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Drei volle Wochen hatte ich mich in Engyrijeh, der Hauptstadt des gleichnamigen kleinasiatischen Vilajets, aufgehalten und stand nun im Begriff, mich von meinem Gastfreunde zu verabschieden. Dieser war der höchststehende Mann dieser Provinz, nämlich der durch seine eiserne Strenge bekannte und gefürchtete Wali Said Kaled Pascha, welcher von seinen Unterthanen den Beinamen Sert Jumruk, die ›harte Faust‹, erhalten hatte. Ich war während meines Aufenthaltes Zeuge mehrerer Gerichtssitzungen gewesen und hatte da allerdings den Beweis erhalten, daß er diesen Namen nicht mit Unrecht führte; aber mochte seine strenge Gerechtigkeit auch zuweilen nahe an Härte streifen, so war er eben gerade darum der richtige Mann für seinen schwierigen Posten.
Die Bevölkerung des Vilajet Engyrijeh (Angora) ist eine sehr gemischte. Sunniten und Schiiten, armenische und griechische Christen leben da in beständiger Feindschaft unter und gegen einander, und es kommt gar nicht selten vor, daß bei der Frage, welcher Glaube der richtige ist, zum Messer gegriffen wird. Wo so scharfe Gegensätze vorhanden sind, jeder Mann und jeder halbwüchsige Knabe eine Waffe trägt und selbst von den Anfängen einer Volksbildung keine Rede sein kann, da bedarf es freilich einer festen und oft harten Hand, die rücksichtslosen, gewaltthätigen Geister im Zaume zu halten. Die Vorgänger Said Kaled Paschas waren Schwächlinge gewesen, welche mit Zagen gekommen und mit Freuden wieder gegangen waren. Da hatte sich der Sultan Said Kaled Paschas, seines alten Lieblings, erinnert und ihn nach Kleinasien geschickt, um da Wandel zu schaffen. Der Alte war Ferik gewesen, also Divisionsgeneral, und infolge einer Verwundung in Ruhestand versetzt worden, doch folgte er dem Rufe des Padischah mit Freuden, und noch war er nicht lange im neuen Amte, so sah man bereits die Früchte seiner Thätigkeit. Der Stock begann zu regieren; Hunderte und aber Hunderte erhielten die Bastonnade; wer Blut vergoß, wurde ohne großes Federlesen gehenkt, und unter dem Stabe Wehe kehrten die zügellosen Geister zur Botmäßigkeit zurück, wenn auch nur äußerlich zunächst; der Religionshaß blieb ja derselbe, der er gewesen war. Der Pascha war gefürchtet, ja gehaßt, und ich habe während meines Aufenthaltes bei ihm nicht eine einzige Person gesehen, von welcher ich behaupten möchte, daß sie ihm aufrichtig zugethan gewesen sei.
.Gegen mich war er von geradezu ungewöhnlicher Freundlichkeit. Er bekümmerte sich täglich wiederholt und persönlich um mein Wohlbefinden, und seine Diener hatten die Anweisung, jeden meiner Wünsche sofort zu erfüllen. Ich durfte ihn nach Belieben in seinem Bureau aufsuchen und alles sehen und hören, was dort geschah. Des Abends saßen wir rauchend beisammen und unterhielten uns über alles, was ihn interessierte. Er war da gar nicht zurückhaltend, wie strenggläubige Muselmänner sonst gegen Christen zu sein pflegen, und zeigte mir ein Vertrauen, auf welches ich mir wohl hätte etwas einbilden können. Wie ich dazu kam, der Gast dieses Mannes zu sein und von ihm eine so freundliche Behandlung zu erfahren, das zu erzählen, mangelt mir der Raum; ich mußte es aber erwähnen, weil das Vertrauen, welches er mir noch beim Abschiede schenkte, sonst wohl befremdlich erscheinen würde.
Ich hatte meine wenigen Habseligkeiten dem Diener übergeben und ihm den Auftrag erteilt, mein Pferd zu satteln und sie dann hinten aufzuschnallen. Dann ging ich zum Pascha, um Dank zu sagen und Abschied zu nehmen. Er wußte, daß dies geschehen werde, und hatte sich darauf vorbereitet. Im Vorzimmer standen zwei baumlange und bis an die Zähne bewaffnete Arnauten, welche mich militärisch grüßten und in das Bureau wiesen. Die beiden Räume waren nicht durch eine Thüre, sondern nur durch einen dünnen Musselinvorhang voneinander getrennt, so daß man in dem einen hören konnte, was in dem andern gesprochen wurde, ein Umstand, welcher mir jetzt nicht mehr so gleichgültig wie seither erschien.
