Karl May
Orangen und Datteln
Karl May

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Behluwan-Bei, der Räuberwürger

Die Spiegelung!« –

Durch die brennende Einöde schleicht langsam »die Dschellaba (Pilgerkarawane). Sie ist bereits seit Monaten unterwegs und durch die von allen Seiten sich anschließenden Zuströme sehr stark und zahlreich geworden. Reiche Uëlad Arab aus dem Belad es Sudan reiten neben armen Fußwanderern, welche sich auf die Mildthätigkeit der Gläubigen verlassen müssen und nichts besitzen als einen einzigen Mariatheresienthaler, um die Ueberfahrt über das Rote Meer bezahlen zu können. Jünglinge, welche kaum das Knabenalter überschritten haben, wandern neben ausgetrockneten Greisen, die vor dem Tode noch die heilige Kaaba sehen wollen. Gelbe Beduinen, braune Tuareg, dunkle Tebu und wollhaarige Tekrur, wie die schwarzen Mekkapilger genannt werden, murmeln in melancholischen Tönen ihre frommen Gebete oder ermuntern sich durch den lauten Zuruf des moslemitischen ›La illaha il'Allah u Mohammed rassul Allah, es ist kein Gott außer Gott, und Mohammed ist Gottes Prophet!‹

Der Himmel glüht fast wie kochendes Erz, und die Erde brennt wie flüssiges Eisen. Der Smum hat die Wasserschläuche ausgetrocknet, und bis zur nächsten Uah ist es noch weit. Ein einsamer Bir (Brunnen) kann keine Hilfe bringen, da sein weniges brackiges Wasser kaum hinreicht, die Zungen der Menschen und die Lefzen der Kamele zu kühlen. Die erst geschlossene Karawane hat sich längst in einzelne Frik (Abteilungen) aufgelöst, welche sich mühsam hintereinander herschleppen. Brot, Mehl und Bela (trockene Datteln) sind genugsam vorhanden, aber für einen Schluck Wassers oder eine Schale Merissa (kühlender Trank aus Dokhnkorn) würden die Verschmachtenden Monate ihres Lebens hingeben. Der Dürstende greift wieder und immer wieder zur leeren Zemzemiëh, hält sie an die verlangenden Lippen und setzt sie wieder ab mit einem klagenden ›bom bosch, ganz leer!‹

Die Gebete werden leiser, die Zurufe seltener, und die am Gaumen klebende Zunge liegt wie Blei im Munde. Sie vermag kaum das Surat yesin, das sechsunddreißigste Kapitel des Koran, zu seufzen, welches der Moslem ›Quelb el Kuran‹, das Herz des Koran, nennt und in der Not des Todes betet.

Da ertönt ein lauter Freudenschrei.

Ueber dem dichtumflorten Horizonte heben sich die scharfen Umrisse der ersehnten Oase empor. Auf schlanken Säulen bauen sich die stattlichen Wipfel der Dattelpalmen übereinander, und ihre leichten Fiederkronen wehen in dem frisch sich erhebenden Wüstenwinde. Zwischen grünen Hainen schimmert es wie das Wellengekräusel eines lieblichen Sees, und die Luft scheint sich von der Ausdünstung des Wassers zu feuchten. Die Palmenkronen spiegeln sich in der glitzernden Wasserfläche, und Kamele waten in der Flut, ihren langen Hals herniederstreckend, um das belebende Naß zu schlürfen.

»Hamdulillah, Preis sei Gott! Das ist die Uah; der Herr hat uns errettet; ihm sei Lob und Dank!«

Die jubelnden wollen ihre Tiere in eine schnellere Bewegung setzen; diese aber lassen sich nicht täuschen; ihr scharfer Geruch hätte es ihnen ja schon längst gesagt, wenn wirkliches Wasser vorhanden wäre.

»Hauehn aaleïhu ia Allah, hilf ihnen, o Gott!« bittet der erfahrene Führer der Karawane. »Sie haben vor Durst und Hitze den Verstand verloren und halten die Fata Morgana, die gefährliche Spiegelung, für Wirklichkeit.«

Seine Worte rufen doppelte Niedergeschlagenheit unter den Getäuschten hervor; mutloser und langsamer schiebt sich der immer mehr ermüdende Zug weiter und geht vielleicht dem grauenvollen Schicksale entgegen, wie das vom Sonnenbrande verzehrte Wasser eines Wadi in der starren Wüste zu verrinnen. Die Dschellaba hält dann ihren Einzug in einem Mekka, welches erbaut ist hoch über den Sternen und nicht im Sande des Belad Moslemin (Arabiens). – –

Die Spiegelung ist seltener, als man anzunehmen pflegt; ich hatte sie erst zweimal geschaut und auch mich, wenigstens beim ersten Male, von ihr täuschen lassen. Heute sollte ich die Erfahrung machen, daß sie unter Umständen dem Menschen freundlich und nützlich sein kann.

Nach der Weisung des Khabir hatte ich unsere östliche Richtung beibehalten. Unsere Schatten wurden länger und länger, bis sie unsere doppelte Länge übertrafen. Da stieg über dem vor uns liegenden Horizonte ein seltsames Phantom empor:

Die Sonnenstrahlen oscillierten wie ein mehrere Fuß hohes, aus mikroskopischen, glühenden Flimmern bestehendes Meer über dem Boden; trotz der Nähe des Abends war die Hitze beinahe unerträglich, und die abgemattete Kaffilah drohte in dem heißen, immer tiefer werdenden Sande zu versinken. Wir nahten uns dem Kampfgebiete zwischen Ghud und Serir, zwischen Dünen und Felsen, und hatten bald leere, nackte Steinfläche, bald gefährliche, nachgiebige Sandablagerungen unter den Füßen unserer dampfenden Thiere. Da wuchs langsam und allmählich ein mächtiges Gebirge aus den hohen Lüften vor uns hernieder; die Umrisse der gigantischen Bergesriesen verschwammen in der zitternden Atmosphäre, aber an ihrem Fuße sahen wir deutlich mächtige Seen flimmern, in die sich mehrere Ströme ergossen; die Ufer derselben waren kahl und öde und zeigten nicht die mindeste Spur eines Pflanzenwuchses.

»Maschallah, tausend Schwerebrett,« meinte der Staffelsteiner, »is dos aane wunderliche Geschicht'! Das Gebirg hat sich auf den Kopf gestellt und schaut mit der Spitz' nach unten. Wenn's so fortgeht, so läuft halt der große Hassan bald mit den Beinen in der Luft.«

Jetzt richtete sich in verkehrter Stellung eine riesige Figur empor und neben ihr eine zweite. Trotz der auseinander fließenden Umrisse erkannten wir ein an dem Boden liegendes Kamel, neben welchem ein Araber stand. Es war klar, daß die Originale dieses Bildes sich in Wirklichkeit hinter den vor uns liegenden Dünen befanden. Der Araber konnte nichts anderes sein, als ein Posten, der von dem Hedjahn-Bei vorgeschoben worden war, um das Nahen der Kaffilah zu beobachten. Die Fata morgana hatte uns die Gum verraten, während die Spiegelung unser Bild dem Posten nicht zutragen konnte, da wir vor der Sonne hielten.

Es war ein eigener, gespenstischer Anblick, dieser verkehrt in den Lüften schwebende und in gigantischen Dimensionen gezeichnete Wächter der Raubkarawane.

»Rrree, halt!« gebot ich. »Die Gum ist vor uns. Steigt ab, ihr Männer, und schlagt das Lager auf!«

Während dieser Beschäftigung sank die Sonne immer weiter niederwärts, und das Phantom stieg, in gleichem Verhältnisse, seine Formen ausdehnend, am Horizonte empor. Es war, als befänden wir uns vor einer meilenweiten Camera obscura, deren Linse von Augenblick zu Augenblick an Dicke und Vergrößerungsfähigkeit zunahm.

Da wurde hinter dem Luftbilde des Arabers eine neue Gestalt sichtbar, die seitwärts von ihm aus dem Boden wuchs. Wir konnten jede ihrer Bewegungen beobachten. Sie erhob die Arme und richtete einen langen, schmalen Gegenstand nach dem Kopfe des Postens – ein einziger Augenblick – ein eigentümliches Schwanken und Schwingen des ganzen Gemäldes – der Araber stürzte nieder.

»Allah kehrim, Gott ist gnädig und barmherzig!« rief Hassan. »Ich preise den Propheten, daß dieses Bild nicht von meinem Leibe stammt, denn dort hat ein Mann den andern totgeschossen!«

Er hatte recht, und wäre die Entfernung nicht zu groß gewesen, so hätten wir den Schuß jedenfalls gehört.

Wer war der Thäter? Seine vergrößerte Figur bog sich zu dem Gefallenen nieder, dann richtete er den langen Gegenstand, welcher nichts anderes als ein Schießgewehr sein konnte, auch auf das Kamel – ein zweites Schwingen und Schwanken der Spiegelung – das Tier zuckte in seinen mächtigen Formen empor und sank dann wieder zusammen.

Eine blitzschnelle Ahnung stieg in mir auf.

»Seht ihr ihn, ihr Männer?« rief ich. »Das ist Behluwan-Bei, der Räuberwürger. Er hat den Wächter der Gum in das Reich des Todes geschickt. Bleibt hier zurück! Auf, Abu billa Beni, auf, Korndörfer; wir müssen hin zu ihm!«

Einige Augenblicke später saßen wir auf unsern Kamelen und jagten der Richtung des Bildes zu.

Je weiter wir vorwärts kamen, desto mehr sanken die Linien desselben zusammen. Die Figur dessen, den ich für Emmery Bothwell hielt, war schon kurz nach dem zweiten Schusse verschwunden. Wegen des tiefen Sandes und weil wir zahlreiche Dünen zu umreiten hatten, kamen wir trotz unserer Eile nur langsam von der Stelle; doch wich die Spiegelung endlich, und folglich mußten wir uns in dem Gesichtskreis des Ortes befinden, an welchem die That geschehen war.

