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»Gern! Du bist ja stets wie ein Freund, wie ein guter Bruder zu mir gewesen.«
»So beantworte mir die eine Frage: Hast Du jenen Offizier, der sich Georg Orzeltschasta nannte, wirklich herzlich, herzlich lieb gehabt?«
Sie gab nicht sogleich eine Antwort; dann aber hörte er das leise Geständniß erklingen:
»Ich dachte es damals.«
»Du dachtest es nur? Du hast Dich also geirrt?«
»Ja.«
»So war es nicht die richtige, wirkliche Liebe?«
»Nein.«
»Nein! Also habe ich auch geirrt!«
Das kam mit einem tiefen, erlösenden Seufzer aus der Brust heraus. Er fuhr fort:
»Seit wann hast Du das erkannt?«
»Das weiß ich nicht. Ich bin erst nach und nach zu dieser Ueberzeugung gekommen.«
»Ja, es gehen im menschlichen Herzen Veränderungen vor, von denen man sich keine Rechenschaft zu geben vermag.«
»Es war keine Veränderung.«
»Nicht?«
»Nein. Diese Zuneigung zu Orzeltschasta ist geblieben, was sie war, eine Zuneigung. Ich lebte bei Menschen, die mir nicht vertraut werden konnten. Ich fühlte mich einsam, fremd unter Bekannten. Da kam er. Er sah mich und sprach freundlich mit mir. Er war so zart, so gut, so rücksichtsvoll mit mir, ganz anders als Andere. Da gewann ich ihn lieb. Ich glaubte, das sei die Liebe eines Weibes zu ihrem Manne, und auch er mag gedacht haben, daß sein Gefühl ernster und tiefer sei, als es eigentlich war. Er versprach, daß ich sein Weib werden solle. Wir waren oft beisammen, aber –«
»Bitte, bitte, weiter!«
»Es war doch, als ob sich etwas Fremdes zwischen uns befinde. Er nahm mich zuweilen bei der Hand. Er legte auch den Arm um mich, wenn er zu mir sprach und von den fremden, mir unbekannten Lieben erzählte. Aber so, wie ein Liebender zu der Geliebten sich verhält, ist er nicht zu mir gewesen!«
»Wirklich? Ihr habt Euch nicht geküßt?«
»Nie. Ich habe geglaubt, das müsse so sein. Der Mann dürfe der Geliebten solche Zärtlichkeiten erst dann erweisen, wenn sie sein Weib geworden ist. Erst später, als ich sah, wie Normann zu seiner Tschita war, habe ich mir gesagt, daß eine wirkliche, wahrhaftige Liebe sich keine solche Schranken gefallen läßt. Ich bin nicht mit meinem Herzen zu Rathe gegangen. Ich habe nicht gefragt, ob meine Zuneigung auch wirklich Liebe sei. Ich habe mich für gebunden gehalten und es als ein Vergehen gegen die schuldige Treue erachtet, überhaupt eine solche Frage auch nur auszudenken. Aber die Erkenntniß ist mir doch gekommen, ganz von selbst und ohne daß ich nach ihr strebte. Ich war Georg gut, herzlich gut, aber nur so, wie eine Schwester dem Bruder ihre Zuneigung schenkt.«
Das war eine große Aufrichtigkeit, über welche Hermann sich außerordentlich glücklich fühlte. Es wogte in ihm, als ob er eine bewegte Fluth in seinem Herzen berge. Die Wonne, welche er empfand, verschuldete es, daß er es wagte, auch von sich zu sprechen:
»Zykyma, erinnerst Du Dich noch unseres ersten Zusammentreffens?«
»Ja,« gestand sie.
»Weißt Du, wo es stattfand?«
»Im Bazar, bei dem Händler.«
»O nein! Wir sahen uns schon früher, draußen im Thale der süßen Gewässer.«
»Glaubst Du?«
»Ich weiß es. Solltest Du Dich nicht auch erinnern?«
»Nein,« antwortete sie in halb neckischem Tone.
»Nicht? Wirklich nicht?«
»Ich glaube nicht.«
»O doch! Ich war nach dem Thale spazieren gegangen. Ich war fremd und wußte nicht, daß es ein Lustort für Frauen sei, die ein Mann nicht anblicken dürfe. Ich stand hinter Bäumen und lauschte Eurem Spiele. Da sah ich Dich. Du warst die Schönste von allen und –«
»Hermann!« unterbrach sie ihn.
»Was?«
»Willst Du schmeicheln?«
»O nein. Ich wartete bis zu Eurem Aufbruche und ging Euch nach. Weißt Du, die Ochsen an Deinem Wagen wurden scheu, und ich fiel ihnen in die Zügel. Du gabst mir Deine Hand –«
»Was eigentlich streng verboten war!«
»Ja. Ich sah einen Diamant an Deinem Finger glänzen und erkannte Dich an diesem Steine.«
»Richtig! Aber ich mußte dem Pascha den Ring geben, und dann hieltst Du seinen Diener, der sich verkleidet hatte, für mich.«
»Ich weiß, ich weiß!« lachte er. »Das Abenteuer im Kirchhofe wäre mir schlecht bekommen, wenn nicht Steinbach mich gerettet hätte.«
»So ist er stets unsere Vorsehung gewesen!«
Hermann ging nicht auf diesen ableitenden Gedanken ein. Er war einmal dabei, von sich selbst zu sprechen, und fuhr fort:
»Dann entführten wir Dich dennoch, Dich und Zykyma. Und da war es, wo ich erfuhr, daß Du einen Andern in Dein Herz geschlossen habest.«
»Bitte, schweigen wir davon!«
»Ja, schweigen wir, Zykyma. Ich mag nicht an jene Stunde denken, in welcher so viel und so herrliches Hoffen in mir vernichtet wurde. Mein Herz hat seit jener Zeit eine schwere, schwere Last getragen und wird sie auch weiter tragen. Das Deinige aber will ich Dir erleichtern. Du brauchst vor Georg nicht zu fliehen. Er wird Dich nicht an das ihm gegebene Wort erinnern.«
»Hermann! Glaubst Du das?«
»Ich weiß es sogar und zwar aus seiner Depesche.«
»Unmöglich. Grad diese Depesche ist es ja, die mir eine so große Angst verursacht.«
»Du würdest Dich gar nicht geängstet haben, wenn ich das Telegramm vollständig vorgelesen hätte.«
»So steht noch Etwas dabei?«
»Etwas sehr Wichtiges.«
»Warum hast Du es mir verschwiegen?«
»Weil ich glaubte, es würde Dir Schmerz bereiten. Ich wollte Dich nicht kränken und Dich langsam auf diese Kunde vorbereiten.«
»Gott, was werde ich hören! Welche Kunde meinst Du?«
»Ich bin so glücklich, Dir versichern zu können, daß auch er Dich nur wie ein Bruder geliebt hat.«
»Ist's möglich? Ist's wahr?«
»Ja. Mag er auch längere Zeit geglaubt haben, daß er an Dich gebunden sei, er hat den Irrthum seines Herzens eingesehen und die Fesseln zerrissen.«
»Gott! Sprich weiter, weiter!«
»Wirst Du wirklich nicht erschrecken, wenn Du erfährst, daß er Dir nicht treu geblieben sei?«
»Erschrecken? Gar nicht, gar nicht. Das wird mich sogar von großer, innerer Pein befreien.«
»Nun, so kann ich Dir mittheilen, daß er eine Andere liebt als Dich. Er ist verlobt.«
»Verlobt?« rief sie entzückt aus.
»Er hat eine Braut.«
»Eine Braut? O, wie will ich sie lieben! Sie hat mich vom Tode errettet!«
»Herrgott! Hattest Du so düstere Gedanken?«
»Ja. Ich wäre lieber gestorben als ihm unter die Augen getreten. Es war schrecklich.«
»Arme, arme Zykyma!«
»Er hat telegraphirt. Er wird seine Braut mitbringen, steht in der Depesche.«
»Gott sei Lob und Dank! Ich bin frei, frei!«
Sie jubelte diese Worte laut hinaus.
»Wirst Du nun bleiben?« fragte er.
