Karl May
Orangen und Datteln
Karl May

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Eine Ghasuah

Abu djom

Wir hatten einen sehr anstrengenden Ritt hinter uns, denn wir kamen vom Dar Abu Uma herüber, welches über hundert geographische Meilen vom Nile entfernt ist, und hatten höchstens noch eine halbe Tagereise bis zum westlichen Arme desselben, dem Bahr el Abiad, zu machen. Wenn ich sage ›wir‹, so meine ich außer mir meinen kleinen, braven, tapfern und langjährigen Diener und Begleiter Hadschi Halef Omar und einen echten Fori-Neger Namens Marrabah. Dieser hatte das Gelübde gethan, ganz allein nach Mekka zu pilgern, und uns gebeten, ihn mitzunehmen, weil er bei uns Sicherheit vor Sklavenjägern erwartete. Ich hatte ihm diese Bitte aus Gründen der Menschlichkeit erfüllt, und da er die Gegend bis zum Nile genau kannte, so konnte er uns als Führer von Nutzen sein. Marrabah war als armer Teufel nur mit einem baumwollenen Hemde bekleidet und saß auf unserem Packpferde, welches während dieses Rittes kein Gepäck zu tragen hatte. Seine Waffen bestanden in einem alten Messer und einem noch älteren Spieße, von denen ich überzeugt war, daß sie keinem Menschen schaden würden, da ihr Träger und Besitzer sich schon am ersten Tage als ein zwar guter Kerl aber außerordentlicher Hasenfuß entpuppt hatte. Halef und ich ritten junge, aber sehr kräftige und ausdauernde Fadasihengste, Pferde, welche im tiefen Wüstensande große Schnelligkeit entwickeln und im Wasser wie die Fische schwimmen.

Wir hatten seit heut früh den jetzt wasserlosen Nid e' Nil weit von uns zur rechten Hand, und so nahm ich an, daß wir den Bahr el Abiad ungefähr in der Gegend der Insel Abu Nimul oder der Mischrah Orn Oschrin erreichen würden. Die Gegend war vollständig eben; zur Regenzeit grünende Steppe, bot sie uns als jetzt kahle, ausgetrocknete Fläche nicht einen einzigen Grashalm, über den sich unsere Augen hätten freuen können. Dazu brannte die Sonne mit einer so verzehrenden Glut auf uns hernieder, daß wir um die Mittagszeit Halt machten, um den Pferden Erholung zu gönnen und die größte Tageshitze vorüber zu lassen.

Wir saßen still beisammen und aßen einige Datteln, das einzige, was wir hatten. Da deutete Halef gegen Osten und sagte:

»Sihdi, da draußen am Horizonte sehe ich einen weißen Punkt. Ob das wohl ein Reiter ist?«

Da ich der angegebenen Richtung den Rücken zukehrte, stand ich auf und drehte mich um.

»Siehst du ihn?« fragte der kleine Hadschi weiter.

»Ja,« antwortete ich; »der Punkt, den du meinst, bewegt sich auf uns zu. Was so hell schimmert, ist ein weißer Burnus. Die Bewegung ist so rasch, daß wir es nicht mit einem Fußgänger, sondern mit einem Reiter zu thun haben.«

»Ist er etwa bewaffnet?« fragte da der Fori-Neger ängstlich.

»Natürlich! Jedermann geht hier mit Waffen, wie du Weißt.«

»O Allah, Allah, bewahre mich vor dem neunmal geschwänzten Teufel! Meinst du, Herr, daß dieser Reiter uns feindselig angreifen wird, uns vielleicht ersticht oder gar erschießt?«

Die Furcht vergrößerte seine Augen, und er spreizte alle zehn Finger aus, als ob er die Gefahr damit abwenden wolle. Da fuhr ihn der wackere Halef zornig an:

»Uskut, gerbu – schweig, Hasenfuß! Wie kann ein einzelner es wagen, uns, die wir zu dreien sind, zu überfallen! Und wenn es zwanzig oder fünfzig wären, wir würden uns nicht fürchten. Wir haben den Löwen und sogar den schwarzen Panther erlegt; wir haben den Elefanten und das Nilpferd gejagt; mein Sihdi und ich, wir ganz allein haben gegen hundert Feinden gestanden, ohne daß es unsern Herzen eingefallen ist, schneller zu schlagen. Ich sage dir, so lange du bei uns bist, wird es keinem Feinde gelingen, dir nur ein einziges Haar zu krümmen. Aber leider wächst auf deinem Kopfe nur die Wolle des Schafes anstatt des schönen Schmuckes der tapfern Männlichkeit. Darum bist du ein Schaf und wirst eines bleiben, bis dich Allah zu deinen Vätern versammelt, wenn du überhaupt einen Vater gehabt hast; denn nur tapfere Männer dürfen von ihren Vätern sprechen!«

Das war von meinem kleinen Hadschi nicht höflich gesprochen. Er haßte nichts so sehr als Furchtsamkeit. Ein mutloses Wort oder gar eine feige That konnte ihn in Wut versetzen. Während dieser Zurechtweisung war der fremde Reiter näher gekommen. Er sah uns und hielt an. Jedenfalls überlegte er, ob er uns ausweichen oder sich zu uns wenden solle. Er entschloß sich für das letztere und kam auf uns zugeritten. Er saß auf einem falben Beni-Schanqolpferde und hatte den weißen Burnus so um sich geschlagen, daß wir nur die lange, arabische Flinte sahen, welche er in der Hand hielt, nicht aber die andern Waffen, welche er im Gürtel trug. Kurz vor uns parierte er sein Pferd und musterte uns mit Augen, welche nichts weniger als freundlich auf uns blickten. Dann fragte er kurz und im Tone eines Gebieters:

»Wer seid ihr?«

Es fiel mir nicht ein, zu antworten; auch Hadschi Halef Omar schwieg. Der Fori-Neger duckte sich zusammen wie ein Huhn, über welchem der Habicht schwebt.

»Wer seid ihr?« wiederholte der Beduine in noch strengerer Weise als vorher.

Da stand der kleine Halef vom Boden auf, zog sein Messer, trat auf ihn zu und sagte:

»Steig herunter, und nimm dein Messer, um dich gegen mich zu wehren; dann wirst du gleich erfahren, wer und was wir sind! Komm nur herab; ich werde dich unterweisen, höflich zu sein! Man grüßt, wenn man sich begegnet, und spricht erst dann eine Frage aus, wenn man den Willkommen gegessen und getrunken hat.«

»Dazu habe ich keine Zeit,« murrte der Fremde; »ich bin ein Krieger der tapfern Baqqara; ihr befindet euch auf unserem Gebiete, und so habe ich ein Recht, zu wissen, wer ihr seid.«

»Das sollst du nun erfahren, da du uns vorher gesagt hast, wer du bist. Dieser Mann da hinter mir kommt aus Dar-for und will nach der heiligen Stadt Mekka, um dort Allah und den Propheten zu verehren. Dieser hohe Herr da neben mir ist der weitberühmte und unüberwindliche Hadschi Kara Ben Nemsi Emir, und ich, weißt du, wer ich bin?,‹

»Nein.«

»So öffne deine Ohren und vernimm in Ehrfurcht meinen Namen. Ich heiße Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah. Ist dein Name auch so lang und schön?«

Man muß nämlich wissen, daß der Beduine die Namen seiner Vorfahren dem seinigen anzuhängen pflegt. Wer dies nicht kann, weil er seine Ahnen nicht kennt, wird verachtet. Halef war keineswegs stolz, sondern der gemütlichste Kerl der Welt; aber der Baqqara hatte nicht gegrüßt; darüber war er erzürnt und so nahm er den Mund etwas voller, als nötig war. Mich liebte er mehr als alles andere auf der Erde; er hatte für mich sein Leben mehr als hundertmal gewagt; ich war in seinen Augen die in allen Tugenden, in allen guten Eigenschaften hervorragendste Person, die es nur geben konnte, und so fühlte er sich am meisten darüber ergrimmt, daß selbst auch ich nicht eines Grußes gewürdigt worden war.