Wir hatten lange zu suchen, ehe wir die Stelle fanden, und nun zeigte es sich, daß meine Vermutung allerdings das Richtige getroffen hatte. Im Sande lag ein Tuareg, von der Seite einen Zoll hoch über der Nasenwurzel in die Stirne geschossen, und auch das Kamel hatte die gleiche tödliche Wunde. Der Kragen des Burnus und eine Ecke der Satteldecke zeigten die Buchstaben A. L., eine Anweisung auf die sicher treffende Kugel aus der Büchse meines ›Englishman‹, der sich den Ehrennamen Behluwan-Bei erworben hatte.

Wir hatten über eine halbe Stunde gebraucht, um diesen Ort zu erreichen, und seit derselben Zeit hatte ihn Emmery verlassen. Konnte ich ihm nachreiten? Ein kurzes Einhalten seiner Spur zeigte mir, daß er sich mit großer Schlauheit diejenigen Stellen des Bodens ausgewählt hatte, wo der Felsen keine Fährte annahm oder der hohe Sand sich sofort wieder über derselben schloß. Ich hätte also Mühe gehabt, ihn zu erreichen, und, da in kurzer Zeit die Nacht hereinbrach, den Rückweg zur Kaffilah ganz sicher verloren. Zudem mußte ich annehmen, daß er in der Nähe der Gum bleiben und ich ihn also bei der Berührung mit derselben ohne Zweifel treffen würde. Ich gab es also auf, ihm zu folgen.

Jetzt mußte sich mir nun eine zweite Erwägung aufdrängen.

Der getötete Posten hatte nämlich nur einige Schlucke Wassers bei sich, ein sicheres Zeichen, daß entweder eine baldige Rückkehr erwartet wurde oder er in kurzem abgelöst werden sollte. Sein Tod wurde also auf jeden Fall bemerkt. Ohne Zweifel gab es auch noch andere Posten in der Nähe, die der Hedjahn-Bei persönlich inspizierte. Konnte ich also diese Stelle ohne weitere Vorsichtsmaßregeln verlassen? Und welches war die beste Vorkehrung, die ich treffen konnte? Sollte ich die Tier- und Menschenleiche mit Sand verschütten oder zurückbleiben? Im letzteren Falle konnte ich leicht einen glücklichen Fang thun, aber auch trotz aller Furchtlosigkeit in eine Gefahr geraten, aus welcher es bei allem Mute kein Entrinnen gab.

Ich entschloß mich für das erstere.

Der Sand war leicht beweglich, und schon nach wenigen Minuten bedeckte eine Düne den Tuareg und sein Kamel. Dann suchten wir, so wenig Fährte als möglich zurücklassend, die Kaffilah auf. Wir wurden mit der Frage empfangen, ob wir den Behluwan-Bei gesehen hätten.

»Die Kamelstute des Räuberwürgers ist so schnell wie der Vogel der Lüfte,« antwortete ich. »Er war bereits wieder verschwunden. Doch kenne ich die Gedanken meines Bruders! Er weicht nicht von der Gum, bis sie getötet ist. Ihr werdet bald sein Angesicht sehen und seine Stimme hören.«

Die Sonne sank, und doppelte Glut strömte nun die erhitzte Erde aus. Wir hatten die Kamele angepflockt und das mehr als einfache Nachtmahl beendet; der Schlaf aber floh unsere Augen. Die Sterne stiegen am Himmel empor, und Mitternacht nahte heran. Emmery hatte mir mit der Tötung des Tuareg einen Strich durch die Rechnung gemacht. Hätte dieser die Kaffilah bemerkt, so wäre der Hedjahn-Bei von ihm benachrichtigt worden und wohl längst schon in die Nähe gekommen. Jetzt aber wollte der Ruf der Hyäne nicht erschallen. Sollte ich es wagen, den Räuber aufzusuchen und die Kaffilah ohne Anführer zu lassen?

Ich gab Josef und dem Tebu, welchem ich vertrauen konnte, die nötigen Verhaltungsbefehle und schritt in die stille, lautlose Nacht hinaus.

Es war so sternenhell, daß ich bei der klaren Wüstenluft die Umgebung deutlich erkennen konnte, und trotz der täuschenden Aehnlichkeit der Dünen die Nähe der Stelle erreichte, an welcher der Tuareg von Emmery getötet worden war. Jetzt war doppelte Vorsicht nötig. Ich legte mich nach Indianerart auf den Boden und kroch geräuschlos weiter.

Grad auf demselben Punkte, an welchem der Tote gewacht hatte, standen zwei Männer in einer bewegungslosen, lauschenden Stellung. Ich schob mich bis hart an sie heran und richtete mich dann in die Höhe. Sie erschraken und sprangen, die Waffen ergreifend, zurück.

»Rrree, halt! Wer bist du?« fragte der eine, das Gewehr auf mich anschlagend.

»Wo ist der Hedjahn-Bei?« lautete meine Gegenfrage.

»Kennst du ihn? Bist du einer der Seinen?«

Ich zog die Anaïa hervor.

»Sieh hier sein Zeichen! Wo ist er?«

Beide Männer ergriffen die Anaïa, um sie in Augenschein zu nehmen.

»Du hast die Murdschan (Koralle) und gehörst zu uns,« entschied der vorige Sprecher. »Kennst du die Kaffilah, auf welche wir warten?«

»Ich kenne sie, denn ich bin mit ihr gekommen.«

»Wo ist der Khabir, warum kommt er nicht? Warum hält er nicht an dem Orte, den ihm der Hedjahn-Bei geboten hat?«

»Dein Atem ist lang, und deiner Fragen sind sehr viele. Führe mich zu dem Bei, so wird er meine Antwort vernehmen!«

»Dein Fuß darf nicht zur Gum treten, ehe er es erlaubt hat. Ich werde ihn rufen und ihm deinen Namen nennen.«

»Allah gab auch mir einen Mund; der Bei wird meinen Namen von meinen eigenen Lippen hören.«

»Dein Mund ist wie der Bir billa ma, der Brunnen, der kein Wasser hat, und deine Zunge liebt nicht den Tropfen der Rede. Aber er wird fließen, denn ich gehe, um den Bei zu holen.«

Er ging, und ich blieb bei dem andern zurück, der mit keinem Worte versuchte, eine Unterhaltung anzuknüpfen. Es herrschte ringsum eine lautlose Stille, so daß man im leisen Hauche der Nachtluft das Klingen des wandernden Sandes deutlich vernehmen konnte. Da aber drang ein anderer Ton an mein Ohr, ein Ton, der mich überrascht aufhorchen ließ.

Es war ein Schuß gefallen, allerdings in weiter Ferne, aber der Schall war doch so vernehmlich, daß ich mich nicht täuschen konnte. Er war aus der meiner Kaffilah entgegengesetzten Richtung erklungen. Auch die Wache fuhr in eine wo möglich noch aufmerksamere Haltung empor.

»Hast du vernommen die Stimme des Todes in der Wüste?« fragte ich.

»Die Nacht schweigt gegen das Auge, aber sie spricht zu dem Ohre. Ich habe diese Stimme gehört.«

»Kennst du sie?«

»Du bist ein Freund des Bei und kennst sie nicht? Sage deiner Seele, daß sie das Surat yesin bete; es ist das Quelb el Kuran, das Herz des heiligen Buches, und errettet den Gläubigen vom Tode.«

»Wer will ihm den Tod bringen?«

»Kennst du nicht Behluwan-Bei, den Würger der Gum? Sein Gewehr ist es, welches gesprochen hat.«

»Wie soll ich ihn kennen, da ich aus weiter Ferne komme!«

»So bitte Allah, daß er dich vor ihm behüte, sonst wird deine Seele ein Raub des Todes und dein Leib eine Speise der Tiere. EI Thibb, der Wüstenwolf, wird dein Blut trinken, und el Büdj, der Bartgeier, deine Augen fressen; el Tabäa, die Hyäne, wird dein Fleisch kosten, und Abu Ssuf, der Fuchs, dein Herz verschlingen. Der Behluwan-Bei ist der Vater des Verderbens, und in seinen Spuren wandelt der Tod.«

»Ich fürchte ihn nicht. Wenn der Tod in seinen Spuren wandelt, so wird er ihn ereilen.«

»Der Behluwan-Bei stirbt nicht; sein Leib ist nicht von Fleisch gemacht, und keine Kugel, keine Lanze kann ihn töten. Er steht bei dir, und du siehst ihn nicht; er reitet an deiner Seite, und du hörst ihn nicht; er kommt zu dir, wenn du nicht an ihn denkest, und er ist verschwunden, ehe du daran denkst, ihn zu halten. Er ist kein Mensch; er ist der Oberste der Djinns, dem kein Sterblicher widerstehen kann, und seine Büchse hat der Scheitan gefertigt, der in der Hölle wohnt. Sie sendet ihre Kugel über die ganze Sahara hinweg, und sie trifft dich, selbst wenn du dich in das Innere der Erde verbirgst. Hat dir die Wüste noch keinen Toten gezeigt, die Wunde grad über der Nase mitten in der Stirn?«

»Ich sah mehrere.«

»Sie sind von seiner Hand gefallen. Er ist allwissend; er kennt alle Männer der Gum und tötet nie einen andern.«

Hätte er gewußt, daß sich diese Allwissenheit auf das verhängnisvolle Zeichen A. L. stützte, so wäre seine abenteuerliche Meinung über den braven Emmery bald eine andere geworden.