»Ja, gern, gern!«
»Und niemals wieder den Gedanken hegen, uns verlassen zu wollen, Zykyma?«
»Das, das kann ich nicht versprechen.«
»Warum nicht?«
»Weil – weil –«
»Bitte, sprich weiter!«
»Weil ich ja nicht weiß, was mir die Zukunft zu bringen vermag. Niemand weiß es.«
»Niemand außer ich!«
»Du? Bist Du allwissend?«
»Ich glaube, es heut zu sein. Die Nachricht, daß Du Georg nicht geliebt hast, hat mich alles Irdische entkleidet. Es ist mir, als ob ich ein Seliger sei, der vom Himmel herabschaut und alles Vergangene und Zukünftige sehen kann.«
Sie gab keine Antwort. Und als auch er augenblicklich schwieg, sagte sie dann:
»Wollen wir nicht hineingehen? Tschita weiß nicht, wo wir uns befinden. Komm!«
Sie wollte sich erheben. Er aber hielt sie zurück, indem er abermals ihre Hände ergriff.
»Bleib noch einige Augenblicke, Zykyma. Ich weiß nun zu meiner Freude, daß Du Dich damals betreffs Georgs geirrt hast. Ich möchte nun gern auch noch etwas Anderes erfahren.«
Sie rückte ein Wenig von ihm ab, ohne ihm eine Antwort zu geben: Er fragte:
»Möchtest Du nicht wissen, was?«
»Sage es!«
»Ich möchte wissen, ob Du Dich damals auch in Beziehung auf mich geirrt hast.«
»Das kann ich nicht sagen.«
»Wenn ich Dich nun recht herzlich darum bitte?«
»Auch dann nicht.«
»Du böses, böses Mädchen! Fühlst Du denn, nicht grade jetzt selbst, wie glücklich es macht, Klarheit über sein Herz zu besitzen? Warum willst Du mir dieselbe versagen? Du bist grausam!«
»Grausam? Das könnte ich niemals sein.«
»So gieb mir die erwünschte Antwort! Sag, hast Du Dich in Beziehung auf mich geirrt?«
»Nein,« antwortete sie so leise, daß er das Wörtchen kaum zu verstehen vermochte.
Da ließ er ihre Hände los.
»Nicht, also nicht! Ich dachte jetzt, daß ich wieder eine Hoffnung hegen dürfe. Das war ein Irrthum. Aber es ist doch besser so, als daß ich eine solche Hoffnung vergeblich in mir trage.«
Er wendete sich traurig ab. So saßen sie einige Minuten schweigsam neben einander. Dann stand er auf und sagte:
»Du hattest Recht, Zykyma. Wir wollen gehen. Tschita weiß nicht, wo wir sind.«
Er that einige Schritte vorwärts, blieb aber stehen, als er sah, daß sie ihm nicht folgte.
»Hermann!« bat sie.
»Was noch?«
»Du hast mich nicht verstanden.«
»O doch! Es war ja deutlich genug.«
»Nein. Gott, soll ich es denn sagen.«
»Was, Zykyma!«
»Daß ich Dich damals doch –«
Sie hielt inne. Er kehrte schnell zu ihr zurück.
»Sprich weiter, weiter!« bat er.
»Ich kann nicht!«
»Fällt es Dir so schwer?«
»Unendlich!«
»Und ich kann es Dir nicht leichter machen. Du hast mir damals gesagt, daß Du mich nicht lieben dürftest, und jetzt sagst Du, daß Du Dich nicht geirrt habest!«
»Durfte ich Dich denn lieben?«
Da ging ihm eine beglückende Ahnung auf.
»Zykyma!« rief er. »Du hieltest Dich für nicht mehr frei. Du durftest mich also nicht lieben. Aber Du liebtest mich doch?«
Sie neigte den Kopf und schwieg.
Schnell saß er wieder neben ihr, schlang den Arm um sie und bat in zärtlichem Tone:
»Sage, o sage es mir! Du liebst mich?«
»Ja,« erklang es zitternd.
»Gott, mein Gott! Also doch! So war all das bisherige Herzeleid umsonst!«
Er drückte sie innig an sich und küßte sie auf das weiche, duftende Haar.
»Zykyma, meine Zykyma, sage es noch einmal! Du hast mich damals dennoch geliebt?«
»Von ganzem Herzen,« gestand sie ein. »Von dem Augenblicke an, an welchem ich Dich an dem Wagen sah.«
»Hätte ich das gewußt!«
»Konntest Du es Dir nicht denken?«
»Nein.«
»So hast Du mich für kein gutes Mädchen gehalten. Wie konntest Du mich da lieben!«
»Ich Dich nicht für gut gehalten? Wieso?«
»Ich habe Dich im Bazar getroffen und mich von Dir entführen lassen. Wer so Etwas einem ungeliebten Manne erlaubt, der ist –«
»Ich verstehe, verstehe! Ach, warum habe ich mir das nicht gesagt! Ich hätte so glücklich sein können, bereits seit langer Zeit.«
»Nein. Ich hätte Dir niemals gestanden, daß ich Dich liebe. Ich hielt mich ja für gebunden!«
»Du Böse!«
»Bös? O nein! Wenn Du wüßtest, wie unglücklich ich war! Mein ganzes Herz gehörte Dir. Ich mußte Dich täglich und stündlich sehen, ohne Dich ahnen lassen zu dürfen, daß ich nur bei Dir glücklich zu sein vermag!«
»So segne Gott meinen Bruder, daß er sein Herz einer Andern schenkte!«
»Und auch diese Andere, denn durch ihre Liebe bin ich von der Verzweiflung gerettet worden.«
»Und ich bin täglich bei Dir gewesen und habe es nicht gemerkt, wie schwer Du im Stillen zu kämpfen hattest. Du arme, arme Zykyma!«
»O, nun ist Alles, Alles gut, mein lieber, lieber Hermann. Ich werde unendlich glücklich sein.«
Sie hielten sich innig umschlungen und ahnten nicht, daß so nahe hinter ihnen Einer saß, der bei ihren Worten und dem Anblicke ihres Glückes mit den Zähnen knirrschte. Fast wäre er laut und grimmig empor gefahren, als Hermann von Adlerhorst jetzt sagte:
»Was würde Dein früherer Mann dazu sagen, wenn er uns so hier erblickte.«
»Mein Mann? Der Pascha?« lachte sie fröhlich auf.
»Ja, dieser Isegrimm, dem wir Dich doch endlich so glücklich zu entreißen vermochten.«
»Mein Mann, mein Mann!« lachte sie noch immer.
»Nun eigentlich war er es doch!«
»Nach dortigen Begriffen, ja. Ich war seine Sclavin. Aber er hat mich nie berühren dürfen!«
»Wie Du das nur fertig gebracht hast, Du Tapfere!«
»Mit Hilfe des Dolches, den Georg mir geschenkt hatte. Der Pascha war ein Feigling. Er fürchtete sich vor mir und vor dem Gifte.«
Da hörte man Tschita's Stimme erklingen:
»Hermann, wo bist Du?«
»Hier!« antwortete er.
»Wo denn?«
»Ganz hinten auf der Bank.«
»Ach, wir kommen!«
Da er von der Bank sprach, so begriff Tschita sofort, was sich ereignet hatte.
»Komm! Wollen ihnen entgegen gehen!« bat Zykyma.
»Nein!« sagte er in glücklichem Tone. »Wir bleiben hier sitzen und lassen uns arretiren.«
Da er sie festhielt, mußte sie, obgleich sträubend, sich drein ergeben.
Während die Beiden hier gesessen hatten, war Normann aus der Stadt nach Hause gekommen und hatte nach ihnen gefragt. Tschita erzählte ihm das von den Telegrammen und fügte die Vermuthung bei, daß Hermann sich nun wohl mit Zykyma ausgesprochen habe. Da litt es ihn nicht im Zimmer. Er nahm sein Weibchen beim Arme und ging mit ihr in den Garten.
