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»Du bist verrückt, Effendi, zehnmal verrückt, hundertmal verrückt, also ganz und gar verrückt, und niemand kann dich heilen, wenn du bei deinem Vorsatze bleibst. Willst du mein Weib zur Witwe und meine Kinder zu Waisen machen? Sollen auch deine Weiber und Kinder in den Fluten der Thränen ersticken und in den Wassern der Trübsal ersaufen? Wenn du darauf bestehst, diesem Flusse des Unglücks noch weiter zu folgen, so werden wir in kurzer Zeit in den Mägen der Geier, Schakale und Hyänen begraben sein!«
»Ich habe weder Frauen noch Kinder,« antwortete ich dem Sprecher. »Um mich würde also niemand trauern.«
»Allahi, Wallahi, Tallahi! Wenn dich niemand beweint, so ist das doch noch kein Grund, meine abgeschiedene Seele beweinen zu lassen! Du weißt, ich bin ein kühner Mann; aber zu diesen Kurden zu gehen, das heißt geradezu, sich in den Rachen des sichern Todes stürzen!«
»So bleib zurück, Feigling!« rief mein kleiner, lieber Hadschi Halef Omar in zornigem Tone. »Du bist ein Sohn der Angst und ein Enkel der Verzagtheit. Du nennst dich kühn, aber dein Herz wackelt dir vor Furcht im Leibe, wenn wir Miene machen, einen Schritt vom breiten Wege abzuweichen. Du bist uns mitgegeben, uns zu schützen, und klapperst vor Entsetzen, wenn du eine fremde Flinte erblickst. Schäme dich! Komm, Sihdi; wir wollen weiter reiten und diesen Großvater der Furchtsamkeit hier stehen lassen!«
Ich war mit Halef in Kerkuk Gast des Mutessarifs gewesen, welcher uns sehr freundlich behandelte und bei unserer Abreise einen Khawassen aufnötigte. Ich hatte zwar keine Lust, mich mit einem solchen mir ganz unnützen ›Beschützer‹ zu befassen, denn ich reise nicht so wie andere und wußte voraus, daß ich die Aufgabe haben würde, der Beschützer unsers Beschützers zu sein; aber der Mutessarif erklärte, daß ich ohne einen Khawassen bei den Kurden verloren sei, und drängte mich so lange, bis ich ja sagte, nur um nicht undankbar zu erscheinen.
Was ich vorausgesehen hatte, trat ein: Kasem, so hieß der Khawaß, entpuppte sich als ein furchtsamer Mensch, der dazu des Kurdischen nicht einmal genügend mächtig war. Wären mir nicht die Saza- und Kurmangdschi-Dialekte geläufig gewesen, so hätten wir auf unsern weitern Ritt verzichten müssen. Glücklicherweise besaß er eine Eigenschaft, welche mich mit dem erwähnten Fehler aussöhnte: er hatte ein gutes Herz und nahm die Vorwürfe, mit denen ihn mein Hadschi, welcher die Feigheit haßte, zuweilen überschüttete, so ruhig lächelnd hin, als ob sie gar nicht an ihn gerichtet seien.
