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»Noch nicht,« antwortete Dobronitsch. »Sie stehen zwar Todesangst aus, aber sie haben es verdient und werden sich das merken. An die Stangen habe ich auch nicht gedacht. Sie mögen sich darauf setzen und bis zum Morgen warten. Bequem werden sie es nicht haben. Ich werde erst aufhören, wenn sie festsitzen. Ich möchte sie sehen.«
Unten hatten die Beiden still gearbeitet. Jetzt sagte der Kosakenwachtmeister:
»So! Endlich ist das Bündel auf. Fühle nur nach den Löchern. Wir stecken mehrere Stangen neben einander. Das giebt einen bequemeren Sitz. Aber mach rasch! Das Wasser steigt wahrhaftig noch immer.«
Man hörte das Anstoßen der Stangen an die Mauer.
»So!« sagte dann der Wachtmeister. »Wie auf Polstern werden wir freilich nicht sitzen; aber wir befinden uns dann wenigstens nicht mehr im Wasser. Klettere hinauf!«
Jetzt zog Peter Dobronitsch den Schlauch zurück und sagte:
»Es mag genug sein. Jetzt sitzen sie auf den Stangen, wie Hühner in ihrer Hürde. Ich möchte nicht an ihrer Stelle sein.«
»Willst Du sie wirklich bis morgen in der Frühe warten lassen?« fragte Georg
»Ja.«
»Ist das nicht grausam?«
»Nein. Behaglich werden sie sich wohl freilich nicht fühlen. Es geschieht ihnen aber Recht.«
»Sie sind naß. Sie werden sich erkälten!«
»Die? Da kennst Du den Sibirier doch noch nicht genau. Und wenn sie sich ein Wenig erkälten, was schadet das? Sie werden einen tüchtigen Schnupfen bekommen, weiter nichts. Horchen wir noch einmal!«
Sie lauschten. Unten fragte Sergius:
»Sitzest Du?«
»Ja.«
»Ich auch. Aber es ist eine verdammte Geschichte. Mir thun bereits jetzt schon alle Knochen weh.«
»Das ist noch immer besser, als wenn wir ersaufen.«
»Aber das Wasser wird bald herauf zu uns steigen. Horch! Hörst Du Etwas?«
»Nein. Was hast Du gehört?«
»Nichts. Es ist mir aber, als ob das Wasser nicht mehr zur Feueresse hereinlief.«
»Ja, es ist vollständig still.«
»Sollte es aufgehört haben?«
»Ich will einmal zur Esse hinaussehen.«
Er bog sich vor, schaute nach oben und meldete im Tone freudiger Ueberraschung:
»Du, es hat wirklich aufgehört. Ich sehe den blauen Himmel mit den Sternen.«
»Vorhin sahst Du ihn auch und dann ging es erst recht los.«
»Ja, aber jetzt scheint es wirklich zu Ende zu sein. Hörst Du Etwas?«
»Ja. Es war mir, als ob oben Etwas gerauscht hätte.«
»Mir auch.«
»Was mag es gewesen sein?«
»Vielleicht dieser verdammte Dobronitsch. Er hat uns nicht tödten wollen und steigt nun wieder hinab.«
»Vielleicht holt er uns nun hinaus.«
»Möglich. Aber wie er das anfangen will, daß weiß ich auch nicht.«
»Er braucht ja nur die Thür aufzumachen, da läuft das Wasser in das Kämmerchen und über den Flur zum Hause hinaus.«
»Ja, wenn die Thür hier nicht nach innen aufginge! Das Wasser drückt sie so fest heran, daß kein Mensch sie aufmachen kann.«
»Denkst Du?«
»Ja, das liegt doch klar auf der Hand.«
»Mein lieber Gott, so können wir ja gar nicht gerettet werden!«
»O doch, durch ein Loch in der Mauer, welches sie von Außen machen müssen.«
»Ja, das ist wahr. Aber ob sie es auch zur rechten Zeit gewahr werden, daß wir hier stecken!«
»Ich denke, sie wissen es bereits.«
Mittlerweile waren die drei Rächer vom Dache hinabgeklettert. Dobronitsch hatte das Mundstück zugeschraubt und dann wurde der Hahn am Brunnen zugedreht. Jetzt standen sie bei dem Letzteren. Der Bauer war höchst befriedigt über den Streich, welchen er seinen beiden Feinden gespielt hatte. Aber Georg von Adlerhorst fühlte Mitleid mit ihnen.
»Jetzt wird es nahe an Mitternacht sein,« sagte er. »Willst Du sie wirklich bis zum Morgen sitzen lassen?«
»Ich habe große Lust dazu.«
»Es ist aber doch wohl eine Grausamkeit, welche ich Dir nicht gern zugetraut hätte.«
»Meinst Du?«
»Ich. Sie können müde werden und in das Wasser stürzen. Da ist's möglich, daß sie ertrinken.«
»Sie mögen sich in Acht nehmen.«
»Ihre Glieder werden erstarren. Das Wasser geht ihnen, wie wir deutlich gehört haben, bis unter die Arme. Ja, wenn wir es ablaufen lassen könnten, ohne daß sie es bemerken, so wollte ich es mir gefallen lassen.«
»Ja, das wäre ein Spaß! Das Wasser wäre fort und sie säßen noch immer oben auf den Stangen, weil sie denken, daß es noch da ist. Aber wie wollten wir das anfangen?«
»Schwer ist es. Wir müßten eine Pumpe haben.«
»Hm! Geht vielleicht eine kleine Gartenspritze an?«
»Ganz gut. Hast Du eine?«
»Ja, mit einem Wasserzubringer. Da müßten wir wohl den Schlauch in die Räucherei stecken?«
»Ja, zur Feueresse hinein.«
»Das würden sie bemerken, wenn sie zufälliger Weise einmal hinaufgucken.«
»Einen anderen Weg weiß ich nicht. Oder giebt es vielleicht eine andere Oeffnung in der Mauer?«
»Nun ein kleines Loch in der Höhe meines Kopfes, um den Luftzug zu befördern.«
»Ist es groß genug, daß man den Schlauch hindurchstecken kann?«
»Ja, so groß ist es.«
»So hole die Spritze.«
»Sie steht im Gärtchen. Aber sie werden uns vielleicht pumpen hören.«
»Nein, denn wir thun das ja nicht an der Außenwand, sondern hier am Brunnen.«
»Warum hier?«
»Wenn wir dort das Wasser auslaufen ließen, würden sie es morgen früh sehen. Sie dürfen Dir aber nichts beweisen können. Darum pumpen wir das Wasser bis hierher an den Brunnen. Der Schlauch ist ja lang genug.«
Dieser Vorschlag wurde für annehmbar erklärt und der Bauer holte die Spritze, an welche das eine Ende des nun leeren Schlauches geschraubt wurde. Dann begaben sie sich nach der Außenwand der Räucherkammer, in welcher sich das betreffende Loch befand. Es war jetzt verstopft. Dobronitsch öffnete es und schob das andere Ende des Schlauches hinein, so daß es reichlich bis hinab zum Boden reichte.
Als sie nun zum Brunnen zurückkehrten und versuchsweise zu pumpen begannen, lief das Wasser in voller Stärke heraus.
»Das geht herrlich,« meinte Georg.
Alexius Boroda brachte nun beim Weiterpumpen seine Wünsche vor.
