Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

107

»Ich mußte herab,« antwortete sie, »denn die Herrschaften sind gekommen.«

»Ah, schon! Wo befinden sie sich?«

»Draußen im Hofe, wo sie auf Dich warten; ich soll Dich holen.«

»Kann man sie von hier aus sehen?«

»Ja, Alle.«

»So steige hinauf und hole mir die zweite Laterne herab, welche an der Wand hängt! Diese hier muß ich den beiden Herren lassen.«

Während sie nach oben ging, begab sich der Castellan nach der Thür und schaute vorsichtig hinaus.

»Kommen Sie her,« rief er den Beiden zu. »Jetzt haben Sie die beste Gelegenheit, die ganze Gesellschaft beisammen zu sehen.«

Sie begaben sich zu ihm und erblickten nun Steinbach mit seiner ganzen Begleitung. Die Herrschaften standen beisammen und schienen in einer launigen Unterhaltung begriffen zu sein.

»Dort, dort ist er, der Hallunke!« sagte der Pascha. »Endlich habe ich diesen Kerl, an welchem ich mich mit wahrer Wonne rächen werde.«

»Schade, jammerschade, daß wir es ihm nicht in das Gesicht hineinjubeln können!« stimmte der Derwisch bei.

»Das thun wir schon noch, da unten durch die Thür der Brunnenstube. Wie wohlgemuth sie sind! Ah, wenn sie ahnten, was ihnen bevorsteht! Siehst Du den langen Kerl, den Engländer?«

»Ja. Auch er muß mit hinab! Der Kerl hat uns damals in Constantinopel viel zu schaffen gemacht.«

»Das möchte noch gehen. Aber hier hat er mich blamirt und auf das Tödtlichste beleidigt. Nun wollen wir sehen, ob ich wirklich nicht satisfactionsfähig bin. Das Herz könnte mir vor Freude zerspringen, wenn ich diese ganze Gesellschaft beisammen sehe. Wer mag nur die ältere Frau sein, welche sich bei ihnen befindet?«

Der Derwisch betrachtete die Betreffende mit scharfen Augen, fuhr sich einige Male mit der Hand über das Gesicht, als ob er von dort einen Schleier zu entfernen habe, und sagte dann:

»Wie ist mir denn! Sehe ich recht? Das ist doch wohl nicht gut möglich!«

»Was denn?«

»Hm! Sollte ich mich so sehr geirrt haben! Sie lebt noch! Sie ist uns entgangen! Wir haben nicht ihr, sondern einer Anderen die Zunge aus dem Munde geschnitten! Ah, ja, ich besinne mich! Ich sah diese Person ja drüben in Amerika, im Thale des Todes. Sie ist – ist – ist – rathen Sie einmal!«

»Ich rathe nichts.«

»Was? Nicht? Und doch haben Sie sie so sehr gut gekannt! Und doch haben Sie sie so sehr lieb gehabt, daß Sie – ah bah!«

»Ich, diese Frau lieb gehabt?«

»Ja. Sehen Sie denn nicht die Aehnlichkeit zwischen ihr und ihren Kindern, diesen verdammten Adlerhorst's?«

»Alle Teufel! Meinst Du etwa, daß sie –«

Der Gedanke war ihm so überraschend, daß er die Frage nur halb aussprach.

»Ja, ja!« nickte der Derwisch.

»Sie soll die Mutter sein – Anna von Adlerhorst?«

»Ja, sie ist es.«

»Ah! Du kannst Recht haben. Wie hat sie sich verändert!«

»Ist das ein Wunder? Die Jahre verjüngen und verschönern den Menschen nicht und sehr gut gegangen wird es ihr wohl auch nicht sein.«

»Hoffentlich! Dieses Weib hat mir viel, sehr viel Schaden gemacht. Nun soll sie aber auch mit hinab in die Grube oder vielmehr in den Brunnen fahren!«

In dieser Weise machten die Beiden ihre Bemerkung über jede einzelne Person, bis die Polizistin mit der Laterne kam.

»Soll ich mitgehen oder zurückbleiben?« fragte sie.

»Ganz wie Du willst,« antwortete ihr vermeintlicher Oheim.

»Ich möchte freilich gern dabei sein, wenn sie verschwinden.«

»Das geht nicht. Du kannst doch nicht mit ihnen gehen, sonst könnte leicht der Fall eintreten, daß Du mit ihnen verschwindest.«

»Das wünsche ich freilich nicht. Aber ich könnte mich doch wohl diesen beiden Herren anschließen, wenn sie es mir erlauben.«

»Dagegen habe ich nichts.«

Der Pascha erklärte, daß er sie gern mitnehmen wolle, da sie doch ja seine Verbündete sei, und so kehrten die Drei in den Gang zurück, welchen der Castellan hinter ihnen verschloß, denn nun war es nicht nöthig, die Thür aufzulassen, wie vorher verabredet worden war. Die beiden Männer hatten nun ja die betreffenden Personen gesehen und begaben sich schleunigst durch den Gang nach der Thür zum Brunnenzimmer zurück, natürlich von Lina begleitet.

Nun trat der Castellan unter das Thor, um sich sehen zu lassen. Als Steinbach ihn erblickte, kam er schnell auf ihn zu und sagte:

»Weißt Du, daß ich incognito bin?«

»Ja, Hoheit.«

»So verrathe mich nicht und nenne mich nur Herr Steinbach! Ist Alles in Ordnung?«

»Ja, Alles,« antwortete der Gefragte, indem jetzt auch die anderen Personen herbeikamen.

»Wo befinden sich der Pascha und der Derwisch?«

»Unten beim Hebel, um Zeugen Ihres Todes zu sein.«

»Haben sie eine Laterne mit?«

»Ja. Die Polizistin ist mit ihnen. Ich soll Sie in die Brunnenstube bringen und beide Thüren hinter mir schließen.«

»Dann wollen die Kerls wohl durch die Klappe mit uns reden?«

»Ja.«

»Habe es mir gedacht. Es ist doch ein Hochgenuß für sie, ihren Opfern zu sagen, was ihrer wartet. Diesen Spaß aber werde ich ihnen doch verderben. Führe uns hinab!«

Einigen der Anwesenden wurde es nun, da der entscheidende Augenblick nahte, doch bange. Sie befürchteten heimlich, daß der künstliche Fußboden doch unter ihnen weichen könne, und gaben diesem Gedanken Ausdruck.

»Sorgen Sie sich nicht,« sagte Steinbach. »Wenn ich nicht genau wüßte, daß ich mich auf die Vorrichtung verlassen kann, würde ich mich sehr hüten, selbst auf die Diele zu treten, viel weniger aber könnte es mir einfallen, Personen, welche mir so lieb und theuer sind, dazu zu verleiten. Daß ich selbst meine Braut mit nehme, mag Ihnen der sicherste Beweis sein, daß wir nicht das Mindeste zu befürchten haben. Hoffentlich ist der Mechanismus vorher genau untersucht worden.«

»O, Sie können sich demselben vollständig anvertrauen,« erklärte der Castellan. »Ich habe ihn gestern und heute wiederholt untersucht.«

»So kommen Sie!«

Während der Pascha mit dem Derwisch und Lina durch die rechts auf den Flur mündende Thür verschwunden war, traten die Herrschaften durch die linker Hand befindliche in das Dunkel der Kellertreppe, wo der Castellan seine Lampe anzündete.

Als sie an die beiden Zellen gelangten, welche die sonderbare Acustic besitzen sollten, öffnete er die Klappen. Die Zellen waren leer. Die beiden Gefangenen befanden sich oben.

»Lassen wir sie jetzt,« meinte Steinbach. »Wir wollen machen, daß die Faxe baldigst ein Ende nimmt. Die Herrschaften dürfen in der Brunnenstube nicht erschrecken, wenn ich die Laterne plötzlich auslösche. Ließe ich sie brennen, so würde der Pascha, welcher doch durch die Klappe blickt, bemerken, daß wir nicht in die Tiefe stürzen. Und auch darauf muß ich Sie aufmerksam machen, daß wir Alle einen Angstschrei ausstoßen müssen, wenn der Fußboden sich unter uns zu bewegen beginnt. Das klingt dann so, als ob wir stürzen.«

Jetzt hatten sie die Thür erreicht, durch welche sie in das Verderben gelangen sollten. Semawa ergriff Steinbach's Hand und fragte:

»Bist Du wirklich sicher, daß wir nicht Schaden nehmen werden, mein Lieber?«

»Hast Du Angst, mein Herz?«

»Nur um Dich!«

»Vertraue Dich mir ruhig an! Selbst wenn der Mechanismus versagte, würden wir nicht in die Tiefe stürzen, denn ich habe heute früh einen Boten an den Castellan geschickt, durch den ich befahl, daß noch extra starke Balken quer über die Tiefe gelegt werden sollen. Tretet also in Gottes Namen ein!«

Der Castellan schloß auf und trat in die Stube. Steinbach folgte ihm und die Anderen kamen, wenn auch doch ein wenig zaghaft, hinterher. Gegenüber lag nun die Thür, hinter welcher der Pascha wartete und hinter welcher der Schließer verschwinden sollte. Der Erstere mußte jedes Wort hören, was gesprochen wurde.