»Was hat ihm die Gum gethan?«

»Ich weiß es nicht, und niemand vermag, es dir zu sagen. Frage ihn selbst.«

»Das werde ich thun, sobald ich ihn treffe.«

»Verbiete deiner Zunge diese Worte! Weißt du nicht, daß die Geister kommen, wenn man sie ruft? Horch! Er naht. Hast du ihn gehört?«

Ein zweiter Schuß war gefallen, und zwar in größerer Nähe. Jetzt war es mir gewiß, daß Emmery Bothwell der Schütze sei. Ein geübtes Ohr vermag recht gut den Knall eines Gewehres von dem eines andern zu unterscheiden, und ich hatte den Ton dieser untrüglichen Kentuckybüchse zu oft gehört, um ihn nicht sofort zu erkennen. Es war klar, daß der ›Englishman‹ in seiner gewöhnlichen kalten Verwegenheit die Gum umschlich, um ein Ziel für seine Kugel zu finden, und die zwei, welche er getroffen hatte, gehörten jedenfalls zu den Posten, welche von dem Hedjahn-Bei ausgestellt worden waren. Behielt er die Richtung, welche er eingeschlagen zu haben schien, bei, so mußte er auch den Ort berühren, an welchem wir uns befanden, und in diesem Falle hatte ich mich ebenso vor ihm in acht zu nehmen, wie der Araber, für dessen Gefährten er mich halten mußte.

Da nahten Schritte. Zwei weiße Burnusse tauchten zwischen den Dünen auf; der Posten kehrte mit noch einem Araber zurück, der sofort auf mich zutrat und mich betrachtete, so gut es die Dunkelheit gestattete.

»Sallam leilet, die Nacht sei dir glücklich,« grüßte er. »Du begehrst den Hedjahn-Bei?«

»Ja. Bist du es?«

»Nein. Der Bei wird die Gum nicht verlassen, bis der Würger fort ist, der sie umschleicht. Welche Botschaft hast du an ihn?«

Der Anführer der Räuber fürchtete also den Behluwan-Bei und blieb unter dem Vorwande, die Seinen zu beschützen, in ihrem Schutze zurück. Es wäre mir erwünscht gewesen, mit ihm schon jetzt zusammenzutreffen; da ich aber nun Emmery in der Nähe wußte, so zog ich es vor, mich zunächst mit diesem zu vereinen.

»Ich habe nur mit ihm und nicht mit dir zu sprechen. Warum versteckt er sich? Hat ihm die Angst vor dem Würger die Füße gelähmt?«

»Fessele deine Zunge! Der Hedjahn-Bei kennt weder Angst noch Furcht; er gebietet über alle Schilugh und Amazigh (freie Männer) der Wüste, und ich bin der Mudir (Oberst) dieser Gum. Zeige mir die Anaïa!«

»Hier ist sie!« antwortete ich, zurücktretend und die Büchse auf ihn anschlagend. »Bist du der Mudir dieser Gum, so gehe ihr voran in die Tschehenna!«

Ich wollte abdrücken, doch die drei Männer standen vor Ueberraschung so perplex und wehrlos vor mir, daß ich die Büchse wieder absetzte.

»Bist du von Sinnen, Mann?« fragte der Anführer nach einer Pause im Tone der höchsten Verwunderung. »Du hast die Anaïa und drohst mir mit dem Tode! Soll dir meine Kugel das Herz zerreißen?«

»Hätte dich die meine nicht vorher getroffen, Räuber? Lähmte dir der Schreck nicht die Glieder, daß du dich nicht regen konntest? Wisse, ehe du deine Flinte erhebst, seid ihr alle drei Kinder des Todes. Der Bei fürchtet den Würger; so vernimm, daß ich der Bruder des Behluwan-Bei bin, der die Gum vernichten wird bis auf den letzten Mann.«

Er starrte mich an, als halte er mich wirklich für einen Wahnsinnigen.

»Allah akbar, Gott ist groß; er kann Verstand geben und nehmen, wie es ihm gefällt. Doch der Prophet befiehlt, die Irrsinnigen zu schonen. Komm, und folge uns!«

»Unsere Wege sind verschieden; der meine geht nach EI Kasr, der eure aber in den Tod.«

»Dein Geist ist dunkel wie die Nacht, die keine Sterne hat. Was willst du auf EI Kasr?«

»Mein Geist ist hell wie der Tag, der alles offenbart. Ich bin kein Moslem, sondern ein Christ und komme nach EI Kasr, um den Franken zu befreien, den ihr gefangen haltet.«

»Du bist ein Giaur und hast die Anaïa? Stirb, Verräter!«

Er erhob das Gewehr; da aber krachte schon meine Büchse; er stürzte zusammen. Der zweite Schuß traf den einen Posten, und den andern streckte eine Revolverkugel zu Boden, noch ehe beide von ihren Waffen hatten Gebrauch machen können. Ich hatte mein Gewissen befriedigt und sie nicht getötet, bevor sie wußten, daß ich ihr Feind sei.

Kaum waren die drei Schüsse verhallt, so ertönte unweit meines Standortes eine laute Stimme:

»Hallo – i – oh!«

Es war der Waldruf, welchen ich mit Emmery zu wechseln gewohnt gewesen war, wenn wir getrennt durch den Forst oder die Prairie marschierten. Wie ich die seine, so hatte er auch meine Büchse erkannt und durch den darauf folgenden Revolverschuß die vollendete Gewißheit erhalten, daß er sich nicht irre.

»Hallo – i – oh!« antwortete ich ihm unbekümmert um den Hedjahn-Bei und seine Gum.

Der Ruf wurde, während wir auf einander zuschritten, noch einmal wiederholt, und dann standen wir, die wir uns in den Vereinigten Staaten das Wort gegeben hatten, uns in Afrika wiederzusehen, leibhaftig vor einander im Innern der Sahara.

Er nahm mich bei den Schultern, blickte mir in das Angesicht und drückte mich dann in langer, stummer Umarmung an sich.

»Welcome in the Sahar!« grüßte er endlich; dann war dem Herzen genug gethan.

Keine einzige Frage über Vergangenes wurde ausgesprochen; die Gegenwart nahm uns vollständig in Anspruch.

»Laden!« bemerkte er in seiner kurzen Weise.

Wirklich war ich in der Freude so unvorsichtig gewesen, diese Maßregel, was mir noch niemals passiert war, außer acht zu lassen. Ich holte natürlich sofort das Versäumte nach.

»Drei Schüsse – drei Räuber?« fragte er.

»Ja.«

»Ich nur zwei. Wo hältst du?«

»Mit einer Kaffilah zehn Schüsse von hier.«

»Wie stark?«

»Siebzehn ohne mich.«

»Feige Araber?«

»Ja, und zwei Diener, auf die ich mich verlassen kann, ein Tebu und ein Deutscher.«

»Der Khabir gehört zum Hedjahn-Bei?«

»Ja. Er und der Schech el Djemali sind tot.«

»Durch dich?«

»Durch mich. Weißt du, wo Rénald sich befindet?«

»Nein.«

»Warum bestelltest du mich dann nach dem Bab-el-Ghud?«

»Weil in dessen Nähe die Räuber ihre Niederlage haben müssen. Jede Gum kehrt dorthin zurück.«

»Ich kenne den Schlupfwinkel; es ist ein Kasr, und dort werden wir Rénald treffen.«

Der kaltblütige Engländer stieß doch einen Ruf der Ueberraschung aus.

»Das weißt du, und ich nicht, trotzdem du erst kommst und ich schon längst hier streife!«

»Ich entlockte es dem Khabir, welcher mir vertraute, weil ich die Anaïa des Bei besitze.«

»Du hast sein Zeichen? Wer gab es dir?«

»Er selbst. Ich schoß einen Löwen, unter dem er lag.«

»Du hast einen Löwen erlegt? Mensch, dein Glück ist ungeheuer!«

Jetzt kam sein Blut in Wallung.

»Einen Löwen und ein schwarzes Pantherpaar. Du wirst die Felle sehen.«

»Pshaw! Sie sind doch nicht mein! Und den Bei hast du beim Löwen getroffen? Wo?«

»An den Auresbergen.«

»Das ist nicht möglich. Er ist im Ghud!«

»Es sind zwei Brüder.«

»Ah!« rief er erstaunt. »Und wo ist jetzt der andere?«

»Tot.«

Ich erzählte ihm in Kürze das Wissensnötige.

»Kerl, du hast wirklich ein ganz unmenschliches Glück!« räsonnierte er, als ich zu Ende war. »Vorwärts, ich muß mir meinen dritten holen, und das weitere werden wir dann sehen!«

»Wie stark ist die Gum?«

»Heut früh dreiundvierzig; jetzt fünf davon ausgelöscht, bleiben achtunddreißig.«

»Wo ist deine Begleitung?«

»Ganz in der Nähe. Ich umkreise die Gum und stoße dann zu ihr. Jeder Posten, auf den ich treffe, stirbt.«

»Warum nur die Posten? Wenn du willst, bekommen wir heut die ganze Gum.«

»Well, so werde ich wollen!«

»Komm!«

Ich schritt noch eine kurze Strecke vorwärts und blieb dann stehen. Befand sich eine Wache in der Nähe, so stand zu erwarten, daß sie auf das verabredete Zeichen antworten werde. Ich hielt die Hände an den Mund und ließ das tiefe ›Ommu ommu‹ der Hyäne erschallen.

Ich hatte mich nicht geirrt, denn gar nicht weit vor uns ertönte der gleiche Ruf.

»Bleib hier!« bedeutete ich Emmery und ging dann weiter. Ein Araber kam mir langsam entgegen.

»Wo ist der Hedjahn-Bei?« fragte ich ihn.

»Du bist der Khabir?« entgegnete er.

»Ja,« antwortete ich.

»Hüte dich vor dem Behluwan-Bei! Hast du nicht seine Schüsse gehört?« fragte er.

»Ich habe sie gehört und ihn gesehen; er mordete drei Männer von der Gum, bei denen ich stand. Sag es dem Bei. Ich muß ihn sprechen.«

»Warum läßt du die Kaffilah an einem falschen Orte halten?« forschte er jetzt.