Jetzt kamen sie herbei. Als Normann die Beiden so innig neben einander sitzend erblickte, sagte er staunend:
»Hermann, was sehe ich! Habt Ihr Euch vielleicht entzweit?«
»Ja,« lachte der Gefragte. »Wir werden von heut an in alle Zukunft hinein zu Zweien sein, wenn Ihr nichts dagegen habt.«
»Dagegen? O nein! Ganz im Gegentheile erkläre ich, daß mir damit mein innigster Herzenswunsch in Erfüllung geht.«
»Der meinige auch!« erklärte Tschita, indem sie die Freundin von der Bank empor an ihr Herz zog.
Die Beiden weinten Freudenthränen. Die Männer schüttelten sich die Hände.
»Jetzt möchte ich Eins,« sagte Normann. »Dann wäre die Genugthuung vollständig.«
»Ungenügsamer!« zürnte Tschita. »Was möchtest Du denn noch dazu?«
»Daß der Pascha hier wäre. Er sollte sehen, was für glückliche Engel aus seinen beiden Sclavinnen geworden sind.«
»Denken wir nicht an ihn,« sagte Tschita ernst.
»Hast Recht, meine Seele. Wollen alle diese Erinnerungen fallen lassen. Kommt herein. Es ist jetzt nicht mehr gut, des Abends hier zu verkehren und intime Angelegenheiten zu verhandeln.«
»Warum?« fragte Hermann.
»Es ist ein Mensch in das Nebenhaus gezogen, dem ich irgend welche Absichten zutraue.«
»Ah! Wer ist er?«
»Ein abgesetzter Polizist. Der Kerl scheint mir ein Störenfried zu sein, ein Schleicher, der es auf uns abgesehen hat.«
»Auf uns? Was könnte er bezwecken?«
»Weiß es nicht. Solche Kreaturen machen aus dem weißesten Schnee die schwärzeste Tinte. Vielleicht steht er irgendwo drüben und belauscht uns. Kommt also herein.«
Sie gingen.
Als ihre Schritte verklungen waren, kamen die Lauscher aus ihrem Versteck hervor.
»Donnerwetter! Ich ein Schleicher, ein Störenfried, eine Kreatur!« fluchte der Agent.
»Er meinte Dich?« fragte der Pascha.
»Ja, mich. Das versteht sich ganz von selbst.«
»Da mußt Du Dich rächen.«
»Daran soll es nicht fehlen. Aber sagen Sie mir, haben Sie Alles gehört?«
»Alles.«
»Nun, was sagen Sie dazu?«
»Jetzt gar nichts. Diese Menschen sollen aber erfahren, was es heißt, die Frauen Ibrahim Pascha's zu entführen!«
Die Glocke des Gärtchens erschallte wieder.
»Da kommt wieder Jemand,« sagte Schubert. »Wollen wir lauschen, wer es ist?«
»Nein; danke.«
»Aber vielleicht ist es von Vortheil für uns!«
»Danke dennoch! Ich weiß nun genug. Dieser Normann hegt Verdacht. Wenn es ihm einfällt, den Garten zu durchsuchen, so findet er uns.«
»Mich nicht!«
»Ja, Sie sind ein guter Kletterer. Mich aber hat er beim Kragen, ehe ich über den Zaun weg bin. Wir wollen fort.«
»Ganz, wie Sie wollen. Also jetzt haben Sie gesehen und gehört. Sind Sie befriedigt?«
»Ja.«
»Sie haben eingesehen, daß Tschita und Zykyma es wirklich sind.«
»Versteht sich. Es kann kein Zweifel sein.«
»So darf ich Sie wohl auch an das Honorar erinnern?«
»Sie haben es sehr eilig. Sie werden es bekommen, sobald wir uns drüben in Ihrer Stube befinden.«
»Bleiben wir dort, oder machen wir bis ein Uhr einen Spaziergang?«
»Wir bleiben dort. Ich mag mich nicht mit Ihnen sehen lassen. Das wissen Sie ja.«
Sie kletterten über das Stacket, Beide Haß und den Gedanken an Rache im Herzen, der Pascha aber natürlicher Weise noch viel mehr als der Agent, dem die zu erwartende Bezahlung ja für seine beleidigte Seele große Tröstung brachte.
Wenn die Beiden gewußt hätten, wer draußen geklingelt hatte, so wären sie jedenfalls noch länger geblieben, um das nun Folgende zu belauschen.
Als das Dienstmädchen an die Gartenpforte kam, sah sie zwei Gestalten draußen stehen. Die Eine war unendlich lang und dünn und die Andere außerordentlich dick aber klein.
»Guten Abend!« sagte der Dicke. »Hier wohnt der Maler Normann?«
»Ja, mein Herr.«
»Ist er daheim?«
»Soeben erst aus der Stadt gekommen.«
»Also auch zu sprechen?«
»Jetzt kaum mehr. Es ist zu spät.«
»Pah! Wir sind Bekannte.«
»So kommen Sie herein. Ich werde Sie melden.«
»Ist nicht nöthig. Wir melden uns selbst.«
Sie schloß auf und die beiden Männer traten in den Vorgarten. Erst jetzt bemerkte das Dienstmädchen, daß sich noch einige andere Personen draußen befunden hatten, etwas weiter zurückstehend. Auch diese kamen mit herein. Während sie noch darüber war, die Pforte wieder zu verschließen, fragte der Dicke:
»Ist auch Frau Normann und Zykyma da?«
»Ja.«
»Giebt es vielleicht Besuch?«
»Herr von Adlerhorst kam vorhin.«
»Nun, so will ich Ihnen Etwas sagen. Sie mögen mich anmelden, mich allein. Wo werden die Herrschaften sich befinden?«
»Im Salon jedenfalls.«
»Giebt es vor diesem ein Zimmer?«
»Ja; es steht leer.«
»Gut. Während ich in den Salon trete, führen Sie die anderen Personen in dieses Zimmer. Es gilt eine Ueberraschung. Und damit mich nicht Herr Normann allein empfängt, sagen Sie, daß ich mit der ganzen Bande zu sprechen hätte. Hier ist meine neue Visitenkarte, das Hundert zu einer Mark und fünfzig Pfennigen!«
Das Mädchen wußte nicht, was sie über diesen kleinen, dicken Menschen und den ganzen Vorgang denken solle. Da es aber sich um eine Ueberraschung handelte, so beschloß sie, sich genau nach seiner Weisung zu richten.
Die Bewohner der Villa befanden sich im Salon. Sie hatten es klingeln hören und waren neugierig, zu erfahren, wer da kommen werde. Einen Bekannten erwarteten sie nicht und ein Fremder konnte zu solcher Stunde doch auch nicht erst kommen.
Da kam das Mädchen herein und übergab Normann die Karte. Er las sie und lachte laut auf.
»Wer ist's?« fragte Tschita neugierig.
»Ein Fremder. Wie sieht der Mann aus?«
»Sehr nobel,« antwortete das Mädchen.
»Hm! Diese Karte ist nicht gedruckt, sondern mit Tinte beschrieben. Ein sehr nobler Herr ist er also nicht.«
»Er sagte, von dieser Karte kosten hundert Stück eine Mark fünfzig,« meinte das Mädchen.
Alle lachten.
»Zu wem will er denn? Zu mir?«
»Nein, sondern zur ganzen Bande.«
»Was! Zur ganzen Bande? Das ist originell!«
Das Gelächter wiederholte sich.
»Wer ist er denn?« fragte Hermann.
»Da auf der Karte steht geschrieben: Sam Barth, Knopfmachergeselle und Prairiejäger aus Herlasgrün in Sachsen.«
»Prairiejäger und Knopfmachergeselle!« wiederholte Hermann, indem er vor Lachen kaum sprechen konnte. »Aus Herlasgrün!«
»Laß ihn herein!« gebot Normann.
Während die Vier sich gar keine Mühe gaben, ihre Lustigkeit zu verbergen, trat Sam herein. Er verbeugte sich tief und machte eine fürchterlich feierliche Miene.
»Sie sind Herr Barth?« fragte Normann, die dicke Gestalt musternd. »Zu dienen!«
Dabei verbeugte er sich noch tiefer.
»Knopfmachergesell aus Herlasgrün?«
»Habe die Ehre.«
Abermals tiefe Verneigung!