»Du warst sehr kühn,« sagte der Bauer, »daß Du es gewagt hast, heute zu kommen. Wie leicht hätte man Dich ergreifen können!«
»Eine Kühnheit war das nicht; die Folge hat das bewiesen. Ein Zobeljäger, welcher während des ganzen Jahres sich im Urwalds befindet, muß noch ganz Anderes wagen. Mein Bote ist bei Dir gewesen, und ich komme nun selbst. Dich um Deine Unterstützung für uns zu bitten.«
»Die habe ich ihm sofort zugesagt und einen sicheren Mann zu dem Engel der Verbannten geschickt.«
»Wird auch dieser sich unserer annehmen?«
»Ganz gewiß.«
»Und wer ist dieser Engel?«
»Die Tochter des Tungusenfürsten Bula, welcher, wie ich überzeugt bin, sofort von Platowa, wo er sich befindet, aufbrechen wird, um nach hier zu kommen. Du wirst unter dem Schutze des Stammes stehen.«
»Aber bedenke, daß ihrer so Viele sind!«
»Das ist in einer Beziehung unangenehm, in der anderen aber kann dieser Umstand gerade auch förderlich sein. Einer solchen Schaar ist es unter Umständen leichter möglich, zu entkommen, als einem Einzelnen. Hast Du vielleicht bereits einen bestimmten Plan ausgesonnen?«
»Nein. Ich habe meinen Scharfsinn bisher nur darauf verwendet, meine Leute sicher bis in diese Gegend zu bringen. Das Weitere wollte ich erst mit Dir und dem Engel besprechen.«
»Ich werde darüber nachdenken. Wie viele Personen bringst Du mit?«
»Gegen zweihundert.«
»Ah, so Etwas ist noch gar nicht dagewesen! Es ist das eine große Verwegenheit von Dir.«
»O, wer da wagt, der gewinnt.«
»Wollen es hoffen. Aber wie ist es Dir gelungen, eine so bedeutende Schaar aus solcher Entfernung unentdeckt bis hierher zu bringen?«
»Das kann freilich nur einem Zobeljäger gelingen. Wir haben bedeutende Umwege machen und jeden bewohnten Ort vermeiden müssen.«
»Und wovon habt Ihr gelebt?«
»Vom Ertrage der Jagd meistentheils. Es sind mehrere gute Jäger dabei, frühere Officiere, welche bereit sind, das Alleräußerste für ihre Freiheit zu wagen.«
»Sie werden Gelegenheit finden, zu beweisen, daß sie Alles wagen. Euer Weg wird nicht über Rosen führen.«
»Wann kann die Tochter des Tungusenfürsten kommen?«
»Gestern ist nach meiner Berechnung mein Bote zu ihr gelangt. Wenn sie sofort aufgebrochen ist, kann sie bereits morgen hier sein. Wo befinden sich Deine Leute?«
»In einem sicheren Versteck, ungefähr sechs Werst von hier, in einem großen Dickicht am Mückenflusse.«
»Es giebt nur ein einziges solches Dickicht. Ich kenne es. Der Ort ist gut. Aber es ist möglich, daß sie dort doch entdeckt werden. Irgend ein umherstreifender Kosak kann sie dort auffinden.«
»Das schadet nichts.«
»Nichts? Ich denke doch!«
»O nein. Der Mann würde ganz einfach ergriffen und unschädlich gemacht.«
»Etwa getödtet?«
»Wenn es sein müßte, ja. Unsere Freiheit geht uns über Alles, aber wir würden nur im Falle der äußersten Noth zur Tödtung eines Menschen schreiten. Bisher haben wir das nicht nöthig gehabt. Kommt ein Unberufener in unsere Nähe, von welchem wir annehmen müssen, daß er uns verrathen werde, so wird er gebunden und an einem Orte niedergelegt, wo sich erwarten läßt, daß man ihn später finden werde. Indessen sind wir bereits so weit fort, daß man uns nicht mehr schaden kann.«
»O nein. Dadurch würden wir zwar schneller vorwärts kommen, aber man würde uns auch desto leichter entdecken. Nur die Frauen, welche sich bei uns befinden, sind zu Pferde und einige der besten Schützen, welche der Jagd obliegen mußten, um uns mit Fleisch zu versorgen. Aber wir können nicht in unserem gegenwärtigen Verstecke bleiben. Wir müssen uns ein anderes suchen. Weißt Du keines?«
»O, ich habe ein sehr gutes.«
»Wo?«
»Auf der hohen Pechtanne, unter welcher Du hier unseren Freund getroffen hast.«
»Auf dieser Tanne? Das könnte doch nur ein Versteck für eine Person oder sehr wenige Leute sein.«
»O nein. Es ist vollständig Raum genug für Deine Zweihundert.«
»Unmöglich.«
»Frage hier unser Freundchen!«
Georg bestätigte es und der Bauer fuhr fort:
»Ich werde Dir nachher dieses prächtige Versteck zeigen und Du wirst Dich außerordentlich darüber wundern. Es kann wirklich kein besseres geben.«
»So bin ich sehr neugierig darauf. Und Du meinst, daß es uns mit Eurer Hilfe gelingen werde, über die Grenze zu kommen?«
»Ich hoffe es zuversichtlich. Was wir thun können, das wird gethan werden. Hier hast Du meine Hand darauf.«
Er gab ihm die Hand, welche Boroda herzlich drückte. Dann sagte der Letztere:
»Hinüber müssen wir. Geht es nicht auf eine andere Weise, so führe ich mein Vorhaben aus, welches mir gleich von allem Anfange an im Sinne gelegen hat.«
»Welches ist das?«
»Es ist kühn, führt aber vielleicht am Besten und Sichersten zum Ziele. Wir sind ihrer so Viele, daß wir uns vor einer Sotnie Kosaken nicht zu fürchten brauchen. Wir suchen uns eine Stanitza, ein befestigtes Lager, in welchem Uniformvorräthe aufbewahrt werden, und überfallen es. In diese Uniformen kleiden wir uns und bemächtigen uns der vorhandenen Pferde. Sodann gelten wir für kaiserliche Kosaken und können in aller Gemüthlichkeit bis in das Gouvernement Orenburg gelangen. Von da geht es durch Turkestan nach Persien, wo wir dann gerettet sind.«
»Dieser Plan ist nicht nur kühn, sondern sogar höchst verwegen.«
»Vielleicht nicht so sehr, wie Du meinst.«
»Ihr müßtet Euch einen schneidigen Anführer wählen.«
»Den haben wir.«
»Wohl Dich selbst?«
»Nein. Hier in Sibirien, im Osten, bin ich wohl der richtige Mann gewesen, aber weiterhin genüge ich nicht mehr. Es ist ein Verbannter bei uns, Major Sendewitsch, welcher in der kaiserlichen Garde gestanden hat. Er spricht persisch und turkmenisch und ist ein kühner und umsichtiger Mann. Ihm würden wir das Commando anvertrauen.«
»Aber er müßte sich legitimiren können.«
»Du meinst, er müßte einen kaiserlichen Ukas haben?«
»Ja, einen Ukas, welcher den Befehl enthält, mit seinen Kosaken nach Orenburg zu reiten. Unterwegs trifft er doch verschiedene Garnisonen, wo er sich zu melden und auszuweisen hat.«
»Solche Orte würden wir vermeiden. Vielleicht würden wir schon hier, das heißt, über die transbaikalische Grenze gehen und durch die Kirgisensteppe reiten. Die Horden der Kirgisen würden uns nichts in den Weg legen und vielmehr unsere Uniformen so respectiren, daß sie uns allen möglichen Vorschub leisten.«
»Dennoch will diese Sache sehr überlegt werden. Sie ist äußerst gefahrvoll.«
»Zunächst will ich hören, was der Engel der Verbannten sagen wird. Es soll mich freuen, wenn sich ein leichterer Weg ausfindig machen läßt und wir uns hier meinem lieben Landsmanne anschließen können.«
»Meine Tochter hat mir erzählt, daß er ein Deutscher ist. Du nennst ihn Deinen Landsmann. Aus welchem Grunde?«
»Weil mein Vater auch ein Deutscher ist.«
»Ah, das freut mich außerordentlich, denn meine Frau ist auch eine Deutsche. Das ist ein Grund mehr für mich, aus allen Kräften für Euch zu sorgen.«
Georg begab sich nach der Giebelseite des Hauses. Er stieg die noch immer dort befindliche Leiter hinan und horchte. Die beiden Männer unten sprachen miteinander. Er hörte Propows Stimme:
»Und kalt ist es, verdammt kalt. Mir ist es ganz so, als ob alle meine Knochen aus gefrorenem Eise bestünden.«
»Meinst Du etwa, daß es mich schwitze! Aber horche einmal! Es giebt wieder ganz dasselbe Geräusch wie vorhin. Was mag das sein?«
Georg hörte unten das Wasser gurgeln. Es wurde nach und nach alle und in Folge dessen trat die Luft mit in den Schlauch. Dadurch wurde dieses Schlürfen verursacht.
»Das kommt daher, daß das Wasser wieder zum Schornstein hereinkommt,« erklärte Sergius.
»Dann sei uns Gott gnädig, wenn es abermals zu steigen beginnt! Höher können wir nicht. Mein Kopf stößt bereits an die Decke.«
Jetzt wurde das Gurgeln noch lauter. Der letzte Rest des Wassers wurde vom Schlauche aufgesogen. Darum stieg Georg eilig von der Leiter und zog den Schlauch aus der Mauer. Als dies geschehen war, stopfte er das Loch wieder zu.