»Kann ich sie dahin führen, wo der Behluwan-Bei ist?«

»Du hast Recht. Warte hier!«

Er ging und kehrte nach kurzer Zeit zurück. Ich hatte das erwartet. Er begann:

»Sage mir den Weg zur Kaffilah. Wenn sich der Würger nicht mehr hören läßt, wird die Gum kommen.«

Ich deutete mit der Hand die Richtung an und sagte:

»Dort halten wir, zwanzigmal so weit als deine Flinte trägt.«

»Wie viel Männer zählt die Kaffilah?«

»Siebzehn, von Durst und Anstrengung ermattet.«

»Du hast mit dem Mudir gesprochen?«

»Ja. Die Kugel des Würgers tötete ihn mit den beiden andern an meiner Seite.«

»So sage Allah Preis und Dank, daß du entkommen bist. Kehre zurück und wache, damit du es hörst, wenn wir kommen!«

Dieser Posten mußte ein neues Mitglied der Bande sein, da er den Khabir nicht kannte. Ich ging zu Emery zurück und folgte ihm seitwärts zwischen die Dünen. Dort hielten seine Mehara, von seinem Diener und dem Führer bewacht. Ich führte sie zur Kaffilah, wo man die Schüsse gehört hatte und deshalb in Sorge um mich gewesen war.

»Hamdulillah, Gott sei Dank, Sihdi, daß du kommst!« meinte der große Hassan. »Ich hörte fünf Schüsse und glaubte, der Hedjahn-Bei habe dich fünffach getötet.«

»Sihdi Emir, der Behluwan-Bei!« rief der Tebu, als er den Engländer erblickte.

Sämtliche Männer der Kaffilah schauten bei diesem Rufe mit ehrfurchtsvoller Scheu auf die hohe Gestalt des ›Englishman‹.

»Ja, ihr Leute, dieser Sihdi ist der Behluwan-Bei, dessen Kugel die Gum beinahe aufgefressen hat. Sie wird kommen, uns zu überfallen; macht euch bereit, sie zu empfangen!« befahl ich.

Diese Nachricht brachte eine bedeutende Aufregung hervor. Die bis an die Zähne bewaffneten Araber gebärdeten sich wie Schafe, die den Wolf erwarten, und nur durch die possierliche Vermittelung des Kompaß gelang es mir, ihnen etwas Mut und Selbstvertrauen einzuflößen. Niemand zeigte sich über ihr Verhalten so entrüstet, wie Hassan.

»Allah akbar, Gott ist groß; er giebt dem Mutigen ein Herz und dem Helden eine Faust,« donnerte er sie an. »Ihr aber seid wie die Flöhe, die vor jedem Finger davonspringen. Habe ich euch nicht gesagt, daß ich Hassan el Kebihr heiße und Djezzar-Bei, der Menschenwürger, bin? Nun wohlan, warum fürchtet ihr euch denn? Fürchtet euch doch vor mir, aber nicht vor den Räubern, deren Fleisch ich essen und deren Blut ich trinken werde wie Merissa und Wasser, mit Zibib gewürzt.«

»Halt' den Mund!« warnte ihn der Staffelsteiner. »Du selbst bist der richtige Zibib, und die Gum wird dich verschlingen und nix von dir übrig lassen, als dein großes Maul, das zehntausend Männer nit hinunterbringen. Wenn das Geschieß losgeht, werd' ich wohl sehen, wo du steckst!«

»Schweig!« brauste ihn der Geschmähte an. »Ich bin ein Kubaschi en Nurab, du aber bist nur Jussef Ko-er-darb, und deine Väter haben denselben Namen wie du. Weißt du, was ein Hadschi, ein Mekkapilger, ist? Ich war zweimal in Mekka, der Stadt des Propheten, einmal in Medina, der ruhmbedeckten, und habe zu Dschidda gebetet, wo Eva, die Mutter der Menschheit, begraben liegt, fünfhundert Fuß lang und zwölf Fuß breit. Was aber hast du gethan, und an welchem gottgefälligen Orte bist du gewesen? Du bist ein Franke, der Schweinefleisch ißt und in das Land der Gläubigen muß, wenn er das Land seines Propheten sehen will. Du hättest klüger gethan, wenn du in Kah-el-brunn geblieben wärest; drum klappe deinen Mund zu, und schweig still.«

»Maschallah, tausend Schwerebrett, is doos aan Aerger für den Kerl, daß er nit auch Rauchfleisch und Schwartenwurst essen darf, wie ich! Dafür aber trinkt er Ma-el-Zat, zu Deutsch Kröten- und Eidechsensaft, und thut dick wie aan Hyppopotamus. In Mekka und Medina war ich nit, dos is wahr, aber wenn du deshalb etwa denkst, daß du besser bist, als aan Christ aus Kaltenbrunn, so lange ich dir aane ins Gesicht, daß es noch dreimal länger und breiter wird, als deine fünfhundertige Menschenmutter in Dschidda!«

Der tapfere Kubaschi zog es jetzt vor, zu schweigen.

Ein kurzer Meinungsaustausch zwischen Emery und mir brachte uns zu dem Entschlusse, die Räuber zwischen zwei Feuer zu nehmen. Wir trennten uns daher. Die Anwesenheit des Behluwan-Bei mußte die Männer der Kaffilah ermutigen; aus diesem Grunde blieb er bei ihnen, während ich mit seinen Begleitern, dem Tebu und dem Staffelsteiner, also mit mir fünf Mann stark, mich hinaus zwischen die Dünen zog, um dort die Gum zu erwarten und im Rücken anzugreifen.

Unsere Schüsse mußten den Hedjahn-Bei außerordentlich eingeschüchtert haben, denn es dauerte sehr lange, bis wir das erste Geräusch der anrückenden Räuber vernahmen.

Zwei von ihnen schlichen sich rekognoszierend voraus; die andern folgten in einiger Entfernung. Sie huschten an uns vorüber, ohne uns zu bemerken, trotzdem wir uns nun hart hinter ihnen hielten. Die beiden Vorausgehenden umschritten das Lager der Kaffilah. Es herrschte dort eine solche Ruhe und Bewegungslosigkeit, daß alles im tiefsten Schlafe zu liegen schien. Die Räuber traten zusammen, um die Befehle ihres Anführers zu vernehmen. Jetzt war es jedenfalls die beste Zeit, loszubrechen. Ihre zusammengedrängte Masse bot selbst einem schlechten Schützen ein sicheres Ziel, und wenn wir sie einmal in das Lager kommen ließen, so war der Sieg, an dem ich allerdings auch dann nicht zweifelte, für uns mit größeren Opfern verbunden. Emery mußte ganz dieselbe Ansicht hegen, denn kaum hatte ich den Gedanken ausgedacht, so erklang zwischen den Zelten seine befehlende Stimme:

»Rrree! Halt, Mörder! Die Rache und der Behluwan-Bei sind über euch. Gebt Feuer, ihr Männer!«

Im nächsten Augenblick krachte von hüben und drüben eine Salve mitten unter die Räuber hinein; drei Doppelbüchsen versandten ihre zweite Kugel, und dann riß ich den Henrystutzen empor. Ich konnte nur zweimal abdrücken, denn dann war der Platz gesäubert. Emery, der Staffelsteiner und der Tebu hatten sich auf die überraschten Angreifer gestürzt, aber keine Arbeit gefunden; sobald nämlich der erste Schreck vorüber war und der Hedjahn-Bei die Anzahl derer bemerkte, welche tot oder verwundet am Boden lagen, ertönte sein Ruf:

»Allah inhal, Gott verderbe sie! Flieht, flieht von dannen!«

Der Räuber der Wüste überfällt den Wanderer nur der Beute wegen; steht diese in keinem Verhältnisse zu der Gefahr, welche ihm dabei droht, so giebt er sein Vorhaben wieder auf. Es entgeht ihm jener Mut, welcher aus sich selbst heraus und nicht um des Gewinnes willen handelt. Bei der außerordentlichen Angst, welche man allgemein vor der Gum empfand, war diese noch nie auf einen nennenswerten Widerstand gestoßen; jetzt aber war eine einzige Minute genügend gewesen, sie in die Flucht zu schlagen. Die gefürchteten Männer des Hedjahn-Bei verschwanden zwischen den Dünen, ohne einem einzigen von unsern Leuten auch nur ein Haar gekrümmt zu haben.

Wir ließen sie fliehen, ohne an ihre Verfolgung zu denken, da wir ja sicher waren, sie wieder zu treffen.

Die Männer der Kaffilah erhoben ein wahrhaft betäubendes Triumphgeschrei, während der Tebu sich im lautlosen Grimme auf die Verwundeten warf, um sie seiner Rache zu opfern.

»Maschallah, tausend Schwerebrett, war dos aan Gefecht!« zankte der Staffelsteiner. »Was woll'n die sein? Räuber woll'n sie sein? Ja, prosit die Mahlzeit! Taugenichtse sind's, die man mit der Peitsch' versohlen möcht'! Da hat man sich einmal auf aan ordentlich Gebalg gefreut und steht nun da und leckt das Maul wie die Katz, die den Vogel nit bekommt. Aber sobald ich diese Gum wieder ertapp', nehm' ich gar kaan Gewehr, sondern schlag gleich mit den Fäusten drein!«

Da öffnete sich der Vorhang meines Zeltes, und es kam ein Kopf zum Vorschein, der sich höchst vorsichtig nach dem Stande der Dinge umschaute; dann schob sich ihm ein langer Körper nach, welcher sich mit einem raschen Sprunge mitten unter die jubelnden Araber schnellte. Es war Hassan, der sich beim Nahen der Feinde verkrochen hatte.

