Karl May
Orangen und Datteln
Karl May

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III.

Wie ganz anders heute, nach verhältnismäßig so kurzer Zeit! Marokko krankt an innerer Verzehrung. Von Tripolis wird nicht einmal gesprochen. Algerien wurde ›ausgeräuchert‹, und nun hat Frankreich seine Hand auch auf Tunesien gelegt. Dort schreitet die französische Civilisation mit Riesenschritten vorwärts. Hat man doch sogar Eisenschienen gelegt, so daß der schrille Pfiff der Lokomotive den Mueddin unterbricht, wenn er vom hohen Minareh herab die Gläubigen zum Gebete ruft.

Und doch ist Tunis immer noch orientalischer als Algier und selbst Kairo. Das bemerkt man erst, wenn man in das Innere der Stadt gelangt. Vor der Stadt, am Hafen, wird der Reisende zunächst von den Zollbeamten empfangen, welche nicht allzu strenge sind, sondern beim Anblicke eines oder einiger Frankenstücke sich eines menschlichen Rührens nicht zu erwehren vermögen. Der Europäer mag sich dann vor den Lastträgern, welche gern mitsamt dem Gepäck echappieren, in acht nehmen und sich so schnell als möglich nach dem Hotel d'Orient oder Hotel de France bringen lassen, wo er zwar selten gutes Essen und reine Wäsche, aber zu jeder Zeit gutwillige Aufklärung findet, wenn er weiß, was das Wort – Backschisch, Trinkgeld, im Oriente zu bedeuten hat.

Von der Stadt selbst läßt sich wenig sagen. Sie gleicht den andern orientalischen Städten, ohne irgend welchen Vorzug vor ihnen zu haben. Der Moslem freilich hat eine so gute Meinung von ihr, daß er sie die Stadt der Glückseligkeit nennt. Dem pflichtet der Europäer bei, wenn er von dem Oelbaumhügel, Belvedere genannt, im Lichte der sinkenden Sonne die schlanken Minarehs und platten Dächer, auf deren Weiße goldige Tinten flimmern, liegen sieht. Doch wird er, wenn er das Innere der Stadt betritt, auch diese Meinung sicher ändern. Die Gassen sind krumm und eng; überall liegt Schutt, Geröll und übelriechender Schmutz. Oft treten die Häuserreihen so nahe aneinander, daß man mit einem kurzen Schritte von einem Dache der diesseitigen Straßenseite auf ein Dach der jenseitigen gelangen kann. Baufällige Gebäude werden nicht repariert; man läßt sie zerfallen und baut, da es nicht an Platz gebricht, ein neues Haus nebenan. So stehen Ruinen, wohlgepflegte Gebäude, improvisierte Zelte, ja Grabkapellen nebeneinander, die Geschichte und Entwicklung der Stadt von der ältesten bis auf die neueste Zeit vertretend. Kaiser Karl V. ließ nach dem Siege von Keleah eine Zwingburg bauen, zu welcher die Bewohner die Quadern des karthagischen Aquäduktes abbrechen und herbeischaffen, auch aus den Marmorsäulen Karthagos Kalk brennen mußten. Diese Burg liegt heute auch in Trümmern. Das einzige erwähnenswerte Haus ist der Palast des Beis am Kasbahplatze, welcher aber nur sehr selten benutzt wird.

Früher waren die Bewohner äußerst streng nach der Rasse und dem Glauben voneinander gesondert. Dies ist jetzt nicht mehr der Fall, dennoch nehmen den untern Stadtteil und die Vorstädte vorzugsweise die Christen und Juden ein; der obere Teil wird von den sogenannten Kulugli, den Nachkommen der Türken, bewohnt, und in dem Mittelteile hausen die Mauren, welche meist Nachkommen der aus Spanien vertriebenen Moriskos sind. Zu erwähnen wäre noch, daß des Abends bei Dunkelheit jedermann verpflichtet ist, eine Laterne zu tragen.

Der Bei wohnt in seinem Schlosse Bardo, welches in westlicher Richtung eine Stunde von der Stadt entfernt liegt. Um dorthin zu gelangen, passiert man einen Bogen des imposanten Aquäduktes, welcher einst Karthago mit Wasser versorgte. Dieser Bardo ist eine Zusammenstellung von verschiedenen Gebäuden, in denen nicht nur der Bei residiert, sondern auch viele hohe Würdenträger, Beamte und Bedienstete wohnen.