Die beiden Anderen kamen herbei und meldeten, daß trotz allen Pumpens kein Tropfen mehr aus dem Schlauche laufe.
»Weil sich kein Wasser mehr in der Räucherei befindet. Wir sind fertig.«
»Haben die Kerls bemerkt, daß die Ueberschwemmung abgelaufen ist?«
»Nein. Sie denken vielmehr, daß das Wasser immer höher steige.«
»So wollen wir sie bei dieser Ansicht lassen. Sie mögen auf ihren Stangen sitzen bleiben und sich weiter ängstigen. Wir aber wollen Alles entfernen, was uns verrathen könnte, und dann soll unser Freund Boroda sich das Versteck ansehen.«
Die Leiter, die Pumpe und der Schlauch wurden an ihre ursprünglichen Plätze gebracht. Dann holte der Bauer eine kleine Laterne herbei. Diese Letztere brauchte er, weil es noch dunkel war und Boroda die Passage nach der Höhle noch nicht kannte.
Bei der Tanne angekommen, brannte Dobronitsch die Laterne an und die Drei begannen emporzusteigen.
Es braucht natürlich gar nicht gesagt zu werden, daß Boroda's Verwunderung ebenso groß war wie diejenige Georg's, als er in der Höhle herumgeführt wurde. Er fand fast keine Worte, sein Erstaunen auszudrücken, und erklärte, daß das Versteck allerdings seiner ganzen Schaar hinreichenden Platz biete.
»So bin ich zufrieden, wenn es Dir genügt,« sagte der Bauer. »Wann aber gedenkst Du, Deine Leute herzubringen?«
»In der nächsten Nacht.«
»Schön! Aber sei vorsichtig. Nach dem, was jetzt wieder mit dem Wachtmeister geschehen ist, hat sich sein Haß gegen mich verdoppelt und er wird seine Wachsamkeit verzehnfachen. Ich muß sogar gewärtig sein, man legt mir Kosaken in das Haus.«
»Auch diese würde ich nicht fürchten. Ich führe meine Leute bis in die Nähe und schleiche mich dann zunächst allein herbei, um zu recognosciren. Dann werde ich, je nach den gegebenen Umständen, zu handeln wissen. Wann giebst Du die beiden eingewässerten Leute frei?«
»Am Morgen, wie ich bereits gesagt habe.«
»Schade, daß ich nicht so lange hier bleiben kann! Ich möchte gern dabei sein, wenn sie aus ihrer Haft entlassen werden. Wie werden sie aussehen!«
»Schauderhaft natürlich!«
»Ja. Der Ruß, das Wasser, die Kälte und die Angst! Sie werden saubere Figuren bilden. Den Wachtmeister zwingt seine Pflicht, auf uns zu fahnden; daß aber auch dieser Propow den Häscher machen will, verdient eine so exemplarische Strafe. Wirst Du die Deinigen jetzt davon benachrichtigen?«
»Nein. Es ist besser, sie wissen jetzt gar nichts davon, denn auch ich muß mich ganz so stellen, als ob mir diese Sache ganz unbegreiflich sei. Aber daß Du da gewesen bist, das werde ich ihnen sagen, sobald sie aufwachen.«
»Ja, grüße sie von mir!«
»Und nun wollen wir gehen. Ich nehme natürlich an, daß auch Du noch während der Dunkelheit aufbrechen wirst, um von Niemandem gesehen zu werden.«
»Ja. Aber dazu habe ich noch genügend Zeit. Laß mich jetzt noch ein Wenig hier. Ich möchte mich mit meinem Landsmanne noch ein Wenig unterhalten. Es ist so lange Zeit her, daß ich keinen Deutschen getroffen habe.«
»Ganz wie Du willst. Ich weiß den Weg genau und brauche keine Laterne. Ich werde sie Dir hier lassen, damit Du Dich später beim Abstiege ihrer bedienen kannst.«
Er ging. Die beiden Anderen blieben mit einander noch in der Bibliothek sitzen. Sie sprachen zunächst über das wunderbare Versteck, in welchem sie sich befanden, und über das heutabendige Erlebniß. Dabei machte Georg die Bemerkung:
»Also Sie sagten, daß Ihr Vater ein Deutscher sei. Ihre Mutter wohl nicht?«
»Nein. Sie ist eine Russin, oder vielmehr eine Tscherkessin.«
»Das sieht man Ihren Zügen deutlich an. Also sind Sie nicht in Deutschland geboren?«
»Nein, sondern in der Gegend von Tiflis. Mein Vater wanderte als Junggeselle aus und verheirathete sich erst in Rußland.«
»Jedenfalls war er ein Schwabe?«
»Ein Schwabe? Warum?«
»Weil es um jene Zeit eine wahre Völkerwanderung aus Schwaben nach den Gegenden des Kaukasus gab.«
»Das ist richtig. Mein Vater schloß sich einem solchen schwäbischen Wanderzuge an. Er selbst aber war ein Sachse.«
»Ein Sachse? Ach so! Woher?«
»Aus einem kleinen Städtchen im sächsischen Voigtlande. Herlasgrün heißt es.«
Da machte Georg eine rasche Bewegung der Ueberraschung und rief:
»Herlasgrün? Wie? Was? Wunderbar!«
»Warum wunderbar?«
»Weil – weil ich zufälliger Weise dieses Städtchen kenne.«
»Ach so! Ich glaubte nach Ihrem Staunen annehmen zu müssen, daß Sie einen ganz besonderen Grund haben, sich zu wundern. Sie sind also dort in dem Orte gewesen?«
»Nein, doch hörte ich über ihn sprechen. Also Ihr Vater war ein Herr Barth aus Herlasgrün! So, so!«
»Ja, Carl Barth hieß er.«
»Und was war er?«
»Bäcker.«
»Stimmt, stimmt!«
»Was? Stimmt? Wissen Sie Etwas von ihm?«
»Es wurde mir gelegentlich einmal erzählt, daß ein junger Bäcker dieses a name="page538" title="lac/gary" id="page 538"> Namens nach Rußland ausgewandert sei. Er ging wohl mit Familie fort? Mit allen seinen Verwandten?«
»Nein. Er hatte überhaupt keinen Anverwandten weiter als einen Bruder, welcher nach Amerika ging und wohl schon längst verschollen ist.«
»Das ist romantisch. Der eine Bruder in Asien und der andere in Amerika, beide aber aus Herlasgrün in Sachsen. Für so Etwas kann ich mich lebhaft interessiren. Vielleicht hat Ihr amerikanischer Onkel auch so Ungewöhnliches erlebt wie Sie.«
»Sehr leicht möglich, daß es so ist, denn er ist Prairiejäger gewesen, wie er meinem Vater in seinem letzten Briefe geschrieben hat. Dann kam die Verbannung über uns, als ich noch ein schwacher Knabe war, und es hat keinen Brief mehr gegeben, weder von noch nach Amerika. Wenn uns die Flucht gelingt, werde ich mich nach dem guten Onkel Samuel erkundigen.«
»Samuel hat er geheißen?«
»Ja, und Knopfmacher ist er gewesen. Ein Herlasgrüner Knopfmachergesell als Prairiejäger, das ist doch freilich romantisch. Man sollte es ihm gar nicht zutrauen.«
»Warum nicht? Es scheint das im Blute der Familie Barth zu liegen, denn Sie sind ein berühmter Zobeljäger geworden. Uebrigens habe ich kürzlich einen Mann oder vielmehr drei Männer gesehen, welche richtige und echte Prairiejäger sind.«
»Wo?«
»Gar nicht weit von hier, in Platowa, meinem Garnisonsorte, von wo aus ich entwichen bin.«
»Ists möglich? Prairiejäger in Sibirien? In Platowa sogar? Kaum denkbar?«
»Ich traute auch weder meinen Ohren, als ich es hörte, noch meinen Augen, als ich sie sah. Dann aber, als sie anfingen, zu zeigen, wessen Geistes Kinder sie seien, da glaubte ich es freilich sehr gern. Das sind Kerls! Sie machen sich aus dem Kaiser und dem Teufel nichts. Sie sind es übrigens, denen ich bis jetzt meine Freiheit verdanke.«
»Wie? O bitte, das müssen Sie mir erzählen! Ich interessire mich ganz natürlich außerordentlich für Leute, welche Prairiejäger sind. So ein Mann ist vielleicht ein noch ganz anderer Kerl als Unsereiner. Also beschreiben Sie mir diese Leute und erzählen Sie mir, wie Sie mit ihnen zusammengekommen sind!«
»Herzlich gern. Wir haben ja Zeit dazu.«
Er erzählte seine Erlebnisse mit Sam, Jim und Tim, hütete sich aber wohlweißlich, den Namen des Ersteren zu nennen. Als er fertig war, sagte Boroda, welcher mit beinahe athemlosem Interesse zugehört hatte:
»Prachtvolle Kerls! Man könnte sie weiß Gott küssen, alle Drei, besonders aber diesen dicken Kerl. Also sie kommen hierher an den Mückenfluß?«
»Ja. Sie haben es mir versprochen.«