»Und zugleich Prairiejäger?«
»Versichere es ergebenst!«
Jetzt verbeugte er sich so tief, als er nur konnte. Diese ernste Feierlichkeit bei seiner dicken Gestalt und dem Inhalte seiner Karte hatte die Wirkung, daß die Herrschaften abermals in's Lachen ausbrachen. Sam verzog keine Miene, wartete, bis sie sich ausgelacht hatten und fragte dann:
»Bitte gehorsamst, mir zu sagen, worüber Sie lachen!«
»Ueber Sie natürlich!«
»Ist mir lieb!«
»Was? Das ist Ihnen auch noch lieb?«
»Natürlich! Es ist doch jedenfalls besser, als wenn Sie über mich weinen.«
»Das ist wahr. Sie scheinen ein ganz sonderbarer Kauz zu sein!«
»Der bin ich auch!«
»So, so! Was wünschen Sie denn von mir?«
»Ich bringe Grüße.«
»Ah! Von wem?«
»Von seiner Herrlichkeit, dem Lord Eagle-nest.«
Die Vier machten ganz erstaunte Gesichter.
»Was! Vom Lord!« meinte Normann. »Kennen Sie denn seine Herrlichkeit?«
»Sehr gut.«
»Von woher denn?«
»Von Amerika her. Ich habe mich in seiner Gesellschaft befunden.«
»Sie? In seiner Ge– – –!«
Er trat einen Schritt auf Sam zu. Es schien ihm ein Gedanke zu kommen.
»Ah! Ich erinnere mich! Der Lord erzählte von Prairiejägern, von einem kleinen, dicken Kerl, welcher – – –«
»Der bin ich, dieser Dicke!« nickte Sam sehr ernst.
»Und von zwei dünnen, langen Kerls?«
»Das sind Jim und Tim, meine Gefährten.«
»Ah, wenn das ist, so sind Sie mir freilich herzlich willkommen. Setzen Sie sich!«
Er gab ihm die Hand und bot ihm einen Stuhl an. Sam wehrte ab und fragte:
»Hat der Lord Ihnen unsere Abenteuer erzählt?«
»Ja.«
»Aber wohl nicht Alles?«
»Jedenfalls Alles.«
»Das glaube ich nicht. Hat er auch gesagt, wen wir damals im Thale des Todes fanden?«
»Ja, den Derwisch.«
»Und wen noch?«
»Weiter Niemand außer einigen Personen, die uns nicht interessiren.«
»Dachte es mir! Wir haben nämlich viel mehr Leute gefunden, als Sie denken.«
»So? Wen?«
»Davon später. Jetzt muß ich erst auch die andern Grüße bringen, welche mir aufgetragen worden sind.«
»Von wem denn, Herr Barth?«
»Von Herrn Steinbach.«
»Von dem? Ach ja, Sie kennen ihn. Er war ja damals im Todesthale mit dabei. Wenn er Ihnen damals einen Gruß aufgetragen hat, so kommen Sie freilich sehr spät, uns denselben auszurichten.«
Da trat Hermann von Adlerhorst hervor. Er war zwar damals nicht mit in den Vereinigten-Staaten gewesen; aber er hatte sich die Berichte von den dortigen Begebenheiten besser gemerkt als Normann.
»Paul,« sagte er, »lasse Dich da von dem Dicken nicht bei der Nase nehmen. Der ist ein Filou. Er hat mehr in Petto als wir denken. Herr Barth, machen Sie kein so dummes Gesicht; mich täuschen Sie doch nicht damit. Ich weiß, was für ein tüchtiger Kerl Sie sind. Wo hat Steinbach Ihnen den Gruß aufgetragen?«
»Bereits schon hinter Irkutzk.«
»Irkutzk? Sind Sie toll?«
»Noch nicht ganz!«
»Irkutzk liegt ja in Sibirien!«
»Seit damals, wo es gebaut wurde, ja.«
»Waren Sie denn dort?«
»Ein Wenig.«
»Aber Steinbach?«
»Auch ein Wenig.«
»Was haben Sie denn dort gewollt?«
»Wir hatten die Absicht, einen gewissen Georg von Adlerhorst zu befreien.«
»Ach! Jetzt wird es in mir klar. Sie Tausendsassa haben an diesem Werke mit geholfen?«
»Ja, und es ist uns gelungen.«
»Dann sind Sie uns ein willkommener Bote des Glückes. Wo fanden Sie ihn?«
»Hinter Irkutzk. Er war Verbannter und als Gemeiner einer Kosakensotnie zugetheilt.«
»Ich will meine Wißbegierde noch zügeln. Sie werden uns Alles erzählen müssen. Sagen Sie uns nur einstweilen, ob es wahr ist, daß er eine Braut hat.«
»Ja, er hat sie.«
»Ah! Wer ist sie?«
»Meine Nichte.«
»Ihre – Nich– – –!«
Er trat zurück und musterte den Dicken.
»Was! Ist's wahr?« fragte Normann.
»Natürlich. Oder trauen Sie mir etwa keine Nichte zu, Herr Normann?«
»Ganz gern. Aber wie kommt diese Nichte – – –«
Die Nichte eines Knopfmachergesellen als Braut eines Adlerhorst, dieser Gedanke war nicht leicht hinzunehmen. Sam fühlte, was der Sprecher meinte und fiel ihm also schnell in die Rede:
»Bitte, diese Nichte ist die Adoptivtochter eines regierenden Fürsten.«
»Sie dichten wohl!«
»Danke sehr für dieses gütige Vertrauen. Ein Dichter bin ich nie gewesen. Ich melde nur die reine Wahrheit.«
»Aber diese Wahrheit ist eine sehr sonderbare. Wer ist denn dieser Fürst?«
»Fürst Bula der Tungusen.«
»Was? Eine Nichte von Ihnen ist die Tochter eines Tungusenfürsten? Das behaupten Sie?«
»Pflegetochter nur!«
»Wie kommt sie aus Herlasgrün zu den Tungusen?«
»Grad so, wie Einer einmal zu einer Ohrfeige gekommen ist, nämlich ganz ohne alle Absicht. Uebrigens wollen wir das für später lassen. Ich habe noch mehrere Grüße auszurichten.«
»Von wem denn?«
»Von einem Fräulein Magda von Adlerhorst, ferner von einem Herrn –«
»Magda!« fiel Tschita ein. »Wen meinen Sie damit? Etwa meine Schwester? Schnell!«
Der Dicke aber fuhr, ohne sich aus der Fassung bringen lassen, unbeirrt fort:
»Ferner von einem gewissen Herrn Martin von Adlerhorst und endlich auch noch von einer Frau Anna von Adlerhorst.«
Kein Mensch antwortete ihm. Er blickte die Vier an. Sie waren stumm vor Erstaunen. Da sagte er:
»Um es kurz zu machen: Es ist besser, ich lasse das Grüßen sein und bringe die Leute gleich selbst.«
Er öffnete die Nebenthür und nun traten die Genannten herein, an ihrer Spitze der lange, dürre Lord Eagle-nest. Die Kommenden waren ganz wohl vorbereitet auf Diejenigen, welche sie hier sehen würden; diese Letzteren aber hatten keine Ahnung gehabt, daß sie die so längst gesuchten Glieder ihrer in alle Winde zerstreuten Familie wieder erhalten würden.
Sie kannten einander natürlich gar nicht mehr; sie standen starr und stumm, bis der Lord seine erklärenden Bemerkungen machte. Nun gab es freilich ein Entzücken, welches gar nicht zu beschreiben war. Es wurde vor Glück gelacht und geweint und es verging wohl über eine Stunde, bevor sich diese guten und so lange schwer geprüften Leute so weit gesammelt hatten, daß sie in leidlicher Ruhe fragen und antworten konnten.
Die in der Heimath weilenden Glieder der Familie hatten bisher noch gar nicht gewußt, daß ihre Mutter nebst Martin und Magda sich in Amerika befunden hatten. Der Lord hatte diese Letzteren bei sich in England untergebracht, damit sie sich nach und nach von ihren schweren Leiden erholen sollten. Er hatte schwerwiegende Gründe vorgebracht, dort bei ihm auszuhalten und sich erst später mit den Andern zu vereinen.
