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Hadschi Halef Omar ließ, als die Mir Mahmalli verschwunden waren, ein selbstgefälliges lustiges Lachen hören und sagte:
»Da sind sie hin, die zwölf Helden, welche vor zwei Männern weichen! Müssen sie sich nicht dessen schämen, Sihdi, und alle ihre Kindeskinder in Zukunft auch? Wir aber sind keinen Zollbreit vor ihnen gewichen. Doch siegten wir nur durch die Angst vor deinem Gewehre. Der Mensch, welcher dich kannte, muß damals mit uns bei den Zibar-Kurden gewesen sein. Wir wären schlimm daran gewesen, wenn er den Häuptling nicht auf deinen Stutzen aufmerksam gemacht hätte.«
»Auch nicht schlimmer; nur hätte es wohl Menschenblut gekostet, wenn auch nicht das unserige. So lange sie offen vor uns standen, waren sie nicht zu fürchten. Nun aber werden sie uns wie ›Schlangen‹, wie der Häuptling sagte, nachschleichen, und das ist weit gefährlicher für uns.«
»Eher denke ich, daß sie uns auflauern, wenn wir jetzt weiter reiten. Es scheint, daß wir durch ihr Gebiet kommen werden.«
»Meinst du wirklich, daß ich imstande bin, den Weg hier hüben fortzusetzen? Ich habe bisher angenommen, daß du mich besser kennst. Hier hüben wohnen die Mir Mahmalli, drüben die Mir Yussufi, zu deren Stamm, wie es scheint, diese Fatima Marryah gehört. Da wir derselben einen solchen Dienst erwiesen haben, so steht mit Sicherheit zu erwarten, daß ihre Stammesgenossen uns freundlich aufnehmen und nötigenfalls gegen die Mahmalli beschützen werden. Wir gehen also jetzt über das Wasser.«
Indem ich das sagte, sah ich mich nach unserem Khawassen um. Er war nicht zu sehen; darum ritten wir zurück und fanden ihn nur dadurch, daß ich im Grase genau nach seiner Spur suchte. Der Mensch hatte vor lauter Angst sein Pferd zwischen die Büsche geführt, dort angebunden und war dann tief in ein Dorndickicht gekrochen, um von den Kurden nicht gesehen zu werden.
»Sind sie fort?« fragte er, als ich ihn an den Beinen hervorzog. »Du lebst, Effendi! So haben sie dich nicht ermordet?«
»Doch! Sie haben mich erschlagen.«
»Aber – aber, du stehst ja hier vor mir!«
»Das ist nur mein Geist, der dich Tag und Nacht verfolgen wird für die Kühnheit, mit welcher du uns beschützt hast.«
»Und mein Geist wird dir aufhucken, alle Stunden zehn- oder zwölfmal, du Großvater und Urgroßvater der Furchtsamkeit,« stimmte Hadschi Halef ein. »Warum bist du zurückgeblieben? Warum hast du dich versteckt?«
»Nur aus Rücksicht für euch. Die Kurden hassen die Khawassen des Großherrn. Hätten sie mich bei euch gesehen, so wäret ihr gewiß nicht so mit heiler Haut davongekommen.«
»Und da giebt dein Mutessarif dich uns zum Schutze mit? Allah verwandle ihn dafür in einen umgekehrten Igel, mit den Stacheln nach innen, damit sie seine inwendige Seele stechen und peinigen all ihr lebelang! Welcher vernünftige Mensch thut denn, um einen Zweck zu erreichen, das gerade Gegenteil von dem, wodurch er ihn erreichen würde? Ich werde euch beide nach vollendeter Reise auf Bretter nageln lassen, um euch als Seltenheiten zu produzieren!«
Er machte eine verächtliche Handbewegung und folgte mir, der ich mich nach dem Flusse wendete. Dieser war hier kaum anderthalb Fuß tief, so daß die Kurdin leicht hatte hinüberwaten können. Sie war übrigens nicht mehr zu sehen.
Drüben angelangt, ritten wir am andern Ufer aufwärts, hüteten uns aber, uns nahe an dem Wasser zu halten. Die Kurden konnten sich drüben versteckt haben und auf uns schießen. Wir ritten vielmehr am Rande der Thalsohle, am Saume des Waldes unter den Bäumen, durch deren Stämme wir leidlich gedeckt waren.