Wir waren von Kerkuk aus nach Suleimaniah gegangen, von da nach Rewandis geritten und wollten nun hinüber auf persisches Gebiet, um den Urmiahsee zu erreichen. Unser Khawaß schlug uns vor, zu diesem Zwecke dem Sawi, welcher der Hauptarm des obern Zab ist, entlang zu reiten; da dies aber ein Umweg war, bestand ich darauf, dem kleineren Sidaka-Flüßchen zu folgen, welches uns viel schneller über die Grenze führte. Er aber weigerte sich, weil er die Khosnaf-Kurden fürchtete, welche damals ihr Sommerlager an den Ufern des Sidaka aufgeschlagen hatten. Diese Kurden sind freilich als sehr fanatisch und räuberisch verschrieen, da aber alle nomadisierenden Kurden dies mehr oder weniger sind, so hielt ich meinen Vorsatz aufrecht und bekam deshalb von ihm die am Eingang verzeichnete Rede zu hören. Hadschi Halef stimmte mir, wie bereits erwähnt, bei, warf ihm seine Feigheit vor und lenkte sein Pferd nach rechts, in welcher Richtung der Sidaka floß. Ich that dasselbe, und so mußte der Khawaß uns wohl oder übel folgen, that dies aber nicht, ohne die Einwendung hören zu lassen:
»Ihr rennt ins Verderben, wenn ihr meiner Stimme nicht gehorcht. Ich kenne diese Khosnaf-Räuber. Sie leben sogar unter sich selbst in ewiger Blutrache. Sie zerfallen in die beiden Abteilungen Mir Mahmalli und Mir Yussufi, von denen die ersteren links, die letzteren rechts vom Flusse weiden. Diese beiden Stämme leben in beständiger Fehde miteinander; sobald es sich aber darum handelt, an einem Fremden einen Raubmord zu begehen, halten sie zusammen. Kehrt um, kehrt um, denn ihnen gegenüber wird alle meine Macht zu schanden!«
»Sprich nicht von deiner Macht!« antwortete Halef. »Die Gewalt deines Mutessarif erstreckt sich nicht auf die wilden Kurden; sie fürchten selbst den Padischah nicht; welche Macht willst also du besitzen? Dir leistet man ja nicht einmal in Kerkuk Gehorsam. Dein Wille ist gleich demjenigen einer Mücke, welche ich mit meinem Odem weit von mir blase.«
Ich duldete den Khawassen als unnötiges Anhängsel und schwieg, wenn Halef sich mit ihm stritt. Darum war ich auch jetzt still. Der arme Teufel konnte ja nicht anders sein, als er eben war.
Wir hatten Rewandis am frühen Morgen verlassen, und jetzt war es schon Nachmittag. Indem wir dem Flüßchen aufwärts folgten, ritten wir nicht etwa auf einem gebahnten Wege. Es gab keinen solchen; unsere Pferde gingen vielmehr im klaren Geröll, welches die Frühjahrsüberschwemmung an den beiden Ufern zurückgelassen hatte. An dieses Geröll stieß sofort der dichte Eichenwald, welcher hüben und drüben schroff in die Höhe stieg. Der Ritt war anstrengend für die Tiere, doch erweiterte sich später das Thal des Flusses; seine Sohle trug saftiges Wiesengras, auf welchem die Pferde weicher gingen. Zuweilen legte sich ein Gebüsch, durch welches wir uns drängen mußten, vom Walde her bis an das Wasser hin.
Ich ritt mit Halef voran. Der Khawaß folgte eine Strecke hinterher. Er machte ein sehr besorgtes Gesicht. Da ich aber im Grase keine Spur von Menschen oder Weidevieh bemerkte, hielt ich eine Begegnung mit Kurden jetzt noch für ausgeschlossen. Ich irrte mich, denn ich zog den Umstand nicht in Betracht, daß die beiden Stämme, welche hier getrennt zu beiden Seiten des Flusses lebten, in Fehde miteinander standen. Feindliche Tribus bringen jedenfalls eine größere Entfernung, als die Breite des kleinen Flüßchens betrug, zwischen sich. In der Folge sah ich freilich, daß die Mir Mahmalli und Mir Yussufi sich hüteten, ihre Herden in das Flußthal zu treiben. Sie hatten ihr Lager mitten im Walde aufgeschlagen und ihre Tiere auf Lichtungen untergebracht, wo sie leicht bewacht werden konnten.