Der Baqqara schien keineswegs eingeschüchtert worden zu sein. Er sagte in ruhigem, kaltem Tone: »Ich komme vom Wasser des Niles und will in die Wüste, wo meine Gefährten sind, um Gazellen zu jagen. Nun wißt ihr es und werdet mir wohl auch sagen, woher ihr kommt und wohin ihr wollt.‹

»Wir kommen vom Dar Abu Uma und wollen nach dem Flusse.«

»Nach welcher Stelle?«

»Das wissen wir noch nicht!«

»Wollt ihr etwa den fremden Muallim el Milla el Mesihija aufsuchen?«

Diese arabischen Worte bedeuten zu deutsch Lehrer des Christentums. War vielleicht ein Missionar hier in der Nähe? Das mußte mich natürlich interessieren, und darum antwortete ich an Halefs Stelle:

»Ja, das wollen wir. Kannst du uns wohl sagen, wo er zu finden ist?«

»Ja. Er hat sich auf der Dschesireh (Insel) Aha niedergelassen, um die dort wohnenden Gläubigen zu verführen. Allah verderbe ihn!«

»Aus welchem Lande ist er gekommen?«

»Aus dem Bilad el Inkiliz. Wenn ihr von hier aus gegen Nordost reitet, werdet ihr morgen bei ihm sein. Seid ihr etwa auch verdammte Christen?«

»Ich bin einer,« antwortete ich ruhig.

»So lasse dich Allah in der tiefsten Hölle schmoren! Du besudelst mich!«

Er gab seinem Pferde die Sporen und ritt davon, in die Steppe hinein, die Richtung verfolgend, welche er vorher eingehalten hatte.

»Sihdi, soll ich ihm nachreiten und die Peitsche geben?« fragte mich Halef zornig, indem er seine Nilhautpeitsche aus dem Gürtel zog.

»Nein. So ein Mann kann mich nicht beleidigen.«

»Ja, du stehst viel zu hoch, als daß du es bemerken könntest, wenn so ein Frosch dich anquakt, so ein Taugenichts, der noch nicht einmal gelernt hat, sein Pferd zu behandeln. Hast du nicht gesehen, daß dieses ein Eisen verloren hatte?«

»Ja, am rechten Hinterhufe. Bekümmern wir uns nicht weiter um diesen Menschen.«

Die Baqqara sind ausgezeichnete Reiter und wilde, verwegene Jäger, Krieger und Räuber. Man hält sie für die gefürchtetsten Araber des obern Niles, und dies gar nicht mit Unrecht, wie sie in neuerer Zeit des öfteren bewiesen haben, denn bei den Aufständen im Sudan waren sie es, welche die hervorragendste Rolle spielten. Daß dieser eine, der jetzt hier bei uns gewesen war, ein Pferd mit nur drei Eisen ritt, galt mir als ein Zeichen, daß er sein Tier nicht schonte, als weiter nichts; bald jedoch sollte dieser Umstand mir wichtiger werden.

Wir brachen zwei Stunden nach Mittag wieder auf, ritten aber nicht nach Nordost, wie uns geraten worden war, sondern ostwärts, in unserer frühern Richtung weiter, weil wir da eher an den Fluß kamen. Wenn wir demselben nach abwärts folgten, konnten wir die Insel Aba und den englischen Missionar auch erreichen.

Der Weg ging wie bisher über öde, vertrocknete Steppe; sie war hart, malmte aber unter den Hufen unserer Pferde leicht in Staub. Darum war es kein Wunder, wenn wir nach ungefähr einer Stunde eine Spur, welche aus Südwesten kam, gleich bemerkten. Sie war breit, und ich stieg natürlich von meinem Pferde, um sie zu untersuchen. Ich habe während meiner langjährigen Reisen in wilden Ländern nie eine Fährte unbeachtet gelassen, und nur diesem Umstande verdanke ich es, daß ich heut noch lebe. Bei genauer Prüfung zeigte es sich, daß diese Spur von wenigstens sechzig Pferden und Kamelen herstammte und grad in der von uns beabsichtigten Richtung nach dem Nile führte.