»Hamdulillah, Preis sei Gott, der uns Macht gegeben hat wider unsere Feinde!« brüllte er über die Stimmen der andern weg. »Wir haben sie empfangen wie die Helden, und sie sind geflohen wie die Memmen. Unsere Augen haben sie erschreckt, und ihre Beine sind vor unserer Kühnheit davongelaufen. Sie haben Hassan el Kebihr gesehen und sind erschrocken; sie haben Djezzar-Bei, den Menschenwürger, erblickt, und heulten vor Angst. Seine Kugel ist in ihr Herz gedrungen, und sein Messer hat ihre Kehle zerschnitten. Nun liegen sie tot am Boden; Ehre sei Allah, und Preis und Ruhm erschalle Hassan el Kubaschi vom Ferkah en Nurab!«

»Willst wohl gleich ruhig sein, du Feigling vom Ferkah Hasenfuß!« antwortete ihm der ergrimmte Josef Korndörfer. »Wer hat denn dort im Zelt gesteckt? Ich hab's halt wohl gesehen, daß du hineingekrochen bist, du Angst-Bei und Mael-Zat-Würger!«

»Welcher Frosch ist es, der hier quackt?« fragte der Kubaschi stolz. »Ist es nicht ein Franke, welcher für wahr hält, was el Kitab-el-Mukaddas (die heilige Schrift) sagt? Ich aber bin ein Moslem, der nach dem Kuran betet. Weißt du nicht, daß Adam an einem Freitag erschaffen wurde? Sein Weib aber wurde am Sonnabend gemacht, der auch dein Geburtstag ist, du Weib, du Sohn eines Weibes und Vetter einer Weibestochter. Hast du schon einmal gehört, daß die Kubabisch sich verkriechen? Habe ich nicht zehn Räuber erschlagen, als du dich hinter meinem Rücken verstecktest, Giaur?«

Das war dem braven Staffelsteiner denn doch zu viel. Er sprang auf den Kubaschi zu, um ihn für diese Unwahrheit zu bestrafen; dieser aber wich mit einem mächtigen Satze zurück und eilte hinter das nächste Zelt, wohin ihm der erzürnte ›Vetter einer Weibestochter‹ augenblicklich folgte. Er mußte den großen Hassan dort ergriffen haben, denn es ließen sich jene wohlbekannten Töne vernehmen, welche eine kräftige flache Hand auf der menschlichen Wange hervorzubringen pflegt. Nach einigen Minuten kehrte er höchst befriedigt zurück; Hassan folgte erst nach einiger Zeit. Er trat, sich den Bart reibend, zu mir.

»Sihdi, du bist weise und gerecht. Was hat ein Ungläubiger verdient, der einen Gläubigen schlägt?«

»So viele Streiche, als er selbst gegeben hat. Gehe hin, und gieb sie ihm!«

»So gebiete ihm, daß er stille hält!«

»Hast auch du still gehalten?«

»Nein; ich habe mich tapfer gewehrt, wie es einem Uëlad Arab geziemt.«

»So darf er sich auch wehren, wie es einem Uëlad German geziemt.«

»So befiehl, daß ein anderer ihm die Streiche giebt! Ich habe es nicht zu thun, denn ich bin kein Henker, der das Gesetz erfüllt.«

»Heißt nicht Djezzar Henker, und du selbst nennst dich Djezzar-Bei, den Obersten der Henker? Geh hin, und gieb sie ihm; es bleibt dabei!«

»Du bist ein strenger Richter, Sihdi; ich aber bin gnädig und barmherzig und werde ihm die Strafe schenken, denn meine Hand würde so schwer auf ihn fallen, daß sie ihn zermalmte!«

Er trat in seiner stolzesten Haltung zurück.

Wir konnten für den übrigen Teil der Nacht nichts weiter gegen die Räuber unternehmen, stellten also die nötigen Wachen aus und begaben uns dann zur Ruhe. Vorher aber saß ich mit Emery beisammen, um unsere bisherigen Erlebnisse auszutauschen und einen Plan für unser morgiges Verhalten festzustellen.

Er war für die augenblickliche Verfolgung der Gum, ich aber schlug vor, nach dem Bab-el-Ghud und von da nach EI Kasr zu gehen, welches die Räuber sicher auch aufsuchen würden. Er stimmte schließlich bei, da ihm ja ebenso wie mir daran liegen mußte, Rénald so bald als möglich Hilfe zu bringen. Die Männer der Kaffilah, welche die toten Räuber sofort ausgeplündert hatten, waren durch unsern Sieg in eine mutige und entschlossene Stimmung versetzt worden und daher bereit, uns zu folgen.

Die Zeit bis zum Morgen verging ohne Störung; dann brachen wir auf.

Es kommt vor, daß das Kamel des Wüstenreisenden an einer Stelle, die ihm nichts Auffälliges bietet, halten bleibt und nicht von ihr wegzubringen ist. Steigt er dann ab, um sie zu untersuchen, so entdeckt er eine Feuchtigkeit des Sandes, weiche immer größer wird, je weiter er gräbt, bis er endlich in der Tiefe von einigen Fuß auf Wasser stößt. Der wilde Tuareg hält solche Brunnen sehr geheim. Er breitet über das Wasser ein Fell, welches er sorgfältig mit Sand bedeckt, so daß die Stelle von ihrer Umgebung nicht zu unterscheiden ist. Sie bietet ihm die Möglichkeit, in der Verborgenheit auszuharren, so lange es ihm beliebt, und von ihr aus seine Streifzüge zu unternehmen, von denen er immer wieder zu ihr zurückkehrt.

Einen solchen Brunnen fanden wir. Unsere Tiere konnten sich erfrischen; und da uns gestern die Erbeutung der Kamele in den Stand gesetzt hatte, die Lasten zu verringern, so hatte unser heutiger Ritt die wünschenswerte Schnelligkeit, und wir erreichten das Bab-el-Ghud kurze Zeit nach dem Einbruche der Nacht.

Die Dünen waren immer wirrer geworden, und die Kamele hatten beinahe bis an die Kniee im heißen Sande zu waten gehabt; hier aber am Bab-el-Ghud trafen wir auf ein Chaos von Fels und Sand, dessen Unheimlichkeit die Dunkelheit der Nacht nur zu erhöhen vermochte. Von Westen her drang der Sandocean in hochgehenden Wogen an die Steinmassen der Serir, und wie eine fürchterliche Brandung, die der Befehl eines mächtigen Geistes mitten in ihrer größten Erregung fest gebannt hatte, brachen sich die Dünen an den schroffen Klippen der Steinwüste, die sie nicht zu überfluten vermocht hatten. Erst der Tag konnte uns die Einzelheiten dieses Kampfes zwischen Sand und Fels zur Anschauung bringen. Und selbst in dieser Wildnis hatte der gütige Gott für einen der oben beschriebenen Brunnen gesorgt. Der Tebu hatte ihn entdeckt und führte uns zu ihm. Wir schlugen bei ihm unsere Zelte auf.

Am andern Morgen suchten wir das Bab-el-Hadjar, den schauerlichsten Teil des Bab-el-Ghud. Es trug seinen Namen ›Thor der Steine‹ mit vollem Rechte.

Hatten hier in der Wüste, hier an dieser Stelle die Titanen der Vorzeit die Felsen aufeinander getürmt, um Jupiters Himmel zu stürmen? Oder hatten hier Giganten eine Burg erbaut, deren Zinnen zwischen den Sternen funkelten, an die aber doch die Jahrtausende getreten waren, um die Mauern in der Wüste zu zerstreuen und nur das Portal stehen zu lassen, unter welchem wir hielten, wie Zwerge unter dem Bogen eines riesigen Domes? Zwei, mehrere hundert Fuß starke Säulen, aus mächtigen Felsblöcken errichtet, stiegen himmelan und neigten sich hoch oben einander zu, so daß sie in ihrer Vereinigung einen Spitzbogen bildeten, den keine menschliche Hand in dieser Weise errichten konnte. Die einzelnen Steine waren vom Zahne der Zeit vielfach zerfressen und zernagt; es schien, als ob einer kaum den andern halten könne, und dennoch sah man es dem Ganzen an, daß es seine jetzige Festigkeit noch manches Jahrhundert hindurch behalten werde.

Das war das Bab-el-Hadjar, durch welches wir unsern Weg nach EI Kasr, der Mitteilung des Khabir Zufolge, suchen mußten.

Wir ritten scharf nach Osten. Die Sandwüste hörte nach und nach auf und machte einer jener Steinebenen Platz, welche, weil sie mit wirren Felsblöcken übersät sind, von dem Araber mit dem Namen ›Warr‹ bezeichnet werden. Hier hemmte uns die Tiefe des Sandes nicht mehr, und darum kamen wir heute noch schneller vorwärts als gestern. Das Terrain schien anzusteigen, und gegen Abend sahen wir einen Höhenzug vor uns, dessen aus Dschir (Gips, Kalk) gebildete Massen uns im Lichte der sich neigenden Sonne entgegenglänzten.

»Das muß der Dschebel-Serir sein, von dem der Khabir gesprochen hat,« sagte ich.

Emery nickte.

»Well; die Zeit stimmt.«

Wir ritten weiter und kamen den Bergen näher. Jetzt zog ich mein Rohr hervor. Bothwell that dasselbe.

»EI Kasr!« meinte er nach einer Weile, indem er mit der Rechten grad auf die Mitte des Höhenzuges deutete, der sich in Form eines Hufeisens vor uns ausbreitete.

Auch ich hatte das hohe Gemäuer erkannt, welches sich dort erhob. Es waren allem Anscheine nach die fensterlosen Ruinen eines burgähnlichen Gebäudes, welches vor langen, langen Zeiten dort errichtet worden war, ein neuer Beweis dafür, daß manche Teile der Wüste früher nicht so menschenleer waren wie heute, wo die Kultur den unterbrochenen Kampf mit der Unfruchtbarkeit des Bodens von neuem aufzunehmen hat.