Eben ritten wir wieder durch einen dichten Busch, als ich vor uns, doch in weiter Entfernung, um Hilfe rufen hörte. Es war eine weibliche Stimme. Ich nahm natürlich an, daß jemand sich in Gefahr befinde, und trieb mein Pferd schnell vorwärts durch die Sträucher. Halef folgte mir auf dem Fuße. Der Khawaß aber, welcher dies sah und den Hilferuf auch gehört hatte, hielt an und rief uns ängstlich zu:
»Haltet an, haltet an! Effendi, ich bitte dich inständigst, hier im Gebüsch versteckt zu bleiben! Laß rufen, wer da rufen will! Wer sich in Gefahr begibt, den frißt sie auf mit Haut und Haar!«
Selbstverständlich achtete ich nicht auf diese Warnung und ritt weiter. Die Rufe wurden ängstlicher; sie kamen näher. Als ich den Rand des Gesträuches erreichte, sah ich das diesseitige Ufer als einen langen schmalen Grasplan vor mir liegen, welcher rechts vom Flusse, links von der bewaldeten Höhe und vorn von einem ähnlichen Gebüsch wie das hinter mir liegende begrenzt wurde. Dieser Plan war vielleicht achthundert Schritte lang. Eine weibliche Gestalt kam über denselben nicht gelaufen, sondern aus Leibeskräften gerannt und dabei immer um Hilfe rufend, als ob sie von einem feindlichen Wesen verfolgt werde. Und doch war, so weit mein Blick reichte, kein solches zu sehen.
Die Frau war aus den jenseitigen Büschen gekommen und hatte sich von denselben schon vielleicht hundertfünfzig Schritte entfernt. Die Angst hatte sie zunächst grad vorwärts getrieben; nun aber wendete sie sich dem Flusse zu, um denselben zwischen sich und die Gefahr, welche hinter ihr lag, zu bringen. Da sah sie mich und Halef halten und lenkte rasch wieder in ihre vorherige Richtung ein, kam also noch immer unausgesetzt rufend auf uns zugerannt. Der Khawaß hatte sich doch bis an den Buschrand hinter uns her gewagt. Er sah die Frau und rief lachend aus:
»Allahi, Wallahi, Tallahi! Dieses Weib ist verrückt. Sie schreit um Hilfe und befindet sich doch nicht in Gefahr.«
Aber es zeigte sich schon im nächsten Augenblicke, daß ihre Rufe nicht ohne Ursache waren, denn aus dem hinter ihr liegenden Gebüsch kam ein Hund geschossen, hinter ihm noch einer und wieder einer. Es waren riesige, grau gefärbte kurdische Windhunde von der Rasse, welche von den Kurden Tazi genannt wird. So ein Hund hat die Höhe eines großen Kalbes, besitzt zwar eine schlechte Nase, läßt aber, einmal auf eine Spur gehetzt, dieselbe nicht wieder fallen und ist darauf dressiert, demjenigen, auf den er gehetzt wird, die Gurgel zu zerreißen. Die Frau befand sich also in höchster Gefahr. Wurde sie von den Hunden erreicht, so war es um ihr Leben geschehen. Sie kamen in weiten sprungartigen Sätzen hinter ihr her. Ich mußte ihr helfen und jagte ihr entgegen.
»Halt ein, halt ein; um Allahs willen, halt ein! Die Hunde reißen dich vom Pferde und zerfleischen dich!« rief mir der Khawaß nach.