Das waren jedenfalls Baqqara gewesen. Diese bedienen sich der Ochsen zum Reiten und steigen nur bei Jagd- oder Kriegszügen zu Pferde. Wir hatten es also mit einem solchen zu thun, und es blieb nur zu entscheiden, ob es ein Kriegs- oder Jagdzug gewesen war. Diese Entscheidung war sehr leicht zu treffen, denn auf die Jagd nimmt man nicht so viele Kamele mit. Diejenigen, welche hier geritten waren, kehrten also vom Kriege zurück, und da in jenen Gegenden Krieg ganz gleichbedeutend mit Raub, besonders Sklavenraub, zu sein pflegt, so hegte ich die Überzeugung, daß wir die Fährte einer Ghasuah vor uns hatten. Ein Kriegszug, zum Zwecke, Schwarze zu überfallen und Sklaven zu machen, wird nämlich Ghasuah genannt.

Noch hielten wir an derselben Stelle, da sahen wir im Südwest, also da, woher die Fährte kam, einen Trupp von vielleicht zwanzig Reitern erscheinen, welche sich im Galoppe näherten.

»Sihdi, das sind Neger,« sagte Halef. »Ich sehe schon von weitem die schwarze Farbe ihrer Angesichter. Von welchem Stamme werden sie wohl sein? Hier in dieser Gegend giebt es außer den Schilluk keine Neger.«

»Schilluk sind es nicht. Diese bewohnen nur die Ufer des Niles, während diejenigen, welche wir hier sehen, aus der innern Steppe kommen. Da sie sich genau auf dieser Fährte halten, möchte ich annehmen, daß sie die Verfolger der hier vorübergekommenen Sklavenräuber sind.«

»Dann können wir uns auf eine feindselige Begegnung gefaßt machen!«

»Allerdings. Wir bleiben trotzdem hier halten, um sie zu erwarten.«

»Nein, nein, wir fliehen, wir reißen aus!« rief der Fori-Neger. »Ich muß nach Mekka; ich will leben bleiben; ich mag nicht erschossen oder erschlagen werden! Allah behüte und bewahre mich vor dem neunmal geschwänzten Teufel! Ich reite fort. Wozu hätte mein Pferd denn vier Beine, wenn es nicht mit ihnen laufen soll!«

Er wollte wirklich fort; Halef aber griff ihm in die Zügel und hielt ihn zurück, indem er ihn anzürnte:

»Wenn du ausreißen willst, so lauf mit deinen eigenen Beinen, aber nicht mit denen dieses Pferdes, welches nicht dir, sondern uns gehört, Feigling! Wir bleiben da!«

»Aber sie werden uns töten!« zeterte der furchtsame Schwarze.

»Fällt ihnen nicht ein!«

»Doch, doch! Siehst du denn nicht, daß sie uns umzingeln wollen? O Allah, Allah! O Schreck, o Unglück, o Herzeleid! O Mohammed, o ihr heiligen Khalifen, begnadet meinen Leib und meinen Geist, meine Seele und mein Leben mit eurem Schutze!«

Er warf sich vom Pferde und kroch unter dasselbe, wo er sich wimmernd niedersetzte, um das Ende seiner Tage zu erwarten. Den Spieß und das Messer hatte er weggeworfen, damit man ihn ja nicht für einen gegnerisch gesinnten Menschen halten sollte.

Es war allerdings so, wie er gesagt hatte: die Schwarzen teilten sich und kamen dann von zwei Seiten auf uns zugaloppiert, um uns einzuschließen. Ich ließ dies sehr ruhig geschehen. Nur ein einziger von diesen Reitern war in ein Wollenhemd gekleidet; die andern trugen nur einen schmalen Hüftenschurz. Ihre Pferde waren abgetrieben und taugten überhaupt nicht viel; jedenfalls kamen sie aus den sumpfigen Niederungen des Bahr Seraf, Bahr el Ghasal oder Bahr el Dschebel, wo Pferde gar nicht oder nur sehr schlecht gedeihen. Ihre Waffen bestanden aus Messern, aus schweren Hegelikholz-Keulen und langen Kocablanzen. Nur der mit dem Hemde Bekleidete hatte eine Flinte. Dieser Mann war ein wahrer Riese von Gestalt, viel, viel länger und breiter als ich. Tiefe Blatternarben, welche sein Gesicht ganz zerrissen hatten und die Schwärze desselben rot durchzogen, gaben ihm ein schreckliches Aussehen. Sie alle hatten drei Narben auf der Stirn, welche von Messerschnitten herrührten und als Schmuck und Auszeichnung dienen sollten. Ihre Köpfe waren mit einem Teige aus Asche und Kuh-Urin so dick und so hoch beschmiert, daß die Haare vollständig darunter verschwanden und es aussah, als ob sie Mützen trügen; dies hat den doppelten Zweck, die männliche Schönheit zu erhöhen und das Ungeziefer fern zu halten. Diese Teighelme und die Stirnnarben sagten mir, daß die Neger zum Volke der Nuehr gehörten.

