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Ehe ich mich zur Ruhe legte, verband mir der Scheik die kleine Armwunde; auch ließ er sich meine Jacke geben, um den darin entstandenen Riß von seinem Weibe ausbessern zu lassen. Im Duar herrschte die ganze Nacht hindurch ein reges Leben, so daß ich nur sehr wenig schlafen konnte. Man sprach von der bevorstehenden Löwenjagd und von den Heldenthaten, welche man dabei verrichten wollte. Die Mescheer waren jetzt, da sie uns bei sich wußten, auf einmal sehr mutige und unternehmende Löwenjäger geworden.
Kaum hatte mich das laute Summen des Morgengebetes aus dem Schlafe geweckt, so trat der Scheik wieder herein, um mir zu melden, daß alles zum Aufbruch bereit sei.
»Geht der Krumir mit?« fragte ich ihn.
»Nein; du weißt, Herr, daß er das Lager nicht verlassen darf.«
»Und dennoch wäre es mir lieber, ihn dabei zu sehen.«
»Warum, Emir?«
»Bist du sicher, daß er in unserer Abwesenheit nichts unternehmen wird, was ihm verboten ist?«
»Er hat sein Wort gegeben.«
»Er wird es nicht halten, ebenso wie er es bei den Sebira gebrochen hat. In seinem Herzen wohnt die Falschheit und auf seinen Lippen die Lüge.«
»Ich verspreche dir, daß die Männer, welche zurückbleiben werden, ihn beobachten sollen. Die Tochter Ali en Nurabis und das Pferd desselben werden sicher vor ihm sein.«
»Das erwarte ich ganz bestimmt! Komm, laß uns gehen!«
»Wirst du deinen Hengst reiten?«
»Ja.«
»Erlaube, daß ich dir eines meiner Pferde anbiete. Der Herr mit dem dicken Kopfe liebt es, auf die Pferde zu springen, um den Reiter zu töten. Dein Hengst ist zu kostbar, um zerrissen zu werden.«
»Ich bin nicht gewohnt, den Löwen zu Pferde zu jagen, um vor ihm besser fliehen zu können. Ich pflege abzusteigen, um ihn stehenden Fußes zu erwarten. Habe also Dank für deine Güte; aber ich werde doch mein Pferd reiten. Wie viele Krieger nimmst du mit?«
»Die Hälfte meiner Leute.«
»So werde ich auch die Sebira teilen. Die eine Hälfte von ihnen mag uns begleiten, und die anderen dreißig sollen hier im Lager bleiben, um darüber zu wachen, daß der Krumir nichts Böses thue.«
»Was du vornimmst, ist mir recht, Effendi. Du bist mein Bruder und mein Freund; du hast uns von Abu 'l Afrid und seinem Weibe errettet, und ich wünsche, daß du in Liebe und in Frieden von uns scheidest.«
Ich traf, als wir das Zelt verlassen hatten, mit dem Scheik Ali en Nurabi die jetzt besprochene Vorkehrung, und dann brachen wir auf, gefolgt von gegen zweihundert Beduinen.
Die Spur des Löwen war sehr bald gefunden. Sie war nicht schwer zu verfolgen, da er viel Blut verloren hatte. Trotzdem aber hatte das gewaltige Tier das Kamel wohl an die fünfhundert Schritte weit fortgeschleppt, ehe es von dieser Anstrengung gezwungen war, eine kurze Rast zu machen. An diesem Orte nun erblickten wir eine große Blutlache, die uns sehr willkommen war.
»Ihr habt den Kerl doch nicht ganz schlecht getroffen,« meinte ich zu dem Engländer. »Die Menge Blutes, welche er verloren hat, läßt vermuten, daß er keine ungefährliche Wunde erhalten hat.«
»Aber dennoch hat er die Kraft besessen, das Kamel noch weiter fortzuschleppen,« antwortete Percy. »Sollte er es bis zu seinem Lager fortgetragen haben?«
»Das glaube ich nicht. Der Löwe hat, wenn er en famille lebt, die Eigentümlichkeit, nur in Gesellschaft auf den Raub zu gehen. Die Löwin folgt ihm mit den jungen, falls diese laufen können, und bleibt mit ihnen an einem geeigneten Orte zurück, um ihn mit seiner Beute zu erwarten, welche er auf diese Weise nicht so weit zu schleppen braucht. Da wird das gemeinschaftliche Mahl gehalten, und dann kehrt die gesättigte Familie in ihr Lager zurück, die übrig gebliebenen Knochen und Brocken dem Schakal, der Hyäne und dem Geier überlassend. – Reiten wir weiter!«
Die wieder aufgenommene Spur führte auf einen dunklen Strich zu, welcher sich bei unserem Näherkommen als ein ziemlich dünnes und verkommenes Feigen- und Tamarindengestrüpp erwies. Die Mescheer machten Miene, in dasselbe einzudringen; ich hinderte sie daran:
»Halt! Wir wissen nicht, was sich in dem Gebüsch befindet. Bleibt zurück, bis ich wiederkehre!«
Ich umritt mit dem Engländer das Gestrüpp, er nach rechts und ich nach links. Hinter demselben stießen wir zusammen und trafen dort auf die Spur der Löwin und zweier jungen. Die Fährte war eine doppelte- die ältere führte in das Gebüsch und die jüngere wieder heraus und zurück. Es war also klar, daß sich der Löwe noch darin befand. jedenfalls war er infolge seiner Verwundung nicht imstande gewesen, seiner Familie nach dem Lager zu folgen.
Jetzt kehrten wir zu den Beduinen zurück, welchen wir die Weisung erteilten, das ganze Gestrüpp zu umstellen und die mitgenommenen Hunde loszulassen, um den angeschossenen Löwen aufzujagen. Es geschah; die Hunde, welche bisher nur mit Mühe zu halten gewesen waren, warfen sich vor, und bald hörten wir ihr wütendes Geheul aus einer der Tamarindengruppen schallen.
»Sir, ich bitte Euch, ihn mir zu lassen!« sagte Percy.
»Nehmt ihn,« antwortete ich. »Ich werde nur dann schießen, wenn es not thun sollte.«
Wir stiegen ab und übergaben Achmed es Sallah unsere Pferde mit der Weisung, sich zurückzuziehen. Die Gewehre schußbereit, warteten wir; aber der Löwe ließ sich nicht sehen, und die Jagd stand auf demselben Flecke.
»Sollte er verendet sein?« meinte ich.
»Wollen sehen,« antwortete der Engländer, indem er sich nach dem Gebüsche in Bewegung setzte.
»Keine Unvorsichtigkeit, Sir!« rief ich. »Die Sache ist gefährlich.«
»Pshaw!« antwortete er, zwischen den Feigen eindringend.
Es blieb mir also nichts übrig, als ihm zu folgen. Er arbeitete sich nach den Tamarinden hin, und ich blieb ihm auf der Ferse. Wir erreichten die Meute, welche die Tamarinden umstellt hielt, sich aber nicht weiter getraute.
»Was nun?« fragte Percy. »Geben wir eine Kugel hinein?«
Ich legte mich auf den Boden nieder, wo kein Gezweig den Einblick erschwerte. Da sah ich den Fürchterlichen liegen, zur Seite geneigt, mit gebrochenem Auge und alle viere von sich streckend.
»Sir, Euer Schuß war doch ein guter. Er ist tot.«
»Tot? Wirklich?«
»Ja.«
Bei diesen Worten trat ich vor und bog die Zweige auseinander. Es war ein außerordentlich großes Tier. Die volle, schwärzliche Mähne umfloß wirr den massiven Kopf; die kräftigen, fest geschlossenen Lefzen waren von blutigem Schaum gerötet, und die gewaltigen Tatzen hatten sich im Todeskampfe nach einwärts gekrümmt. Eine große, tiefe Lache geronnenen Blutes umgab ihn, und neben ihm lagen die Ueberreste des Kameles, welche von der Löwin und ihren jungen zurückgelassen worden waren.
»Heigh-day!« rief der Engländer. »Da endlich liegt der alte Kater! Wohin habe ich ihn denn getroffen, Sir?«
»Seht her! Hier hinter der Vorderpranke zwischen die Rippen hinein. Die Kugel muß ihn während des Sprunges erreicht haben.«
»Das ist ihm also doch ans Leben gegangen. Na, ist mir lieb. Brauche mich nun doch nicht auslachen zu lassen! Yes!«
Jetzt nun getrauten sich auch die Hunde herbei, und wir hatten alle Mühe, sie von dem Löwen abzuhalten, den sie gewiß arg zugerichtet hätten. Die Beduinen wurden herzugerufen, und als sie herangekommen waren, erhob sich ein ebenso großer Spektakel wie während der Nacht an den Leichen der beiden Panther. Als der König der Tiere nun genug verhöhnt und beschimpft worden war, wurden die Hunde wieder angekoppelt, und wir brachen auf, um die Löwin aufzusuchen. Bei dem Löwen blieben einige Männer zurück, um aus Aesten eine Schleife zu verfertigen und ihn dann mittels ihrer Pferde nach dem Duar ziehen zu lassen.
Die Löwin hatte ihren entschlafenen Gemahl vor noch nicht gar langer Zeit verlassen, denn ihre Spuren waren noch ziemlich frisch. Vielleicht hätte sie bei dem Toten ausgehalten, wenn sie nicht von der Sorge für die Sicherheit ihrer jungen geängstigt worden wäre. Sie hatte einen weiten Weg zurückzulegen gehabt, denn wir ritten wohl an die Dreiviertelstunden, ehe wir das Felsenthal erreichten, in welchem sich der ›Palast‹ des Herrn mit dem dicken Kopfe befand.
Als wir es zu Gesicht bekamen, hielt der Scheik Mohammed er Raman sein Pferd an und deutete auf das wüste Steingewirr.
»Hier ist das Battn el Hadschar, Emir, wo der König der Mähne sein Weib und seine Kinder hat,« sagte er. »Meinst du, daß sein Weib so mutig sein wird wie er selbst?«
»Sicher! Wenn eine Löwin ihre jungen verteidigt, so ist sie doppelt zu fürchten.«
»Wer wird sie schießen, wir oder Ihr?«
Aha, der Mescheer schien bei dieser doppelten Fürchterlichkeit doch bedenklich zu werden!
»Wir!« antwortete ich, »Ihr sollt nur das Thal so umstellen, daß sie uns nicht entkommen kann. Bleibt zurück, bis wir uns den Ort genau betrachtet haben!«
Ich stieg mit dem Engländer wieder ab. Wir übergaben unsere Pferde Achmed wieder, nahmen unsere Büchsen und folgten der Fährte.
Das Thal bildete einen nicht zu großen, länglichen Kessel, der nur einen einzigen Zugang hatte. Es hatte ganz das Aussehen, als sei es durch den jähen Einsturz einer unterirdischen Klüftung entstanden. Seine Wände stiegen sehr steil empor, und seine Sohle war von wirren Felsentrümmern angefüllt, zwischen denen einige harte Gräser dürsteten, während im Hintergrunde schlanke Farne und nackte Dornen ein schwer zu durchdringendes Dickicht bildeten.
»Da drin stecken die Katzen. Nicht, Sir?« fragte Percy.
»Höchst wahrscheinlich. Wenigstens führen alle Spuren hinein, deren es hier genug giebt.«
»Hier können wir die Hunde nicht gebrauchen. Werden die Tiere mit Steinen heraustreiben. Well!«
»Soll ich die Löwin nehmen, Sir?«
»Nein. Laßt sie mir!«
»Meinetwegen. Sie ist beinahe ganz ohne Gefahr zu erlegen. Wir lassen die Pferde zurück und umzingeln das ganze Thal. Ihr könnt da links auf dem Vorsprunge Posto nehmen, wo sie gleich beim Austritt aus dem Dickicht zu treffen ist, und ich verlege ihr den Ausgang aus dem Thale. Solltet Ihr sie fehlen, so wird sie mein. Die jungen sind uns nicht gefährlich. Sie werden noch nicht viel ausgegangen sein und sind noch täppisch, wie die Fährte zeigt.«
Wir kehrten zu den Beduinen zurück, um ihnen unsere Anweisung zu erteilen. Leider brachten wir sie nicht so weit, von den Pferden zu steigen. Sie dachten an die bessere Möglichkeit einer Flucht, ohne zu berechnen, daß die Löwin schnell genug sei, auch den besten Renner einzuholen. Sie umringten das Thal von allen Seiten und stellten sich hart am Rande desselben auf. Nur einige, die am hintern Rande zu halten kamen, stiegen ab, um von oben herab mit Steinen die Tiere aus dem Lager zu treiben.
Die linke Thalwand zeigte einen hohen, schmalen, kanzelähnlichen Vorsprung, der von unten gar nicht, und von oben nur mit Vorsicht zu erreichen war. Percy kletterte zu ihm herab und konnte von da aus mit seiner Büchse das ganze hintere Terrain bestreichen. Ich legte mich am Eingange der Schlucht hinter einen Felsen. Die Hunde wurden von einigen Mescheers in gehöriger Entfernung zurückgehalten. In meiner Nähe, da wo der Rand sich niedersenkte und die Wand eine nicht mehr sehr steile Böschung bildete, hielt Scheik Mohammed er Raman. Er hatte wohl diesen Punkt gewählt, um bei aller Sicherheit doch einen Schein des Mutes zu behaupten.
Als diese Aufstellung genommen war, gab Percy das Zeichen, und sofort wurden eine Menge Steine von oben in das Dickicht herabgeworfen und gewälzt. Ein lautes Pfauchen und Knurren antwortete, jedenfalls von den jungen ausgehend; dann ließ sich auch die Stimme der Alten vernehmen. Es war nicht das mächtige, brusttönende Brüllen eines männlichen Löwen, aber doch so durchdringend und erschütternd, daß die Menschen erblaßten und die Pferde zitterten.
Der Steinhagel wurde wiederholt. Percy lag platt auf dem Vorsprunge, zum tödlichen Schusse bereit. Da regte es sich vorn unter den Dornen, und eines der jungen kroch hervor; die Alte aber ließ sich noch nicht sehen. Nach einigen Augenblicken kam auch das andere junge nach.
»Zielt auf die Kleinen, ihr Männer!« rief der Scheik hinauf.
Man gehorchte ihm. Ein Stein traf die kleine Löwin. Sie kreischte schmerzlich auf, und sofort erschien die Alte, aber nicht mit majestätischen Schritten und verächtlichem Blicke, wie es der männliche Löwe gethan hätte, sondern leise und vorsichtig zu Boden geduckt, echt katzenmäßig. Von meinem niedrigen Standpunkte aus konnte ich sie sehen, während sie dem Engländer durch die Farnwedel, unter denen sie sich noch befand, verhüllt wurde. Ihre Augen glühten grimmig auf die Reiter hervor, welche die vordere Seite des Kessels besetzt hielten; sie schien die Entfernung zu messen, und ob an den steilen Wänden ernporzukommen sei.