Ich achtete nicht auf ihn. Ich avancierte, um die Entfernung zu verringern und einen sichern Schuß zu haben. Dann hielt ich an und nahm den Stutzen vor. Als ich ihn anlegte, stand mein Rappe wie eine Mauer; er wußte, daß ich schießen wolle und daß er sich nicht bewegen dürfe. Drei schnell hintereinander folgende Schüsse, und die Hunde, welche ich so schön von vorn aufs Blatt nehmen konnte, wälzten sich im Grase. Die Frau rannte dennoch weiter. Ich ritt ihr, von Halef gefolgt, entgegen und rief, als ich sie ziemlich erreicht hatte, sie an:
»Bleib stehen! Du bist gerettet. Die Hunde sind tot.«
Ich hatte mich des Kurmangdschi-Dialektes bedient, welcher wohl der ihrige war, denn sie verstand mich, hielt im Laufen inne, blickte zurück und rief, als sie die Hunde liegen sah:
»Gheine Chodeh kes nehkahne – Gott ist allmächtig! Er hat mich errettet. Ihm sei Lob und Dank gesagt!«
Ihr Atem flog so, daß sie diese Worte nur mit Unterbrechung hervorbrachte. Die beiden Hände auf die Brust legend, versuchte sie, sich zu beruhigen. Sie war nicht mehr jung, vielleicht vierzig Jahre alt; Falten, vielleicht mehr infolge der Sorge als des Alters, durchfurchten ihr Gesicht. Ihre sehr ärmliche Bekleidung bestand nur aus einem langen, hemdartigen, blauleinenen Gewande. Auf dem Kopfe trug sie ein altes Schleiertuch, welches sich verschoben hatte, sonst wäre ihr Gesicht damit bedeckt gewesen.
»Hattest du die Hunde erzürnt, oder hat man sie auf dich gehetzt?« fragte ich.
»Gehetzt, gehetzt!« antwortete sie, noch immer atemlos. »Ich sollte von ihnen zerrissen werden.«
»Wem gehörten sie?«
»Schir Seleki, dem Häuptling der Mir Mahmalli, der Räuber, der Mörder, welche keines Menschen, nicht einmal eines armen Weibes schonen.«
»Womit hattest du denn diesen Mann erzürnt?«
»Erzürnt? Er tötet, ohne zornig zu sein, denn der Mord ist ihm ein Vergnügen. Ich vermißte meine Ziege, meinen Liebling, von deren Milch wir leben, denn wir sind sehr arm und haben nur dieses eine Tier. Ich suchte sie und kam zum Flusse. Ich sah sie jenseits desselben und stieg ihr durch das Wasser nach. Eben wollte ich sie ergreifen, um sie zurückzuführen; da kam Schir Seleki, der Erbarmungslose, der oberste der Mörder, mit einer Schar Mir Mahmalli-Krieger. Ich flehte ihn um Erbarmen an, denn wir liegen in Blutfehde mit seinem Stamme; er aber hohnlachte meiner Bitte und stach meinen Liebling tot. Dann wurde darüber beraten, was mit mir geschehen sollte. Die Unmenschen wollten zwar ihre Waffen nicht mit dem Blute eine Weibes verunreinigen, aber sterben sollte ich dennoch. Sie beschlossen, mich von den Hunden hetzen und zerreißen zu lassen. ich mußte vorwärts laufen bis in das nächste Gebüsch; so weit wollten sie mir Vorsprung geben. Ich lief bis zum Gesträuch, dann durch dasselbe weiter, immer weiter, und schrie in meiner Todesangst zu Gott um Hilfe. Er hörte meinen Ruf und rettete mich durch dich, o Herr. Sein Name sei gelobt in Ewigkeit!«
»So kommen die Mir Mahmalli-Krieger wohl hinter dir her?«
»Sie kommen, sie kommen jedenfalls, um meine zerrissene Leiche – –«
Sie hielt inne. Infolge meiner Frage unwillkürlich zurückblickend, sah sie einen Trupp Reiter, welcher durch die vor uns liegenden Sträucher brach und, uns sehend, für einige Augenblicke halten blieb.