Also wir ließen es ruhig geschehen, daß sie uns umzingelten, doch hatte ich meine Revolver gelockert und den Henrystutzen schußbereit quer über die Kniee gelegt. Ich war nämlich wieder in den Sattel gestiegen. Die Schwarzen schwenkten unter gräßlichem Geheul ihre Lanzen; es war ein kritischer Augenblick. Da, als sie uns vollständig eingeschlossen hatten, schwiegen sie und der Blatternarbige blieb vor mir halten und fuhr uns in einem sehr verdorbenen Arabisch, wie es von jenen Negern gesprochen wird, grimmig an:

»Wer seid ihr? Was thut ihr hier? Rede schnell, sonst erwürge ich dich!«

»Wir sind Fremde und ziehen auf friedlichen Wegen,« antwortete ich.

»Du lügst; ihr seid Baqqara,« zischte er mir zu, indem er sein Pferd näher trieb.

»Ich sage die Wahrheit; wir gehören nicht zu den Baqqara, und ich bin überhaupt kein Araber, sondern ein Europäer.«

»Hund, wagst du, mich täuschen zu wollen? Die Europäer haben Gesichter wie die Farbe des Wasserschaumes; du aber bist dunkel und willst mich mit einer Lüge betrügen; ich erwürge dich!«

Bei diesen Worten trieb er sein Pferd hart an das meinige und streckte die Fäuste nach meinem Halse aus. Es galt, mich zu wehren, ohne ihn zu verletzen oder gar zu töten, und dabei in der Weise Herr der Situation zu bleiben, daß sich niemand an mir vergreifen durfte. Ich warf also, um die Hände frei zu bekommen, Halef blitzschnell meinen Stutzen zu, richtete mich hoch in den Steigbügeln auf und schlug dem Schwarzen, eben als er mich packen wollte, die Faust mit solcher Gewalt gegen die Schläfe, daß er zurückflog. Das war der wohlgeübte Jagdhieb, der mir drüben in den amerikanischen Prairien den Ehrennamen Old Shatterhand (Schmetterhand) eingetragen hatte. Er verfehlte auch hier seine Wirkung nicht: dem blatternarbigen Riesen schwand die Besinnung; ebenso schnell, wie er den Faustschlag erhalten hatte, faßte ich ihn beim Gürtel, an welchem ich ihn zu mir herüberriß, so daß er quer vor mich zu liegen kam, hielt ihn mit der linken Hand, zog mit der rechten mein Messer, zückte es über ihm und rief seinen Leuten drohend zu:

»Bleibt still! Rührt euch nicht, sonst ersteche ich ihn! Wenn ihr Frieden haltet, wird ihm nichts geschehen. Ich bin ein Freund der Nuehrs; ich habe viele Wochen lang bei den Stämmen der Laq, Eliab und Agonq gewohnt und bin ein Bruder von ihnen geworden; euch aber kenne ich nicht. Wie ist der Name eures Stammes?«

Diese Frage richtete ich an einen jungen, sehr kräftigen Reiter, welcher der mutigste zu sein schien, denn er hatte seine Lanze auf mich gezückt und diese drohende Bewegung nur deshalb wieder rückgängig gemacht, weil mein Messer über dem Blatternarbigen schwebte.

»Wir gehören zu den Eliab,« antwortete er finster,

»Dann müßtet ihr mich kennen, denn ich bin bei euch am Bahr el Dschebel gewesen.«

»Unsere Abteilung ist nach dem Bahr el Ghasal gezogen,« erklärte er.

