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»Ich bin mit der Wendung, welche die Sache heut genommen hat, sehr zufrieden. Diese Dame, die Schwester des Polizisten, muß ein sehr intelligentes Köpfchen besitzen. Sie und ihr Bruder haben um unsere beiden Feinde und ihren Verbündeten die Schlinge so gewandt gelegt, daß wir sie nur zuzuziehen brauchen.«
»Sie geben also unsern Absichten Ihre Zustimmung?« fragte Sam.
»Vollständig.«
»Und wie lange wollen wir den Kerls noch Frist geben?«
»Gar keine. Wir haben keine Zeit. Ich war natürlich im höchsten Grade erstaunt, als ich hörte, daß der Pascha sich hier befinde. Ist dies einmal der Fall, so wollen wir auch schnell zugreifen, damit uns der Zufall nicht wieder einen tückischen Streich spiele.«
»Also wann?«
»Natürlich morgen schon.«
»So schnell? Wird es sich machen lassen?«
»Sehr leicht. Es ist sehr trefflich, daß Ihr auf die Pläne dieser Menschen scheinbar eingegangen seid, denn dadurch bekommen wir die untrüglichsten Beweise gegen sie in die Hand. Wann wird die Polizistin sich hier wieder sehen lassen?«
»Jedenfalls schon am Morgen.«
»So wollen wir ihr sagen, daß Tschita und Zykyma noch am Vormittage bereit sind.«
Die beiden Genannten machten einigermaßen verlegene Gesichter.
»Muß es denn sein, Herr Steinbach?« fragte die Erstere.
»Ja, schöne, gnädige Frau. Es muß sein.«
»Aber man wird uns einsperren!«
»Nur auf einige Stunden. Und Sie haben ja gehört, daß Sie nicht im Verließ zu bleiben brauchen. Uebrigens werden wir Männer dann am Nachmittage nachkommen.«
»Das ist so gefährlich!«
»O nein!«
»O doch! Mir ist um mein gutes Männchen angst.«
»Nur um ihn?« fragte Steinbach lächelnd.
»Nein doch!« antwortete sie erröthend. »Um Alle, wenn ich auch nur ihn genannt habe. Dieser fürchterliche Brunnen macht mich bange.«
»Da brauchen Sie nicht die geringste Sorge zu haben. Die Diele ist sehr zuverlässig zu regieren.«
»Wissen Sie das denn?«
»Ja, genau.«
»Wie ist das möglich? Der Kastellan hat gesagt, daß nur er und Prinz Oscar Kenntniß davon hätten.«
»So hat er augenblicklich nicht an mich gedacht. Ich versichere Ihnen, daß ich mich mit dem größten Vergnügen auf den Fußboden stellen werde, und ich hoffe, daß die Herren getrost meinem Beispiele folgen werden.«
Nun wurde das Weitere besprochen, wobei aber, wie leicht erklärlich, das Gespräch zahlreiche Sprünge nach der Vergangenheit zurückmachte. So kam es, daß der Morgen bereits graute, als man endlich glaubte, nun doch die lange Sitzung schließen zu müssen.
Steinbach erklärte, daß er hier nicht gern in einem Gasthofe logire. Er war nämlich überzeugt, sofort erkannt zu werden, und das wollte er vermeiden. Normann stellte alle seine disponiblen Zimmer zur Verfügung, dennoch aber mußten Mehrere nach dem Hotel aufbrechen, um trotz der frühen Stunde dort Aufnahme zu suchen.
Am Vormittage saß der Derwisch bei dem Kastellane, seinem Wirthe. Sie unterhielten sich nicht eben grad in herzlicher Weise, denn das Wesen des verkleideten Flüchtlinges war kein solches, welches Sympathie zu erwecken vermochte.
Da klopfte es an. Der Kastellan trat zur Thür und fragte, ohne dieselbe zu öffnen:
»Wer ist da?«
»Ich, Lina.«
Da machte er auf.
»Da Du es bist, so darfst Du herein. Bringst Du etwa eine Botschaft?«
»Ja.«
»Sie scheint wichtig zu sein.«
»Allerdings. Woher ahnst Du das?«
»Weil Du sehr schnell gegangen sein mußt. Du bist ganz außer Athem.«
»Ja, ich mußte mich beeilen, denn sie können schon in wenigen Minuten da sein.«
»Wer?«
»Tschita und Zykyma.«
»Donnerwetter!« rief der Derwisch, indem er von seinem Stuhle aufsprang.
Lina sah sich seine Gestalt lächelnd an und sagte:
»Das war ein kräftiges Wort im Munde einer so zarten Dame!«
»Ah pah! Sie wissen ja doch, wer ich bin! Also die Frauen kommen wirklich?«
»Ja.«
»Wer hat sie auf diesen Gedanken gebracht?«
»Ich natürlich.«
»Und wie haben Sie das angefangen?«
»Ich habe den Aberglauben der Orientalinnen benutzt und ihnen erzählt, daß es hier bei der Ruine eine Quelle giebt, welche einen prächtigen Teint verleiht, wenn man sich an einem gewissen Tage Vormittags mit dem Wasser derselben wäscht.«
»Und dieser gewisse Tag ist natürlich heut?«
»Freilich.«
»Aber wissen Sie auch genau, daß sie kommen werden?«
»Ja, denn ich sah sie gehen. Ich paßte auf und bin ihnen voran geeilt.« »Aber ihre Angehörigen werden wissen, wohin sie spazieren. Wenn sie dann fehlen, wird man sie im Schlosse hier suchen.«
»O nein. Ich habe gesagt, daß die Quelle nicht wirke, wenn man davon spricht.«
»So sind sie also heimlich fort?«
»Ja.«
»Und ist wirklich eine Quelle hier?«
»Gewiß,« antwortete der Kastellan. »Sie ist übrigens gar nicht weit von der Stelle, an welcher sich der geheime Eingang befindet, den ich Ihnen heut früh zeigte.«
»So müssen Sie mich gleich hinführen. Kennen Tschita und Zykyma den Quell?«
»Nein,« antwortete Lina. »Sie sind ja noch gar nicht hier gewesen. Aber ich habe ihnen denselben so genau beschrieben, daß sie ihn unbedingt finden müssen.«
»Schön, schön! So muß ich fort. Führen Sie mich, Kastellan!«
»Halt! Gar so sehr brauchen Sie sich wohl nicht zu beeilen. Ich glaube, eine tüchtige Viertelstunde Vorsprung gewonnen zu haben, und muß Ihnen etwas Wichtiges melden, ehe ich gehe.«
»Was denn?«
»Steinbach ist da.«
»Sapperment! Wann ist er gekommen?«
»Gestern Abend.«
»Allein?«
»O nein. Es sind viele Personen bei ihm gewesen.«
»So! Hm! Wo kam er her?«
»Aus Rußland, glaube ich.«
»Das weiß ich schon. Wenn Sie nun klug wären, so hätten Sie geforscht, wer die Leute seien, die mit ihm kamen.«
»Sie halten mich also nicht für klug?«
»Nun, wenn Sie es sind, so mögen Sie es beweisen. Haben Sie sich erkundigt?«
»Natürlich! Aber wenn Sie in dieser Weise mit mir reden, so werden Sie nicht viel erfahren.«
»Ah, Sie wollen – – – hm!«
Er lachte höhnisch auf.
»Wenn man von der Gnade und Verschwiegenheit Anderer abhängt, so kann man wenigstens höflich sein.«
»Sie meinen doch nicht etwa Ihre eigene Gnade, mein Fräulein!«
»Doch auch.«
»Sie werden bezahlt!«
»Aber nicht, um Ihre Grobheiten anhören zu müssen. Das merken Sie sich!«
Er wollte auffahren; aber er sah, daß sie nach der Thür schritt, und lenkte schnell ein:
»Halt! Wohin? Ich glaube gar, Sie wollen gehen!«
»Natürlich!«
»Bitte, bleiben Sie! In meiner Lage ist man leicht etwas schroff!«
»Nein. In Ihrer Lage ist man höflicher als sonst. Das versteht sich ja ganz von selber!«
»Nun, so verzeihen Sie! Ich werde mich sehr befleißigen, mir Ihre Zufriedenheit zu erwerben. Sagen Sie mir also, wer mit ihm gekommen ist!«
»Der eine Herr soll ein Indier sein.«
»Etwa gar ein Maharadscha?«
»Ich glaube.«
»Sapperment! Ist seine Tochter dabei?«
»Ja.«
»Sie ist Steinbachs Braut?«
»Es scheint so.«
»Dann hat er jedenfalls diese ganze sibirische Gesellschaft bei sich. Auch einen Adlerhorst?«
»Allerdings. Ich glaube, er heißt Georg von Adlerhorst.«
»Das ist er. Weiter!«
»Einen Fürsten und eine Fürstin der Tungusen.«
»Mit Karparla, ihrer Tochter?«
»Die ist auch da.«
Kurz und gut, der Derwisch nannte alle Namen Derer, die er hier vermuthete, und Lina bestätigte dieselben.