»Darf ich auch 'mal durch das Perspektiv schauen, Herr?« fragte der Staffelsteiner.

Ich gab ihm das Rohr.

»Sihdi, gieb auch mir dieses Ding,« bat Hassan. »Ich will auch einmal sehen, was darinnen ist!«

Ich erfüllte lächelnd auch diesen Wunsch und hielt es ihm in der rechten Richtung vor das Auge.

»Allah akbar, Gott ist groß, Sihdi; du aber bist der größte unter den Weisen der Erde, denn in deinem Rohr steckt ein Ksur (Festung), welches so groß ist, daß tausend Menschen darin stehen können!«

Das Fernrohr ging von Hand zu Hand; ein Ausruf des Staunens folgte dem andern, und es war augenscheinlich, daß unser Kredit bei den Arabern in fortwährendem Steigen begriffen war.

»Man wird uns auf EI Kasr kommen sehen,« bemerkte Emery.

»Jetzt erkennt man uns noch nicht. Wir müssen unsere Richtung ändern.«

»Wie? Der Aufgang muß von dieser Seite sein.«

»Der Khabir sprach von einer unterirdischen Treppe, die nach dem ›Schott‹ führt. Nun aber sehe ich von hier aus weder einen Schott, noch ein sonstiges Wasser, folglich muß sich dasselbe an der andern Seite des Berges befinden.«

»Richtig. Wir umreiten die Höhe!«

Wir wandten uns rechts. Es war nicht mehr lange Tag, und wir mußten vor Anbruch der Nacht zu einem Resultate kommen. Daher strengten wir unsere Tiere so viel wie möglich an. Mit verdoppelter Schnelligkeit trugen sie uns rings an der äußern Seite der Höhe dahin, die nach hier vielfach zerklüftet und zerspalten war. Als wir ihre Mitte erreichten, bemerkten wir eine Schlucht, welcher wir jedenfalls zu folgen hatten. Wir bogen in dieselbe ein und gelangten nun in einen Felsenkessel, welcher mitten in den Bergen lag. Den größten Teil seiner Sohle nahm ein salziges Wasser ein, welches seine Ufer vollständig füllte, da die Sonne hier nur wenig Zutritt hatte und ein so schnelles Verdunsten wie auf offener Sahara also nicht stattfinden konnte. Die den Kessel bildenden Felsen stiegen rundum fast senkrecht zum Himmel empor, und auf ihnen, grad uns gegenüber, sahen wir EI Kasr liegen.

»Schwieriges Terrain!« brummte Emery.

»Wir können nicht hinüber, ohne von dort bemerkt zu werden.«

»Höchstens einer oder zwei, die das Anschleichen verstehen.«

»Bis zur Nacht können wir unmöglich hier warten. Ich werde es versuchen.«

»Well – ich auch!«

Wir stiegen vom Dromedare und geboten den andern, sich in die Schlucht zurückzuziehen, damit sie von EI Kasr aus nicht bemerkt werden konnten. Korndörfer vermutete eine Gefahr für mich und wollte mich unbedingt begleiten; ich hatte Mühe, ihn zum Bleiben zu bewegen. Der brave, folgsame Hassan blieb ohne Weigern zurück; es fiel ihm gar nicht ein, mir seine Begleitung anzubieten, obgleich er mir versichert hatte, daß er mich für den größten Weisen der Erde halte.

Die Felsenmauern des Kessels waren mit hinreichenden Vorsprüngen und Einschnitten versehen, um uns bei der nötigen Vorsicht eine Deckung zu gewähren. Wir bewegten uns, bald langsam schleichend, bald wieder in schnellen Sprüngen vorwärts und gelangten ungesehen in einen schmalen, tiefen Spalt, welcher grad unterhalb vom Kasr in den Felsen geschnitten war. Von diesem aus mußte die verborgene Treppe in die Höhe führen; eine andere Möglichkeit gab es nicht.

Wir drangen in den Spalt ein und fanden unsere Vermutung bestätigt; denn noch waren wir ihm nicht weit gefolgt, so bemerkten wir eine niedrige, thürähnliche Oeffnung im Felsen, in welche eine Stufenreihe mündete, die nach aufwärts führte.

»Hinauf!« gebot Emery.

»Noch nicht!« widersprach ich ihm. »Wir müssen erst wissen, wohin der Spalt weiter führt.«

»Well – also weiter!«

Es ging wieder vorwärts, doch führte der Einschnitt nicht mehr sehr weit in den Felsen hinein. Da aber, wo er endete, bot sich uns ein unerwarteter Anblick dar. Mehrere Fuß hoch aufeinandergeschichtet lag hier nämlich ein Haufe menschlicher Schädel und Knochen, welche deutliche Spuren davon zeigten, daß sie von Tieren, entweder Hyänen oder Schakals, oder Aasgeiern abgenagt worden waren. Zerrissene Kleiderfetzen mischten sich darunter, und einige derselben, die an den scharfen Felskanten über uns hingen, erklärten uns, wie die Knochen an diese Stelle gekommen waren. Wir befanden uns jedenfalls auf der Richtstätte des Hedjahn-Bei, der die von ihm zum Tode Verurteilten vom Felsen in den Spalt stürzen ließ, eine Prozedur, welche jedenfalls nicht selten vorkam, denn wir zählten über zwanzig Schädel.

»Das Schicksal seiner Gefangenen!« bemerkte Emery.

»Vielleicht auch derjenigen seiner Leute, die sich einen Ungehorsam zu schulden kommen ließen. Ich denke, es wird nicht mehr vorkommen!«

»Richtig, außer wenn es ihm gelingt, uns selbst herabzustürzen.«

»Das wird ihm nicht gelingen, denn zehn solcher Hedjahn-Beis wiegen keinen einzigen Siouxhäuptling auf. Doch jetzt nun zur Treppe!«

Wir suchten den Eingang wieder auf.

Es schien, als habe hier einst ein Erdbeben auf die kompakte Masse des Felsens gewirkt. Der Einschnitt, welchen wir verfolgt hatten, war wohl eine Folge davon, und auch der Aufstieg, in den wir jetzt eindrangen, war jedenfalls nicht künstlich eingehauen, sondern von der Natur gerissen und dann zur Anlegung einer Stufenreihe benützt worden.

Wir mußten alle Augenblicke gewärtig sein, einem Wasser holenden Räuber zu begegnen, weshalb wir uns nur höchst vorsichtig und unter Vermeidung von allem Geräusch emportasteten. Der Spalt war so eng, daß wir nur hintereinander gehen konnten; bei einer feindlichen Begegnung war also eine gegenseitige Hilfe nicht möglich, doch glich sich das vollständig dadurch wieder aus, daß auch uns gegenüber nur eine einzige Person Platz finden konnte. Uebrigens fand eine solche Begegnung gar nicht statt, vielmehr erreichten wir nach längerem und, da die Stufen eine sehr verschiedene Höhe besaßen, sehr beschwerlichem Steigen unbemerkt das Ende der Treppe.

Eine Thür konnten wir hier, bei der Holzarmut der Wüste, nicht erwarten, dennoch aber fanden wir den Eingang verschlossen. Vor demselben lag ein Felsstück, welches, wie die Untersuchung bewies, mit Hilfe irgend einer für uns unsichtbaren Vorrichtung nach innen zu bewegt werden konnte. Alle unsere Anstrengung, es zu beseitigen, war vergebens.

»Was jetzt?« fragte Bothwell. »Wir müssen hinein.«

»Oder wir stürmen das Kasr von außen.«

»Nur für den Notfall. Wir kennen die Besatzung nicht, und obgleich wir schnell geritten sind, könnte der Bei doch bereits mit der Gum eingetroffen sein. List ist der offenen Gewalt vorzuziehen.«

»So wird auch hier die Anaïa helfen.«

»Ah! Wie so?«

»Die Nacht ist noch nicht da, und mein Hedjihn ist schnell. Ich reite auf das Schloß und öffne von innen.«

»Zu gefährlich, my dear!«

»Nicht so sehr, als es den Anschein hat. Oder meinst du, daß ich mich fürchten soll?«

»Pshaw! Aber kannst du wissen, welche Umstände und Hindernisse dir entgegentreten?«

»Ich habe die Koralle und meine guten Waffen!«

»Well; aber ich begleite dich!«

»Das geht nicht. Willst du unsere Leute ohne Führung lassen?«

»Richtig! Diese Araber sind so unfertig, daß man sich nicht auf sie verlassen kann.«

»Korndörfer wird mich begleiten.«

»Gut, so sei es gewagt. Aber ich sage dir, daß ich den Bei mit seinen Schuften in Stücke reiße, wenn sie dich nur unrecht anrühren.«

»Mir ahnt nichts dergleichen. Bis Mitternacht werde ich mich orientiert haben; dann steigst du mit den Männern auf, und ich lasse euch ein.«

»Und wenn du es nicht vermagst?«

»So überlasse ich das weitere ganz deinem Ermessen. Ich kann für diesen Fall nichts vorherbestimmen.«

»Ich werde bis ein Uhr hier warten; öffnest du nicht, so sind wir eine Stunde später vor dem Schlosse, und ich gebe dir durch einen Eulenruf das Zeichen. Kommst du nicht, so nehme ich dann an, daß du dich in Gefahr befindest, und ich werde in das Kasr eindringen. Komm!«

Wir stiegen wieder abwärts und gelangten wohlbehalten zu unsern Leuten. Als der Tebu hörte, daß ich mit Korndörfer auf das Schloß wolle, bat er, mich begleiten zu dürfen. Ich mußte ihm die Erfüllung dieses Wunsches versagen. Er hatte die Gum verfolgt und war von einigen ihrer Männer gesehen worden; es lag also die Möglichkeit vor, daß er auf EI Kasr erkannt würde, was das Gelingen unsers Unternehmens in Frage stellen mußte.