Der Wali stand am glaslosen Fenster und schaute durch das Holzgitter in den Hof, wo eben die Huftritte meines Pferdes zu hören waren. Er ließ mich keinen Augenblick warten, schnitt meine Dankesworte mit einer energischen Handbewegung ab und versicherte, daß es ihm sehr lieb gewesen wäre, wenn ich noch länger hätte bleiben können. Nach einigen weiteren freundlichen Bemerkungen trat er abermals an das Fenster, deutete in den Hof und sagte:
»Ich sehe dein Pferd, Effendi. Ich möchte es gern als Andenken an dich behalten. Willst du es mir verkaufen?«
Ich hätte es ihm, obgleich ich nicht wohlhabend war, als Geschenk angeboten, wenn dies nicht zu kühn gewesen wäre; darum antwortete ich:
»Du wünschest es. Bestimme selbst den Preis! Ich werde mir ein anderes kaufen.«
»Das hast du nicht nötig. Ich gebe dir einen Tenbih (schriftlichen Befehl) mit, auf welchen hin du mit deinen Begleitern Überall, wohin ihr kommt, gesattelte Pferde, Wohnung, Speise und alles, was ihr braucht, ohne Bezahlung bekommen werdet. Dieser Befehl gilt nicht nur für mein Vilajet, sondern auch für Adanah und Haleb. Dann bist du bei weidenden Araberstämmen, wo du für billigen Preis ein besseres Pferd haben kannst als hier.«
»Mit meinen Begleitern, sagst du? Ich reise allein.«
»Nein. Die beiden Arnauten, welche du draußen gesehen hast, haben den Befehl, dich bis an die Grenze meiner Provinz zu bringen und in jeder Beziehung für dich zu sorgen; ihre Pferde sind bereits gesattelt, und es steht auch eines für dich dabei. In Jachschah Khan, Baltschyk oder Denek Maden könnt ihr dann frische Tiere nehmen, ganz wie es dir gefällig ist. Ich danke für die Erlaubnis, den Preis selbst zu bestimmen. Ich sah das voraus und habe ihn in diesen Beutel gethan. Stecke ihn ein.«
Er gab mir einen kleinen, seidenen Beutel in die Hand und reichte mir dann auch das Dokument, von welchem er gesprochen hatte. Als ich beides unter Dank in die Tasche schob, fuhr er fort:
»Und nun möchte ich dich um eine Gefälligkeit bitten, welche du mir wohl erweisen wirst, obgleich ich dich dadurch zu einem Umwege zwinge. Du willst zunächst nach Kaisarijeh und müßtest also über Sofular und Mudschur reiten; aber ich habe in Urumdschili einen alten Freund, dem ich durch dich eine Botschaft senden möchte. Willst du sie übernehmen?«
»Sehr gern!«
»So will ich dir sagen, um was es sich handelt, damit du weißt, daß du ihm willkommen bist, obgleich er sehr einsam lebt und ganz besonders ein Feind der Christen ist. Er war Mir Alai (Oberst) im Heere des Großsultans, focht unter der Fahne des Propheten mit großer Tapferkeit und wurde in Ehren verabschiedet, hat aber niemals seine Pension erhalten. Er hat um dieselbe gebeten und sie, als man seine Bitte nicht hörte, wiederholt mit Nachdruck gefordert, doch vergebens, denn er hatte es mit Haushaltern des Sultans zu thun, welche nicht ehrlich waren. Die Pension wurde fünfzehn Jahre lang in Stambul ausgezahlt, ist aber nicht in seine Hände gekommen. Als ich Wali von Engyrijeh wurde, wendete er sich an mich, und ich habe den Fall genau untersucht und dem Großherrn direkte Anzeige gemacht. Gestern Abend kam der Bescheid. Ich soll dem Mir Alai die fünfzehnjährige Pension nebst Zinsen und Zinseszinsen sofort auszahlen. Wäre dieser Befehl vorgestern hier eingetroffen, so hätte ich das Geld seinem Sohne mitgeben können, welcher bei mir war; nun aber möchte ich die Gelegenheit benutzen, welche mir dein Ritt nach Kaisarijeh bietet, und ich frage dich, ob du mir den Gefallen thun willst, meinem Freunde und Kriegskameraden seine Pension zu bringen?«
»Gern, wenn du sie mir anvertrauen willst.«