»Was ist das für eine Stube?« fragte Steinbach sehr vernehmlich.

Der Castellan schloß laut die Thür zu, durch welche sie gekommen waren, und antwortete:

»Herr, das ist das gefährlichste Gemach im ganzen Schlosse.«

»Warum?«

»Weil Jeder, der sich hier befindet, über dem Tode steht.«

»In wiefern denn?«

»Weil unter uns ein Brunnen gähnt, welcher mehrere hundert Fuß tief ist.«

»Unter dieser Diele?«

»Ja.«

»Na, hoffentlich ist sie so stark und fest, daß sie uns zu tragen vermag.«

»So lange ich will, ja. Aber es bedarf nur eines kleinen Griffes oder Druckes von mir, so fliegen Sie Alle hinab und kommen vollständig zerschellt unten an.«

Die Damen stießen einen unwillkürlichen Angstruf aus. Steinbach aber fragte im Tone der Neugierde:

»Wo haben Sie denn diesen verhängnißvollen Druck anzubringen?«

»An einem Hebel, welcher sich dort hinter jener Thür befindet.«

»Wollen Sie uns das zeigen?«

»Gern. Sie werden sehen, daß sich dann die Diele um ihre eigene Achse dreht und daß Alles, was sich auf ihr befindet, in die Tiefe stürzen muß.«

»So eilen Sie, daß wir von dieser gefährlichen Stelle wegkommen!«

»Gleich, gleich!«

Er steckte den Schlüssel in das Schloß, öffnete, trat hinaus, zog den Schlüssel wieder ab und warf dann die Thür hinter sich in das Schloß.

»Haben wir sie?« flüsterte neben ihm der Pascha, welcher seine Blendlaterne verschlossen hatte, damit nicht etwa beim Oeffnen der Thür ihr Schein bemerkt werden möchte.

»Ja, Alle!« antworte der Castellan.

Er trat schleunigst zum Hebel, um zu hüten, daß nicht etwa der Pascha oder der Derwisch sich desselben bemächtige. Die Laterne hatte er nicht mehr. Er hatte sie drinnen in der Brunnenstube niedersetzen müssen, weil er beider Hände zum Aufschließen bedurfte.

Jetzt wurde an die Thür geklopft.

»Was ist denn das?« hörte man Steinbach's Stimme rufen. »Machen Sie auf!«

Als Niemand antwortete, wurde stärker geklopft, und mehrere Stimmen erhoben sich! Da klappte der Pascha das Guckloch auf, hielt sein Gesicht an dasselbe und schaute hinein.

»Was giebt es denn? Was ist das für ein Lärm?« fragte er.

»Aufmachen, aufmachen!« antworteten ihm verschiedene Stimmen.

»Nur Geduld! So schnell geht das freilich nicht. Wir haben zuvor ein Wörtchen mit einander zu reden.«

»Wir? Mit ihnen?« fragte Steinbach, welcher sich an die Thür gestellt hatte.

»Ja, mit mir.«

»Wer sind Sie denn?«

»Ich hoffe, daß Sie mich kennen.«

»Das wäre doch kein Grund, uns hier einzuschließen. Lassen Sie uns doch einmal Ihr Gesicht sehen!«

Er nahm die Laterne auf und leuchtete dem Pascha in das Gesicht.

»Ah! Alle Teufel!« rief er aus, sich ganz erschrocken stellend.

»Nun, wer bin ich?«

»Ibrahim Pascha!«

»Ja,« grinste der Pascha. »Ich bin hier, um dem Lord zu zeigen, daß ich doch wohl satisfactionsfähig bin. Ich werde ihm eine Satisfaction für seine Beleidigung geben, wie er sie so vollständig nicht gedacht hat.«

»Mensch, was meinen Sie?«

»Oho! Schnauze mich nicht so an, Bursche! Du hast stets den Helden gespielt, jetzt aber ist's mit Deiner Rolle zu Ende. Ich habe lange, lange Zeit nach Euch gesucht; nun endlich ist meine Zeit gekommen und meine Rache kann beginnen. Ihr befindet Euch Alle in meiner Gewalt.«

»Täusche Dich nicht, Hallunke!«

»Von einer Täuschung ist keine Rede. Ich habe Euch ja bereits Eure zwei schönsten Täubchen weggefangen.«

»Täubchen? Wen?«

»Tschita und Zykyma. Ich lockte sie hier in die Ruine und nun stecken sie in zwei Löchern, aus denen sie nur treten werden, um von mir nach der Türkei geschleppt zu werden. Dort werde ich sie den beiden häßlichsten meiner Sclaven zu Weibern geben.«

»Hund, Du lügst!«

»Nein, sondern ich werde es thun. Aber nicht sofort. Ihr sollt noch für einige Stunden die Qualen eines gewissen, grauenvollen Todes ausstehen.«

»Scheusal! So Etwas kannst Du nicht!«

»Ich kann es und werde es. Kein Bitten und kein Flehen wird Euch helfen. Ich bleibe bei meinem Vorsatze. Sterben müßt Ihr, Alle, Alle! In blutigen Fetzen werden Eure Leiber unten ankommen. Das ist die Strafe für Alles, was ich von Euch leiden mußte. Kein Klagen, kein Heulen und kein Wimmern kann Euch retten, denn –«

»Klagen?« unterbrach ihn Steinbach. »O, denke nicht etwa, daß wir Dich anwimmern werden. Das fällt uns nicht ein. So einem Hallunken, wie Du bist, werden wir keine Bitte hören lassen. Nein; anstatt der Bitte wirst Du Anderes bekommen. Hier, da hast Du es!«

Der Pascha hatte seinen Köpf möglichst weit durch die offene Klappe gesteckt. Steinbach holte aus und stieß ihm die Laterne in das Gesicht, daß das zerbrechende Glas in demselben stecken blieb und das Öl der auslöschenden Lampe sich über es ergoß.

»Himmel – Teufel – Hölle!« schrie der Pascha, mit dem Kopfe zurückfahrend und sich mit beiden Händen nach dem verletzten Gesicht greifend. »Hinab mit ihnen, hinab! Keine Gnade! Schnell, schnell, Castellan!«

Der Schmerz, welchen die Verwundung ihm verursachte, ließ ihm vergessen, daß er sich an den Qualen seiner Opfer hatte weiden und sie nicht so schnell hatte sterben lassen wollen. Er bückte sich nieder, um selbst den Hebel zu bewegen. Der Castellan aber schob ihn zurück und fragte:

»Soll ich?«

»Natürlich! Schnell, schnell!«

»Ja, ja! Ich schaue zu!« rief der Derwisch, an die Thür tretend und durch die Luke blickend.

Der Castellan drückte. Drinnen erscholl ein vielstimmiger Schrei, der weniger aus Verabredung als aus wirklichem Schreck ausgestoßen wurde. Es war zwar versichert worden, daß Niemand zu Schaden kommen solle, aber als der Boden sich unter den Füßen zu bewegen begann, war es doch für wenigstens einen kurzen Augenblick mit dem Muthe vorüber.

Der Derwisch sah durch die Klappe in die Stube. Drinnen war die Laterne verloschen. Nur eine Ahnung von Licht drang von der zweiten Laterne hinein. Er konnte also nichts Deutliches sehen, aber er bemerkte doch, daß die Personen in der Tiefe verschwanden. Noch ein Schrei und dann war es ruhig:

»Sie liegen unten; sie sind todt!« rief er aus.

»Ists geschehen, wirklich?« fragte der Pascha.

»Ja,« antwortete der Castellan. »Sie können sich überzeugen. Hier ist der Schlüssel. Oeffnen Sie!«

Er reichte ihm mit der Linken den Schlüssel, während er mit der Rechten den Hebel noch umfaßt hielt. Der Pascha schloß auf und sah die dunkle Tiefe vor sich. Der Castellan ließ den Hebel spielen und nun kam die Diele langsam wieder empor. Sie nahm ihre vorherige Lage ein – die Brunnenstube war leer. Es gab keinen Zweifel, von allen Personen, welche sich vor wenigen Augenblicken hier befunden hatten, lebte keine einzige mehr.