Was die Ruinenfelder von Karthago betrifft, so führt der Weg dorthin über das Schlachtfeld von Zama, auf welchem Scipio Africanus Hannibal besiegte. Die meisten Ruinen stammen aus späterer Zeit; als die wirklichen Ueberreste des alten Karthago hat man wohl nur jenes Wasserwerk, welches aus achtzehn großartigen Zisternen besteht, zu betrachten.

Mit diesen Sehenswürdigkeiten ist der Fremde sehr bald fertig. Ich hielt es mit der Gegenwart; das Leben und Treiben der jetzigen Bevölkerung interessierte mich mehr als das hier übrigens verbotene Suchen und Graben nach Altertümern. Darum trennte ich mich von Turnerstick, welcher geschäftlich sehr in Anspruch genommen war, und mietete mir eine Wohnung in der Mittelstadt. Das Haus gehörte einem Barbier und bestand aus einer großartigen Reihe von zwei feinen Salons, welche durch einen die ganze Breite und Höhe des Gebäudes einnehmenden Vorhang voneinander getrennt waren. Dieser ganze Palast war acht Schritte lang und sechs Schritte breit; das Dach bestand nur aus Stroh, die Mauer aber aus Lehm und Stroh. Um die Thüre zu ersparen, hatte man auf der einen Seite die Mauer lieber gleich ganz weggelassen. Der Vorhang war sehr pfiffig aus Papierstücken aller Sorten, Größen und Farben zusammengeklebt. Den Boden bildete die freundliche Mutter Erde. Da saß ich dann auf meinem Diwan, d. h. auf meinem Reisesacke, welcher das ganze Meublement bildete, in der Ecke und blickte durch eines der vielen Vorhanglöcher hinüber in den andern Salon, in welchem der alte Barbier sein Wesen trieb, nicht allein etwa, sondern mit seinem Harem, einer vielleicht siebzigjährigen Medusa, deren einzige Beschäftigung im Braten von Zwiebeln zu bestehen schien. Sein Salon wurde niemals leer. Er hatte eine sehr bedeutende Kundschaft, doch habe ich keinen von ihnen allen bezahlen sehen. Es war ein wahres Gaudium, ihn bei der Ausführung seiner Kunst zu beobachten. Besonders ergriff und rührte mich die Treue, mit welcher er den von den Gesichtern und Schädeln gekratzen Seifenschaum sammelte, um mit ihm liebevoll wieder andere Schädel und Gesichter zu labsalben.

Dieses mein Logis kostete pro Monat vier Franken, pro Woche also achtzig Pfennige, die ich pränumerando zu bezahlen hatte. Als ich dem Alten zwei Franken gab und dabei erklärte, daß ich nur eine Woche bleiben könne, hielt er mich für einen Prinzen aus Tausend und eine Nacht und erbot sich, mich umsonst zu rasieren, worauf ich aber weislich verzichtete.

Natürlich hatte ich mich hier nur eingemietet, um täglich für eine oder zwei Stunden das Treiben einer tunesischen Barbierstube beobachten zu können; die übrige Zeit verbrachte ich mit Spaziergängen in der Umgegend oder durch die Stadt, und des Nachts schlief ich draußen auf dem Schiffe.

Eine Begegnung mit dem feindseligen Moslem fand während der ersten fünf Tage nicht statt. Wenn er je nach mir fahndete, so suchte er mich jedenfalls im Frankenviertel und nicht da, wo ich mich befand und bewegte. Am sechsten Tage aber sollte ich mit ihm auf eine höchst unerwartete Weise zusammentreffen. Nämlich als ich am vorherigen Abende an Bord kam, teilte Turnerstick mir voller Freude mit:

»Charley, ich habe heute Glück gehabt, ein großes Glück. Ich werde einen Harem zu sehen bekommen.«

»Pah! Den sehe ich alle Tage.«

»Wo denn?«

»Bei meinem Barbier.«

»Redet keinen Unsinn! Um diese Urgroßtante eines Seifenschlägers beneide ich Euch nicht. Uebrigens da wir von Seife sprechen, ich habe die meinige verkauft; auch die andern Waren finden Absatz, und was man hier nicht nimmt, das werde ich nach Sfaks bringen, wo ich einen guten Markt finde. Ich will, um mich vorher genau zu erkundigen, einmal hin. Geht Ihr mit?«