Auch Mohammed er Raman konnte sie nicht sehen. Er trieb sein Pferd bis ganz an den Rand heran und rief:
»Noch einmal auf die jungen, ihr Männer! Wenn ihr sie –«
Er konnte den angefangenen Satz nicht vollenden. Er hatte sich zu weit hervorgewagt; der lockere Sand gab nach; sein Pferd verlor auf dem losen Steingeröll den Halt und stürzte. Mitten im Sturze warf er sich aus dem Sattel, aber ohne seine Absicht zu erreichen – Pferd und Reiter rollten in den Kessel herab, und zu gleicher Zeit erscholl rundum ein hundertstimmiger Schrei des Entsetzens. Kaum erblickte nämlich die Löwin den herabstürzenden Beduinen, so schnellte sie unter den Farnwedeln mit einer Schnelligkeit hervor, welche es dem Engländer unmöglich machte, einen sichern Schuß zu thun. Zwar drückte er ab, aber die Löwin war ebenso schnell wie die Kugel, von der sie nicht getroffen werden konnte. In unbeschreiblichen Sätzen kam sie unter heiserem Gebrüll dahergestürzt, um sich auf den Scheik zu werfen. Dieser versuchte eben, ob er sich von dem Falle erheben könne, als er sie erblickte.
»Allah illah Allah!« rief er in verzweifelter Angst und warf sich wieder zur Erde.
Jetzt war sie bei ihm – jetzt berührten ihre Tatzen zum letztenmal die Erde – da drückte ich ab. Die Löwin erhielt die Kugel im Sprunge und wurde von ihr um ein weniges zur Seite gerissen. Augenblicklich krachte auch mein zweiter Schuß – der Scheik stieß einen Schrei des Schmerzes aus; das Tier kam gerade neben ihn zu liegen und hatte mit der Kralle seinen Schenkel berührt. Mit einer mehr unwillkürlichen als überlegten Bewegung rollte er sich seitwärts; die Löwin riß den Boden auf, stieß ein letztes, ersterbendes Brüllen aus und streckte dann verendend die gewaltigen Glieder.
Ich hatte kaum zwölf Schritte von ihr entfernt gelegen und sprang herbei, um mit dem Messer bereit zu sein. Es war nicht notwendig; sie war tot.
»Stehe auf, Scheik,« sagte ich. »Sittna Areth ist gestorben!«
»Ist sie wirklich tot?« fragte er mit vor Schreck ganz weißen Lippen, indem er sich von der Erde raffte.
»Ja.«
»Emir, sie wollte mich fressen!«
»Allerdings, und zwar mit Haut und Haar und Burnus. Du hättest gar nicht Zeit gehabt, die Sure des Todes zu beten. Nun aber ist sie selber in allen ihren Sünden von hinnen gefahren.«
»Sie wird in der Hölle wohnen, heut und in alle Ewigkeit, Effendi!«
Nach dem lauten Angstschrei aller hatte bis jetzt ringsum das Schweigen des Entsetzens geherrscht. Nun aber brach von allen Seiten ein wahrhaft betäubender Jubel los, und alles kam von rechts und links herbeigeeilt, um in die Schlucht zu gelangen, die dem Anführer der Mescheer beinahe so verhängnisvoll geworden wäre.
Glücklicherweise hatte sich dieser keinen Schaden gethan, und die Verwundung seines rechten Schenkels bestand nur in einem leichten Risse, der ihm ein kleines Stückchen Fleisch gekostet hatte. Auch sein Pferd war wohlbehalten davongekommen. Am schlimmsten erging es wieder der toten Löwin, deren bürgerliche Ehre durch die verächtlichsten Worte und Gebärden vollständig zu Grunde gerichtet wurde. Ihre jungen wurden gefangen genommen und gefesselt, um unsern Triumphzug zu verherrlichen.
Ein jeder war mit dem Ergebnisse unseres Jagdzuges zufrieden, nur der Engländer nicht. Auch er hatte sich eingefunden und stand jetzt an meiner Seite.
»Vexatious, immense vexatious – ärgerlich, ungeheuer ärgerlich!« brummte er. »Läuft mir diese armselige Katze unter der Kugel weg!«
»Tröstet Euch, Sir,« antwortete ich. »Sie ist doch noch getroffen worden!«
»Das ist's ja eben! Getroffen worden, aber nicht von mir! Ich könnte sie totprügeln, wenn sie noch nicht tot wäre. Yes!«
»Ich gebe Euch die aufrichtige Versicherung, Sir, daß ich sie auch nicht getroffen hätte, wenn ich an Eurer Stelle gewesen wäre. Sie fuhr ja so gedankenschnell aus dem Dickicht hervor, daß sie an Euch vorüber war, ehe Ihr nur den Finger anlegen konntet. Glaubt mir, es wird kein Mensch gering von Euch als Schütze denken.«
»Will's hoffen! Würde einen jeden niederboxen, der es wagen wollte, sich über mich zu mokieren. Well. Ist aber ein gewaltiges Viehzeug, diese Katze; wohl kaum unter acht ein halb Fuß Länge. Wer unter solche Handschuhe gerät! Brrr!«
Da es hier kein Material zur Schleife gab, so wurde der Löwin die Haut abgezogen; das Fleisch blieb liegen. Dann brachen wir auf. Scheik Mohammed er Raman ritt neben mir.
»Emir,« meinte er, »ich habe dir mein Leben zu verdanken. Allah segne dich dafür! Sage mir, was ich thun soll, um dir zu zeigen, wie lieb ich dich gewonnen habe!«
»Wenn du wirklich glaubst, mir etwas schuldig zu sein, so sorge dafür, daß der Scheik Ali en Nurabi sein Kind und seine Stute zurückerhält!«
»Das habe ich dir bereits versprochen, und ich werde mein Wort halten. Aber du wirst mir erlauben, nachzudenken, welche Liebe ich dir noch erweisen werde. Was wäre ich jetzt ohne deine Kugel! Ihr habt uns errettet von Areth und Sittna Areth, von Abu 'l Afrid und Omm el Afrid. Nun können meine Herden ruhig grasen, und die Söhne der Mescheer werden nicht mehr zerrissen und gefressen werden. Wir werden heut eine große Diffa halten, dir zu Ehren und zu Ehren des Emir aus Inglistan. Mein Leben ist dein Leben, und mein Tod ist dein Tod. Dein Wohlergehen soll mir sein wie das Auge, welches ich nicht verlieren will.«
Als wir auf dem Rückwege das Gesträuch erreichten, in welchem wir den Löwen gefunden hatten, war derselbe bereits fortgeschafft worden. Eine breite Spur, welche von der Schleife gezogen worden war, bezeichnete den Weg, den die Mescheer mit dem toten ›Wüstenkönige‹ genommen hatten. Uebrigens habe ich nicht gefunden, daß die Bezeichnung ›Wüstenkönig‹ eine richtige sei. In der eigentlichen Wüste ist der Löwe nie zu sehen; er würde dort weder die notwendige Nahrung noch auch das Wasser finden, von welchem er als Fleischfresser täglich eine sehr ansehnliche Quantität verbraucht. Er kommt nur in der Steppe und den Oasen vor, welche er zu erreichen vermag, ohne lange und anhaltend Durst leiden zu müssen. Wunderbar war es übrigens, daß es uns gelang, einen Löwen und einen Panther samt den beiden Weibchen auf einem so engen Raum und in so kurzer Zeit zu erlegen. Wären die Mescheer unternehmender gewesen, so hätte ein solcher Fall wohl kaum eintreten können.
Als wir das Duar erreichten, wurden wir mit lautem Jubel bewillkommt. Ich ritt sofort vor das Zelt des Scheiks, und war eben im Begriff abzusteigen, als sich dasselbe öffnete. Ein Mann trat heraus und eilte auf den Scheik zu, der an meiner Seite geblieben war.
»Allah akbar – Gott ist groß; er thut Wunder!« rief der letztere. »Mein Bruder! Kann dich mein Bote, den ich gestern zu dir sandte, bereits getroffen haben?«
»Dein Bote? Es hat mich kein Bote getroffen. Ich war in Fesschia und komme zu dir, um Dschumeilah, meine Tochter, zu holen.«
Dieser Mann also war der Anführer der Mescheer von Hadscheb el Aïun und Hamra Kamuda, der Vater Dschumeilahs und der Bruder Mohammed er Ramans. Sie sahen einander sehr ähnlich. Ich hatte noch nie gefunden, daß zwei Brüder Anführer zweier verschiedener Ferkahs seien, der eine von ihnen hatte also diese Würde jedenfalls nicht dem Herkommen oder der Geburt, sondern seinen persönlichen Eigenschaften zu verdanken. Sie umarmten sich; dann fragte Mohammed er Raman:
»Hast du Dschumeilah bereits gesehen?«
»Ja. Allah sei gepriesen, daß ich sie lebend gefunden habe!«
»Lebend? Dachtest du, sie tot zu finden?«
»O, wie leicht konnte ihr Leben zerronnen sein! Sie hat es dir verschwiegen, mir aber hat sie es gleich erzählt, nachdem ich angekommen war.«
»Was?«
»Sie ist gestern vor dem Zelte gewesen, und Abu 'l Afrid hat sie verschlingen wollen –«
»Allah illah Allah! Davon weiß ich kein Wort!«
»Aber der fremde Emir hat sie errettet. O, zeige ihn mir, daß ich ihm Dank sagen kann!«
»Dies ist der Emir aus Dschermanistan,« sagte er, auf mich zeigend, »der Abu 'l Afrid und Omm el Afrid getötet hat.«
Da faßte mich der andere bei beiden Händen.
»Herr,« rief er, »ich bin Omar Altantawi, der Scheik der Mescheer von Aïun und Kamuda. Du hast meiner Tochter das Leben erhalten; verlange mein Leben, und ich gebe es dir!«
»Ist es wahr?« fragte mich Mohammed.
»Ich habe Abu 'l Afrid allerdings geschossen, als Dschumeilah, die Rose von Aïun, von ihm zerrissen werden sollte,« antwortete ich.
»Und heute rettest du mir das Leben, Herr? Hamdulillah –Allah sei gepriesen, der dich in mein Zelt geführt hat. Aber du hast mir das verschwiegen; tritt herein in das Zelt, und erzähle es!«
»Erlaube mir vorher, daß ich mich überzeuge, ob der Krumir während unserer Abwesenheit keinen Verrat begangen hat!«
»Was sollte er gethan haben!«
»Welchen Krumir meinst du?« erkundigte sich Omar Altantawi.
»Saadis el Chabir vom Ferkah ed Dedmaka.«
»Herr, zürne nicht mir, wenn ich dir eine üble Botschaft sage!«
»Eine üble? Sprich!«
»Dieser Krumir ist fort!«
»Fort? Unmöglich! Er wurde ja bewacht! Er hat geschworen, hier zu bleiben!« rief ich bestürzt.
»Er ist fort. Ich sandte einen Boten voraus, welcher meine Ankunft melden sollte. Darüber freuten sich die Männer des Duars, und sie kamen mir weithin entgegen, um mich mit einer Fantasia zu begrüßen. Kein einziger blieb im Lager zurück, und auch die dreißig Uëlad Sebira waren dabei. Sie dachten nur an mich und nicht an den Krumir, und als wir das Duar erreichten, war er fort.«
»Allein?«
»Mit Mochallah, dem gefangenen Mädchen.«
Ich war außer mir und hätte mich am liebsten gleich auf mein Pferd geworfen, um ihm nachzujagen, mußte mich aber doch weiter erkundigen:
»Welches Pferd hatte er?«
»Allah verzeihe mir die böse Botschaft, die ich euch sagen muß! Aber die Männer fürchteten sich; sie erzählten mir alles und baten mich, es euch zu sagen. Er hatte auf der Milchstute gesessen, und das Mädchen auf dem Falben. Die Frauen haben es gesehen. Das Mädchen war gefesselt, geknebelt und festgebunden.«
»Auf dem Falben?« fragte Mohammed er Raman. »Auf welchem?«
»Auf dem, der dir gehört.«
Der Scheik stand ganz starr vor Schreck; der Falbe war sein Lieblingspferd, welches der Milchstute Alis an Wert wohl gleich kam. Dann aber bekam er wieder Leben. Mit einem einzigen Satze war er in das Zelt hinein, und im Moment erschien er mit der Kesselpauke. Zwei Minuten später waren alle männlichen Bewohner des Dorfes versammelt. Ein kurzes Verhör genügte, um uns die Situation klar zu machen.
Einige Zeit nach unserem Wegritte war ein Aïun-Mescheer gekommen und hatte verkündigt, daß Omar Altantawi im Begriffe stehe, die Gastfreundschaft des Duar in Anspruch zu nehmen. Dieser Scheik war außerordentlich beliebt im Lager, und daher hatte seine Ankunft die Männer alle zu einer Fantasia begeistert. Keiner hatte sich ausschließen wollen, um zurückzubleiben, und selbst der Krumir war mitgeritten. Unterwegs hatte er erklärt, daß er den Scheik Mohammed er Raman aufsuchen wolle, um ihn von der Ankunft seines Bruders zu benachrichtigen. An diese Benachrichtigung hatte bisher gar niemand gedacht, und daher ließ man ihm seinen Willen. Da seine Uëlad Hamema mit bei der Truppe blieben, so hegte man nicht den geringsten Argwohn gegen ihn.
Er war aber, sobald er sie aus dem Gesichte verloren hatte, direkt nach dem Duar geeilt und hatte den Falben des Scheiks gesattelt, ohne daß dies von einer Frau beobachtet worden wäre. Plötzlich aber hatte sich ein lautes Geschrei erhoben, und als man nachsah, von wem es herrührte, hatte man den Krumir erblickt, welcher mit der gefesselten Mochallah zu den Pferden eilte. Die Frauen hatten ihn zurückhalten wollen; als er sie jedoch mit seinen Waffen bedrohte, entsank ihnen der Mut. Nun hatte er dem Mädchen einen Knebel in den Mund gesteckt, sie auf das Pferd festgebunden und noch ein Säckchen mit Datteln zu sich genommen. Dann war er fortgeritten, und zwar in südlicher Richtung nach dem Dschebel Tiuasch zu.
Mittlerweile hatten die Mescheer und Sebira den Scheik Omar Altantawi getroffen und eine große Fantasia begonnen. Während dieses fröhlichen Scheingefechtes hatten die wenigen Hamema, welche mit waren, einen wilden Erneb aufgejagt, den sie zum Scherz zu verfolgen begannen. Sie entfernten sich während dieser Verfolgung auf ihren leichtfüßigen Pferden immer mehr von den andern und waren ihnen endlich gar aus den Augen verschwunden. Als diese dann mit ihrem Gaste im Lager anlangten, erfuhren sie die Flucht des Krumirs und ahnten sofort, daß das Verschwinden der Uëlad. Hamema ein absichtliches gewesen sei. Den Plan dazu hatte ihnen der Krumir wohl mitgeteilt, und der Hase war ihnen recht willkommen gewesen, da er dazu dienen konnte, ihre Absicht zu bemänteln.