»Ah!« sagte der Pascha. »Ich habe mich doch übereilt. Ich hätte sie länger quälen sollen. Aber dieser Hieb in das Gesicht ließ mich diesen Vorsatz vergessen.«

»Ja,« stimmte der einstige Derwisch bei. »Es ist wirklich schade, jammerschade, daß Sie sich so übereilt haben. Nun hat die Gesellschaft einen schnellen und schmerzlosen Tod gehabt. Wir hätten sie noch stundenlang stehen lassen sollen, um sie zur Verzweiflung zu bringen und uns an ihren Qualen zu weiden. Sie hätten sich angestrengt, die Thüren einzustoßen, natürlich vergeblich. Sie wären vor Angst mit den Köpfen gegen die Wände gerannt. Sie hätten geheult vor Todesangst und wären als Antwort von unserem Hohngelächter überschüttet worden. Nun aber ist uns dieser Hochgenuß entgangen.« Es lag ein wahrhaft teuflisches Bedauern in diesen Worten und in dem Tone, in welchem er dieselben aussprach.

»Tröste Dich,« antwortete der Pascha. »Die Hauptsache ist, daß wir unseren Zweck erreicht haben. Sie sind vernichtet, spurlos von der Erde verschwunden und kein Mensch wird jemals auch nur den kleinsten Theil ihrer Körper wiedersehen.«

»Das ist wahr,« meinte der Castellan, indem er das gefährliche Brunnengemach betrat und mit den Füßen auf die Diele desselben stampfte, als ob er die Festigkeit und Haltbarkeit derselben prüfen wollte. Er that dies, weil er die Beiden hier noch ein kleines Weilchen festhalten mußte, denn Steinbach mußte an dem Raume, in welchem sie sich befanden, mit seinen Begleitern draußen vorüber und durfte natürlich nicht von ihnen bemerkt oder gar gesehen werden. »Der Prinz hegt schon längst die Absicht, den Brunnen verschütten zu lassen.«

»Dies geschieht natürlich, ohne daß vorher der Grund desselben untersucht wird?« erkundigte sich der Pascha.

»Ja. Was hätte eine solche Untersuchung denn wohl für einen Zweck?«

»Nun, so können wir ja ruhig sein. Der Schutt wird Alles bedecken. Und nun ist es mit allen unseren Sorgen vorüber. Unsere Feinde sind vernichtet, alle, alle, sogar ihrer noch viel mehrere, als wir zu tödten beabsichtigten, und wir befinden uns also nun in vollster Sicherheit.«

»Da bitte ich Sie denn doch, zu bedenken, daß ich es bin, dem Sie das zu verdanken haben!«

»Natürlich weiß ich das.«

»Und Sie werden nun gewiß auch Ihr Versprechen halten?«

»Gewiß. Ich werde sogar noch weit mehr thun. Gleich wenn wir von hier nach oben kommen, werde ich Ihnen eine Summe Geldes auszahlen, welche mehr beträgt, als ich Ihnen versprochen habe. Ich bin mit Ihnen sehr zufrieden und pflege gute Dienste auch gut zu belohnen. Wollen wir gehen?«

»Ja, kommen Sie!«

Sie wendeten sich um und sahen nun die Polizistin stehen, welche bis jetzt noch kein Wort gesprochen hatte.

Ihr Gesicht war todesbleich. Sie hatte eine entsetzliche Angst ausgestanden. Bei dem geringsten Versehen von Seiten des Castellans wären alle die Personen, um welche es sich handelte, verloren gewesen.

»Siehe da, Fräulein; Sie sehen leichenblaß,« sagte der Pascha. »Haben Sie einen Schreck ausgestanden?«

»Ja,« antwortete sie. »Glauben Sie, daß es für eine Dame ein Vergnügen sei, so viele lebensvolle und lebensfrische Personen in einen so plötzlichen und schrecklichen Tod geschleudert zu sehen?«

»Nein, das glaube ich nicht. Damen haben ja zartere Nerven als wir Männer.«

»Nun, ich hatte es mir wirklich nicht so entsetzlich vorgestellt. Es ist selbst für starke Männernerven eine ungeheure Zumuthung, einem solchen Ereignisse ruhig beizuwohnen. Ich glaube, ich werde Zeit meines Lebens an die erschütternden Todesschreie denken, welche ich anhören mußte.«

»Das denken Sie jetzt; aber der Mensch vermag Vieles zu überwinden. Kommen Sie aber erst in eine andere Umgebung, in eine andere Gegend, in ein anderes Land und zu anderen Menschen; dann wird die Erinnerung an diese Viertelstunde in Ihnen erlöschen, als ob das Ereigniß ein ganz unbedeutendes sei.«

»Ich möchte es hoffen!«

»Es wird so, wie ich sage, und ich werde dafür sorgen, daß Sie das Alles sehr bald und sehr leicht vergessen. Kommen Sie nur erst nach Constantinopel. Das dortige, Ihnen so fremde Leben wird Sie so sehr in Anspruch nehmen, daß Sie gar keine Zeit haben, an die Vergangenheit zurückzudenken. Geben Sie mir Ihren Arm! Sie sind angegriffen, und ich werde Sie führen.«

Er legte ihren Arm in den seinigen, und nun brachen sie auf, um nach oben zurückzukehren. Sie beachteten es nicht, daß der Castellan die vordere Thür zum Brunnenzimmer wieder geöffnet und die hintere nicht zugeschlossen hatte. Er verfolgte natürlich seine bestimmte Absicht dabei.

Ebenso hatte der Pascha seine eigene Absicht, als er Lina den Arm hob. Sie waren unbeachtet, denn der Castellan schritt mit dem Agenten und dem Derwisch vor ihnen her.

»Fräulein,« raunte er ihr zu, »ich habe einige Worte mit Ihnen allein zu sprechen.

»Worüber?« fragte sie ebenso leise.

»Das kann ich jetzt nicht sagen. Man darf nicht bemerken, daß wir heimlich mit einander sprechen. Können Sie mir Gelegenheit dazu geben?«

»Wann?«

»Baldigst.«

»Wohl noch heut'?«

»O nein, sondern rasch, sogleich.«

»Ist es denn so wichtig?«

»Gewiß. Und es ist dabei keine Zeit zu verlieren, denn der Augenblick ist passend und kommt niemals wieder.«

»Schön! Ich werde versuchen, es so zu arrangiren, daß wir uns allein befinden. Darf mein Oheim davon wissen?«

»Von dem Inhalte unseres Gespräches zunächst nichts.«

»Aber daß wir allein sein wollen, muß er wissen, denn nur mit seiner Hilfe ist es möglich, es so einzurichten.«

»Gut, so theilen Sie es ihm mit!«

Er gab ihren Arm frei und begann auf den Agenten zu reden, so daß dieser sich zu ihm gesellte und Lina nun Raum bekam, sich nach vorn zu dem Castellan zu begeben.

»Der Pascha will mit mir allein sein,« flüsterte sie ihm zu.

»Warum?«

»Ich weiß es nicht.«

»Wann?«

»Sogleich.«

»Wollen wir auf seine Absicht eingehen?«

»Ja.«

»So werde ich es gleich bewerkstelligen.«

Sie erreichten jetzt die Treppe und stiegen hinauf zum Flur. Der Castallan gab Lina die Laterne und sagte:

»Wir müssen natürlich das prächtige Gelingen unseres Streiches mit einem Glase Wein begießen. Hier hast Du das Licht und hier ist der Schlüssel. Steige dort hinab und hole einige Flaschen von der Sorte, welche sich ganz hinten links befindet.«

Er deutete nach einer kleinen Thür, welche im Hintergrunde zu sehen war.