Jetzt nun war das Entzücken ein desto größeres. Das war ein Küssen und Umarmen! Die wiedergesundene Mutter ging aus einem Arm in den Andern. Das war ein Schluchzen und Jauchzen. Der lange Lord strampelte vor Freude nur immer mit den Beinen. Selbst Zykyma mußte sich seine Umarmung gefallen lassen.
Nur Einer verhielt sich ganz still dabei, nämlich Sam, der Dicke. Er hatte sich in eine Ecke zurückgezogen, machte den stillen Beobachter und gab nur hier oder da ein Wort von sich, nämlich wenn er eine an ihn gerichtete Frage zu beantworten hatte.
Endlich, nach langer, langer Zeit setzte man sich wieder nieder, und nun sollte das Erzählen beginnen. Jeder wollte zuerst wissen, wie es dem Andern ergangen sei, und so kam es, daß Keiner Zeit und Raum fand, seine Erlebnisse zu erzählen, bis es zuletzt hieß, daß der Lord den Berichterstatter machen solle. Dieser aber deutete auf Sam und sagte:
»Nicht ich, sondern dieser Mann da mag erzählen. Er weiß Alles; er hat Alles mitgemacht. Wendet Euch an ihn!«
»Daraus wird heute nichts,« meinte aber der Dicke. »Wir haben keine Zeit zum Erzählen, wenigstens ich nicht.«
»Warum nicht? Sie müssen und müssen erzählen, lieber Sam!« meinte Normann.
»Lieber Sam! Das klingt jetzt ganz anders als vorher!« lachte Barth. »Ich würde die Erzählung sehr gern liefern, aber ich habe beim besten Willen keine Zeit. Ich muß zum Pascha.«
»Zum Pascha?« fragte Normann ganz erstaunt. »Welchen Pascha meinen Sie denn?«
»Nun, doch den Ihrigen.«
»Ibrahim?«
»Ibrahim oder Abrahim, das ist im Türkischen ja wohl ganz egal.«
»Sie wollen so schnell verreisen?«
»Verreisen? Wer redet davon!«
»Nun Sie doch!«
»Davon weiß ich nichts. Kein Wort!«
»Sie wollen doch zum Pascha. Also müssen Sie doch wohl in die Türkei, nach Constantinopel!«
»Dorthin? Fällt mir gar nicht ein!«
»Wo ist er denn?«
»Ich laufe keinem Menschen nach, nicht einmal einem Pascha. Wenn ich ihn haben will, muß er hier sein.«
»Hier? Fast möchte ich Sie wieder fragen, ob Sie dichten.«
»Und ich wiederhole, daß ich die Wahrheit sage.«
Da machte der Lord einen Siebenmeilenschritt, pflanzte sich vor Sam auf und fragte:
»Hier, hier in Wiesenstein ist er?«
»Ja.«
»Well! Führen Sie mich zu ihm!«
Er wendete sich nach der Thür und machte ein paar Fäuste, als ob das Boxen schon jetzt beginnen solle.
»Halt!« lachte Sam. »So rasch geht das nicht. Da giebt es noch sehr Verschiedenes zu erwähnen.«
»O nein, gar nichts!« rief der Engländer. »Ich gehe zu ihm und schlage ihm den Schädel ein!«
»Das wollen wir einstweilen noch bleiben lassen. Setzen Sie sich, Sir, und machen Sie mir keine Störung in meinen Kram!«
Er faßte ihn an und drückte ihn auf einen Stuhl nieder. Normann bemerkte zu Sam:
»Der Pascha Ibrahim hier in Wiesenstein, das ist gar nicht denkbar. Aber Sie haben uns schon so viel Unglaubliches gesagt, was dennoch wahr war, daß ich versucht bin, auch an dieses zu glauben.«
»Glauben Sie es getrost!«
»Kennen Sie ihn denn?«
»Ja.«
»Sie haben ihn doch nie gesehen!«
»Heut zum ersten Male.«
»Wie können Sie da wissen, daß er es ist?«
»Ein Anderer hat es mir gesagt.«
»So! Dann ist immerhin ein Irrthum möglich. Was könnte er denn wohl hier wollen?«
»Das fragen Sie! Der Sie die meiste Veranlassung haben, es zu wissen!«
»Ich? Wieso?«
»Er sucht seine beiden Weiber!«
»Ah! Ist's wahr?«
»Schon seit der Zeit, in der sie ihm entführt worden sind. Sein Suchen ist bisher vergeblich gewesen, obgleich er ganz Deutschland durchforscht hat. Jetzt aber hat er sich an einen durchtriebenen Kerl gewendet, der ihm behilflich sein will, Tschita und Zykyma nach der Türkei zurückzubringen.«
»Das sollen sie bleiben lassen!«
»Oho! Wenn ich nicht wäre, würde es ihnen doch vielleicht gelingen!«
Normann erbleichte.
»Wieso denn?«
»Kennen Sie einen gewissen Schubert, der hier nebenan wohnt, nämlich seit heute erst?«
»Ja. Hat dieser Kerl vielleicht seine Hand im Spiele?«
»Er ist's, der ihm helfen will, die Damen zu entführen.«
»Habe es mir doch sofort gedacht, daß dieser Mensch irgend eine feindselige Absicht hat!«
»O, er will noch mehr! Nämlich Rache an Allen, besonders an Steinbach, und sodann auch die Befreiung des Derwisches Osman.«
»Des Derwisches? Ist der denn gefangen?«
»Bereits seit langer Zeit. Wir haben ihn heut nach Wiesenstein gebracht und in ein Gewölbe des Schlosses eingesperrt.«
Diese Nachricht erregte ein großes Aufsehen. Sam wurde bestürmt, ausführlich zu erzählen, was sich zugetragen hatte und wie gerade dieser verhaßte Derwisch in Gefangenschaft hatte gerathen können; aber er antwortete:
»Ich muß den Herrschaften sagen, daß es heut leider keine Zeit mehr giebt. Der Pascha und dieser Schubert wollen den Derwisch befreien und da muß ich dabei sein. Wir haben nur noch eine Stunde bis Mitternacht und um ein Uhr wollen die beiden Kerls auf dem Schlosse sein, um mit dem Gefangenen zu reden.«
Diese Worte frappirten fast noch mehr als die wenigen Mittheilungen.
»Mann,« sagte Normann erstaunt, »sind Sie denn geradezu allwissend!«
»Nein. So weit habe ich es leider noch nicht gebracht; aber ich bin es gewöhnt, meine Augen und Ohren stets offen zu halten, und da sieht und hört man mehr als andere Leute, welche diese löbliche Gewohnheit nicht besitzen.«
»Aber warum haben Sie den Gefangenen im Schlosse eingesteckt und ihn nicht an das hiesige Gericht abgeliefert?«
»Steinbach hat es so befohlen.«
»Steinbach! Also er! Was mag er für eine Absicht dabei haben? Wie ist es ihm möglich, eine solche Bestimmung zu treffen. Kennt er den Prinzen, den Besitzer des Schlosses?«
»Das weiß ich nicht, geht mich auch gar nichts an. Ich thue, was er mir gesagt hat und das Weitere lasse ich ihm über.«
»Also heut nach Mitternacht soll der Derwisch befreit werden! Das geben wir natürlich nicht zu!«
»Von Befreiung ist noch nicht die Rede. Die beiden Kerls werden nur mit ihm sprechen. Jedenfalls werden sie dabei die Flucht verabreden.«
»Und Sie geben diese Besprechung zu!«
»Ja, sehr gern sogar.«
»Welche Unvorsichtigkeit!«
»Nein, sondern welche Vorsicht! Man wird die Drei belauschen und also erfahren, was sie vorhaben.«
Er entwickelte seinen Plan und die Anwesenden gaben demselben ihre Zustimmung. Nur darüber entstand eine Meinungsverschiedenheit, wer die drei Männer belauschen solle. Jeder wollte es sein. Sam machte diesem Widerspruch ein Ende, indem er erklärte:
»Der Mann, der sich dazu eignet, ist bereits gefunden. Es ist ein Herr, den Sie noch kennen lernen werden, ein russischer Offizier.«
Auch darauf hin mußte er eine kurze Erzählung geben, wie er den Oberst Sendewitsch kennen gelernt habe.