»Sie ist in deinen Händen sicherer als in der Tasche einer bewaffneten Estafette. Der Mir Alai heißt Osman Bei und wohnt nicht in der Stadt Urumdschili selbst, sondern in der Nähe derselben. Bekannter ist er unter dem Namen Abdal (der Einsiedler), und wenn du dich nach seiner Wohnung erkundigst, mußt du dich dieses Namens bedienen. Kannst du ihm verschweigen, daß du ein Christ bist, so thue es, denn er haßt die Anhänger deines Glaubens grimmig und hat auch Veranlassung, dies zu thun; das Kreuz hat ihm das größte Unglück gebracht, welches ein Mann und Vater erleben kann, und ich schicke dich zu ihm nicht nur des Geldes wegen, sondern auch weil ich dich kennen gelernt habe und nun glaube, daß es dir vielleicht gelingen wird, sein Leid zu mildern, da dir eine Sprache gegeben ist, welche, wenn du willst, tief zu Herzen geht.«
»So darf ich vielleicht fragen, welcher Art das Leid ist, von welchem du sprichst?«
»Wenn er will, daß du es wissen sollst, so wird er selbst es dir mitteilen; ich erlaube mir nicht, diese Wunde meines Freundes auch nur aus der Ferne zu berühren. Freilich, wenn er hört, daß du ein Christ bist, so wirst du nichts erfahren; darum suche es zu verschweigen. Ich erteile dir diesen Rat auch darum, weil gerade jetzt die Zeit ist, in welcher sich die Mekkapilger dieser Gegend versammeln, um nach Damaskus zu ziehen. Das ist eine Zeit religiöser Erregung und Unduldsamkeit, und da du solchen Leuten an allen Orten und auf allen Wegen begegnen wirst, so wirst du klug thun, sie nicht wissen zu lassen, daß du andern Glaubens bist.«
Es war gewiß seltsam, daß dieser hohe Beamte mich vor den strenggläubigen Moslemim, zu denen er doch selbst gehörte, warnte, und doch den Betrag der Pension, welcher jedenfalls kein geringer war, mir lieber anvertraute, als einem islamitischen Kurier. Das Zusammentreffen mit Pilgern machte mir keine Sorge; viel eher war es mir bedenklich, daß die beiden im Vorzimmer stehenden Arnauten jedes Wort unserer Unterhaltung gehört hatten und also auch wußten, daß ich eine bedeutende Summe Geldes zu überbringen hatte. Sie waren Soldaten, der eine ein On Baschi (Korporal) und der andere ein Tschausch (Sergeant) und hätten nach europäischen Begriffen also wohl Vertrauen verdient; aber der Arnaut ist ein geborener Räuber und stets, selbst wenn er bei der Fahne steht, zu Gewaltthätigkeiten geneigt. Außerdem ist gerade der nichtchristliche Arnaut der muselmännischeste der Muselmänner, und so war es mir doch nicht recht wohl bei dem Gedanken, gerade jetzt zur Zeit der Pilgerversammlungen und wo ich im Besitze vielen Geldes sein sollte, diese beiden finster blickenden Kerls für mehrere Tage und Nächte als Begleiter bei mir haben zu sollen. Ich teilte dies dem Mudir, natürlich in leisem Tone, mit, und er antwortete:
»Du brauchst keine Sorge zu haben; ich werde sie verpflichten, und ihr Eid ist ihnen so heilig, daß sie ihn auf keinen Fall brechen werden.«
Trotz dieser Versicherung hatten meine Worte zur Folge, daß er von jetzt an nicht mehr so laut sprach; auch zählte er mir das Geld so vorsichtig vor, daß man es draußen nicht hören konnte. Es befand sich in einem festen Ledergurt, den ich unter der Weste um den Leib binden sollte. Ich mußte das gleich in seiner Gegenwart thun. Dann rief er die Arnauten herein, um mich ihnen zu übergeben. Sie mußten ihm bei dem Propheten zuschwören, so lange ich ihnen anvertraut sei, für meine Sicherheit ebenso wie für die ihrige besorgt zu sein. Dies beseitigte mein Bedenken; wenn ich ihnen alles zutraute, den Bruch eines solchen Gelöbnisses aber nicht.