Nun hatte ein ungeheurer Schrecken die Männer erfaßt. Einige rieten, dem Krumir sofort nachzujagen; andere meinten, man müsse zuvor uns benachrichtigen; noch andere glaubten, es sei am besten, so zu thun, als ob man gar nichts wisse. Man stritt hin und her; darüber verging die kostbare Zeit. Dann wurde der Löwe gebracht, dessen Erscheinen das ganze Lager so in Anspruch nahm, daß man darüber den Krumir vergaß. Als man endlich wieder an ihn dachte, wurde beschlossen, dem Scheik Omar Altantawi die Sache vorzustellen und ihn zu bitten, uns schleunigst aufzusuchen, und so die ersten Schläge des zu erwartenden Gewitters auf sich zu laden. Unterdessen aber waren wir nun selbst eingetroffen. So war eine ganze Reihe von Fehlern begangen worden, die nun leider nicht wieder ungeschehen gemacht werden konnten.
Mohammed er Raman wütete vor Zorn wie ein angeschossenes Wild. Er fluchte auf den eidbrüchigen Krumir und schimpfte auf seine nachlässigen Mescheer. Scheik Ali en Nurabi schwur bei allen Bärten der ganzen Welt, daß er seine Uëlad Sebira erschlagen werde. Mein armer Achmed es Sallah suchte Trost und Hilfe bei mir, der ich allerdings auch nicht gerade voll salbungsvoller Ergebenheit war. Der Ruhigste von allen war der Engländer. Er lag sehr bequem auf seinem alten Teppich, kreuzte seine ewigen Beine übereinander und meinte mit schadenfrohem Lachen:
»Schön! Ausgezeichnet! Nun geht das Abenteuer wieder los. Es wäre ja sonst alle gewesen. Verteufelter Schurke, dieser Krumir! Gefällt mir sehr, dieser Spitzbube! Yes!«
Die Flucht Saadis el Chabirs hatte mit einem Schlage die ganze Physiognomie des Lagers verändert. An unsere Jagderfolge dachte kein Mensch; statt der versprochenen Diffa gab es eine sehr stürmische Beratung; statt der Freude herrschte Aerger, und anstatt der friedlichen Stimmung, auf welche ich seit meinem letzten Schusse sicher gerechnet hatte, hörte man gegenseitige Vorwürfe, welche allerdings ihrer vollen Berechtigung nicht entbehrten. Am zornigsten zeigten sich die beiden Scheiks Ali en Nurabi und Mohammed er Raman. Der erstere hatte seine dreißig unbedachtsamen Krieger versammelt und hielt ihnen unter aufgeregten Gestikulationen eine Strafrede, welche nichts zu wünschen übrig ließ. Und der letztere that ganz dasselbe mit seinen Mescheern, die er Hunde, Memmen, Feiglinge, alte Weiber, Läuse, Kröten und Schweine nannte, die eigentlich von Abu 'l Afrid und el Areth hätten gefressen werden müssen. Dazwischen wurde auch nach den Waffen und Pferden gerannt, um dem Menschen nachzujagen, welcher sich so des außerordentlichen, todeswürdigen Verbrechens schuldig gemacht hatte, seinen Eid zu brechen und seinen Gastfreund zu bestehlen.
Omar Altantawi gab sich alle Mühe, in diese Verwirrung einige Ordnung zu bringen, und ich unterstützte ihn dabei. Aber nur mit Widerstreben ließ man sich belehren, daß vor allen Dingen eine ordentliche Beratung stattfinden müsse, während eine unüberlegte und übereilte Verfolgung alles verderben könne. Infolgedessen schieden sich die Aeltesten von den andern aus und versammelten sich zur Besprechung.
»Rede du, Emir!« sagte Mohammed er Raman zu mir. »Du hast den Vater des obersten Teufels besiegt, du wirst auch den Räuber meines Pferdes fangen. Ich weiß, daß du ihn bereits gefangen hättest, ehe er unser Duar erreichte, wenn man dir gehorcht hätte.«
Das war wenigstens eine vernünftige Rede, die mir alle Hoffnung gab, daß man nicht wieder ganz ungeeignete Vorkehrungen treffen werde. Darum antwortete ich:
»Du bist ein Liebling des Propheten, O Scheik, denn dein Auge ist geöffnet für das, was gut und heilsam ist. Laßt euer Herz frei sein vom Zorne, ihr Männer, damit eure Gedanken nur das beschließen, was zu eurem Besten dient. Hört meine Rede; seht, ob ihr sie befolgen wollt! Ihr habt mir gehorcht, als wir gegen el Areth und Abu 'l Afrid nebst ihren Frauen rüsteten, und darum haben wir sie besiegt; handelt ihr auch jetzt nach meinen Worten, so glaube ich, daß wir den Räuber fangen werden. Das aber sage ich euch: ich habe keine Lust, etwas zu unternehmen, von dem ich mir wieder sagen muß, daß es nicht gelingen werde. Sind eure Beschlüsse gut, so reite ich mit, sind sie aber nicht gut, so bleibe ich zurück!«
»Rede!« ertönte es rings herum.
»Hier ist meine Ansicht; der Krumir ist nach Süden gewichen; wir müssen zwei Abteilungen bilden; die eine folgt ihm unverzüglich, um ihn festzunehmen, sobald sie ihn erreicht, und die andere eilt zu den Hamema, um ihm dort zuvorzukommen, wo er ein Asyl suchen will. Sind die Mescheer mit den Hamema befreundet?«
»Wir leben in Frieden mit ihnen,« antwortete Mohammed er Raman.
Und Omar Altantawi gab eine Antwort, welche noch besser klang:
»Die Beni Hamema wohnen jetzt jenseits des Dschebel Rakmat und des Dschebel Sihdi Ali Ben Aun. Ihre Dörfer gehen zwischen den Bergen von Segedel, el Bageri, el Meheri und der großen Sebcha el Dscherid bis zum Lande der Neffeti und an das Meer, welches die Abendländer den Golf von Gabes nennen. Ihr berühmter Häuptling ist der alte Scheik Jamar es Sikkit, welcher sich im Lager von Sellum befindet, das gegen Feriana liegt – –«
»Sellum und Feriana gehören doch nicht in das Gebiet der Hamema,« unterbrach ich ihn.
»Du hast recht,« antwortete er; »aber es wird dort ein großer Kamel- und Pferdemarkt gehalten, auf dem die Hamema immer die ersten sind. Sie treffen immer zwei Wochen eher ein, als die andern Stämme. Der Krumir kennt diesen Markt, und ich glaube, daß er seinen Ritt ganz sicher von hier nach dem Dschebel Sellum lenkt.»
»Kennst du Jamar es Sikkit?«
»Er ist mein Freund; wir haben das Blut unserer Arme miteinander gewechselt.«
»So bist du der Mann, den wir gebrauchen können. Hast du gute Pferde mit?«
»Ich habe vier Pferde, welche von derselben Güte sind wie der Falbe meines Bruders, den der Krumir mitgenommen hat. Aber diese Pferde sind in Fesschia geblieben.«
»Wir brauchen sie, um den Krumir einzuholen. Willst du sie uns leihen, Omar Altantawi?«
»Leihen? Ich werde selbst mitreiten. Du hast Dschumeilah, mein Kind, errettet; wo du bist, da bin auch ich. Wollt ihr mich mit euch nehmen?«
»Du wirst uns willkommen sein! Mohammed er Raman, hast du Pferde, von denen du glaubst, daß sie schnell genug sind, den Falben einzuholen?«
»Ich zähle fünf von solchen Tieren, aber der Falbe wird ihnen doch wohl überlegen sein.«
»Du darfst nicht vergessen, daß der Krumir seine Hamema bei sich hat, welche nicht so gut beritten sind. Sie sind ganz sicher zu ihm gestoßen, und er muß seine Eile mäßigen, um sie zu seinem Schutze bei sich zu behalten. Also hört die Vorschläge, welche ich euch zu machen habe: Wir dürfen nicht viele Leute mitnehmen, welche gar noch schlecht beritten sind. Darum gehen unsere sechzig Uëlad Sebira sogleich wieder nach ihrem Duar zurück in Seraïa bent.«
Dies wollte Ali en Nurabi nicht zugeben, aber er wurde überstimmt. Die Mescheer hatten ganz dieselbe Ansicht wie ich, daß einige Reiter, welche gute Pferde unter sich hatten und sich ein Ansehen zu verschaffen wußten, sich viel leichter in den Besitz des Räubers und seines Raubes zu setzen vermöchten als eine große Schar, welche das Mißtrauen derer, denen sie begegneten, erregen mußten. Ali en Nurabi erhielt überdies die Versicherung, daß die Mescheer ebenso für seine Sache kämpfen würden, als ob sie seine Untergebenen seien. Dieser Punkt war also angenommen.
»Nun teilen wir uns,« fuhr ich fort. »Mein Pferd und das von Achmed es Sallah, die fünf Pferde hier und die vier in Fesschia, das sind elf Pferde, vollständig genug zur Verfolgung des Krumirs. Von den fünf Pferden des Duars nimmt Mohammed er Raman eines und der Emir aus Inglistan, der einstweilen das seinige zurücklassen wird, eins; auch der Scheik Ali en Nurabi macht sich hier neu beritten; zwei bleiben übrig für zwei tapfere Krieger, welche wir aus dem Duar auswählen. Wir brechen sofort auf, um die Spur des Krumirs zu verfolgen, und Scheik Omar Altantawi reitet eiligst nach Fesschia zurück, um mit seinen vier Pferden, wozu er noch drei Männer von den seinigen auswählt, zu uns zu stoßen. Wie weit ist Fesschia von hier?«
»Ich werde es in ein und einer halben Stunde erreichen, da Not vorhanden ist,« antwortete Omar. »Gewöhnlich reitet man über vier Stunden. Soll ich aufbrechen?«
»Warte noch! Wir müssen erst erfahren, auf welche schnelle Weise du uns erreichen kannst. – Nun ist noch eine andere Abteilung nötig, welche sich nach Abaid, Melhila, Tiuasch, Caraat el Aatasch, Margeba, Sasia, Rakmat, Sihdi Ali Ben Aun, Gwasera, Segedel, el Bagera und Meheri verteilt, um die dortigen Duars zu warnen, den Räuber aufzunehmen. Auf diese Weise bleibt er ohne Schutz und wird uns ganz sicher in die Hände fallen. Mohammed er Raman und Omar Altantawi geben diesen Boten ihre Beglaubigung mit, damit ja keinerlei Zweifel entstehen kann. Wir elf aber bewaffnen uns gut und nehmen möglichst viel Proviant und Munition zu uns, um auch für einen längeren Zug möglichst unabhängig zu bleiben. – Dies sind die Vorschläge, die ich euch zu machen habe. Entschließt euch kurz, denn unsere Zeit ist kostbar!«
Omar Altantawi und Mohammed er Raman stimmten mir sofort bei; infolgedessen zeigten sich auch die andern einverstanden, und so wurden die notwendigen Vorbereitungen in aller Eile getroffen. Zunächst traten die Uëlad Sebira zusammen, um ihren Rückweg anzutreten. Sie hatten teilgenommen an dem weiten Ritte, ohne uns irgend einen nennenswerten Vorteil zu bringen. Sie zeigten einige Sorge darüber, wie sich die Khramemssa bei einer Begegnung zu ihnen verhalten würden, doch beruhigte sie der Hinweis auf das Versprechen des Scheiks derselben. Das wiedergewonnene Bischarihnhedschihn nahmen sie mit, da wir es nicht brauchen konnten.
Sodann wurden die Eilboten nach den verschiedenen Duars abgefertigt, und dann stiegen auch wir zu Pferde. Zuvor hatte ich natürlich Abschied von Dschumeilah genommen; derselbe war ein sehr kurzer, da ihr Vater zugegen war. Sie gab mir ihre besten Wünsche mit und versprach mir, für mich zu beten.
Wir waren jetzt acht Reiter. Die Spur des Krumirs wurde sehr bald gefunden. Sie führte an einen Bach und folgte über eine Stunde lang dem Laufe desselben. In der Nähe des Dschebel Rökada aber bog sie rechts nach Westen ab. Es war klar, daß Saadis el Chabir die Absicht hegte, den Rökada und Semata zu umreiten, um dann entweder den Dschebel Margeba oder über Sihdi bu Ghanem den Dschebel Sebess zu erreichen. Dies letztere war sicherlich der Fall, wenn er nach dem Markte von Sellum gehen wollte. Doch schien mir dies, ganz entgegengesetzt der Ansicht des Scheik Omar Altantawi, nicht sehr wahrscheinlich zu sein; denn Sellum konnte dem Räuber doch keine sichere Zufluchtsstätte bieten, weil hier die Angehörigen sehr verschiedener Stämme zusammenkamen.
Bis jetzt hatte Omar ganz denselben Weg mit uns gehabt; nun aber mußten wir nach Westen biegen, während sein Ziel im Süden lag.
»Wo werde ich mit meinen vier Pferden euch treffen?« wandte er sich an mich.
»Unsere Spur umgeht den Rökada im Norden und wird sich dann jedenfalls wieder nach Süden bis zum Schemata ziehen. Wenn du von Fesschia gerade nach Sonnenuntergang reitest, wirst du ganz sicher auf unsere Fährte stoßen. Wir werden von Zeit zu Zeit einen Zweig in die Erde stecken, damit du dich gar nicht zu irren vermagst.«
»Du glaubst nicht, daß ich euch verfehlen kann?«
»Das ist unmöglich. Wie lange reitest du von Fesschia, welches auf den Bergen liegt, bis du in die westliche Ebene kommst?«
»Eine Stunde.«
»So werden wir, da wir einen Umweg machen, gar nicht lang auf dich zu warten haben.«
Er gab seinem Pferde die Sporen; wir thaten dasselbe, und bald hatten wir uns aus den Augen verloren. Darauf dauerte es nicht mehr sehr lange, so trafen wir auf die Fährte der sechs Uëlad Hamema, welche hier mit derjenigen des Krumirs zusammentraf. Sie hatten also wirklich im Einvernehmen mit ihm ihre Entfernung von den Mescheern bewerkstelligt. Dann überschritten wir die Karawanenstraße, welche die südliche er Ramada durchschneidet, um die Hamada el Uëlad Ayar von Makten und Ras bu Falha aus über Haru el Haschern mit dem algierischen Tebessa zu verbinden. Gleich hinter derselben bog die Spur nach Süden ab, wodurch also meine Vermutung als richtig bestätigt wurde. Es war wirklich zu bewundern, daß Saadis el Chabir gar nicht daran gedacht hatte, seine Fährte zu verbergen oder unkenntlich zu machen. Sie lag so offen und klar vor uns, daß selbst der Unerfahrenste sich unmöglich in ihr irren konnte. Er mußte doch bereits erfahren haben, daß eine solche Sorglosigkeit zu seinem eigenen Schaden sei.
