welchem sich die schönsten Mädchen allezeit die Hände geleckt haben – –«

»Davon bin ich ganz überzeugt,« lachte Dobronitsch.

»Und was das Andere betrifft, so ist Deine Tochter ein hübsches Kind und Boroda, mein Neffe, ist auch kein übler Kerl. Daß die Beiden sich herzlich gut sind, ist also nicht nur kein Wunder, sondern sogar sehr begreiflich. Und daß sie sich das gesagt haben, das verdenke ich ihnen gar nicht.«

»Nun, aufrichtig gesagt, nach dem, was wir Beide gestern besprochen haben, soll es mich auch gar nicht wundern, daß sie einig geworden sind, zumal Einer da ist, in dessen Absicht das zu liegen schien.«

»So? Wer ist denn dieser Eine?«

»Du bist es.«

»Ich? Was fällt Dir ein! Da klingt ja grad so, als ob Du mich für einen Gelegenheitsmacher hieltest!«

»Nun, wenn auch nicht dieses grad, aber gern zu sehen schienst Du es doch.«

»Das will ich nicht leugnen.«

»Und was Du willst, das führst Du auch aus. Wenigstens habe ich Dich als einen solchen Mann kennen gelernt.«

»Freut mich. Aber an dieser Liebe bin ich wirklich nicht schuld, wenn ich mich auch herzlich darüber freue, daß mir mein Neffe eine solche Nichte bringt. Du weißt doch, daß Boroda mein Neffe ist?«

»Ja. Mila hat es mir erzählt. Es ist das ein ganz wunderbares Zusammentreffen gewesen.«

»Gottes Hand war sichtlich dabei im Spiele. Ich bin kein Frömmler und Scheinheiliger; aber wo Gottes Führung so deutlich zu erkennen ist, da ist mein Herr voller Dank und Freude. Also, aufrichtig gestanden, ich freue mich darüber. Nun ist nur noch die Frage, was Du dazu sagst.«

»Ich? Hm!«

Er senkte den Kopf und schritt schweigend weiter. Er machte ein zwar nachdenkliches aber keineswegs unfreundliches Gesicht.

»Wenn Du Bedenken hast, so sage es mir!« meinte Sam. »Ich hoffe, daß ich sie zerstreuen kann.«

»In Beziehung auf die Person Borodas habe ich gar keine Bedenken.«

»Meinst Du das ehrlich?«

»Ja.«

»Nun, ich wüßte auch nicht, was Du gegen ihn einwenden solltest. Du bist reicher als er. Aber ich habe bereits gestern zu Dir von einem Verwandten gesprochen, auf den er sich verlassen kann. Du wirst leicht errathen, wer das ist.«

»Ich denke mir, daß Du es bist.«

»Ja, ich bin es. Weißt Du, ich war lange, lange Jahre drüben in Amerika und bin allezeit sehr glücklich gewesen. Die Pelzjagd hat mir sehr viel eingebracht, und im Goldsuchen bin ich noch viel glücklicher gewesen. Man sieht es mir freilich nicht an, denn ich bin ein einfacher Kerl und liebe es nicht, mit Glacéhandschuhen, Vatermördern und grauem Filzhute in der Welt herumzulaufen. Aber ich habe so viel zusammengespart, daß mich mancher Bankier beneiden würde, wenn er einmal dabei sein könnte, wenn ich mit der großen Gartenscheere meine Coupons abschneide. Kinder habe ich nicht. Ich werde mir zwar eine Frau nehmen; daß diese Ehe aber mit Kindern gesegnet sein soll, das glaube ich nicht, denn ich bin zu alt dazu. Da denke ich denn, daß Boroda mein Erbe sein wird. Also in dieser Beziehung brauchst Du keine Sorge zu haben. Mila soll nicht Hunger leiden.«

»O, das befürchte ich ganz und gar nicht, denn da wäre ich auch da. Sie ist doch mein ein einziges Kind. Aber, aber – –«