Diese Vorsicht zeigte sich als gerechtfertigt, denn wir waren noch gar nicht weit gekommen, so fiel drüben aus den Büschen ein Schuß, doch ohne daß einer von uns getroffen wurde. Einige Augenblicke später hörte ich einen zweiten Schuß; er war nicht drüben, sondern hinter mir gefallen. Ich drehte mich schnell um und sah den Khawassen, welcher, um ruhiger zielen zu können, abgestiegen war, neben seinem Pferde stehen und die soeben abgeschossene Flinte senken. Jenseits des Flusses erhoben die Kurden ein wütendes Geschrei. Schnell, damit er meinen Worten zuvorkomme, rief er mir zu:
»Ich habe ihn erschossen, Effendi! Ich sah ihn zwischen den Sträuchern stehen und auf uns schießen; da schickte ich ihm meine Kugel und sah ihn niederstürzen.«
»Welcher war es? Etwa der Häuptling?«
»Nein, ein anderer. Siehst du nun, daß ich Mut besitze und ein tapferer Krieger bin?«
»Nein. Es ist keine Kunst, so aus dem Hinterhalte auf jemand zu schießen. Warum fragtest du mich nicht? Deine Voreiligkeit kann uns den größten Schaden bringen. Aus dem Geschrei der Kurden ist zu ersehen, daß du getroffen hast. Dachtest du denn nicht an die Blutrache!«
»Blutrache? O Allah, das hatte ich vergessen! Meinst du, daß sie kommen, um sich zu rächen?«
»Natürlich! Kein Volk hält so fest wie diese Kurden an der Blutrache. Wenn sie dir den Hals abschneiden, habe ich nichts dagegen!«
Ich meinte diese Worte natürlich nicht im vollen Ernste, war aber doch erzürnt über ihn. Wir befanden uns schon in Gefahr, und sein unkluges Gebaren konnte dieselbe nur vermehren, zumal der Fluß jetzt eine Krümmung machte und so nahe an den Berghang trat, daß zwischen den beiden nur ein sehr schmaler, offener Grasstreifen blieb, welchem wir eigentlich zu folgen hatten. Diese Stelle konnte verhängnisvoll für uns werden, weil wir auf derselben den Kugeln der in den Büschen jenseits steckenden Kurden frei ausgesetzt waren. Darum zog ich es vor, wenigstens eine Strecke weit unter dem Walde des Abhanges Deckung zu suchen. Wir waren also gezwungen, uns bergauf zu wenden und mußten infolgedessen absteigen, da das Terrain felsig war und ziemlich steil anstieg. Unsere Pferde führend, kletterten wir empor und kamen zu meiner Verwunderung auf eine Art von Pfad, welcher längs der Berglehne hinzuführen schien. Wir folgten ihm, ohne es für notwendig zu halten, uns auf eine feindselige Begegnung vorzubereiten, denn auf diesem Ufer wohnten ja die Mir Yussufi, von denen ich annahm, daß sie uns freundlich aufnehmen würden.
Hier konnten wir wieder in den Sattel steigen, waren aber noch nicht weit gekommen, so sahen wir uns zum Halten gezwungen. Wir befanden uns nämlich vor einem Felsen, welcher da, wo der Pfad aufhörte, ein Thor zu bilden schien. Man konnte zu keiner Seite abweichen, denn links fiel das Terrain so steil ab, und rechts stieg es so j ach an, daß es nicht zu passieren war. Die Öffnung aber, welche ich Thor nannte, war mit einem starken Dorngeflecht verschlossen. Ich fragte mit lauter Stimme, ob jemand dahinter sei, worauf eine tiefe, kräftige Baßstimme von innen antwortete:
»Es ist jemand da. Wer seid ihr?« »Wir sind Fremde, welche von Rewandis kommen.« »Wohin wollt ihr?« »Über die Grenze.« »Wes Glaubens seid ihr? Sunniten oder Schiiten?«
»Ich bin ein Christ; meine Begleiter aber sind sunnitische Moslemim. Können wir für diese Nacht eure Gäste sein?«
»Ich werde öffnen. Bindet draußen eure Pferde an!«