»Aber,« fragte Normann, »warum soll grad dieser Fremde den Lauscher machen und nicht lieber Einer von uns?«
»Aus einem sehr triftigen Grunde,« antwortete Sam. »Einer von uns würde über die Unterredung nicht klug werden. Wissen Sie wohl, welcher Sprache sich der Pascha und der Derwisch bedienen werden?«
»Der Deutschen jedenfalls nicht, sondern wohl der Türkischen.«
»Vielleicht. Aber weil der mit anwesende Agent das Türkische nicht versteht, sondern das Russische, ist es sehr leicht möglich, daß sie sich dieses Letzteren bedienen. Derjenige, welcher den Lauscher macht, muß also beider Sprachen mächtig sein. Nun sagen Sie mir, ob es Einen unter Ihnen giebt, der sowohl russisch als auch türkisch versteht?«
Auf diese Frage meldete sich Keiner; darum fuhr Sam fort:
»Am Allerliebsten hätte ich selbst diese Rolle übernommen; aber zunächst kennt mich der Derwisch so gut, daß mich selbst die sorgfältigste Verkleidung verrathen würde. Wer so klein und dick ist, wie ich es bin, der paßt eben nicht sehr für ein Incognito. Und sodann habe ich wohl das Russische leidlich inne; von der türkischen Sprache aber verstehe ich gerade so viel, wie ein Wallfisch vom Seiltanzen. Sendewitsch ist beider Sprachen vollständig mächtig; er ist also die geeignetste Person dazu.«
»Können wir uns denn auf ihn verlassen?«
»Wie auf uns selbst.«
»Aber der Pascha und der Agent haben ihn gesehen; er hat bei ihnen gesessen!«
»Pah! Er wird sich verkleiden. Er zieht Frauensachen an und gilt als die Frau des Schließers. Man wird ihm nicht mißtrauen.« – –
Während hier im Familienkreise sich so ergreifende Scenen abspielten und die darauf folgenden Berathungen vorgenommen wurden, saßen die beiden Hauptpersonen, auf welche diese Berathungen sich bezogen, drüben in des Agenten Stube.
Sie verhielten sich sehr schweigsam. Alles nöthig Erscheinende war besprochen und so gaben sie still ihren Gedanken und Gefühlen Audienz. Der Pascha befand sich in einem geradezu grimmigen Zustande, und doch war er im höchsten Grade befriedigt, die so lange vergeblich Gesuchten endlich gefunden zu haben. Rache und abermals Rache war das Einzige, an das er jetzt dachte und worüber er nachsann.
So saßen sie rauchend und schweigsam beisammen, bis es eine halbe Stunde nach Mitternacht war. Dann brachen sie auf, sich leise aus der Wohnung schleichend, damit die anderen Bewohner des Hauses nicht bemerken möchten, daß der Agent noch so spät einen Ausgang unternehme.
Bereits vorher hatte Sam die Villa Normanns verlassen, um Sendewitsch aufzusuchen. Sie waren nach dem Schlosse gegangen und von dem sie erwartenden Schließer eingelassen worden.
Als der Pascha mit dem Agenten an der Wohnung des Malers vorüberging, bemerkte er, daß man drin noch wach sei.
»Sie werden die Verlobung feiern,« sagte er. »Schade, daß wir nicht lauschen können!«
»Die Jalousien sind alle herunter gelassen, und übrigens haben wir keine Zeit dazu. Der Schließer erwartet uns bereits.«
Der Agent machte den Führer. Er kannte das Pförtchen genau. Es war verschlossen, als sie dort anlangten.
»Er ist also doch noch nicht da,« flüsterte der Pascha. »Vielleicht hat er sich anders besonnen.«
»Das glaube ich nicht.«
»O, die Sache kann ihm bei näherer Ueberlegung als zu gefährlich erschienen sein. Ich halte es für sehr leicht möglich, daß er gar nicht kommen wird.«
»Das soll er sich ja nicht einfallen lassen!«
»Was wollen Sie dagegen thun?«
»Haben Sie den Wechsel vergessen?«
»Nein. Aber mit dem Wechsel können wir doch das Gefängniß nicht aufschließen. Und präsentiren wir denselben, so bekommen wir kein Geld.«
»Das lassen Sie nur mir über!«
»Schön! Aber wenn er sich vor dem Wechsel doch nicht so fürchtet, wie Sie erwarten, so sind die fünfzehnhundert Mark zum Teufel und wir stehen hier an der verschlossenen Thür und können doch nicht hinein.«
»Wollen einmal klopfen.«
Er klopfte leise an die Pforte, und sofort ließ sich ein Schlüssel hören, welcher von innen in das Schloß gesteckt wurde.
»Nun, wer hat Recht?« flüsterte der Agent.
Der Pascha nickte befriedigend.
Der Schließer trat in die offene Pfortenöffnung und hielt sein Gesicht nahe an dasjenige des Agenten.
»Sie sind's,« sagte er dann in befriedigtem Tone. »Ich dachte schon, Sie kämen nicht.«
»Warum?«
»Ich stehe schon lange hier.«
»Es ist ja erst einige Minuten über Eins. Wie steht es? Ist die Luft rein?«
»Ja. Alles ist zu Bett.«
»So beeilen wir uns.«
Er wollte eintreten; aber der Schließer behielt die Thüröffnung noch inne und frug:
»Dieser Herr ist es, von dem Sie sprechen?«
»Ja.«
»Ich möchte seinen Namen wissen.«
»Pah! Der thut nichts zur Sache.«
»Sehr viel sogar. Ich muß doch wissen, mit wem ich es zu thun habe. Wenn die Sache entdeckt wird, so bin ich der Einzige, den man fassen kann.«
»Dann sind Sie selber schuld. Sie müssen es eben so einrichten, daß nichts entdeckt wird.«
»Das will ich ja auch; aber wenn der Teufel sein Spiel hat, was will man dagegen machen!«
»Nun, so sind Sie nicht allein in Gefahr, sondern auch wir sind es. Bedenken Sie, was wir hier riskiren!«
»Nichts, gar nichts!«
»Oho! Ich sehe den Fall, Sie meinen es nicht ehrlich mit uns, sondern Sie lassen uns hier festhalten und arretiren!«
»Fällt mir nicht ein!«
»Wollen es hoffen; aber möglich ist es doch. Wir müssen mit diesem Falle rechnen.«
»Wenn Sie diese Befürchtung hegen, so sorgen Sie sich umsonst und es ist besser, wir sehen von der ganzen Sache ab.«
»Na, na, nur nicht gleich zornig! Ich wollte Ihnen nur beweisen, daß wir ebenso viel riskiren wie Sie selbst. Und nun, wie steht es? Können wir den Gefangenen sehen?«
»Ja.«
»Auch mit ihm reden?«
»Unter einer Bedingung!«
»Ich denke, wir haben uns über die Bedingungen bereits geeinigt!«
»Ja, in Beziehung auf die Bezahlung, aber über das Weitere noch nicht. Als Sie bei mir im Parke waren, wußte ich noch nicht, wie und wo die gewünschte Unterredung stattfinden könne. Jetzt nun ists gewiß, daß Sie nicht mit in das Gewölbe können.«
»Wo aber dann?«
»In meiner Stube.«
»Dahin wollen Sie den Gefangenen holen?«
»Ja.«
»Aber ist das denn nicht weit gefährlicher, als wenn Sie uns mit in das Gewölbe nehmen?«
»Nein. Das Gewölbe wird nicht nur von mir, sondern auch von den beiden Kerls revidirt, welche den Gefangenen gebracht haben. Sie könnten leicht merken, daß Jemand bei ihm ist.«
»Wer hat denn die Schlüssel?«
»Ich.«
»So können die beiden Andern doch nicht zu ihm!«
»Das ist wahr; aber sie können an seiner Thür lauschen und selbst das Flüstern hören. In so einem Gewölbe schallt Alles mehr als anderswo. Hole ich aber den Gefangenen nach meiner Wohnung, so können die beiden Kerls dann an der Thür des Gewölbes lauschen, wie sie wollen. Sie werden nichts hören und also denken, daß er schläft.«
»Hm! Wenn Sie aber unterwegs mit ihm erwischt werden!«
»Daß dies nicht geschieht, das lassen Sie meine Sorge sein. Ich werde mich vorher genau überzeugen, wo sie stecken.«
»Schön! Also gehen wir!«
»Noch nicht. Zunächst erwarte ich, daß Sie mich nicht unglücklich machen, indem Sie einen Fluchtversuch wagen.«
»Das versprechen wir.«
»Sie reden mit ihm, zahlen das Geld, und ich führe ihn wieder fort. Uebrigens würden Sie ihn nicht weit bringen, denn er ist mit Ketten und Eisenstangen gefesselt.«
»Können Sie die nicht los machen?«
»Heut nicht.«
»So fehlen Ihnen die Schlüssels dazu?«
»Ja. Nur den einen habe ich, mittelst welchem er an die Mauer an- und abgeschlossen werden kann. Und sodann müssen Sie erlauben, daß meine Frau mit dabei sein darf.«
»Warum das?«
»Weil ich Ihnen nicht dienen konnte, ohne es ihr zu sagen.«
»Und sie hat eingestimmt?«
»Nur nach langem Weigern. Sie brauchen sich aber nicht vor ihr zu geniren. Sie liegt krank auf dem Kanapee und hört übrigens sehr schwer. Wenn Sie das erlauben wollen, so können wir nun beginnen.«
»Schön! Ihre Frau genirt uns nicht. Ist sonst noch Jemand dabei?«
»Nein. Aber das sage ich Ihnen noch: Ich habe die Hunde losgekettet. Wollten Sie gegen die Verabredung handeln und mit dem Gefangenen fliehen, so bedarf es nur meines Rufes an die Hunde, und Sie werden gestellt. Machen Sie dann eine einzige Bewegung, so werden Sie zerrissen.«
»Donnerwetter! Sind die Bestien denn auf den Mann dressirt?«
»Ja. Also hüten Sie sich! Jetzt kommen Sie!«
Nun erst ließ er sie eintreten und verschloß die Pforte hinter sich. Den Schlüssel steckte er ein. Er führte sie direct nach seinem kleinen Häuschen, dessen Fenster mit Läden verschlossen waren. Die Thüre desselben war verschlossen. Er mußte sie mit dem Hausschlüssel öffnen und geleitete die beiden Männer dann in die Stube.