»Ah, so haben wir das ganze Nest beisammen!« rief er aus. »Haben Sie das schon dem Pascha gemeldet?«
»Dazu hatte ich keine Zeit.«
»So thun Sie es sofort! Er muß es so schnell wie möglich erfahren. Eilen Sie! Ich aber muß nun jetzt zur Quelle.«
Lina entfernte sich. Der Derwisch ließ sich zu dem Wasser führen, an welchem er sich wartend niedersetzte, als der Kastellan ihn verlassen hatte.
Unten auf der Straße traf Lina mit Tschita und Zykyma zusammen, welche mit ihr herausgegangen waren und hier auf sie gewartet hatten.
»Er ist fort zur Quelle,« meldete sie. »Nun können Sie gehen.« »Es ist uns aber doch ein Wenig bange,« gestand Zykyma.
»Meine Damen, Bangigkeit ist hier ganz und gar nicht am Platze.«
»O, Sie kennen diesen Menschen nicht.«
»Doch! Ich habe ihn jetzt eben kennen gelernt, ihn aber streng zurecht gewiesen.«
»Das ist noch nichts. Er ist am Ende gar im Stande, uns zu tödten!«
»O nein. Diese Sorge dürfen Sie nun gar nicht haben.«
»Meinen Sie?«
»Ja. Sie sollen nach Constantinopel geschafft werden; das hat der Pascha bestimmt. Der Derwisch darf Ihnen kein Haar krümmen.«
»Und wenn das auch. Nur mit ihm zu reden, erfüllt uns schon mit Bangigkeit.«
»Ich bitte, sich zu beherrschen. Er darf nicht im Geringsten ahnen, daß Sie ihm nicht trauen. Er wäre im Stande, unsere schönen Pläne zu nichte zu machen. Halten Sie es denn nicht für möglich, daß Sie freundlich mit ihm sein können?«
»Vielleicht, wenn wir uns rechte Mühe geben.«
»Thun Sie das! Es wird ja nicht zu viel von Ihnen verlangt. Er ist als Frau verkleidet. Sie brauchen ihn also nur so zu behandeln, wie man sich gegen eine Fremde verhält, welcher man zufällig begegnet.«
Sie sprach ihnen noch eindringlich zu, und es gelang ihr doch endlich, den Muth der zarten, schönen Geschöpfe anzufachen.«
Diese ließen sich die Lage des Quelles noch einmal genau beschreiben und setzten dann ihren Weg fort.
Die Straße führte bergan zur Höhe, auf welcher Schloß Grafenreuth lag. Dann führte ein schmaler Weg am Thore vorüber, abwärts in den Wald hinein, wo zwischen Erlen und Espen das Wasser des erwähnten Quelles aus der Erde drang.
Als sie dort anlangten, sahen sie eine recht gut gekleidete Frau sitzen, welche ihren Schleier ziemlich weit über das Gesicht herabgezogen hatte. Das war natürlich der Derwisch.
Er hatte aufmerksam gehorcht und die Schritte der Nahenden vernommen. Jetzt that er, als ob er sich zufällig umblicke und sie bemerke. Er erhob sich höflich.
Die Beiden kamen langsam näher, grüßten durch eine leichte Verbeugung und baten um Entschuldigung, daß sie ihn störten.
»O bitte,« antwortete er. »Gottes Welt ist für Jedermann offen, und ich habe kein anderes Recht auf diesem Platz als Sie. Gewiß ist Ihnen das Wasser dieser Quelle gerühmt worden?«
»Allerdings,« antwortete Zykyma, welche von Beiden den meisten Muth besaß.
»Dann bitte, sich nieder zu lassen und mir zu erlauben, auch wieder Platz zu nehmen!«
Er deutete auf die umher liegenden, mit Moos überzogenen Felsenbrocken, auf deren einem er gesessen hatte. Sie setzten sich alle Drei nieder.
Er gab sich Mühe, seiner Stimme einen weichen, weiblichen Klang zu verleihen, was ihm dadurch gelang, daß er nur in halbem Tone sprach.
»Vermuthe ich recht, wenn ich meine, daß Sie Sommergäste des Bades Wiesenstein sind?« fragte er höflich.
»Wir sind Bewohnerinnen von Wiesenstein, nicht Sommergäste,« antwortete Zykyma. »Meine Freundin hier ist die Gemahlin des Malers Normann, und ich bin bei ihr auf Besuch. Aber Sie gehören wohl zu den Badegästen?«
»Auch nicht. Ich bin auf Besuch bei dem Kastellan dieses alten Schlosses, welcher mein Verwandter ist.«
»Dann sind Sie zu beneiden.«
»Wieso?«
»Sie sind so glücklich, am romantischesten Orte der ganzen Gegend wohnen zu dürfen.«
»Das ist wahr, zumal ich mich außerordentlich für solche Ueberreste vergangener Zeiten interessire. Die Tage, an denen ich mich periodisch hier befinde, gehören stets zu den glücklichsten des ganzen Jahres für mich.«
»Aber einsam muß es sein, sehr einsam!«
»Das suche und liebe ich eben. Ich bin so halb und halb Dichterin und belebe mir diese Einsamkeit mit allerhand lichten Gestalten meiner Phantasie.«
»Dann setzen Sie gewiß eine Nixe an diesen Brunnen?«
»Gewiß! Droben durch die Ruinen wallt die leuchtende Schleppe einer Fee. Drunten im Grunde, welchem diese Wellen entgegen eilen, tanzen Elfen ihren munteren Reigen, und allerlei Gnomen und Heinzelmännchen kriechen hier in den Klüften und Höhlen herum.«
»Giebt es auch Höhlen hier?«
»Einige. Man sagt sogar, daß das ganze Schloß unterhöhlt sei. Das Wasser dieser Quelle zum Beispiele entstammt nicht der tiefen Erde, sondern es entfließt dem Schloßbrunnen, der längst nicht mehr gebraucht wird.«
»Ist dorthin zu gelangen?«
»Sehr leicht.«
Je länger Zykyma mit dem maskirten Verbrecher sprach, desto mehr wuchs ihr Muth. Sie hatte sich die Sache viel schwerer vorgestellt, als sie sichtlich war. Darum kam sie den Absichten des Derwisches entgegen, indem sie fortfuhr:
»Ich habe sehr oft von so alten Schlössern und Burgen gelesen. Ich interessire mich außerordentlich für sie.«
»So sind wir vollständig gleich gestimmt. Es weht ein Hauch der Wehmuth um solche Stätten, an deren Thoren die Sage Wache hält. Das sind so die rechten Orte für den Dichter, überhaupt für den Künstler und also auch für den Maler. Hat Ihr Herr Gemahl diese Ruinen noch nicht besucht, Frau Normann?«
»Wohl kaum. Zu mir hat er sie noch gar nie erwähnt.«
»Und doch liegen sie ihm so nahe. Er könnte prächtige Sujets hier finden.«
»Leider ist er Portraiter.«
»Ach so! Aber auch der Portraiter muß sich mit der Natur befassen. Er braucht oft einen interessanten Hintergrund, welcher seinem Portrait als Folie dient. Denken Sie sich dort das dunkle, von Epheu überzogene Gemäuer als Hintergrund und vorn die leuchtende, strahlende, thaufrische Gestalt einer Nixe, welche träumend hier an der murmelnden Quelle liegt! Das müßte doch prächtig sein. Oder nicht?«
»Ja. Sie scheinen ein gutes, kritisches Auge zu besitzen.«
»O nein. Ich schwärme blos zuweilen ein Wenig. Oder denken Sie sich das gutmüthige Gesicht eines alten, freundlichen Heinzelmännchens, welches dort hervorguckt, wo die gelb blühenden Königskerzen sich an den weißen Stein legen. Es ist, als ob diese Kerzen empor gesproßt seien, um den Ort zu zeigen, an welchem die Edeldamen die Burg verließen, wenn sie beabsichtigten, sich im Walde oder auf der Wiese zu ergehen.«
»Ist denn dort ein Ausgang?«
»Jawohl.«
»Aber in an sieht ja nichts von ihm!«
»Es ist ein heimlicher. Wissen Sie, wie ihn das Edelfräulein nöthig hatte, um sich mit dem armen Pagen, der sie nicht lieben durfte, unter dem Schutze des Geheimnisses ein Rendez-vous zu geben.«
»Interessant, sehr interessant!«
»Nicht wahr! Ja, es muß hier ein ganz eigenartiges Leben geherrscht haben. Wenn ich durch den Ahnensaal gehe und die Bilder der stolzen Ritter und Damen betrachte, so kommt mir oft der Wunsch, zu wissen, was diese Damen gedacht und wie sie gelebt und geliebt haben.«
»Ist denn der Ahnensaal noch erhalten?«
»Sehr gut, ebenso auch die Rüstkammer.«
Das war eine Lüge. Er beabsichtigte, durch dieselbe ihre Neugierde rege zu machen.