»Was hast denn zu abern?«

»Ihr seid Deutsche; ich aber bin ein Russe!«

»Nun, ein Russe ist doch wohl kein Drache!«

»Schwerlich. So habe ich es übrigens auch gar nicht gemeint. Ich wollte nur sagen, daß mein Herz am heiligen Rußland hängt.«

»Pah! Deutschland ist auch heilig. Und ich glaube nicht, daß es in Rußland schöner ist als bei uns.«

»Mag sein! Das kenne ich nicht. Boroda will natürlich, wenn er meine Tochter heirathet, mit ihr nach Deutschland?«

»Wahrscheinlich! Wenigstens hat er noch nicht davon gesprochen, er mit ihr zu den Zulukaffern ziehen will.«

»Scherz bei Seite! Dann müßten ich und meine Frau mit. Und ob diese will, das ist unsicher.«

»Oho! Sie ist eine geborene Deutsche, und ich bin überzeugt, daß sie mit Freuden Ja sagen wird. Also, machen wir es kurz! Giebst Du Deine Einwilligung?«

»Hm! Ich möchte doch erst mit meiner Frau reden.«

»Das sollst Du auch. Aber Deine persönliche Meinung kannst Du mir dennoch mittheilen.«

»Na, was diese betrifft, so will ich denn aus vollem Herzen Ja sagen.«

»Schön! Hier hast Du meine zehn Finger. Schlag ein!«

Er hielt ihm beide Hände entgegen. Dobronitsch schlug ein und drückte sie ihm herzlich.

»Na,« lachte Sam glücklich, »was wird Steinbach sagen, daß ich hier eine Heirath gestiftet habe, bei welcher der Bräutigam mein leiblicher Neffe ist. Wird Der Augen machen!«

»Was diesen Steinbach betrifft, so bin ich ganz außerordentlich neugierig auf ihn.«

»So?«

»Wunderst Du Dich darüber? Nach Allem, was ich von ihm gehört habe, muß er ein höchst ungewöhnlicher Mann sein.«

»Das ist er auch. So weit ich in der Welt herumgekommen bin, einen Mann, den ich mit ihm vergleichen könnte, habe ich noch nie getroffen.«

»Und Du glaubst, daß er bald kommen wird?«

»Ja. Es ist sogar möglich, daß er bereits da ist, wenn wir nach Hause kommen. Dann wirst Du Etwas erleben, was Du sicherlich gar nicht für möglich gehalten hast.«

»Was?«

»Warte es ab! Es werden Zeichen und Wunder geschehen. Der Niedrige wird erhöhet und der Hohe erniedrigt werden, ganz genau so, wie es in der Bibel steht.«

– – – – – – – – 

Derjenige, von dem die Rede war, nämlich Steinbach, war, gerade so, wie es Sam vermuthet hatte, gar nicht fern von der Besitzung des Peter Dobronitsch.

Er kam, wie bereit« erwähnt, mit der Tungusenschaar, deren Anführer der Fürst Bula war. Die Männer ritten alle. Für die Frauen aber waren Wagen vorhanden, Wagen jener primitiven Art, wie sie bei jenen halb wilden Völkerschaften gebräuchlich sind.

Gegen diese Fahrzeuge stach nun freilich die sehr elegante Kibitka ab, in welcher Gökala fuhr. Sie saß mit ihrer neuen Freundin Karparla in derselben.

Ganz von selbst verstand es sich, daß Steinbach sich während des Rittes stets in ihrer Nähe aufhielt. So lange Zeit hatte er die Herrliche, die Heißgeliebte vergebens gesucht. Nun er sie endlich gefunden hatte, geizte er mit jeder Secunde. Er wollte keinen Augenblick versäumen, den er dazu benutzen konnte, in ihre prächtigen, himmelblauen Augen zu blicken.

Bula, der Fürst, und Kalyna, seine Frau, hatten vor Steinbach einen ganz gewaltigen Respect. Sie hielten es für eine ganz besondere, ungeheure Ehre, daß ihre Tochter bei seiner Braut sitzen durfte, und Bula hielt sich möglichst in der Nähe des gewaltigen und doch so bezaubernden Mannes. Es fiel von demselben doch auch ein Glanz auf ihn.