Die Dornenthüre wurde entfernt, und es erschien ein Mann von so riesigen Körperformen, wie ich wohl noch nie einen gesehen hatte. Er war bedeutend höher und breiter als ich und trug auf seinem unbedeckten, sonst kahl geschorenen Kopfe nur ein langes, dünnes Temeli (Haarbüschel), welches hinten bis auf den Rücken niederfiel. Seine sehr weite Hose war schwarz und rot gestreift und oben und unten mit Riemen zugebunden. Die nackten Füße hatten fast noch größere Dimensionen als die gewaltigen Hände, um welche ihn ein irischer Vollmatrose beneidet hätte. Um die Schultern hing ein Lederkragen, welcher in lange Streifen geschnitten war, so daß sein rauh behaarter Oberkörper ebenso wie die nackten, auffallend stark muskulierten Arme zu sehen waren. Er hielt ein Messer in der Hand, mit welchem er wohl eben beschäftigt gewesen war. Er musterte uns mit einem beinahe finstern Blicke und sagte dann:
»Kommt herein, und wartet hier! Ich werde dem Malkhoe-gund (Dorfältesten) eure Ankunft melden.«
Er verschwand im Hintergrunde durch eine zweite Dornenthüre, welche er von draußen wieder vorschob, und wir traten ein, die Pferde natürlich im Freien lassend. Wir befanden uns in einem unregelmäßig viereckigen Raume, welcher wohl zwanzig Personen bequem fassen konnte und dessen vier Wände mit eben solchem Dorngeflecht bekleidet waren. Warum dieses stachelige Zeug? Das sollten wir bald erfahren. Als Stühle oder Schemel lagen mehrere große Steine da. Wir setzten uns. Sonst war ringsum nichts zu sehen als ein Lanzenschaft, an welchem der Kurde bei unserem Kommen geschnitzt zu haben schien.
Eigentlich hatte ich große Lust, die Örtlichkeit in altgewohnter Vorsicht genau zu untersuchen, doch hielt mich eben dieselbe Vorsicht davon ab; wir konnten Beobachter haben, und ich wollte dieselben nicht durch ein Zeichen des Mißtrauens gegen uns aufbringen. Eins aber that ich, um auf alle Fälle gerüstet zu sein: Ich füllte, um die abgeschossenen Kugeln zu ergänzen, das Magazin meines Henrystutzens mit neuen Patronen.
Eben war ich damit fertig, als die Hinterthüre wieder geöffnet wurde und der Kurde mit einem Manne eintrat, den er als den Malk-hoe-gund bezeichnete. Dieser war ein verwegen und zugleich verschmitzt aussehender Mann mittlerer Größe. Auch er trug einen riesigen Turban; sein Körper wurde von einem türkischen Anzuge, der aber aus rot und gelb gemustertem Zeuge gefertigt war, umhüllt. Im Gürtel hatte er ein Messer und eine Pistole stecken. Im Besitze der letzteren Waffe befinden sich bei den Kurden meist nur die Häuptlinge. Er warf einen forschenden und, wie es mir schien, erzwungen freundlichen Blick auf uns und fragte mich dann:
»Die beiden Männer sind Sunniten?«
»Ja.«
»Wir bekennen uns zur heiligen Schia und feiern den Tod Husseins, des Märtyrers. Du aber bist ein Christ und trägst doch das Hamaïl!«
Hamaïl ist ein in Mekka geschriebener Kuran, welchen die dort gewesenen Pilger, wenn sie wohlhabend genug waren, sich einen solchen kaufen zu können, als Andenken an ihre Wallfahrt am Halse tragen. Darum antwortete ich:
»Ich habe ihn in Mekka gekauft.«
Er warf mir darauf einen Blick zu, welchen ich nicht zu enträtseln vermochte, musterte mich abermals, und zwar eingehender als vorher, und trat dann vor den Eingang, um unsere Pferde anzusehen. Kaum war sein Auge auf mein Pferd gefallen, so leuchtete es freudig überrascht auf, und er rief aus:
»la Hassan, ia Hussein! Das ist ja ein Rapphengst von reinstem Blute. Wie heißt er?«
»Rih,« antwortete ich.
»Rih? Von wem hast du ihn?«
»Von Mohammed Emin, dem Scheike der Haddedihn vom Stamme der Schammar.«
»Ich kenne die Haddedihn und alle ihre Schicksale. So bist du wohl der Christ, dem er dieses Pferd schenkte, weil du seinen Stamm vor drei feindlichen Stämmen rettetest?«
»Ja.«
»Du durchzogst dann Kurdistan und hast dann auch für die Teufelsanbeter gekämpft?«
»Ich stand ihnen bei, weil sie recht hatten.«
»Aber gegen Anhänger des Propheten!« brauste er beinahe auf.