Sie verstand seine Absicht. Indem sie die Laterne in Empfang nahm, und es so einrichtete, daß sie dabei neben dem Pascha stand, reichte sie diesem dieselbe dar und sagte:

»Puh! Schon wieder in einen Keller hinab! Da werden mich die Bilder der Zerschmetterten verfolgen. Ich fürchte mich und gehe sicher nicht allein. Wollen Sie mich begleiten, um mir zu leuchten?«

»Sehr gern,« antwortete der Pascha. »Kommen Sie! Ich fürchte mich nicht.«

Der Agent wurde ein Wenig eifersüchtig. Er wollte den Pascha doch nicht gern mit dem schönen Mädchen allein lassen; darum sagte er, die Hand, nach der Laterne ausstreckend:

»Bemühe doch den gnädigen Herrn nicht! Ich selbst werde mitgehen.«

»Das gebe ich nicht zu,« entgegnete Ibrahim. »Fräulein hat mich beauftragt und ich will nicht etwa für furchtsam gelten, indem ich zurückbleibe. Oder sind Sie vielleicht gar eifersüchtig, Herr Schubert?«

Er fragte dieses Letztere in einem so höhnischen Tone, daß der Agent sofort antwortete:

»Fällt mir gar nicht ein! Ich habe ja eigentlich auch noch gar kein Recht dazu.«

»Das meine ich auch,« lachte die Polizistin. »Uebrigens bestreite ich Dir auch für späterhin und für immer das Recht, eifersüchtig zu sein. Und gerade um Dich in dieser Gemüthsruhe zu üben, ersuche ich den gnädigen Herrn nun ganz bestimmt, mir zu leuchten.«

Während der Castellan mit dem Agenten und dem Derwisch die Treppe zu seiner Wohnung emporstieg, trat Lina mit dem Pascha an die bezeichnete Kellerthüre und schloß sie auf. Sie zogen dieselbe hinter sich zu und stiegen dann eine kurze Treppe hinab.

Diese führte in einen kleinen Kellerraum, welcher nur so groß war, daß er für die Bedürfnisse des Kastellans grad genügte. Er enthielt einiges alte Gerümpel, Kartoffeln und Aehnliches, und in der bezeichneten Ecke lagen Weinflaschen.

»Das war klug gehandelt von Ihrem Onkel, sagte der Pascha. »Nun können wir sprechen.«

»Aber leiser, viel leiser,« warnte sie. »Das Gewölbe verdreifacht den Schall, und ich traue Herrn Schubert nicht. Er ist im Stande, zu lauschen, und wir haben ja die Thür dort nicht verschließen können, sondern nur anlehnen müssen.«

»So schnell wird er wohl nicht kommen. Das wäre eine Beleidigung gegen Sie und auch gegen mich.«

»Dennoch möchte ich sein Mißtrauen nicht erwecken. Er scheint höchst eifersüchtiger Natur zu sein.«

»Das habe ich auch beobachtet. Zwar ist in diesem Falle die Eifersucht gar kein Wunder. Wer so einen Schatz, wie Sie sind, noch nicht ganz fest ergriffen hat, darf denselben wohl mit einer ungewöhnlichen Aufmerksamkeit hüten.«

»Schmeichler,« flüsterte sie, ihn voll und kokett anlächelnd.

»Von Schmeichelei ist keine Rede. Sie sind schön, sehr schön! Sie sind so reizend und entzückend, daß ich Sie diesem – verzeihen Sie – diesem trockenen, abgelebten Polizeimenschen unmöglich gönnen kann.«

Sie ließ einen tiefen, tiefen Seufzer hören, machte ein sehr ernsthaftes, fast betrübtes Gesicht und meinte:

»Gott, ja! Meine Passion ist er freilich nicht!«

»Wie? Was sagen Sie da? Ist das Ihr Ernst, Ihr wirklicher Ernst?«

Er fragte das hastig und seine Augen leuchteten verlangend auf.

»Natürlich ist es mein Ernst.«

»Ich denke, Sie lieben ihn!«

»Lieben? Fällt mir gar nicht ein!«

»Aber Sie wollen doch seine Frau werden!«

»Ja, aber nicht etwa aus Liebe zu ihm.«

»Aus welchem Grunde denn?«

»Aus – aus –«

Sie hielt inne und brachte es in ihrer Gewandtheit fertig, daß ihr Gesicht wie unter einer großen Verlegenheit tief erröthete.

»Aus – aus – sprechen Sie weiter!« drang er.

»Fast sollte ich es nicht sagen!«

»Warum nicht? Haben Sie kein Vertrauen zu mir?«

Sie hob den Blick zu ihm empor und sah ihm mit einem Auge, dessen Ausdruck ihm sein ganzes Gleichgewicht raubte, in das Gesicht.

»Zu Ihnen? O zu Ihnen habe ich ein großes, großes Vertrauen, tausendmal größer als zu ihm.«

Sein Herz klopfte fast hörbar vor Entzücken.

»So zeigen Sie mir dieses Vertrauen, indem Sie aufrichtig zu mir sprechen. Warum wollen Sie diesen Mann heirathen, obgleich Sie ihn nicht lieben?«

»Weil – weil – weil er mich sonst nicht mit nach Constantinopel nimmt, wohin ich mich sehne.«

»Nur deshalb?«

»Ja, nur allein darum! Hier würde ich ihm meine Hand niemals reichen. Er ist alt, nicht hübsch, kraftlos und wird in kurzer Zeit Greis sein. Welches Leben erwartet mich an der Seite eines solchen Mannes? Ich liebe ihn nicht, o nein, sondern ganz im Gegentheile: – – ich hasse ihn.«

Sie legte auf das vorletzte Wort eine ganz besondere Betonung.

»So muß Ihre Sehnsucht nach Stambul eine sehr große sein, da sie selbst einen solchen Haß zu überwinden vermag.«

Er sah ihr scharf forschend in das Gesicht. Sie nickte leise und verlegen mit dem Kopfe, ohne zu antworten.

»Was zieht Sie denn so dorthin?«

Sie that, als ob bei dieser Frage ihre Verlegenheit noch wachse und antwortete in noch leiserem Tone als vorher:

»Das – das kann ich unmöglich sagen.«

»Warum denn? Sie behaupten ja, ein so großes Vertrauen zu mir zu haben.«

»Das habe ich auch; aber es giebt Dinge, welche man kaum sich selbst eingesteht, viel weniger aber sie einem Anderen mittheilt.«

»Nun, ist es denn die Stadt Constantinopel, welche Sie so anlockt?«

»Nein.«

»Oder sind es die dortigen Verhältnisse?«

»Auch nicht.«

»So ist es wohl eine Person, welche dort lebt, und nach der Sie sich sehnen?«

»Ja.«

»Ah! Das habe ich nicht geahnt. Sie kennen also eine Person, welche sich in Constantinopel befindet?«

Seine Miene hatte sich verdüstert.

»Es ist so, wie Sie mich fragen, und doch nicht ganz so.«

»Das begreife ich nicht. Wollen Sie es mir nicht erklären?«

»Die betreffende Person wird sich dort befinden.«

»Also jetzt ist sie noch nicht dort?«

»Nein.«

»Wo denn?«

»Hier.«

»Ist es eine weibliche Person?«

»Eine männliche.«

»Ah! Ich ahne es. Sie lieben einen Mann, und um später in der Nähe desselben zu sein, wünschen Sie sich nach Stambul?«

Sie nickte zustimmend und verschämt.

»In diesem Falle muß ich vermuthen, daß Sie ihn für unnahbar und Ihre Liebe für unerwidert halten?«

Sie senkte den Kopf. Er fuhr fort:

»Ich gäbe viel, sehr viel darum, den Namen dieses Mannes kennen zu lernen. Wollen Sie ihn mir nicht sagen?«

Sie schüttelte den Kopf. Da stellte er die Laterne auf den Boden des Kellers, legte den Arm um die Taille der Polizistin und sagte:

»Wenn Sie ihn mir nicht nennen, so können Sie es doch nicht verhindern, daß ich ihn errathe. Fräulein Lina, Sie lieben – mich?«

Sie machte keine Bewegung, seinen Arm von sich abzuwehren. Sie duldete es auch ohne Widerstand, daß er sie an sich zog.

»Lina, Du Liebe, Du Herrliche, sage es mir doch, ob ich es bin, von welchem Du redest!«

Und als sie auch auf diese Bitte in ihrem Schweigen verharrte, fuhr er fort:

»Bitte, bitte, bin ich es?«

Sie nickte mit dem Kopfe, wendete sich aber wie in tiefster Beschämung von ihm ab. Da aber drückte er sie fester an sich und rief:

»Wirklich, wirklich? Du liebst mich, mich? Welch' ein Glück, welche Wonne! Mädchen, Du wirst –!«

»Um Gotteswillen!« unterbrach sie ihn. »Sie schreien ja so laut, daß mein Onkel es oben hören muß! Wir müssen vorsichtig sein.«

Sie hatte diesen Schreck geheuchelt, um sich von dem Pascha losreißen zu können. Er aber ließ sich nicht stören.

»Ach, was gehen mich diese Leute da oben an? Ich besitze Deine Liebe und das ist mir genug. Sage es mir noch einmal, liebst Du mich denn wirklich, Lina?«

»Ja doch, Du Ungestümer,« lächelte sie.