Hierauf begleitete der Wali mich bis in den Hof und blieb da stehen, bis ich zum Thore hinausritt, eine Ehrenerweisung, welcher gewiß nur selten jemand teilhaftig geworden war.
»Allah begleite dich und nehme dich in seinen Schutz!« rief er mir nach, obgleich ich in seinen Augen ein Ungläubiger war. Er ahnte ebenso wenig wie ich, wie notwendig mir dieser Schutz in kurzem werden sollte.
Zunächst erfuhr ich gleich draußen vor der Stadt, was für strenge Mohammedaner meine beiden Arnauten waren. Kaum hatten sie das letzte Haus hinter sich, so stiegen sie ab, und der Tschausch sagte mir:
»Effendi, erlaube uns, das Reisegebet zu sprechen! jeder wahre Gläubige tritt eine solche Reise nur zur Zeit des Nachmittagsgebetes an; wir aber sind schon am Vormittage aufgebrochen. Da du ein Christ bist, so weißt du nicht, daß wir damit den Zorn Allahs auf uns geladen haben; nun müssen wir ihn durch unser Gebet besänftigen.«
Sie schnallten ihre Schabracken los, um dieselben als Gebetsteppiche zu gebrauchen, eine Benutzung, die ich noch nie beobachtet hatte, knieten darauf nieder und verrichteten, gegen Mekka gewendet, unter halblautem Gemurmel und zahlreichen Verneigungen die Andacht, welche sie mir als so dringlich dargestellt hatten. War dies wirklich Herzenssache, oder wollten sie mir gleich im Beginn der Reise zeigen, daß sie mich zwar als ihren Schutzbefohlenen, aber doch als Giaur betrachteten? Als Soldaten waren sie der Disziplin unterworfen und also wohl nicht gewöhnt, stets nur zur Zeit des Nachmittagsgebetes aufzubrechen. Die militärische Notwendigkeit erfordert oft eine Umgehung der äußeren religiösen Gebräuche.
Ich ließ sie gewähren, ohne ein Wort zu sagen, und benutzte als echter Ungläubiger die mir dadurch gewordene Muße zum Betrachten des Tenbih, welchen ich von dem Wali erhalten hatte. Infolge dieses Schriftstückes konnte ich allerorten alles verlangen, was ein großherrlicher Kurier zu fordern hatte; das war mir natürlich außerordentlich angenehm. Die Neugierde trieb mich, auch den kleinen Beutel zu öffnen, in welchem sich die Bezahlung für mein Pferd befand. Es war ein ganz gewöhnlicher Gaul gewesen, und die Summe betrug wenigstens das Achtfache seines Wertes. Der Wali konnte das Pferd für sich nicht gebrauchen, und es war klar, daß er es gekauft hatte, um mir in dieser Form ein Geschenk machen zu können. Es fiel mir nicht ein, zornig darüber zu sein.
Als das Gebet nach zehn Minuten beendet war, ritten wir weiter. Die Arnauten verhielten sich im höchsten Grade schweigsam gegen mich. Sie sprachen nur dann mit mir, wenn ich sie fragte, und antworteten da so kurz, daß ich einsah, es liege ihnen nichts daran, mich als leutseligen Effendi kennen zu lernen. Wenn sie sich miteinander unterhielten, sprachen sie nicht türkisch oder vielleicht arabisch, sondern sie bedienten sich ihres Mireditendialektes, von welchem mir kaum dreißig Worte geläufig waren. Sie ritten, je nachdem, vor oder hinter mir her, ohne sich um mich zu kümmern; ich schien für sie Luft zu sein, und als ich zur Mittagszeit in einem Dorfe halten ließ, um mir von dem Muchtar (Dorfschulzen) ein Essen liefern zu lassen, wollten sie, als dasselbe gebracht wurde, sich sofort darüber hermachen, als ob ich gar nicht vorhanden sei oder mit den Überresten fürlieb zu nehmen habe. Der Tschausch nahm, ohne sich um mich zu bekümmern, dem Muchtar die Schüssel ab, setzte sich mit derselben neben seinen Kameraden auf die Erde nieder und spreizte schon die Finger aus, um zuzulangen; da nahm ich, auch ohne ein Wort zu sagen, ihnen die Schüssel weg, ging mit derselben zur Seite, setzte mich nieder, nahm sie zwischen die Beine, zog meinen Löffel aus dem Gürtel und begann zu essen.