»Natürlich! Können wir nicht die Linie der Societa Rubattino benutzen?«

»Ja. Uebermorgen abend geht ein Dampfer von hier ab. Macht Euch bis dahin fertig!«

»Ich bin zu jeder Stunde bereit. Aber Ihr wolltet von einem Harem sprechen?«

»Nicht nur von einem Harem, sondern von einem Hause überhaupt. Ich war begierig, einmal das Innere eines tunesischen Hauses zu sehen. Die Handelsherren, mit denen ich verkehre, sind alle auf fränkische Weise eingerichtet. Nun hat einer dieser Herren einen maurischen Buchhalter, welcher bei seinem Schwager, dem Manne seiner verheirateten Schwester, wohnt. Dieser Schwager besitzt ein schönes, orientalisch eingerichtetes Haus, welches mir der Buchhalter morgen vormittags zeigen will.«

»Wie heißt der Schwager?«

»Abd el Fadl.«

»Das heißt zu deutsch Diener der Güte, ein schöner Name, der etwas Gutes erwarten läßt. Ist er mit dem Besuche seines Hauses einverstanden?«

»Doch jedenfalls.«

»Und was ist der Mann?«

»Ich weiß es nicht. Ihr kennt es ja selbst, daß man sich hier nach den Verhältnissen eines Verwandten nicht erkundigen kann, ohne Anstoß zu erregen. Der Buchhalter holt uns hier vom Schiffe ab.«

»Nun, und der Harem?«

»Den soll ich auch sehen, nämlich nur die Zimmer, da es der Dame verboten ist, sich zu zeigen.«

»Was habt Ihr davon, eine Wohnung ohne die Inhaberin zu sehen?«

»Was habt denn Ihr davon, die Kunden des Barbiers anzugucken? Meine Kenntnisse will ich bereichern, gerade so, wie Ihr die Eurigen. Also, geht Ihr mit?«

»Ja, aber nur um Euretwillen.«

»Wie so?«

»Es könnte eine Falle sein, und da muß ich helfen, Euch herauszubeißen.«

»Pah! Dieser junge Buchhalter ist ein ehrlicher Mensch. Von einer Falle kann gar keine Rede sein, und übrigens ist der Kapitän Frick Turnerstick nicht der Mann, sich fangen zu lassen.«

Damit war die Sache abgemacht. Ich hatte orientalische Häuser genug gesehen, und es bewog mich nur die Sorge um die Sicherheit des Freundes, denselben zu begleiten.

Am andern Morgen kam der Buchhalter an Bord, ein junger Maure, dessen Erscheinung allerdings ganz vertrauenerweckend war. Er zeigte sich sehr höflich und bescheiden und erklärte, daß sein Schwager von dieser Besichtigung des Hauses allerdings nichts wisse, da er verreist sei, aber bei seiner Anwesenheit jedenfalls seine Zustimmung gern gegeben hätte. Diese Versicherung wurde mit solcher Ueberzeugung ausgesprochen, daß sie mich beruhigte. Wir gingen, doch steckte ich vorher einen Revolver zu mir.

Unser Weg führte uns in eine Gasse, welche auf den Kasbahplatz mündete. Dort stand das Haus, dessen Straßenseite eine hohe Mauer bildete, deren einzige Oeffnung die Thüre war. Der Buchhalter bewegte den Klopfer, und gleich darauf wurden wir von einem Neger eingelassen. Ich sah, was ich erwartet hatte, das Innere eines Hauses, wie man es bei allen besseren orientalischen Häusern gerade so oder ähnlich findet.

Diese Gebäude bestehen fast alle aus einem offenen, rundum von Stuben und anderen Räumen eingefaßten Hofe, in dessen Mitte ein Brunnen steht. Der Unterschied besteht in der größeren oder geringeren Kostbarkeit der Einrichtung, in dem mehr oder weniger sichtbaren Verfalle der Gebäude, der Typus aber bleibt ein und derselbe.

So auch hier. Die Thüren des Gebäudevierecks öffneten sich alle nach dem offenen Hofe, dessen Brunnen Wasser gab, was höchst selten ist, da die Fontänen meist aus irgend einem Grunde nicht mehr thätig sind. Die Möblierung der Stuben bestand aus Teppich und Sitzkissen; mehr verlangt der Orientale nicht. Da man rundum aus einem Zimmer in das andere gelangen konnte, so war es sehr leicht möglich, uns auch in die Wohnung der Frau den Zutritt zu ermöglichen; diese brauchte sich nur durch die nächste Thüre zu entfernen, um uns während des ganzen Rundganges vollständig unsichtbar zu sein. Eine Treppe hoch gab es nur einige kleine Gelasse, welche von der Dienerschaft bewohnt wurden.