Und Steinbach bereitete es großes Vergnügen, den dicken, guten Fürsten an seiner Seite zu sehen. Er mußte ihm von fremden Ländern erzählen, und der Fürst gerieth über das, was er da hörte, oft in so große Verwunderung, daß er den Mund öffnete und es ganz vergaß, ihn wieder zu schließen.

So ritten sie auch heute neben einander, hart vor der Kibitka, in welcher Gökala mit Karparla saß. Hinter dem Wagen ritt der Indier Nena. Er hatte sich ganz dem Dienste Gökalas gewidmet und hielt es für seine Aufgabe, jeden ihrer Wünsche bereits vorher zu errathen.

»Und wohin wirst Du von hier aus gehen?« setzte der Fürst das bisher geführte Gespräch fort.

»Wieder zurück nach dem Westen.«

»Darauf freust Du Dich wohl sehr?«

»Natürlich!«

»Ich wollte, ich könnte mit! Ich habe von Dir so viel über jene herrlichen Länder vernommen, daß ich mich förmlich sehne, sie einmal zu sehen. Denke Dir, so ein Caroussel, wie es bei Euch giebt, wo man sich auf hölzerne Pferde setzt und immer rund herum reitet! Das muß ja entsetzlich herrlich sein!«

»Natürlich!«

Der Fürst in dem kindlichen Sinne, welchen die Angehörigen jener Länder Alle besitzen, hatte sich nämlich von den Beschreibungen Steinbachs nur das gemerkt, was sich ein Kind davon merken würde.

Dennoch war er fast berauscht von den Antworten, welche er auch jetzt wieder auf seine Fragen erhielt, von der Beschreibung der großen Städte und den Genüssen, welche sie boten. Er bedauerte und bedauerte es immer und immer wieder, daß es ihm versagt sei, so Etwas zu sehen. Und als Steinbach, zwar nicht im Ernste, sondern nur so obenhin meinte, er solle doch einmal hinreisen, er sei ja reich und könne so eine Ausgabe wagen, da war er von diesem unerwarteten Gedanken so entzückt, daß er sein Pferd sogleich zu dem Wagen lenkte, in welchem seine liebe Kalyna saß.

Diese hätte sich sehr gern zu ihrer Tochter und Karparla gesetzt, um sich während der Wanderung mit ihnen zu unterhalten; aber ihr Leibesumfang gestattete dies leider nicht. Sie brauchte einen Wagen für sich allein.

»Kalyna, mein Weibchen,« sagte er, »soeben ist mir ein großer, ein wunderbarer und vortrefflicher Gedanke gekommen.«

Er that, als sei er der Erfinder und Schöpfer dieses Gedankens. Er konnte ja unendlich stolz auf denselben sein.

»Was für ein Gedanke?« fragte sie, ganz erstaunt von seinem hochverklärten Gesichte.

»Siehst Du es mir denn nicht an, daß dieser Gedanke ein himmlischer ist?«

»Ja freilich! Dein Gesicht leuchtet ja wie der liebe Mond, wenn er voll am Himmel steht!«

»Und ich soll ihn Dir sagen?«

»Natürlich. Denn Du weißt ja, daß mich Alles erfreut, was Dir Freude macht.«

»Wir werden reisen!«

Er zog dabei die Brauen empor und machte eine Miene, als ob er Zucker im Munde habe. Sie aber machte ein ganz anderes Gesicht.

»Reisen? Väterchen, willst Du mir das anthun!«

»Anthun? Eine Freude mache ich Dir damit!«

»O nein! Du weißt ja, daß ich das Reisen nicht vertragen kann. Du kennst meine Natur.«

Dabei ließ sie einen höchst bedenklichen und bezeichnenden Blick über ihre Gestalt gleiten.