»Effendi, das Essen gehört auch uns!« rief der Tschausch zornig.
»Wartet!« antwortete ich kurz, indem ich weiterlöffelte.
»Wir sind gläubige Moslemim und dürfen nicht genießen, was ein Christ übrig läßt!«
»Und ich bin ein gläubiger Christ, der euch die Ehre erweisen würde, euch mit ihm essen zu lassen, wenn ihr Offiziere wäret. Said Kaled Pascha, mein Freund, hat euch zu mir befohlen, nicht aber mich zu euch. Merkt euch das!«
Sie schwiegen und gingen in das Haus, um sich anderes Essen geben zu lassen, verhielten sich aber von nun an noch abweisender gegen mich als vorher. In Jachscha Khan, wo wir über Nacht blieben, sah ich sie von dem Augenblicke, an welchem wir von den Pferden stiegen, nicht eher wieder, als bis ich am andern Morgen aufstieg, um fortzureiten. Zum Schutze brauchte ich sie nicht; ich konnte mich selbst beschützen, und da sie mir im übrigen nur hinderlich, nicht förderlich sein konnten, so wäre es mir lieber gewesen, wenn ich sie gar nicht mitgenommen hätte, zumal ich im Laufe dieses zweiten Tages die Bemerkung machte, daß sie überall, wo wir anhielten, mich sofort und geflissentlich als Christ bezeichneten. Das konnte jetzt, zur Pilgerzeit, unangenehme Folgen für mich haben.
Wir hatten in Jachscha Khan frische Pferde bekommen; für morgen brauchte ich wieder welche, zumal der heutige Ritt ein sehr anstrengender war, da wir erst am späten Abende über Baltschyk in Paschaköi ankamen. Es gab da einen Han (Herberge), vor welchem wir abstiegen. Da es meinen beiden Beschützern nicht einfiel, für mich zu sorgen, so rief ich selbst den Wirt herbei, um ihm meine Wünsche mitzuteilen. Als er das Dokument des Wali sah, kraulte er sich verlegen hinter den Ohren und sagte:
»Essen könnt ihr haben, ob aber auch Pferde, das bezweifle ich. Es ist schon ein Effendi da, welcher auch einen Tenbih des Wali besitzt; er hat auch schon Pferde bestellt.«
»Wie viele?«
»Zwei.«
»Ich brauche drei. Die werden jedenfalls zu bekommen sein.«
»Ich will's versuchen; aber er wird jedenfalls die beiden besten nehmen, weil er eher gekommen ist als du. Er weiß Pferde zu beurteilen, denn ich habe aus seinem Tenbih ersehen, daß er Kysrakdar (Gestütemeister) von Malatijeh ist.«
Ich ging in das Gebäude, um mich mit diesem Effendi zu verständigen, und fand einen jungen Türken ernsten Aussehens, welcher zufälligerweise auch nach Kaisarijeh wollte und bereit war, den Weg mit mir gemeinschaftlich zu machen. Das war alles, was wir sprachen, denn er zeigte sich außerordentlich einsilbig und zurückhaltend, und ich war so müde, daß ich nur einige Bissen aß und mich dann gleich niederlegte.
Am andern Morgen waren meine Arnauten nicht zu sehen. Der Wirt sagte mir, daß sie die beiden besten Pferde genommen hätten und fortgeritten seien. Ich nahm an, daß sie es unter ihrer mohammedanischen Würde gefunden hätten, mich weiter zu begleiten, hörte aber zu meinem Befremden, daß sie nicht die Richtung zurück nach Engyrijeh eingeschlagen hatten, sondern unserm bisherigen Wege weitergefolgt waren. Das mußte mir auffallen; sie wußten, daß ich Geld bei mir hatte, und ich nahm mir vor, vorsichtig zu sein.