Dieselbe war nur mit einem kleinen, trübe brennenden Lämpchen erleuchtet. Die Einrichtung war sehr sauber aber ebenso einfach. Ein Tisch, einige Rohrstühle und ein Sopha.
Auf dem Letzteren lag die Frau des Schließers, mit dem Rücken der Stube zugekehrt. Sie hatte einen alten Rock an, einen weiten, dunklen Spenser, und auf dem Kopfe trug sie eine weiße, gehäkelte Haube. Außerdem hatte sie sich das Gesicht verbunden.
Sie bewegte sich nicht, als die Drei eintraten. Sie sagte auch kein Wort, als die beiden Fremden grüßten.
»Sie hört es nicht,« entschuldigte der Schließer. »Man muß mit ihr sehr laut reden.«
Er trat an das Kanapee, stieß die Alte an und rief ihr in das Ohr:
»He, Guste! Wir sind da!«
»Wie – wer – ist – da – – –?« fragte sie, indem sie den Kopf herumdrehte. »Ach Du bists. Und die Kerle sind mit! Na, meinswegen! Du hasts nicht anders gewollt. Mich aber geht die Geschichte gar nichts an. Laß mich in Ruh!«
Sie wendete sich wieder ab. Das verbundene Gesicht sah hochroth aus und war schrecklich angeschwollen.
»Was fehlt denn der Frau?« fragte Schubert.
»Sie hat die Rose im Gesicht, die trockne Rose.«
»O wehe!«
»Ja, es ist ein Elend. Es ist Alles geschwollen, und der Doctor sagt, sie könne dadurch ihr bischen Gehör noch vollends verlieren.«
»Na, uns ärgert es nicht, daß sie nicht gut hören kann!«
»Das glaube ich wohl. Ihrethalben können Sie reden, was Ihnen beliebt, wenn Sie nur nicht geradezu schreien.«
»Nun, was das betrifft, so machten wir uns auch nichts daraus, wenn sie hören könnte. Dieser Herr hier kann nicht gut deutsch reden, er wird also lateinisch mit dem Gefangenen reden. Haben Sie Etwas dagegen?«
»Nein, reden Sie meinswegen chinesisch mit ihm! Wenn Sie nur nicht versuchen, ihn mir zu entführen. Jetzt bitte ich, zu warten. Ich werde ihn holen.«
»Dauert es lange?«
»Nein, höchstens fünf Minuten.«
»Schön! Weiß er es schon?«
»Ich habe es ihm gesagt.«
»Sehr gut! Er weiß aber noch nicht, wer es ist, der mit ihm reden will?«
»Nein, denn ich selbst weiß es ja auch nicht. Wie kann ich es ihm da sagen! Wenn es Ihnen recht ist, wollen wir das Licht noch ein Wenig hinein drehen. Man muß auf alle Fälle gefaßt sein. Wenn ja Jemand durch eine Ladenritze schaut, darf er nichts genaues sehen.«
Er schraubte das bereits an sich so kleine Flämmchen so tief herab, daß es wie eine sehr düstere Dämmerung in der Stube war. Dann entfernte er sich. Sie hörten, daß er die Thür hinter sich verschloß.
»Sapperment, er schließt uns ein!« meinte der Pascha.
»Warum sollte er nicht?«
»Wenn er uns nun nur einschließt, um uns festzuhalten und hier ergreifen zu lassen!«
»Das befürchte ich nicht.«
»Ich bin trotzdem besorgt.«
»Pah! Der Mann braucht Geld. Hätte er einen Verrath gegen uns vor, so würde er sich ganz anders gegen uns benehmen. Sie sehen ja, daß er die allergrößte Vorsicht anwendet.«
»Vielleicht nur zum Scheine.«
»O nein. Ich traue ihm. Er hat ein ehrliches und sorgenvolles Gesicht. Die Noth treibt ihn, uns zu dienen. Falsch und hinterlistig ist er nicht.«
Der Pascha aber war noch immer mißtrauisch.
»Und sein altes Weib hier!« sagte er. »Ob sie wirklich so taub ist, wie er sagt!«
»Das kann uns sehr gleichgiltig sein. Wir werden russisch reden. Davon versteht sie nichts.«
Er ahnte freilich nicht, daß nicht ein weibliches, sondern ein männliches Wesen auf dem Sopha lag. Es war Sendewitsch, der sich als alte Frau angezogen hatte. Als er hörte, daß die Unterredung in russischer Sprache stattfinden werde, freute er sich königlich, denn er war ja nun gewiß. Alles, was gesprochen wurde, ganz genau zu hören und zu verstehen.
Um die beiden Männer noch sicherer zu machen, heuchelte er Schmerzen und stöhnte leise vor sich hin.
»Da sehen Sie! flüsterte der Agent. »Die Frau hat wirklich Schmerzen. So eine Gesichtsrose ist ein schlimmes Ding.«
Und um den Pascha ganz fest zu überzeugen, daß er kein Mißtrauen zu hegen brauche, näherte er sich leise dem Kanapee und bückte sich zu dem Ohre der Frau nieder. Er sagte in gewöhnlichem Tone, den eine halbtaube Frau wohl nicht hören konnte; und zwar in deutscher Sprache:
»Gute Frau, Sie leiden wohl sehr?«
Sie antwortete nicht und bewegte sich auch nicht. Er wiederholte sehr laut und zwar dieses Mal in russischer Sprache:
»Haben Sie Schmerzen?«
Auch jetzt antwortete sie nicht, und erst als er diese Frage fast schreiend wiederholte, wendete sie ihm ihr verbundenes, hochroth geschwollenes Gesicht halb zu und sagte:
»Wie? Was wollen Sie?«
»Ob Sie Schmerzen haben,« brüllte er russisch.