»Durch meinen Beistand wurde großes Blutvergießen verhindert,« verteidigte ich mich.
»Ich hörte von dir erzählen,« fuhr er gemäßigter fort, »auch davon, daß du ein Gewehr besitzest, mit welchem man unaufhörlich schießen kann, ohne zu laden. Hast du es noch?«
»Ja, hier ist es,« erklärte ich, indem ich auf den Stutzen deutete.
»Gieb es einmal her! Ich will es betrachten.«
»Ich gebe es nur dann aus der Hand, wenn ich weiß, daß ein Freund es sehen will. Bist du gewillt, uns als Gäste aufzunehmen?«
Dieses Gewehr mit seinen fünfundzwanzig Schüssen war mein bester Schutz, zugleich aber auch eine Gefahr für mich, da ein jeder es zu besitzen wünschte.
»Zeige es mir, dann werde ich antworten!«
»Antworte, dann werde ich es zeigen!«
»Du mißtraust mir?« fuhr er mich zornig an, indem er beide Hände klatschend zusammenschlug. »Erfahre, welche Folgen das hat!«
Das Klatschen war ein Zeichen, und sein lautes Sprechen sollte das, was jetzt geschah, für uns unhörbar machen; dennoch vernahm ich hinter uns ein Geräusch, als ob die Dornenwand bewegt werde. Ich drehte mich schnell um. Die Wand war fort, und es drängten sich zehn bis zwölf bewaffnete Kurden herein. Die vordersten standen schon hart bei uns. Ich wollte zurückspringen und den Stutzen anlegen; aber es war bereits zu spät, denn der Kurde, der uns eingelassen hatte und dem ich nun den Rücken zudrehte, ergriff den Lanzenschaft und schlug mich mit demselben in der Weise auf den Kopf, daß ich niedersank.
Was nun geschah, konnte ich weder sehen noch hören, denn der Hieb des riesenkräftigen Mannes hatte mich ohnmächtig gemacht. Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich nicht da, wo ich niedergeschlagen worden war, sondern ich lag, an Händen und Füßen gefesselt und nur noch mit Hemd und Hose bekleidet, im Freien. Neben mir lagen Halef und der Khawasse, ganz ebenso gebunden und ebenso entkleidet wie ich. Man hatte uns alles abgenommen.
Es war noch Tag, und so konnte ich meine Umgebung deutlich in Augenschein nehmen. Es war mitten im Walde ein großer viereckiger Platz gelichtet worden. Die gefällten Bäume hatte man, ohne ihnen die Kronen zu nehmen, an den Rändern dieser Lichtung so neben- und aufeinander gelegt, daß eine geradezu undurchdringliche Einfassung entstanden war, in welcher als Eingang eine nur so breite Lücke blieb, daß ein einzelner Reiter hindurch konnte. Diese Lücke wurde des Nachts und in Zeiten der Gefahr geschlossen. Später erfuhr ich, daß es noch einen zweiten Eingang gab, nämlich das Felsenthor, durch welches wir gekommen waren. Dieses hatte man mit dem erwähnten Dornenflechtwerke so ausgekleidet, daß es einem nur nach dem Walde zu offenen Raume, einer Art Stube glich, ein Umstand, durch welchen auch ich getäuscht worden war. Es war aber nach drei Seiten offen. Von der einen Seite waren wir, von der andern der Malk-hoe-gund und von der dritten diejenigen, welche uns überfielen, eingetreten.