»Das freut mich, freut mich unendlich! Diese Leute muß ich kennen lernen, ihnen muß ich die Hand drücken! Sie wollen Ihnen also auch noch weiter zur Flucht behilflich sein?«
»Ich vermuthe es.«
»So mögen sie nur bald kommen. Nachdem ich Ihre Erzählung gehört habe, kann ich es kaum erwarten, diese prächtigen Leute zu sehen. Der kleine Dicke muß ein Hauptexemplar sein!«
»Ja, das ist er.«
»Ohne alle Furcht, muthig, listig im höchsten Grade, aber dabei doch treu und aufrichtig wie nur Einer!«
»So ist es. Ich habe sie alle Drei schnell und herzlich lieb gewonnen.«
»Wie hießen sie denn?«
»Diese Leute haben die Angewohnheit, sich nur beim Taufnamen nennen zu lassen. Die beiden Langen heißen Jim und Tim.«
»Sonderbare Namen! Jim und Tim! Das klingt so ähnlich, daß man sofort herausmerkt, daß sie Brüder sind. Aber was bedeuten denn diese Namen?«
»Tim ist die Abkürzung von Timotheus und Jim die Zusammenziehung von Benjamin. Ihr Familienname ist Snaker, was im Deutschen ungefähr Schlangler bedeuten würde.«
»Dieser Name paßt für sie. Und wie heißt der Andere, der Dicke?«
»Sam.«
»Was heißt das?«
»Es ist die Abkürzung von Samuel.«
»Samuel? Gerade wie mein Oheim! Und wie ist sein Familienname?«
Georg stellte sich, als ob er diesen vergessen habe. Er gab sich die Miene des Nachdenkens und sagte:
»Ja, wie hieß er nur? Das habe ich wohl gar vergessen.«
»Aber, wie kann man denn so Etwas vergessen!«
»Warum nicht? Das ist doch leicht möglich.«
»Wissen Sie nicht wenigstens, woher er war?«
»Aus Deutschland, und zwar aus Sachsen, wenn ich mich nicht irre.«
»Was Sie sagen! Kennen Sie die Stadt?«
»Er hat sie mir auch gesagt, aber ich habe mir den verdrakten Namen nicht merken können.«
»Schade, jammerschade! Ich dachte schon beinahe – hm, was fällt mir da ein! Das ist ja die reine Unmöglichkeit!«
»Was ists? Was dachten Sie?«
»Eine große Dummheit.«
»Darf ich sie denn nicht erfahren?«
»Sie werden mich auslachen, aber ich dachte in Wirklichkeit, es könnte gar mein Oheim sein.«
»Das wäre allerdings eine Außerordentlichkeit, wie es gar keine größere geben könnte! Leute, welche in einem sächsischen Städtchen geboren und dann nach Rußland und Amerika auseinander gegangen sind, sollen sich ganz plötzlich in Sibirien treffen.«
»Ja, und darum ist es ja gar nicht denkbar. Hat er denn nichts von seinen Verwandten erzählt?«
»Wüßte nicht. Aber auf Eins kann ich mich besinnen, nämlich auf den Grund, aus welchem er die Heimath mit der Fremde vertauscht hat.«
»Ah, das ist wichtig! Das ist äußerst wichtig! Welcher Grund war das denn?«
»Wie so oft – unglückliche Liebe.«
»Sapperment!«
Bei diesem Kraftworte, welches er ausstieß, sprang Boroda von der Bank auf, auf welcher er gesessen hatte.
»Eine unglückliche Liebe! Weiter, weiter! Wissen Sie nichts Näheres über diese Liebe?«
»Ja, diese Liebe hieß Gustel, also Auguste, wenn ich mich nicht ganz irre.«
»Auguste! Ah! Meine Ahnung! Sie hat einen Anderen geheirathet?«
»Ja, und aus Grimm darüber ist er nach Amerika gegangen.«
»Herr, das ist mein Onkel!« schrie er auf.
»Wa– was?« lachte Georg. »Ihr Onkel? Hat der denn auch an einer unglücklichen Liebe laborirt?«
»Ja, an einer unglücklichen Auguste. Wenn Sie nur seinen Namen oder seinen Heimathsort wüßten. Er muß ihn doch gesagt haben!«
»Natürlich hat er ihn gesagt.«
»Und Sie können sich nicht auf ihn besinnen?«
»Vielleicht doch, wenn ich mir Mühe gebe. Wissen Sie, da oben im sächsischen Voigtlande sind die meisten Namen alle grün – Ruppertsgrün, Walthersgrün, Stützengrün, Heinrichsgrün – Her– Her– Sapperment, jetzt liegt es mir auf der Zunge, aber ich bringe es nicht heraus!«
»Wie? Etwa Herlasgrün?«
»Ja, ja, so war es!«
»Mein Gott, diesen Namen habe ich ja vorhin genannt!«
»Herlasgrün? Wohl nicht!«
»O doch! Es ist ja der Geburtsort meines Vaters. Also der Dicke ist auch aus Herlasgrün?«
»Ja, jetzt weiß ich es ganz genau. Und wenn ich mich nicht irre, so war er Knopfmachergeselle und hieß Samuel Barth. Sein Bruder ist als Bäckergeselle nach Rußland gegangen.«
Boroda befand sich in einer leicht erklärlichen Aufregung. Er ergriff Georg beim Arme und rief:
»Aber warum sagten Sie das nicht vorher?«
»Weil ich mich nicht gleich besinnen konnte.
»Oho! Sie sehen mir gar nicht so aus, als ob Sie so vergeßlich seien. Sie haben Alles gewußt und mich nur auf die Folter spannen wollen. Ist es so oder nicht?«
»Na, ich will es Ihnen gestehen. Gleich als Sie mir Ihren Namen und den Heimathsort Ihres Vaters nannten, wußte ich, woran ich war. Ja, Sam Barth, der wackere Prairiejäger, ist Ihr Oheim.«
»Mein Oheim, mein Oheim! Mein Gott, welche Freude! Welch ein großes Glück!«
Er schritt entzückt in der Bibliothek hin und her. Dann ergriff er Georgs beide Hände und fragte:
»Und Sie wissen ganz genau, daß er nach hier, nach dem Mückenflusse kommen wird?«
»Er hat es mir versprochen.«
»So bringt mich keine Macht der Erde von hier fort, bis er hier eingetroffen ist. Mein Oheim ist hier, mein Oheim! Welch ein Ereigniß! Wie wird mein Vater sich freuen und meine Mutter auch!«
»Sie sind Beide mit hier?«
»Ja. Mein Vater ist verbannt, Mutter und ich aber nicht. Mutter ist ihm mit mir freiwillig gefolgt. Als ich dann groß wurde, entschied ich mich für die Zobeljägerei, und als ich mir genug verdient hatte, um die Reisekosten bestreiten zu können, befreite ich den Vater und entfloh mit ihm und der Mutter. Viele Flüchtlinge, welche wir trafen, schlossen sich uns an. Viele wurden unterwegs von uns befreit. Jetzt nun sind wir hier. Das ist mein Lebenslauf, in kurzen Worten erzählt. Wir wollen nach Deutschland. Ob wir es erreichen werden, Gott der Herr allein weiß es. Aber daß ich meinen Oheim finde, hier in Sibirien finde, das scheint mir ein Fingerzeig zu sein, daß unsere Flucht gelingen wird.«
»Ja, denn wie ich Ihren Oheim kenne, wird er eine kräftige Stütze Ihres Vorhabens werden. Ach, wenn ich mir ihn in Ihrer Begleitung denke, wenn man Sie anhalten sollte, der gute Dicke würde die Kerls, die das wagen wollten, andonnern, als ob er der Zaar in eigener Person sei.«
»Ist er wirklich so?«
»Ja, ein prächtiger Kerl.«
»So freue ich mich innig auf unser Wiedersehen. Aber, Herr, Eins müssen Sie mir da versprechen.«
»Nun, was?«
»Ihm nichts zu sagen, daß Sie seinen Neffen getroffen haben. Wollen Sie das?«
»Sehr gern. Sie wollen wohl sehen, ob die Stimme des Herzens bei ihm nicht ganz von selbst anfängt, zu sprechen?«
»Ja.«
»Nun, dann müssen Sie auch mir ein ähnliches Versprechen geben, Herr Barth.«
»Sehr gern. Aber welches denn?«
»Sie dürfen auch Ihren Eltern nichts sagen, daß Sie erwarten, Ihren Oheim zu treffen.«
»Das kann ich wohl kaum versprechen.«
»Sie müssen!«
»Es wird mir beinahe unmöglich sein, dem Vater zu verschweigen, welche Freude ihn jetzt erwartet.«
»Sie müßen sich eben bezwingen. Die Freude und Ueberraschung wird dann ganz gewiß eine desto größere sein.«
»Das glaube ich auch, ja, ich bin überzeugt davon; aber wie gesagt, es wird mir sehr schwer fallen.«
»Aber ich verlange es von Ihnen. Ich habe das Recht, dies zu verlangen, denn ich bin es, von welchem Sie die Botschaft erhalten haben.«
»Nun, wenn Sie mich in dieser Weise anfassen, so muß ich freilich das Versprechen geben.«
»Ihre Hand darauf!«
»Hier! Topp!«
Sie schlugen ein und es schien sich ganz von selbst zu verstehen, daß sie sich noch weiter erzählten von dem, was Georg von Sam Barth wußte und mit ihm gesprochen hatte.