Es dauerte jedoch nicht lange, so sollte ich anderer Meinung werden. Als wir nämlich bereits so weit gekommen waren, daß wir die Vorberge des Hochplateaus von Sihdi bu Ghanem sich vor uns erheben sahen, begann der Boden felsig zu werden, und die Spur war nur zuweilen an einem aus seiner ursprünglichen Lage gestoßenen Steinchen, einer kaum sichtbaren Einschärfung oder einer ganz unbedeutenden Abrutschung zu erkennen. Ich mußte allen Scharfsinn aufbieten, um sie zu entdecken, und so kamen wir nur Schritt um Schritt vorwärts. Endlich, nach über einer halben Stunde, kamen wir wieder auf erdiges Terrain, aber – ich blieb augenblicklich halten, denn ich erkannte die Hufeindrücke von nur zwei Pferden.
»Halt!« gebot ich; »berührt mir diese Ethar nicht!«
Ich stieg ab und maß. Der Krumir war doch endlich auf den klugen Gedanken gekommen, uns zu täuschen.
»Was siehst du?« fragte Mohammed er Raman.
»Daß wir auf einer falschen Spur sind.«
»Maschallah, du hast dich täuschen lassen!«
»Ich werde nie getäuscht! Reitet einige hundert Schritte zurück! Ich muß diesen Felsen genauer untersuchen. Nur Achmed es Sallah mag hinter mir bleiben.«
Dieses letztere verlangte ich, um den Glauben zu erwecken, daß der brave Achmed wirklich etwas von der regelrechten Verfolgung einer schwierigen Fährte verstehe.
Ich bog rechts von der bisherigen Richtung ab, konnte aber trotz aller Sorgfalt nicht das Geringste bemerken. Ich ging also nach links hinüber und suchte. Meine Aufgabe war nicht leicht, da die Pferde der Verfolgten alle barfuß gingen. Hätten sie Eisen getragen, so wären genug sichtbare Eindrücke hinterlassen worden. Endlich, nach ziemlich langem Forschen, bemerkte ich, was ich suchte.
»Achmed, komm näher!« sagte ich. »Ich will einmal sehen, ob du eine Fährte entdecken kannst. Suche hier!«
Er that es, aber vergeblich.
»Sihdi, ich sehe nichts. Der Felsen ist hart und glatt, daß kein Huf ein Zeichen zurückzulassen vermag.«
»Und doch! Blicke hier hernieder. Was siehst du?«
Er bückte sich und sah scharf hin.
»Ein ganz wenig Mehl, wie von einem zermahlenen Steinchen.«
»Richtig! Es war wirklich ein Steinchen, welches zermahlen wurde. Siehe genau hin, wie es zerrieben wurde! Geschah dies durch einen geraden Stoß von oben oder auf eine andere Weise?«
»Es sieht aus, als ob das Steinchen dadurch zerrieben wurde, daß sich jemand mit der Ferse darauf drehte.«
»So ist es. Es hat jemand darauf getreten und sich dabei auf der Ferse gedreht. Bei welcher Gelegenheit aber muß dies geschehen sein?«
»Sihdi, wie kann ich das wissen? Ich bin nicht dabei gewesen.«
»Wenn jemand sehr vorsichtig und langsam vom Pferde steigt, so berührt er zunächst mit dem rechten Fuße die Erde, und indem er den linken aus dem Steigbügel zieht, um ihn auf den Boden zu setzen, wird sich der rechte ein wenig drehen, aber einen bedeutenden Druck ausüben, weil das ganze Gewicht des Körpers auf ihm ruht. Ist dieser rechte Fuß nun zufälligerweise auf ein kleines Steinchen zu liegen gekommen, und besteht der Boden aus einem so harten Felsen wie dieser ist, so wird das Steinchen zerdrückt und zerrieben werden. Daraus folgt zunächst, daß einer der Reiter hier sehr vorsichtig und behutsam von seinem Pferde gestiegen ist. Warum aber behutsam, Achmed?«
»Damit der Huf des Pferdes dabei keine Spuren macht. Habe ich es erraten, Sihdi?«
»Ja. Es ist ganz derselbe Grund, wegen dessen der Reiter überhaupt abgestiegen ist; er hat das Pferd erleichtern wollen, damit jeder Hufeindruck vermieden werde. Nun aber müssen wir erfahren, ob auch die andern abgestiegen sind.«
»Wie willst du dies erfahren?«
»Ich werde suchen.«
Ich forschte weiter und machte recht bald einen zweiten Fund:
»Schau hier, Achmed, was ist das?«
»Eine Schlange, mit einem Messer in den Stein gezeichnet.«
»Nicht mit einem Messer, sondern entweder mit einer eisernen Lanzenspitze oder mit dem Fersenstachel. Die Hamema haben statt der Sporen eiserne Stachel, wie du gesehen haben wirst. Es ist einer hier abgestiegen und ausgeglitten; hierbei hat der Stachel den Boden geritzt. Oder der Mann hat die Spitze seiner Lanze während des Absteigens aufgestemmt und ist mit derselben ausgerutscht. So ist die Schlangenlinie entstanden. Zwei also sind vom Pferde gestiegen, folglich die übrigen wohl auch. Die Tiere sollten so leicht wie möglich auftreten können.« Ich suchte weiter. »Sage den Männern, daß sie langsam folgen sollen!«
Ich folgte der jetzt eingeschlagenen Richtung weiter und gewahrte bereits nach fünf Minuten da, wo der Stein in weicheres Erdreich überging, abermals die Spuren zweier Pferde. Nun erriet ich sehr leicht das Experiment des Krumirs und rief meine Begleiter herbei.
»Was hast du gefunden?« fragte Ali en Nurabi.
»Daß der Krumir doch nicht so unvorsichtig ist, wie ich dachte,« antwortete ich. »Er hat sich sehr viel Mühe gegeben, uns in die Irre zu führen.«
»Hast du seine Spur verloren?«
»Nein. Seht euch einmal diese Gegend an! Der felsige Boden, welcher nun hinter uns liegt, geht hier in ein weicheres Erdreich über. Die Grenze zwischen dem Stein und der Erde ist ziemlich scharf und geht hier links hinüber, indem sie einen weiten, halbkreisförmigen Bogen bildet. Um uns nun von sich abzulenken, ist Saadis el Chabir mit seinen Leuten vom Pferde gestiegen, damit die Tiere leicht auftreten konnten und möglichst jede Spur vermieden, hat sich längs dieser Grenze auf dem harten Boden hingeschlichen und von Zeit zu Zeit zwei seiner Reiter von sich abgeordnet. Auf diese Weise müssen vier verschiedene Fährten entstehen, von denen eine jede nach einer anderen Richtung geht. Entweder stoßen sie später wieder zusammen, oder der Krumir setzt mit Mochallah seinen Weg allein fort und hat sich von den andern gänzlich getrennt; in der Hoffnung, daß wir einer von ihren Spuren folgen werden und ihn also auf diese Weise entkommen lassen. Zwei Fährten habe ich bereits entdeckt; die beiden andern werden wir sicher auch bald sehen, wenn wir immer an der Grenze zwischen dem Felsen und dem lockern Boden hinreiten. Es soll ihm nicht gelingen, uns zu betrügen. Kommt und folgt mir weiter!«
Ich ging voran und fand auch bald die dritte Fährte. Als ich mein Papier auflegte, fand es Sich, daß sie nur von zwei Hamema herrührte. Jetzt war also nur noch eine Spur zu erwarten, und diese mußte nun dem Krumir angehören.
Während wir der jetzigen Richtung weiter folgten, sahen wir hinter uns vier Reiter auftauchen. Es war Omar Altantawi mit seinen drei Messcheern, welche sich als außerordentlich gut beritten zeigten. Nachdem sie begrüßt und über den Grund unseres langsamen Vorrückens unterrichtet waren, setzten wir die Suche fort.
Es dauerte lange, lange, ehe ich endlich die gesuchten Hufeindrücke fand. Mein Papier paßte ganz genau in die Stapfen des einen Pferdes; dieses war die Milchstute gewesen, und um ganz sicher gehen zu können, riß ich ein neues Blatt aus meiner Zeichenmappe, um mir auch von dem Falben eine genaue Abbildung der Hufe zu verschaffen.
Nun aber ging es mit verdoppelter Eile auf der neu entdeckten Fährte weiter, denn wir hatten eine nicht unbedeutende Zeitversäumnis einzubringen. Ich war begierig zu erfahren, welche Richtung der Krumir nun eingeschlagen haben würde, denn aus dieser Richtung konnten wir auf seine Pläne schließen. Nach Verlauf von kaum einer Stunde war ich mir über sie im klaren.
Vom Dschebel Sebissa, an der algierischen Grenze, Tebessa gegenüber, zieht sich ein bisher noch wenig bekanntes Flußgebiet quer durch Tunesien bis zur Sebcha Sihdi el Hani, welche auch der See von Keruan genannt wird, im Osten des Landes. Mehrere, wenn auch unbedeutende Wasserläufe münden von Süden und von Norden her in dieses Gebiet, und einer der vornehmsten dieser Zuflüsse ist der Sufletwa, welcher am Dschebel Semeta entspringt, etwa vierzig Kilometer weit gerade nach Süden geht und dann unterhalb des Ortes Sbeitla oder Sufletwa nach Osten biegt. Wir fanden, daß der Krumir sich an dem rechten Ufer dieses Flüßchens immer abwärts gehalten hatte. Das war die Richtung nach dem Dschebel Margeba, an dessen Fuß eine Ferkah der Mescheer ihre Herden weidete. Auch dorthin hatten wir Boten gesandt, und es kam nur darauf an, wer eher ankam, er oder sie. Er hatte die besseren Pferde für sich, sie aber die gerade Richtung über den Tiuasch und die südwestliche Hochebene des Haluk el Melbila. Sie ritten jedenfalls die ganze Nacht, während er, um das Mädchen zu schonen, wahrscheinlich ein Lager nehmen mußte.
Wir konnten unsere Pferde anstrengen und trotz der Aufmerksamkeit, welche ich auf die Spur zu verwenden hatte, in der Stunde über eine deutsche Meile zurücklegen. So kamen wir gegen Sonnenuntergang an dem östlichen Ausläufer der Semmema Amram vorüber und hielten, als es dunkel war, in der Nähe des Karawanenweges zwischen Sbeitla und Semela de Feraschisch an, um die Nacht vorüber zu lassen.
Bei Tagesanbruch saßen wir bereits wieder im Sattel. Es gab hier Grasland ringsumher, und darum waren die gestrigen Spuren des Krumirs noch zu erkennen. Zu meiner Verwunderung aber führten dieselben nicht nach Margeba, sondern rechts ab auf das Belad Aatasch zu. Es lag also in seiner Absicht, alle Stämme der Mescheer zu vermeiden und direkt zu den Hamema jenseits Sihdi Ali Ben Aun zu gehen. Es lag mir sehr daran, hierüber Gewißheit zu erlangen, besonders als ich, bei seinem Lagerplatz angekommen, bemerkte, daß er nur kurze Zeit ausgeruht hatte und bereits vor Mitternacht wieder aufgebrochen war. Er hatte dadurch seinen Vorsprung um wenigstens drei Stunden vergrößert.
Mit anhaltender Eile vorwärts strebend, hatten wir das Flußthal von Aatasch bald erreicht, setzten über das seichte und nicht sehr breite Wasser und langten noch am Vormittage auf der Höhe der Nubaberge an. Von hier aus lief die Spur nach Südosten in die große Vorebene von ed Deban hinab, und nun war ich meiner Sache gewiß.
Ich hielt an und stieg ab, um die Pferde einige Minuten ausruhen zu lassen.
»Scheik Omar Altantawi,« fragte ich, »du weißt sicher, daß Jamar es Sikkit, der alte Scheik der Hamema, sich im Lager zu Sellum befindet?«
»Ja.«
»Wie lange brauchst du von hier aus, um das Lager zu erreichen?«
»Man reitet wohl fünf Stunden, aber in der Not brauche ich nicht zwei.«
»Und wie weit wird es von hier aus nach dem ersten Duar der Hamema sein, welches dort jenseits der Ebene bei Ben Aun liegt?«
»Man reitet sieben Stunden; bei unserer Schnelligkeit aber erreichen wir den Ort ganz sicher in drei.«
,Dieser Krumir ist hier links hinab nach Ben Aun; er befindet sich wohl bereits unter dem Schutze der Hamema, denn er hat wenigstens fünf Stunden Vorsprung, und unsere Boten können unmöglich bereits dort angekommen sein.«
»Emir, so müssen wir rasch nach Sellum reiten und den alten Scheik holen!«
»Das wollte ich ja auch sagen. Nur er kann uns helfen; aber wir müssen bis dahin den Krumir festhalten und beaufsichtigen. Zwei Mann nach Sellum sind genug. Nimm einen deiner Mescheer und reite hinüber, während wir andern hier weiter gehen. Wenn deine Zeitangaben richtig sind, so reitet man von Sellum bis Ben Aun höchstens sechs Stunden, und du kannst also mit dem Scheik bereits vor Sonnenuntergang wieder bei uns sein.«
»O, Effendi, von Sellum nach Ben Aun geht ein sehr guter Karawanenweg. Wenn ich Jamar es Sikkit gleich finde, werde ich noch früher bei euch eintreffen. Seid guten Mutes! Die Hamema kennen meine zwei Männer, welche bei euch sind, sie werden sich nicht weigern das zu thun, was ihr von ihnen verlangt.«
Er ritt mit seinem Mescheer nach rechts ab. Wir gaben unsern Pferden einige Datteln und folgten darauf unserm Wege. Es ging alles so, wie ich es vermutet hatte; auch die Berechnung Altantawis stimmte, und kurz vor der Mittagszeit erblickten wir von fern den ersten Reiter, der auf die Nähe eines Duars schließen ließ. Bald gesellten sich mehrere und noch mehrere hinzu, die zu einer Truppe anwuchsen, welche uns im brausenden Galoppe entgegenkam. Wir wurden von ihnen umringt. Ali en Nurabi ergriff das Wort:
»Sallam alleikum! Zu welchem Stamme gehöret ihr?«
»Wir sind Hamema vom Ferkah Feran,« antwortete einer.