Ich bestieg mein Bischarin, und Josef nahm ein Mehari von Emery; dann ging es in möglichster Eile den Weg zurück, den wir gekommen waren. An dem einen Ausläufer des Hufeisens angekommen, bogen wir um denselben herum und ritten nun in gerader Richtung auf das Schloß zu.

Die Sonne tauchte eben hinter den westlichen Horizont hinab, als wir den hohen, offenen Eingang erreichten. Bisher hatten wir trotz unserer sorgfältigen Beobachtung des alten Gemäuers kein menschliches Wesen zu sehen bekommen, doch nahm ich an, daß unser Kommen ganz sicher bemerkt worden war. Eben wollten wir den Eingang passieren, als hinter den Seitenpfeilern desselben vier Männer hervortraten und uns ihre langen Flinten entgegenstreckten.

»Rrree, halt! Was wollt ihr, Fremdlinge?«

»Wir sind Wanderer, haben weder Speise noch Wasser bei uns und begehren, diese Nacht bei euch zu bleiben und von euch zu kaufen, was wir bedürfen.«

»Wie kommt ihr hierher, und wer hat euch gesagt, daß hier Männer wohnen?«

»Wir sahen auf der Ebene die Spuren eurer Tiere. Laßt uns ein!«

Sie warfen sich fragende Blicke zu, dann meinte einer von ihnen mit einem wenig verheißungsvollen Gesichte:

»So kommt!«

»Gebt ihr uns Herberge im Namen des Kuran und des Propheten?«

»Komm!«

Wir hatten ihren Aufenthalt entdeckt; wir durften EI Kasr nicht lebendig verlassen; das war deutlich in ihren Mienen zu lesen. Ich aber wußte mich sicher und fragte, um sie zu versuchen, weiter:

»Warum giebst du mir keine Antwort auf meine Frage?«

»Ich habe dir gesagt, daß du eintreten sollst!«

»Wird mich der Kuran bei euch beschützen?«

»Hältst du uns für Räuber, die ihre Gäste töten?«

»Seid, was ihr wollt. Ihr habt uns keinen Gruß geboten; wir werden wieder gehen!«

Ich wandte mein Kamel der Wüste zu, und sofort richteten sich die Gewehre wieder auf uns.

»Halt, ihr bleibt! Hier wohnt der Hedjahn-Bei; ihr werdet die Sahara nicht mehr sehen!«

Ich verschmähte es, eine meiner Waffen zu ergreifen.

»Bist du blind, daß du mir drohest? Siehst du nicht die Gewehre, welche wir tragen? Oder meinst du, daß wir nur mit ihnen spielen? Kennst du nicht das Tier, auf dem ich sitze? Allah hat dir Augen gegeben, aber sie sehen nicht!«

Erst jetzt warfen sie ihre Blicke auf mein Dromedar.

»Das Bischarin des Bei! Wer gab es dir?«

»Er selbst. Ich rettete ihn aus den Krallen des Löwen, als er weit von hier gegen Mitternacht auf Mahmud Ben Mustafa Abd Ibrahim Jaakub Ibn Baschar wartete, den er in die Stadt der Franken geschickt hatte. Seht hier seine Andia!«

Dieser lange, ihnen wohlbekannte Name und die Koralle überzeugten sie, aber dennoch blieb ihr Angesicht finster.

»Zu welchem Stamme gehörst du?«

»Ich bin ein Franke.«

»Ein Ungläubiger? Was thust du in der Wüste?«

»Ich komme, um ein Gast des Bei zu sein, mit dem ich zu sprechen habe.«

»So bleibe hier. Es wird dir nichts geschehen, bis er kommt.«

Ich ließ mein Tier niederknien und stieg ab. Josef that ebenso. Ueber EI Kasr zog ein einsamer Geier seine weiten Kreise. Ahnte er, daß er uns als Speise in dem Felsenspalte finden werde? Ich ergriff die Büchse und schoß ihn herab. Die Räuber hätten dies mit ihren Flinten unmöglich fertig gebracht. Sie staunten. Das wollte ich.

»Eure Lippen haben verschmäht, uns ein Sallam zu sagen; hütet euch vor meinem Auge und vor meiner Kugel!«

»Du hast das Zeichen und drohst uns? Du hast es gestohlen; stirb, Giaur!«

Er legte an, doch mein Revolver war schneller als er. Ich brauchte bloß zweimal abzudrücken, denn Korndörfers Kugel traf den dritten, und der vierte wurde von ihm mit dem Kolben niedergeschlagen.

Sofort wieder ladend, warteten wir zunächst, ob sich ein neuer Feind zeigen werde, doch regte sich in dem Hofe nicht das Geringste. Hatte der Hedjahn-Bei nur diese vier Männer zur Bewachung des Kasr zurückgelassen? Bei der Abgeschiedenheit und Sicherheit der Lage war dies sehr leicht denkbar; wir mußten es untersuchen.

Das Innere der Ruine war besser erhalten, als es von außen den Anschein hatte. Vor uns lag eine offene von Säulen getragene Halle, an deren Seiten sich noch mehrere Gemächer anzuschließen schienen. Wir sahen, daß sie leer war, und schritten auf sie zu. Die Nebenräume hatten keine Thüren und waren auch leer. Jetzt gelangten wir durch einen hinteren Ausgang in einen zweiten Hof. Das Gebäude war jedenfalls zu der Zeit errichtet worden, als im achten Jahrhundert die mächtigen Uëlad Mussa die Serir überschwemmten. Schon wollte ich diesen Hof betreten, als Korndörfer mich am Arme faßte.

»Halt, Herr! Steht dort hinter der Säul' nit auch so aan Halunk'? Er dreht uns den Rücken her und hat uns halt noch gar nit bemerkt.«

Ehe ich antworten konnte, hatte sich der Räuber zu uns gewandt; im nächsten Augenblicke blitzte sein Schuß, und die Kugel streifte Josef am Arme.

»Maschallah, is der Kerl unvorsichtig; wie leicht konnte er mich erschießen!«

Mit diesem Ausrufe sprang der Staffelsteiner in weiten Sätzen über den Hof hinüber und packte seinen Mann an der Kehle. Ich eilte ihm nach und kam noch zur rechten Zeit, um zu verhindern, daß er ihn erwürgte.

»Laß los; wir brauchen ihn vielleicht!«

Er nahm die Hand von der Gurgel, hielt ihn aber fest.

»Warum schießest du auf einen Gast des Hedjahn-Bei?« fragte ich den Gefangenen.

Es war mir klar, daß sich außer ihm niemand mehr auf dem Kasr befand. Er holte tief Atem, ehe er antwortete:

»Ein Gast? Wo sind die, welche euch erwarteten? Ich hörte Schüsse. Wer seid ihr?«

»Sieh hier die Andia! Wie viele Männer sind im Schlosse?«

»Fünf, bis der Bei zurückkehrt.«

»Du irrst! Nur du allein bist hier, denn vier hat unsere Kugel getötet, weil sie uns als Feinde empfingen.«

»Ihr habt die Koralle und tötet die Männer des Bei! Wer seid ihr?«

»Ich bin der Bruder des Behluwan-Bei und komme, den Franken zu holen, den ihr gefangen haltet. Wo ist er?«

»Du sagst die Unwahrheit! Kann ein Mensch der Bruder eines Geistes sein?«

»Frage den Würger selbst; er wird kommen, sobald ich ihn rufe! Wo ist der Franke?«

»Ich sage es nicht.«

»So werde ich ihn finden, und du mußt sterben!«

»Der Bei wird mich rächen!«

»Er kann dich nicht rächen. Der Behluwan-Bei hat ihn geschlagen und sechzehn seiner Männer getötet. Und sein Bruder ist mit eurem Mudir, dem Khabir und Schech el Djemali durch diese Büchse hier gefallen. Die Tschehenna wird auch dich verschlingen, wenn du mir nicht gehorchest.«

»Beweise mir, daß du die Wahrheit sagest; dann will ich thun, was du begehrst.«

»So komm! Ich werde dir den Würger zeigen.«

Ich stieg über eine Mauerbresche hinaus auf den Rand des Thalkessels, grad der Schlucht gegenüber, in welcher sich Emery befand. Der Mann folgte mir zaudernd.

»Hallo-i-oh!« rief ich hinab, und sofort trat Emery hervor. »Kommt herauf!«

»Alles sicher?«

»El Kasr gehört mir!«

Jetzt traten auch die Männer der Kaffilah herbei und erhoben ein Freudengeschrei. Es war noch so hell, daß man deutlich sehen konnte, was vorging. Emery ließ die Tiere unter der Aufsicht dreier Männer, unter denen sich auch der lange Hassan befand, am Schott zurück; die andern begaben sich nach dem Treppeneingange.

»Siehst du, daß ich die Wahrheit sage? Willst du gehorchen?«

»ja, Sihdi!«

»So öffne den Stein vor der Treppe!«

Er trat, nachdem ich ihm die Waffen abgenommen hatte, in ein Gewölbe, aus welchem er eine aus Dattelfaser gefertigte Fackel brachte, die er anzündete. Dann stieg er in die dunkle Pforte, vor welcher er Wache gestanden hatte, als wir ihn zuerst bemerkten. Die Stufen führten abwärts in einen unterirdischen Raum, der mit verschiedenen Waren bis hoch an die Decke gefüllt war. Hier hatte der Hedjahn-Bei seine Beute aufgestapelt. in der hintersten Ecke lag ein Steinblock auf zwei Rollen, welcher mit Stricken an die Mauer befestigt war.

»Hier ist die Treppe, Sihdi!« erklärte der Gefangene.

Die Stricke waren schuld, daß Emery und ich den Stein nicht hatten bewegen können. Ich öffnete die Schlingen und zog den Block zur Seite. Nach einigen Minuten befand sich die Kaffilah im Kasr. Ich sprach einige erklärende Worte zu Bothwell und wandte mich hierauf an den Gefangenen.