»Aber eine Frage müssen Sie mir erlauben,« sagte Boroda im Laufe des Gespräches. »Sie kennen mich, aber ich kenne Sie noch nicht. Ich weiß nur, daß Sie ein Deutscher sind und Officier waren.«
»Ich heiße Georg von Adlerhorst, bitte Sie aber, den letzteren Namen noch nicht zu nennen und mich nur Georg zu heißen.«
»Haben Sie Grund, Ihren Namen hier in Sibirien nicht nennen zu lassen?«
»Ja. Mein Leben ist ebenso abenteuerlich wie das Ihrige und es giebt darinnen gewisse Punkte, welche jetzt noch nicht berührt werden dürfen.«
Sie saßen noch längere Zeit beisammen, bis Boroda in allem Ernste daran dachte, sich endlich nun auf den Weg zu machen. Georg begleitete ihn hinaus und da bemerkten sie zu ihrer Ueberraschung, daß der Tag bereits angebrochen war.
»Sapperment! Da habe ich mich freilich verspätet!« sagte Boroda. »Das ist mir unlieb.«
»Nun können Sie wohl gar nicht fort?«
»Ich muß!«
»Aber man wird Sie sehen!«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Noch ist es so sehr früh am Tage, daß Alles noch schläft.«
»Hier, ja. Aber je weiter Sie gehen, desto später wird es, und dann werden Sie unterwegs ganz sicher Menschen begegnen.«
»Ich weiche ihnen aus.«
»Das läßt sich nicht allemal thun.«
»O doch. Ich bin ja gestern auch am hellen Tage hier gewesen, ohne daß mir Etwas geschehen ist.«
»Aber der Wachtmeister hat Sie doch fangen wollen.«
»Es ist ihm nicht geglückt. Haben Sie keine Sorge um mich! Bin ich einmal erst bei meinem Pferde, so befinde ich mich in Sicherheit.«
»So wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen, daß Sie glücklich bei den Ihrigen ankommen mögen. Ich wollte, ich könnte mit, um Ihnen vielleicht dienlich sein zu können.«
»Danke! Bleiben Sie lieber in Ihrem Versteck. Man soll das Unglück nicht herausfordern. Jetzt aber leben Sie wohl, lieber Freund. Auf Wiedersehen in nächster Nacht.«
»Auf Wiedersehen!«
Georg trat in die Höhle zurück und Boroda stieg an der Pechtanne hinab.
Als er unten anlangte und unter dem Schutze des Baumes hervortrat, bemerkte er erst, wie hell es bereits war. Doch gar so spät war es nicht. Es mochte eine halbe Stunde nach Tagesanbruch sein.
Er schlich sich vorwärts, nach dem Hofe zu. Er wollte nicht eher von hier fortgehen, als bis er wußte, ob sich die Folgen des nächtlichen Abenteuers bereits bemerkbar gemacht hätten.
Er gelangte an den Brunnen. Es gab von da bis hin zum Hause keine Spur, daß die Spritze und der Schlauch hier in Thätigkeit gewesen seien. Die beiden Fensterflügel des Stübchens waren noch angelehnt. Brod und Speck lagen noch da, und der Branntwein stand dabei. Es war klar, daß noch Alles schlief und daß der fromme Nachbar und der Kosakenwachtmeister sich noch in der Räucherkammer befanden.
Aber wo war der Bauer?
Boroda huschte nach der Giebelseite, um nach dem Fenster von Peter Dobronitsch zu blicken. Es war zu. Der Bauer hatte sich nach seinem Stübchen begeben und war ganz gegen seine Absicht eingeschlafen.
Da hörte Boroda eine wunderliebliche Frauenstimme. Sie erklang hinter dem Hause, und er verstand ganz deutlich die gesungenen Strophen:
»O komm, Geliebter, kehre wieder!
Was that ich Dir, daß Du entfloh'n?
O komm, Dich rufen meine Lieder;
Gieb mir nicht Tod zum Minnelohn!
Noch gestern kämpft in Ahnungsbangen
Mein Herz; es bangte ihm nach Dir.
Du sahest nicht die feuchten Wangen;
O komm zurück, o komm zu mir!«
Er kannte diese Stimme. Er hatte sie ja gestern gehört, als er lauschend hinter dem Gesträuch des Brunnens stand. Er schlüpfte bis hin zur Ecke und blickte um dieselbe. Mila stand im Gärtchen hinter dem Hause. Sie pflückte sich einen Morgenstrauß und sang dazu:
»Ich möchte Deinen Worten lauschen.
Der holden Liebe süßem Ton.
Wir werden nie sie kosend tauschen:
Sie sind aus immer hingeflohn.
O, möcht ich Dich noch lächelnd schauen;
Ich fühle mich so wohl bei Dir.
Dir weiht ich Liebe und Vertrauen;
O komm zurück, o komm zu mir!«
Sie betrachtete die Blumen mit schwermüthigem Blicke. An wen dachte sie? Wer war es, den sie mit diesem sehnsuchtsvollen Liede meinte? Sie war so schön, so morgenfrisch wie die Blumen, welche sie in den Händen hielt. Aber auf ihrem lieben Gesichtchen lag es wie Trauer und ungestilltes Verlangen. Sie sang:
»O komm! Die seligsten der Tage,
Sie strahlen dann im Morgenlicht.
Weiht ich nicht meine Liebe, sage.
Weiht ich Dir meine Seele nicht?
Wenn Kummer Deinen Blick getrübet,
Theil ich gern Deinen Schmerz mit Dir.
Kein Herz so treu wie meins Dich liebet.
O komm zurück, o komm zu mir!«
Sie schlang den Arm um den Stamm eines Baumes, lehnte das Köpfchen an denselben und blickte nach Osten, wo eine bleiche Röthe verkündete, daß die Sonne zum Horizonte emporsteigen wolle. Wen suchte sie dort? Wollte sie nur das Gestirn des Tages schauen? Galt nur diesem der Ruf! O komm zurück, o komm zu mir? Oder dachte sie an etwas Anderes, an Jemand, der – ja der sich nicht dort im Osten befand, sondern ganz in ihrer Nähe stand?