»Ich habe davon gehört. Euer Beng-did wird Abu djom, Vater des Windes, genannt, weil er im Kampfe mit der Schnelligkeit des Windes zu siegen pflegt. Er ist der stärkste und tapferste Krieger aller Stämme der Nuehrs.«

»Und doch hast du ihn mit noch viel größerer Schnelligkeit besiegt!«

»Ich? Wie?« fragte ich verwundert. »So ist der Gefangene hier in meinen Händen wohl Abu djom?«

»Ja, er ist's, mein Vater; ich bin sein Sohn. Du bist stark und schnell, wie Abu es Sidda, von dem uns unsere Brüder vom Bahr el Dschebel erzählt haben.«

»Abu. es Sidda? Der bin ich; die Eliab haben mir diesen Namen gegeben; das stimmt.«

Da machte der junge Neger eine Bewegung der Überraschung und rief aus:

»Ja, das stimmt! Wurde der kleine Mann da neben dir nicht Abu Kalilin genannt?«

»Allerdings,« antwortete ich. Mein kleiner Hadschi Halef Omar besaß nämlich einen außerordentlich spärlich gewachsenen Schnurrbart, welcher, obgleich er ungemein stolz auf denselben war, aus nur sehr wenigen Haaren bestand. Daher hatten ihn die Eliab in ihrer bezeichnenden Ausdrucksweise Abu Kalilin d. i. »Vater der Wenigen«, nämlich Haare, genannt, was dem lieben Schwerenöter freilich gar nicht lieb gewesen war; jetzt aber fiel er schnell ein:

»Ja, so war mein Name bei den Eliab. Ihr kennt also mich und meinen berühmten Sihdi? Da werdet ihr wissen, daß wir zwar große Krieger, aber eure Brüder sind und ihr also nichts von uns zu befürchten habt.«

»Ja, ihr seid unsere Freunde und werdet nicht nur meinen Vater wieder frei geben, sondern uns auch gegen die Baqqara helfen. Erlaubt mir, euch im Namen aller unserer Krieger zu begrüßen!«

Er kam erst zu mir und dann zu Halef, um uns erst in das Gesicht und dann in die rechte Hand zu spucken, welche Höflichkeit wir ihm sofort zurückgaben. Wir durften den Speichel nicht wegwischen, sondern mußten ihn eintrocknen lassen, denn so unappetitlich diese Art der Begrüßung ist, es wird durch dieselbe der Bund auf Tod und Leben abgeschlossen und besiegelt. Wer mit wilden Völkern auf du und du freundschaftlich verkehren will, muß sich auf gar vieles gefaßt machen, was er daheim wahrscheinlich mit Ohrfeigen vergelten würde.

Es verstand sich ganz von selbst, daß wir alle abstiegen und ich dabei den Anführer sorgfältig zu Boden gleiten ließ. Die Seinen befürchteten, ich hätte ihn erschlagen; er kam aber bald wieder zu sich und verzieh mir gern den Hieb, als er erfuhr, wer wir waren. Das Anspucken erlebte selbstverständlich jetzt eine zweite Auflage, was heute wohl nicht mehr abstoßend wirken wird, da ich mit gutem Gewissen versichern kann, daß ich mich seit jener Zeit, einer ganzen Reihe von Jahren, schon einigemale gewaschen habe.

Niemand war über das so schnell und unerwartet hergestellte gute Einvernehmen so erfreut, wie unser Fori-Neger Marrabah. Er lachte vor Entzücken am ganzen Gesichte, drehte dabei das Weiße der Augen fast aus den Lidern und zeigte ein Gebiß, welches einem Jaguar alle Ehre gemacht hätte.

Wir erfuhren nun, daß meine Vermutung in Beziehung auf die Ghasuah ganz richtig gewesen war. Wir befanden uns auf der Fährte eines Sklavenraubzuges, den die Baqqara nach dem Bahr el Ghasal unternommen hatten. Die dort wohnende Abteilung der Eliab-Nuehrs war nicht zahlreich, und ihre erwachsenen Männer waren auf der Jagd abwesend gewesen. Darum hatten die Baqqara, als sie das Dorf überfielen, keinen nennenswerten Widerstand gefunden. Die alten Leute und kleinen Kinder waren nach der gräßlichen Art und Weise, in welcher die Sklavenjagd betrieben zu werden pflegt, einfach umgebracht worden; die jüngeren Frauen, die Knaben und Mädchen aber hatte man fortgeschleppt, um sie an Händler zu verkaufen.