Mein Ziel für heute war Boghaslajan, und der Kysrakdar zeigte sich damit einverstanden. Wir hatten zwar drei Pferde, die aber nichts taugten; ich brauchte nur eins, er zwei, da er Gepäck bei sich führte. Lieb war es mir, daß er den Weg genau kannte, aber weiter bot mir seine Gesellschaft auch nichts, da er wenigstens ebenso wortkarg wie gestern abend war. Ich bemerkte, daß er mich heimlich mit prüfendem Blicke musterte und daß sein Gesicht dabei keineswegs einen feindseligen Ausdruck hatte. Er schien sich gern näher mit mir einlassen zu wollen und doch einen besonderen Grund zu haben, dies nicht zu thun.
Heute zeigte es sich mehr als an den beiden folgenden Tagen, daß wir uns der Pilgerzeit näherten. Wir kamen an einzelnen Gruppen und ganzen Zügen von frommen Mohammedanern vorüber, welche nach dem Versammlungsplatze dieser Provinz wanderten. Ich grüßte überall, gab aber die uns gewordenen Zurufe nicht zurück. Es wunderte mich, daß mein Begleiter sich ebenso verhielt. Ich hörte ihn nicht ein einzigesmal das gebräuchliche ›Allah hu‹ rufen. Die Leute fanden dieses unser Verhalten irreligiös und hätten wohl mit uns angebunden, wenn wir nicht immer schnell an ihnen vorüber gewesen wären. Einmal aber, es war um die Mittagszeit, fiel mir das Verhalten eines Mannes auf, welcher auch zu einer kleinen Pilgerschaft gehörte, an welcher wir vorüberkamen. Als dieser meinen Begleiter erblickte, spuckte er wiederholt aus und rief mit lauter Stimme:
»Es Sabbi, es Sabbi! Seht ihr ihn? Spuckt aus vor ihm; speit ihn an! Reißt ihn vom Pferde, den Abtrünnigen, der von Allah und dem Propheten gewichen ist. Verflucht sei seine Seele!«
Die Begleiter dieses Mannes stimmten in sein Geschrei ein und wollten seiner Aufforderung Folge leisten; der Kysrakdar aber trieb seine Pferde zum Galoppe an, und ich folgte ihm ebenso schnell, noch immer das Geheul ›verflucht sei seine Seele, verflucht sei seine Seele!‹ hinter mir hörend. Als wir außer Sicht- und Hörweite gekommen waren, ließ er seine Pferde langsamer gehen und sagte in verlegenem Tone:
»Wir müssen uns trennen, Effendi, denn meine Gegenwart kann dir, wie du siehst, leicht gefährlich werden.«
»Inwiefern? Warum beleidigt man dich?«
»Weil man glaubt, ein Recht dazu zu haben. Ich war Moslem, bin aber jetzt ein Christ, ein katholischer Christ, was hier ja schlimmer ist als ein griechischer oder armenischer. So, jetzt weißt du es; nun spucke auch vor mir aus!«
»Das werde ich bleiben lassen. Ich müßte mich ja selbst anspucken, denn ich bin auch ein Christ.«
Da richtete er sich schnell im Sattel auf, sah mich mit frohen Augen an und rief:
»Du ein Christ? Und ich hielt dich für einen sehr strengen Bekenner des Propheten, weil du mir gestern abend sagtest, daß du den Abdal Osman Bei besuchen wolltest. Dieser Mann spricht mit keinem Christen.«
»Was ich ihm zu sagen habe, ist solcher Art, daß er mit mir reden wird.«
»Dann muß es sehr Gutes sein, was du ihm mitzuteilen hast. Du gefielst mir sogleich, als ich dich gestern abend sah. Hätte ich gewußt, daß du auch Christ bist, so wäre ich anders gegen dich gewesen. Verzeihe mir, Effendi!«
Er reichte mir die Hand herüber; ich drückte ihm dieselbe und antwortete:
»Du hast auch mir gefallen, und ich werde bei dir bleiben, wenn du es erlaubst. Laß diese Menschen schimpfen! Sie können uns doch nur mit ihren Worten erreichen, welche ungefährlich sind. Da du den Abdal Osman Bei erwähnst -kennst du ihn vielleicht?«
Er sah vor sich nieder und rief dann aus:
»Ob ich ihn kenne! Er ist ja der Erzeuger meines Lebens, mein Vater; und ich bin sein Sohn, sein einziges Kind.«