»Dort kommen sie, dort!« schrie sie entsetzt auf. »Flieh, sonst bist du verloren! Ich fliehe auch!«
Sie rannte spornstreichs nach dem Flusse, um sich ans jenseitige Ufer zu retten. Der Khawaß hielt noch immer weit hinter uns; er brüllte uns zu:
»Allah sei uns gnädig! Kommt zurück! Wir müssen fliehen – fliehen – fliehen!«
Die Kurden sahen die toten Hunde liegen und kamen, ein Wutgeheul ausstoßend und die Waffen schwingend, auf uns zugesprengt. Es waren zwölf Personen. Mein kleiner Hadschi Halef nahm sein Doppelgewehr von der Schulter und fragte ruhig:
»Wir reißen doch nicht aus, Sihdi?«
»Nein! Rück weiter ab von mir, und schieß, wenn sie nicht halten bleiben, aber nur auf die Pferde. Umzingeln lassen dürfen wir uns nicht!«
Ich schob drei neue für die abgeschossenen Patronen in den Stutzen und hielt denselben schußbereit. Zweihundert Schritte, hundertfünfzig, hundert waren sie von uns entfernt, da rief ich ihnen zu:
»Halt, nicht weiter! Wir schießen!«
Zwölf gegen zwei! Sie antworteten mit einem höhnischen Gelächter und ritten weiter. Sieben hatten, wie ich sah, Gewehre. Diese fürchtete ich nicht so wie die langen Lanzen, welche die fünf andern hatten und gegen uns eingelegt hielten.
»Die Pferde der zwei vordersten Lanzenreiter!« rief ich Halef zu. Er gehorchte, und ich gab zu gleicher Zeit drei Schüsse ab. Die fünf Pferde stürzten; die Reiter flogen ab. Zwei oder drei der folgenden Pferde strauchelten über die gefallenen und stürzten auch; der Trupp kam dadurch ins Stocken. Die noch im Sattel sitzenden blieben ungefähr dreißig Schritte vor uns halten, während die andern sich schwer oder leicht aufrichteten und fluchend nach ihren Pferden sahen.
Der Anblick dieser Kerls war keineswegs Vertrauen erweckend, doch konnte ihre Bewaffnung mich nicht in Angst versetzen. Die Lanzen waren jetzt unschädlich, und die mit Gewehren Versehenen hatten nur alte Steinschloßflinten, zwei von ihnen sogar Luntenflinten von Anno Tobak her. Was die Anzüge betraf, so prahlten dieselben in allen Farben; der Kurde liebt es, sich möglichst bunt zu kleiden. Einer von ihnen, der sich durch den Besitz einer Pistole auszeichnete, trug auf dem Kopfe einen Turban, welcher wenigstens drei Fuß im Durchmesser hatte. Er war der Anführer, ritt einige Schritte vor und donnerte uns an:
»Allah verdamme euch! Habt ihr den Verstand verloren, daß ihr es wagt, im Bereiche unsers Gebietes auf uns zu schießen? Wer seid ihr, Hunde?«
»Wir sind Fremde,« antwortete ich, sein letztes, beleidigendes Wort überhörend.
»Das versteht sich von selbst. Wäret ihr nicht fremd, würdet ihr euch gehütet haben, euch durch diese Feindseligkeit die Pforten des sichern Verderbens zu öffnen. Eure Seelen gehören der Hölle. Fahrt hinab durch unsere Kugeln!«
Er wollte sein Gewehr anlegen. Ich hielt den Lauf auf ihn gerichtet und gebot ihm schnell:
»Nieder mit der Flinte, sonst jage ich dir den Tod ins Gehirn!«
»Schwätzer!« lachte er. »Eure Läufe sind abgeschossen!«
»Der meinige schießt immerfort. Paß auf!«
Ich gab rasch hintereinander drei, vier, fünf Schüsse auf sein Pferd ab. Es brach tot zusammen. Er stürzte und verlor die Flinte.
»Allah, Allah!« brüllte er wütend, indem er sich aufrichtete. »Woher hast du dieses Gewehr? Hat es der Teufel für dich gemacht? Wie ist dein Name?«
Mein deutscher Name wäre hier nicht am Platze gewesen. Darum nannte ich mich bei demjenigen, welchen ich früher von meinen arabischen Reisegefährten erhalten hatte:
»Ich bin ein Christ aus einem fernen Lande und werde Kara Ben Nemsi Effendi genannt.«
»Ein Christenhund? Allah verfluche dich! Stirb von meiner Hand!«
Er raffte sein Gewehr auf, um es auf mich anzulegen, da fiel ihm einer der Lanzenreiter in den Arm und rief ihm hörbar ängstlich zu:
»Halt ein! Du tötest uns alle! Das Gewehr dieses Christen schießt hundert Kugeln, ja tausend Kugeln hintereinander, ohne daß man es jemals zu laden braucht. Ich kenne ihn! Er schießt euch, ehe ihr zum Losdrücken kommt, alle über den Haufen.«
»Was – – was – – sagst du?« fragte der Häuptling, indem er seine Flinte sinken ließ und den Sprecher mit offenem Munde anstarrte.