»Das ist doch sonderbar,« meinte Zykyma, »daß man die Bilder und Rüstungen in der verfallenen Ruine läßt.«
»O, diese beiden Säle sind sehr wohl erhalten! Uebrigens ist das Schloß Eigenthum des Prinzen Oscar, welcher eine große Vorliebe für dergleichen Orte hat.«
»Kommt er oft her?«
»Seit langer Zeit nicht. Er soll sich auf Reisen befinden.«
»So ist wohl der Zutritt versagt?«
»Eigentlich, ja.«
»Das ist schade, sehr schade!«
»Warum?«
»Es giebt doch Manchen, besonders unter den Badegästen, der sich für Schloß Grafenreuth interessirt.«
»Gewiß. Nun, solche Leute können leicht eine Aufhebung dieses Verbotes erlangen. Mein alter Vetter ist nicht allzu streng.«
»Das müssen wir Deinem Manne sägen, meine liebe Tschita.«
»Ja,« nickte die Genannte. »Vielleicht nimmt er uns dann einmal mit nach hier.«
»Sie möchten wohl das Schloß gern einmal durchstreifen?« fragte der Derwisch.
»Sehr gern, wenn uns die Erlaubniß nicht versagt wird.«
»O, was das betrifft, so brauchten Sie gar nicht zu sorgen. Ich bin zu jeder Zeit bereit, Sie zu führen und überall hin zu begleiten.«
»Dürfen Sie das?«
»Ja, mein Vetter hat mir ein für alle Male die Erlaubniß dazu ertheilt.«
»Auch wenn Sie Andere mitnehmen?«
»Auch dann. Natürlich mißbrauche ich seine Güte nicht. Ich würde nicht Jedermann meine Führung anbieten. Ihnen aber stehe ich sehr gern zur Verfügung.«
»Sie sind sehr freundlich, Madame. Aber wir dürfen Sie ja nicht belästigen.«
»Bitte, eine Belästigung ist es keineswegs. Ich stand soeben, als Sie kamen, im Begriffe, in das Schloß zurückzukehren. Ich wollte nach dem Schlafgemache der letzten Landgräfin, welches so reich nach orientalischem Geschmacke eingerichtet ist –«
»So eins giebt es hier?«
»Ja. Der Landgraf hatte einen Türkenkrieg mitgemacht und die ganze Einrichtung eines Harems mitgebracht. Diese Ausstattung ist noch vorhanden.«
»Das muß doch außerordentlich interessant sein!«
»Freilich! Haben Sie schon einmal eine solche Einrichtung gesehen?«
»Niemals.«
»So bietet sich Ihnen jetzt die beste Gelegenheit dazu. Haben Sie vielleicht Lust?«
Er stand auf und blickte sie fragend an. Die Beiden thaten, als ob sie noch gar nicht entschlossen seien.
»Wenn Sie sich diesen Genuß gewähren wollen, so müssen Sie eilen,« drängte er. »Der Prinz soll baldigst hier eintreffen; dann ist der Zutritt für Niemand mehr möglich.«
»Was meinst Du, Tschita?« fragte Zykima.
»Was Du?«
»Hm! Ein Ahnensaal! Und dann Rüstungen und Waffen!«
»Ja, und sogar eine türkische Haremseinrichtung! Wißbegierig wird man da!«
Der Derwisch hatte absichtlich die Lüge von dem Harem gemacht. Er wußte ja, daß Beide sich in einem solchen befunden hatten, und glaubte, daß dieses Wort die beste Lockspeise für sie sei.
»Entschließen Sie sich, meine Damen,« sagte er. »Meines Verweilens ist nicht mehr lange. Wenn Sie sich das Schloß beschauen wollen, so führe ich Sie gern.«
Zykyma war noch nicht gänzlich frei von Besorgniß, aber sie faßte Muth und sagte:
»Wenn wir nur wüßten, daß wir Ihnen keine Last bereiten!«
»Gar nicht, sondern im Gegentheile ein Vergnügen.«
»Nun, dann werden wir von Ihrem freundlichen Anerbieten Gebrauch machen.«
»Schön! Bitte, kommen Sie!«
Er schritt von der Quelle fort nach der Stelle hinauf, an welcher die Königskerzen standen.
»Gehen wir nicht nach dem Thore?« fragte Tschita.
»Nein. Wir gehen durch den geheimen Gang, welcher uns fast direct in das Harem führt.«
»Da ist es aber so dunkel!«
»Gar nicht. Es steht stets eine Laterne für mich bereit. Fürchten Sie ja nichts.«
Er führte sie den Wall empor bis an die äußere Ringmauer. Dort standen die Königskerzen und dort wucherte ein dichtes Brombeergesträuch. Ein langer Ast lag handlich neben demselben. Der Derwisch ergriff denselben und fuhr damit in das Gedörn, um dasselbe bei Seite zu schieben.
Da wurde eine Oeffnung sichtbar, in welche steinerne Stufen hinabführten.
Das Dorngestrüpp bildete nicht den eigentlichen Verschluß des Einganges. Es gab eine viel andere und sichere Art, denselben zu verschließen. Sie war aber von dem Castellan entfernt worden, damit er den Derwisch nicht völlig einzuweihen brauche.
»Das ist der Eingang hier?« fragte Tschita.
»Ja, meine Damen.«
»Er ist so schaurig!«
»Nicht im Geringsten. Steigen Sie nur einige Stufen hinter mir hinab,, dann brenne ich die Laterne an.«
Er verschwand in dem Loche und sie folgten ihm langsam.
Als es dunkel um sie wurde, leuchtete vor ihnen ein Zündholz auf, mit Hilfe dessen der Führer die Laterne anzündete.
Nun ging es eine Reihe von Stufen hinab. Dann betraten sie einen bequemen Gang, welcher in wagerechter Richtung weiter führte. Später kam eine Thür, welche nicht verschlossen war. Hinter derselben gelangten sie nun in den Gang, in welchem sich die beiden Verließe befanden.