»Was wälschen Sie da! Reden Sie deutsch!«
Sie wendete sich zornig wieder ab und stöhnte leise weiter. Er kehrte sehr befriedigt auf seinen Stuhl zurück und sagte zum Pascha:
»Nun, sind Sie jetzt überzeugt?«
»Ja. Das ist keine Verstellung.«
»Nein. Die Alte ist grob und taub. Wir haben nichts von ihr zu fürchten.«
Sie saßen nun schweigend neben einander, bis sie hörten, daß draußen die Hausthür wieder aufgeschlossen wurde. Ketten klirrten.
»Er kommt!« sagte der Pascha, sich erwartungsvoll erhebend.
»Vergessen Sie nicht, nur russisch zu sprechen!«
Die Thür ging auf, und der Gefangene trat herein, von dem Schließer gefolgt, welcher die Thür vorsichtig verriegelte und dann an derselben stehen blieb.
Der einstige Derwisch mußte mit quer gehaltenem Körper hereintreten, weil die lange Eisenstange, welche seine Hände auseinander hielt, ihn verhinderte, den Eingang grad zu passiren.
»Ibrahim Pascha!« rief er. »Also doch!«
Er sprach türkisch.
»Pst! Keinen Namen nennen!« warnte der Angeredete. »Und reden Sie russisch. Dieser Herr hier versteht nicht türkisch.«
»Wer ist er?«
»Ein Freund von uns. Er wird behilflich sein, Sie aus der Gefangenschaft zu befreien.«
»Gott sei Dank! Als ich Sie heut erblickte, hielt ich es nicht für möglich, daß Sie es wirklich seien. Ich sprach dennoch meine Worte aus, hielt es aber doch für eine Täuschung, bis mir der Schließer sagte, daß ein fremder Herr heut Nacht heimlich mit mir sprechen werde. Dann war ich überzeugt, daß ich mich nicht geirrt habe.«
»Und ich,« meinte der Pascha, »war aufs Höchste erschrocken, da ich Sie als Gefangenen erblickte. Wie kommen Sie in eine solche Lage?«
»Das sollen Sie erfahren. Vorher aber muß ich mich setzen. Diese verdammten Fesseln ermüden Einen fürchterlich.«
Er setzte sich auf den einzigen noch übrigen Stuhl nieder. Der alte, schlaue Schließer hatte die Sessel so gestellt, daß die Männer möglichst nahe an der scheinbar kranken Frau saßen, die also besser hören konnte, als es sonst der Fall gewesen wäre.
Der Gefangene athmete tief auf, knirrschte mit den Zähnen und begann:
»Sie wollen wissen, wie ich in diese Lage gekommen bin? Sie können es leicht errathen.«
»Habe keine Ahnung.«
»So! Wer ist denn Derjenige, von welchem uns alles Böse bisher gekommen ist?«
»Meinen Sie Steinbach?«
»Natürlich.«
»Ah! Der! Der hat Sie gefangen genommen?«
»Kein Anderer.«
»Weshalb denn?«
»Das können Sie fragen!«
»Doch nicht wegen – – –?«
Er sprach das Wort nicht aus.
»Ja, wegen nichts Anderem,« nickte der Gefangene.
»Unmöglich!«
»Auch ich hätte es für unmöglich gehalten.«
»Es ist ja Alles vorüber!«
»O nein. Es scheint von Neuem zu beginnen.«
»Aber, Mann, wie sind Sie ihm denn in die Hände gerathen? Wie können Sie so unvorsichtig sein!«
»Ihnen wäre es an meiner Stelle grad so wie mir ergangen.«
»Das bezweifle ich.«
»Grad so! Was kann ein einzelner Mensch gegen eine solche Uebermacht.«
»Also Gewalt hat man angewendet?«
»Natürlich. Durch List hätte man mich nicht gefangen; da bin ich ihnen ebenbürtig.«
»Und doch haben Sie jedenfalls eine riesige Dummheit begangen. Als Sie mich das letzte Mal in Constantinopel aufsuchten, gab ich Ihnen Geld, und Sie versprachen mir, dahin zu gehen, wo kein Verfolger Sie entdecken könne.«
»Das habe ich gethan.«
»Nein, sonst hätte man Sie nicht ergriffen. Wer weiß, wo Sie sich umhergetrieben haben.«
»Ich bin im Gegentheile grad dahin gegangen, wo ich nicht erwarten konnte, von einem Bekannten gesehen zu werden.«
»Pah! Machen Sie mir das nicht weiß! Nach Sibirien werden Sie sich nicht versteckt haben!«
»Nach Sibirien? Das sagen Sie ironisch; aber ich bin wirklich dort gewesen.«
»In Sibirien? Unsinn!«
»Ich sage Ihnen, daß ich dort war!«
»Dann wäre Steinbach auch dort gewesen?«
»Ja.«
»Sinnen Sie sich nichts aus!«
»Ich rede die Wahrheit. Ich war bis weit hinter Irkutsk. Der Ort heißt Platowa; es gab Jahrmarkt dort. Ich wollte als Zobeljäger in den Urwald und hatte mir grad die dazu gehörige Begleitung angeworben, als ich zu meinem größten Schrecke unter den anwesenden Völkern jene drei verdammten Prairiejäger erkannte, welche mir drüben in Amerika so feindselig entgegengetreten waren. Ich habe Ihnen ja von denselben erzählt.«
»Prairiejäger in Sibirien!« rief der Pascha.
»Ich glaubte es fast auch nicht!«
»Sie reden wirklich die Wahrheit?«
»Natürlich! Sie haben doch die beiden langen Menschen heut gesehen, die mich brachten!«
»Allerdings. Sind sie es?«
»Ja, und es gehört noch ein kleiner, dicker Molch dazu, welcher der Schlimmste von ihnen ist.«
»Und von diesen Menschen werden Sie bewacht?«
»Ja, durch ganz Sibirien hindurch.«
»Alle Wetter! So lange sind Sie geschleppt worden? Das ist ja gradezu lächerlich!«
»Nun, ich muß gestehen, daß es mir nicht sehr lächerlich vorgekommen ist!«
»Hatten Sie sich denn nicht verkleidet, so daß man Sie nicht so leicht erkennen konnte?«
»Ich ging als sibirischer Bauer. Ich spreche sehr gut russisch und hatte ausgezeichnete Papiere!«
»Und dennoch nahm man Sie gefangen!«
»Sie sehen es!«
»Aber Sie haben doch die Kerls erblickt! Konnten Sie denn nicht fliehen?«
»Das habe ich auch gethan, zumal ich nur sagte, daß, wo diese drei Kerls sind, Steinbach sicherlich nicht weit entfernt sein kann.«
»Man verfolgte Sie also?«
»Ja.«
»Das ist freilich Pech! Erzählen Sie!«
Der Derwisch gab einen kurzen und drastischen Bericht seiner sibirischen Erlebnisse. Er erzählte, daß er nach Orenburg geschafft worden sei, wo es sich erwiesen habe, daß er nicht Peter Lomonow sei. Von da aus war er durch Rußland und die europäische Türkei bis hierher geschleppt worden.
Der Pascha hörte aufmerksam zu und sagte, als der Erzähler geendet hatte:
»Wenn man es nicht erzählen hörte, würde man es gar nicht für möglich halten. Was will man denn hier mit Ihnen?«
»Mir den Prozeß machen natürlich.«
»Warum hier?«
»Das weiß ich auch nicht.«
»Hm! Ich durchschaue die Kerls. Also es ist ein Adlerhorst mit dabei gewesen?«
»Ja, Georg von Adlerhorst.«
»Wo steckt der jetzt?«
»Ich weiß es nicht. Meine drei Begleiter trennten sich in Jekatharinenburg von den Andern, die ich seitdem nicht wiedergesehen habe.«
»Sie werden sie bald wiedersehen.«
»Wo?«
»Hier. Sie sind schon unterwegs. Es wohnt nämlich hier jener Normann, der Tschita geheirathet hat. Und auch Hermann von Adlerhorst ist mit Zykyma hier. Diese beiden Letzteren haben sich vorhin verlobt.«
Der Derwisch horchte auf.
»Ja, staunen Sie nur!« fuhr der Pascha fort. »Auch Steinbach wird hier wohnen.«
*