Das ist freilich keine sehr leichte und gefahrlose Sache, denn der Sklavenhandel ist verboten, aber es giebt selbst heut noch Gelegenheiten und Wege genug, die ›Waren‹ an den Mann zu bringen. Wenn der Transport den Nil überschritten hat, und sich auf dem östlichen Ufer desselben befindet, wird der Zug als gelungen betrachtet. Dort gilt der Schwarze nach unserem Gelde durchschnittlich fünfzig Mark; je weiter man ihn dann nach Norden bringt, desto höher steigt sein Wert. Der Transport nach dem Nile ist zwar mit Schwierigkeiten verknüpft, aber nicht eigentlich gefährlich. Von wirklicher Gefahr ist erst dann die Rede, wenn er den Fluß erreicht und denselben zu überschreiten hat, da dort Beamte stationiert sind, welche mit Hilfe von Truppen Jagd auf die Sklavenjäger und Sklavenhändler zu machen haben. Wer jedoch die Pflichttreue dieser Leute kennt, der weiß, daß dieselbe einem goldenen oder auch nur silbernen Händedrucke meist nicht zu widerstehen vermag. Das Schrecklichste bei einer Ghasuah ist, daß auf jeden brauchbaren Sklaven, den sie ergiebt, durchschnittlich drei andere Menschen kommen, welche dabei ermordet werden. Afrika verliert auf diese Weise jährlich zwei Millionen Geschöpfe, welche ebenso Gottes Ebenbild sind und Freude und Leid nicht weniger tief empfinden als wir!

Die Eliab-Nuehrs hatten, als sie von der Jagd heimkehrten, ihr Dorf verbrannt und verwüstet und zwischen den Trümmern die Leichen oder deren verkohlte Reste gefunden. Entsetzen hatte sich ihrer bemächtigt, und demselben waren grimmige Wut und der Durst nach Rache gefolgt. Sie hatten sich, so gut es ging, für einige Zeit verproviantiert und waren dann auf ihren von der Jagd ermüdeten Pferden aufgebrochen, den Sklavenräubern nachzueilen. Leider, oder wie ich dachte, glücklicherweise war es ihnen nicht gelungen, dieselben einzuholen. Ich war überzeugt, daß sie den Kürzeren gezogen hätten, denn sie zählten nur zwanzig Männer, während die Baqqara weit zahlreicher gewesen waren.

Abu djom, der Anführer, erzählte mir das alles, während seine Leute in stillem Grimme rundum saßen. Als er geendet hatte, sprang er auf und rief:

»Nun steigt wieder auf die Pferde, ihr Männer! Wir müssen weiter eilen, sonst kommen wir zu spät.«

»Halt, wartet noch,« bat ich dagegen. »Ihr habt noch Zeit, zu warten.«

»Warten? Emir, ist das dein Ernst? Wenn die Gefangenen über den Fluß hinüber sind, so sind sie für uns verloren!«

»Nein. Die Fährte, welche wir hier sehen, ist über einen Tag alt. Der Zug ist gestern mittag hier vorübergekommen und hat also am Abend den Fluß erreicht. Hat man die Sklaven sofort über den Nil schaffen wollen, so ist dies bereits geschehen, und wir können es nun nicht mehr hindern; hat es aber Gründe gegeben, sie noch am diesseitigen Ufer zurückzubehalten, so können diese Gründe auch jetzt noch vorliegen, und eure Verwandten sind noch nicht hinüber.«

»Eben darum müssen wir eilen! Meine Seele sehnt sich, das Messer in das Blut der Räuber und Mörder zu tauchen!«

»Willst du, daß ihr Messer sich in dein Herz taucht? Wir befinden uns auf dem Gebiete der Baqqara, deren hiesige Abteilung, die Selim, gewiß fünfhundert Krieger zählt; ihr aber seid nur zwanzig.«