»Wie! So bist du der, welcher beim Wali gewesen ist?«
»Ja. Der Wali ist ein Freund meines Vaters und hat auch mich lieb, obgleich er mir ob meines Abfalles zürnt. O, Effendi, wie glücklich bin ich durch die heilige Religion geworden und doch auch wie unglücklich durch das Herzeleid, in welches ich meinen Vater und meine Mutter versetzen mußte! Du kannst es gar nicht erfassen!«
»Ich begreife es. Dein Vater ist der strengste, der eifrigste Bekenner des Islam, und du, sein einziges Kind, hast den Kuran verworfen, Ich kenne beides, die Bibel und den Kuran, das helle, lebenspendende Licht des Christentums und den glühenden, versengenden Brand der Lehren Mohammeds; ich kenne auch das Menschenherz, und verstehe, daß dein Vater dich von sich gestoßen hat.«
»Er hat mich nicht nur verstoßen, sondern – – verflucht. Du hast es ja gehört, daß ich es Sabbi, der Verfluchte, genannt werde!«
Er war ein starker Mann, ein Charakter, und doch standen ihm Thränen in den Augen, als er fortfuhr:
»Und nichts, nichts kann ihn versöhnen als meine Rückkehr zu den Irrlehren des Islam; diese aber ist mir unmöglich!«
»Ja, bleib' getreu! Der himmlische Vater steht unendlich höher als der leibliche; die göttliche Liebe wird dir die irdische ersetzen, welche du verloren hast.«
»Ich habe sie verloren und doch auch gewonnen. Die Liebe des Vaters hat sich in Haß und Fluch verwandelt; dafür errang ich eine andere Liebe, und diese war es, welche mich zum rechten Glauben leitete. Darf ich dir sagen, wie das gekommen ist?«
»Sei überzeugt, daß ich mich aufs höchste dafür interessiere!«
»So erfahre, daß ich, so wie mein Vater, Offizier war. Der Name meines Vaters und die Freundschaft Said Kaled Paschas standen mir zur Seite, so daß mein Avancement ein schnelles war. Ich zählte vierundzwanzig Jahre, als ich Kol agassy (Kapitän) der Engyrijeh-Dragoner in Kaisarijeh wurde. Der Dienst führte mich in das Haus des französischen Konsuls, eines Katholiken; ich sah dessen Tochter, liebte sie, kam wieder, fand Gegenliebe und wurde durch dieselbe zur Wahrheit des christlichen Glaubens geführt. Erlaß es mir, ausführlich zu sein! Es war eine schwere Zeit, eine Zeit des Zweifels und der Kämpfe, des Glückes und des schwersten Herzeleides. Die Liebe war meine Führerin gewesen, und die Überzeugung wurde meine Stütze, an welcher ich mich fest und aufrecht hielt. Ich entsagte dem bisherigen Glauben nicht aus Zuneigung zu der Geliebten, sondern in der vollen Überzeugung, daß nicht Mohammeds, sondern Christi Weg zu Allah und zum Himmel führt. Der Vater verstieß und verfluchte mich; ich mußte den Abschied nehmen; aber die Braut blieb mir treu, und der Konsul verhieß mir die Hand seiner Tochter, sobald ich Ersatz für die verlorene Stellung gefunden haben würde. Ich bemühte mich viele, viele Monate lang, doch überall wurde der Abtrünnige, es Sabbi, der Verfluchte, abgewiesen. Da wendete ich mich endlich an Said Kaled Pascha, meinen früheren Gönner, welcher mittlerweile Wali von Engyrijeh geworden war. Er zürnte mir; er sah sich nicht imstande, mir meinen Abfall zu verzeihen, aber er liebte mich noch und beschied mich zu sich. Jetzt komme ich von ihm und habe die Bestallung als Kysrakdar von Malatijeh in der Tasche. Dieses berühmte, großherrliche Gestüt liegt nicht zu fern von hier und doch in einer andern Provinz; ich habe also die bisherigen Anfeindungen nicht zu fürchten und bin trotzdem in der Nähe des Vaters, um jede Gelegenheit, mich mit ihm zu versöhnen, ergreifen zu können. Gott segne den Wali; er ist ein strenger Mann, aber ein treuer und wahrer Freund!«