»Wie heißt der Scheik dieser Ferkah?«
»Janiar es Sikkit Ben Mulei Halefis Bukadani. Und ich bin Sar Abduk Ben Jamar es Sekkit, der Anführer dieser Männer.«
»So bist du der Sohn des Scheik. Wir hören, daß er sich im Lager von Sellum befindet?«
»Ihr habt recht gehört. Wollt ihr zu ihm?«
»Wir wollen in euer Duar, um euch um Brot und Salz zu bitten,«
»Wer seid ihr?«
»Ich bin Ali en Nurabi, der Scheik der Rakba vom Ferkah Uëlad Sebira. Dieser Scheik ist Mohammed er Raman, der Anführer der Mescheer vom Dschebel Schefera; diese beiden Männer sind Emire aus dem fernen Frankistan, und die andern sind Mescheer, die uns begleiten.«
»Ich kenne euch,« antwortete der Hamema stolz. »Ihr werdet weder Salz noch Brot mit uns essen, denn ihr seid die Feinde unserer Freunde.«
»Du irrst. Wir kommen – –«
»Schweig!« unterbrach ihn Sar Abduk mit drohender Stimme. »Du sagtest, daß du Ali en Nurabi seiest, der Scheik der Uëlad Sebira. Seid ihr nicht Feinde der Hamema Uëlad Mateleg, welche ihr auf der Karawanenstraße von Testur nach Kef bekämpfen wollt?«
»Sie wollen die Kafila berauben, welche unter unserm Schutze steht!«
»Wer hat sie in euern Schutz gegeben? Mohammed es Sadak Pascha! Ihr seid die Knechte eines Pascha geworden und kämpft für elende Krämer mit eurem Blute, um noch elenderes Geld zu erlangen. Ihr seid unsere Feinde und wollt Brot und Salz mit uns essen! Ihr verfolgt unsern Freund und Bruder Saadis el Chabir und verlangt Gastfreundschaft von uns! Ihr wagt es sogar, zwei Giaurs aus Frankistan zu uns zu bringen, um uns, unsere Zelte, unser Duar, Weiber und Kinder zu verunreinigen! Allah verdamme diese ungläubigen Hunde! Ein guter Moslem speit vor ihnen aus und bindet sie an den – –«
»Speie aus, du Knabe!« unterbrach ich ihn.
Mit einem einzigen Satze meines Pferdes war ich an seiner Seite, faßte ihn beim Genick, riß ihn quer zu mir über den Sattel herüber und setzte ihm das Messer an die Kehle. Ließ ich mir eine so schwere Beleidigung gefallen, so wäre unsere Sache ein für allemal verloren gewesen. Im Nu hatten alle Hamema die Waffen zur Hand, aber auch meine Leute waren schußbereit. Mein Ueberfall war so schnell, so unerwartet und so kräftig geschehen, daß Sar Abduk sich in meiner Hand befand, ehe er nur daran denken konnte, sich zu wehren. Ich ließ ihm die Spitze meines Messers an der Gurgel fühlen und sprach:
»Wärst du nicht der Sohn des Scheik Jamar es Sikkit, den ich achte und verehre, so würde dich mein Messer an die Brücke es Ssirath jagen. Aber ich sage dir, redest du noch ein einziges Wort, welches mir nicht gefällt, so ist deine Seele dem Engel des Todes verfallen. Geh hin, und steige wieder auf dein Pferd!«
Ich ließ die Hand von ihm, und er rutschte von meinem Pferde herab. Er stand da, ganz bleich vor Schreck, vor Scham und Grimm, und starrte mich wie abwesend an. Dann zog er seinen Dolch und drohte:
»Was hast du gewagt, Fremder! Soll ich dich erstechen?«
Ich hielt ihm den Revolver entgegen.
»Du mich? Hat dir mein Messer nicht bereits an der Kehle gesessen? Erhebe die Hand, wenn du zu deinen Vätern versammelt sein willst! Es ist besser für dich und euch, wenn ihr in Frieden vernehmt, was wir von euch begehren, denn wir fürchten euch nicht, trotzdem ihr mehr seid als wir, und noch vor Untergang der Sonne wird Jamar es Sikkit von Sellum herüberkommen, um euch zu sagen, daß wir eure Gäste sind.«
»Er kommt nicht!«
»Er kommt, sage ich! Kennst du Omar Altantawi, den Scheik der Mescheer von Hadscheb el Aiun und Hamra Kamuda?«
»Ich kenne ihn.«
»Ist er euer Feind?«
»Er ist unser Bruder.«
»Nun wohl. Er ist mit uns gewesen und jetzt nach Sellum geritten, um Jamar es Sikkit, deinen Vater, zu holen.«
»Sagest du die Wahrheit?«
»Ein Emir aus Frankistan sagt niemals eine Lüge! Siehe diese beiden Mescheer vom Ferkah des Scheiks Altantawi! Kennst du sie?«
Meine Furchtlosigkeit schien ihm zu imponieren, da er mir so gutmütig Rede stand. Und jetzt, als er die beiden Männer zum erstenmal genau ansah, hatte es ganz den Anschein, als ob er ein wenig verlegen würde.
»Ich kenne sie,« antwortete er.
»So wirst du dich wohl hüten, uns feindlich zu behandeln, bevor du die Befehle deines Vaters vernommen hast.«
»Was wollt ihr von uns?«
»Beantworte meine Frage: Ist Saadis el Chabir bei euch, der Krumir vom Ferkah ed Dedmaka?«
»Ja.«
»Er hat uns zwei Pferde und ein Mädchen geraubt. Wir verlangen, daß du ihn und seinen Raub an uns auslieferst!«
»Er ist unser Führer gewesen auf vielen unserer Wanderungen; er hat heut wieder Salz mit uns gegessen und Wasser mit uns getrunken; wir werden ihn keinem Menschen ausliefern!«
»So wirst du die Verantwortung aller Folgen übernehmen müssen!«
»Ich übernehme sie. Ihr seid unsere Feinde; ihr steht unter der Blutrache, denn ihr habt einen Hamema getötet im Duar von Serdia bent.«
»Er war ein Räuber; er wollte dieses Pferd, auf welchem ich sitze, rauben und einen unserer Männer töten.«
»Sein Blut muß dennoch gerächt werden!«
»Aber nicht von euch. Er gehörte nicht zu euch, sondern zum Ferkah Uëlad Mateleg, das nur in sehr weiter Verwandtschaft zu euch steht.«
»Aber er ist ein Hamema. Wir werden euch festhalten und an die Uëlad Mateleg ausliefern.«
»Und wenn alle Hamema zusammenträten, um uns zu halten, es würde ihnen nicht gelingen, das sage ich dir. Aber wir werden freiwillig bei euch bleiben, denn wir wollen die Ankunft deines Vaters erwarten. Führe uns in dein Duar!«
»Daß thue ich nicht. Bis der Scheik Jamar es Sikkit über euch entschieden hat, werden wir euch als unsere Feinde betrachten. Wir werden euch bis vor das Duar führen und dort bewachen, bis er kommt.«
»Thue das! Aber ich warne dich, den Krumir entkommen zu lassen. Er mag unter euerm Schutze bleiben, bis der Scheik euch seinen Willen kund gethan hat!«
Die Hamema nahmen uns in ihre Mitte und führten uns bis vor das Duar, welches mitten in der freien Ebene lag. Aber im Südosten sahen wir die Spitzen des Dschebel Gwassera, im Süden die Höhen des Dschebel Maschura und zwischen beiden den einsamen Kamm des Dschebel Segedel am Horizonte sich erheben.
Wir lagerten uns nieder, und ließen unsere Pferde rund um uns grasen. Eine weit überlegene Anzahl bewaffneter Hamema umstellte uns; aber keiner von ihnen nahte sich, um ein Wort mit uns zu sprechen oder uns einen Schluck Wasser zu bringen, dessen wir so sehr bedurften. Unser Gespräch drehte sich ganz allein um die Sorge, daß man uns den Krumir entschlüpfen lassen werde, eine Sorge, welche leider nicht ganz unbegründet war. So verging eine Stunde nach der andern; die Sonne sank vom Zenithe immer weiter herab, und mit ihr sank auch unsere Geduld. Da endlich sahen wir an einer Bewegung der uns umstellenden Hamema, daß sich auf der Ebene draußen irgend etwas ereigne. Ein Trupp von ihnen verschwand aus der Nähe und kehrte bald mit drei Reitern zurück, unter denen wir Omar Altantawi erkannten; der dritte war jedenfalls der so sehnlichst erwartete Scheik Jamar es Sikkit. Er war ein Siebenziger von hohem, noch ungebeugtem Wuchse; sein faltiges Angesicht war von der Sonne bis zur Lederfarbe verbrannt, und sein dichter, schneeweißer Bart hing ihm bis über die Brust herab.
Wir erhoben uns von der Erde. Er sprang mit seinen zwei Begleitern vom Pferde und erhob bewillkommnend die Hände:
»Seid mir gegrüßt, ihr Brüder meines Freundes. El Schems leite eure Wege und el Kamar bewache die Ruhe eurer Nächte. Eure Väter freuen sich über euern Wandel, und eure Söhne nehmen sich die Thaten eures Armes zum Vorbilde. Welcher von euch ist der Scheik Ali en Nurabi, der Anführer der Sebira?«
»Ich bin es,« antwortete der Genannte.
»Reiche mir deine Hand. Deine Seele ist betrübt von einem großen Verluste; aber tröste dich, denn ich werde dir wiedergeben alles, was man dir genommen hat! Welcher ist Mohammed er Raman, der Scheik der Mescheer?«
»Ich bin es!«
»Reiche auch du mir deine Hand, denn du bist der Bruder dessen, den ich liebe! Du sollst mir willkommen sein heute und allezeit! Wer sind die beiden Emir aus dem Frankenlande?«
»Diese beiden sind es,« antwortete Omar Altantawi. »Dieser redet die Sprache der Gläubigen, jener aber nicht.«
Der Alte blickte mich lange vom Kopfe bis herab zu den Füßen an; dann sagte er:
»Emir, ich habe viel von dir vernommen. Du fürchtest dich vor einer ganzen Schar von Feinden nicht; du hast den Sihdi es Salßali getötet und Abu 'l Afrid überwunden; du kannst die Darb und Ethar lesen, wie ein Taleb im Buche liest. Wenn des Abends am Feuer die Lieder von den Siret el behluwan und den Siret el modschaheddin ertönen, so wird man auch deinen Namen hören. Allah segne deinen Eingang in mein Lager, obgleich du ihn in einer andern Weise verehrst! Aber Allah illah Allah – Gott ist Gott; er ist derselbe, welchen Namen man ihm auch geben kann. Sage dem andern Emir, der meine Worte nicht versteht, daß er mir und den Meinen willkommen ist!«
»Ich danke dir, Jamar es Sikkit! Dein Herz ist erfüllt von Güte, und deine Seele ist die Wohnung der Weisheit und des Verstandes. Wir sind bisher zurückgewiesen worden von den Deinen; aber du lässest Gerechtigkeit walten und giebst der Wahrheit die Ehre, wie es der Prophet geboten hat. Geleite uns in dein Zelt, denn es verlangt mich, Worte der Freundschaft zu sprechen mit dem weisesten und berühmtesten Scheik der Hamema!« antwortete ich.
»Setzt euch wieder auf!« bat er. »Solche Gäste sollen ihre Füße nicht bestäuben, wenn sie einziehen in das Duar Sikkits, des Hamema.«
Wir stiegen also wieder zu Pferde und ritten in das Lager ein. Am Eingange zu demselben erwartete uns Sar Abduk, der Sohn des Scheiks. Seine Miene war eine finstere. Er sah, wie willkommen wir seinem Vater waren, und versteckte seine Verlegenheit hinter einem unwilligen Angesichte.
»Mein Sohn,« gebot es Sikkit, »heiße meine Gäste willkommen, denn sie sind auch die deinigen!«
Der Angeredete gehorchte und reichte uns allen die Hand; dann schloß er sich uns an, während wir durch das Lager ritten. Vor dem großen Zelte des Scheiks angekommen, stiegen wir ab, und auf den Wink des Anführers regten sich viele Hände, um unsere Pferde in Empfang zu nehmen, und Matten zu den nötigen Sitzen herbeizuschaffen. Das alles hatte einen recht patriarchalischen Anstrich. Hätten Palmen dagestanden, so wäre man versucht gewesen zu glauben, daß man im Haine Mamre bei Abraham bewillkommnet werde. Jamar winkte einen jungen Beduinen herbei.
»Man schlachte von meinen Lämmern und bereite für meine Gäste ein Mahl, wie es dem Hungrigen gefällt!« befahl er.
Ich aber hielt es für geraten, dagegen noch zu protestieren: »Erlaube, o Scheik, daß nicht eher eine Speise über unsere Lippen komme, als bis die Sache erledigt ist, wegen der wir zu dir gekommen!«
»Herr,« antwortete er, »ich sehe, daß du handelst wie ein Mann, dem Allah die Kraft des Willens und der That verliehen hat. Ich würde gerade so thun wie du, und dein Wunsch soll erfüllt werden.« Er wandte sich zu seinem Sohne. »Man rufe Saadis, den Krumir, herbei!«
In dem Gesichte des jungen Mannes zuckte es eigentümlich, und erst nach einer kleinen Weile antwortete er:
»Er ist nicht hier.«
Wir traten alle bei diesen Worten einen Schritt näher. Der Alte runzelte die Stirn und sagte:
»Nicht hier? Wo ist er?« »Fort.« »Allahi! Warum?« »Weil er hörte, daß diese Männer angekommen seien.« »Was hat er mitgenommen?« »Das Mädchen.« »Und auch die beiden Pferde, auf denen er kam?« »Ja.«
»Allah 'l Allah, ïa Allah! Und du hast ihn fortgelassen!« brauste der Scheik auf. »Ist dein Verstand finster geworden, daß deine Gedanken solche falsche Pfade wandeln? Du vernichtest meinen Namen und zerstörst den Ruhm meines Hauses. Du bist der älteste meiner Söhne, aber der jüngste unter ihnen hätte klüger gehandelt!«
Sar Abduks Augen funkelten.
»Konnte ich ihn zurückhalten?« fragte er zornig. »Er war unser Gast und unser Bruder. Was gingen mich die Sachen dieser Männer an, die mich vom Pferde rissen und mir mit dem Messer drohten!«
»Wer hat das gethan?«
»Ich,« antwortete ich. »Sar Abduk nannte uns Giaurs, welche Allah verdammen müsse, und die man anspeien solle. Würdest du dies dulden, Scheik? Allah hat mir die Kraft der Arme gegeben, wie sie kein Hamema besitzt; ich nahm den Lästerer vom Pferde und legte ihm das Messer an die Kehle, um ihm zu zeigen, was er eigentlich verdient habe. Aber weil er der Sohn es Sikkits war, gab ich ihn wieder frei. Anstatt mir nun zu danken, verklagt er mich, daß ich gütig und barmherzig gegen ihn war.«
Der Scheik blickte lange vor sich nieder. Kein Zug seines ehrwürdigen Angesichts verriet die Gedanken, die ihn jetzt beschäftigten, und die Gefühle, welche ihn bewegten. Dann fragte er den Sohn:
»Wußtest du, daß Omar Altantawi mich holen wollte?«
»Ja,« antwortete er zögernd.