Boroda that einige schnelle Schritte und trat hinter ein Strauchwerk, welches ihn vor ihren und auch vor jeden andern Blicken verbarg. Er wollte ihr antworten. Aber durfte er das? Befand er sich nicht in größter Gefahr? Aber die beiden Feinde waren in der Räucherkammer eingesperrt, und weiter war ja Niemand zu fürchten. Boroda erhob seine Stimme und sang in jenen schmelzenden Tönen, welche nur wenigen Kehlen verliehen sind:
»Wenn Dich in wehmuthsvollem Sehnen
Getrennter Liebe Gram besiegt
Und Dir in hoffnungslosem Wähnen
Dein Glück in weiter Ferne liegt.
Was ists, was dann des Herzens Sehnsucht heilt?
Ein Blick dorthin, wo der Geliebte weilt.«
Boroda sah, daß sie beim Klange der ersten Worte erschrocken zusammenzuckte. Dann aber ging ein Schimmer der Freude über ihr rosiges Angesicht. Er sang weiter:
»Wenn Dich der Taumelkelch der Freude
Geleert beim lärmenvollen Fest,
Die Heiligkeit geschworner Eide
Secundenlang vergessen läßt.
Was ists, was ferne Herzen dann vereint?
Ein Blick dorthin, wo der Geliebte weint.«
Ihr Gesicht nahm jetzt einen ganz anderen Ausdruck an. Der Zug der Freude verschwand aus demselben. Sie schien daran zu denken, was Derjenige, den sie sogleich an seiner Stimme erkannte, wagte, wenn er hier sang. Er aber fuhr unbeirrt fort:
»Wenn finstre Stunden ohne Segen
Dir ungegrüßt vorübergehn,
Und auf des Lebens Dornenwegen
Dir keine Freudenblumen stehn,
Was ists, was mächtig Deinen Busen hebt?
Ein Blick dorthin, wo der Geliebte lebt.«<(em>
Boroda besaß eine prachtvolle Stimme. Er dämpfte ihre Mächtigkeit zu süßem, leisem Wohllaute. Ihm hörte man es nicht an, wie schwer es ist, ein Lied ohne alle Begleitung zur Zufriedenheit der Zuhörer zu singen. Er schloß mit der letzten Strophe:
»Wenn Deiner Liebe Wonneblüthen
Lebens grauser Sturm verweht
Und da, wo tausend Sonnen glühten.
Der letzte Schimmer untergeht,
Was tröstet Dich, wenn hier Dein Glück zerfällt?
Der frohe Blick in eine bessre Welt.«
Und nun trat er unter den Sträuchern hervor auf sie zu. Eine glühende Röthe bedeckte ihre Wangen, als sie ihn kommen sah.
»Mila, bist Du über mich erschrocken?« fragte er.
»Ja, gar sehr,« gestand sie.
»Warum? Bin ich ein so schlimmer Gesell, daß man über mich erschrecken muß?«
»O nein. Nicht darüber, daß Du es bist, bin ich erschrocken, sondern darüber, daß Du Dich hier befindest.«
»Warum darüber?«
»Ahnst Du denn nicht die Gefahr, welche hier auf Dich lauert?«
»O, die kenne ich so gut, daß ich ganz genau weiß, daß ich sie nicht zu fürchten brauche.«
»Nein, da kennst Du sie nicht. Der Wachtmeister ist schrecklich!«
Er lachte fröhlich auf.
»Mila, da hast Du Recht, er ist schrecklich. Wenn Du ihn nachher erblickst, wirst Du sehen, daß er noch schrecklicher ist, als Du gedacht hast.«
»Weißt Du denn, daß ich ihn erblicken werde?«
»Ja, denn er befindet sich ganz in der Nähe.«
»Ich weiß nicht, ob ich es verrathen darf; aber frage Deinen Vater; der weiß es ebenso gut wie ich und wird ihn Dir zeigen.«
»Das klingt wie eine Heimlichkeit!«
»Es ist auch eine, und zwar eine sehr köstliche, mein liebes Schwesterchen.«
»Und es scheint, daß Du mit meinem Väterchen gesprochen habest?«
»Ja, und zwar heut Nacht. Du wirst aber davon keinem Menschen etwas sagen. Nicht wahr, Mila?«
»Kein Wort. Aber hätte ich gewußt, daß Du hier warst, so hätte ich keinen Augenblick schlafen können.«
»So besorgt bist Du um mich?«
Er blickte sie mit einem eigenthümlichen Ausdrucke an. Sie senkte die Wimpern und antwortete verlegen:
»Wir sind um jeden Flüchtigen besorgt, so lange er sich in Gefahr befindet.«
»Aber wohl um den Einen mehr als um den Andern?«
»Nein. Es müssen uns Alle gleich lieb sein.«
»Das ist recht. Wußtest Du vorhin, als ich zu singen begann, wer der Sänger war?«
»Ja. Ich erkannte Deine Stimme sofort.«
»Ich die Deinige auch, als ich sie von Weitem hörte. Ich möcht so gern etwas wissen
»Was?«
»Hast Du an eine bestimmte Person gedacht, als Du dieses schöne Lied sangst?«
»Nein,« antwortete sie erröthend.
»O komm zurück, o komm zu mir! So lautete es. Ich dachte mir, daß es Einen gebe dessen Wiederkehr Du Dir wünschest.«
»Es giebt – keinen.«
»Wirklich nicht? Hast Du keinen, keinen Menschen, von dem Du wünschest, daß er kommen und für immer bei Dir bleiben möge?«
»Nein.«
»So bist – – –«
Er hielt inne, denn er wurde gestört. Um die Ecke des Hauses trat Peter Dobronitsch. Als er die Beiden erblickte, drohte er mit dem Finger und sagte in ernstem Tone:
»Um Gotteswillen, was fällt Euch ein! Ich denke, Du bist längst fort.«
»Ich hatte mich verspätet. Zürnest Du mir?«
»Natürlich!«
»Weshalb?«
»Weshalb? fragest Du auch noch! Die Ursache ist ja ganz und gar selbstverständlich!«
»Das finde ich nicht. Zürnest Du mir etwa darüber, daß ich mit Deinem Töchterchen spreche?«
»Nein, sondern darüber, daß Du Dich noch hier befindest. Du könntest weit fort sein.«
»Desto mehr werde ich mich nun beeilen.«
»Und gar gesungen hast Du!«
»O,« lachte Boroda, »der Morgen ist so schön, und ich bin ja ein Sänger, wie Du weißt!«
»Aber wenn die Lerche singt, macht sie den Raubvogel auf sich aufmerksam, verstanden!«
»Den fürchte ich nicht, denn mit einer Lerche ist Boroda, der Zobeljäger, nicht zu vergleichen.«
»Und trotzdem ist die Gefahr groß, nicht nur für Dich, sondern auch für mich. Du weißt ja, daß man mich gern mit Dir zusammentreffen will.«
»Das werden wir zu verhüten wissen!«
»Selbst Du bist nicht allmächtig. Es steht nicht Alles in Deiner Hand. Nun es so hell geworden ist, möchte ich Dich gar nicht fort lassen.«
»Ich muß fort.«
»So hättest Du Dich nicht so verspäten sollen. Man wird Dich unterwegs sehen.«
»Ich werde dafür sorgen, daß dies nicht geschieht.«
Mila legte ihr Händchen an seinen Arm und bat:
»Bleibe hier! Da bist Du in Sicherheit.«
»Liebes Schwesterchen, ich darf nicht hier bleiben. Es warten Viele auf mich, welche sich sehr um mich sorgen würden, wenn ich nicht käme.«
Und dem Bauer die Hand gebend, fuhr er fort:
»Wenn ich Dich erzürnt habe, so muß ich Dich um Verzeihung bitten. Wo kann ich Dich heut um Mitternacht sehen?«
»An der Pechtanne.«
»Gut! Da kannst Du mich erwarten. Lebe wohl, Väterchen; lebe wohl, Schwesterchen!«
Er ging und verschwand hinter der Hecke, welche den kleinen Garten einfaßte.
»War er schon längst bei Dir?« fragte der Bauer.
»Nein. Er war gleich erst zu mir getreten.«
»Er ist zu verwegen! Hier am hellen Morgen zu singen! Wenn das ein Kosak gehört hätte, so wäre es um ihn geschehen gewesen.«
»Aber der Wachtmeister ist ja da!«
»Hat er Dir das gesagt, und weißt Du auch wo er sich befindet?«
»Nein. Er hat mich an Dich gewiesen, als ich fragte.«
»Das war Recht. Höre, Kindchen, Du darfst nichts wissen, gar nichts, weder jetzt noch später. Du wirst den Wachtmeister sehen und noch Einen; aber Du darfst nicht ahnen, durch wessen Schuld sie – – ah, horch! Ich höre Pferde kommen. Laß sehen, wer es ist.«
Er eilte nach der vorderen Front des Hauses. Da hielten zwölf Reiter, welche mehrere hoch beladene Packpferde bei sich hatten. Einer derselben, welcher abseits von den Anderen hielt und der Anführer zu sein schien, fragte:
»Wem gehört dieses Haus?«
»Mir,« antwortete der Bauer.