Hier blieb der Derwisch stehen und fragte in freundlichem, neckischem Tone:
»Nun, fürchten Sie sich auch jetzt noch?«
»Nein,« antwortete Zykyma. »Wenn man sich erst an das Dunkel gewöhnt hat, dann ist die Angst vorüber.«
»Ja, es ist gar nicht so unheimlich hier, wie man denken sollte, zumal man von Schritt zu Schritt auf lauter Interessantes stößt. Hier gelangt man zum Beispiel an einen sehr berühmten Ort, von dem die alte Schloßchronik berichtet, welche ich Ihnen nachher vorlegen werde. Wir kommen zu den Kerkern des Liebespaares.«
»Was hat es damit für eine Bewandtniß?«
»Die Tochter eines der Schloßherren liebte einen Knappen. Beide wollten nicht von einander lassen; darum sperrte der Ritter sie in diese unterirdischen Verließe. Sie blieben dennoch dabei, ein Herz und ein Gedanke bleiben zu wollen. Da sagte er voller Spott, er wolle täglich kommen, um nach ihren Gedanken zu forschen; wenn sie Beide einen Monat lang genau dieselben Gedanken hätten, so sollten sie einander bekommen.«
»Sie waren doch getrennt?«
»Viele Ellen, durch dicken Fels.«
»Dann war es unmöglich, sich zu verständigen.«
»Hm! Oft ist das Unmögliche möglich zu machen, und zwar ganz auf nüchterne Weise.«
»Wohl auch hier?«
»Ja. Der Ritter stieg von Tag zu Tag zu den beiden Gefangenen hinab und legte ihnen ganz dieselben Fragen vor. Die Antworten lauteten bis auf die Sylbe gleich.«
»Wie war das möglich?«
»Durch ein Naturgesetz, welches ich nicht zu erklären verstehe. Wenn nämlich die Beiden an einem gewissen Punkte ihrer Verließe standen, so konnten sie einander ganz deutlich hören, selbst wenn sie nur flüsterten, und trotz der zwischen ihnen liegenden Felsenmasse.«
»Das ist doch nicht glaublich!«
»O doch. Der Ritter öffnete die Klappen, welche sich in den Thüren befanden. Da stellten Beide sich auf die betreffenden Stellen. Gab nun seine Tochter auf seine Fragen Antwort, so hörte der Knappe jeden Laut. Wenn dann der Ritter ihm dieselben Fragen vorlegte, so antwortete er genau so wie seine Geliebte. Ist das nicht einfach genug?«
»Allerdings. Aber – durch eine Felsenmasse getrennt –«
»O, auch ich habe es bezweifelt und war dann sehr erstaunt, als ich mich Von der Wahrheit überzeugte. Soll ich Ihnen den Beweis erbringen?«
»Wir bitten darum!«
»Schön! Kommen Sie!«
Er führte sie weiter bis zu dem ersten Verließe, dessen Thür, wie bereits erwähnt, offen stand. Er zeigte ihnen dasselbe und dann auch das andere. Er leuchtete in beide hinein und fragte:
»Finden Sie vielleicht etwas Fremdartiges in dem Bau dieser Zellen?«
»Nein, gar nicht. Ich behaupte aber doch, daß man sich unmöglich hören kann. Es ist doch wenigstens zwanzig Schritte weit bis hin zur anderen Zelle. Und dazwischen liegt dichter, harter Felsen!«
»Und doch ists so! Man hört sich genau.«
»Das bestreite ich.«
»Bitte, wir Frauen pflegen uns nicht sehr mit der Ergründung und Erklärung der Naturgesetze abzugeben. Wir überlassen das den Männern. Aber wir können uns doch überzeugen, wie wunderbar diese Gesetze oft wirken. Ich werde es Ihnen zeigen. Bitte, Frau Normann, treten Sie doch einmal ein.«
Tschita zögerte doch.
»Oder fürchten Sie sich?« fragte er.
»So ein Verließ ist ein grausiges Ding!«
»Ja, aber ich bin doch kein Folterknecht!«
»Wohl wahr.«
»Also bitte! Stellen Sie sich gerade in die Mitte der Zelle! Fräulein mag dies dort in der anderen thun. Dann flüstern Sie leise mit einander. Sie werden jedes Wort so laut vernehmen, als ob es gerufen worden sei, während ich nicht einen Laut höre.«
Tschita trat hinein und er machte die Thür hinter ihr zu.
»Ah!« meinte Zykyma. »Ist es nothwendig, daß die Thür zugemacht wird?«
»Ja, zum vollständigen Gelingen des Experimentes.«
»Und sogar verriegelt?«
»Auch das, denn die Thür muß ganz luftdicht schließen. Meinen Sie etwa, daß ich Sie nicht wieder herauslasse?«
Er fragte das höhnisch. Jetzt hatte er Eine von ihnen fest; mit der. Anderen wurde er auf alle Fälle fertig.
»Fast scheint es so,« antwortete sie.
»Ah! Wie kommen Sie auf diesen argen Gedanken?«
»Ihr ganzes Gebahren kommt mir verdächtig vor.«
»Wieso?«
»Eine so fein gekleidete Dame soll die Verwandte eines einfachen, alten Ruinenwächters sein?«
»Warum denn nicht?«
»Bilder, Rüstungen und sogar eine ganze Haremseinrichtung soll sich in dem alten, feuchten Gemäuer befinden?«
»Jawohl!«
»Hm! Und das von dem Liebespaare in den Verließen ist wohl auch ein Märchen!«
»Ich versichere, daß es die Wahrheit ist.«
»Vielleicht sind Sie selbst die personificirte Unwahrheit. Sie kommen mir verdächtig vor.«
»Fräulein, wollen Sie mir für meine Güte mit einer Beleidigung danken?«
»Nein. Ich brauche Sie nicht zu beleidigen, denn ich fürchte Sie nicht. Wenn Sie etwas Unholdes mit uns vor hätten, so wäre es zu Ihrem eigenen Schaden.«
»Ich begreife nicht, wie Sie auf solche Gedanken kommen können!«
»Nicht? Nun, meinetwegen! Also will ich eintreten und – flüstern!«
Sie gab dem letzteren Worte einen eigenthümlichen, spöttischen Ton und fügte hinzu:
»Wenn ich flüstere, hört es also meine Freundin. Und ich glaube, wenn ich rufe, so hört man es in der Stadt. Wollen es versuchen.«
»Ja, versuchen Sie es!« lachte er höhnisch auf, indem er die Thür hinter ihr zuschlug und die Riegel vorschob.
Er lauschte. Drin blieb Alles ruhig. Er machte die Klappe auf und leuchtete hinein. Zykyma lehnte an der gegenüberliegender Wand und blickte ihn ernst und furchtlos an.
»Nun, flüstern Sie?« fragte er.
»Nein,« antwortete sie ruhig.
»Aber da hört doch Frau Normann nichts!«
»Meine Freundin braucht nichts zu hören.«
»Nicht? Ah, warum?«
»Sie weiß schon Alles.«
Das sagte sie in einem Tone, der ihn aufmerksam machte. Darum fragte er:
»So, was weiß sie denn?«
»Mit wem wir es zu thun haben.«
»Ah! Donnerwetter! Das wäre! Sie reden doch von mir, wie es scheint?«
»Jawohl.«
»Nun, wer bin ich denn?«
»Ein Scheusal bist Du, Hallunke!«
»Hallunke? Sapperment, das klingt fein aus so schönem Munde!«
»Es ist noch immer nicht deutlich genug für Dich. Denkst Du, wir haben Dich nicht erkannt?«
»So? Wer bin ich denn?«
»Osman, der Derwisch.«
Das kam ihm doch so unerwartet, daß er von der Klappe zurückfuhr. Aber nur für einen Augenblick, denn er war gleich wieder da und rief herein:
»Was? Ihr wißt es, wer ich bin?«
»Wie Du hörst!«
»Auch Tschita weiß es?«
»Ja.«
»Und dennoch habt Ihr Euch einschließen lassen!«
»Weil wir an die Akustik dieser Verließe glauben. Ich habe es bereits gesagt. Wenn wir hier nach Hilfe rufen, hört man es in der Stadt.«
Da schlug er ein schallendes Gelächter auf.
»Das ist göttlich! In der Stadt! Hoffentlich kommen da alle Eure Seladons gleich herbei gerannt, um Euch zu befreien?«
»Allerdings.«
»Und dieser Steinbach an ihrer Spitze?«
»Er voran, wie immer!«
Er sah sie staunend an. Er hatte erwartet, daß sie in Jammer und Wehklagen ausbrechen werde, und hörte das gerade Gegentheil.
»Weib, Mädchen!« rief er aus. »Meinst Du, ich mache mir einen Spaß mit Euch?«
»O nein!«
»So bilde Dir nur nicht ein, daß Du nur für einen Augenblick eingeschlossen bist!«
»Auf wie lange denn?«
»Bis der Pascha kommt, Dich nach Constantinopel zu schaffen, Dich und Tschita mit.«
»Das mag er sich nicht träumen lassen!«
»Was willst Du dagegen thun?«
»Meine Freunde werden kommen!«
»Ja, sie werden kommen. Wir wünschen das sogar; wir wünschen es so sehnlichst, daß wir sie sogar herbeiholen werden.«
»Herbeilocken wohl?«
»Ja. Und zwar, um Rache an ihnen zu nehmen.«
»Mensch, denke daran nicht! Deine Zeit ist abgelaufen! Du befindest Dich nicht in der Türkei. Mit Männern, wie Steinbach ist, bist Du verloren!«
»Oho! Er und seine ganze Freundschaft wird elend zu Grunde gehen.«
»Ueberhebe Dich nicht!«
»Ich weiß es genau.«
»Gegen solche Männer bist Du ein elender Wurm. Du wirst Dich vor ihnen im Staube krümmen und um Gnade betteln.«
»Oder sie vor mir, und zwar vielleicht heute noch. Weißt Du, welches Schicksal ihrer harrt?«
»Welches?«
»Sie werden in den thurmtiefen Brunnen dieses Schlosses geworfen.«
»Teufel!«
»Sie werden in der Tiefe elend zerschmettert werden. Alle, Alle! Du aber wirst nach Constantinopel geschafft werden und die elendeste Sklavin der armseligsten Sklavinnen sein!«
»Immer phantasire! Die Täuschung, in der sich Deine höllische Seele befindet, wird gar bald weichen. Ich antworte Dir nicht mehr.«
Sie schlug die Arme über der Brust zusammen und wendete sich von ihm ab. Er sprach noch einige Male auf sie; da sie aber schwieg, so warf er ihr einige grimmige Flüche zu und verschloß die Klappe.