»Und willst mich nach Stambul begleiten?«

»Von ganzem Herzen gern.«

»Nun, so geht dieser Agent mich nichts, gar nichts an. Ich brauche auf ihn keine Rücksicht zu nehmen. Ich werde ihm jetzt, wenn wir hinauskommen, sehr einfach sagen, daß ich nichts mehr mit ihm zu thun haben will, und daß er sich augenblicklich entfernen soll.«

»Sind Sie toll?« rief sie. »Das wäre ja Ihr Verderben!«

»Ach geh'!« lachte er höhnisch auf, »dieser Mensch wäre der rechte Kerl, mir zu schaden!«

»Warum nicht? Bedenken Sie doch, daß er Sie und uns Alle in der Gewalt hat!«

»Sie überschätzen ihn.«

»O nein. Bedenken Sie seinen Zorn, seine Eifersucht! Er wird sich rächen.«

»Ich verlache seine Rache, welche nur ihn allein in das Verderben bringen würde. Um uns zu schaden, müßte er uns doch anzeigen.«

»Allerdings.«

»Nun, dann muß er doch offenbar gestehen, daß er selbst auch mit betheiligt war.«

»Das ist nicht unumgänglich nothwendig. Er braucht das, was bisher geschehen ist, gar nicht zu berücksichtigen. Er braucht sich nur an das zu halten, was wir noch vorhaben. Er weiß, daß wir Tschita und Zykyma fortschaffen wollen, und hat nur nöthig, uns dabei ergreifen zu lassen.«

»Ah, das ist wahr!«

»Er braucht nur jetzt nach der Stadt zu eilen und anzuzeigen, wo diese beiden Frauen zu finden sind. Er ist Polizist gewesen und kennt alle Schliche und Hinterlisten. Er brauchte nur zu sagen, daß er sich nur gestellt habe, als ob er unser Verbündeter sei.«

»Alle Teufel! Auch bei dem Morde unser Verbündeter?«

»Nein. Das würde er uns ableugnen. Ihm würde man mehr glauben als uns. Man würde annehmen, daß wir uns an ihm rächen wollten, indem wir uns bemühen, ihn mit in das Verderben zu ziehen.«

»Mädchen, Du hast Recht, vollständig Recht. Aber, was ist zu thun?«

Sie war scharfsinnig genug, zu ahnen, was er hatte mit ihr besprechen wollen. Er hatte jedenfalls die Absicht, sich des Agenten und des Derwisches zu entledigen, um nicht gezwungen zu sein, Beide mit sich nehmen zu müssen, und sie sollte ihm dabei helfen. Auf welche Weise dies geschehen sollte, konnte sie sich leicht sagen. Hatte die Brunnenstube das eine Mal ihre Schuldigkeit gethan, so konnte sie es auch zum zweiten Male thun. Dann gab es zwei Zeugen der furchtbaren That weniger, und der Pascha hatte dann nur noch mit Lina und dem Kastellan zu rechnen, die ihm Beide sicher waren, wenn die Erstere ihm in seinen Harem folgte.

»Ja, was ist da zu thun?« wiederholte sie seine Frage. »Ich mag von ihm nun nichts mehr wissen; er aber wird sich unbedingt rächen.«

»Gewiß! Können wir das nicht verhindern?«

»Ich wüßte nicht wie.«

»Wirklich nicht?«

»Nein,« antwortete sie im Tone der Aufrichtigkeit.

»Kind, ich habe Dich für unternehmender gehalten. – Es giebt ein einfaches, sehr einfaches Mittel, diesen Menschen für immer unschädlich zu machen.«

»Welches?«

»Hm! Wie wäre es, wenn er vorhin mit den Andern in die Tiefe gestürzt wäre?«

»Da wäre er allerdings vollständig unschädlich für uns.«

»Freilich! Schade, daß wir Beide, Du und ich, uns nicht früher ausgesprochen haben. Wäre das geschehen, so lägen der Agent und der Derwisch jetzt zerschmettert in der Tiefe und wir könnten den Becher der Freude mit Sicherheit bis zur Neige leeren.«

Sie blickte sinnend und ohne zu antworten zu Boden.

»Oder widerspricht Dir dieser Gedanke?«

»Nein, gar nicht. Sind so viele Leute, welche doch gute und brave Menschen waren, zu Grunde gegangen, so kann es mein Gewissen gar nicht beschweren, wenn zwei solche Bösewichter, die den Tod verdient haben, ihnen folgen müssen.«

»Das ist Deine wirkliche Ansicht?«

»Ja.«

»So ist es vielleicht möglich, das Versäumte nachzuholen?«

»Möglich ist es vielleicht, jedenfalls aber sehr schwierig.«

»Warum?«

»Weil der Agent nicht in die Falle geben würde. Er kennt sie ja.«

»Hm! Es handelt sich nicht um ihn allein, sondern auch um den Derwisch. Beide müßten daran glauben. Oder würdest Du vielleicht Bedauern mit dem Letzteren haben?«

»Nein, gar nicht.«

»Nun gut. So wollen wir sehen, ob wir es auszuführen vermögen. Bietest Du mir die Hand dazu?«

»Nur unter einer Bedingung.«

»Welcher?«

»Daß – daß – daß Du mich wirklich mit Dir nimmst.«

»Natürlich, natürlich!«

»O, bedenke, daß der Gedanke an Täuschung sehr nahe liegt.«

»Keinesweges!«

»Doch! Du willst den Derwisch und den Agenten verderben, um Dich dieser Zeugen zu entledigen. Wie leicht kannst Du auf den Gedanken kommen, auch die beiden übrigen Zeugen zu tödten!«

»Meinst Du Dich und Deinen Oheim?«

»Ja.«

»Was Du doch für ein kleines, liebes Närrchen bist! Wie kann ich mich Deiner entledigen wollen, da ich Dich doch liebe!«

»O, Du könntest diese Liebe nur heucheln!«

»Fällt mir nicht ein! Und sodann brauche ich Dich so sehr nothwendig, denn ohne Dich brächte ich Tschita und Zykyma nicht fort.«

»Hm! Das ist wahr.«

»Also glaubst Du an mich?«

»Nun, es ist ein Wagniß, aber ich will es einmal versuchen.«

»Und mit Deinem Onkel sprechen?«

»Ja.«

»Aber sogleich?«

»Natürlich.«

»Wir dürfen keine Zeit verlieren. Wenn die Kerls einmal von hier fort sind, bekommen wir sie nicht gleich wieder so schön in die Hände.«

»Ich werde sofort mit ihm reden.«

»Aber es wird sehr schwer halten, sie wieder in das Brunnenzimmer zu locken.«

»Das ist wahr; sie kennen ja die Gefährlichkeit desselben; aber vielleicht gelingt es uns doch. Es kommt darauf an, daß der Oheim sein Möglichstes thut.«

»Er mag es thun. Biete ihm Alles, was er will und wünscht.«

»Er wird wünschen bei mir bleiben zu dürfen.«

»Das kann er ja. Wenn Du mein Weibchen bist, soll er als Dein Verwandter hochgehalten werden!«

»Das werde ich ihm sagen, und ich hoffe, daß er auf unsere Absichten eingehen wird. Jetzt aber wollen wir uns sputen. Man wird vielleicht gar argwöhnisch geworden sein, denn wir sind zu lange hier unten gewesen. Nehmen wir also den Wein.«

Aber anstatt sich nach der rechten Ecke zu wenden, wie der Castellan gesagt hatte, trat sie in die linke, in welcher nur eine einzige Flasche lag.

»Nicht von dort, sondern von hier,« sagte der Pascha.

»Pst! Ich nehme diese Eine. Das giebt mir Veranlassung, mit dem Onkel hierher zurückzukehren, und dann dabei mit ihm zu sprechen.«

»Ah, Du Schlaue! Nun gut! Wenn Du dann mit ihm zurückkehrst, so gieb' mir ein Zeichen, ob er einverstanden ist.«

Sie stiegen nun mit ihrer einen Flasche nach oben. Der Agent blickte ihnen wegen ihres langen Ausbleibens finster entgegen und der Castellan zankte, scheinbar zornig:

»Wo bleibst Du denn so lange? Du konntest bereits dreimal wieder da sein!«

»Daran bist Du Schuld,« antwortete sie. »Wir haben so lange unter dem alten Gerümpel suchen müssen und doch endlich nur diese eine Flasche gefunden.«

»Was? Nur eine?«

Er nahm ihr die Flasche aus der Hand, sah dieselbe an und sagte:

»Die ist ja von links!«

»Nun ja!«

»Du sollst ja nach rechts gehen!«

»Da gab es keinen Wein.«

»Oho! Er liegt groß und breit in der Ecke.«

»Wir haben nichts gesehen. Da wirst Du wohl selbst einmal hinabgehen müssen.«

Das kam ihm natürlich recht sonderbar vor; aber ein bezeichnender, heimlicher Blick, der ihn aus ihrem Auge traf, sagte ihm, daß hier irgend eine Absicht vorliege, und so antwortete er:

»Nun, so komm'. Ich will Dir beweisen, daß Du blind gewesen bist.«

Er entfernte sich mit ihr, und der Pascha nahm bei den beiden Anderen Platz. Es dauerte eine kleine Weile, ehe die Beiden wiederkehrten. Und als sich endlich die Thür öffnete, war es Lina allein, welche eintrat. Ihr Gesicht hatte den Ausdruck des Schreckes angenommen.