»So durftest du nichts thun und nichts erlauben, bevor ich selbst gekommen war. Du hast mein Angesicht beschämt und wirst die Strafe büßen müssen. Wohin hat sich der Krumir gewendet?«
»Er will von hier nach dem Dschebel Sihdi Aisch, dann nach dem Uëlad Schahia, um über Seddada, Toser, Nefta, Sidi Khalifat und Tarsud nach Tuggurt zu gelangen.«
»Hat er dir einen falschen Weg gesagt?«
»Nein.«
»So will ich dir deine Strafe sagen: Du nimmst unsere schnellsten Pferde und so viele Krieger, als du bedarfst, und jagst ihm augenblicklich nach. Wo du ihn triffst, da nimmst du ihn gefangen oder tötest ihn. Nie sollst du wieder vor mein Angesicht kommen, als wenn du das Mädchen und die beiden Pferde zurückbringst. Ich schwöre es bei Allah und Mohammed, dem Propheten!«
»Gefangen nehmen oder töten?« rief der Sohn. »Er ist unser Gast!«
»Nein, er ist nicht mehr unser Gast. Wäre er es noch, so hätte er seinen Raub zurückgeben müssen, ihn selber aber hätte keiner anrühren dürfen. Nun aber hat er unsere Zelte verlassen; er steht unter seinem eigenen Schutze.«
»Aber er war unser Führer!«
»Er war es, aber er ist es nicht mehr. Er hat zweimal seinen Schwur gebrochen und zweimal die Gastfreundschaft mit einem Raub belohnt, wie ich von Omar Altantawi erfahren habe; er soll von jetzt an sein wie die Hyäne, welcher man keine Kugel giebt, sondern die man mit dem Knüttel totschlägt. Laß die Pferde satteln, denn es ist keine Zeit zu verlieren. Meinen Schwur hast du gehört, und bei den Gebeinen meiner Väter, ich werde ihn halten!«
Da widersprach Mohammed er Raman:
»Laß deine Krieger hier, o Scheik! Glaubst du, wir könnten andern überlassen, wozu wir selbst die Kräfte haben? Sollen wir hier feig und thatenlos sitzen bleiben und vor Ungeduld vergehen? Nein, wir selbst jagen ihm nach. Habe ich recht gesprochen, ihr Männer?«
Wir stimmten ihm unter lautem Zurufen bei. Der Scheik wollte widersprechen:
»Ihr werdet ihn nicht finden; ihr kennt die Gegend nicht!«
»O, dieser Emir kann die Spuren lesen,« antwortete Ali en Nurabi. »Wir werden auf seiner Ferse sein, bis er in unsere Hände fällt.«
»So ruht euch wenigstens vorher aus, und nehmt das Mahl der Gastfreundschaft von mir an!«
»Verzeihe, Jamar es Sikkit,« antwortete ich. »Du weißt, wie kostbar eine jede Minute für uns ist. Wir müssen fort!«
»So nehmt von mir mit, was euer Herz begehrt. Und dieser, mein Sohn, soll bei euch sein, denn der Scheik der Hamema hat noch nie sein Wort zurückgenommen. Seine Stute ist schnell wie der Blitz; der Räuber kann ihr nicht entgehen. Und noch eine andere habe ich, die noch von keinem zweiten Pferde eingeholt wurde. Ich leihe sie euch, wenn eins eurer Tiere ermüdet ist.«
Das war ein hochherziges, seltenes Anerbieten, und ich zögerte nicht, sofort zuzugreifen:
»Dein Herz spendet Wohlthat wie die tauende Nacht, o Scheik! Dieser tapfere Achmed es Sallah, mein Freund und Gefährte, hat seine Wadi Serrat-Stute zu sehr ermüden müssen, so daß ihr vielleicht die Kraft versagt, wenn dieselbe am nötigsten ist. Behalte sie hier, und leihe ihm dafür die deinige, Er wird sie lieben und pflegen, als ob sie ihm gehörte, und sie wieder gegen die seinige umtauschen, wenn wir zurückkehren!«
Es lag mir sehr daran, Achmed bei Ergreifung des Krumir eine hervorragende Rolle spielen zu lassen, da er sich ja Mochallah verdienen mußte. Deshalb war es notwendig, ihm zu einem Pferde zu verhelfen, welches seinem jetzigen, das bereits über seine Kräfte hatte thun müssen, überlegen war.
»Er mag sie nehmen,« antwortete der Scheik. »Kein Bedawi verborgt seine Stute; aber euer Recht wurde von den Meinen verletzt, und so will ich mich nach Kräften bemühen, euch wieder zu demselben zu verhelfen.«
»Wie lange ist es her, daß der Krumir das Duar verlassen hat?« fragte ich Sar Abduk.
»Die Sonne hat seitdem den fünften Teil ihres Bogens durchlaufen.«
»Sind Fackeln im Lager?«
»Ja.«
»Man nehme welche mit, damit wir auch des Nachts reiten können!«
So waren wir denn wieder einmal in der Erwartung, den Krumir fest zu haben, betrogen worden. Aber das gütige Verhalten des Scheiks machte jeden Vorwurf zur Unmöglichkeit. Sein Sohn ergab sich ruhig in seine Lage, und nach und nach schien die Jagd nach dem Räuber sein Interesse immer mehr in Anspruch zu nehmen. Er hatte sich durch den Krumir gegen uns einnehmen lassen, schien aber im Verlauf unseres Rittes die Buße gar nicht hart zu finden.
Mein wackerer Achmed saß in wahrhaft fürstlich stolzer Haltung zu Pferde. Ein so edles Tier hatte er noch nie unter sich gehabt, und es war ihm die Ungeduld, den Krumir zu Gesicht zu bekommen, sehr leicht anzumerken. Bei einer etwaigen Hetzjagd blieb er sicherlich nicht der letzte.
Es war eine Stunde vor Sonnenuntergang, als wir das Duar verließen. Sar Abduk wollte sich als Führer an unsere Spitze setzen, mußte aber zurückbleiben, denn die Spur war mir zuverlässiger als das, was ihm der Krumir über seine beabsichtigte Route mitgeteilt hatte. Diese Mitteilung konnte recht leicht eine Lüge sein.
Die Fährte wurde gefunden, und da wir die kurze Stunde noch recht ausgiebig benutzen wollten, so flogen unsere Pferde nur so über die Ebene dahin. Sie konnten sich später erholen und so trieben wir sie zur höchsten Eile. Als die in jenen Gegenden so kurze Dämmerung hereinbrach, hatten wir den vier Meilen langen Weg bis zum Sihdi Aisch zur Hälfte zurückgelegt.
Nun brach die Nacht herein; el Mogreb wurde gebetet, und dann brannten wir die Fackeln an. Natürlich kamen wir nun langsamer vorwärts und erreichten den Dschebel Aisch erst nach weiteren zwei Stunden. Hinter demselben, also westlich von ihm, sendet der Tarfaui seine klaren Wellen nach Süden zu. Er entspringt, wenn ich mich recht besinne, auf dem Höhenzuge, welcher sich südlich von dem Dschebel Schambi von Nordost nach Südwest erstreckt, geht an Feriana vorüber, macht bei Gafsa einen scharfen Bogen nach Westen und läuft dann in den kleinen Schott Baadscha, welcher im Süden des Dra el Haua liegt.
Als wir den Tarfaui erreichten, war die Spur auf einmal verschwunden. Ich ahnte sofort eine List, welche der Indianer und der Westmann Nordamerikas zuweilen anwenden, um ihre Verfolger irre zu leiten, stieg ab, ließ mir die Fackel geben und leuchtete damit in das Wasser. Richtig! Beim Scheine derselben zeigten die klaren Wellen sehr deutlich die Hufspuren zweier Pferde. Der Krumir hatte sich das Bette des Wassers zum Pfade gewählt. Um die Fährte nicht zu verlieren, brauchten nur die beiden Ufer sorgfältig beobachtet zu werden.
Eine volle Stunde lang hatte es dem Verfolgten im Wasser gefallen; dann war er aus demselben herausgegangen, um eine direkt westliche Richtung einzuschlagen. Ungefähr eine deutsche Meile westlich vom Tarfaui fließt nämlich parallel mit ihm ein anderes Flüßchen nach Süden, welches sich mit ihm oberhalb Gafsa vereinigt. Dieses Nebenflüßchen hatte der Krumir aufgesucht und war in dem Wasser desselben ebenso fortgeritten, wie in demjenigen des Tarfaui. Dann hatte er es wieder verlassen, um die Richtung nach dem Uëlad Schahia aufzunehmen.
Nun aber waren unsere Fackeln alle verbrannt, und da die Mitternacht nahte, und wir und die Pferde doch einiger Ruhe bedurften, machten wir Lager, stellten eine Wache aus und versuchten, zu schlafen. Es gelang allen, nur Ali en Nurabi nicht, den das wiederholte Mißlingen unserer Anstrengungen in eine Aufregung versetzt hatte, welche keinen Schlummer aufkommen ließ. Als die Schläfer beim Anbruche des Tages geweckt wurden, hatte er noch kein Auge zugethan.
Das Morgengebet wurde gesprochen; man trank einen Schluck Wasser, aß einige Datteln, sattelte dann die Pferde, und der Ritt begann von neuem.
Wir näherten uns heut jenen weniger besuchten Ländereien, in denen die Grenze zwischen Algerien und Tunesien noch heut eine streitige ist. Die hüben und drüben lebenden Beduinen befehden sich unablässig; es ist eine blutige unheimliche Gegend, in welcher die Blutrache alljährlich mehr Opfer frißt, als man glauben möchte. Wir mußten hier sehr vorsichtig sein.
Der Krumir war es auch. Dieser Mann entwickelte eine geradezu erstaunliche Ortskenntnis, und es zeigte sich, daß er seinen Ehrennamen el Chabir in der That verdiente. Die kleinste Vertiefung, der einzelnste Felsen oder Busch war von ihm benutzt worden, unbemerkt zu bleiben, Deckung gegen das Auge eines Unberufenen zu suchen. Und dabei hatte er alle Hindernisse mit einer vorhersehenden Sicherheit überwunden, welche Bewunderung verdiente und das sicherste Zeugnis dafür ablegte, daß er diese Gegenden nicht zum erstenmal durchritt. Dazu mußten wir die Schwierigkeiten rechnen, welche ihm Mochallah jedenfalls bereitete; es war zu vermuten, daß er sie so an das Pferd gebunden hatte, daß sie sich vollständig in seiner Gewalt befand.
So erreichten wir um die Mittagszeit die Berge von Schahia, von denen aus man über den Dra el Haua hinweg in das gefährlichste Gebiet Tunesiens hinabblicken kann – in das Gebiet der Schotts und Sebchas nämlich. Da unten, gerade im Süden von unserem Standorte aus, hatte ich vor mehreren Jahren auf dem Schott Dscheridsiehe Band 1 der ges. Reiseerzählungen S. 47 ein grausiges Abenteuer erlebt, bei dessen Erinnerung sich mir noch heute die Haare sträuben wollten. Nichts ist so heimtückisch wie diese Schotts. Sie liegen da, so hell und freundlich; ihre eisesähnliche Oberfläche blinkt und winkt so einladend, und doch lauert der verräterische Tod unter diesem lächelnden Aeußern.
Südlich vom Dschebel Aures und der östlichen Fortsetzung dieser Bergmasse dehnt sich eine leicht gewellte, weite Ebene aus, deren Tiefungen ganz mit Salzablagerungen bedeckt sind. Sie führen als die Ueberreste von einstigen großen Binnengewässern in Algerien den Namen Schott und in Tunesien den Namen Sebcha und bestehen in der Hauptsache, von West nach Süd aufgezählt, aus den drei großen Schotts Melrir, Rharsa und Dscherid. Der letztere wird auch el Kebir genannt. Da die Region el Areg nahe heranreicht, von weicher aus der feine, leichte Flugsand vor dem Südwinde stetig nach Norden treibt, so sind die Einsenkungen des Schotts zum großen Teile mit tiefen, losen Sandmassen ausgefüllt, und nur in der Mitte des Schotts hat sich eine beträchtliche Wassermenge erhalten. Dieselbe ist von einer Salzkruste bedeckt, unter welcher das hellgrüne Wasser keinen ganzen Meter tief unvermischt bleibt, und dann folgt bis zu einer Tiefe von fünfzig und noch mehr Metern ein mehlartiger, flüssiger Sand, der alles, was durch die salzige Kruste bricht, mit lautloser, teuflischer Sicherheit festhält und begräbt.
Diese Salzkruste bildet nicht etwa, wie das Eis es thun würde, eine gleiche, ebene Fläche, sondern sie zeigt wellenförmige Erhöhungen und Vertiefungen. Sie ist im Durchschnitte vielleicht zwanzig, oft aber auch nur zehn und noch weniger Centimeter dick und hat eine Farbe, welche dem bläulich schimmernden Spiegel geschmolzenen Bleies gleicht. Bewegt man sich auf ihr, so erwecken die Schritte einen Ton, der dem Klange des Bodens der Solfatara in Neapel gleicht. Der unablässig sich in Bewegung befindende Flugsand giebt den Krustenthälern ein dunkleres Kleid; er wird schwerer und schwerer, bricht endlich durch und läßt hinter sich eine neue, weiße Stelle entstehen. Weht der Smum von Süden her, so kracht und knackt das Salz an allen Ecken und Enden, die Hitze brennt Blasen und reißt Löcher und Risse hinein, so daß sich das ganze Gefüge verändert. Noch schlimmer aber wirkt die Regenzeit. Die feuchten Niederschläge lösen die Salzdecke an ihren niedrigen Stellen auf; die Kruste sinkt in das Wasser ein, wird aber von dem schwimmenden Sande gehalten; oder aber dieser Sand ist so fein und leicht, daß er nach oben steigt und nun der Stelle das Aussehen der größten Festigkeit verleiht. Darum kann man bloß einzelne Stellen dieser Schotts, aber auch nur mit größter Lebensgefahr, betreten. Und dennoch, man sollte es kaum glauben, führen einzelne Wege quer über die heimtückische Salzdecke, und zwar infolge des regen Verkehrs zwischen Tunis und den durch ihren Dattelreichtum berühmten Ländern Suf und Belad el Dscherid. Aber diese Wege sind wenigstens, ich sage wenigstens, ebenso gefährlich, wie die verräterischen Pfade über einen bodenlosen lappländischen Sumpf. Sie haben eine Breite von kaum einem Fuß, erleiden ganz unvorhergesehene und nur schwer bemerkbare Veränderungen und erwecken in dem Wanderer das Gefühl, als ob er zur Winterszeit über eine glatt beeiste, viele Stockwerke hohe Dachfirste sich hinzubalancieren habe. Oft sinkt dieser Pfad so tief in das Wasser ein, daß das letztere dem Pferde bis über den Leib reicht; oft auch wird man von einer trügerischen Fata morgana zu Seite und in den sichern Tod gelockt. Gewöhnlich wird so eine Furt durch kleine Steinhaufen bezeichnet, welche der Beduine ›Gmaïr‹ nennt; aber diese Zeichen werden öfters von dem Wasser verschlungen, oder der Wüstensohn giebt ihnen, um eine Rache auszuführen, eine andere Stellung, und wehe dann dem Ahnungslosen, der nur einen einzigen Schritt seitwärts thut – die Sebcha öffnet sich, der Mann verschwindet, der Schwimmsand umklammert ihn mit seinen schweren, nassen Armen, und über ihm schließt sich die breiartige, fest und hart scheinende Kruste, um auf ein ferneres Opfer zu lauern.