»Ja, das ist er. Hat er mich doch beauftragt, mit deinem Vater von dir zu reden und ihn, wenn möglich, zur Versöhnung zu stimmen.«
»Hat er das? Wirklich?«
»Ja. Er sprach allerdings nicht deutlich, da er seine Hand nicht in fremde Wunden führen wollte, jetzt aber weiß ich, was er gemeint hat, und wenn du es erlaubst, werde ich mich dieses meines Auftrages gern entledigen.«
»Thu' es lieber nicht, Effendi! Der Versuch wird mißlingen und könnte alles verschlimmern. Ja, wärest du kein Christ! Als Bote des Wali wird mein Vater dich wohl bei sich empfangen, obwohl er sonst keinen Fremden zu sich läßt; aber sobald er erfährt, daß du ein Christ bist, jagt er dich mit Hunden fort.«
»Das befürchte ich nicht, denn ich bringe ihm eine frohe Botschaft, welche er seit fünfzehn Jahren vergeblich erwartet hat.«
»Seit fünfzehn Jahren? So betrifft es wohl seine Pension?«
»Ja. Sie ist ihm gewährt worden, und ich habe den ganzen Betrag nebst Zins und Zinseszins bei mir, um ihm denselben auszuhändigen.«
»Welch ein Glück, welch ein großes Glück! Mein Vater ist ein Einsiedler und Menschenfeind geworden nicht nur aus Zorn darüber, daß man ihm die Zahlung verweigerte, sondern weil er so arm ist, daß er ohne die Pension kaum zu leben vermag. Ich teilte mit ihm meine Gage, die mir dann verloren ging. Ja, jetzt glaube auch ich, daß du ihm willkommen bist und daß du es wagen darfst, meiner bei ihm zu erwähnen. Gott gebe, daß es Erfolg hat!«
»Da kommt mir ein Gedanke. Wäre es nicht vielleicht besser, wenn du selbst ihm das Geld brächtest?«
»Nein, nein! Er würde es nicht annehmen. Du mußt es bringen, du, nicht ich. Eins aber kann ich thun, nämlich mich in der Nähe halten, damit du mich, falls du mit deinen Bemühungen glücklich bist, sogleich rufen oder holen kannst.«
»Giebt es einen dazu passenden Ort?«
»Ja; ich werde ihn dir vorher zeigen. Wie gut, wie herrlich, daß wir uns getroffen haben, Effendi! Vielleicht kann ich meiner Braut nicht nur eine Anstellung, sondern auch die Kunde von der Versöhnung mit meinem Vater bringen. Sag', ob ich dir etwas zuliebe zu thun vermag, Effendi! Meine Freundschaft wird dir gehören, so lange ich lebe!«
»Ich biete dir die meinige dafür, obgleich wir uns, wenn wir einmal geschieden sind, wohl schwerlich jemals wiedersehen werden. Meine Heimat liegt zu fern von hier!«
»Wo?«
»In Alemannia, wohin du höchst wahrscheinlich niemals kommen wirst; dennoch wird das Andenken, welches ich dir bewahre, stets ein herzliches sein.«
Es läßt sich denken, daß wir nun in anderer Weise als bisher miteinander verkehrten. Er entwickelte eine Lebhaftigkeit, welche für einen Türken wirklich selten war, und erzählte mir in kurzer Zeit seinen ganzen Lebenslauf. Leider erlitt unsere Unterhaltung zuweilen recht gehässige Unterbrechungen. Je mehr wir uns Boghaslajan näherten, desto mehr Leute gab es, die ihn kannten, und da wir nur Mohammedanern begegneten, welche die Pilgerreise angetreten hatten, also fanatischen Mohammedanern, so hatte er, so oft man ihn erkannte, die niederträchtigsten Schimpfreden anzuhören, und wir bogen oft feldein, um auf einem Umwege derartigen Beleidigungen zu entgehen. In Boghaslajan weigerte sich der Wirt sogar, ihn zu behalten, und es bedurfte der wiederholten Hindeutung auf die Tenbihs des Wali, ehe er sich aus Angst vor der Strafe bereit finden ließ, uns Quartier und Essen zu geben und am nächsten Morgen für drei frische Pferde zu sorgen. Es stieg dabei die Ahnung in mir auf, daß es vielleicht noch schlimmer kommen könne. –