Jetzt begab er sich zu Tschita. Als er das Loch öffnete, lehnte sie ebenso wie vorher Zykyma an der Wand. Auch hier streckte er die Laterne hinein, um sie anzuleuchten, und fragte:
»Nun, hast Du Etwas gehört?«
»Ja,« antwortete sie.
»Was denn?«
»Deine ganze Unterredung mit Zykyma.«
»Alle Teufel! Ihr macht ja wirklich aus meiner Lüge die Wahrheit!«
»Hebe Dich hinweg! Ich habe mit Dir nichts zu schaffen!«
»Aber ich desto mehr mit Dir!«
»So rede immerhin!«
Auch sie wendete sich ab und gab ihm keine Antwort mehr. Das erboste ihn außerordentlich. Er stieß einige wilde Drohungen aus und verschloß dann das Loch.
Tschita horchte. Sie hörte seine sich langsam entfernenden Schritte. Nun wartete sie noch eine Weile, um sicher zu sein, daß er nicht wiederkommen werde; dann tastete sie nach dem Ringe, der ihr beschrieben worden war.
Uebrigens war er bereits von ihr bemerkt worden, als der Derwisch mit seiner Laterne herein geleuchtet hatte. Sie zog, und da ließ sich das schon bereits erwähnte Knarren hören. Die Klappe senkte sich und die Leiter kam herab.
Tschita stieg empor. Eben als sie oben die letzte Leitersprosse verließ, wurde die Thür geöffnet und Zykyma kam herein.
»Da bist Du also auch bereits oben,« sagte diese. »Laß nur die Leiter nicht unten.«
»Warum nicht? Wir müssen ja doch wieder hinab!«
»Aber dieser Mensch kann indessen wiederkommen. Dann wäre ja Alles verrathen.«
»Da hast Du Recht. Wir wollen sie also hinaufziehen.«
»Die meinige ist schon oben. Hast Du auch schon gesehen, wie gut der Castellan für uns gesorgt hat? Ein solches Burgverließ kann man sich schon gefallen lassen.«
Der Tisch war gedeckt. Es gab Delicatessen, wie sie zur Ritterzeit wohl kein Gefangener vorgesetzt erhalten hatte. –
Unterdessen war Lina nach der Stadt zurückgekehrt. In ihrer Wohnung angekommen, hatte sie den Agenten aufgesucht und ihm kurz mitgetheilt, daß sie mit dem Pascha nothwendig zu reden habe.
»Worüber denn?« fragte er.
»Steinbach ist gekommen.«
»Sapperment, der Prinz!«
»Nein, es ist der Prinz nicht.«
»So? Dann habe ich mich geirrt.«
»Den Prinzen kenne ich.«
»Und Sie haben Steinbach gesehen?«
»Ja.«
»Sie wissen also genau, daß er es nicht ist?«
»Ganz genau. Er hat seine Gestalt, sonst aber weiter nichts von ihm.«
»Das freut mich sehr.«
»Warum?«
»Weil dadurch ein sehr großes Bedenken beseitigt wird. Steinbach muß sterben. Hätten wir seinen Tod zugeben dürfen, wenn er identisch mit dem Prinzen wäre?«
»Auf keinen Fall.«
»Also darüber freue ich mich.«
Gerade darum aber hatte sie ihm diese Unwahrheit gesagt. Seine Bedenken hätten die Ausführung des ganzen Vorhabens hintanhalten können.
»Sind noch Mehrere mit ihm gekommen?« erkundigte er sich weiter.
Sie nannte ihm die betreffenden Namen und fügte dann hinzu:
»Das ist aber nicht die Hauptsache. Sondern das Beste ist Zweierlei: Erstens befindet sich Tschita mit Zykyma jedenfalls schon in der Gewalt des Derwisches.«
»Was! Sind sie hinaus?«
Sie erzählte ihm, auf welche Weise sie dieselben nach Schloß Grafenreuth gelockt haben wollte. Er lobte sie und fügte hinzu:
»So befinden sich Beide jedenfalls schon in den Verließen. Wissen denn die Männer davon?«
»Kein Wort. Die Beiden haben gesagt, daß sie eine längere Promenade machen wollen.«
»Das ist sehr gut. Es giebt also nicht die mindeste Spur über ihr Verbleiben. Aber was ist denn das Zweite, was Du zu sagen hast?«
»Das ist wohl noch erfreulicher als das Erstere. Denke Dir, die Männer alle sind ganz ohne mein Dazuthun auf den Gedanken gekommen, sich Schloß Grafenreuth anzusehen!«
»Sapperment! Heute?«
»Ja. Gleich Mittag.«
»Donner! Wer ist denn so verteufelt klug gewesen, diesen Gedanken anzuregen?«
»Der Lord. Er liebt so altes Mauerwerk und that es nicht anders, als daß Alle erklärten, ihn zu begleiten.«
»Warst Du denn dort?«
»Ja. Zwölf Uhr brachen Sie auf.«
»Ah, da muß ich mich beeilen. Ich muß ja vorher mit dem Pascha draußen sein.«
»Ich auch!«
»Warum Du?«
»Nun, um den Lohn in Empfang zu nehmen.«
»Den meinigen sollst Du gleich jetzt pränumerando erhalten.«
Er umschlang sie und wollte sie küssen. Sie aber entwand sich ihm kräftig, schob ihn von sich und sagte:
»Halt, mein Bester! So weit sind wir noch nicht!«
»Nicht? Als Braut und Bräutigam?«
»Aber fest und sicher ist die Sache noch keineswegs. Ich habe Dich zwar lieb, aber ich verlange Garantie, daß der Pascha wirklich sein Versprechen erfüllt.«
»Diese Garantie wird uns heute werden.«
»Dann betrachte ich mich als Deine Verlobte, eher aber nicht.«
»Aber nur einen Kuß, einen einzigen!«
»Nein! Uebrigens hast Du ja zu solchen Ueberflüssigkeiten gar keine Zeit. Beeile Dich, daß Du den Pascha findest. Wenn Ihr Euch verspätet, kehrt eine so außerordentlich günstige Gelegenheit vielleicht gar niemals wieder.«
»Da hast Du Recht. Ich eile! Lebe wohl!«
»Aber auf Wiedersehen, denn ich mache mich auch sofort auf den Weg.«
»Bist Du beim Oheim zu treffen?«
»Natürlich.«
»Schön! So sehen wir uns dort.«
Er ging nach dem Pavillon in der Hauptpromenade. Er hoffte, den Pascha dort zu treffen. Aber dieser hatte sich wegen der mit dem Lord abgespielten Scene gescheut, wieder hinzugehen. Als er ihn in Folge dessen nicht fand, wandte er sich nach dem Hotel zum Delphin, wo der Pascha logirte. Freilich sollte er ihn dort nicht besuchen; aber heut war ja keine Zeit zu verlieren.
Glücklicher Weise kam ihm, ehe er das Hotel erreichte, der Pascha zufälliger Weise entgegen. Er gab ihm einen Wink und bog sofort nach rechts ein, um auf die nach Schloß Grafenreuth führende Straße zu gelangen. Dort wartete er, bis der Pascha ihn einholte und berichtete ihm Alles, was er von Lina erfahren hatte.
Diese Kunde machte natürlich einen großen Eindruck auf den Pascha. Sie versetzte ihn in eine gewaltige Aufregung.
»Welch ein Glück!« rief er aus. »Wer hätte das erwarten können! Es war ja gar nicht zu denken, daß sich diese Sache so schnell entwickeln könne, daß es so ungemein rasch gehen werde.«
»Und daß wir sie Alle zusammen haben werden,« fügte der Agent bei. »Sie sind ja Alle da. Alle, ohne eine einzige Ausnahme. Das ermöglicht es uns, sie mit einem einzigen Schlage zu vernichten.«
»Ja, es wird sein, wie wenn der Blitz in eine Schafheerde fährt und die Thiere alle tödtet. Aber wir dürfen doch nicht unüberlegt handeln. Wir müssen die Sache unbedingt so arrangiren, daß wir keinen Schaden davon haben. Die Kerls müssen verschwinden, ohne daß eine Spur von ihnen zurückbleibt.«
»Natürlich! Das wird ja doch der Fall sein.«
»Hm! Wirklich?« fragte der Pascha in zweifelndem Tone.