»Ich denke, du willst uns helfen, Emir?«

»Ja. das werde ich thun; ihr seid ja meine Brüder.«

»Nun, ich habe von euch vernommen, daß ihr niemals die Feinde zählt, wenn es auch Hunderte sind. Wenn ihr uns helft, brauchen wir uns nicht zu fürchten. Ich weiß, daß du ein Zaubergewehr hast, mit welchem du immerfort schießen kannst, ohne laden zu müssen. Was sind da fünfhundert Baqqara gegen uns!«

Er meinte meinen Henrystutzen, welcher allerdings fünfundzwanzig Schüsse hatte. Ich antwortete ihm:

»Wir pflegen freilich unsere Feinde nicht zu zählen, weil wir uns weniger auf Gewalt als vielmehr auf unsere List verlassen. Mein Gewehr giebt mir ja eine große Übermacht, aber ich mag nicht Menschen töten, wenn dies nicht unbedingt nötig ist und ich ohne Blut zum Ziele gelangen kann.«

»Nicht töten?« fragte er erstaunt. »Was haben diese Hunde anders verdient als den zehnfachen Tod!«

»Ich bin ein Christ, und wir Christen rächen uns nicht, sondern lassen die Strafe Allah und der Obrigkeit über. Dazu haben diese Baqqara nicht mir etwas gethan, und es fällt mir also nicht ein, unnötigerweise ihr Blut zu vergießen. Willst du unsere Hilfe haben, so höre auf mich, und wenn die Rettung der Eurigen möglich ist, so werde ich sie retten; willst du dich aber nicht nach mir richten, so reite ohne uns weiter, und ich sage euch, daß ihr noch heute abend dem Tode in die Arme gehen werdet. Ihr wenigen werdet unter den vielen Baqqara sein wie zwanzig Schakals unter fünfhundert Hyänen.«

Er starrte lange finster vor sich nieder. Auch keiner seiner Leute sagte ein Wort. Die Nuehrs sind nicht Mohammedaner, sondern Heiden; er konnte meine milden, christlichen Anschauungen nicht begreifen; nach seiner Ansicht schrie' die That nach Blut, vergossen von seiner eigenen Hand. Darum kam ich seinem Entschlusse zu Hilfe, indem ich drängte:

»Wähle zwischen List oder Gewalt, zwischen mit uns oder ohne uns! Im ersteren Falle wirst du die Sklaven wahrscheinlich retten; im letzteren sind sie aber verloren und ihr mit ihnen.«

»Laß mich zuvor mit meinen Kriegern reden, Emir,« bat er.

»Thue es; ich werde so lange warten,« antwortete ich, indem ich aufstand und mich mit Halef eine Strecke entfernte, um nicht zu stören. Nach einiger Zeit wurden wir zurückgerufen. Die Nuehrs hatten sich erhoben, und ihr Anführer sagte mir:

»Emir, wir bitten dich, uns nicht zu verlassen. Wir wollen unsere Frauen, Söhne und Töchter zurück haben und werden thun, was du gebietest. Wir wollen kein Blut vergießen, sondern mit den Baqqara über den Blutpreis verhandeln. Aber wenn sie beides verweigern, so werden wir kämpfen, auch wenn es ganz sicher ist, daß wir dabei untergehen. Was wirst du in diesem Falle thun?«

»Euch beistehen, denn ihr seid meine Brüder.«

»So sei unser Scheik und Emir, Herr; wir folgen dir!«

»Dann verlange ich aber, daß ihr jeder meiner Weisungen Gehorsam leistet. Geschieht dies nicht, so endet das Wagnis, welches wir unternehmen, mit unserm Verderben.«

Wir stiegen alle in die Sättel und ritten fort, der Fährte nach, ich voran und Halef an meiner Seite. Die Nuehrs sprachen hinter uns leise miteinander, und wenn ich mich einmal zu ihnen zurückwandte, sah ich an ihren bezeichnenden Blicken und ehrfurchtsvollen Mienen, daß unsere Personen die Gegenstände ihrer Unterhaltung waren. – – –


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