»Wie ist Dein Name?«
»Peter Dobronitsch.«
»So sind wir richtig. Du bist mir empfohlen. Wirst Du uns erlauben, bei Dir ein Wenig auszuruhen? Wir sind die ganze Nacht geritten.«
»In Gottes Namen. Sagt, was Ihr essen und trinken wollt, so werdet Ihr es bekommen, falls ich es habe.«
»Hafer für unsere Pferde, Fleisch und Brod für uns. Das ist Alles.«
Jetzt kam auch Mila von hinten herbei. Der Mann sah sie. Seine dunklen Augen glühten verlangend auf, als sie auf der Gestalt des schönen Mädchens ruhten.
»Peter Dobronitsch, wer ist Diese?« fragte er.
»Mila, mein Töchterchen.«
»Hat sie einen Geliebten?«
»Nein.«
»So biete ich mich ihr an. Komm her, mein Seelchen, und gieb mir ein Küßchen!«
Er sprang vom Pferde und eilte auf sie zu. Er wollte sie umfassen, sie aber trat schnell zur Seite und entfloh. Nun wollte er ihr nacheilen, aber ihr Vater ergriff ihn beim Arme und sagte:
»Brüderchen, laß sie gehen! Sie ist nicht für Dich.«
»Nicht? Warum?« fragte er höhnisch.
»Das kannst Du Dir denken. Nun sage mir Deinen Namen! Den meinigen weißt Du?«
»Ich bin Peter Lomonow aus Orenburg. Ich denke. Du wirst meinen Namen kennen?«
»Ich habe ihn noch nie gehört.«
»Ich bin einer der reichsten Kaufleute in Orenburg und will auf die Zobeljagd. Darum habe ich mir diese Diener angeschafft, welche mich begleiten.«
Der Bauer ließ seinen Blick über die Anderen gleiten, blieb mit diesem Blicke besonders an Einem haften und sagte lächelnd:
»Das sind Diener? Du hast Dich wohl versprochen.«
»Wie so?«
»Ihr steht wohl Einer so hoch wie der Andere?«
»Oho!«
»Jedenfalls. Du giebst ihnen Dein Geld, und sie geben Dir ihre Zeit und Erfahrung. Wenigstens diesen Mann da kenne ich so genau, daß ich weiß, er wird sich niemals den Diener eines Kaufmannes nennen lassen.«
»So! Wer ist er denn?«
»Er ist der berühmte Zobelfänger Nummer Fünf. Er war oft bei mir, wir sind sehr gute Freunde, und Du magst ihn nur um Verzeihung bitten daß Du ihn mit dem Worte Diener beleidigt hast.«
Dieser sogenannte Kaufmann Lomonow war der einstige Derwisch, und Nummer Fünf war der verbannte Maharadscha, der Vater Semowa's.
Der Maharadscha hatte still und bewegungslos auf seinem Pferde gesessen und bei dem Worte Diener mit keiner Miene gezuckt; aber sein Auge hatte zornig aufgeleuchtet. Er sagte auch jetzt noch nichts und that so, als ob die Worte ihn gar nichts angingen.
»Pah!« lachte der Kaufmann auf. »Ich bezahle sie, folglich sind sie meine Diener. Das können sie mir gar nicht übel nehmen. Sie mögen sich hier lagern. Bringe ihnen heraus, was Du zu essen hast, auch Schnaps dazu. Für mich aber wirst Du ein Zimmer bereiten, daß ich mich ausruhen kann.«
Der Bauer machte ein sehr erstauntes Gesicht und sagte:
»Ein Zimmer bereiten? Mein Haus ist kein Gasthof, Peter Lomonow.«
»Aber ich hoffe, daß Du ein gastfreundlicher Mann sein wirst!«
»Der bin ich, wenn man mich bittet. Befehlen lasse ich mir nichts! Willst Du Dich ausruhen, so ist hier im Grase bei Deinen Kameraden Platz genug. Da setz Dich nieder; da ists weich!«
Er ging in das Haus. Aber als er sich bereits unter der Thür befand, kam ihm ein Gedanke. Er drehte sich um und sagte:
»Hier habe ich ein kleines Stübchen, welches ich Dir geben kann, wenn es Dir behagt. Ein anderes aber habe ich nicht.«
»Wo ist es?«
»Hier neben dem Hausflur. Komm, und siehe es Dir an!«
Der Kaufmann folgte dieser Aufforderung, während seine Begleiter sich in einem Kreise in das Gras setzten, nachdem sie von ihren Pferden gestiegen waren.
Die Last der Packpferde bestand meist aus Fallen für Zobel und andere jagdbare Pelzthiere, welche man nicht schießt, sondern in Fallen fängt, um ihre Felle zu schonen. Auch diesen Pferden wurden ihre Lasten abgenommen, ein sicheres Zeichen, daß der Kaufmann beabsichtigte, hier nicht nur für eine Viertel- oder halbe Stunde der Ruhe zu pflegen.
Dieser Umstand mußte befremdlich erscheinen, da das Haus ja ein Privat- und nicht ein offenes Einkehrhaus war und der Besitzer den Kaufmann keineswegs zum Kommen oder gar zum längeren Verweilen eingeladen hatte.
Die Zobeljäger waren dieselben, welche der Kaufmann oder vielmehr der einstige Derwisch unter dem Befehle des Maharadscha engagirt hatte. Sie flüsterten leise mit einander und zeigten keinesweges sehr freundliche Gesichter. Vielleicht hatten sie schon bisher mit dem Kaufmanne Erfahrungen gemacht, welche ihnen nicht lieb waren.
Dieser Letztere war, wie bereits erwähnt, mit Peter Dobronitsch in das Haus gegangen. Dort öffnete der Bauer das Parterrestübchen, an welches die Räucherkammer stieß, und zeigte ihm dasselbe als dasjenige, welches er ihm zur Benutzung überlassen könne.
Der Derwisch betrachtete es sich und sagte in sehr unzufriedenem Tone:
»Hier soll ich bleiben, hier?«
»Wer redet denn vom Bleiben?«
»Ich. Ich erwarte doch, daß ich bei Dir so lange bleiben kann, wie ich will!«
Peter betrachtete ihn mit einem Blicke, welcher deutlich sagte, daß er an ihm keinen großen Wohlgefallen finde, und sagte:
»Ich habe Dir bereits mitgetheilt, daß mein Haus ein Privathaus ist. Ich halte keine Herberge für Jedermann.«
»Ich bin aber doch nicht Jedermann!«
»O doch, denn unter Jedermann verstehe ich natürlich Jeden, der nicht zu meiner Familie gehört.«
»Aber, Mann, Du bist ja unhöflich!«
»Nein. Unhöflich ist Derjenige, welcher sich ohne Einladung und Erlaubniß einem Andern aufdringt.«
»Nun, aufdringen will ich mich Dir freilich nicht. Es ist wohl einem Jeden eine Ehre, wenn ich zu ihm komme.«
»Du brauchst nur einige Werst weiter zu reiten, so kommst Du zur Stadt, wo Du Häuser findest, welche für Jeden offen sind.«
»Nach der Stadt will ich aber nicht; deshalb erlaube mir wenigstens, daß ich mich für kurze Zeit hier ausruhen kann!«
»Dagegen will ich nichts haben.«
»Aber hast Du denn keine andere Stube für mich?«
»Leider nein. Du wirst fürlieb nehmen müssen.«
»Hm! Ein Tisch und zwei hölzerne Stühle! Das ist wirklich ein sehr frugales Möblement.«
»Ich habe es nicht anders. Wir sind keine seidenen Polster gewöhnt, hier im fernen Osten.«
»Man kann sich ja nicht einmal ausstrecken!«
»O ja, auf der Diele.«
»Mensch, willst Du mich foppen?«
»O nein. Aber wenn Du Dich ausstrecken und nicht die Diele dazu benutzen willst, so mußt Du hinaus in das Gras gehen. Da kannst Du Dirs nach allen Himmelsgegenden bequem machen.«
»Fällt mir nicht ein! Wo meine Diener campiren, dahin kann ich mich nicht legen.«
»Nun, so kann ich Dir nicht helfen.«
»Du willst nur nicht. So bin ich also gezwungen, hier in dieser Kammer zu bleiben.«
»Das konntest Du, ohne vorher mein Haus zu tadeln.«
»Dein Haus scheint grad so zu sein wie Du, nämlich ungastlich im höchstem Grade. Was ist aber denn da drin?«
Er zeigte auf die kleine, eisenbeschlagene Thür.