»Was ist? Was ist geschehen?« fragte der Pascha ängstlich.

»Sie sind nicht todt! Sie leben!«

»Wer denn?«

»Steinbach und die Anderen.«

»Wer sagt das denn?«

»Wir haben es gehört. Man vernimmt ihre Stimmen. Sie rufen um Hilfe.«

»Alle Teufel! Ist es wahr?«

»Ja. Als ich mit dem Oheim im Keller war, hörten wir es.«

»Aber wie ist das möglich? Sie müssen doch vollständig zerschmettert sein!«

»Vielleicht ist's nur Einer von ihnen, der während des Hinabstürzens an irgend Etwas hängen geblieben ist. Sie sollen kommen.«

»Gut, wir kommen. Gehen wir.«

Die Drei sprangen auf und folgten dem Mädchen. Unten an der Thür des Weinkellers angekommen, trat sie zur Seite, ließ den Derwisch und Schubert vorantreten und folgte langsam mit dem Pascha. Dieser benutzte diese Gelegenheit zu der leisen Frage:

»Nun, wie steht es?«

»Gut.«

»Will er?«

»Ja.«

»Wann?«

»Eben jetzt.«

»Sapperment! Also ist das mit dem Brunnen nicht wahr?«

»Nein. Der Onkel will sie hinablocken.«

»Vortrefflich! Aber werden sie dort auch eintreten wollen?«

»Gewiß. Er führt uns durch einen Gang, den wir noch gar nicht kennen. Das macht sie so irre, daß sie es gar nicht bemerken werden, wo sie sich befinden.«

»Ah, ein schlauer Kerl, dieser Castellan. Aber still! Sie hören es sonst.«

Sie standen jetzt in dem kleinen Weinkeller. Der Castellan war beschäftigt, einen Haufen Kartoffeln bei Seite zu räumen.

»Haben Sie es von Lina gehört?« fragte er.

»Ja. Eilen wir,« antwortete der Pascha. »Es muß Jemand von den Leuten noch leben. Wir müssen natürlich erfahren, wer es ist.«

Jetzt wurde eine kleine Fallthür da, wo die Kartoffeln gelegen hatten, sichtbar. Er nahm die Laterne zur Hand, öffnete die Thür und stieg eine kurze Treppe hinab. Der Pascha wollte ihm folgen, aber Lina ergriff ihn heimlich beim Arme und flüsterte ihm zu:

»Lass' ihn stets mit den beiden Anderen voran, sonst gelingt es nicht.«

In Folge dessen trat er zurück und ließ den Derwisch und den Agenten voransteigen, bevor er mit Lina folgte.

Sie befanden sich in einem niedrigen, stollenähnlichen Gange, welcher mit demjenigen Gange, der nach der Brunnenstube ging, auf gleichem Niveau lag, und in paralleler Richtung führte.

Nach einiger Zeit gab es links eine Thür, welche der Alte öffnete. Sie führte nach dem erwähnten Gange und mündete grad an derjenigen Stelle des Letzteren, wo sich die in das Brunnenzimmer befindliche Thür befand.

Der Agent und der Derwisch ahnten nicht, daß sie sich jetzt an einer Stelle befanden, wo sie bereits vorher gewesen waren. Es war ringsum dunkel und das Licht der Laterne leuchtete nicht weit.

Wie bereits erwähnt, hatte der Castellan vorher beide Thüren der Brunnenstube offen gelassen. Er mußte die beiden Genannten in dem Glauben erhalten, daß sie sich noch nicht an dem gefährlichen Orte befanden. Darum setzte er die Laterne zu Boden und schritt allein weiter, die vor ihm liegende Thür aufziehend, in die Brunnenstube hinein, schloß die gegenüberliegende zu und kehrte dann zurück.

»Ja,« sagte er, »man hört es da drinnen ganz deutlich. Es ruft Jemand um Hilfe.«

»Wo befinden wir uns denn?« fragte der Agent.

»Die Stube vor uns liegt neben dem Brunnen, ohne mit ihm verbunden zu sein,« erklärte der Alte. »Trotzdem hört man ganz deutlich rufen.«

»Das muß ich hören,« sagte der Derwisch.

»Ich auch,« stimmte der Agent bei.

Beide traten ein, um zu lauschen, und hörten auch Etwas: nämlich daß hinter ihnen die Thüre in das Schloß geworfen wurde und draußen dann ein lautes Hohngelächter erscholl.

»Donnerwetter! Was ist das?« rief der Agent.

»Ein Scherz jedenfalls,« antwortete der Derwisch.

»Aber ein sehr dummer. Macht auf!«

Auf diese laute Aufforderung wurde nicht die Thür, sondern aber die in derselben befindliche Klappe geöffnet und in derselben erschien das Gesicht des Paschas, vom Lichte der Laterne deutlich erleuchtet.

»Was schreien Sie denn so, meine Herren?« fragte er.

»Hinaus wollen wir!« antwortete der Agent.

»Warum denn? Befinden Sie sich nicht ganz wohl da drinnen?«

»Ach was! Lassen wir den Spaß! Machen Sie auf. Wir sind nicht hier herabgekommen, um unnöthigen Scherz zu treiben, sondern um die Rufe zu hören.«

»Die werden wir sogleich hören.«

»Wo?«

»Drinnen bei Euch.«

»Pah! Wir werden doch nicht etwa um Hilfe rufen!«

»Wer denn sonst?«

»Wir? Ach! Wo befinden wir uns?«

Es wurde ihm jetzt ganz unheimlich.

»Ahnen Sie das nicht?« fragte der Pascha.

»Neben der Brunnenstube.«

»Da irren Sie sich, mein Bester. Sie befinden sich in derselben selbst. Ueberzeugen Sie sich.«

Er hielt die Laterne an die Luke, so daß das Licht derselben hineinschien. Die Beiden dem Tode Geweihten stießen einen Schrei des Entsetzens aus.

»Hören Sie die Schreie?« fragte der Pascha lachend. »Jetzt werden Sie nicht mehr daran zweifeln, daß Zwei noch leben, welche auch da hinab müssen.«

»Um Gotteswillen, das ist doch nicht etwa ihr Ernst?« rief der Agent.

»Mein völligster Ernst.«

»Nein, nein! Es ist ein Spaß, aber ein sehr schlechter, den Ihr mit uns treibt!«

»Fällt uns gar nicht ein. Ihr seid zwei Zeugen meiner Thaten, welche ich verschwinden lassen muß. Wie die That, so der Lohn. Ihr habt diese Opfer hinabstürzen lassen und werdet ihnen folgen.«

»Pascha! Mensch! Sind Sie des Teufels?«

»Nein, sondern Sie werden in wenigen Augenblicken des Teufels sein.«

»Das ist nicht glaublich. Sie werden doch Ihren Verbündeten, Ihren Wohlthäter nicht morden!«

»Warum nicht? Es dient ja doch zu meiner Sicherheit.«

»Machen Sie ein Ende! Was Sie sagen ist nicht wahr. Meine Braut würde es unmöglich zugeben.«

»Ihre Braut? Sie haben keine.«

»Lina?«

»Nein. Lina ist nicht Ihre, sondern meine Braut. Ich habe mich vorhin im Keller mit ihr verlobt, und Sie werden die Hochzeitskosten mit dem Leben bezahlen.«

»Das ist nicht wahr; das glaube ich nicht. Lina, Lina, komm' her, rede selbst!«

Jetzt erschien das Gesicht der Polizistin an der Klappenöffnung.

»Was wollen Sie von mir, Herr Schubert?« fragte sie in gut getroffenem, kalt höhnischem Tone.