»Wo ist der Franke?«

»Muß ich es sagen? Wir haben geschworen, zu schweigen.«

»Du mußt! Hier steht der Behluwan-Bei, der deine Seele von dir fordert, wenn du nicht gehorchest.«

»So kommt!«

In der andern Ecke des Gewölbes war eine niedrige, tiefe Nische ausgehauen, die statt der Thür von einigen Warenballen verschlossen wurde. Drin lag auf dem harten, bloßen Boden, von Stricken festgehalten, eine menschliche Gestalt.

»Rénald!«

Das Licht der Fackel fiel auf die hohe Figur des Engländers.

»Emery!« jauchzte es laut auf.

»Heraus, mein Junge, schnell!«

Ein paar rasche Messerschnitte lösten die Banden, dann lagen sich die Freunde einander in den Armen.

Eine halbe Stunde später hatten wir mittels der vorhandenen Fackeln das ganze Schloß durchsucht; nun wurde ein Bote abgesandt, unsere Tiere herbeizuholen, da wir von dem Gefangenen hörten, daß die Gum ihre Kamele zum Schütt führen und dann das Kasr durch die Treppe ersteigen werde.

Der Jubel des befreiten jungen Mannes, der sich vollständig verloren geglaubt hatte, war ein außerordentlicher; sein Dank fand keine Worte, und wir saßen bis in die späte Nacht hinein über der Erzählung der Leiden und Freuden, welche wir hinter uns hatten. Dann gingen wir zur Ruhe; die ausgestellten Wachen sicherten uns vor jeder Ueberraschung.

Als ich mich am andern Morgen erhob und hinaus in den Hof trat, überraschte ich den Tebu bei einer schrecklichen Arbeit. Er hatte während der Nacht den Räuber getötet und stand jetzt auf der Mauerzinne, um die blutige Leiche desselben in den Spalt zu stürzen. Ich stellte ihn zur Rede, erhielt aber keine andere Antwort als:

»Ed dem b'ed dem – en nefs b'en nefs, Leben um Leben, Blut um Blut, Auge um Auge, Sihdi; ich habe es geschworen, und ich halte es!«

Unsere Tiere waren angekommen, und der große Hassan trat mir entgegen.

»Hamdulillah, Gott sei Dank, Sihdi, daß wir wieder beisammen sind, denn ohne mich wärst du nicht – – – Allah inhal el Bei, Gott verderbe den Bei!« unterbrach er sich. »Siehst du ihn dort kommen?«

Wirklich kam unten über die Ebene eine Reihe von Arabern. Sie gingen zu Fuße und hatten also ihre Tiere nach dem Schott geschickt. Sie sollten einen unerwarteten Empfang finden. Ich sandte Hassan, der uns beim Kampfe sicher nichts nützen würde, hinaus auf den Mauervorsprung, um den Schott zu betrachten; wir andern hielten unsere Gewehre bereit. Ich verbarg mich mit dem Staffelsteiner hinter einem Steinhaufen, der sich hart neben dem Eingange befand. Wer einmal das Kasr betreten hatte, durfte nicht wieder hinaus.

Wir hatten nicht lange zu warten. Sie kamen, und obgleich sie die Abwesenheit ihrer fünf Wächter hätte aufmerksam machen sollen, traten sie unbesorgt in den Hof. Schon hatten sie beinahe die Hälfte desselben durchschritten, da kam ihnen Emery langsam entgegen. Sie stutzten.

»Rrree! Ich bin der Behluwan-Bei; die Gum fahre zur Hölle! Feuer!«

Alle Gewehre krachten.

»Ich schieß halt nit mehr; ich nehm die Faust!« rief der Staffelsteiner, warf das Gewehr weg und befand sich mit Emery und dem Tebu im dicksten Haufen der Feinde. Mein Stutzen ließ keinen durch das Thor; in zehn Minuten waren wir Herren des Platzes.

Da ertönte die Donnerstimme Hassans:

»Allah akbar, Gott ist groß; Sihdi, sie kommen mit den Tieren, und der Bei ist dabei; ich habe ihn am Panzer erkannt!«

Ich trat hinaus. Die Kamele standen mit ihren hohen Beinen drunten im Wasser, und bei ihnen hielten drei Männer. Der eine hatte den Burnus abgeworfen, und sein Kettenpanzer schimmerte wie pures, gediegenes Gold zu uns herauf. Er wusch sich, warf dann den Burnus wieder über und winkte seinen Leuten, ihm zu folgen. Sie schritten dem Treppenaufgange zu.

»Der gehört mir; ich muß ihn lebendig haben!« rief Bothwell. »Zieht euch in die Hallen zurück!«

Ich eilte hinab in das Gewölbe, um den Treppeneingang zu öffnen, und kehrte dann nach oben zurück.

R6nald Latréaumont hatte mich bereits gestern um einen von meinen Revolvern gebeten. Mein Auge suchte ihn jetzt, fand ihn jedoch nicht. Da ließen sich Schritte vernehmen. Der Bei trat mit seinen beiden Begleitern aus der Pforte in den Hof. Die Leere desselben mochte ihm auffallen; er blieb halten. Er war das grade Ebenbild dessen, den ich am Auresgebirge getroffen und später erschossen hatte. Sein scharfes Auge schweifte forschend umher, und seine Lippen öffneten sich zu einem Rufe des Erstaunens. Aus dem Säulengange hervor kam Rénald auf ihn zugesprungen, den Revolver in der Hand. Ich ahnte, was kommen werde, und hob die Doppelbüchse.

»Halt, laß ihn mir!« gebot mir Emery, indem er an mir vorübereilte.

»Ich bin frei, stirb, Räuber!« rief Rénald und drückte auf den Bei ab.

Die Kugel prallte von dem Panzer zurück, und sofort hatte der Bei den kleinen, schmächtigen Franzosen mit der Linken erfaßt und holte mit der Rechten zum tödlichen Stoß aus. Er kam nicht dazu; Emery hatte ihn von hinten gepackt. Jetzt eilte alles herbei. Die beiden Räuber sahen, wie die Sache stand, und wandten sich zur Pforte zurück; sie erreichten sie nicht; meine beiden Kugeln streckten sie nieder.

Emery hielt den Bei mit eisernen Armen gepackt.

»Kennst du mich, Räuber? Ich bin der Behluwan-Bei. Fahre deinen Opfern nach!«

Ein fürchterlicher Faustschlag traf den Bei vor die Stirn und betäubte ihn; dann faßte ihn der ›Englishman‹, trug ihn zur Mauer empor und schleuderte den Mörder hinab in die Spalte, wo die Gebeine der Gemordeten lagen. Die Gum war bis auf den letzten Mann vernichtet. – – –

– – Vierzehn Tage später hatten wir die Serir durchschritten, und ein wunderbar liebliches Bild breitete sich vor uns aus. Viele tausend Palmen wiegten ihre dunklen Blätterkronen auf den schlanken Stämmen, die vom Sonnenlichte golden überrieselt wurden. Die Füße dieser Stämme standen in einem Garten von blaßroten Pfirsichblüten, weißen Mandelblumen und hellgrünem, frischem Feigenlaub, in welchem der Bülbül (Nachtigall) seine entzückende Stimme erschallen ließ. Es war die Oase Safileh, wohin wir die Kaffilah glücklich brachten.

Mit ihr trennte sich nach einem mehrtägigen Aufenthalte auch der Tebu von uns.

»Allah sei mit dir, Sihdi,« meinte er beim Abschiede. »Du hast die Männer der Kaffilah reich gemacht durch die Beute von EI Kasr, selbst aber hast du nichts genommen. Ich habe keine Söhne mehr, aber ich habe einen Segen. Nimm ihn mit dir in das Land der Franken, deren Gott auch der unsere ist: Baid el bela alik, alles Uebel sei fern von dir!« – –

– – Und wieder mehrere Wochen später hielten wir unsern Einzug in Algier, wo wir von der glücklichen Familie Latr6aumont mit unendlicher Freude empfangen wurden. Hassan war uns bis hierher gefolgt, und der Staffelsteiner wollte mich nicht verlassen. Er ging mit mir und Emery, der mir zu Liebe seinen ursprünglichen Reiseplan änderte, nach Deutschland, um den ›laufigen‹ Trank seiner Heimat zu kosten. Für Latréaumont und die Seinen war der Abschied von uns recht schmerzlich, und auch dem tapfern Kubaschi en Nurab zuckte es gewaltig um den Bart.

»Sihdi, du gehst, und wir sehen uns nicht wieder, aber du wirst auch in Germanistan mit Freude und Stolz denken an Hassan-Ben-Abulfeda-Ibn-Haukal al Wardi-Jussuf-lbn-Abul Foslan-Ben-Ishak al Duli und ihn stets nennen Hassan el Kebihr und Djezzar-Bei, den Menschenwürger, der dir mit dem Behluwan-Bei geholfen hat, den Assad-Bei und den Hedjahn-Bei zu töten.«

»Und auch ich werd' dich nit vergessen, Hassan,« versprach der Staffelsteiner, »sondern in Germanistan erzählen von Ma-el-Zat-Bei, dem Spirituswürger!«

»Deine Zunge ist voll Gift, und niemand wird dir glauben; denn die Leute in Germanistan werden sagen: ›Da kommt jussuf-Koh-er-darb-Ben-Koh-er-darb-Ibn-Koh-er-darb-AbuKoh-er-darb el Kah-el-brunn, der Verleumder, der Ungläubige, der Schakal, der Schweinefleisch ißt!‹ Ich verbiete dir, von mir zu sprechen jetzt und in alle Ewigkeit. Wir aber, Sihdi, werden voneinander erzählen, und mein Name wird erklingen in allen Oasen und unter allen Zelten von Germanistan. Sallam aaleikum, Friede und Heil sei mit dir!«--


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