Wir gingen also aus einer Stube in die andere und betraten endlich auch den Harem. Auch hier gab es außer dem Teppich, dem Diwan und einigen Ruhekissen nichts, was von Bedeutung gewesen wäre. Eine Stube war wie die andere; nur in den Farben zeigte sich die einzige Verschiedenheit. Aus der letzten Haremstube gelangten wir wieder in das Gemach, welches wir zuerst betreten hatten; wir waren rundum gekommen. Turnerstick wollte vollständig sein; er bat, auch nach oben gehen zu dürfen, und unser Führer willigte ein. Mir lag gar nichts daran, einige von Schwarzen bewohnte Kammern zu sehen; darum zögerte ich einen Augenblick, den beiden zu folgen. Da hörte ich hinter mir das Oeffnen einer Thüre, und eine Kinderstimme sagte:

»Nusrani, Nusrani!« ,

Das heißt: ein Christ, ein Christ. Ich drehte mich um und sah unter dem jetzt offenen Eingange einen kleinen allerliebsten, ungefähr sechsjährigen Knaben stehen. Seine dunklen Augen blitzten mich förmlich an; seine Wangen waren gerötet, und um seine Lippen spielte ein unsagbar liebliches, schalkhaftes Lächeln. Welch ein Unterschied gegen die indolenten, trägen Kinder, welche man gewöhnlich im Oriente sieht!

»Karrib, ta'a lahaun – komm näher, komm hierher!« flüsterte er mir mit ausdrucksvollem Mienenspiele zu, als ob er mir die größte Wichtigkeit der Welt zu zeigen oder zu sagen habe. Dabei krümmte er den kleinen Zeigefinger und winkte mit den kleinen Quatschhändchen immer auf sich zu.

»Komm du zu mir!« forderte ich ihn auf, da er sich noch im letzten Zimmer des Harems befand.

»Darf ich denn?« fragte er, eifrig mit dem Kopfe nickend.

»Natürlich darfst du.«

Da kam er herbeigehüpft, schlang beide Aermchen um meine Kniee und rief wieder:

»Nusrani, Nusrani – ein Christ, ein Christ!«

Ich liebkoste ihn und erkundigte mich:

»Weißt du denn, daß ich ein Christ bin?« »Ja.« »Von wem?« »Von Kalada.« »Wer ist das?« »Mutter; sie hat euch gesehen.« »Hat sie dich zu mir geschickt?«

»Nein; ich bin selbst gegangen, und sie ist fort. Komm, setz dich neben mich; ich will dir viel erzählen!«

Er zog mich nach dem Wanddiwan. Warum sollte ich dem allerliebsten Kerlchen nicht den Gefallen thun? Ich befand mich ja nicht mehr im Harem und konnte hier ebensogut wie draußen auf dem Hofe die Rückkehr Turnersticks und seines Begleiters erwarten. Ich setzte mich also nieder. Der Kleine nahm auf meinem Schoße Platz und begann, sich mit sehr löblicher Beherztheit mit meinem Barte zu beschäftigen.

»Wie heißest du?« fragte er.

»Nusrani,« antwortete ich. »Und du?« »Asmar.«

Dieser Name bedeutet der Brünette und paßte sehr gut auf den Knaben. Der orientalische Schnitt seines Gesichtes und der leicht angedunkelte Teint brachten mir die Worte der heiligen Schrift, mit denen sie den späteren König David beschreibt, in Erinnerung. ›ein Knabe, bräunlich und schön‹.