Auf der Lichtung standen die aus Stämmen und Zweigen errichteten Hütten der Kurden. Das Innere derselben konnte durch verstellbare Flechtwände in beliebig viele Abteilungen geschieden werden. Die Herden, welche des Abends hereingetrieben wurden, befanden sich mit den zahlreichen bewaffneten Hirten jetzt draußen im Walde und auf offenen Weideplätzen. Im Innern der Einfriedigung gab es jetzt nur wenige, vielleicht dreißig Männer, von denen zehn um uns herumsaßen. Kinder und verschleierte Frauen trieben sich aber in viel größerer Anzahl entweder geschäftig herum, oder sie standen da, um uns neugierig und feindselig anzugaffen. Unsere Pferde waren nahe bei uns an Pfähle gebunden. Unter den erwähnten zehn befanden sich der Malkhoe-gund und der Kurde, welcher uns empfangen hatte. Dieser letztere schien seiner Kleidung und Bewaffnung nach, denn er hatte nur das Messer, der ärmste von ihnen zu sein. Als der erstere, den ich der Kürze wegen Scheik nennen will, sah, daß ich die Augen wieder offen hatte, redete er mich und zwar im feindseligsten Tone an:
»Du siehst, wie weit dein Mißtrauen dich gebracht hat. Ihr werdet sterben müssen.«
»Hätte ich dir Vertrauen geschenkt, so lägen wir jetzt auch hier,« antwortete ich ihm. »Ihr wolltet unser Eigentum haben, ganz besonders mein Pferd und mein Gewehr; da war es gleich, ob wir euch trauten oder nicht. Sterben aber werden wir auf keinen Fall.«
»Du irrst. Sobald es Abend ist und alle beisammen sind, wird die Hinrichtung vor sich gehen. Ihr seid ' verdammte Christen und Sunniten, die keine Gnade zu erwarten haben. Wer euch tötet, dem legt Allah tausend Ewigkeiten zu.«
»Und ich sage dir, daß keiner von euch es wagen wird, die Hand an uns zu legen.«
»Ich aber schwöre dir bei Allah, bei Hassan, bei Hussein und – –«
»Halt, schwöre nicht, denn du würdest falsch schwören,« unterbrach ich ihn. »Wenn du wirklich von mir gehört hast, so wirst du wohl wissen, daß ich mich, ohne zu unterliegen, in noch viel größeren Gefahren als jetzt befunden habe. Mich richtet man nicht so leicht hin. Was nützt dir die Beute, welche ihr uns abgenommen habt? Mein Pferd wird dir nicht gehorchen, und mein Gewehr verstehst du nicht zu handhaben. Deine Hand wird nicht einen einzigen Schuß herausbringen.«
Er hatte nämlich meinen Stutzen vor sich liegen. Darauf gründete ich meinen Rettungsplan. Ich wollte unsere Freiheit gern mir selbst verdanken; unsere Begegnung mit der Kurdin Fatima Marryah aber wollte ich nur als letzten Trumpf ausspielen. Halef, welcher mir zur Rechten lag, meinte nach meinen letzten Worten in seinem arabischen Mogrebindialekte, den die Kurden nicht verstanden:
»Sihdi, er hat schon, während du besinnungslos lagst, fort und fort probiert, mit dem Stutzen zu schießen; es ist ihm aber nicht gelungen. Sei klug, und thue so, als ob du es ihm zeigen willst. Dann rettest du uns!«
»Das eben ist mein Plan,« antwortete ich ihm in demselben Dialekte. »Ich werde ihm – –«
»Schweig!« fuhr mich der Scheik an. »Ihr habt nichts, was wir nicht verstehen, miteinander zu sprechen. Was dein Gewehr betrifft, so wirst du mir sagen müssen, wie die Handgriffe sind.«
»Und wenn ich es nicht sage?«
»So wirst du mit einem zehnfachen Tode bestraft werden. Ihr sollt erschossen werden; aber wenn du mir nicht mitteilst, was wir wissen wollen, so werden wir dich an einen Baum binden und von unten herauf langsam verbrennen.«
Den Kurden sind solche Grausamkeiten zuzutrauen. Ich that, als ob ich erschrocken sei und mich fürchte, weigerte mich aber dennoch scheinbar, sein Verlangen zu erfüllen, bis er seine Drohung verschärfte und ich mich nun ergeben zeigte, dabei aber bemerkte, daß ich mit gefesselten Händen nicht zeigen könne, wie das Gewehr anzufassen sei.