»Lass' uns heraus!«

»Das kann ich nicht.«

»Was, Du meine Geliebte, meine Verlobte!«

»Täuschen Sie sich nicht! Mit unserer Verlobung ist es aus.«

»Alle Teufel, Mädchen!«

»Es ist mir nie eingefallen, Ihre Frau zu werden. Sie sind ein Ungeheuer, vor welchem man nur Entsetzen fühlen kann. Ich habe Sie getäuscht. Wir haben Sie in diese Falle gelockt, in welcher Sie umkommen werden.«

Sie trat von der Luke zurück und sogleich erschien das Gesicht des Paschas wieder dort. Es hatte ein höllisches Aussehen, theils durch den Ausdruck der Schadenfreude und theils durch die Verwundung mit der Laterne. Er hatte noch nicht die Zeit gefunden, sich ordentlich verbinden zu können. Jetzt rief er herein:

»Also nun wissen Sie, woran Sie sind. Lina geht mit mir nach Constantinopel; Sie aber fahren in die Tiefe zu Ihren Opfern, denen Sie mit in den Tod geholfen haben.«

»O Himmel, mein Himmel! Gnade, Gnade!« brüllte er laut auf.

Erst jetzt erkannte er deutlich, daß von Scherz keine Rede sei, daß man ihn und den Derwisch im Gegentheile dem sicheren Tode geweiht habe. Er begann zu heulen und um Erbarmen zu wimmern. Da aber ergriff ihn der Derwisch am Arme und schleuderte ihn zur Seite.

»Feigling!« rief er ihm zu. »Was jammerst Du! Dieser Mensch da draußen hört nicht auf unser Bitten. Aber noch hat er uns nicht sicher. Pass' einmal auf!«

Er holte aus und rannte mit solcher Gewalt gegen die Thür, daß nicht nur sie, sondern sogar die Mauer zu beben schien. Das that er einige Male, doch vergeblich. Er vermochte nicht, die Thür aus ihren Angeln zu bringen.

Da schob der Pascha sein Gesicht wieder vor die Luke und lachte herein:

»Ah, der Wolf rennt gegen die Thür seines Käfigs! Aber er kann nicht hinaus. Karl, Du bist mir längst im Wege und ich danke Allah, daß er Dich in meine Hände gegeben hat. Du wärest doch früher oder später zum Verräther an mir geworden. So aber werde ich Dich los und Du erleidest die Strafe für alle Deine Missethaten!«

Der Derwisch zitterte noch vor Anstrengung und wohl ebenso vor Angst und Wuth. Sein Blick war stier nach der Luke gerichtet. Dort lag die einzige Möglichkeit der Rettung.

»Was meinst Du?« rief er. »Was bildest Du Dir ein? Allah hätte mich in Deine Hand gegeben? Nein! Du befindest Dich ganz im Gegentheile in meiner Gewalt. Das will ich Dir beweisen.«

Ein Griff durch die Luke: und er hatte den Pascha bei der Gurgel. Die Luke war groß genug, daß er beide Hände hindurchstecken konnte. Er schlang sie um den Hals des draußen Stehenden und drückte denselben mit solcher Gewalt zusammen, daß dem Pascha der Athem verging. Sein Gesicht wurde blau, und seine Augen traten weit aus ihren Höhlen.

»Hil – fe! Hil – – fe!« ächzte er mit dem Verluste des letzten Luftrestes seiner Lunge.

»Der Teufel soll Dir helfen!« schrie der Derwisch. »Nicht ich sterbe, sondern Du selbst sollst zur Hölle fahren. Ich halte mich selbst noch an Deiner Leiche so fest, daß ich nicht in die Tiefe stürzen kann!«

Er hielt wie ein Panther sein Opfer fest. Der Castellan griff zu, aber es gelang ihm nicht, die zusammengekrallten Finger von dem Halse des Pascha zu lösen. Er zog sein Taschenmesser, öffnete es und stach damit dem Wüthenden in die Hände, so daß dieser fahren lassen mußte.

Der Pascha war der Besinnungslosigkeit bereits sehr nahe gewesen. Er sank, sobald er aus der tödlichen Umkrallung befreit war, zu Boden nieder. Sein Grimm aber war doch noch größer als seine Schwäche. Obgleich er an allen Gliedern zitterte und kaum einen verständlichen Laut auszustoßen vermochte, rief er doch mit heiserer Stimme:

»Hinab, hinab mit den Hallunken!«

»Soll ich am Hebel drücken?« fragte der Castellan.

»Ja, ja, schnell!«

Der Alte ergriff den eisernen Arm und drückte. Drinnen in der Brunnenstube ertönten die Schreckens- und Entsetzensrufe der beiden scheinbar dem Tode Geweihten. Das riß den Pascha empor. Obgleich er halb todt vor Entsetzen über den Angriff des einstigen Derwisches war, wollte er sich doch nicht den Hochgenuß entgehen lassen, die zwei in die Tiefe stürzen zu sehen. Er raffte sich also auf und hielt das Gesicht an die Luke der Thür.

Er kam grad noch zur rechten Zeit, um zu sehen, daß sie nach unten verschwanden. Deutlich freilich sah er es nicht. Wäre das Brunnenzimmer erleuchtet gewesen, so hätte er bemerken müssen, daß der Derwisch und der Agent nicht jählings in die Tiefe stürzten, sondern daß der Boden langsam und stetig mit ihnen versank.

»Weg sind sie!« rief er aus. »Der Tod hat sie verschlungen und nun giebt es keinen Zeugen mehr gegen mich. Und recht ist ihnen geschehen, vollständig recht, denn es fehlte kaum ein Augenblick, so hätte der Mörder mich erdrosselt.«

»Ja,« schmunzelte der Alte, »wenn ich ihm nicht mit dem Messer in die Hand gestochen hätte, so wären Sie unbedingt verloren gewesen. Es war ihm sehr ernst damit.«

»Das habe ich gefühlt. Sie haben mich gerettet, und ich werde es nie vergessen, daß ich Ihnen mein Leben verdanke.«

»Ich hoffe es; ich hoffe es!«

»Nun, Sie können versichert sein, daß ich es Ihnen vergelte. Wie gut, daß Sie sofort auf Lina's Vorschlag eingegangen sind. Ich befürchtete ein Wenig, daß Sie sich weigern würden.«

»Ich wollte; aber was thut man nicht so einer Nichte zu Liebe. Jetzt ist's geschehen und nun wollen wir wieder nach oben.«

Er machte die Klappe zu und wendete sich in den Gang hinein. Der Pascha folgte mit Lina und begab sich mit derselben nach der Wohnung des Schließers. Dieser ging nicht mit. Er that, als ob er etwas im Hofe zu besorgen habe, ging aber nicht dorthin, sondern kehrte in den Gang zurück.

Natürlich war der Agent ebenso wie der Derwisch entsetzt gewesen, als der Boden unter ihnen zu sinken begann. Sie wußten den unvermeidlichen, grauenvollen Tod unter sich und stießen jene Schreckensrufe aus, welche gehört worden waren. Als sie aber im nächsten Moment bemerkten, daß die Diele sich nicht um ihren Durchmesser drehte, um sie abzuwerfen, sondern ganz grad und gleichmäßig sich senkte, verhielten sie sich ruhig.

Nach wenigen Secunden bereits hielt diese Bewegung auf. Der Boden unter ihnen stand fest.

»Was ist das?« fragte der Agent, indem neue Hoffnung ihn beseelte.

»Wir stürzen nicht!« sagte der Derwisch, ganz ebenso überrascht.

»Der alte Castellan muß es versehen haben.«

»Ja. Herrgott, wenn es eine Rettung gebe! Wo mögen wir uns befinden?«

»Wenn es nicht so stockdunkel wäre, könnten wir es sehen. Tasten wir einmal umher!«

»Ja, aber um Gotteswillen schnell, damit wir von dieser verdammten Diele herunter kommen. Ich fühle hier hüben bei mir nur die feuchte Mauer des Brunnens.«

»Ich auch. Doch – da ist eine Oeffnung, hoch und breit wie ein Gang. Kommen Sie, kommen Sie schnell!«

Der Andere folgte natürlich sofort dieser Aufforderung, um nicht mehr die grauenhafte Tiefe unter sich zu haben. Schubert betastete jetzt den Boden.

»Wir stehen auf Felsen,« sagte er. »Gott sei ewig Lob und Dank. Wir sind gerettet!«

»Noch nicht. Stürzen können wir allerdings nicht mehr; aber wer weiß, wo wir stecken. Wenn wir nicht heraus können, so müssen wir hier elend verschmachten.«

»Befühlen wir einmal die Umgebung.«

»Hätten wir doch Zündhölzer!«

»Die habe ich mit.«

»Nun, so leuchten Sie einmal umher!«

Es wurden mehrere Hölzchen nach einander angebrannt. Beim Scheine derselben bemerkten die Beiden, daß sie sich in einem sehr kurzen Gange befanden, welcher durch eine mit starkem Eisenblech beschlagene Thür verschlossen wurde. Zu beiden Seiten befand sich undurchdringliches Mauerwerk und hinter ihnen der Brunnen, über welchem die verrätherische Diele lag.