Wer sich einem solchen Pfade anvertrauen will, der muß einen ganz und gar sichern, nüchternen und /geistesgegenwärtigen Führer haben, sonst ist er unrettbar verloren. Als solche Führer oder Chabirs sind die im Süden des Schotts wohnenden Merasig berühmt. Will eine Gesellschaft oder gar eine Karawane die Sebcha überschreiten, so wird vorher zu Allah um Schutz gefleht. Dann schreitet der Führer voran, jeden Zollbreit genau sondierend, ehe er den Fuß darauf setzt. Dann folgen die Kamele mit ihren Treibern, eines hinter dem anderen, vielleicht sogar das folgende mit dem Kopfe an den Schwanz des vorhergehenden gebunden. Kommen gefährliche Stellen, so zaudert der Führer, die Kamele und Pferde schnauben ängstlich, aber vorwärts, nur immer vorwärts muß es gehen, keinen Augenblick darf der Fuß auf dem dünnen, wankenden, prasselnden und spritzenden Boden halten bleiben, wenn er nicht versinken will; es ist ein über das Grab, über die Hölle Hinübertaumeln, und -wenn das andere Ufer erreicht ist, so atmet alles tief auf, und die Männer wenden ihre Angesichter gen Osten, um ein ›Hamdulillah‹ zu rufen und Gott auf ihren Knieen zu danken, daß er den Rachen des Ungeheuers verschlossen gehalten hat. Zu Anfang dieses Jahrhunderts schritt eine Karawane von über tausend Kamelen und vielen Menschen über den Schott el Kebir; unglücklicherweise waren mehrere Gmaïr versunken; das Leitkamel irrte von dem fußbreiten Pfade ab und verschwand in der Tiefe; ihm folgten alle andern; alle verschwanden in der zähen, breiigen Masse; diese schloß sich über der Karawane, und eine halbe Stunde später hatte sich der Abgrund wieder geschlossen, und die Salzdecke zeigte ganz ihre frühere Gestalt wieder, daß nichts den fürchterlichen Unglücksfall verriet. So sind Hunderte und aber Hunderte in den seifigen Schlund gesunken, und wenn sie nicht mehr zum Duar kamen, so beteten die Ihrigen die Sure des Todes und sagten: »Der Ruhh es Sebcha, der Geist des Schotts, hat sie irre geleitet; sie sind hinunter in den schwimmenden Sand geraten; Allah erlöse sie!«
Denn nach dem Glauben der Umwohner der Schotts wohnt der Ruhh es Sebcha in den Tiefen des Wassers und öffnet die Pforten des Todes, wenn ein Mensch die Sebcha betritt, ohne betend sein Antlitz gen Mekka zu wenden. Wenn ein Ungläubiger oder ein großer Sünder über die gähnende Tiefe hinschreitet, so erhebt sich der Geist des Schotts und läßt über den Salzeffloreszenzen eine schimmernde Stadt oder eine blühende Uah erscheinen, und wenn der Getäuschte dann auf das Trugbild zueilen will, sinkt er dem stummen Abu Jahja in die Arme. –
An alles dieses mußte ich denken, als wir da oben auf der Höhe des Schahia hielten. Bis zu diesem Punkte hatte der Krumir seinen Weg ganz so genommen, wie es Sar Abduk von ihm gesagt worden war. Sollten seine Worte auch ferner zutreffen, so mußte er sich nach Süden, über den Dra el Haua und Dschebel Tarfaui nach Seddada wenden. Doch schien er einen Grund gefunden zu haben, seine Route zu ändern, denn die Spur sprang nach Südwesten um und führte endlich gerade nach Westen.
Wir folgten ihr zwischen dem Schahia und Dra el Haua bis gegen die Abenddämmerung, wo sie wieder eine südwestliche Richtung annahm. Wir hatten uns und unsere Tiere wirklich angestrengt, und eine genaue Untersuchung der Fährte ergab, daß der Verfolgte einen Vorsprung von nur noch einer Stunde vor uns hatte. Dies veranlaßte uns, beim Einbruche der Dunkelheit anzuhalten. Wie leicht war er während des Nachts zu verfehlen; wie leicht konnte er uns zu früh gewahren und dann für uns verloren sein. Am nächsten Vormittag mußten wir ihn auf jeden Fall erreichen.
Wir sattelten also die Pferde ab, als wir ein Johannisbrotgesträuch erreichten, und bereiteten uns in der Nähe desselben mittels der Sättel und Decken ein Lager.
»Er hat mich doch getäuscht,« meinte Sar Abduk. »Er wird nicht über Seddada und Nefta, sondern über die Enge von Asludsch nach Tuggurt gehen.«
»Kennt er auch diesen Weg?« fragte ich.
»Er kennt hier alle Pfade; er ist ja el Chabir. Sogar auf der Sebcha weiß er jeden Gmaïr und jede Untiefe. Ihn kann der Ruhh es Sebcha nicht irre führen; er hat die Wanderer über er Rharsa und auch auf el Toserija und es Suida geleitet; ich bin mit ihm über er Rharsa geritten, und nie hat der Fuß seines Pferdes einen Fehltritt gethan.«
»Auch ich bin über den Dscherid geritten. So führen also über die Sebcha Rharsa auch Pfade?«
»An dieser Sebcha giebt es wenig Orte, darum sind auch keine sicheren Pfade da. Man reitet am Rande hin, und nur ein kühner Bedawi wagt sich auf das böse Salz.«
»Wie weit ist es von hier bis zur Enge von Asludsch, welche die beiden Schotts Melrir und Rharsa scheidet?«
»Du müßtest von früh bis zum Abend reiten.«
»Und bis zum nächsten Punkte des Rharsa?«
»Den kannst du schon in drei Stunden erreichen.«
»So müssen wir versuchen, ihn von dem Schott abzubringen, sonst wagt er sich auf das Salz, und wir können ihm nicht folgen.«
»Er wird es nicht wagen.«
»Warum nicht?«
»Er hat ein Pferd zu führen, und für zwei Tiere ist der Pfad zu schmal.«
»So meinst du, wenn wir ihn an den Schott treiben, so kann er uns nicht entgehen?«
»Sicher nicht.«
»Er wird das eine Pferd mit dem Mädchen opfern und den Schott allein betreten; dann entkommt er uns mit dem Falben, den er reiten wird.«
»So schießen wir ihn herab.«
Das klang so zuversichtlich, daß ich es selber glaubte.
»Sihdi,« fragte Achmed es Sallah, »willst du mir eine Bitte erfüllen?«
»Ja, wenn ich kann. Welche?«
»Du schießest besser als wir andern alle. Nimm du den Krumir und überlaß mir Mochallah!«
»Gern, wenn es möglich ist. Aber wenn es die Not nicht erfordert, werde ich nicht schießen. Man soll nicht unnötig Menschenblut vergießen, und es ist besser, wenn wir ihn lebendig in die Hand bekommen.«
»So verwunde ihn. Wir werden dann Gericht über ihn halten.«
Aus solchen und anderen Reden war zu ersehen, daß ein jeder überzeugt war, daß morgen unser Ritt ein Ende nehmen werde. Auch der Engländer hegte die gleiche Zuversicht.
»Hm!« meinte er, als ich ihm die Absicht der übrigen mitteilte, »also morgen geht es zu Ende? Schade!«
»Wieso?«
»Wo nachher ein anderes Abenteuer hernehmen?«
»Wird sich schon finden. Uebrigens müssen es ja nicht immer Abenteuer sein!«
»Was denn? Reiten kann jeder, essen und trinken auch. Yes! Laßt mir den Kerl, den Krumir! Werde an ihm meine Büchse versuchen.«
»Das lassen wir bleiben, Sir! Es ist wünschenswerter, wir bekommen ihn unverletzt.«
»Aber wie das? Er wird doch nicht so dumm sein und sich ruhig hinstellen, wenn ihr ihn fangen wollt!«
»Hier läßt sich nichts vorher bestimmen, sondern man muß den Verlauf ruhig abwarten.«
»Richtig! Aber – hm! Da fällt mir was ein.«
»Was?«
»Ihr habt ja da die alte Lederschnüre kennen gelernt, die man Lasso oder das Lariat nennt. Könnte man sich nicht so ein Ding machen und den Menschen damit fangen?«
»Sir, dieser Gedanke ist nicht übel! Zwar Riemen giebt es nicht, aber feste Schnüre aus Leff haben wir genug. Ein Lariat verstehe ich zu führen. Wollen wir eins drehen?«
»Well!«
Eine Viertelstunde später hatte ich ein festes Lariat, und um nun zu sehen, ob ich noch sicher sei, übte ich mich trotz der Dunkelheit an den Zweigen des Johannisbrotes. Es ging. Nun hatte ich allerdings eine Waffe, die es mir möglich machte, den Krumir ganz unverletzt in die Hände zu bekommen.
Auch heute wurde, wie es notwendig war, eine Wache ausgestellt, und dann überließen wir uns dem Schlafe in der frohen Hoffnung, morgen um diese Zeit unsere Aufgabe längst erfüllt zu haben. Da wir zeitig zur Ruhe gegangen waren, so waren wir am andern Morgen bereits vor Tagesanbruch munter, und kaum konnten wir die Fährte mehr ahnen als bereits erkennen, so wurde aufgebrochen.
Wir hatten unsern Weg noch nicht Dreiviertelstunden lang verfolgt, so erreichten wir ein kleines Thälchen, welches von Akaziensträuchern bestanden war, und hier hatte der Krumir mit seiner Gefangenen die Nacht zugebracht. Er hatte sich hier so sicher gefühlt, daß er sogar ein Feuer angebrannt hatte. Mochallah war an eine Akazie angebunden worden, wie wir ganz deutlich sehen konnten. Die letzten Eindrücke, welche die beiden Personen und die Pferde hinterlassen hatten, waren so frisch, daß der Krumir kaum eine halbe Wegstunde Vorsprung haben konnte.
Nun ging es mit erneutem Eifer vorwärts. Das Thal stieg eine Anhöhe empor. Als wir den Kamm derselben erreichten, hielten wir alle unwillkürlich unsere Pferde an. Dort, gegen Mittag, blitzte es am fernen Horizonte hell und krystallisch auf; das war der Schott Rharsa; der Ruhh es Sebcha lockte uns durch den reichen Schimmer seiner Wohnung, hinabzueilen von der Höhe, auf welcher wir standen. Von der Sebcha aus zog sich ein weites Sandmeer zu uns heran, außer einigen rauhen Koloquinten ganz ohne Vegetation, und dort, dort zu unserer Rechten trabten zwei Pferde, ein Schimmel und ein Falbe; auf dem ersteren saß eine weibliche Gestalt, und auf dem andern eine männliche, der Krumir, den wir sofort erkannten.
»Allah 'l Allah!« rief Ali en Nurabi mit lauter jubelnder Stimme, riß seine Flinte aus dem Sattelriemen und sprengte im Galopp den Abhang hinab.
Diese Unvorsichtigkeit sollte sich sofort rächen. Die Morgenluft trug den Schall bis zum Ohre des Krumirs. Er wandte sich um und erblickte uns. Auch er mußte uns erkennen. Nur einen Augenblick zögerte er erschreckend, dann aber flog er mit beiden Pferden ventre-à-terre davon.
Alle waren dem Scheik der Uëlad Sebira gefolgt; nur Achmed hielt noch neben mir.
»Warum reitest du nicht?« fragte ich ihn lächelnd.
»Weil auch du hier halten bleibst, Sihdi,« antwortete er. »Du wirst wissen, was du thust.«
»Ich weiß es allerdings. Siehe, wie die Sebcha einen Bogen nach rechts beschreibt; diesen Bogen werden sie reiten; wir aber machen es uns leichter und halten in gerader Linie auf die Spitze des Bogens zu. So nehmen wir dem Krumir den Vorsprung ab, den er jetzt noch hat. Vorwärts!«
Wir ritten in der soeben beschriebenen Richtung fort, zunächst Trab, dann Galopp, endlich aber in voller Karriere. Die Hamemastute Achmeds war ausgezeichnet; ich strengte meinen Rappen nicht zu sehr an, und so blieben die beiden Pferde stets in gleicher Höhe. Nach und nach wurde der Sand tiefer, doch wir minderten unsere Schnelligkeit nicht. Der Krumir hatte nur acht auf die andern Verfolger; wir waren von ihm noch gar nicht bemerkt worden, obgleich wir ihm gefährlicher werden Mußten, als jene. Es war vorauszusehen, daß sie ihn nicht erreichen würden; die Milchstute und der Falbe waren ihnen Überlegen, trotzdem diese beiden braven Tiere sehr harte Anstrengungen hinter sich hatten.
Da, jetzt wandte er sich einmal nach rechts hinüber und erblickte uns. Ich sah, wie er den Kopf voll Trotz in den Nacken warf und seine Pferde zu vergrößerter Schnelligkeit anspornte. Er ritt parallel mit dem Ufer des Schott; er hatte tiefern Sand als wir, und darum war es gar nicht notwendig, meinen Hengst mit dem Geheimnis anzurufen. Er war uns immer voraus, aber da wir die Sehne seines Bogens ritten, so war es gar keine Frage, daß wir ihn erreichen würden.
So verging wohl eine halbe Stunde. Wir näherten uns dem glänzenden Spiegel des Schott immer mehr; die Spitze des Bogens flog förmlich auf uns zu, und die andern hatten wir längst hinter uns gelassen. jetzt langten wir an dem Busen an, den der Schott in das Land hineinschob, der Krumir hart an demselben, ich in gleicher Höhe, aber vielleicht einen Kilometer von ihm entfernt, Achmed noch immer an meiner Seite. Damit aber veränderte sich das Panorama vor uns. Der Schott trat ganz plötzlich wieder zurück und machte einer breiten Landzunge Platz, die in ihn hineinragte. Der Krumir erhob sich im Sattel, stieß einen lauten Schrei der Freude aus und warf den rechten Arm verächtlich empor. Dann riß er die Pferde plötzlich nach links und sauste dem Schott gerade entgegen.
»Allah kerihm,« rief Achmed; »er will auf das Salz!«
Ich antwortete gar nicht, denn jetzt war keine Zeit zu Worten, sondern warf meinen Hengst in dieselbe Richtung und legte ihm die Hand zwischen die Ohren:
»Rih, Rih, Rih!!!«
Das Pferd erschrak förmlich bei diesem Tone, den mir die Angst durch die Kehle trieb. Es schien den Boden gar nicht zu berühren, es hatte an meinem Rufe gehört, daß es jetzt einmal Zeit sei, ein Rih, ein Wind zu sein. Ich ahnte, daß der Krumir eine Stelle suche, an welcher ein Pfad über den Schott münde; kam Mochallah auf das Salz, so war sie verloren; ich mußte ihren Entführer also erreichen, noch ehe er am Rande der Sebcha anlangte. Es war, als würde mir die Entfernung entgegengeworfen. So sehr lang sich auch die Landzunge in den Salzsee erstreckte, sie flog zusehends zurück, aber ich kam dem Verfolgten mit jedem Sprunge meines Pferdes näher; noch zehn, noch acht, noch fünf, vier, drei Pferdelängen; jetzt nur noch eine.