»Ich werde dir die Hände lösen,« antwortete er erfreut. »Ich binde den Riemen los.«
Er kam eiligst herbei und machte meine Hände frei. Dann reichte er mir das Gewehr. Jetzt hatte ich gewonnen. Jetzt konnten wir gehen, wann und wohin wir wollten; das wußte ich. Ich richtete mich auf, legte an und sagte:
»Paß auf, wie ich schieße! Sieh den längsten, untersten Eichenzweig am zweiten Baume da drüben. Es sind vier Galläpfel daran. Ich werde sie herabschießen. Paßt auf!«
Die Eiche stand siebzig Schritte entfernt. Die bei uns sitzenden Kurden sprangen auf und eilten hin. Die andern Männer eilten nach; die Frauen und Kinder folgten. Nur der Scheik blieb bei uns. Ich hätte vor Freude laut lachen mögen. In dieser Entfernung hatten die Galläpfel die scheinbare Größe von Pfefferkörnern. Es schien unmöglich, sie zu treffen. Ich drückte viermal ab. Ein Jubelgeschrei verkündete den Erfolg. Ich aber legte, ohne auf dasselbe zu achten, das Gewehr blitzschnell weg, ergriff den Scheik, zog ihn zu mir nieder, faßte ihn mit der Linken bei der Gurgel, riß ihm mit der Rechten das Messer aus dem Gürtel, schnitt den Riemen, welcher meine Füße verband, entzwei, dann auch den, welcher die Hände Hadschi Halefs zusammen hielt, und rief dem letzteren zu:
»Hier nimm das Messer und schneide dich und den Khawassen vollends los, dann binde die Pferde von den Bäumen!«
Er nahm das Messer. Ich hatte jetzt beide Hände zur Verfügung, richtete mich aus meiner sitzenden Stellung auf, riß den Scheik empor, ließ ihn los, hob den Stutzen auf, legte denselben auf ihn an und rief ihm zu:
»Die Hände an den Leib, und bewege dich nicht, sonst bekommst du hundert Kugeln aus dieser Teufelsflinte!«
Er gehorchte beinahe zitternd. Das war alles in der Zeit von nicht mehr als einer Minute geschehen. Die Kurden sahen es von fern. Sie kamen schreiend herbeigerannt; ich rief ihnen entgegen:
»Halt, bleibt stehen, sonst schieße ich euern Scheik sofort über den Haufen! Wer von euch eine Waffe auf uns richtet, dem gebe ich ein Blei in den Kopf!«
Auch sie gehorchten; sie blieben halten, so groß war ihre Angst vor meinem Stutzen. Und da brachten Hadschi Halef und der Khawaß auch schon die Pferde geführt.
»Siehst du nun, daß du falsch geschworen hättest?« fragte ich den Scheik. »Wir sind nicht die Leute, mit denen man machen kann, was man will. Du wirst sofort alles, was uns abgenommen worden ist, holen lassen und dann –«
»Chodeh ih Chodeh,« unterbrach mich eine weibliche Stimme hinter mir – – »Gott, o Gott, was soll hier geschehen?«
Ich drehte mich um und sah Fatima Marryah, welche soeben erst durch das Felsenthor gekommen war.
»Man nahm uns gefangen und beraubte uns, um uns dann zu ermorden,« antwortete ich ihr. »Wir aber haben uns frei gemacht und werden alle erschießen, falls man uns nicht ungehindert abziehen läßt.«
»Gefangen genommen – beraubt – töten, euch, meine Retter und Erlöser, denen ich mein Leben verdanke? Kein Haar soll euch gekrümmt werden; das versichere ich euch!«
Sie kam vollends herbei und sprach so eifrig und schnell auf den Scheik und seine Leute ein, daß ich ihren Worten nicht zu folgen vermochte, obgleich ich des Kurmangdschi leidlich mächtig war. Die Rede floß ihr förmlich aus dem Munde. Noch hatte sie nicht geendet, und noch sprach sie immer weiter, da kam der Kurde, der mich niedergeschlagen hatte, herbei und rief mir zu.
»Herr, du hast sie gerettet; ich heiße Yussuf Ali, und sie ist mein Weib. Erlaube mir, mich neben dich zu stellen und euer Beschützer zu sein. Bei Hassan und bei Hussein, ich hafte mit meinem Leben für euch und euer Eigentum.«
Da dies der heiligste Schwur eines Schiiten ist, so nickte ich ihm Gewährung zu, und er stellte sich neben mich. Als sein Weib geendet hatte, begann auch er für uns zu sprechen, und zwar in einer Weise, daß ich erkannte, er werde seinen Schwur auf alle Fälle halten. Ich glaubte, seine Rede werde den Erfolg haben, daß man zunächst zu einer Beratung zusammentreten werde, hatte mich aber getäuscht, und zwar glücklich getäuscht, denn als Yussuf Ali ausgesprochen hatte, wendete sich der Scheik zu mir und sagte:
»Herr, das wußte ich nicht; darum müßt ihr uns verzeihen. Ihr habt einer unserer Frauen das Leben gerettet; zwei von euch haben zwölf dieser verdammten Mir Mahmalli besiegt, wie könnten wir da eure Feinde sein! Nein, wir sind ihr, und ihr seid wir; wir sind Brüder; ich schwöre es bei Mohammed und bei Hassan und Hussein, die unter den Streichen der Sunniten verblutet sind. Kommt mit in mein Haus! Dort werdet ihr alles finden, was euch gehört.«
»Nein!« rief Yussuf Ali. »Sie haben mein Weib errettet; darum müssen sie meine Gäste und nicht die deinigen sein. Ich habe das erste und größte Recht auf sie!«
Erst sollten wir getötet werden, und nun stritten sich diese Leute um die Ehre, uns bei sich zu haben. Als man sich nicht einigen konnte, bat man mich, den Streit zu entscheiden, und ich entschied, daß Halef mit dem Khawassen bei dem Scheik, ich aber bei Yussuf Ali wohnen sollte, wodurch beide Parteien befriedigt wurden.