»Unbedingt. Welche Spur sollte bleiben? Sie verschwinden ja Alle in dem Brunnen und kein Mensch kann ihre Leichname finden.«
»Aber man wird nach denselben suchen, und zwar in Burg Grafenreuth.«
»Warum dort?«
»Weil man wissen wird, daß sie nach der Burg gegangen sind.«
»Sie sagen es ja Niemandem. Sie verkehren mit keinem Menschen.«
»Aber ihre Dienstboten werden es wohl sicher wissen. Die Polizei wird nach den Verschwundenen fragen und es von dem Gesinde erfahren, daß sie nach der Burg gegangen sind.«
»Nun, was schadet das? Man mag dort suchen. Der Castellan ist unser Verbündeter. Er wird dafür sorgen, daß nichts entdeckt werden kann.«
»Halten Sie ihn für so sicher?«
»Unbedingt. Es wäre ja zu seinem eigenen Verderben, wenn er so unvorsichtig wäre, Etwas verlauten zu lassen. Nein, wir haben nichts, gar nichts zu befürchten. Und vor allen Dingen verlasse ich mich auf meine Braut. Sie ist ein äußerst kluges und scharfsinniges Mädchen. Sie haßt diese Normanns und hat auch wirklich alle Veranlassung dazu. Selbst wenn dem alten Castellan eine Unvorsichtigkeit zuzutrauen wäre, sie selbst wird dafür sorgen, daß uns nichts geschehen kann. Nein, wir können ganz und vollständig sicher sein, daß kein Mensch nur mit einem Gedanken gegen uns aufzukommen vermag.«
»Nun gut. Da Sie eine solche Zuversicht besitzen, will auch ich getrost sein. Gehen wir also ohne alle Befürchtung an unser Werk. Wenn ich es mir recht überlege, scheint es mir allerdings, als ob ich gar keine Sorge zu haben brauche. Selbst wenn irgend Etwas mißlingen sollte, steht mir ja die Flucht frei. Noch habe ich nicht zugegeben, daß ich wirklich Pascha Ibrahim bin. Gelingt es mir, nach der Türkei zu entkommen, so stehen mir dort Mittel zur Verfügung, mein Alibi zu beweisen.«
»Ja, Sie können sich auf alle Fälle retten, während wir drei Anderen aber, nämlich meine Braut, der Castellan und ich, uns von den Polypenarmen der Polizei ergreifen lassen müßten.«
»O nein. Sie würden mit mir fliehen, denn es versteht sich ganz von selbst, daß es meine vornehmste Sorge sein muß, Sie nicht fangen zu lassen. In Ihnen wären ja Zeugen gegen mich vorhanden, gegen deren Aussage mir mein Alibi gar nichts helfen würde. Sehen wir also, was der Castellan dazu sagt. Er muß am Allerbesten wissen, ob sich die Sache wirklich so machen läßt, daß keine Entdeckung zu befürchten ist.«
Er schritt schneller aus als bisher. In seinem Gesichte sprach sich die höchste Entschlossenheit aus, und auch der Agent besaß den gleichen festen Willen. Er bewies dies, indem er einen Revolver aus der Tasche zog, ihn dem Pascha zeigte und dabei sagte:
»Mag es kommen, wie es will, mein letzter und bester Schutz ist hier diese Waffe. Mit ihr werde ich dafür sorgen, daß man mir nichts anzuhaben vermag. Ergreifen lasse ich mich auf keinen Fall.«
Nun schritten sie schweigend neben einander her, bis sie die Burg erreichten. Im Hofe derselben trafen sie den Castellan, welcher sie erwartete. Der Agent begrüßte ihn vertraulich als Verwandten und fragte:
»Ist Lina bereits da?«
»Ja, schon längst. Sie sagte mir, daß Sie bald kommen würden. Bemühen Sie sich mit herauf zu mir. Der Derwisch befindet sich bei mir.«
Dieser Letztere hatte die Kommenden mit großer Spannung erwartet. Der große Schlag, welchen sie auszuführen beabsichtigten, war nahe. Da verstand es sich ganz von selbst, daß sie Alle sich in einer ungewöhnlichen Stimmung befanden.
»Also die beiden Frauenzimmer haben Sie bereits fest?« fragte der Pascha.
»Ja,« antwortete der Derwisch. »Sie sind mit viel Glanz in die Falle gegangen.«
»Ahnen Sie ihr Schicksal?«
»Sie ahnen es nicht nur, sondern sie wissen es genau, denn ich habe es ihnen gesagt.«
»Das hättest Du unterlassen können.«
»Warum? Es kann uns gar nichts schaden, wenn sie es wissen. Es hat mir das größte Vergnügen bereitet, ihnen zu erklären, was für ein Schicksal ihrer wartet.«
»Was sagten sie dazu? Gewiß waren sie vor Schreck gleich stumm?«
»O nein, ganz im Gegentheile. Von einem Schrecke oder gar Entsetzen, wie ich gedacht hatte, war keine Rede. Sie nahmen die Sache ganz anders auf, als ich erwartet hatte. Ich erhielt Grobheiten und ironische Bemerkungen. Es scheint, daß sie sicher sind, Hilfe aus der Stadt zu erhalten.«
»Pah! Diesen Gedanken werden sie fahren lassen müssen. Wie ich denke, wissen ihre Verwandten ja gar nicht, wo sie sich befinden?«
»Nein,« antwortete Lina. »Sie haben nicht gesagt, wohin sie gehen.«
»Wissen Sie das gewiß?«
»Ganz gewiß. Ich war ja dort bei ihnen. Ich habe den Gedanken zu diesem Spaziergange bei ihnen angeregt und bin bei ihnen geblieben, bis sie gingen. Ich habe sie nicht aus den Augen gelassen und weiß genau, daß Normann keine Ahnung hat, wohin sie sind.«
»Nun, erfahren soll er es doch noch, bevor er stirbt. Ich mag ihn nicht ins Jenseits spediren, ohne ihm zu sagen, daß sein liebes Weibchen die niedrigste meiner Sklavinnen sein wird. Wann wird er mit den Anderen kommen?«
»Um zwölf Uhr.«
»Nun, da haben wir ja noch fast über eine halbe Stunde Zeit. Bis dahin kann ich mir Tschita und Zykyma wohl einmal ansehen?«
»Ganz wohl,« antwortete der Castellan, an welchen diese Frage gerichtet war.
»Ich gehe auch mit,« erklärte der Derwisch. »Ich möchte wissen, ob sie noch immer so zuversichtlich sind wie vorhin. Bei der ganzen Geschichte wundert mich nur Eins: Fräulein Lina hat mir nämlich gesagt, daß in der Stadt von meiner Flucht gar keine Rede sei. Das ist doch eigenthümlich. Ich hatte ganz im Gegentheile erwartet, daß sie ein großes Aufsehen hervorrufen werde.«
»Ich auch,« stimmte der Pascha bei. »Daß man sich darüber so ausschweigt, das verursacht mir Bedenken. Es beweist mir, daß man irgend etwas Heimliches gegen uns vor hat.«
»O nein,« entgegnete die Polizistin, welcher es darauf ankam, ja keine Bedenken aufkommen zu lassen. »Dieses Schweigen beunruhigt mich gar nicht. Es ist mir ja leicht erklärlich.«
»Wieso?«
»Wäre dieser Herr hier Gefangener irgend einer wirklichen und zuständigen Behörde gewesen, so würde seine Flucht aus dem Staatsgefängisse unbedingt ein bedeutendes Aufsehen erregt haben. Er war aber so zu sagen, nur Privatgefangener. Er befand sich nicht in officieller Haft, sondern er war von Leuten, die nicht Beamte sind, in einem Privathause eingesperrt, denn das Schloß ist doch immerhin nur als Privathaus zu betrachten. Nur die Behörde hat das Recht, Gefangene einzusperren. Jeder Privatmann, der einen Anderen seiner Freiheit beraubt, macht sich eines Verbrechens schuldig, welches nach dem einschlagenden Paragraphen des Strafgesetzbuches streng geahndet wird. Würde man verlauten lassen, daß man den Derwisch als Gefangenen behandelt so wäre das doch das Eingeständniß eines Verbrechens. Es liegt also sehr klar auf der Hand, daß man lieber schweigt.«
»Diese Darstellung scheint allerdings die Wahrheit zu treffen und beruhigt mich,« erklärte der Pascha.