»Die Räucherkammer,« antwortete Peter.
»Darf man ein Mal hineinschauen?«
»Warum nicht!«
»Brauchst keine Angst zu haben. Ich stehle Dir keine Wurst und auch keinen Schinken.«
»O,« lachte Peter anzüglich, »da habe ich keine Sorge. Es kann ein jeder Spitzbube hineinschauen, denn es ist nichts drin.«
»Donnerwetter!« fuhr der Derwisch auf. »Soll das etwa gar mir gelten!«
»Ja, denn ich muß Dir doch antworten.«
»So rechnest Du mich also unter die Spitzbuben?«
»Ist mir nicht eingefallen!«
»Dem Wortlaut nach kann ich nicht anders denken.«
»Wir Bauern legen nicht jeden Ausdruck auf die Goldwage. Weißt Du das vielleicht noch nicht?«
»Peter Dobronitsch, Du scheinst mir ein sehr obstinater Kerl zu sein. Das werde ich mir merken!«
»Merke es! Ich habe nichts dagegen.«
»O, es kann Dir unter Umständen viel schaden!«
»Möchte wissen, wie!«
»Sei froh, wenn Du es nicht erfährst. Aber hineinschauen muß ich doch einmal. Also!«
Er schob den Riegel zurück, machte die Thür auf und sah hinein. Sofort fuhr er zurück.
»Alle guten Geister!« schrie er.
»Was ist denn?«
»Es sind zwei Teufel drin!«
»Unsinn! Woher sollen die Teufels kommen?«
»Ich weiß nicht, aber gesehen habe ich sie.«
»Mache mir nichts weiß!«
»Oho! Meinen Augen kann ich trauen!«
»Wie sehen sie denn aus?«
»Kohlschwarz und hocken wie die Affen auf der Stange.«
Peter Dobronitsch lachte laut auf.
»Zwei Teufels, welche wie Affen auf Stangen hocken! So etwas hat mir in meinem ganzen Leben noch Niemand gesagt!«
»So guck doch hinein!«
»Fällt mir nicht ein!«
»So will ich selbst noch einmal aufmachen, um sie Dir zu zeigen. Paß einmal auf!«
Er machte die Thür nochmals auf. Jetzt trat auch Peter hin und schaute hinein. Da saßen die beiden Menschen oben auf den Stangen und boten einen schauderhaften Anblick. Das Wasser hatte sich mit Ruß vermischt und denselben auf die beiden Gestalten abgesetzt, wo er fest kleben geblieben war. Ihre Kleider, Hände und Gesichter sahen ganz schwarz aus. Dazu zogen sie ganz unbeschreibliche Grimassen. Man konnte unmöglich sehen, ob das aus Schmerz, Angst, Zorn oder Hohn geschah, aber schrecklich sah es aus. Sie bewegten sich nicht von der Stelle.
Dem Derwisch war es keineswegs ganz wohl beim Anblicke der beiden Gestalten. Er wußte nicht, was er aus ihnen machen sollte.
»Nun, siehst Du sie?« fragte er.
Peter machte ein höchst entsetztes Gesicht, schlug drei Kreuze und schrie aus vollem Halses
»Zwei Teufels, ja, es sind zwei Teufels!«
Er warf die Thür zu, schob den Riegel vor und eilte zur Stube hinaus, der Derwisch hinter ihm her. Der Letztere hatte nun auch Angst bekommen. Die beiden Fratzen hatten zu schrecklich ausgesehen.
»Helft, helft!« rief er, als er hinaus vor das Haus kam. »Der Teufel ist da!«
Die Zobeljäger sprangen alle auf.
»Der Teufel, der Teufel!« riefen sie wirr durch einander. »Wo denn, wo?«
Sie waren mit Ausnahme des Maharadscha, welcher sehr ruhig sitzen geblieben war, griechisch katholische Christen. Sie waren gewöhnt, die Lehren ihrer Popen als Evangelium zu nehmen, und glaubten Alle, daß es einen Teufel gebe.
»Drin in der Räucherkammer.«
»Herrgott! Ists wahr?«
»Ja. Es sind zwei. Ich habe sie gesehen.«
Alle schlugen ihre Kreuze.
»Ja,« rief Peter Dobronitsch, »auch ich habe sie gesehen. Helft mir! Helft mir, sie auszutreiben!«
Aber den Leuten fiel es gar nicht ein, hineinzugehen. Mit dem Teufel wollten sie gar nichts zu thun haben.
Da, in diesem Augenblicke ließ sich lautes Pferdegetrappel vernehmen. Eine Schaar von Kosaken kam von der Gegend des Flusses her angesprengt. Es waren dreißig Mann mit einem Oberlieutenant und einem Civilisten. Sie ritten herbei bis beinahe an die Thür, und als sie da halten blieben, fragte der Civilist:
»Wer wohnt hier?«
»Ich,« antwortete der Bauer.
»Wie heißest Du?«
»Peter Dobronitsch.«
»Ich bin der Graf Alexei Polikeff. Verstanden?«
»Ja.«
»Wir suchen einen Kosaken, einen Verbannten, welcher aus Platowa entflohen ist. Ist vielleicht so ein Kerl hier vorübergekommen?«
»Nein.«
Als der Graf seinen Namen nannte, waren zwei der Anwesenden überrascht zusammengefahren, nämlich der Derwisch und der Zobeljäger Nummer Fünf. Der Graf bemerkte das nicht. Er achtete gar nicht auf Beide.
Der Zobeljäger, nämlich der Maharadscha, welcher ruhig am Boden gesessen hatte, machte eine Bewegung zur Seite und warf einen scharfen, musternden Blick auf den Grafen. Sodann drehte er sich wieder um, um sein Gesicht nicht sehen zu lassen.
»Wirklich nicht?« fragte der Graf.
»Nein.«
»Wenn Du die Wahrheit verschweigst, wirst Du die Knute bekommen, Bauer!«
»Was ich sage, ist wahr!«
»Wir werden bei Dir aussuchen.«
»Wer? Etwa Du?« fragte Dobronitsch, indem er seine Brauen finster zusammenzog.
»Ja, ich!«
»So! Versuche es einmal, wenn Du riskiren willst, von mir hinausgeworfen zu werden!«
Da sprang der Graf vom Pferde, trat hart an ihn heran und sagte in drohendem Tone:
»Hallunke! Was fällt Dir ein?«
Da erhob Peter die Hand und antwortete mit Donnerstimme, so daß der Graf zurückfuhr:
»Wie nennst Du mich? Einen Hallunken? Sage noch ein einziges solches Wort, so ohrfeige ich Dich, daß Dir alle Deine Gedanken vergehen! Mit so einem unverschämten Flegel wird hier bei uns keine Sache gemacht. Fort von mir, Kerl!«
Er gab dem Grafen einen Fauststoß, daß dieser einige Schritte weit fortflog.
»Hund!« schrie der Getroffene. »Das sollst Du mir büßen! Drauf auf ihn.«
Diese Aufforderung war an die Kosaken gerichtet! Sie stiegen ab, folgten aber dem Befehle nicht sofort, sondern hielten ihre Blicke fragend auf den Oberlieutenant gerichtet.
Peter Dobronitsch fürchtete sich nicht. Er eilte an die Hausthür und rief zu derselben hinein:
»Knechte herbei! Zu den Waffen! Mila, meine Gewehre!«
»Hört Ihr es?« fragte der Graf die Kosaken. »Er will sich uns bewaffnet entgegenstellen! Ergreift und bindet ihn! Die Knute soll ihm lehren, daß er zu gehorchen hat!«
Der Oberlieutenant hatte sich jetzt entschlossen, der Aufforderung des Grafen Folge zu leisten. Er zog den Säbel und befahl:
»Folgt mir!«
*