Unterdessen war die Dämmerung eingetreten und die Hirten brachten die Herden getrieben. Dieselben waren nicht bedeutend. Die Mir Yussufi sind bald hüben auf türkischem, bald drüben auf persischem Gebiete, und da die Perser Schiiten sind, so ist es erklärlich, daß einige Familien des Stammes schiitisch geworden waren und sich von dem Stamme getrennt hatten. Diese schiitische Abteilung war es, bei welcher wir uns befanden. Sie lebte vom Ertrage ihrer kleinen Herden, vom Einsammeln der Galläpfel, welche bekanntlich einen bedeutenden Ausfuhrartikel bilden, und vom – – Raube, was bei ihnen als Kurden sehr natürlich war, da der Kurde den Raub für ritterlich hält.
Als die Hirten erfuhren, was sich ereignet hatte, waren sie unseres Lobes voll und machten ihrem Grimm gegen die feindlichen Mahmalli in einem Geheule Luft, welches diese jedenfalls hörten, denn sie bewohnten eine genau ebensolche Einfriedigung jenseits des Flusses auf der Höhe des gegenüberliegenden Berges. Ich hatte dieselbe vorhin, als es noch hell war, liegen sehen und konnte jetzt deutlich die Feuer erkennen, welche drüben brannten.
Auch bei uns wurde vor jedem Hause ein Holzstoß angezündet, an welchem die Bewohner sich versammelten, um das Abendessen zu bereiten. Yussuf Alis Haus war das kleinste; ich konnte es eigentlich nur eine Hütte nennen, welche durch eine verschiebbare Flechtwand in zwei Teile geteilt wurde, deren einer das unvermeidliche Frauenzimmer, der Harem, war, welcher heute mir zur Verfügung gestellt wurde. Mein Wirt hatte nur die Ziege besessen, welche die Mir Mahmalli getötet hatten. Von ihrer Milch und dem Ertrage der Galläpfel lebte er. Außerdem erhielt er einen kleinen Extraanteil von jedem Raube, da er das Amt übernommen hatte, den Felseneingang zu bewachen.
Was sollte er mir, dem hochgeehrten Gaste, vorsetzen? Diese Frage setzte ihn nicht in Verlegenheit. Wenn ein armer Nomade, mag er nun Beduine, Kurde oder Kirgise sein, einen Gast bekommt und nichts für ihn zu essen hat, so geht er einfach zum ersten besten Nachbar oder noch besser zum reichsten Manne des Lagers und bekommt von diesem sofort, was er braucht. Yussuf Ali ging also zum Scheik und brachte Mehl, Reis und einen geschlachteten fetten Hammel, so daß also einer Hungersnot ganz gründlich vorgebeugt war.
Leider aber fehlte ihm eins, und zwar die Hauptsache – der Tabak. Dieser gehört nicht zu den Gegenständen, welche man für einen Gast umsonst verlangen kann. Er hatte eine alte Pfeife an einer Schnur am Halse hangen und zog sie bald hin und her, mich dabei verlegen betrachtend. Da schirrte ich meinen Hengst ab und holte aus der Satteltasche meinen Tschibuk und den Tabaksbeutel hervor, den ich Yussuf Ali präsentierte. Da begann sein Gesicht zu glänzen, und er rief aus:
»Welch ein Glück, Herr, daß du selbst einen Vorrat von dieser Quelle des Genusses besitzest. Ich grämte mich schon, daß ich dir nichts zu bieten vermochte. Nun aber hat sich mein Gram in Wonne verwandelt. Chodeh da-uleta ta mazen beket, jahrimen ahziz – Gott vermehre deinen Reichtum, mein teurer Freund!« –-