»Hier können wir nicht hinaus,« seufzte der Agent.

»Nein,« stimmte der Andere bei.

»Durch die Mauern zu kommen ist unmöglich!«

»Und durch die Thür ebenso.«

»Ist kein Schloß daran?«

»Nein. Ich habe das genau gesehen. Das Schloß oder der Riegel befindet sich nur außen.«

»Hätten wir nur ein Werkzeug zum Aufsprengen!«

»Es giebt keins. Höchstens unsere Taschenmesser.«

»Die nützen uns gar nichts. Wie wollen wir mit den schwachen Klingen durch das Eisen kommen und dann durch das dicke Holz?«

»So bleibt uns nur das Eine übrig, zu versuchen, ob wir die Thür nicht aufstoßen können. Stemmen wir uns doch einmal dagegen!«

Sie thaten es und strengten alle Kräfte an, jedoch vergeblich. Die Thür wich nicht um die Breite eines Haares. Sie versuchten es wieder und wieder, bis sie entkräftet ablassen mußten.

»Es geht nicht,« seufzte der Agent, indem er tief Athem holte.

»Nein, wir sind verloren. Wir stecken in einem Loche, aus welchem es kein Entrinnen giebt.«

»So wäre es weit besser, wir wären wirklich hinab gestürzt. Da wäre jetzt Alles vorbei.«

»Alle Teufel! Sollen wir hier elendiglich verhungern und verdurstend? Nein, nein und tausendmal nein! Versuchen wir unsere Kräfte noch einmal!«

Sie strengten sich an, daß ihnen die Adern zu platzen drohten, aber ohne Erfolg.

»Es hilft nichts, es hilft nichts!« sagte der Agent, indem er vor Anstrengung und innerlicher Erregung an allen Gliedern zitterte. Wir sind eben verloren.«

»Verloren!« ächzte der Derwisch, indem er sich müd und verzweifelt auf die kalten Steine niedersetzte.

»Dieser Hund von einem Pascha!«

»Ja, ein Hund ist er. O, noch etwas viel, viel Schlimmeres!«

»So ein Schuft! Uns zu verderben, uns, seine besten Freunde!«

»Die wir ihm geholfen haben!«

»Ah, hätte ich ihn da! Ich würde ihn zerreißen, daß kein Glied an dem andern bliebe!«

»Er wäre nichts Anderes werth. Warum aber hat er es gethan?«

»Das fragen Sie auch noch?«

»Natürlich!«

»Aus Geiz und aus Berechnung. Um uns nicht bezahlen, um Sie nicht mit nach der Türkei nehmen und dort unterhalten zu müssen, hat er uns dem Tode geweiht. Und der zweite Grund ist, daß er uns nun als Zeugen seiner Schandthaten los geworden ist.«

»Schuft und dreimal Schuft!«

Der Agent hörte das laute Zähneknirschen seines Unglücksgefährten. Er fuhr fort:

»Aber nicht nur nach dem Leben trachtet er uns, sondern auch nach Anderem. Er hat meine Braut gegen mich aufgehetzt.«

»Gehen Sie mir mit dieser Braut!«

»Warum?«

»Weil sie ebenso schlecht und falsch ist wie die Anderen. Sie hat ja auch geholfen, uns hier in die Falle zu locken.«

»Das ist richtig. So eine Schlechtigkeit!«

»O, vielleicht ist das Alles längst verabredet gewesen. Wußten Sie denn genau, daß Sie von ihr geliebt wurden?«

»Natürlich!«

»Hm! Seit wie lange kennen Sie sie?«

»Na, freilich seit wenigen Tagen erst.«

»Nicht länger?«

»Nein.«

»Und da lassen Sie sich vormachen, daß sie in Sie verliebt sei?«

»Donnerwetter! Warum sollte sie es denn wohl nicht sein?«

»Weil – weil – na, ist sie hübsch oder nicht?«

»Reizend sogar!«

»Und ziemlich jung!«

»Gegen mich ist sie sehr jung.«

»Und meinen Sie etwa, daß Sie so sehr hervorragende Eigenschaften besitzen, in Ihren Jahren so ein Mädchen so außerordentlich schnell an sich zu fesseln?«

»Hm!« brummte der Agent.

»Ich glaube an diese Liebe nicht.«

»Sie meinen, daß sie geheuchelt habe?«

»Ja. Sie hat sich verstellt, um Sie in das Verderben zu locken.«

»Alle Teufel! Was hätte sie davon?«

»Was Sie gehört und gesehen haben. Sie wird mit dem Pascha nach Constantinopel gehen, um dort herrlich und in Freuden zu leben.«

»Dann mag sie der Teufel holen!«

»Was nützt es uns, wenn er das thut? Ehe er sie bekommt, hat er uns. Wir werden in fünf oder sechs Tagen verschmachtet sein.«

»Verdammt angenehme Aussicht!«

»Und ihr Oheim ist ein ebenso großer Schuft. Hätte er sich nicht dazu hergegeben, hätte er sich geweigert, so stäcken wir nicht hier.«

»Wer konnte das dem ehrlichen Gesichte dieses alten Heuchlers zutrauen!«

»Wer? Wir natürlich, wenn wir nämlich nicht geradezu verblendet gewesen wären. Sie waren vor Liebe blind, und ich – nun, ich weiß wirklich nicht, wo ich meine Augen und meine Gedanken gehabt habe. Dieser Castellan gab sich dazu her, so viele Personen zu tödten; da lag doch der Gedanke nahe, daß ihm nicht zu trauen sei.«

»Richtig! Wenn ich es mir genau überlege, so könnte ich mich beohrfeigen.«

»Das unterlassen Sie gefälligst. Eine solche Selbstbestrafung wäre zwar sehr wohl verdient, aber sie kann weder Ihnen noch mir etwas helfen. Strengen wir uns lieber an, ein Rettungsmittel zu finden.«

»Es giebt keins, und wenn wir uns das Gehirn zerdenken.«

»Vielleicht doch!«

»Nein, nein!«

»O, ich verzweifle noch nicht. Ich habe mich während meines vielbewegten Lebens in Lagen befunden, welche noch schlimmer als die jetzige waren, und mich doch immer herausgewunden.«

»Hier ist jede Hoffnung vergebens.«

»Nun, selbst wenn Sie Recht haben sollten, so fällt es mir doch nicht ein, hier langsam zu verschmachten.«

»Ich wüßte nicht, was Sie dagegen thun könnten.«

»Sehr einfach: Ich habe meinen Revolver in der Tasche. Ehe ich langsam und qualvoll dahinsterbe, jage ich mir eine Kugel durch den Kopf. Und dann steht die Waffe auch Ihnen zur Verfügung.«

»Danke sehr! Ich bin niemals ein Bewunderer des Selbstmordes gewesen.«

»Ganz nach Ihrem Gefallen. Ich liebe es auch nicht, mich selbst umzubringen; darauf können Sie sich verlassen. Und wenn ich den Lauf gegen meine eigene Stirn richte, so muß ich fest überzeugt sein, daß es wirklich keine Rettung für mich giebt. Jetzt denke ich noch lange nicht daran. Jetzt haben wir noch Zeit zum Nachdenken.«

»Es wird zu nichts führen!«

»Vielleicht doch. Wir sind noch zu aufgeregt. Lassen Sie uns erst ruhig werden.«

»Der Teufel soll ruhig bleiben, wenn man von allen Seiten den Tod gähnen sieht!«

»Nun, so schlimm ist es doch wohl noch nicht. Wir müssen nur systematisch verfahren, wenn mir uns unsere Lage überlegen. Durch die Thür ist nicht zu kommen. Das ist sicher.«

»So meine ich auch.«

»Durch die Wände auch nicht.«

»Nein. Sie sind zu stark.«

»So giebt es nur eine einzige Richtung, in welcher wir die Rettung suchen müssen.«

»Welche?«

»Der Brunnen da hinter uns.«

»Danke sehr! Ich will nicht zerschellen!«

»Pah! Wenn wir dem Tode geweiht sind, so wird unsere Lage dadurch, daß wir etwas wagen, nicht gefährlicher. Sie sitzen weiter vorn. Fühlen Sie einmal hin, ob dieser verteufelte Vexirboden noch da ist.«

Der Agent folgte dieser Aufforderung und meldete:

»Er ist noch da.«

»Schön! So sind wir noch nicht verloren.«

»Wieso?«

»Das fragen Sie noch? Meinen Sie, daß der Kastellan diese Diele für immer und ewig hier unten lassen werde?«

»Schwerlich.«

»Nun also!«

*


 << zurück weiter >>