»Du mußt mich so nennen!« fügte er hinzu. »Sage es!«

Ich nannte ihn beim Namen und hob sein Gesicht zu mir empor, worauf er seine Lippen mit meinem Schnurrbarte in jene streichende Berührung brachte, welche man beim Schärfen eines Rasiermessers beobachten kann, was jedenfalls einen Kuß bedeuten sollte. Leider wurde ich um den vollen Genuß desselben gebracht, denn ich hörte den Schrei einer Frauenstimme, und als ich aufblickte, stand dort an der Thüre, welche nach dem nächsten, aber nicht nach dem Haremszimmer führte, ein junges, schönes Weib, die Augen halb erschrocken und halb in froher Ueberraschung auf uns gerichtet. Ihr Gesicht war unverhüllt; der Schleier hing über dem Hinterkopfe herab. Die Haltung, welche sie jetzt zeigte, war diejenige einer Person, welche nicht weiß, ob sie fliehen oder sich nähern soll. Sie that keins von beiden. Sie zog den dichten Schleier nach vorn, so daß ihre Züge nicht mehr zu erkennen waren, hob den Zeigefinger winkend empor und sagte:

»Asmar, bete!«

Der Knabe machte sich von mir los, stand auf, faltete die Hände und betete:

»Ja abana 'Iledsi fi' s-semevati jata haddeso 'smoka –«

Welch eine Ueberraschung! Das war ja das Vater unser! War diese Frau eine Christin? Ich erhob mich auch vom Diwan. Sie mochte mir die Frage vom Gesicht ablesen, denn als der Kleine geendet hatte, sagte sie, als ob ich sie gefragt hätte:

»Ich bin keine Nusrana. Ich möchte es gern werden; aber ich darf nicht.«

»Wer verbietet es dir?«

»Mein Gebieter.«

»Ist er ein Moslem?«

»Der strengste, den es geben kann.«

»Wo hast du dieses Gebet, welches du deinem Kinde lehrtest, gelernt?«

»Oben auf dem Dache. Es stößt mit demjenigen des Nachbarhauses zusammen, und dort wohnte eine Frankin, welche Nusrana war. Mit ihr habe ich täglich gesprochen, und sie erzählte mir alles, was sie aus der heiligen Schrift wußte.«

»Und du hast es geglaubt?«

»Warum sollte ich nicht?«

»So ist es recht. Die einzige und ewige Wahrheit liegt im Worte Gottes, nicht aber im Kuran und in den Schriften eurer Ausleger.«

»Ich weiß es, Herr, ich weiß es. Ihr Christen seid so ganz, ganz anders, als – –«

Sie hielt inne, als ob sie etwas Unrechtes, Verbotenes habe sagen wollen, und fuhr dann fort.

»Nach längerer Zeit wollte ich meinem Gebieter diese heiligen Erzählungen kennen lehren; seitdem durfte ich nicht wieder zu meiner Freundin auf das Dach, und der Gemahl derselben mußte Tunis verlassen.«

»Wer zwang ihn dazu?«

»Mein Herr.«

»Hatte er die Macht dazu?«

»Ja. Was mein Gebieter will, dem stimmt der Herrscher von Tunis bei.«

Nach diesen Worten mußte Abd el Fadl, ihr Mann, ein Minister oder sonstiger hoher Ratgeber des Bei sein. Ich hätte es gar zu gern gewußt, doch scheute ich mich, sie zu fragen. Welch ein Unterschied! Sie nannte ihren Mann Herr und Gebieter, während sie denjenigen ihrer christlichen Freundin als Gemahl bezeichnete. Das charakterisiert die Stellung des christlichen und mohammedanischen Weibes auf das vortrefflichste. Wie aber kam es, daß diese Frau trotz der strengen Haremsregeln es wagte, bei mir zu verweilen und mit mir zu sprechen? Es war, als ob sie meine Gedanken zu erraten verstehe, denn sie traf wieder das Richtige, als sie nun bat.

»Verzeihe, Herr, daß ich nicht geflohen bin! Als ich den Knaben an deinem Herzen sah, konnte ich nicht fort. Und ich blieb auch aus einem andern Grunde. Ich habe eine christliche Frau gehört und ihr geglaubt; ein Weib aber ist keine Gelehrte oder Lehrerin; ein Mann weiß besser, was falsch oder richtig ist. Du bist ein Christ und ein Mann. Sage mir um des Himmels willen, wer recht hat, Christus oder Mohammed!«

»Christus, denn er ist wahrer Gott, von Ewigkeit geboren; Mohammed aber war ein sündiger Mensch. Mohammed hat Haschisch gegessen und seine Suren erträumt; Christus aber ist am Kreuze gestorben, um die Sünden aller Welt auf sich zu nehmen. Wer an ihn glaubt, wird selig.«

Da schlug sie die Hände zusammen und rief nach einem tiefen Atemzuge und mit einer Stimme, der ich die Thränen anhörte:

»So bleibe ich Christo treu, und wenn mein Gebieter mich töten sollte. Er liebt mich sehr, und unser Knabe ist sein Leben; aber den Namen des Heilandes darf ich nicht über meine Lippen bringen.«

»Ist er so grausam?«

»Er ist die Peinigung anderer gewöhnt, denn er ist der Dschellad unsers Bei. Seine Seele gehört mir, aber die meinige soll auch nur ihm und nicht Christo gehören, weil – -fort, fort! Herr, lebe wohl; ich danke dir!«

Sie hatte schnell den Knaben ergriffen und verschwand mit ihm im Harem, denn draußen waren Schritte zu hören.