Ich schwang das Lariat in der Rechten; aber den Reiter durfte ich nicht treffen, sonst wäre das kostbare Pferd verloren gewesen, welches seinen rasenden Lauf hinaus auf das Salz fortgesetzt hätte. Ich mußte die Schlinge dem Falben um den Kopf werfen. Jetzt hatte ich den Krumir erreicht.
»Halt!« rief ich.
»Hier, Scheitan!« antwortete er.
Er erhob die Hand mit der Pistole – mein Lariat flog, und auch sein Schuß krachte. Ich hatte mich augenblicklich zurückgebogen und mein Pferd zur Seite gerissen, um die Schlinge sich zusammenziehen zu lassen, und diese Bewegung rettete mir das Leben – die Kugel flog gerade vor mir vorüber. Da mein Schwarzer auf Lasso nicht eingeritten war, durfte ich ihn nicht plötzlich zum Stehen bringen, sonst wäre er umgerissen worden; ich zügelte vielmehr nur seinen Lauf; die Schlinge saß, der Falbe stieg empor und stürzte nieder.
Der Krumir hatte wohl noch nie einen Lariat gesehen; es entging ihm daher auch die Geistesgegenwart, mir durch einen Schnitt seines Messers zuvorzukommen, aber so gewandt war er doch, während des Sturzes sich aus dem Sattel zu werfen. Er erreichte unbeschädigt den Boden, und da er die Milchstute beim Zügel führte, wurde er von derselben eine Strecke mit fortgerissen; da aber stand sie; er sprang hinter Mochallah auf und jagte weiter.
Das alles geschah so schnell als man es denkt, und ich konnte es nicht hindern, weil ich das Ende des Lariat an meinem Sattelknopfe befestigt hatte und also mit dem gestürzten Falben zusammenhing. Ehe ich meinen Hengst wieder sicher hatte und das Messer zog, um das Lariat zu durchschneiden, saß der Krumir bereits auf der Stute. Einige Sekunden später schoß er auf die unter den Hufen seines Pferdes hell erklingende Salzdecke hinaus, ich hinter ihm her. Ich dachte nicht an die Gefahren dieses Wagnisses, ich dachte nur an den, der pfeilschnell vor mir über die spiegelnde Fläche schoß – der Ruhh es Sebcha hatte mir gewinkt. Mir allein? Ich hörte hinter mir Hufschlag und blickte mich um. Herrgott, auch Achmed war auf dem Salze; seine Stute schoß hinter mir her! Der kurze Aufenthalt mit dem gestürzten Falben hatte es ihm ermöglicht, uns einzuholen!
»Kehre um!« rief, – nein, schrie, – nein, brüllte ich.
»Allah akbar – – Sihdi, ich verlasse dich nicht!« hörte ich ihn antworten.
Ich konnte mich nicht weiter um ihn bekümmern; ich hatte genug für mich zu thun. Bis jetzt war die Salzdecke fest und von gleicher Stärke gewesen, nun aber sah ich eine Reihe von Gmaïrs auftauchen, ein untrügliches Zeichen, daß die Gefahr beginne. Die bisher ebene Decke begann, sich wellenförmig zu heben und zu senken; die Höhen leuchteten metallisch, und in den Tiefen lag der tückische Flugsand – und über diese Höhen und über diese Tiefen sausten wir dahin. Der Boden erdröhnte, erzitterte, wankte, kreischte, knirschte und prasselte unter uns; er gab nicht mehr jenen vollen Ton, der so beruhigend klingt, sondern es war ein eigentümlich wimmernder, pfeifender Klang, bei dem einem die Zähne ›eilig‹ werden konnten. Und darauf wurde es noch schlimmer. Die Wellenthäler bekamen ein schwammiges Aussehen, fast wie geschmolzener Schnee; sie standen oft unter Wasser, welches über unsere Köpfe emporspritzte; ganze große Flächen wankten, schaukelten und kochten unter den dahinrasenden Hufen unserer Pferde; der Tod flog mit uns, vor, neben, unter uns. Ich verwandte kein Auge von Saadis el Chabir, den wir fangen wollten, und der doch unser Führer, unser einziger Chabir war, der uns retten konnte. Wo er sein Pferd emporgerissen hatte, that ich ganz dasselbe; ich ahmte eine jede seiner Bewegungen nach und ließ meinen Rappen genau da auftreten, wo seine Stute aufgetreten war. Und so auch that Achmed hinter mir. Es war der erschrecklichste Ritt meines Lebens. Ich befand mich mehr im Traume wie im Wachen; meine Pulse klopften, und meine Schläfen brannten; es war, als hätte mich das Fieber gepackt, als hetze ich mit dem wilden Jäger über haltlose, ineinander kumulierende Wolkenballen dahin. Und längst waren ringsum die Ufer verschwunden; wir befanden uns inmitten eines grenzenlosen Verderbens, und jeder Schritt brachte mir die Ueberzeugung, daß wir unbedingt versinken würden, wenn die rapide Schnelligkeit unserer Pferde nur im geringsten nachließe. Die Salzdecke war stellenweise so dünn, so widerstandslos, daß sie den darüber fliehenden Huf nur einen Augenblick, nicht aber zwei Augenblicke lang zu tragen vermochte. Ich hatte keine Zeit, nach der Uhr zu sehen; wir mochten wohl zwanzig Minuten lang dahingeflogen sein; sie waren mir aber wie zwanzig Ewigkeiten.
Da sah ich, daß die Milchstute müde wurde. Sie hatte eine doppelte Last zu tragen. Auch der Krumir fühlte es. Er beschloß, sie zu erleichtern, aber auf eine Art, die mir die Haare in die Höhe trieb. Seine Gestalt hatte mir bisher Mochallah verdeckt; jetzt sah ich, daß er, während er mit der Linken das Pferd lenkte, mit der Rechten die Fesseln löste, welche das Mädchen auf dem Tiere hielten. Dann hörte ich einen Schrei voll Todesangst. Er hatte Mochallah aus dem Sattel gerissen und wollte sie vom Pferde schleudern; sie aber klammerte sich mit der Kraft der Verzweiflung an ihn; sie hing mit ihren Armen an seinem rechten Oberschenkel und wurde mit fortgeschleift. Da erhob er die Faust und schlug sie dem Mädchen auf den Kopf. Ihre Hände lösten sich von ihm; sie stürzte herab, nicht auf, sondern neben den schmalen Pfad; ihre Füße fanden keinen Halt, das flüssige Salz gab nach, sie sank – nein, denn in diesem Momente schoß mein Pferd an ihr vorüber, ich bog mich tief herab und – erfaßte sie mit der Rechten am Oberarm. Ich hielt fest, und die Schnelligkeit des Rittes unterstützte die Kraft meines Armes; die leichte Gestalt des Mädchens beschrieb einen weiten Bogen durch die Luft und fiel quer über meinen Sattel nieder.
Das war das Werk nur zweier Augenblicke gewesen. Hinter mir erscholl ein lauter, jubelnder Ruf; Achmed es Sallah hatte ihn ausgestoßen. Der Schimmel war erleichtert, und mein Rappe schien nichts von der vermehrten Last zu empfinden; die Jagd auf Leben und Tod ging weiter; aber wie lange noch war dies auszuhalten?
Kein Zeichen, kein Steinhäufchen war zu sehen; nichts als wogende Salzfelder, kochender Sandschaum, spritzendes Wasser und fliegender Gischt.
Da, da endlich bemerkte ich weit vor uns einen dunklen Streifen; aber so entfernt er auch war, er kam bei unserer Schnelligkeit rasch näher. Gott sei Dank! Der Krumir hatte einen Weg eingeschlagen, der nur einen Teil der Sebcha abschnitt. Hätte er quer über den hier gegen dreißig Kilometer breiten Schott setzen wollen, so wären wir verloren gewesen. Eine Minute und noch eine verging; der Streifen war ganz nahe; noch wankte, schäumte und schwirrte der Boden unter uns – jetzt aber gab er einen harten, sichern Ton, und wir flogen über eine feste Kruste dem sichern Erdboden zu.
»Allah 'l Allah!« rief der Krumir.
»Hussah, spring mit, Achmed!« schrie ich.
Mein Rappe flog wie ein Vogel über den breiten tief sumpfigen Rand hinweg, welcher die Salzkruste vom festen Boden trennte, und gleich hinter mir landete auch Achmed glücklich. Unsere Pferde schossen noch einige Längen vorwärts, ehe sie zum Stehen kamen und – wo war der Krumir? Die Milchstute stak mit dem Hinterleibe im Sumpfe und mehrere Schritte vor ihr lag sein Körper regungslos im Sande.
Wir stiegen ab und halfen zunächst dem Pferde heraus; dann traten wir zu dem Reiter. Die ermüdete Stute war zu kurz gesprungen, und der aus dem Sattel geschleuderte Krumir hatte, mit dem Kopfe zuerst aufschlagend, den Hals gebrochen.
»Gott sei seiner Seele gnädig!« seufzte ich tiefaufatmend.
»Allah jenahrl al barrahsch – Gott verdamme den Aussätzigen!« fügte Achmed hinzu und trat dann schleunigst zu Mochallah, welche ich auf den Sand gelegt hatte. »Sihdi, sie ist tot!« rief er erschrocken.
Ich untersuchte sie.
»Sie lebt, sie ist bloß ohnmächtig,« erklärte ich ihm.
Da nahm er sie in seine Arme und küßte sie auf Augen, Mund und Wangen, bis sie wieder erwachte. Unterdessen bekümmerte ich mich um die Pferde, welche mit schlagenden Flanken und weit geöffneten Nüstern daneben standen. Wir durften sie so nicht stehen lassen. Ich rieb sie kräftig ab und wandte mich dann wieder zu Achmed. Dem guten Kerl standen dicke Thränen im Auge; er wollte mit Mochallah sprechen, aber er erhielt keine Antwort. Sie hing wortlos an seinem Halse, und was wir hörten, waren nur unartikulierte Töne.
»Schone sie, Achmed es Sallah!« bat ich. »Sie hat zu viel gelitten, und die letzte halbe Stunde war fürchterlicher, als ein Weib ohne schwere Folgen ertragen kann.«
»Ja, Sihdi, sie war entsetzlich! O, was ist el Areth, und was ist Abu 'l Afrid gegen diese Sebcha! Der Ruhh es Sebcha hat uns entkommen lassen, weil wir keine Sünder sind, aber den Krumir hat er doch zuletzt noch festgehalten. Möge seine Seele in der Dschehennah wohnen bei den Teufeln, die am schlimmsten sind! Ich werde diesen Ritt niemals vergessen!«
»Ich auch nicht, darauf kannst du dich verlassen. Mir ist, als sei ich von tausend Minarehs gestürzt, ohne ein einziges Mal Schaden zu nehmen.«
»Und, Sihdi, ich danke dir, daß du Mochallah, die ›Perle der Töchter‹ errettet hast, als sie der Krumir in den Abgrund schleudern wollte!«
»Sprich jetzt nicht davon! Auch wir beide sind noch zu angegriffen; es muß eine Zeit vergehen, bis wir zur Ruhe gekommen sind. Hilf mir, den Krumir auf die Stute binden; dann nimmst du Mochallah zu dir auf das Pferd, und wir wollen sehen, ob wir unsere Leute finden.«
»Kennst du die Richtung, in welcher wir sie suchen müssen, Sihdi?«
»Ja, unser Ritt ist nach Südwest gegangen, wir müssen nach Nordost zurück.«
In kurzer Zeit befanden wir uns auf dem Rückwege. Ich trabte voran, die Milchstute am Zügel führend, und hinter mir folgte der glückliche Achmed es Sallah, aus seinem Wortschatze die süßesten Ausdrücke suchend, um seiner ›Perle der Töchter zu zeigen, wie unendlich selig er sich fühle. –
Es war kurz nach der Mittagszeit, als wir den einen Teil jener Landzunge erreichten, von welcher aus unser fürchterlicher Ritt begonnen hatte. Als wir um die letzte Ecke bogen, waren wir noch immer nicht bemerkt, denn alle die Unsrigen saßen am Ufer und verwandten kein Auge von der weiten, glitzernden Fläche, auf welcher wir am Morgen verschwunden waren. Da schoß ich einen Lauf meiner Büchse ab; sie alle fuhren empor, und als sie uns erblickten, erscholl ein einziges, unbeschreibliches Jubelgeschrei. Bald waren wir umringt und mit tausenderlei Fragen bestürmt. Nur einer stand abseits von uns, die wiedergefundene Tochter in seinen Armen, und betrachtete mit leuchtenden Augen seine Stute –Ali en Nurabi.
»Hamdulillah, ich habe beide wieder!« rief er endlich. »Achmed es Sallah, du hast dein Wort gehalten, und so gedenke ich denn auch an das meinige: Mochallah, die Tochter meines Herzens, sei dein. Nun aber erzählt uns doch, wie Allah euch geleitet hat, und wer die Seele dieses Räubers genommen hat, an dem man keine Wunde sieht.«
»Laß mich erzählen, Sihdi!« bat Achmed.
»Thue es!« antwortete ich.
Ich gönnte dem braven, treuen Mann diese Genugthuung, welche ja doch der geringste Lohn war für das, was er gewagt hatte. Unterdessen saß ich bei dem Engländer, um diesem in seiner Muttersprache von unserem Ritte zu berichten. Er zog die ewigen Beine an sich und legte die unendlichen Arme um die Kniee, während er mir mit größter Spannung zuhörte. Als ich geendet hatte, holte er tief Atem und gestand aufrichtig:
»Wißt Ihr, Sir, daß ich mir gern ein Abenteuer wünsche! Aber ein solches denn doch nicht. Man hat am liebsten ein wenig feste Erde unter den Hufen, wenn man spazieren geht. Yes! Aber dieser Achmed ist ein ganz verteufelter Kerl; reitet Euch da auf dem alten Teiche nach! Nun hat er endlich doch seine Mochallah – Verlobung, Hochzeit und Ausstattung. Wißt Ihr auch, was ich ihm versprochen habe?«
»Ja.«
»Nun?«
»Fünfzig Pfund.«
»Und diese soll er auch haben, denn er hat sie redlich verdient. Well!«
Eine Stunde später standen wir alle auf der festen Salzkruste des Schott, in welche wir ein Loch gebrochen hatten.
»So nehmt denn seinen Leib, ihr Männer,« sagte Omar Altantawi mit ernster Stimme, »und werft ihn in den Abgrund des fliegenden Sandes, wohin er schicken wollte das Kind unseres Bruders. Der Ruhh es Sebcha soll haben seine Gebeine bis zum Tage der Auferstehung; seine Seele aber sehe zu, ob sie komme über die Brücke, die zum Paradiese führt. Er hat seinen Schwur gebrochen und Gott und den Propheten gelästert; das ist die schwerste aller Sünden. Allah illa Allah, we Mohammed Rassul Allah!«