»Mich beruhigt sie nur halb,« meinte der Derwisch. »Man kann wohl, wenn Fräulein Lina das Richtige getroffen hat, keine officielle, polizeiliche Verfolgung einleiten; aber man wird heimlich desto schärfer nach mir forschen.«
»Das stelle ich nicht in Abrede,« sagte die Polizistin. »Aber Sie haben diese Verfolgung nicht zu fürchten.«
»Meinen Sie?«
»Ja. Nehmen wir gleich den schlimmsten Fall an, nämlich daß Ihr gegenwärtiger Aufenthalt entdeckt wird, so darf man Sie doch nicht ergreifen, denn das Gesetz verbietet dies.«
»Hm!«
»Sie scheinen nicht einverstanden? Haben Sie denn speciell gegen die Gesetze unseres Großherzogthums gesündigt?«
»Nein.«
»Nun, so haben Sie hier also auch nichts zu befürchten. Sie können ganz sicher sein. Selbst wenn Sie ein Verbrechen gegen unsere Landesgesetze begangen hätten, könnten Sie nur durch die Polizeiorgane gefangen werden und diese müßten dazu durch den Befehl des Staatsanwaltes beauftragt sein.«
»Daß ein solcher Befehl vorliegt, glaube ich freilich nicht.«
»So sehe ich auch keinen Grund ein, sich Sorge zu machen.«
»Sie vergessen, daß, selbst wenn ein wirklicher Haftsbefehl nicht vorliegt, ich doch durch eine Gewaltthätigkeit wieder in die Hände meiner Feinde gerathen kann. Haben sie vorher nicht nach den Gesetzen gefragt, so werden sie es jetzt wohl auch nicht thun.«
»Nun, gegen eine ungesetzliche Gewalthandlung vermag man sich zu schützen. Selbsthilfe und Gegenwehr sind in diesem Falle erlaubt. Sie sind doch hoffentlich bewaffnet?«
»Ja, Herr Schubert hat mir einen Revolver besorgt.«
»Nun, was befürchten Sie da noch? Ich an Ihrer Stelle würde einfach Jeden niederschießen, der es unternehmen wollte, mich auch nur anzurühren. Sie sind berechtigt dazu.«
»So scheint es mir auch,« stimmte der Pascha bei. »Und was die Dame da sagt, das hat nicht nur auf Sie, sondern auf uns Alle Anwendung. Wehe Dem, der sich an mir vergreifen wollte! Ich gäbe ihm sogleich eine Kugel, das steht fest. Uebrigens haben wir so Etwas gar nicht zu befürchten. Niemand weiß, daß der entflohene Gefangene sich hier auf der Burg befindet. Selbst wenn man es ahnte und nachsuchen käme, bin ich überzeugt, daß man nicht auf den Gedanken kommen würde, die sich auf Besuch hier befindende Verwandte des Castellans sei eine verkleidete männliche Person. Lassen wir also diese Befürchtungen fallen und sehen wir uns jetzt einmal die beiden Frauen an!«
Er erhob sich von dem Stuhle, auf welchem er gesessen hatte.
Der Castellan warf einen verstohlenen Blick der Beruhigung und Genugthuung auf Lina. Er war, während die Letztere sich mit dem Derwisch unterhalten hatte, bei Tschita und Zykyma gewesen und hatte sie gebeten, sich wieder in ihre Zellen zu verfügen, da der Pascha kommen und sie höchst wahrscheinlich aufsuchen werde. So hatte er die Entdeckung verhütet, daß sie eigentlich gar nicht Gefangene seien. Indem er jetzt zu seinem Schlüsselbunde griff, fragte er:
»Beabsichtigen die Herren vielleicht, gleich unten in dem Gange zu bleiben?«
»Warum das?«
»Weil Diejenigen, welche wir erwarten, jedenfalls hierher in meine Stube kommen werden und Sie also sehen würden. Unten sind Sie am Sichersten, und da unser Coup ja doch in der Brunnenstube vor sich gehen wird, so ist es wohl am Allerbesten, wenn Sie gleich unten bleiben.«
»Das ist richtig. Hoffentlich haben wir nicht allzulange zu warten?«
»Gewiß nicht. Die Herrschaften kommen, um sich die Burg anzusehen. Ich werde ihren Wunsch natürlich augenblicklich erfüllen und sie direct nach dem Brunnenzimmer führen. Es geht also gar keine Zeit verloren.«
»Und sind Sie sicher, daß der Mechanismus seine Schuldigkeit thun wird?«
»Ja. Er hat noch nie versagt und ich sehe gar nicht ein, weshalb er gerade heute unwirksam sein sollte.«
»So bleibt nur noch das Eine zu bedenken, ob es dann möglich sein wird, nachzuweisen, was hier geschehen ist.«
»Gewiß nicht; lassen Sie mich nur sorgen. Die ganze Gesellschaft kommt zerschmettert unten auf dem Grunde des Brunnens an. Es wird keine Spur von ihnen vorhanden sein.«
»Wenn man aber erfährt, daß sie sich hierher begeben wollten!«
»Ich habe keinen Menschen gesehen.«
»So möchte man annehmen, daß sie anderweit verunglückt seien. Gibt es vielleicht hier in der Nähe einen Ort, an welchem so Etwas möglich ist?« »Mehrere. Wir haben im Walde steile Abgründe mit tiefem Wasser auf dem Boden. Uebrigens ist es mir sehr gleichgiltig, daß man die Gesuchten nicht finden wird. Ich kenne sie nicht, ich weiß nichts von ihnen und man mag meinetwegen das ganze Schloß durchforschen. Es wird kein Stäubchen zu finden sein, welches als Hinweis darauf dienen könnte, daß sie hier gewesen seien.«
»Gut. Gehen wir also!«
Lina blieb zurück, damit Jemand vorhanden sei für den Fall, daß die Erwarteten indessen kommen würden. Die drei Männer stiegen in den Keller hinab.
Als sie die beiden Zellen erreichten, in denen Tschita und Zykyma eingeschlossen waren, öffnete der Pascha die Klappe der Thüre, hinter welcher die Erstere steckte. Er erhielt von dem Castellan die Laterne und leuchtete hinein. Tschita kauerte am Boden. Er konnte nicht ahnen, daß sie sich vorher ein Stockwerk höher ganz wohl befunden hatte.
»Nun, schöne, junge Frau, wie geht es?« fragte er sie in höhnischem Tone.
Sie antwortete nicht.
»Hast wohl vor Schreck die Sprache verloren?«
Sie sagte auch jetzt noch nichts.
»Ach so! Du kennst mich gar nicht. Meine Stimme wird Dir unbekannt geworden sein. Da will ich dafür sorgen, daß Du mein heißgeliebtes Angesicht erblicken kannst.«
Er näherte die Laterne seinem Gesichte, aber sie schaute gar nicht nach ihm. Er gab sich alle Mühe, sie zum Sprechen zu bringen, vergeblich. Er erinnerte sie an die Vorkommnisse in Constantinopel. Er lachte über ihre jetzige Lage und drohte ihr mit seiner fürchterlichen Rache – sie öffnete nicht ein einziges Mal den Mund und wendete ihm auch nicht ein einziges Mal das Gesicht zu, ihn anzusehen.
Das enttäuschte ihn. Er war gekommen, sich an ihrer Angst und an ihren Bitten, die er sicher erwartet hatte, zu weiden, aber sie blieb stumm und bewegungslos.
»Nun,« sagte er endlich, »Dich werden wir schon noch zum Sprechen bringen, und dann sollst Du heulen vor Entsetzen. Weißt Du, wie in Stambul die Untreue eines Weibes bestraft wird? Sie wird in einen Sack gesteckt und in das Wasser geworfen. Das ist aber eine viel zu schöne und schnelle Todesart für Euch. Ihr sollt langsamer sterben. Jahre lang muß es dauern, bis Ihr langsam, nach und nach verschmachtet und verkümmert seid. Der aber, mit dem Du davon gelaufen bist, wird heute noch sterben. Sein Körper, den Du wohl oft recht innig umfangen hast, wird in der Tiefe des Brunnens zerschmettert werden und Du sollst in diese Tiefe blicken dürfen, und das Entsetzen soll Dir dabei alle Haare zu Berge treiben!«
Er schlug die Klappe zu und trat zur nächsten Thüre, um auch deren Luke zu öffnen. Als er in die Zelle leuchtete, stand Zykyma an der gegenüber liegenden Wand. Sie hatte ihr Auge fest auf ihn gerichtet.
»Ah, guten Morgen!« lachte er sie an. »Wie befinden wir uns?«
»Danke! Sehr gut!« antwortete sie ihm ironisch-höflich.