Nun war mir alles klar. Dschellad ist so viel wie Henker, Gerichtsvollzieher, Vollstrecker der Befehle des Herrschers. Das Amt eines Dschellad ist im Oriente ein Ehrenamt, und der Träger desselben hat oft mehr Macht als der Wessir. Auch die geistige Frische, Lebhaftigkeit und Anschmiegsamkeit des Knaben war mir jetzt erklärlich; er war ja das Kind einer christlich gesinnten Mutter, welche ihm die zärtliche Aufmerksamkeit und wahre Liebe widmete.

Jetzt wurde ich von Turnerstick und dem Buchhalter abgeholt. Der letztere führte uns noch einmal in den Hof, weil dort die nach Trinkgeld lüsterne Dienerschaft versammelt war. Wir verteilten einige Münzen unter sie und standen nun im Begriffe, zu gehen, als es vorn an der Eingangsthüre klopfte. Der Schwarze eilte fort, um zu öffnen, und wir trafen mit dem Manne, welchen er eingelassen hatte, noch in der Ecke des Hofes zusammen; es war – – unser Feind, der Moslem, welcher auf mich geschossen hatte.

Als er uns erblickte, stand er erst einige Sekunden lang wie vor Betroffenheit erstarrt; dann aber brach der Grimm los. Er stieß einen unartikulierten Schrei der Wut aus, faßte mich mit der Linken an der Gurgel, zog mit der Rechten die Pistole, richtete sie auf meine Brust und drückte ab – – freilich, ohne zu treffen, denn ich schlug sie ihm im letzten Momente aus der Hand und machte mich von ihm los.

Turnerstick wollte mir zu Hilfe kommen, aber die Diener, welche soeben erst sein Trinkgeld eingesteckt hatten, fielen über ihn her, so daß er, der kräftige Seemann, sich ihrer kaum zu erwehren vermochte. Mein Gegner zog das Messer und wollte wieder auf mich eindringen; da wurde eine aus dem Harem auf den Hof führende Thüre aufgerissen, und die Frau, welche den Schuß gehört hatte, trat heraus. Sie sah, daß er sein Messer auf mich zückte, und schrie entsetzt:

»Ja issai-jidi, ja Jesuji, ja Mesihji, wakkif, wakkif – o heilige Jungfrau, o mein Jesus, o mein Messias, halt ein, halt ein!«

Sie streckte ihre Hände flehend aus. Er ließ das Messer fallen. Sein Weib erschien, wenn auch verschleiert, vor uns Fremden; sie nahm sich unser an, und sie bediente sich dabei der Namen, welche ihr streng verboten waren. Er starrte eine Weile wie abwesend nach ihr hin; dann befahl er ihr:

»Hinein, hinein, sofort!«

»Nein, nein,« antwortete sie. »Laß erst diese Männer fort; es soll kein Mord geschehen!«

Er machte eine Bewegung, als ob er auf sie losspringen wolle; da ergriff ich seine beiden Oberarme, drückte sie ihm fest gegen die Brust und fragte:

»Du, also du bist der Henker des Bei, du?«

»ja, ich bin der Dschellad. Ihr müßt sterben,« antwortete er, indem er sich loszumachen versuchte.

»Töte uns, wenn du es fertig bringst!« meinte ich, indem ich ihn freigab und den Revolver zog. »Dein Leben gegen das unserige!«

In seinen Zügen waren die Spuren eines gewaltigen, inneren Kampfes zu bemerken; dann deutete er nach dem Eingange und rief:

»Fort, fort, ihr Hunde, ihr Hundesöhne! Erst muß ich erfahren, was ihr hier zu suchen hattet, und dann werde ich euch richten. Euch wäre besser, wenn ihr nie geboren wäret!«

Wir gingen. – –


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