Dieser antwortete, aber mit so leiser Stimme, daß ich ihn nicht verstehen konnte. Er sprach auf ihn und die andern eifrig ein, eine ganze Weile lang, wodurch Halef Zeit gewann, seine beiden Läufe wieder zu laden. Die Kurden hörten dem Sprecher mit sichtbarem Staunen zu und musterten mich mit Blicken, als ob ich das neuentdeckte achte Weltwunder sei. Ich selbst war höchst begierig, zu hören, wo dieser Mann mich kennen gelernt hatte. Als seine Rede zu Ende war, wurde eine kurze, ebenso leise Beratung gehalten, und dann wendete sich der Häuptling an mich:
»Herr, bist du einmal bei den Zibar-Kurden gewesen?«
»Ja.«
»Du bist Gast des Häuptlings derselben gewesen?«
»Ich pflege nur bei Häuptlingen zu wohnen,« antwortete ich stolz.
»So bist du derselbe Fremdling, welcher den Stamm der Haddedihn dadurch vom Untergange rettete, daß er drei Stämme ihrer Feinde in das Thal Deradsch lockte, wo sie sich ergeben mußten?«
»Der bin ich allerdings.«
»Und ist der kleine Mann, welcher sich hier bei dir befindet, vielleicht dein Diener Hadschi Halef Omar, welcher dies alles mit dir erlebte?«
»Er ist es.«
»Da ihr diese beiden seid, so sind wir bereit, euch zu verzeihen, wenn du das thust, was wir von dir verlangen.«
»Sage, was du forderst.«
»Du bezahlst erstens die Pferde, welche ihr uns getötet habt.«
»Wohl auch die Hunde?«
»Natürlich! Und zweitens schenkt ihr uns alle Waffen, welche ihr bei euch tragt.«
»Und drittens?«
»Weiter nichts. Du siehst, daß wir sehr billig sind. Gehst du auf diese Bedingungen ein, so bist du mein Mivan und Hemschehr, und ihr könnt bei uns, so lange es euch beliebt, ebenso sicher wohnen, als ob ihr zu unserm Stamme gehörtet.«
»Wenn ich mich aber weigere?«
»So werden wir euch als Todfeinde behandeln, und die Sonne dieses Tages wird die letzte sein, die euch ins Auge scheint. Ich rate dir, meinem billigen Verlangen nachzukommen!«
»Es ist mir noch nicht billig genug. Ich werde euch beweisen, daß ihr noch viel, viel billiger sein könnt.«
»Glaube das nicht! Wer gab dir das Recht, meine Hunde zu töten?«
»Sollten sie nicht das Weib zerreißen?«
»Ja. Es herrscht Blutrache zwischen uns und ihrem Stamme. Sie ist außerdem eine verfluchte Schiitin, welche sogar von dem Heilande der Christen redet. Ihr Blut gehört den Hunden. Sie heißt Fatima Marryah und wird im tiefsten Schlunde der Verdammnis heulen.«
Also eine Schiitin war die Frau! Die Sunniten hassen die Schiiten; ja sie behandeln sie mit noch größerer Verachtung als die ›Ungläubigen‹. Und vom Heilande redete sie? Sollte die Kunde vom Welterlöser auf irgend eine Weise in ihr Ohr oder gar in ihr Herz gedrungen sein? Dann konnte ich mich darüber, sie gerettet zu haben, doppelt freuen. Ich antwortete:
»Ich bin ein Christ; sie spricht von meinem Heilande; darum fühle ich mich glücklich, deine Bestien erschossen zu haben. Hättest du dieselben nicht auf das arme Weib gehetzt, so lebten sie noch. Du bist also selbst schuld an deinem Verluste. Und auch die Pferde soll ich bezahlen? Habe ich euch nicht Halt geboten? Drohte ich euch nicht, sonst zu schießen? Ihr gehorchtet nicht; darum schossen wir. Wer gab also die Veranlassung zum Tode eurer Pferde?«
»Du, nicht wir! Wer giebt dir das Recht, zu schießen?«
»Ich selbst gebe es mir. Wenn ich angegriffen werde, verteidige ich mich. Dankt Allah, daß ich ein Christ bin! Wäre ich Moslem, so hätten wir nicht auf die Pferde, sondern auf euch geschossen. Und unsere Waffen wollt ihr haben? Damit ihr uns dann niedermachen könnt! Ich verschmähe es, der Gast und Freund eines Mannes zu sein, welcher wehrlose Frauen von seinen Hunden zerfleischen läßt, Schande und Verderben über dich!«
»Schweig!« brüllte er mir zu. »Sage noch ein einziges derartiges Wort, so fressen dich schon heute oder morgen die Würmer!«
»Ez be the tescha-u-utim – ich bedaure dich! Deine Ohnmacht ist nicht imstande, deine Drohung auszuführen. Dies mein Gewehr hat drei Hunde und drei Pferde getroffen; dann erhielt auch dein Tier fünf Schüsse aus demselben. Hast du mich laden sehen? Soll ich noch zwölfmal losdrücken und euch alle durch die Köpfe schießen?«
»Du hast es dir vom Teufel machen lassen!« knurrte er in unterdrückter Wut. »Welcher Moslem aber kann gegen den Teufel kämpfen! So willst du uns also nicht bezahlen?«
»Nein.«
»Und auch nicht mit uns gehen?«
»Fällt mir nicht ein!«
»Wohin reitet ihr?«
»Dahin, wohin es uns beliebt. Du brauchst es nicht zu wissen. Zunächst bleiben wir noch fünf Minuten hier. Unsere Sicherheit erfordert, daß ihr euch vor uns entfernt. Wer von euch nach diesen fünf Minuten noch nicht fort ist, bekommt eine Kugel von mir.«
»Du scherzest!«
»Es ist mein Ernst!«
»Wir müssen die toten Pferde fortschaffen, ihnen wenigstens das Zeug abnehmen!«
»Zu diesem Zwecke könnt ihr später zurückkehren. Ich gebe dir mein Wort, daß ich keine Silbe mehr mit euch spreche. Mein Wille gilt. Fort mit euch! Sieh hier mein Gewehr im Anschlage, und zähle fünf Minuten! Dann geht es sicher los!«
Ich richtete den Lauf auf ihn, und Hadschi Halef folgte meinem Beispiele. Die Angst vor meinem Stutzen brachte die beabsichtigte Wirkung hervor. Die Kurden warfen mir zwar grimmige Blicke zu, wagten es aber doch nicht, zu widerstreben. Sie raunten sich leise Bemerkungen zu und trollten sich dann, die einen reitend, die andern zu Fuße von dannen. Als sie an dem Gebüsch, aus welchem sie gekommen waren, anlangten, drehte sich der Häuptling um, schwang drohend sein Gewehr und rief zurück-
»Khu' in sohre. Baveze ser marahn – das Blut ist rot. Hüte dich vor Schlangen!«
Das war eine Unvorsichtigkeit von ihm, denn er verriet uns dadurch, daß er die Absicht hege, uns heimlich zu folgen, um sich an uns zu rächen. Wir wußten also, daß wir auf unserer Hut sein mußten. Zwar hatten wir keine Menschen, sondern nur einige Tiere erschossen, doch war es sicher, daß die Wirkung ganz dieselbe sein werde. –