Sie war eine streitbarere Natur als Tschita und vermochte es nicht, zu seinen Worten still zu bleiben.
»Freut mich sehr, freut mich außerordentlich! Leider war es uns nicht möglich, Dir ein glänzenderes Gemach zu geben.«
»O, es genügt vollständig!«
»Wirklich?«
»Ja. Man hat die allerschönsten Spaziergänge ganz in der Nähe.«
»Alle Teufel! Willst Du Dich über mich lustig machen?«
»O nein. Ich bin zwar bei sehr guter Laune, aber mit einem solchen Hallunken kann man doch nicht gut lustig sein.«
»So erkennst Du mich?«
»Ja. Dein Gesicht ist so schuftig, daß man es wohl niemals vergessen kann.«
»Wahre Deine Zunge!« donnerte er sie an. »Ich habe genug Mittel, Dir Deine gute Laune sehr gründlich zu verderben!«
»So versuche sie!«
»Ich lasse Dich peitschen!«
»Schön!«
»Du sollst vor Hunger und Durst Dich zu Tode wimmern!«
»Das bilde Dir ja nicht ein!«
»Du wirst das Licht des Tages in Deinem Leben nie wieder erblicken!«
»Das ist mir sehr lieb, denn da bekomme ich Dich doch nicht zu sehen!«
»Weib, was fällt Dir ein! Spielst Du etwa mit dem Entsetzen? Meinst Du, ich treibe Scherz und habe Dich nur zum Spaße hier eingesperrt?«
»O nein! Ernst ist es Dir; das weiß ich sehr genau. Aber ich selbst habe noch nicht Ernst gemacht. Wenn ich will, bin ich frei.«
»Oho!«
»Ja. Du aber wirst das Schicksal haben, welches Du für uns bestimmt hast. Während Du meinst, daß wir uns in Deiner Hand befinden, befindest Du Dich in der unserigen.«
»Du bist verrückt!«
»Und Du verblendet!«
»Hat Dir Dein guter Freund, der Derwisch, nicht gesagt, was Euch erwartet?«
»O doch.«
»Und Du lachst darüber!«
»Ja. Auch Ihr würdet lachen, wenn ich Euch sagen wollte, was Euch erwartet. Wir werden ja sehen, wer über den Anderen zu lachen hat. Jetzt sind wir fertig und Du kannst gehen!«
»Meinst Du? Ich bleibe so lange, wie es mir gefällt.«
»So bleibe; ich aber habe einstweilen nichts mehr mit Dir zu schaffen.«
Sie wendete sich ab und nun erging es ihm mit ihr gerade so wie mit Tschita; er brachte sie nicht wieder zum Sprechen und mußte die Klappe resultatlos verschießen.
»Das kann ich nicht begreifen,« sagte er im Weitergehen zu den Anderen. »Ich habe mir das Verhalten dieser Frauen ganz anders vorgestellt.«
»Ich auch,« antwortete der Derwisch.
»Die thun ja gerade so, als ob sie die Siegerinnen seien! Sie sind so verteufelt zuversichtlich, daß man es sich gar nicht zu erklären weiß.«
»O, zu erklären ist es schon!«
»Wie denn?«
»Sie wollen uns nicht die Freude machen, über sie zu triumphiren. Das ist ja so Weiberart.«
»Mag sein. Wollen sie also bei ihrer geheuchelten Lustigkeit lassen. Sie wird ihnen sehr bald vergehen.«
Und die Uhr ziehend, um nach der Zeit zu blicken, fuhr er fort:
»Es ist wahrscheinlich, daß die Herrschaften nun kommen. Wollen also unsere Posten einnehmen.«
Sie bogen nach rechts ein und gelangten vor der Thür der Brunnenstube an. Als der Castellan geöffnet hatte, traten die Beiden nur mit großer Selbstüberwindung ein. Sie wußten nur die dünnen Bretter zwischen sich und dem Tode und athmeten erleichtert auf, als die gegenüber liegende Thür geöffnet war und sie nun wieder auf fester Erde standen.
»Das ist wirklich ein ganz verfluchtes Gefühl,« sagte der Pascha. »Es ist, als ob man über Wolken laufe, durch welche man aller Augenblicke brechen kann. Also hier ist mein Platz?«
»Ja,« antwortete der Castellan, indem er die Thür hinter sich wieder verschloß. »Bleiben Sie allein hier?«
»Nein, ich bleibe auch da,« antwortete der Derwisch.
»So verhalten Sie sich nur still, damit die Sache nicht verdorben wird!«
»Na, Sie können sich getrost darauf verlassen, daß wir Beiden nichts thun werden, um diese verhaßten Personen zu retten!«
»Das hoffe ich! Wenn es nur einer einzigen gelänge, zu entkommen, so wären wir Alle verloren.«
»Von welcher Seite bringen Sie sie?«
»Von derjenigen, von welcher wir jetzt gekommen sind. Sind wir in der Brunnenstube angelangt, so schließe ich hinter ihnen zu. Vor ihnen aber schließe ich auf, indem ich so thue, als ob ich sie weiter leiten wolle. Ich stelle mich so, als ob ich ihnen voranschreiten wolle, und werfe aber, wenn ich durch diese Thüre gekommen bin, dieselbe in das Schloß. Dann sind sie gefangen!«
»Können Sie die Thüren nicht aufsprengen?«
»O, die sind so stark, daß ein Aufsprengen gar nicht möglich ist. Und wäre es möglich, so genügt ja ein Druck meiner Hand hier auf den Hebel, sie Alle sofort in die Tiefe verschwinden zu lassen.«
»Vorher aber will ich mit ihnen sprechen.«
»Ja. Diese Thüre hat, wie ich Ihnen bereits zeigte, auch eine Klappe. Sobald Sie dieselbe öffnen, können Sie sich mit den Herrschaften nach Belieben unterhalten.«
»Machen Sie mir den Spaß und lassen Sie mich den Hebel bewegen!«
»Warum?«
»Weil ich selbst es sein möchte, der sie in die Hölle spedirt.«
»Das geht nicht. Sie könnten falsch drücken und dann wäre es sehr leicht möglich, daß der Mechanismus falsch wirkt.«
»Das wäre freilich fatal!«
»Ja. Entweder wirkte er gar nicht, oder er wirkte zu viel, so daß der ganze Fußboden mit in die Tiefe fiele. Dann könnte es bei einer etwaigen Nachforschung sehr leicht entdeckt werden, daß die Leute im Brunnen verunglückt sind, von dessen Vorhandensein man jetzt aber keine Ahnung hat.«
»So will ich lieber die Hand vom Spiele lassen. Eins nur ärgert mich, nämlich, daß ich die Leute hier erwarten muß. Wenn ich sie mir dann auch mit der Laterne betrachte, so stehen sie doch fast im Dunkeln und zwar so dicht gedrängt, daß ich sie einzeln gar nicht deutlich zu unterscheiden vermag. Und doch hätte ich sie mir vorher gern einmal angesehen. Es ist doch für den Jäger ein Hochgenuß, zu sehen, wie hübsch und gefügig das Wild in das Garn läuft.«
»Nun, was das betrifft, so kann dieser Wunsch wohl erfüllt werden,« meinte der Kastellan.
»Wie denn?«
»Sie müßten sehr vorsichtig sein und sich nicht etwa gar sehen lassen.«
»Fällt mir gar nicht ein!«
»Nun, so können Sie sie kommen sehen. Sie wissen, daß dieser Gang zu der anderen Treppe führt. Wenn Sie jetzt mit dorthin gehen und sich an die Kellerthür stellen, welche wir ein Wenig offen lassen, so können Sie sämmtliche Personen sehen, welche ich durch die gegenüber liegende Thür hinabführe.«
»Gut, schön, machen wir das so!«
»Aber Sie müßten sich dann beeilen, schnell wieder hierher zurückzukehren, damit Sie nicht etwa zu spät kommen.«
»Natürlich, natürlich!«
»Ich werde mich mit ihnen unterwegs gar nicht aufhalten, denn es liegt mir daran, die Sache schnell zu beenden. Also, wollen Sie sie wirklich belauschen?«
»Ja.«
»So kommen Sie! Wir wollen gehen.«
Sie schritten in dem Gange weiter vorwärts und gelangten auf die bereits beschriebene Weise nach der Treppe. Dort sollten sie auf der obersten Stufe derselben stehen bleiben; aber als der Castellan die nach dem Flur führende Thüre öffnete, sah er die Polizistin aus dem Hofe kommen.
»Wo warst Du?« fragte er sie. »Ich denke, Du bist oben in meiner Stube geblieben.«
*