»Mütterchen, diese Reise ist eine ganz andere. Sie wird Dich nicht anstrengen, sondern Dich entzücken.«

»Dauert sie lange?«

»Sehr lange.«

»O wehe!«

»Mehrere Monate, vielleicht ein halbes Jahr.«

»Mein Herrgott!« rief sie erschrocken.

»Erschrick nicht! Wenn Du erfährst, wohin ich will, so wirst Du vor Wonne laut aufschreien.«

»Nun, wohin willst Du denn?«

»Nach der Heimath des Brüderchens Steinbach.«

Sie schrie allerdings laut auf, aber nicht vor Wonne. Sie schien ganz entsetzt zu sein.

»Dahin? So weit! Monate lang im Wagen! Das geht nicht! Das ist unmöglich! Da sterbe ich!«

Jetzt war die Reihe, zu erstaunen, an ihn. Er hatte ja gar nicht daran gedacht, daß sein Leibesumfang und derjenige seiner Frau ein Verhinderungsgrund

sei, wie es gar keinen gewaltigeren geben konnte. Das stimmte ihn traurig. Er selbst hätte wohl gewagt, diese Beschwerden auf sich zu nehmen, aber seiner Kalyna konnte er das allerdings nicht zumuthen.

So kehrte er also sehr enttäuscht zu Steinbach zurück und theilte ihm mit, welchen Mißerfolg er gehabt habe.

»Laß Dich nicht sofort verblüffen!« sagte dieser lächelnd. »Dein Weibchen mag sich nur erst an diesen Gedanken gewöhnen. Grad wegen ihrem Körper und ihrer Gesundheit muß sie reisen.«

»Wie ist das möglich?«

»Weil sie dadurch dünner wird.«

»Dünner? Ist das denn vortheilhaft?«

»Natürlich! Ihr könnt das Leben nicht genießen. Euch fällt Alles schwer, was Anderen eine Freude macht. Ihr tragt viel zu viel Fett mit Euch herum.«

»Das ist freilich wahr.«

»Denke Dir, wie vortrefflich es wäre, wenn Du schlanker würdest!«

»O, das wäre freilich schön!«

»Und Dein Weibchen auch! Wie würde sie Dir gefallen! Schlank wie eine Jungfrau!«

»Heilige Maria! Schlank wie eine Jungfrau! Das muß ich meinem Mütterchen gleich sagen!«

Er wollte wieder fort. Steinbach hielt ihn zurück. »Dazu ist auch noch später Zeit. Weißt Du, man darf nicht gleich mit dem Kopfe durch die Wand rennen.«

»Das ist auch gar nicht meine Absicht. Dazu habe ich meinen Kopf viel zu lieb.«

»Aber soeben wolltest Du es thun. Es genügt jetzt, daß Du den Gedanken bei Deinem Weibchen angeregt hast. Sie wird ihn in ihrem Kopfe hin und her drehen, und ich bin überzeugt, daß sie sich nach und nach mit ihm befreunden wird. Mit den Gedanken ist es wie mit den Menschen. Man muß sie erst kennen lernen, dann gewinnt man Manchen lieb, den man erst gar nicht leiden konnte. Erwähne die Reise heut noch einmal, das ist genug; aber nicht jetzt gleich. Aber was ist das? Da vorn am Horizonte giebt es einen dunklen Punkt, welcher sich bewegt.«

Die Gegend, durch welche sie kamen, war ganz eben. Man hatte einen freien Blick rundum. Vorn lag der Himmel auf der scharfen Linie des Gesichtskreises, und der Morgen war hell und dunstfrei. Darum konnte man sehr weit sehen.«

Der Fürst richtete sich ein Wenig im Sattel auf, beschattete seine Augen mit der Hand und blickte in die ihm angegebene Richtung.

»Ja,« sagte er. »Da ganz vorn giebt es einen Punkt, welcher nicht in diese Gegend gehört.«

»Und er bewegt sich!«

»Das bemerke ich auch! Er kommt näher.«

»Das können nur Menschen sein.«

*


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